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In meinem Herzen haben viele Filme Platz 2.0



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AM TAG ALS DER REGEN KAM (Gerd Oswald/BRD 1959)


"Wennde schon saufen musst, dann kauf' dir wenigstens was Ordentliches."

Am Tag als der Regen kam ~ BRD 1959
Directed By: Gerd Oswald

Westberlin: Der kriminelle Werner Maurer (Mario Adorf) hat eine kleine Gang um sich geschart, die er mit eiserner Hand kontrolliert und mit deren Hilfe er bereits diverse Raubüberfälle gedreht hat. Seinem Vater (Gert Fröbe), einst erfolgreicher Internist, darf wegen eines Kunstfehlers nicht mehr praktizieren und ist nunmehr schwerer Alkoholiker. Für Robert (Christian Wolff), ein Mitglied aus Werners Clique, wird es derweil zu viel: Er hat sich in ein Flüchtlingsmädchen (Corny Collins) aus dem Osten verliebt und will mit ihr ein neues Leben beginnen. Zaghaft vertaut er sich dem Polizisten Thiel (Horst Naumann) an...

Neorealistischer Ausläufer angesiedelt in Westberlin, im Gefolge von anderen Jugendporträts der fünfziger Jahre unter der Produktionsägide von Artur Brauner entstanden, dabei jedoch eines der fesselndsten mir bekannten Exemplare der Gattung. Gerd Oswald stand eine durchweg exzellente Besetzung zur Verfügung, die betont still, methodisch und vor allem ohne zu chargieren aufspielt und für die - nominell Christian Wolff, Elke Sommer, Ernst Jacobi oder Claus Wilcke -, "Am Tag als der Regen kam" vielfach als eines von mehreren Karriere-Sprungbrettern fungierte. Besonders hervorstechend ist dabei Mario Adorf als trauriger Rebellionsverbrecher, dessen Pläne und deren Drumherum weniger Ausdruck von echter, krimineller Energie sind denn vielmehr seine private Replik auf eine öde, verkorkste Jugend in der künftigen Mauerstadt. Gert Fröbe indes stellt einmal mehr unter Beweis, dass er einer der größten deutschsprachigen Schauspieler nicht nur der Stunde, sondern ganz allgemein war und ist. Eine beeindruckende, herzzereißende Leistung in einem analog dazu brillant inszenierten Zeitporträt, das zudem exemplarisch dazu taugt, all jenen, die hinter dem deutschen Kino der Wirtschaftswunderjahre bloßen, kunstbefreiten Eskapismus wähnen, eine ordentliche Lektion zu erteilen.

9/10

Gerd Oswald Berlin Subkultur Vater & Sohn Alkohol Freundschaft Jugend


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DER KNOCHENMANN (Wolfgang Murnberger/AUT 2009)


"Des is moi Privatsach'. Gehen's jetzt."

Der Knochenmann ~ AUT 2009
Directed By: Wolfgang Murnberger

Brenner (Josef Hader), durch Bertis (Simon Schwarz) Hilfe nunmehr tätig als Inkasso-Beauftragter für eine Auto-Leasing-Firma, soll in der Provinz einen gewissen Alexander Horvath ausfindig machen, der die letzten Raten für seinen Beetle nicht bezahlt hat. Im Wirtshaus "Löschenhof", das von dem freundlichen, aber bärbeißigen Wirt Löschenkohl (Josef Bierbichler) betrieben wird, endet die Spur betreffs Horvath zwar abrupt, dafür ergeben sich jedoch neue Fährten. Löschenkohls Sohn Pauli (Christoph Luser), der seinem Vater eifersüchtig das Gasthaus streitig macht, will unbedingt herausfinden, wohin immer wieder große Beträge vom Hauskonto verschwinden. Brenner verkuckt sich derweil in Paulis Frau Birgit (Birgit Minichmayr) und soll dem alten Löschenkohl urplötzlich helfen, die Zwangsprostituierte Valeria (Dorka Gryllus) über die slowakische Grenze nach Österreich zu schaffen. Den Alten umwittern derweil noch sehr viel dunklere Geheimnisse...

