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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0



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DER KNOCHENMANN (Wolfgang Murnberger/AUT 2009)


"Des is moi Privatsach'. Gehen's jetzt."

Der Knochenmann ~ AUT 2009
Directed By: Wolfgang Murnberger

Brenner (Josef Hader), durch Bertis (Simon Schwarz) Hilfe nunmehr tätig als Inkasso-Beauftragter für eine Auto-Leasing-Firma, soll in der Provinz einen gewissen Alexander Horvath ausfindig machen, der die letzten Raten für seinen Beetle nicht bezahlt hat. Im Wirtshaus "Löschenhof", das von dem freundlichen, aber bärbeißigen Wirt Löschenkohl (Josef Bierbichler) betrieben wird, endet die Spur betreffs Horvath zwar abrupt, dafür ergeben sich jedoch neue Fährten. Löschenkohls Sohn Pauli (Christoph Luser), der seinem Vater eifersüchtig das Gasthaus streitig macht, will unbedingt herausfinden, wohin immer wieder große Beträge vom Hauskonto verschwinden. Brenner verkuckt sich derweil in Paulis Frau Birgit (Birgit Minichmayr) und soll dem alten Löschenkohl urplötzlich helfen, die Zwangsprostituierte Valeria (Dorka Gryllus) über die slowakische Grenze nach Österreich zu schaffen. Den Alten umwittern derweil noch sehr viel dunklere Geheimnisse...

Mit "Der Knochenmann", dem dritten Teil der just zur Tetralogie angewachsenen Kino-Reihe um den Privatschnüffler Brenner, erreicht die Reihe ihren bisherigen Höhepunkt. Wo bereits "Silentium!" einen recht heftigen Kurswechsel aufzeigte, indem er sich in Auslegung und Gestus deutlich derber gestaltete als der Erstling "Komm, süßer Tod", wirkt "Der Knochenmann" nochmal eine Spur bitterböser. Hier nämlich ist es, wie der abermals phantastische Off-Kommentator bereits vorab versichert, die Liebe, in all ihren manchmal unfairen, furchtbaren Ausprägungen, die jener tiefschwarzen Geschichte Zucker gibt. Alle lieben sie oder haben Sehnsucht; der Brenner, der alte Löschenkohl, sein Sohn, dessen Frau, die arme Valeria (bezaubernd tragisch: Dorka Gryllus), der Alexander Horvath und sogar der Berti, der es irgendwie gar nicht fassen kann. Doch es gibt nichts umsonst im verschneiten, österreichischen Grenzgebiet: Um seine Angebete aus dem slowakischen Puff herausholen zu können, wird Löschenkohl Senior (Bierbichler erinnerte mich, wie überhaupt die gesamte Koloratur des Films, ein bisschen an seine Rolle in und gemeinhin an Tykwers eisigen "Winterschläfer") zum unaufhaltsamen, hackebeilschwingenden Serienmörder, den eine Leiche mehr oder weniger kaum schert, nicht allein, weil er die Grenze einmal überschritten hat, sondern fürderhin aufgrund seiner formidablen "Entsorgungsmöglichkeiten" (welche er, mahnt ahnt es, wohl noch weiter perfektionieren würde, käme ihm der Brenner nicht irgendwann drauf).
Bierbichler präsentiert sich hier als entfernter, österreichischer Verwandter der texanischen Sawyers, der nicht nur seine Knochenmühle auf Dauerbetrieb hält, sondern dem Brenner zwischendurch auch mal ein zartes Zuhälter-Gulasch serviert, das dieser genüssich vertilgt. Komm, böser Tod!

10/10

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PRAXIS DR. HASENBEIN (Helge Schneider/D 1997)


"Achtung, achtung. Eine wichtige Durchsage: Seit drei Sekunden ist Kriech. Un getz weiter mit Musik."

