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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0



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THE GREAT PRETENDER (Rhys Thomas/UK 2012)


“I'm just a musical prostitute, my dear.”

The Great Pretender ~ UK 2012
Directed By: Rhys Thomas

"Mein" erster wirklich angehimmelter Star, der das Zeitliche zu segnen hatte und dessen Tod ich rundum bewusst und voller Trauer wahrnahm, war Freddie Mercury. Mit der Musik von Queen war ich seit den frühen Achtzigern aufgewachsen, über ihren Soundtrack zu "Flash Gordon", ihr 84er-Album "The Works", das ich noch als musikalische Begleitung zu einem damaligen Dänemark-Urlaub im Ohr habe, über die Songs in "Highlander", dann die rauf und runter genudelte "The Miracle" (vielleicht die meistgehörte Platte meines Lebens) und dann, zum Abschluss, "Innuendo", dessen Schwanengesangs-Beiklang durch Songs wie "These Are The Days Of Our Lives" und vor allem den Abschlusstitel "The Show Must Go On" unüberhörbar wurde. Nach "Innuendo" ging alles recht flott; Freddie machte, nach jahrelangem Hin und Her nicht nur über seine sexuelle Ausrichtung, sondern eben auch über seinen Gesundheitszustand, im November 91 seine AIDS-Erkrankung öffentlich und starb nur 2 Tage darauf im Alter von 45 Jahren an einer Lungeninfektion. Die Welt hatte keine Zeit mehr, sich über das, was Freddie Mercury war oder hatte, zu ereifern, sie war damit beschäftigt, um Fassung zu ringen.
Nachdem ich an jenem graunassen Herbstmorgen von Freddies Tod in den Nachrichten hörte, musste ich noch mehrfach an diesem Tag weinen. Einer meiner musikalischen "Erzieher" war plötzlich weg, einer, der mit seiner ansteckenden Exaltiertheit und seiner unvergleichlichen Präsenz der Rockmusik Einzigartiges geschenkt hatte.
"The Great Pretender" befasst sich in der Hauptsache mit den letzten sieben Lebensjahren Freddie Mercurys und beginnt mit dem Punkt in seiner Karriere, an dem er erste Solo-Ambitionen zeigte. 1984 war in Giorgio Moroders aufgepoppter "Metropolis"-Fassung sein Stück "Love Kills" zu hören, etwa ein Jahr später folgte das erste von zwei Solo-Alben, das poppiger als die meisten Queen-Sachen ausfiel, aber immer noch eine Menge Verwandtschaft zu deren Sound aufwies. Spektakulärer fiel da schon seine 88er-Kollaboration mit der Opern-Sopranistin Montserrat Caballé, "Barcelona" aus. Neben der Caballé finden sich noch einige andere Weggefährten und Zeitzeugen Freddies interviewt, darunter sein Lebensgefährte Jim Hutton (Queen-Bassist Roger Deacon zeigt sich seltsamerweise nicht vor der Kamera), wobei die eindrucksvollsten Beiträge immer noch die dokumentierten Statements von "Mr. Bad Guy" himself sind.
Aus dem Gros guter Musiker-Dokus sticht Thomas' "The Great Pretender" weder strukturell noch formal hervor; er taugt jedoch fürstlich dazu, sich an diesen wunderbaren Menschen zu erinnern und sich vielleicht mal wieder durch die alten Platten zu hören.

8/10

Rhys Thomas Musik Rock


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ELECTRIC BOOGALOO: THE WILD, UNTOLD STORY OF CANNON FILMS (Mark Hartley/AU, USA, IL, UK 2014)


"These two guys were the greatest salesman of their era!"

