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Jener Sommer, das ruhigste Meer

Noruberutos zusammengewürfelte Bemerkungen zum Film und die damit zusammenhängenden Gegenstände




Foto

Magical History Tour: Alexander Newski



Alexandr Nevskii / Алекса́ндр Не́вский
Sergei Eisenstein
Sowjetunion 1938

Mitte des 13.Jahrhunderts ist Russland teilweise von Mongolen besetzt, auch die Tartaren machen als Teil der Goldenen Horde des Russen Ärger. Doch die eigentliche Gefahr naht aus dem Westen in Form deutscher Ritterorden, welche russische Städte einnehmen und die Bevölkerung terrorisieren und unterjochen. Unter der Führung von Alexander Newski wird zum Gegenschlag ausgeholt, welcher in der legendären Schlacht vom Peipussee am 5.April 1242 kulminiert.

Sowohl die Vorgeschichte als die Schlacht selbst wird in unglaublich intensiven, gleichzeitig minimalistischen wie detailreichen Bildern dargeboten. Es ist nicht einmal so sehr die Montagetechnik im Wechsel von Nahaufnahme und Totalen, die Eisenstein berühmt gemacht hat, als die Gestaltung der einzelnen Einstellungen selbst, welche hier wirkt: nie wird nur ein Bildelement gezeigt, sonder immer zumindest zwei, meistens aber sogar drei Bildebenen (wohlkomponiert in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund) sind bedeutungsvoll. Lanzen, Felsen,Glocken, Kruzifixe, Kirchtürme, Galionsfiguren, Bäume, Standarten, Eis und Schnee, Knochen, Helme und Schilder, Wolken, (tote) Soldaten und Pferde bilden ein einmal statisches, dann wieder wogend-bewegtes Ensemble, welches eine unglaubliche Raumwirkung entfacht.

Besonders die zentrale Schlacht auf dem zugefrorenen See, auf welchem die Heere aufeinandertreffen, entwickelt mit diesem Wechsel der Einstellungen und der Bildgestaltung in den einzelnen Bildern selbst eine starke Wirkung. Die Kamera und somit der Zuseher ist mitten drin im Geschehen, als sich die Schlacht vom ersten wogenden Aufeinanderprallen der Gegner bis hin zu einem frenetischen Gemetzel in wilder Raserei steigert. Mit Sicherheit eine der bedeutensten Schlachtendarstellungen der Filmgeschichte, wohl gerade weil sie so vollkommen anders inszeniert ist als alle modernen computergenerierten Schlachtengetümmel. Dazu die Filmmusik von Prokowjew, die stellenweise mit ihren grotesken Klängen überhaupt nicht zur Handlung passend erscheint. Am intensivsten Dann die Momente, als die Musik jäh abbricht und nur noch das Schlachtengetümmel zu hören ist.

Eiensteins Film folgt ganz der stark stilisierten, nationalistischen Bedeutung, welcher Newski als Volksheld und Nationalheiliger hat. Interessant dabei die zeithistorische Brisanz des Stoffes als antideutsche Propaganda, nur kurzfristig unterbrochen von der Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, als für den Film sogar ein Aufführungsverbot galt, bis der Kriegsverlauf dem Werk erneut Propagandafunktion zuteil werden ließ. Dessen ungeachtet ist Alexander Newski natürlich ein ganz großer Klassiker, der unter anderem Akira Kurosawa, Stichwort Sieben Samurai, ganz entscheidend beeinflusst haben dürfte.

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Zitat

Es ist nicht einmal so sehr die Montagetechnik, die Eisenstein berühmt gemacht hat, als die Gestaltung der einzelnen Einstellungen selbst, welche hier wirkt: Totalen wechseln sich beständig mit Nahaufnahmen der Protagonisten ab.

Mhh, ist das nicht Montage?