Praxis Dr. Hasenbein ~ D 1997
Directed By: Helge Schneider

Dr. Angelika Hasenbein (Helge Schneider) ist alleinerziehender Vater seines rückwärts alternden Sohnes Peterchen (Peter Berling) und in seiner Straße eine medizinische Institution. Ansonsten passiert nicht viel, mit Ausnahme einer glamourösen Kinopremiere ["Ruck Ruck, der Taubenmensch" des großen Filmemachers Tortellini (Buddy Casino) wird uraufgeführt] sowie der Geburtstag der Waisenhauspatriarchin Tante Uschi (Andreas Kunze), die allerdings überschattet wird von einem unglückseligen Unfall: Hermi, der Hamster der Waisenhaus-Kinder, fällt einem furchtbaren Missverständnis zum Opfer. Am Ende muss Dr. Hasenbein in den Krieg und kehrt erst nach dreißig Jahren in seine Heimat zurück. Dort hat sich alles ein bisschen viel verändert und der Doktor zieht in das vom Waisenhaus zum Altersheim umgemodelte Nachbarhaus, wo er Jazz spielt.

Helge Schneiders poetischster Film ist eine Liebeserklärung an alte Zeiten, als die Welt noch unschuldig und die EC-Automaten noch lebendig waren. Nach "00 Schneider - Jagd auf Nihil Baxter" mindert Helge sich doch um Einiges an Brachialkomik und lässt nun eher leise, intime Zwischenmenschlichkeit aufkommen. Wie eh und je sind die Nebenfiguren, von denen die meisten natürlich altbekannt sind, von eminentester Bedeutung für das Gesamtbild. Doch auch frische Charaktere wie der Schneider Voss (Norbert Losch), der Tabakverkäufer (Horst Mendroch) von nebenan oder der Waisenjunge Carlos (Carlos Boes) entwickeln sich rasch zu wohlgelittenen Bekannten des Zuschauers. Charlie Weiss und Helmut Körschgen sind infolge nachlassender Gesundheitszustände leider nicht mehr dabei, dafür hat Peter Berling seinen größten Schneider-Auftritt und Andreas Kunze erweist sich neuerlich als unverzichtbar. Ansonsten bleibt "Dr. Hasenbein" mit seinem open-air-theateresken Schauplatz, der sich nur selten in die Interieurs (als da wären des Doktors Haus und Praxis, Kneipe, Kino und Waisenhaus) verschwenkt, be- und überschaulich bzw. -bar und enthält sich geradezu sklavisch jedweder Bedeutung von erzählter- und Erzählzeit.
Meine schönste und bleibendste Erinnerung an den Film steht im Zusammenhang mit dem damaligen Kinobesuch im Weseler Comet, in dem man zu der Zeit noch rauchen durfte. Etwa ein Drittel der rund zwanzig Besucher, vornehmlich die anwesenden Pärchen, verließ nach nur wenigen Minuten in Kurzabständen gesittet und nur leise raunend den Saal, derweil mein Kumpel Sascha und ich, besoffen und uns konstant bepissend, vom Sessel rollten. Da wusste ich mal wieder: Der Helge, der ist schon was ganz Besonderes.

9/10

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PELLE EROBREREN (Bille August/DK, S 1987)


Zitat entfällt.

Pelle Erobreren (Pelle, der Eroberer) ~ DK/S 1987
Directed By: Bille August

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Nach dem Tod seiner Frau emigriert der alternde schwedische Landarbeiter Lasse Karlsson (Max von Sydow) mit seinem achtjährigen Sohn Pelle (Pelle Hvengaard) ins verheißungsvolle Dänemark. Dort verspricht sich der bildungsferne Alte sein kleines Glück: ein geregeltes Auskommen, eine neue Ehefrau und eine Zukunft für den geliebten Jungen. Auf Bornholm finden die beiden eine Anstellung auf dem Steinhof des Grundbesitzers Kongstrup (Axel Stroybø). Der überlässt die Schindereien und Kleinmachereien seiner Knechtschaft dem garstigen Verwalter (Erik Paaske). In den folgenden zweieinhalb Jahren lernt Pelle viel über das Gefälle zwischen den Ständen, über Bigotterie, Aubeutertum und die Verlogenheit der Oberklasse. Schließlich macht er den Traum des kämpferischen Vorarbeiters Erik (Bjørn Granath) wahr und macht sich auf nach Amerika.