Electric Boogaloo: The Wild, Untold Story Of Cannon Films ~ AU/USA/IL/UK 2014
Directed By: Mark Hartley

Nach den bunten Kinoauswüchsen, die Australien und die Philippinen in den siebziger und achtziger Jahren getrieben haben, widmet sich Mark Hartley in seinem jüngsten Projekt der von den beiden israelische Vettern Menahem Golan und Yoram Globus gegründeten Independent Verleih- und Produktionsfirma "Cannon Films", deren Entwicklung sich in synoptischer Form freilich selbst ausnimmt, wie ein Filmmärchen. Ungeachtet der wahrhaft illustren Vielzahl von Interviewpartnern, die Hartley für seine Dokumentation auftreiben konnte, muss ich "Electric Boogaloo" leider attestieren, die Sujetliebe, die beim Autoren noch in seinen beiden "Pazifik-Film-Choniken" zu spüren war, diesmal zu vernachlässigen. Sicherlich hat eine Dokumentation nicht die zwingende Aufgabe, reine fanbase widerzuspiegeln oder sich tendenziös auszunehmen; sie sollte jedoch ebensowenig sardonisches Naserümpfen und Häme transportieren. Für mich und viele andere Menschen meiner Generation als buchstäbliche Kinder der Achtziger hat die Cannon eine Vielzahl der schönsten, mit denkbar warmherzigen Erinnerungen verbundenen Kino- und Video (kurz: Film-)erlebnisse hervorgebracht und wenn der wirtschaftliche Niedergang des Betriebes mit seinen drei spektakulär verkalkulierten Megaflops "Over The Top", "Masters Of The Universe" und "Superman IV: The Quest For Peace" belegt wird, da hämmerte es empört in mir: "Gottverdammt, ich habe damals meine Schuldigkeit und mir alle drei im Kino angeschaut - "Over The Top" sogar gleich zweimal!"
Hartley gefällt sich vor allem darin, Golan und Globus immer wieder altklug der Lächerlichkeit preiszugeben und Zeitgenossen zu interviewen, die mit den beiden rückblickend gnadenlos abrechnen (oder zumindest die Montage entsprechend wirken zu lassen). Vor allem die befragten Damen - Bo Derek, Laurene Landon, Martine Beswick und einige mehr, allesamt sichtlich verwelkt - ereifern sich durchweg, auf das teils Unangenehmste ausgebeutet worden zu sein, doch auch Autoren und Regisseure beklagen die oftmals unprofessionelle Schnellschuss-Atmosphäre hinter den Kulissen. Wahnsinnszeug wie "The Apple", "America 3000" oder "The Forbidden Dance" wird zur Unterstreichung der immer wieder suggerierten These, die Cannon habe ausschließlich shlock fabriziert, herangezogen; die "künstlerische Erweckungsphase", welche immerhin veritable Meisterwerke wie "Love Streams" oder "Barfly" hervorgebracht hat, wird (mit Ausnahme von "Runaway Train") als eine Art unfälliger Wurmfortsatz des zusehends anwachsenden Kontrollverlusts der beiden Herren abgestempelt. Ganz so einfach war's dann wohl doch nicht. Zugegeben: die Anekdote, in der Golan dem knapp gebuchten Film-Orang-Utan Clyde das Exposé von "Going Bananas" erklärt, ist schon sehr witzig. Immerhin lobt der rührend gebrechliche Franco Zeffirelli, der von Golan und Globus seinen "Otello" beschirmen ließ und diesen für sein absolutes Meisterwerk hält, die Vettern über den grünen Klee. Das brauchte "Electric Boogaloo" dann auch dringend!
Am Schluss setzt Hartley dann noch etwas höhnisch und implizit nach, dass Golan und Globus sich selbst nur deshalb nicht selbst geäußert hätten, weil sie seine Idee gestohlen haben und nun selbst dabei seien, mit "The Go-Go Boys" eine Dokumentation über Cannon in die Wege zu leiten. Das erklärt Manches.
Abgesehen allerdings von meiner zugegebenermaßen recht persönlich gefärbten Pikiertheit fand ich das Teil aber nicht übel.

7/10

Mark Hartley Brett Ratner Cannon Menahem Golan Tobe Hooper Albert Pyun Gary Goddard Franco Zeffirelli Pete Walker Just Jaeckin Film Kino Michael Armstrong


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NIGHT WILL FALL (André Singer/UK 2014)


"With freedom came the truth."