Bin selbst nicht so begeistert von Newski, weil hier die stalinsche Zähmung von Eisenstein meiner Meinung deutlich sichtbar wird. Der Heroismus wirkt wie eine hohle Phrase auf mich. Wie eigentlich immer Heroismus. Ein leerer Film, wie ich finde.
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Danke für den Hinweis, war verdreht formuliert.

Natürlich ist der Film in seiner Enstehung problematisch und interessante Punkte in deinem Beitrag zu Eisenstein. Aber deswegen, die filmische Gestaltung für sich genommen, "leer"?
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Nicht die Gestaltung des Filmes ist leer, sein Kern sehr wohl. Die Form ist angepaßt an das Ziel, aber eben nicht genuin dem erfrischenden Optimismus der russischen Avantgarde entsprungen, die von der stalinschen Allmachtsphantasie übergebügelt wurde. Die Leute haben eine eigene Filmsprache erfunden und wurden dafür bestraft, weil sie nicht angepaßt genug waren. Wie traurig ist das?
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Mir geht es da ähnlich wie Critic, von allen Eisenstein-Filmen, die ich kenne, mag ich "Alexander Newski" am wenigsten, aus so ziemlich den gleichen Gründen. Ich weiß noch, daß ich den Film beim Sehen als ein sehr aufdringliches Propagandastück empfunden habe.
Was den Einfluß gerade dieses Films auf Kurosawa betrifft, bin ich übrigens nicht ganz so sicher: ich habe vorsichtshalber noch mal in Kurosawas "So etwas wie eine Autobiographie" reingeschaut, und dort zumindest erwähnt er den Alexander Newksi an keiner Stelle; es gibt eine lange Fußnote, in der Kurosawa Filme (alles noch Stummfilme) auflistet, die ihn in jungen Jahren besonders beeindruckt haben, und da ist von Eisenstein der unvermeidliche Panzerkreuzer Potemkin dabei; das ist aber auch die einzige Stelle im Buch, an der Eistenstein erwähnt wird. In seinem Vorwort nennt Kurosawa als zwei von ihm besonders verehrte Meister Jean Renoir und John Ford. Dies nur als ergänzende Bemerkung...
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Nun, einen solchen direkten Einfluss, der besonders betont wird, meinte ich nicht. Vielleicht ist es eher ein bisschen wie bei den Shakespeare-Tragödien, in den Adaptionen Kurosawas, die Schlachtengemälde in Ran etwa, aber auch Kagemusha. Und ein unmittelbarer Eindruck bei der Sichtung Newskis waren bei mir eben diese aufgereckten Lanzen und Standarten, die Bedeutung der Wolken als Gestaltungselement und die wogenden Bewegungen, da hat es sicher einen Einfluss auf Kurosawa gegeben, auch wenn er nicht direkt genannt oder zitiert ist. Das Renoir und Ford zu Kurosawas Lieblingsregisseuren zählten, ist natürlich wolbekannt. Vielleicht sind die ungenannten, nicht so offensichtlichen Verbindungen und Unterströmungen die interessanteren, auch im Rahmen des Magical History Tour Projekts. Im übrigen gehört Newski nach dieser Erstsichtung auch nicht zu meinen favorisierten Filmen der Sowjetzeit. Wichtig erscheint mir allerdings, dass es möglich sein sollte, den Film aus den Propagandaklauen herauslösen und für etwas in sich selbst Stehendes lesen zu können.
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Am 23.5. wird Newski im Österreichischen Filmmuseum zu sehen sein. Meine humble opinion ist immer noch, dass der Film verkannt ist (Politik hin und her). Nun ergibt sich also die Möglichkeit zu einer Neusichtung am großen Schirm, vielleicht eine Revision?

Béla Tarr hat Newski übrigens anlässlich des 2012 BFI poll zum besten Film gevoted (und stand damit ziemlich alleine da). Da ergeben sich filmhistorisch - und ästhetisch - wieder ganz neue Deutungsmöglichkeiten.
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