In seinem pompösen Sittengemälde konzentriert sich Bille August auf die frühen Lehrjahre des Protagonisten Pelle Karlsson, der in Martin Andersen Nexøs deutlich weitläufigerem Romanzyklus, in dem Pelle als junger Mann weiter nach Kopenhagen zieht und dort im Laufe der Jahre zu einem Helden der unterdrückten Arbeiterklasse wird. Das Filmende kommt indes deutlich märchenhafter daher, wenngleich im Rahmen der Transponierung nicht unpassender: Pelle schafft es, sich dem sackgassenhaften Knechtschicksal, das sein zunehmend entkräfteter Vater längst für sich akzeptiert hat, zu entfliehen und nach neuen Ufern zu suchen. Ob er diese nun mittelfristig im lobgepriesenen Amerika oder im deutlich näher gelegenen Sjælland finden mag, ist für das Ende des Films zunächst unerheblich; wichtig ist der Emanzipationsgedanke. Pelle erreicht dieses frühe Ziel durch Bildung, die sich sowohl durch althergebrachte schulische und katechistische wie auch eine gehöroge Portion Autodidaktik vollzieht. Pelle lernt, die Menschen zu beobachten und einzuschätzen; wie sie bereit sind, sich für einen Hungerlohn und einen Hering zu verkaufen und demütigen zu lassen und dass es nur wenige gibt, die die innere Kraft zum Aufbegehren gegen den althergebrachten Status aufbringen. Über allem schwebt stets der bedrohliche Geist der "Obrigkeit", die Pelle in Form eilends herbeigerufener Uniformierter nebst geschlossener Droschke wahrnimmt, die jene abholen, die sich in irgendeiner Form schuldig gemacht haben. Wie die unglückliche Magd Anna (Kristina Törnqvist), die ein uneheliches Kind zur Welt gebracht und getötet hat. Andere kommen glimpflicher davon, so Frau Kongstrup (Astrid Villaume), die ihren Gatten, nachdem dieser die minderjährige Nichte Sine (Sofie Gråbøl) geschwängert hat, kurzerhand kastriert. So etwas fällt dann unter großfamiliären "Unfällen". Pelles eigentliches Vorbild, der zum revolutionären Gestus neigende Erik, fällt eines Tages, bevor er sich zur längst fälligen Aktion aufraffen kann, einem beklagenswerten Unfall zum Opfer: Ein Steinklotz raubt ihm Hirn, Verstand und Rebellionswillen. Erik wird zur geistlosen, lobotomierten Hülle. Doch Pelle vergisst dessen Versprechen, dereinst mit ihm die Welt zu bereisen, nicht und macht sich schlussendlich allein auf den Weg.
Weltgeschichte durch die unbefleckten Augen eines Kindes - oder Simplicissimus - zu betrachten, liefert häufig eine segensreiche Erzählperspektive in Literatur und Film. "Pelle Erobreren" macht da keine Ausnahme. Ein Film, für den man sich ob seiner doch recht intensiven Emotionalität (auf deren Klaviatur August ja stets vortrefflich zu spielen versteht) mit gutem Mut wappnen mag, der jedoch sein Publikum geradezu fürstlich entlohnt.

9/10

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TEXASVILLE (Peter Bogdanovich/USA 1990)


"Hellzapoppin'!"

Texasville ~ USA 1990
Directed By: Peter Bogdanovich

1984 feiert Texasville County sein hundertjähriges Bestehen. Die Einwohner des Städtchens Anarene leben fast alle noch (oder wieder) vor Ort: Duane Jackson (Jeff Bridges) ist mittlerweile im Ölgeschäft reich geworden, first citizen des Städtchens und steht permanent kurz vor der Pleite. Er ist verheiratet mit der resoluten Alkoholikerin Karla (Annie Potts), hat vier Kinder und zwei Enkelkinder. Sein alter Freund Sonny Crawford (Timothy Bottoms), mittlerweile Bürgermeister von Anarene, hat niemals geheiratet und ist noch ganz der alte Melancholiker, der infolge seiner persönlichen full life crisis langsam wunderlich wird. Als auch die das Trio komplettierende Jacy Farrow (Cybill Shepherd) nach einigen privaten Schicksalsschlägen nach Anarene zurückkehrt und zu Karlas bester Freundin avanciert, glaubt auch Duane den Verstand zu verlieren.