Night Will Fall ~ UK 2014
Directed By: André Singer

Als die alliierten Befreier im Frühjahr 1945 in Deutschland einmarschieren, ist ihnen der Begriff "Konzentrationslager" zwar geläufig, was sich in Wahrheit jedoch hinter den Stacheldrahtzäunen von Bergen-Belsen, Buchenwald, Ebensee und Auschwitz verbirgt, das mochte sich zuvor niemand von ihnen vorstellen. Berge von Leichen ausgezehrter, verhungerter, ermordeter Inhaftierter, eilends ausgehobene Massengräber, Vernichtungsmaschinerien von den Verbrennungsöfen über Gaskammern und Zyklon-B-Bestände. Die noch anwesenden Überlebenden sind zunächst als Menschen kaum mehr wahrzunehmen. Mehr tote als lebendige, von Seuchen gezeichnete, lebende Skelette. Mit den Soldaten kommen auch Kamerateams, die das Grauen auf 35mm-Schwarzweiß-Film und später in 16mm-Farbe dokumentieren. Aus den um die KZs herum liegenden Dörfern und Städten werden Würdenträger und Bürger dazu verpflichtet, sich die Überbleibsel der Gräuel anzuschauen, sich mit iohnen zu konfrontieren - mit dem, was vielen von ihnen ohnehin längst bekannt war oder sie zumindest ahnten. Niemand soll später sagen können, er habe von nichts gewusst oder alles sei lediglich der gut geölten Propagandamaschinerie der Siegermächte zuzuschreiben. Die in Auschwitz landenden Rotarmisten bekennen sich später dazu, in der Not ihrer Beweispflichts-Situation vor Ort einzelne Szenarien originalgetreu nachgestellt zu haben: Zwillingspärchen, die Mengeles barbarische Experimente überlebt haben, müssen vor der Kamera vorbeidefilieren. Das von dem Undenkbaren zeugende Bildmaterial, das zunächst in London zu einem "Lehrfilm" für die deutsche Bevölkerung zusammengeschnitten werden soll und an dem kurzzeitig sogar der eilends aus Hollywood eingeschiffte Alfred Hitchcock als technischer Berater arbeitet, wird nicht zur endgültigen, formellen Reife gebracht. Die Amerikaner fertigen daraus später ein sehr viel kürzeres, tendenzielleres Anklagewerk und auch bei den Nürnberger Prozessen finden die Rollen Verwendung. Erst letzthin wurde das Werk "German Concentration Camps Factual Survey" von Mitarbeitern des Britischen Kriegsmuseums in seiner ursprünglich intendierten, integralen Fassung aufbereitet.
"Night Will Fall" dokumentiert die Evolution dieses Films, ist also eine Dokumentation über eine Dokumentation. Was hierin zu sehen ist, wird den Allermeisten zumindest auszugsweise nicht unbekannt sein und kann andere Holocaust-Filme wie die von Ophüls oder Lanzmann bestenfalls ergänzen. Dennoch brennt sich jede authentische, rezitierte Einstellung aus "Night Will Fall" unweigerlich auf die Retina des Zuschauers. Man darf hier nicht wegschauen. Der industrielle Tod, der all diese unschuldigen Menschen ereilte, die wiederum fachgerechte Beseitigung durch ihre vormaligen Peiniger, eine unwürdige, angesichts der Dringlichkeit der Lage jedoch unvermeidbare, entwürdigende Behandlung selbst der Leichen wie lebloses Vieh, das zu immer höheren Lagen aufgeschichtet wird. Tausende und Abertausende von Biographien - einfach ausgelöscht.
Zurück bleibt nur unendliche Betrübnis.
Pflichtprogramm.

10/10

Alfred Hitchcock Billy Wilder Nationalsozialismus Holocaust WWII Film im Film André Singer


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R.E.M. BY MTV (Alex Young/USA 2014)


"We were the first ones with their band name consisting of just three letters."

