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Herr Settembrini schaltet das Licht an

Oberlehrerhafte Ergüsse eines selbsternannten Filmpädagogen

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Die Erschöpfung


Ich glaube zwar kaum, daß irgend jemand meine Beiträge in der letzten Zeit wirklich vermißt hat, aber möglicherweise ist es ja doch dem einen oder anderen aufgefallen, daß ich mich hier zuletzt ziemlich rar gemacht habe. Das hat verschiedene Gründe, aber der fraglos wichtigste ist ganz einfach der, daß ich in der jüngeren Vergangenheit kaum Filme gesehen habe.
Nun ist ein Zeitabschnitt, während dem man wenige Filme sieht, auch unter Filmfreunden vermutlich nicht so außergewöhnlich (außer vielleicht bei den Enthusiasten, die es auf mehr Filme im Jahr bringen, als dieses Tage hat); doch ich habe mittlerweile den Eindruck, daß es sich in meinem Fall bei diesem Abschnitt nicht nur um eine kurze Episode handelt, sondern um eine neue Phase in meinem Werdegang als Filmliebhaber. Dieser begann einst mit dem schlafenden Interesse, als ich zwar ab und zu mal Filme sah, ohne mich aber für die Kunstform bzw. das Medium näher zu interessieren; dann erwachte (vor etwa zwanzigeinhalb Jahren) dieses Interesse schlagartig, und ich trat in meine klassische Entdeckungsphase ein, in der sich meine filmischen Vorlieben zum großen Teil herausbildeten. Als ich dann bei kino.de aktiv wurde, folgte meine erweiterte Entdeckungsphase, in der ich aufgeschlossener denn je Filme sah, auch solche, um die ich früher einen großen Bogen gemacht hätte, während der sich meine Vorlieben (und Abneigungen) aber trotzdem nur noch in Nuancen, nicht so sehr grundsätzlich änderten.
Inzwischen gibt es für mich aber keinen Zweifel mehr daran, daß ich in eine neue Phase eingetreten bin: es ist die der Erschöpfung.
Natürlich kann ich nicht genau sagen, wann die Erschöpfung begonnen hat, aber es gibt zumindest Anhaltspunkte. Da ich seit recht vielen Jahren alle Filme, die ich sehe, notiere, weiß ich auch, wie viele Filme ich in einem Jahr erstmals gesehen habe. Und da zeigen die Zahlen eine deutliche Tendenz: 2009 sah ich noch 101 Filme zum ersten Mal (dazu kommen natürlich in allen Jahren immer noch die Filme, die ich vorher schon mal gesehen hatte), 2010 waren es immerhin noch 97, 2011 noch 71, 2012 nur noch 52 und im letzten Jahr gerade einmal 28. In diesem Jahr könnten es sogar noch weniger werden.
Es gibt natürlich auch ganz praktische Gründe dafür: meine wichtigste filmische Fundgrube war in all den Jahren das Fernsehen. Doch inzwischen mache ich dort kaum noch Neuentdeckungen, denn entweder laufen Filme, die ich schon kenne, oder solche, die mich nicht besonders interessieren. Außerdem sah ich noch eine wesentlich geringere Anzahl von Filmen im Kino, manchmal aktuelle Filme, aber auch immer wieder ältere in Programmkinos. Allzu viele Kinobesuche konnte ich mir freilich schon früher nicht leisten, und inzwischen muß ich mich noch viel stärker einschränken; auch dies ist ein Grund dafür, daß ich kaum noch ins Kino gehe.
Aber diese praktischen Gründe sind nicht die einzigen dafür, daß ich mittlerweile so wenig Filme sehe. Ich merke an zahlreichen Symptomen, daß auch mein Interesse spürbar nachgelassen hat. Ich bin ungeduldiger geworden; natürlich gab es auch früher Filme, die mir auf die Nerven gingen, aber ich habe trotzdem viele Jahre jeden noch so blöden Film bis zum Ende ertragen. Inzwischen kommt es (wenn auch immer noch sehr selten) vor, daß mein Geduldsfaden reißt und ich vorzeitig abbreche; so habe ich gerade erst vor wenigen Wochen ein fast überall hochgelobtes Werk nach einer Dreiviertelstunde abgebrochen, weil ich darin nur eine Nummernrevue ohne Sinn und Verstand erkennen konnte. Heutzutage ist es auch so, daß ich mich viel leichter als früher davon abschrecken lasse, mir einen Film überhaupt anzusehen: so ist meine Bereitschaft, überlange Filme zu sehen, deutlich gesunken; um manche Filme mache ich aber auch einen Bogen, weil mich ihr Thema abschreckt (um gleich ein Beispiel zu nennen: ich weiß, daß heute abend mit Hanekes "Liebe" einer der meistgelobten und meistprämierten Filme der letzten Jahre im Fernsehen gezeigt wird, aber ich habe nicht die geringste Lust, mir den anzusehen). Am liebsten sehe ich zur Zeit eigentlich Filme, die ich bereits kenne, und von denen ich weiß, daß ich sie mag; und selbst das mache ich nicht allzu oft. Daß ich infolgedessen auch nur wenig über Filme schreibe und diskutiere, ist die fast logische Konsequenz. Natürlich kann ich mich auch jetzt noch für einzelne Filme begeistern, doch momentan geschieht dies eher sporadisch.
Ich weiß nun freilich nicht, ob diese Phase der Erschöpfung nun das letzte Stadium meines Werdegangs als Filmliebhaber ist oder ob es sich um eine Übergangsphase handelt; vielleicht durchlaufe ich auch eine Phase der Regeneration, auf die eine "Wiedergeburt" meines Filminteresses folgen wird.
Darauf wetten würde ich allerdings nicht.