Mit "Der Knochenmann", dem dritten Teil der just zur Tetralogie angewachsenen Kino-Reihe um den Privatschnüffler Brenner, erreicht die Reihe ihren bisherigen Höhepunkt. Wo bereits "Silentium!" einen recht heftigen Kurswechsel aufzeigte, indem er sich in Auslegung und Gestus deutlich derber gestaltete als der Erstling "Komm, süßer Tod", wirkt "Der Knochenmann" nochmal eine Spur bitterböser. Hier nämlich ist es, wie der abermals phantastische Off-Kommentator bereits vorab versichert, die Liebe, in all ihren manchmal unfairen, furchtbaren Ausprägungen, die jener tiefschwarzen Geschichte Zucker gibt. Alle lieben sie oder haben Sehnsucht; der Brenner, der alte Löschenkohl, sein Sohn, dessen Frau, die arme Valeria (bezaubernd tragisch: Dorka Gryllus), der Alexander Horvath und sogar der Berti, der es irgendwie gar nicht fassen kann. Doch es gibt nichts umsonst im verschneiten, österreichischen Grenzgebiet: Um seine Angebete aus dem slowakischen Puff herausholen zu können, wird Löschenkohl Senior (Bierbichler erinnerte mich, wie überhaupt die gesamte Koloratur des Films, ein bisschen an seine Rolle in und gemeinhin an Tykwers eisigen "Winterschläfer") zum unaufhaltsamen, hackebeilschwingenden Serienmörder, den eine Leiche mehr oder weniger kaum schert, nicht allein, weil er die Grenze einmal überschritten hat, sondern fürderhin aufgrund seiner formidablen "Entsorgungsmöglichkeiten" (welche er, mahnt ahnt es, wohl noch weiter perfektionieren würde, käme ihm der Brenner nicht irgendwann drauf).
Bierbichler präsentiert sich hier als entfernter, österreichischer Verwandter der texanischen Sawyers, der nicht nur seine Knochenmühle auf Dauerbetrieb hält, sondern dem Brenner zwischendurch auch mal ein zartes Zuhälter-Gulasch serviert, das dieser genüssich vertilgt. Komm, böser Tod!

10/10

Wolfgang Murnberger Wolf Haas Brenner Wien Hotel Prostitution Slowakei Bratislava Vater & Sohn Österreich


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KOMM, SÜSSER TOD (Wolfgang Murnberger/AUT 2000)


"Ich will lieber nicht nochmal gerettet werden."

Komm, süßer Tod ~ AUT 2000
Directed By: Wolfgang Murnberger

Der Wiener Ex-Polizist Simon Brenner (Josef Hader) liebt Joints, Bourbon und Jimi Hendrix' Gitarrensoli. Seit er bei der Polizei, der er zu Dienstzeiten stets ein Dorn im Auge war, entlassen wurde, hält er sich mit allem über Wasser, was schnelles Geld bringt, nebenberuflich auch als Prtivatdetektiv. Gegenwärtig arbeitet er als Rettungssanitäter auf Probe bei den "Kreuzrettern", einem privaten Krankentransportdienst, der in starker Konkurrenz zum deutlich straffer organisierten "Rettungsbund" steht. Gemeinsam mit dem Zivi Berti (Simon Schwarz) und der leichtlebigen Angelika (Nina Proll) stößt Brenner auf einen seltsamen Doppelmord an zwei Kollegen vom Rettungsbund, dem fast umgehend ein weiterer Mord an dem ebenfalls bei den Kreuzrettern beschäftigten "Piefke" Gross (Bernd Michael Lade) folgt. Während Brenner die Hauptakteure hinter den Gewaltakten zunächst beim Konkurrenzunternehmen vermutet, sitzt der tatsächliche Feind in den "eigenen Reihen".