Mit "Texasville" hat der mittlerweile seit Jahren in kreativer und rezeptiver Ödnis dahinvegetierende Peter Bogdanovich nicht etwa den Fehler begangen, formelhaft an sein Meisterwerk "The Last Picture Show", dessen spätes Sequel er hiermit vorlegte, anknüpfen zu wollen. Die dem Original innewohnende Tragik und existenzielle Schwere weicht hier der Leichtigkeit gesetzter Lebenserfahrung, zugunsten einer glänzenden Satire, die den Klassiker auf die vermutlich denkbar versöhnlichste Weise aufrundet. Die Perspektive wechselt komplett von Sonny Crawford zu seinem Kumpel Duane Jackson, der eben nicht das karge Lamento einer aussterbenden Zeit repräsentiert, sondern die Mittachtziger mit all ihren kleinen und großen Verrücktheiten. Im Country-Radio läuft jetzt vornehmlich Willie Nelson und nur einen Sender weiter bekommt man Madonna und Springsteen um die Ohren gehauen. Duane hat eine feudale Villa mit diversen Gästezimmern, in der jeder Einwohner von Anarene ein- und ausgeht. Die allseitig praktizierte Promiskuität ist längst kein wohlbehütetes Geheimnis mehr, sondern fester Altagsbestandteil geworden, was recht unübersichtliche Blüte in Form beinahe inzestuöser Lendenfrüchte treibt. Auch Duanes Sohn Dickie (William McNamara) mischt munter in dem bunten Treiben mit. Es wird allerorten gesoffen, dass die Schwarte kracht und wozu die anstehende Hundertjahrsfeier nochmal zusätzlich Anlass gibt. Einzig Sonny erweist sich als anachronistische Konstante: Er spielt die Spiele seiner Mitbürger nicht mit und hält sich am liebsten dort auf, wo sein wahres Zuhause liegt: In der Vergangenheit. Dies führt seinerseits zu merkwürdigen Aktionen, die das seltsame Mutter-Sohn-Verhältnis mit seiner alten Liebe Ruth Popper (Cloris Leachman) neu auffrischen. Die im Geschriebenen (auch die Vorlage zu "Texasville" stammt von Larry McMurtry) vergangene Zeit von 33 Jahren kann mit dem Anstand der beiden Filme (19 Jahre) nicht ganz Schritt halten, was jedoch in keinster Weise stört. wenngleich sich "Texasville" weitaus zynischer, witziger und künstlerisch zugänglicher gestaltet, wohnt ihm doch noch die alte Seele inne, verbindet ihn mit "The Last Picture Show" noch immer der vervollkommnete Anspruch eines runden Personen-Kaleidoskops. Viele Freunde des Originals hatten und haben mit "Texasville" ihre liebe Not, ich mag ihn, schon aufgrund seines unwiderstehlichen Humors, fast so sehr wie die große, alte Schwester.

9/10

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LAST KIND WORDS (Kevin Barker/USA 2012)


"We walk on the same paths."

Last Kind Words ~ USA 2012
Directed By: Kevin Barker

Der Teenager Eli (Spencer Daniels) zieht mit seinen Eltern auf ein Farmgelände in Kentucky, wo der Gutsbesitzer Waylon (Brad Dourif) seinem alten Jugendfreund Bud (Clay Wilcox), Elis Vater, etwas Arbeit offeriert, um über die Runden zu kommen. Im Wald jenseits des abgezäunten Grundstücks begegnet Eli der schönen, mysteriösen Amanda (Alexia Fast), in die er sich verliebt. Das sie umgebende Geheimnis kann der junge Mann bald lüften: Amanda ist ein Geist, in Wahrheit schon vor vielen Jahren erhängt an einem Baum im Wald. Sie war Waylons Schwester und auch die Jugendliebe von Elis Vater, der sie nie vergessen hat. Es gelingt Eli nach einigen schrecklichen Ereignissen, Amanda von ihrem Halbdasein als Zwischenwesen zu erlösen, doch der alte Fluch verlangt Nachschub...