R.E.M. By MTV ~ USA 2014
Directed By: Alex Young

Ein vom Musiksender MTV initiierter, collagenhafter Abriss der Bandhistorie von R.E.M., die sich 2011, nach 31-jährigem Bestehen und der Veröffentlichung von vierzehn regulären Studioalben, auflöste. Anders als die meisten aktuelleren Musiker-Dokus rekurriert "R.E.M. By MTV" nicht auf aktuelle, retrospektiv geführte Interviews sondern führt einen Zusammenschnitt von Gesprächen mit Mitgliedern und direkt an dem Werdegang der Truppe Beteiligten aus nahezu sämtlichen Phasen ihrer Erfolgsgeschichte zusammen. In Kombination mit den ebenfalls aus unterschiedlichsten Epochen stammenden, chronologisch zunehmend größer werdenden Gigs, durch die Bank Archiv-Material des Senders, ergibt dies das recht kompakte Bild jenes kleinen, alternativ bis bescheiden beginnenden Künstlerkollektivs, deren Geschichte zu Lebzeiten stets eng mit der von MTV verknüpft war.
Dabei hat R.E.M. im direkten Vergleich mit anderen Supergroups eine eher nulllinienhafte Entwicklung zu verzeichen, die eigentlich lediglich zwei kurze Zäsuren aufweist: Den Drei-Viertel-Ausfall der Truppe während der 95er-"Monster"-Tour, in dessen Verlauf nacheinander Bill Berry, Mike Mills und Michael Stipe in mehr oder weniger lebensbedrohlichen Angelegenheiten operiert werden mussten und natürlich die Spekulationen um Stipes sexuelle Ausrichtung, die zwischendurch auch mal hartnäckige Gerüchte um eine AIDS-Infektion beinhalteten und der Stipe nach einigen Jahren zumindest teilweise mit der ihm eigenen, kryptischen Art begegnete, indem er sich nicht as 'gay', sondern 'queer' outete. Ansonsten keine Drogenexzesse, keine Entzugskuren, keine Toten, keine Skandale. Stattdessen freundliche PR-Arbeit, leise Verschrobenheiten vielleicht, später ökologisches, karitatives, politisches Engagement. Überaus prominente soft skills, die sie bei etlichen Musikfreunden mit Underground-Tendenzen geflissentlich langweilig bis unmöglich machten.
In meiner eigenen Vita bilde(te)n R.E.M. eine recht stolze Konstante, die sich zudem als eine der längsten omnipräsenten behaupten konnte. Ihr Anwachsen zur immer erfolgreicher werdenden Superstar- und Stadion-Band hat mich dabei ebensowenig interessiert wie ihr nerdig gefärbtes, verschrobenes College-Boy-Image, das eine feste subkulturelle Zuordnung dereinst eigentlich unmöglich machte. Mein Lieblingsalbum von R.E.M. ist nach wie vor das allererste, "Murmur", eine der wichtigsten Platten meines Lebens, dicht gefolgt allerdings von gleich sechs bis sieben weiteren Longplayern, die entscheidende und/oder prägende Phasen meines Lebens musikalisch untermalten und etlichen Songs, darunter Covers und B-Sides, die nie auf einer regulären Studio-Scheibe erschienen sind. Zugegeben, beginnend mit dem 98er "Up" wurden R.E.M. eher zur biographischen Begleiterscheinung für mich, die ebenso ver- wie unerlässlich war, sich jedoch "wichtigeren" musikalischen Dingen zu fügen hatte. Ihre vorherige Bedeutung ist jedoch mit Gold nicht aufzuwiegen. Insofern gilt meine Bewertung der vorliegenden Doku auch eher dem persönlichen Band-Status denn ihr selbst.

8/10

Alex Young Musik


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THE STONE ROSES: MADE OF STONE (Shane Meadows/UK 2013)


"For a true fanboy like myself, this reunion is nothing less than a dream coming true."