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Was sind Sie für ein Zuschauertyp?


Beim Herumstöbern auf meiner Festplatte entdeckte ich den folgenden Text aus kino.de-Zeiten, von dem ich weiß, daß er dort seinerzeit recht gut ankam. Darum habe ich beschlossen, ihn nochmals aus der Versenkung zu holen, wobei ich den ursprünglichen Text leicht modifiziert habe. Und hier ist er:


Was sind Sie für ein Zuschauertyp?

Warum gehen gutgemeinte Filmtips so oft schief? Warum kommt es in Filmdiskussionen so oft vor, daß zwei Menschen einfach aneinander vorbeireden (und es vielleicht noch nicht einmal merken)?
Nun läßt sich natürlich als Erklärung einfach anführen, daß die Filmgeschmäcker eben verschieden sind, was zwar richtig, aber auch nicht sonderlich erhellend ist. Etwas interessanter scheint mir dagegen die Betrachtung zu sein, daß nicht nur die Geschmäcker verschieden sind, sondern auch die Filminteressen und damit die Gründe, aus denen jemand überhaupt einen Film sieht. Es gibt also, wie ich behaupten möchte, ganz verschiedene Zuschauertypen, und Filminteressierte, die dem gleichen Zuschauertyp angehören, werden auch in Diskussionen vermutlich gut miteinander auskommen, solche, die völlig verschiedenen "Lagern" stammen, kommen sehr wahrscheinlich nicht miteinander zurecht oder verstehen zumindeste einander nicht.

Ich habe mir daher mal den Spaß gemacht, zu überlegen, was für Zuschauertypen es geben könnte und diese einigermaßen prägnant zu beschreiben versucht. Wobei natürlich eines vorwegzuschicken ist: einen reinrassigen Vertreter eines speziellen Zuschauertyps wird man so gut wie nie antreffen, die meisten Filminteressierten werden eher die Merkmale verschiedener Typen vereinigen. Insofern sind meine Beschreibungen selbstverständlich auch überspitzt, doch gerade durch die Übertreibung werden viele Dinge ja erst richtig sichtbar. Prinzipiell aber dürfte man bei den meisten Filminteressierten die eine oder andere der Eigenheiten, die zu den verschiedenen Typen gehören, in mehr oder weniger starker Ausprägung antreffen.

Dann will ich einfach mal ein paar Zuschauertypen vorstellen (aus reiner Bequemlichkeit habe ich immer "der" und "er" geschrieben, aber auf Zuschauerinnen ist das problemlos übertragbar), wobei es mehr oder weniger querbeet geht:

Der Zerstreuung Suchende
sieht Filme ausschließlich, um sich zu unterhalten. Für ihn ist das auch der einzige Grund, warum Filme gedreht (oder Romane geschrieben, dies nebenbei) werden. Jede Art der Filmanalyse findet er absurd und hält es für lächerlich, was manche Leute in Filme "hineininterpretieren".

Der Lemming
beurteilt die Qualität von Filmen einzig und allein nach dem Erfolg an der Kinokasse. Wenn ein Film keine Zuschauer findet, ist er eben schlecht. Der Zweck von Filmpreisen besteht für den Lemming darin, die größten Kassenerfolge auszuzeichnen, und Kritiker, die einen erfolgreichen Film schlecht zu finden wagen, hält er für arrogant und dumm.

Der Arthouse-Liebhaber
ist geradezu das Gegenteil des Lemmings: je weiter das Entstehungsland eines Films entfernt ist und je mehr Buchstaben der Name des Regisseurs hat, desto interessanter wird ein Film für ihn. Das Nonplusultra ist für ihn der sechsstündige phillipinische Kunstfilm mit englischen Untertiteln. Wenn ein solcher Film allerdings einen regulären Kinostart schafft und dann auch noch überraschend Erfolg hat, kühlt sich sein Interesse gleich etwas ab.

Der Moderne
ist nur am gegenwärtigen Kino interessiert. Für ihn sind selbst Filme aus den 90er Jahren schon leicht angestaubt, Remakes alter Filme zieht er den Originalen zumeist vor. Schwarzweißfilme haßt er.

Der Klassiker
kennt sich dagegen gut in der Filmgeschichte aus, allerdings nur mit dem bekannteren Werken, die in den gängigen Filmlexika aufgeführt sind bzw. in typischen Kanon- und Bestenlisten aufgeführt werden. In den filmischen "Randbezirken" kennt er sich nicht aus, hat aber auch keinen besonderen Ehrgeiz, etwas daran zu ändern. Dem aktuellen Kinogeschehen steht er distanziert gegenüber und sieht mehr alte als aktuelle Filme im Kino. Seine Auffassung läßt sich in dem Satz ausdrücken: "Früher war alles besser."

Der Emotionale
will während eines Films vor allem von seinen Gefühlen überwältigt werden, während er mit intellektuellem oder gar essayistischem Kino nicht viel am Hut hat. In Filmdiskussionen gehört er zu den engagiertesten und leidenschaftlichsten Teilnehmern, vorausgesetzt, der Film hat ihn in der gewünschten Weise berührt.

Der Eskapist
liebt es, im Film fremde Welten zu sehen zu bekommen, weshalb er sich oft zur Science Fiction oder Fantasy hingezogen fühlt. Aber auch Historienfilme oder Musicals können sein Gefallen finden, prinzipiell ist er im Kino für alles offen, so lange es ihn nicht an sein alltägliches Leben erinnert.