Als Repräsentant dessen, was man etwas postmodernistisch gemeinhin als 'Southern Gothic' bezeichnen könnte, ist "Last Kind Words" vor allem dies: Erlesenst photographiert und von höchstem ästhetischen Reiz. Die kräftigen, sonnenlichdurchfluteten und verführerisch vitalen Farben, mit denen dp Bill Otto das Lokalkolorit einfängt, sprechen eine höchstselbst codierte Sprache, die den gesamten Rest des Films nebst seiner zerbröckelnden Ratio ganz bewusst überlagert. Die Ereignisse in dem - gemessen an der aktuell vorherrschenden Filmsprache - beinahe provozierend langsamem Film verschwimmen in teilweiser Redundanz, vielmehr zählt, nach einem sich erst spät besinnenden Prolog die höchst subjektiv gelagerte Perspektivierung. Eine dunkelromantische Coming-of-Age-Story entwickelt sich für den orientierungslosen Eli, der für die Liebe zur geisterhaften, sphärischen Amanda das Interesse an der ohnehin lähmenden Welt der Lebenden verliert: Was können die Erinnerung an einen alkoholisierten Vater, eine unglückliche Mutter, Geldnot und Schulden - die Erinnerungen an eine solch kaum erquickliche realis - auch für Reize bereit halten? Selbst seine höchst vitale Freundin Katie (Sarah Steele), die den "Absprung" schafft, vermag Eli nicht von seiner Faszination fürs Jenseitige zu heilen. Schließlich ist die Todessehnsucht allzu übermächtig. Die Verdammnis verschafft sich für ein paar Jahrzehnte ihren nächsten treuen Adlatus.

8/10

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THE LAST PICTURE SHOW (Peter Bogdanovich/USA 1971)


"Nothin's really been right since Sam the Lion died."

The Last Picture Show (Die letzte Vorstellung) ~ USA 1971
Directed By: Peter Bogdanovich

Texas, 1951: Das kleine Kaff Anarene ist ein Ort, an dem Langeweile kultiviert wird. Jeder kennt hier jeden, viele hatten mal was miteinander und wenn nicht, dann kommt wahrscheinlich noch was nach. Im Radio läuft unentwegt Hank Williams und die Football-Saison der lokalen Highschool läuft mies, weil die Jungs vor allem Bourbon, Billard und billigen Sex im Kopf haben. Am Samstag geht's ins Kino, das zumeist die nicht mehr ganz aktuellen Filme zeigt: "Father Of The Bride", "Sands Of Iwo Jima", "Winchester 73". Sam, der Löwe (Ben Johnson), ein Cowboy alten Schlags, betreibt die drei Hauptinstanzen des Orts: Die Spielhalle, das Diner und besagtes Kino, das 'Royal'. Als der stille Sonny (Timothy Bottoms) und sein lauter Kumpel Duane (Jeff Bridges) für ein verlängertes Wochenende runter nach Mexiko fahren und zurückkommen, ist das endgültige Schicksal Anarenes besiegelt: Sam ist während des Wochenendes gestorben. Mit ihm weicht auch die Seele aus der Kleinstadt, die jetzt noch mehr zu einem Hort der Einsamkeit und Traurigkeit wird. Das Royal zeigt seine letzte Vorstellung, Hawks' "Red River".