The Stone Roses: Made Of Stone ~ UK 2013
Directed By: Shane Meadows

Nachdem die der Madchester-Kernszene zugehörigen Stone Roses nach ihrem ikonischen Debüt-Album von 1989 und dem legendären Spike-Island-Gig im Mai 90 kein ebenbürtiges Werk folgen zu lassen vermochten (der 94er-Nachfolger "Second Coming" versandete vergleichsweise sang- und klanglos und gilt bis heute als eher bedeutungslos), löste sich die einstmals sehr großmäulige Band um Frontman Ian Brown auf, wurde jedoch bald von ihrer imposanten Fangemeinde schmerzlich vermisst. 2011 kündigte man dann die langersehnte Wiedervereinigung an, was für viele treue Anhänger früherer Tage wie etwa den Regisseur Shane Meadows gleichfalls einer rückgewandten Zeitreise in glückliche(re) Jugendjahre entsprach. Ein semi-offizielles Eröffnungskonzert in der Warringtoner Parr Hall, für das die etwa 1000 Karten ausschließlich vor Ort erhältlich waren, fand sich in Windeseile ausverkauft; ein einen Monat späterer Auftritt im Heaton Park, Manchester läutete dann eindgültig das triumphale Comeback der Truppe ein.
"Made Of Stone", benannt nach der wunderbaren vierten Single der Roses, gibt sich weder als herkömmliche Band-, noch als Konzert-Doku, sondern eher als Porträt eines beinharten Fans, der zufällig subkulturerfahrener Filmemacher ist und der das "third coming" seiner Helden inszenieren darf. Aktuelles Material mischt sich mit Archivaufnahmen der damaligen Erfolgsstory, was eine metachronologische Collage ergibt. Vielfach bezeichnete man "Made Of Stone" in der britischen Presse als "Liebesbrief Shane Meadows' an die Roses" und irgendwie ist da verdammt viel dran. Sein Film ist betont unkritische Heldenverehrung, die die trüberen Kapitel der Band-Historie kurzerhand ausspart, sich jedoch auch erst gar nicht den Anstrich eines objektiv gehaltenen, biographischen Abrisses zu geben versucht. Vielmehr handelt es sich um einen der persönlichsten, emotionalsten Musikfilme die ich kenne. Und um einen der besten, ganz nebenbei erwähnt.

9/10

Shane Meadows Madchester Manchester Musik Rock Hacienda


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NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN (Martin Scorsese/USA 2005)


"Play it fuckin' loud."

No Direction Home: Bob Dylan ~ USA 2005
Directed By: Martin Scorsese

Als Beitrag zur umfassenden Biographien-Reihe "American Masters" entstanden, macht sich "No Direction Home" auch in Scorseses höchsteigener Filmographie hervorragend. Immer wieder hat der große Regisseur im Laufe seines Schaffens seinen musikalischen Zeitgenossen filmische Konzert- oder Persönlichkeitsporträts gewidmet, angefangen bei The Band, die ja vormals selbst künstlerische Kollaborateure Dylans waren, über Roots-Bluesmusiker bis hin zu Dylan, George Harrison und natürlich den Stones. Die Resultate sind durch die Bank von höchstem stilistischen wie informativem Rang und regelmäßig sehenswert. Im Falle "No Direction Home", den ich just mit einiger Verspätung zum ersten Mal geschaut habe, setzt sich diese Tradition fort. Der Mensch Bob Dylan bleibt auch nach dem umfassenden Stück ein Faszinosum und auch ein Rätsel; dankenswerterweise fokussiert der Film denn auch nicht seinen kompletten Werdegang, sondern jene turbulente Phase zwischen seinem Umzug von Minnesota nach New York City 1960 und der nach dem Album "Blonde On Blonde" begangenen Europa-Tournee, bei der ihn ein englischer Konzertgänger als "Judas" beschimpfte - man fand es in der Alten Welt vielfach unangemessen, dass Dylans künstlerische Entwicklung sich weg vom zwangspolitisierten Folk-Solisten hin zur Stromgitarre und zum Band-Sound vollzog und empfand ihn somit als "Verräter" an einer Sache, der sich der Musiker tatsächlich niemals gänzlich zugehörig fühlte. Tatsächlich beklagt seine zwischenzeitliche Lebensgefährtin Joan Baez sogar retrospektiv noch Dylans stoische Weigerung, sich wie viele seiner Kollegen eindeutiger Statements zu befleißigen und sich selbst je Eindeutigkeit zuzuschreiben. All das, so Baez, sei ein Mythos. Was im Nachhinein konsequenter Progression entspricht, war seinerzeit ein echtes Poltikum: Dylan plugs in. Erst wenn man sieht, wie grandios und energetisch er mit der Band jenes "legendäre", wütende Konzert in Manchester spielt und seine naseweisen, jugendlichen Fans mit nackter heavyness konfrontiert, begreift man halbwegs, was den Mann umtrieb. Und -treibt, natürlich.