Der Narrative
ist auf kein spezielles Thema oder Genre festgelegt, will aber eine geradlinige Geschichte erzählt bekommen, die Anfang, Hauptteil und Schluß hat. Er schätzt in der Regel großes episches Kino, dafür ist ihm das intellektuelle Kino eines Godard ebenso ein Greuel wie solche Filme wie z.B. "Mulholland Drive", die er im günstigsten Fall distanziert "Kopfgeburt" nennt, im ungünstigsten dagegen "Zuschauerverarschung".

Der Wirklichkeitsbezogene
ist dagegen der Gegenspieler des Eskapisten. Für ihn müssen Filme einen deutlichen Bezug zur Realität haben, weshalb er Science Fiction oder Fantasy ablehnt und es für Zeitverschwendung hält, sich damit überhaupt zu beschäftigen. Ohnehin mißtraut er allem Genrekino, das er vor allem als Anhäufung von "Klischees" sieht. Ihm kommt es vor allem auf "Relevanz" an, und am höchsten schätzt er den Dokumentarfilm.

Der Kritisch-Intellektuelle
ist für gewöhnlich sehr belesen und sieht es als wesentliche Aufgabe des Kinos an, gesellschaftliche Repressionsmechanismen sichtbar zu machen. Wie der Wirklichkeitsbezogene fordert er Relevanz ein, beharrt im Gegensatz zu diesem aber nicht auf größtmöglicher Wirklichkeitsnähe, es genügt ihm, wenn Filme auf die Wirklichkeit verweisen. Seine Vorliebe gilt Regisseuren, die als politisch gelten, und er nimmt einen eher distanzierten, analytischen Standpunkt als Zuschauer ein, was leicht zu Meinungsverschiedenheiten mit dem emotionalen Zuschauertyp führen kann.

Der Bildungsbürger
ist nicht allein am Kino interessiert, sondern mehr noch am Theater und an Literatur, wobei sein Interesse nicht so sehr der Literatur, die für Menschen, sondern eher jener, die für Deutschlehrer geschrieben wird, gilt. Am Film interessiert er sich vor allem für das europäische Autorenkino, Namen wie Fellini, Rivette, Bresson oder Tarkowski lassen sein Herz höher schlagen. Amerikanische Filme mag bis auf sehr wenige Ausnahmen nicht, und vor allem Genrefilmen steht er für gewöhnlich ablehnend gegenüber; in besonderem Maß gilt dies für Horrorfilme, die er sich in aller Regel gar nicht erst ansieht, aber trotzdem von ihrer Abscheulichkeit felsenfest überzeugt ist.

Der Allesseher
liebt dagegen das Kino an sich, sowohl als Medium wie auch als Kunstform. Er ist von allen Zuschauertypen der am wenigsten voreingenommene. In seiner Filmbegeisterung sieht er in einem Jahr mehr Filme, als das Jahr Tage hat, und selbst in schlechten Filmen sucht er immer noch nach dem Gelungenen oder zumindest Liebenswerten. Berührungsängste mit Genres oder sonstigen Spielarten des Films sind ihm fremd, weshalb man mit ihm über Bergman und Bunuel ebenso wie über Hollywoodklassiker der 30er Jahre, Arthousekino aus Thailand oder Filme, die indiziert oder gar beschlagnahmt sind, reden kann. Sein größtes Problem ist, daß das Leben nicht lang genug ist, um alle Filme kennenzulernen, deshalb hortet er DVDs und zeichnet im Fernsehen alles auf, was ihm interessant erscheint, ohne daß er dazu kommen würde, all diese Filme auch mal anzusehen, so daß er nach einer Weile Hunderte von ungesehenen Filmen bei sich zu Hause hat und zuletzt selbst nicht mehr weiß, was für Filme in dem riesigen Stapel verborgen sind.

Der Ästhet
ist vor allem am einzelnen Bild interessiert, weniger an Geschichten, aber auch nicht so sehr an anderen filmischen Mitteln, im Gegensatz zum Formbewußten (s.u.). Er liebt in aller Regel Antonioni, weil es bei diesem keine störende Handlung gibt, die von den Bildern ablenken würde.

Der Formbewußte
ist vor allem an der Machart eines Films interessiert, Kameraführung, Schnitt, Kadrierung, Blicke und Gesten der Schauspieler, Trickeffekte, der Einsatz von Musik sowie die sonstige Gestaltung der Tonspur, dies alles fasziniert ihn. Wenn ein Film in dieser Hinsicht etwas zu bieten hat, kann er für ihn inhaltlich auch haarsträubender Unsinn sein. Das negativste Urteil, das man von ihm über einen Film zu hören bekommt, ist die Einschätzung, ein Film sei "theaterhaft".

Der Mitternachtszuschauer
findet Filme dann am interessantesten, wenn sie verboten sind. Seine Vorliebe gilt Trash, Sex- und Horrorfilmen (vor allem Splatter- und Gorefilme), letztlich eben allen Spielarten der Exploitation. Bei italienischem Kino denkt er vor allem an Italowestern, Giallis und Kannibalenfilme, während Fellini und De Sica für ihn böhmische Dörfer sind - doch die bekanntesten Filme, die in den gängigen Nachschlagewerken auftauchen und die der Klassiker (s.o.) kennt, sind für ihn ohnehin nur "Mainstream-Gülle".

Der Ideologe
sieht Filme vor allem mit der Erwartung, immer aufs neue in seinem fest zementierten Weltbild bestätigt zu werden. Dies ist dann auch sein einziges Bewertungskriterium, daher fallen Filme, die ihm diesen Gefallen nicht tun, auch sofort durch - unabhängig von ihren formalen Qualitäten, denn diese interessieren den Ideologen nicht die Bohne.