Nach Larry McMurtrys autobiographischem Roman entstand mit "The Last Picture Show" eines der vordringlichen Meisterwerke New Hollywoods, das aufzeigt, welche Möglichkeiten die damalige Ära für junge Filmemacher bereithielt. Aus heutiger Sicht scheint es nachgerade unglaublich, dass dieser melancholische Abgesang auf Männlichkeitsbilder, Naivität, Jugend und gewissermaßen auch die Unschuld des Kinos in schwarzweiß gefilmt und von Peter Bogdanovich unter vergleichsweise kleinen Auflagen selbst geschnitten werden durfte, und das unter der Ägide eines der großen Studios (Columbia). Im Zentrum des Geschehens steht, als alter ego des Autors, der weichherzige, unsichere Sonny Crawford, der mit seiner offenkundigen Sensibilität und Weichheit nicht recht in das staubige Westtexas passen mag. Er macht sich mehr Gedanken über die Dinge als sein bester Freund Duane Jackson, der mit seiner Vorliebe für Autos, die junge Stadtschönheit Jacy Farrow (Cybill Shepherd) und diverse Flausen so viel mehr dem tradierten amerikanischen Teenagerklischee entspricht. Sonny hat ein offenes Ohr für die Geschichten des das alte Texas reräsentierenden Sam, den er wie einen Ersatzvater verehrt sowie den geistig behinderten Jungen Billy. Natürlich geht er auch er mit Jacy, als sie ihm in Duanes Abwesenheit verzweifelte Avancen macht, aber sein tieferes Mitgefühl gehört der depressiven, doppelt so alten Trainer-Gattin Ruth Popper (Cloris Leachman), mit der ihn darüber hinaus eine eidesitig funktionale Liebelei verbindet.
Vielleicht ist "The Last Picture Show" so vereinnahmend, weil er, anders als die Regiearbeiten Bob Rafelsons etwa, auf größere Distanzen zu seinem Figurenreservoir verzichtet, im Gegenteil stets ganz nah dran bleibt an ihm und mehr Mut zur Herzlichkeit (wie auch zum verschrobenen Humor) besitzt als die häufig bierernsten, distanzierten Arbeiten mancher Gesinnungsenossen. Das mag aber auch bloß ein subjektiver Erklärungsansatz sein, warum ich Bogdanovichs Film so sehr ins Herz geschlossen habe, mit jeder Einstellung und allem was ihm zukommt.

10*/10

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DAS FINSTERE TAL (Andreas Prochaska/AT, D 2014)


"Gimme the gun!" - "Woas?"

Das finstere Tal ~ AT/D 2014
Directed By: Andreas Prochaska

Südtirol, irgendwann im 19. Jahrhundert: Ein aus Amerika kommender Fremder namens Greider (Sam Riley) mietet sich in einem einsamen Taldorf für den Winter als Logiergast bei einer Bäuerin (Carmen Gratl) und ihrer Tochter (Paula Beer) ein.
Wie sich herausstellt, wird das Dorf noch althergebracht-feudalistisch regiert: Über allem ragt bedrohlich der Schatten des wohlhabenden Holzbauern Brenner (Hans-Michael Rehberg) und seiner sechs Söhne, die hier tun und lassen, was ihnen beliebt. Doch mit der Ankunft Greiders im Tal beginnt ihre lokale Allmacht zu bröckeln. Nachdem bereits zwei der Brenner-Söhne tödlichen Unfällen zum Opfer gefallen ist, wird klar, dass nur Greider den Mut besitzen kann, gegen den Despoten aufzubegehren. Und tatsächlich hat der schweigsame, jedoch wild entschlossene junge Mann eine viele Jahre zurückliegende Rechnung zu begleichen...