9/10

Martin Scorsese Bob Dylan Allen Ginsberg Beat Generation Musik Folk Biopic


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NEVER SLEEP AGAIN: THE ELM STREET LEGACY (Daniel Farrands, Andrew Kasch/USA 2010)


"The idea of a thousand maniacs raping a nun, that's always good stuff."

Never Sleep Again: The Elm Street Legacy ~ USA 2010
Directed By: Daniel Farrands/Andrew Kasch

Erschöpfende Vier-Stunden-Dokumentation über das komplette "A Nightmare On Elm Street"-Franchise inklusive aller sieben Filme, der TV-Serie und "Freddy Vs. Jason". Das Remake war zum Entstehungszeitpunkt leider noch zu aktuell und daher wohl auch nicht für eine wahrhaft kritische Revision geeignet, im Gegensatz zum Rest der Reihe, der von jenen Beteiligten, die zu einem Interview bereit waren oder Zeit hatten, mitunter durchaus augenzwinkernd und ehrlich aufgearbeitet wird. Erwartungsgemäß muss man auf Statements von Johnny Depp und Patricia Arquette verzichten; dafür gibt es erfreulich witzige und frische Anekdoten von reizenden Gegenübern Clu Gulager, dem noch immer sagenhaft frischen John Saxon oder Alice Cooper zu hören. Der Status des ersten Films als initialisierender 'New-Line'-Retter, dessen Ernte Späteres wie die "Lord Of The Rings"-Trilogie in ihrer gegebenen Form erst ermöglichte, wird diskutiert, der ja wirklich unübersehbar homoerotische Paratext von "A Nightmare On Elm Street Part 2: Freddy's Revenge" den der damalige, tatsächlich schwule Hauptdarsteller Mark Patton als Coming-Out-Fanal zu nutzen wusste, der offene Liebhaber-Status von Chuck Russells eigensinnigem dritten Film schließlich, den viele Fans, darunter ich selbst, trotz überaus schwieriger Produktionsbedingungen als den schönsten der Serie schätzen. Die TV-Irrungen sowie die sukzessive nachlassende Qualität mit den Folgeteilen werden ebenso erötert wie der intermediale Impact eines Kinderschänders, Serienmörders und Traummonsters auf die Kinder- Jugend- und Alltagskultur in den Staaten.
Insgesamt eine mehr als engagiert gefertigte, repräsentative und selbst für Aficionados sehr interessante Filmdokumentation, an der man nichts misst, die trotz ihrer ausufernden Länge keine Sekunde langweilt und mit ihrer Abspann-Hommage, in der jeder der interviewten Darsteller nochmal einen Original-Oneliner repetiert, einen richtig herrlichen Ausklang findet.

9/10

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MACHETE MAIDENS UNLEASHED! (Mark Hartley/AU 2010)


"Always just think of the best movie possible."