Der Fixierte
ist eigentlich ein Sonderfall des Ideologen. Er ist völlig besessen von einem bestimmten Thema und sucht in Filmen, die er sieht, immer nur nach einem Bezug zu "seinem" Thema, den er in aller Regel auch findet. Dabei ist ihm kein Detail zu nebensächlich, um nicht als Aufhänger für seine mitunter bizarren Interpretationen zu dienen, die er gern auch noch dadurch unterfüttert, daß er berühmte Philosophen zitiert.

Das war's. Wie gesagt: in der oben beschriebenen Form wird man kaum einen Filminteressierten antreffen, normal dürfte eher eine Mischung aus verschiedenen "Typen" sein. Aber ich denke, damit sollten die wichtigsten Zuschauertypen erfaßt sein...

(Zuerst veröffentlicht auf kino.de im Januar 2009; leicht modifiziert)

kino.de


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Die folgende Sendung...


Wer hat ihn nicht schon mal gelesen, den Warnhinweis im Fernsehen: "Die folgende Sendung ist für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet". Manchmal sind es auch "Zuschauer unter 18 Jahren", das hängt von der Sendung (und damit vom Film, denn fast immer geht es ja um Spielfilme) ab. Nun ist natürlich fraglich, ob sich die Zuschauer unter 16 bzw. 18 Jahren von so etwas abschrecken lassen, aber vermutlich ist das auch gar nicht der Sinn der Sache: es ist vielmehr so, daß der Sender diese Zuschauer auf diese Weise gewarnt hat, und wenn sie nun trotzdem hinschauen und dann Alpträume bekommen, können sie sich nicht beim Sender darüber beschweren: selbst schuld!
So gesehen, scheint es also durchaus sinnvoll, Zuschauer vor bestimmten Sendungen zu warnen, doch da stellt sich die Frage: sind es nur Zuschauer unter 16 und 18 Jahren, die gewarnt werden müßten? Gibt es nicht noch ganz andere Zuschauergruppen, die gewarnt werden sollten?
So ist zum Beispiel Rosemaries Baby sicher eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte, aber Hochschwangere sollte man vielleicht doch vor diesem Film warnen, wenn es zu keiner Sturzgeburt kommen soll... Und was ist mit all den Phobikern? In einem Fall wie dem großartigen Tarantula ist eine Warnung für Arachnophobiker vermutlich überflüssig, da dürfte der Titel als Abschreckung schon ausreichen, doch nicht alle Filmtitel sind so eindeutig. Umgekehrt sind natürlich nicht nur Phobiker zu warnen, auch Tierliebhaber (im allgemeinen wie im besonderen) sollten vielleicht um bestimmte Filme lieber einen Bogen machen. So wäre vor einer Ausstrahlung von The Godfather womöglichder Hinweis "Die folgende Sendung ist für Pferdeliebhaber nicht geeignet" angebracht...
Migränepatienten sollten vielleicht vorsorglich vor Scanners gewarnt werden, und eine echte Risikogruppe stellen dann Epileptiker dar - da ist mir auch wirklich schon mal eine Warnung begegnet, auf der Onlineseite der Berlinale: sie betraf einen Kurzfilm, der allerdings so furchtbar war, daß man nicht nur Epileptiker, sondern Zuschauer überhaupt vor ihm hätte warnen sollen.
Jugendliche, Phobiker, Tierliebhaber - sind damit alle zu warnenden Gruppen abgedeckt? Sicher nicht, aber eine Gruppe von Personen verdient fraglos noch besonderen Schutz: jene Gruppe, die mehr als jeder andere Personenkreis unter Filmen zu leiden hat, und ganz besonders unter dem Zeug, das im Fernsehen häufig läuft. Und deswegen sollte es die Warnung geben: "Die folgende Sendung ist für Filmkritiker nicht geeignet!"


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Die 80er: eine Verteidigungsrede


Beim flüchtigen Lesen der letzten Kurzkommentare stieß ich mal wieder auf die erstaunlich weit verbreitete Ansicht, die 80er Jahre seien die schlechteste Filmdekade überhaupt gewesen, und da fragte ich mich wieder einmal, was dieses Jahrzehnt nur verbrochen hat, daß mit solcher Hartnäckigkeit auf ihm herumgehackt wird.
Ich selbst halte die 80er nämlich keineswegs für ein besonders schlechtes Jahrzehnt, wobei ich natürlich voreingenommen bin: mit Blue Velvet, Fanny und Alexander und Der Kontrakt des Zeichners gehören gleich drei Filme der 80er dem engsten Kreis meiner Lieblingsfilme an, und manche Nachschlagewerke schlagen Louis Malles Eine Komödie im Mai dem Jahr 1989 (und nicht 1990) zu; wenn ich diesen Nachschlagewerken folge, dann sind es sogar vier meiner absoluten Lieblingsfilme, die aus den 80ern stammen. Schon durch diese Filme fühle ich mich den 80ern eng verbunden.
Und auch sonst fallen mir jede Menge großartiger Filme aus den 80ern ein: Sergio Leones gewaltiger Schwanengesang Es war einmal in Amerika wäre hier ebenso zu nennen wie die beiden großen Alterswerke Akira Kurosawas Kagemusha und Ran; mit Der Blade Runner hat das Jahrzehnt einen der bemerkenswertesten und einflußreichsten Science-Fiction-Filme zu bieten (und mit Der Terminator einen der finstersten, da ich gerade bei der Science Fiction bin); auch Brazil sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden; auch im Anime-Bereich hat die Dekade einiges zu bieten, wie etwa den erschütternden Die letzten Glühwürmchen; und keinesfalls sollte man, wenn man von den 80ern spricht, Shoah vergessen, der fraglos zu den bedeutendsten Dokumentarfilmen überhaupt gehört.
Auch vom osteuropäischen Film sollte man in diesem Zusammenhang sprechen: ich denke dabei etwa an Kieslowskis Ein kurzer Film über das Töten oder Elem Klimows Komm und sieh (bzw. Geh und sieh, beide deutschen Titel sind mir schon begegnet), aber auch an Briefe eines Toten (der mich persönlich mehr beeindruckt hat als sein amerikanisches Gegenstück The Day After). Auch Kubricks Full Metal Jacket, der mir bei der Kriegsthematik soeben in den Sinn kommt, ist vielleicht nicht gerade sein bester Film, aber auf alle Fälle doch ein bemerkenswerter Film.
Das Jahrzehnt hat so faszinierende Werke wie Vincent Wards Der Navigator oder John Boormans bildgewaltigen Excalibur zu bieten, dazu Claude Millers ungemein fesselnden Das Auge (und da ich gerade bei Michel Serrault bin, will ich gleich noch Die Fantome des Hutmachers, der sicher zu den Höhepunkten im Werk Claude Chabrols gehört, ergänzen). Diese Aufzählung bemerkenswerter Filme der 80er ist natürlich weit davon entfernt, vollständig zu sein, aber auch so wird, denke ich, schon mal deutlich: ein Jahrzehnt, das solche Filme zu bieten hat, kann ja wohl so schlecht gar nicht gewesen sein.