Die im Zusammenhang mit dem Film vielfach verwendete Kategorisierung als "Alpenwestern" trifft "Das finstere Tal" in der Tat hervorragend. Wobei man das "Alpen-"-Präfix auch einfach weglassen könnte und ihm immer noch vollends gerecht würde. Denn natürlich ist Prochaskas erfrischend lichtferner Film ein in der Tradition vor allem von Leone und Corbucci stehender Euro-Western, der eben ausnahmsweise auch einmal vor Ort spielt und in dem die Leute mit Südtiroler Dialekt sprechen. Ansonsten sind die figurale Ausstattung, die Geschichte mitsamt ihren sanften politischen Implikationen und selbst die Landschaft durchweg als unverwechselbare Genre-Medien identifizierbar. Der karg kommunizierende Fremde, der als personifizierter Tod in die Einöde kommt, um als Erlöserfigur die armen Menschen vom Joch ihrer Usurpatoren und verlogenen Vergangenheit zu befreien - traditionsbewusster geht es ja kaum. Wobei das in solch einem Falle der Außenwelt-Abschottung akute Problem von Zwangsinzest und Blutlinienfortführung hier meines Wissens erstmals so unzweideutig umrissen wird.
Entsprechend knüppelhart pflanzt sich des Greiders Rache-Odyssee - auch Verrat und Bigotterie bleiben nicht ungesühnt - bis zu ihrem unvermeidlichen Ende hin fort, vom Jüngsten hinauf bis hin zum Ältesten, sozusagen. Dann kommt der Frühling ins Tal und mit ihm die längst überfällige Chance auf einen Neubeginn.

8/10

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THE REFLECTING SKIN (Philip Ridley/UK, CA 1990)


"Why don't you go play with your friends?" - "They're all dead."

The Reflecting Skin (Schrei in der Stille) ~ UK/CA 1990
Directed By: Philip Ridley

Während sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende nährt, lebt der neunjährige Seth Dove (Jeremy Cooper) irgendwo in der unendlichen Leere des amerikanischen Mittelwestens, wo sein Vater (Duncan Fraser) eine kleine Tankstelle betreibt. Die Nachbarin Dolphin Blue (Lindsay Duncan), eine verwitwete, britische Emigrantin, betrachtet Seth mit einigem Argwohn. Seine kindliche Phantasie treibt ihn sogar so weit, zu glauben, sie müsse ein Vampir sein. Zeitgleich geschieht in der Gegend ein Kindermord an einem von Seths Freunden, für den man Seths Vater verantwortlich macht. Dieser bringt sich daraufhin um. Für den Jungen ist derweil klar: Die Vampirin hat seinen Freund auf dem Gewissen. Als Seths älterer Bruder Cameron (Viggo Mortenen) aus dem Pazifikkrieg heimkehrt und sich unversehens in Dolphin verliebt, sieht der Junge nurmehr eine Möglichkeit, eine solch unheilige Allianz zu verhindern. Diese erfolgt schneller als es Seth erwartet...

Der Londoner Philip Ridley ist auf diversen künstlerischen Sektoren beeindruckend aktiv; als Maler, Theater- und Drehbuchautor sowie Romancier, als Photograph, Komponist und Poet. Seine Aktivität als Spielfilmregisseur füllt er entsprechend rar frequentiert aus und hat einsschließlich seines Debüts "The Reflecting Skin" lediglich drei Filme inszeniert. In diesem seinem Erstlingswerk legt Ridley sich sogleich eine ganze Bandbreite an Topoi zurecht, wobei es sich wohl zuallererst eine finstere Americana handelt. Im Mittelpunkt steht die Naivität und Weltfremdheit des vom retardierten Kreationismus des Bible Belt bereits gezeichneten Seth. Bereits die kindlichen Spiele, die er mit seinen zwei Freunden Eben (Codie Lucas Wilbee) und Kim (Evan Hall) zeugen von einer verlorenen Hilflosigkeit: Man lässt Frösche platzen und spielt ähnliche "Streiche", die mit dem ursprünglichen Wortsinn kaum mehr etwas zu tun haben. Seths Vater ist mit seiner sexuellen Unerfülltheit stets ein Verlorener geblieben, der durch die zu erwartende Denunziation und nicht zuletzt das ihn übertürmende Matriarchat in einen spektakulär ausgeführten Freitod getrieben wird. Die Kindermorde, deren Urheber in Wahrheit eine Bande gelangweilter, pervertierter Halbstarker ist, lastet alle Welt - inklusive Seth selbst - einer sündigen, womöglich satanischen Macht an. Seths Bruder Cameron ist derweil Zeuge der albtraumhaften Machtdemonstrationen seines Vaterlandes geworden. Er war im Pazifik, hat die "schönen Inseln" dort nach eigener Aussage verwüstet und den Atombombenabwürfen beigewohnt, was er mittelfristig mit dem verstrahlten Leben bezahlen wird. Das Einzige, an dem ihm noch liegt, nämlich die Liebe zu jener geheimnisvollen, einsamen Engländerin Dolphin Blue, verhilft Seth aus der Welt zu tilgen. Als ihm seine Schuld mit aller Macht bewusst wird, ist seine Kindheit schlagartig vorbei.
Stilistisch lehnt sich Ridley an Kubrick und Mallick an, verbindet lange Einstellungen der von wogendem Weizen gesäumten Weite des Landes mit klassisch arrangierten Partituren von Nick Bicât und schildert mit dem Blick des landesfremden Observierers diesen Ort als gnadenlose Vorhölle, in der desorientierter Glaube und weltferne Einsamkeit die Menschen zu Opfern ihrer Natur werden lässt. So schön wie entlarvend.