Machete Maidens Unleashed ~ AU 2010
Directed By: Mark Hartley

Nachdem ich seine Ozploitation-Doku "Not Quite Hollywood" bis heute unverzeihlicherweise versäumt habe, anzuschauen (ein baldiges Nachholen habe ich mir auferlegt) und nun bereits seine dritte Genrefilm-Liebeserklärung, der Cannon-Nachklapp "Electric Boogaloo" aus den Startlöchern kommt, konnte ich mir justament mit "Machete Maidens Unleashed!" zumindest ein kleines Bild von Mark Hartleys Arbeit verschaffen. Darin seziert der Australier eine weitere, cineastische Parallelwelt, die sich ebenfalls im Südpazifik anfindet: Die der Philippinen nämlich, oder besser gesagt, im Ausschnitt jene spezielle Phase, in der Roger Corman und andere B-Film-Produzenten auf die Inselgruppe als ebenso exotischen wie kostensparenden Drehort aufmerksam wurden und dort wirkten. Beginnend mit dem WIP-Klassiker "The Big Doll House", den Corman von Jack Hill vor Ort inszenieren ließ, begann ein rund zehn Jahre anhaltende Phase überseeischer Kooperation, stets flankiert von einem Schönwetter machenden Ehepaar Marcos, das in Zügen "kultureller Förderungsgroßzügigkeit" nur allzu gern Militärressourcen wie Hubschrauber oder Soldaten zur Verfügung stellte und was im Nachhinein bei einigen der damals aktiven Filmschaffenden, die die diktatorischen Weihen nicht minder bereitwillig entgennahmen, zu Gewissensbissen führt. Mit Corman, Eddie Romero, Cirio H. Santiago, Jack Hill, Steve Carver, Joe Dante, Sid Haig oder Gloria Hendry wurden etliche der damaligen Kreativoberen interviewt und lassen einen mitunter ebenso humor- wie liebevollen Rückblick auf diese ihre Schaffensära schweifen.
Eine entzaubernde, überaus kritische Gegenstimme gibt es auch, die von John Landis nämlich, der ein ziemlich klares Vokabular gegen Corman und seine nur allzu gern verklärte "Talentschmiede" ins Feld führt. Corman habe zwar vielen jungen Filmemachern und Darstellern ihre Anfänge ermöglicht, sie jedoch ebensogut ausgenutzt, um die späteren Gewinne selbst einstreichen zu können. Und es solle bloß keiner der Beteiligten rückblickend behaupten, etwas anderes inszeniert oder gar intendiert zu haben als eben lupenreine Exploitation. Ein wenig harsch und eifersüchtig kommt Landis da herüber, auf der anderen Seite nimmt sich ein ernstzunehmender Opponent innerhalb einer ja eindeutig als Liebeserklärung formulierten Dokumentation auch gewissermaßen wohltuend aus.
Im Mittelpunkt jedoch stehen etliche Ausschnitte vieler bunter, chaotischer Filme, die ja fast allesamt längst in den globalen, so genannten "cult movie / must see" - Kanon Einzug hielten und unter denen Unfassliches wie "TNT Jackson", "The Muthers", "Vampire Hookers", "Bionic Boy" oder "For Y'ur Height Only" sich längst als verpflichtend erwiesen.

8/10

Philippinen Exploitation Roger Corman Cirio H. Santiago Eddie Romero John Landis Joe Dante Allan Arkush Film Kino Mark Hartley


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MODELS (Ulrich Seidl/AT 1999)


"Du, des issa voll leiwand."

Models ~ AT 1999
Directed By: Ulrich Seidl

Vivian Bartsch ist Foto-Model in Wien und wünscht sich nichts sehnlicher, als die Karriereleiter emporzusteigen, ebenso wie ihre Freundinnen und Kolleginnen. Der Druck, der sich auf sie in Form ihres unbedingt makellosen Äußeren, ihrer einzigen Kapitalanlage also, niederschlägt, macht sich bemerkbar. Sie zieht durchs Wiener Nachtleben, sucht nach Zuwendung durch Promiskuität, säuft, kokst und ist auf dem Weg, ernstlich bulimisch zu werden.

Sehr viel mehr noch als beim letzten von mir geschauten Seidl-Film "Tierische Liebe" hatte ich große Schwierigkeiten damit, den dokumentarischen Charakter von "Models" zu akzeptieren. Ich meine, hier und da dann doch Inszenierung oder zumindest forcierte Situationen ausgemacht zu haben und habe im späteren verlauf des Films sogar gezielt danach gesucht. Gern würde ich einmal Statements der Beteiligten dazu hören oder lesen.
Selbstverständlich bezieht "Models" wiederum seinen spezifischen Sog, seine attraktive Hässlichkeit aus jener Gratwanderung, die eine, wiederum an sich in Frage zu stellende, Unterscheidung zwischen Direct Cinema und improvisiertem, szenischem Film so schwierig macht. Was die Funktion des Films als Milieustudie anbelangt, so erreicht er mich kaum. In die selbsterschaffenen Elendssphären, in denen Models und ihre Ablichter verkehren, mag ich mich aus grundsätzlich mangelndem Interesse daran kaum verirren; selbst als Spiegel nicht; auch meine Empathie reicht kaum dorthin. Interessanter war es, nach dem von Seidl gezielt evozierten Voyeurismus des Zuschauers bei mir selbst zu suchen, der einen natürlich dazu motiviert, sich "Models" überhaupt in Gänze anzusehen. Jene wechselseitige Wirksamkeit scheint es mir zu sein, die Seidls Kino so unikal und sehenswert macht.

8/10

Ulrich Seidl Wien Models Fotografie Drogen Kokain Nacht





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