Natürlich hat es auch in den 80ern schlechte Filme gegeben, vermutlich sogar jede Menge. Das war aber in allen Jahrzehnten so. Man sehe sich nur mal im Kino der Gegenwart um, mit seinen unzähligen Remakes und Fortsetzungen und dem übermäßigen Einsatz von CGI und 3D - ist das nun so viel besser als das Mainstream-Kino der 80er?
Manchmal habe ich den Eindruck, daß einige Filmliebhaber den 80ern nicht verzeihen können, daß die Ära des New Hollywood zu dieser Zeit endgültig vorbei war und statt dessen Star Wars und das Spielberg-Kino ihren Siegeszug antraten. Mal ganz davon abgesehen, daß ich zumindest das Spielberg-Kino längst nicht so negativ sehe wie viele andere Filminteressierte: Beide Entwicklungen hatten aber schon in den 70ern begonnen, und New Hollywood konnte vermutlich nicht von Dauer sein (so wie es eben auch eine Zeit des Film Noir oder des neorealistischen Films gab).
Aber ich will nun gar nicht weiter irgendwelche Vermutungen anstellen, denn letztlich weiß ich wirklich nicht so recht, warum gerade die 80er so oft als das schlechteste Filmjahrzehnt bezeichnet werden. Worauf beruht diese Einschätzung? Oder ist es am Ende gar keine Einschätzung, sondern eine reine Behauptung ohne Substanz?


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Antworten auf fünf Fragen


Wie ich vorhin gerade feststellen durfte/mußte, bin ich von Splatter-Fanatic beworfen worden; zum Glück steht da aber noch: "Wer keine Lust auf das Stöckchen hat: Einfach ignorieren!". Insofern fühle ich mich von der Pflicht befreit, mir nun neue Fragen auszudenken und fünf weitere Leute damit zu behelligen, ich hätte sowieso keine Idee, wer da als Opfer in Frage käme.

Insofern habe ich mich also für's Ignorieren entschieden; um allerdings kein vollständiger Spielverderber zu sein, kann ich ja zumindest mal die fünf Fragen, die mir gestellt wurden, beantworten. Das lockt dann vielleicht keine neuen Mitglieder hierher, aber möglicherweise interessieren meine Antworten ja auch so jemanden.

Nun also die Fragen und meine Antworten darauf:

1.) Das Gutfinden mancher Filme ist einem ja mitunter peinlich. Was ist Dein peinlichster Lieblingsfilm und warum ist er Dir peinlich?

"Peinlich" ist nicht das richtige Wort, denn das hieße ja letztlich, daß ich Lieblingsfilme habe, bei denen ich mich dafür schäme, daß es Lieblingsfilme sind. Mit solchen Beispielen kann ich aber nicht wirklich dienen. Es gibt durchaus Filme, die ich sehr mag, ohne sie für echte filmische Meisterwerke zu halten, aber das ist dann doch noch mal was anderes.
Ich muß allerdings zugeben, daß es Filme gibt, die ich toll finde, aber durchaus nicht im Verwandten- oder Bekanntenkreis (der hauptsächlich aus alten Leuten besteht) vorführen würde. Eraserhead wäre dafür ein Beispiel, aber auch Russ Meyers Supervixens. Peinlich ist mir zwar nicht, daß ich die mag, aber ich weiß genau, daß manche Leute aus den erwähnten Kreisen vermutlich die Beziehungen zu mir abbrechen würden, wenn ich ihnen solche Filme vorführte... :D

2.) Mit welchem anerkannten Meisterwerk der Filmgeschichte kannst Du so rein gar nichts anfangen und aus welchen Gründen?