8/10

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THE LITTLE FOXES (William Wyler/USA 1941)


"I hope you die soon! I'll be waiting for you to die!"

The Little Foxes (Die kleinen Füchse) ~ USA 1941
Directed By: William Wyler

Die Familie Hubbard, verfilzter Südstaatenadel, der noch stolz die alten Traditionen pflegt, befindet sich im Jahre 1900 auf dem endgültigen weg zum moralischen Verfall. Die im Zentrum der Familie stehenden drei Geschwister Regina (Bette Davis), Oscar (Carl Benton Reid) und Ben (Charles Dingle) wollen, um sich finanziell zu sanieren, gemeinsam einen Vertrag mit einem Chicagoer Baumwollfabrikanten abschließen. Zudem sollen Reginas Tochter Alexandra (Teresa Wright) und Oscars dümmlicher Sohn Leo (Dan Duryea) - immerhin Cousine und Cousin ersten Grades - verheiratet werden. Zur Finanzierung der geschwisterlichen Pläne bedarf es jedoch eines großen Kapitalzuschusses, den Reginas herzkranker Ehemann Horace (Herbert Marshall) in Form seiner Inhaberobligationen stellen müsste. Dieser wird zu jenem Zwecke von Alexandra aus der Kur geholt, weigert sich jedoch zur Vergabe der Investition. Daraufhin organisieren Ben und Oscar mit Leos Hilfe den vorübergehenden Diebstahl von Horaces Wertpapieren, den dieser jedoch entdeckt...

Noch so ein große Südstaatentragödie, die exemplarisch demonstriert, welch wundervoll dramatisches Potenzial Land und Leute doch inne hatten - und noch haben! Ungebrochen akuter Rassismus, Inzucht, Standesdünkel, Intrige, Familienlügen und Gier, verstecken sich hinter schnöder Oberflächlichkeit, Altehrwürdigkeit und wohlfeilem Benehmen. Bette Davis lässt sich hier in einer ihrer vordringlichsten Rollen zu bewundern als nicht mehr ganz taufrische southern belle, hinter deren Stirn sich Heimtücke und Eigennutz verbergen. Gegen Ende, als ihr ungeliebter, todkranker Gatte ihre Hilfe benötigt, lässt sie ihn mittels schlichter Unterlassung, den blanken Wahnsinn in den riesigen Augen, über Umwege verrecken und benutzt dann noch seinen Tod, um ihre Brüder zu erpressen. Ökonomisch steht sie damit zwar hervorragend da, doch Tochter Alexandra, die sie zu guter Letzt doch noch durchschaut hat, bahnt sich nun endlich den Weg zu ihrem libertären Hofmacher David Hewitt (Richard Carlson) und Regina steht alleine da, um eines Tages vermutlich exakt so zu enden wie Davis' alter ego Charlotte Hollis in Aldrichs "Hush...Hush, Sweet Charlotte", vereinsamt, verrückt und keifend auf ihrem altehrwürdigen Plantagensitz.

8/10

William Wyler Georgia Südstaaten based on play Lillian Hellman Familie Geschwister Coming of Age period piece Satire





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