Da könnte ich so einiges nennen... Spontan fällt mir erst mal Blow-up ein, den ich immer für schön fotografierten, aber ansonsten überschätzten Blödsinn gehalten habe, den ich vor allem aber auch noch außergewöhnlich langweilig finde. Wobei ich hinzufügen sollte, daß ich mit Antonioni sowieso noch nie glücklich geworden bin.
Ein noch extremeres Beispiel ist Uhrwerk Orange, denn den hasse ich wirklich wie die Pest. Eine ausführliche Begründung würde den Rahmen sprengen (ich habe noch einen alten kino.de-Text auf Festplatte, der ist ungefähr 4700 Wörter lang...), hier ein Versuch, es ganz kurz zu erklären: Der Film hat Gewaltbilder in mein Gehirn gepflanzt, die ich in der Folgezeit auch beim Hören von Beethovens Neunter vor meinem inneren Auge hatte - und da ich so gut wie alles von Beethoven sehr liebe, ist das allein eigentlich schon Grund genug, eine Abneigung gegen diesen Film zu haben. Dazu kommt aber noch, daß der ja gerade von Konditionierung (in Form der "Ludovico-Methode") handelt, sich aber, wie meine Erfahrung zeigt, derselben Mittel wie diese Methode bedient und auch den Zuschauer konditioniert. Daß er aber eine Kritik an solchen Praktiken und ein Plädoyer für den freien Willen, wie es von vielen seiner Anhänger behauptet wird, darstellt, nehme ich ihm daher nicht mehr ab: der Film macht selbst das, was er angeblich kritisiert.

3.) Wer ist Dein Lieblingsregisseur und welchen Film würdest Du einem Interessierten als Einstieg in die Welt dieses Regisseurs empfehlen?

Dazu müßte ich erst mal wissen, wer mein Lieblingsregisseur ist - da stehen Hitchcock und Kurosawa ungefähr auf gleicher Höhe. Bei Hitchcock böte sich vielleicht Das Fenster zum Hof für den Einstieg an, das ist einer seiner besten und vor allem einer, von dem sich besonders viel darüber lernen läßt, was der Hitchcocksche Suspense ist. Bei Kurosawa habe ich selbst mit Rashomon angefangen und kann das durchaus zur Nachahmung empfehlen.

4.) Welche SchauspielerInnen haben bei Dir einen Stein im Brett? Wer muss also die Hauptrolle spielen, damit Du Dir einen Film ansiehst, der Dich ansonsten nicht die Bohne interessiert hätte?

Daß ich mir Filme wegen eines Schauspielers ansehe, kommt nicht soo oft vor, diese Anziehungskraft üben weit eher Regisseure auf mich aus. Trotzdem gibt es natürlich schon Schauspieler(innen), die ich besonders gern sehe, sei es wegen ihrer Wandlungsfähigkeit, der Intensität ihres Spiels oder ihrer Ausstrahlung. Aber da ich sowieso demnächst mal eine Liste mit Lieblingsschauspielern ins Filmtagebuch stellen wollte, bitte ich hier um etwas Aufschub, dann wird es bald meine kleine Liste geben.

5.) Was sind Deine 10 Lieblingsfilme, die nicht aus Hollywood stammen?

Schwierige Frage erst mal, weil ich dann vor dem Problem stehe, wie ich Co-Produktionen wie "Alien" (GB/USA) oder "Spiel mir das Lied vom Tod" (Italien/USA) einstufen soll. Ich bin mal vorsichtig und lasse solche Filme außen vor. Dann kämen mir in den Sinn:

Der diskrete Charme der Bourgeoisie
Die fabelhafte Welt der Amelie
Fanny und Alexander
Eine Komödie im Mai
Der Kontrakt des Zeichners
Mein Onkel
Melancholia
Rashomon
Die sieben Samurai
Solaris (1972)

Ist jetzt spontan zusammengewürfelt, weil ich die Frage schnell beantworten wollte, aber eigentlich nicht drauf eingerichtet war. Jetzt fehlen mir freilich Filme wie Fahrraddiebe, Schreie und Flüstern oder Das Auge; aber auch Das Leben des Brian wäre ein echter Kandidat gewesen. Na gut, ich lasse die zehn Filme mal so stehen, aber auf die Goldwaage sollte man sie nicht legen: wenn man mich an einem anderen Tag fragt, würde ich vermutlich den einen oder anderen Film austauschen.


Soweit meine Antworten, und bitte nicht böse sein, daß ich meinen Beitrag zum Stöckchenspiel darauf beschränken möchte.


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Allgemeine Anmerkungen zu Literaturverfilmungen


Da ich ja gerade mal wieder eine Buchverfilmung gesehen und dabei festgestellt habe, was man dabei so alles falsch machen kann (siehe mein Kommentar zu "Harry Potter und der Halbblutprinz"), geriet ich ein wenig ins Grübeln über Literaturverfilmungen ganz allgemein und will an dieser Stelle einfach mal ein paar Gedanken dazu zusammentragen. Das ist auch insofern ganz interessant, weil es da ganz unterschiedliche Auffassungen gibt, wie ich in diversen Diskussionen selbst schon feststellen konnte.
Dabei will ich mich zunächst der Frage widmen:

Lassen sich alle Bücher verfilmen?

Das kommt ganz darauf an, was man unter "verfilmen" versteht! Wenn man sich damit zufriedengibt, daß einfach etwas Filmmaterial belichtet wird und ein Film entsteht, der die Handlung des Buches, sofern es eine gibt, ungefähr wiedergibt, dann dürften sich die meisten Bücher verfilmen lassen, zumindest die meisten erzählerischen. Doch dies ist ein sehr bescheidener Anspruch. Die entscheidende Frage ist wohl eher, ob eine Verfilmung adäquat ist.
Wenn man aber fordert, daß eine adäquate Verfilmung ein Kunstwerk sein soll, daß mindestens ebenbürtig neben dem Buch steht, dann ist unter der Verfilmbarkeit wohl eher zu verstehen, daß eine adäquate Verfilmung überhaupt möglich ist. Diese Frage ist nun deutlich schwerer zu beantworten, denn so lange es niemand gemacht hat, kann auch keiner sagen, wie gut oder schlecht eine Verfilmung im konkreten Fall wirklich ausfällt. Trotzdem gibt es eben Bücher, bei denen der Gedanke naheliegt, daß jeder Versuch einer Verfilmung scheitern müssen, weil etwa die Qualitäten des Buches so sehr sprachspezifischer und stilistischer Natur sind, daß bei einer Übersetzung des Sprachkunstwerks in Bildersprache das entscheidende verloren gehen wird. So leben ja gerade die großen Versdichtungen wie die Ilias, die Odyssee oder auch Miltons Paradise Lost wesentlich von ihren sprachlichen Qualitäten. Sicher, die reine Handlung läßt sich bebildern, aber hat es jemals eine Homer-Verfilmung gegeben, die neben den Epen nicht auf Zwergengröße geschrumpft wäre?
Ganz besonders dann, wenn ein Werk, sei es in Versen oder Prosa, durch das Zusammenwirken der einzelnen Wörter vieldeutig wird, wird eine Verfilmung schwierig, denn Bilder können mitunter sehr eindeutig sein. Damit kommt ein zusätzliches Problem von Verfilmungen hinzu: ein Buch erzeugt im Leser des Kopfs ganz eigene Bilder, Bilder, die vermutlich eher unscharf bleiben, aber dennoch von großer Kraft sein können. Und diese Bilder können je nach Leser sehr verschieden sein. Eine Verfilmung zwingt dagegen allen Zuschauern die Bilder auf, die der Regisseur für die richtigen hält. Insofern ist eine Verfilmung immer auch ein wenig ein Gewaltakt. "Der Herr der Ringe" ist für meine Ausführungen ein gutes Beispiel: da der Roman auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert, gibt es auch sehr unterschiedliche Dinge, die man daran mögen kann, und er kann eben auch sehr verschiedene Bilder im Kopf eines Lesers evozieren. Viele Leser haben in der Filmfassung Peter Jacksons offenbar das wiedergefunden, was ihnen am Buch gefiel, und fanden an Jacksons Bildern Gefallen. Bei mir war das leider nicht der Fall: die meisten Dinge, die ich am Roman, sind bei der Übersetzung in Filmbilder verloren gegangen, Filmbilder, die fast schon in offener Feindschaft zu denen stehen, die ich im Kopf hatte.
Neben solchen grundsätzlichen Probleme kommen noch die ganz praktischen hinzu: hier ist vor allem die Länge ein Problem. Um einen Roman umzusetzen, sind fast immer Kürzungen unvermeidlich, damit der Film dicht genug ist und nicht zu ausufernd gerät. Denn die meisten Filme stehen von ihrem Aufbau dem Drama näher als dem Roman (oder gar dem Epos). Bei kürzeren Werken, Novellen oder Erzählungen, fällt dieses Problem weitgehend weg, doch schon bei einem 500seitigen Roman ist es gravierend, und bei Werken wie dem Don Quijote etwa steht ein Regisseur vor der Wahl, entweder seine Vorlage zu verstümmeln, einen Film mit extremer Überlänge zu drehen, in dem dann trotzdem noch etliches fehlt - oder sich gleich für eine TV-Serie zu entscheiden, was aber auch seine Nachteile hat.
Damit habe ich ein paar grundsätzliche Probleme angesprochen, und spreche hier meine persönliche Meinung aus: manche Bücher sind unverfilmbar in dem Sinne, das ich es für völlig ausgeschlossen halte, daß es jemals eine Filmversion davon geben wird, die auch nur ansatzweise neben der Vorlage bestehen kann.
Daraus wird natürlich auch noch eine Sache deutlich: je besser das Buch, desto schlechter läßt es sich verfilmen. Zum einen legt ein gutes Buch die Meßlatte natürlich viel höher als ein mittelmäßiges, das vielleicht eine gute Grundidee hat, aber diese nicht richtig ausführt. Zum anderen aber zeichnet sich ein literarisches Meisterwerk sehr oft gerade durch solche Qualitäten und Besonderheiten aus, die bei der Übersetzung in die Bildersprache eines Films besonders leicht verloren gehen.
Damit komme ich nun zu einer zweiten Frage:

Wie sollte ein Buch verfilmt werden?

Damit meine ich vor allem: wie genau sollte ein Film dem Buch folgen, wann sind Änderungen erlaubt oder sogar erforderlich?
Auch da begegnet man immer wieder unterschiedlichen Auffassungen. Eine Extremposition sieht so aus, daß ein Film - auf der Ebene der Handlung - überhaupt nichts ändern sollte. Die Gegenposition verlangt vom Film vor allem Eigenständigkeit und verlangt sogar radikale Abweichungen von der Vorlage, wenn nötig.
Meine Position liegt da ziemlich in der Mitte, was ich nun etwas näher ausführen will.
Die Werktreue so weit zu treiben, jede Begebenheit, jeden Dialogsatz etc. eines Romans zu übernehmen, halte ich für albern. Dagegen gibt es mehrere Einwände: wenn etwa in einem Buch Briefe eine große Rolle spielen, so ist es eine äußerst schwerfällige Lösung, einen möglicherweise mehrere Seiten langen Brief zu zeigen und dazu dann eine Stimme aus dem Off erklingen zu lassen, die den Brief vorliest - nahezu jede andere Lösung ist im Film vorzuziehen.
Ich hatte aber auch schon erwähnt, daß mitunter Kürzungen oder Vereinfachungen einer Vorlage unvermeidlich sind. Bisweilen sind sie aber auch segensreich. Gerade in der Literatur des 19. Jahrhunderts gibt es viele Bücher mit übertrieben verwickelten Plots, was häufig zulasten der Glaubwürdigkeit geht - und dies tritt durchaus auch bei großen Autoren wie etwa Charles Dickens auf. Was Dickens seinen Lesern mitunter an Enthüllungen über unerwartete Verwandtschaftsbeziehungen zwischen einzelnen Figuren (am Schluß von Oliver Twist etwa) zumutet, stellt die Bereitschaft, ihm eine Geschichte abzunehmen, teilweise auf eine sehr harte Probe. In solchen Fällen sind Vereinfachungen nicht nur legitim, sondern sogar zu begrüßen.
Dann gibt es wiederum Dinge, die in einem Roman vielleicht gut funktionieren, im Film aber eben nicht; die Heckentiere in Stephen Kings Shining sind ein Beispiel dafür (und wenngleich ich Stanley Kubricks Verfilmung dieses Buchs nicht leiden kann und auch für deutlich schwächer halte, gehört Kubricks Verzicht auf die Heckentiere zu den wenigen Dingen, die ich ihm bei diesem Film nicht vorwerfe). In solchen Fällen ist dann das Filmverständnis und zum Teil auch einfach der gute Geschmack eines Regisseurs und/oder Drehbuchautoren gefragt.
Klar ist natürlich auch: je schlechter die Buchvorlage ist, desto legitimer sind Abweichungen. Wenn ein guter Regisseur einen schlechten Roman liest und darin etwas so interessantes findet, daß sich daraus ein guter Film machen läßt, dann ist es vertretbar, daß er bei der Umsetzung vor allem nach Wegen sucht, um seine Idee zu verwirklichen, und sich nicht so sehr darum kümmert, was in der Buchvorlage steht. (Und hieraus erklären sich auch die unterschiedlichen Positionen beim eben erwähnten Shining: die Bewunderer des Films, die Kubricks Umgang mit dem Roman Kings für legitim halten, sind - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - King-Verächter oder haben seinen Roman gar nicht gelesen, während wiederum unter denen, die den Roman schätzen, fast niemand den Film mag: letztlich würde fast jeder Kubricks Vorgehensweise bei einem schlechten Roman akzeptieren, bei einem guten dagegen tadeln, und daher hängt die Bewertung dieser Buchadaption vor allem davon ab, ob jemand Kings Roman für ein gutes oder ein schlechtes Buch hält.)
Die Ausführungen eben bezogen sich vor allem auf eher triviale Bücher; ansonsten nehme ich aber schon den Standpunkt ein, daß eine Verfilmung, auch wenn sie Veränderungen im Detail vornimmt, doch die Essenz der Vorlage treffen, besonders dann, wenn es sich um ein sehr gutes Buch handelt oder einfach kulturgeschichtlich bedeutendes Buch handelt. Das heißt eben auch, daß eine Verfilmung vielleicht sogar eine Schwäche der Vorlage übernehmen muß, wenn diese essentiell ist (ich hatte ja in meinem Filmkommentar schon die Horkruxe bei Harry Potter erwähnt). Dies will ich mit einem Beispiel, das jeder kennt, verdeutlichen: man muß meiner Auffassung nach die biblischen Geschichten vom Sündenfall oder von der Sintflut und Noahs Arche nicht unbedingt mögen. Aber wenn ein Regisseur sich entscheidet, die Genesis zu verfilmen, dann müssen sie darin vorkommen, egal, was der Regisseur von ihnen hält - denn andernfalls wäre es eben keine Verfilmung der Genesis mehr.
Daraus läßt sich also als Prinzip ableiten: Veränderungen von Nebensächlichkeiten sind durchaus zulässig und können sogar erforderlich sein, wegen grundlegender Gesetze der Filmkunst, oder auch, weil die besondere Lesart des Regisseurs sie verlangt; Veränderungen essentieller Bestandteile eines Buches sind dagegen zumindest problematisch (und dafür muß ein Regisseur dann sehr gute Gründe haben). Eine Herausforderung für einen Regisseur besteht also auch darin, zu erkennen, was eigentlich die Essenz eines Romans ausmacht. (Und auch hier wird noch einmal deutlich, warum die Verfilmung literarischer Meisterwerke so schwierig ist und so selten gelingt: weil es in einem Meisterwerk eben kaum wirklich "Nebensächliches" gibt!)

Soweit erst einmal meine recht unstrukturierten Gedanken zum Thema Literaturverfilmung.


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Zur Begrüßung


Nachdem ich verschiedenfach gebeten wurde, auch mal ein Filmtagebuch zu erstellen, habe ich mich nun entschlossen, der Bitte nachzukommen und euch von Zeit zu Zeit mit meinen Ansichten zu behelligen. :doc: Dabei werde ich mich zum einen zu gerade gesehen Filmen äußern, meistens wohl eher knapp, gelegentlich vielleicht ausführlicher, aber umfassende Beiträge, wie ich sie in früheren Zeiten an anderer Stelle regelmäßig geschrieben habe, sollte man hier nicht unbedingt erwarten, dafür fehlt es mir ein wenig an Motivation, und außerdem bin ich auch mit anderen Dingen - fernab vom Film - schon beschäftigt.
Mitunter werde ich vielleicht auch ganz allgemein etwas zum Thema Filme von mir geben, das wird hauptsächlich dann passieren, wenn ich gern ein paar Gedanken vorbringen möchte, aber auch nicht glaube, daß das ein ergiebiges Thema für einen Thread im Forum wäre.
Und schließlich werde ich wohl meinem Listenfetisch gelegentlich huldigen. Dabei werden diejenigen, die mich von kino.de schon kennen, wenig Überraschungen erleben, denn meine filmischen Vorlieben und Abneigungen sind ziemlich konstant, aber für die alteingesessenen Mitglieder von filmforen.de, die nicht zu den kino.de-Emigranten gehören, könnte die eine oder andere derartige Liste womöglich interessant sein.

Soviel zur Begrüßung... :)




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