Wenn es heißt: "Jetzt ist schon wieder was passiert...", dann wissen glückliche Priviligierte bereits qualitätssiegelgleich, wohin die Reise geht. Der Wahlwiener Wolf Haas hat sechs Brenner-Romane verfasst, von denen bislang vier verfilmt wurden. Die eigentümlichen Kriminalfälle des kiffenden Privatdetektivs, in die selbiger stets durch bizarre Zufälle hineinstolpert und sich regelmäßig durch persönliche Berührungspunkte stark involviert findet, werden von einer auktorialen Erzählstimme mit herzlicher Lakonie kommentiert. Ich habe leider noch keines der Bücher gelesen, man vernimmt jedoch allerorten, dass die Adaptionen überaus kongenial ausfallen sollen, was angesichts der sich von Film zu Film steigernden Qualität große Lust zumindest auf die bis dato unverfilmten Werke macht.
Brenner ist ein Typ, den man lieben muss. In sich vereint er Elemente des slackenden Althippies, des bauernschlauen Kleinschnüfflers und des wehrhaften hardboiled-P.I. klassischen Zuschnitts. Er mäandert eher durch seinen Alltag, nachdem er infolge fast zweier Jahrzehnte im Staatsdienst uniformlos durch Österreich streift und, diametral zu seinem sicherlich vorhandenen Intelligenzpotenzial, eigentlich gar kein echtes Interesse daran hat, sich zum gesellschaftlich anerkannten Erfolgsmenschen zu mausern. Dann doch lieber ein Tütchen und ein Fläschchen Bier dazu. Dass seine meist auf unfällige Art und Weise zustande kommenden Aufträge ihn immer wieder auch vor tiefe soziale Abgründe führen, gehört zum gut-bösen Ton der ihn umkreisenden Storys.
In "Komm, süßer Tod" ist es das privatisierte Rettungswesen, das als obszöne Wucherung kapitalistischer Pervertiertheit längst zu extrem unlauteren Mitteln greifen muss, um angesichts starker Konkurrenz zu bestehen. Dass Brenners Chef (Michael Schönborn), den als Nachfolger seines Vaters alle nur als "Junior" bezeichnen, längst nicht nur ein arroganter Stöpsel ist, sondern über seine kriminellen Umtriebe hinaus auch noch wahnsinnig, stimmt einen nicht eben zuversichtlich angesichts der nächsten bevorstehenden Fahrt im KTW. Vielleicht jedoch wird man dann auch an den Brenner denken und, Dialyse hin oder her, wohlweislich schmunzeln.

8/10

Wolfgang Murnberger Wolf Haas Österreich Wien Rettungsdienst Brenner


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THE NAKED GUN: FROM THE FILES OF POLICE SQUAD! (David Zucker/USA 1988)


"How about that?"

The Naked Gun: From The Files Of Police Squad! (Die nackte Kanone) ~ USA 1988
Directed By: David Zucker

Nachdem Lt. Frank Drebin (Leslie Nielsen) von der Spezialeinheit bei einem Außeneinsatz in Beirut einer antiimperialistischen Verschwörung sämtlicher bösen Achsenmächte die Luft herausgelassen hat, wartet daheim in Los Angeles bereits der nächste Fall auf ihn: Franks Kollege Nordberg (O.J. Simpson) ist bei einem Undercover-Einsatz schwer verletzt worden. Hinter dem Anschlag steckt der millionenschwere Geschäftsmann Vincent Ludwig (Ricardo Montalban), der ein Gerät entwickelt hat, mit dem jeder harmlose Bürger zum ferngesteuerten Attentäter werden kann. Ausgerechnet die britische Königin (Jeanette Charles), die gerade auf Besuch in L.A. ist, soll während eines Baseball-Spiels ermordet werden.

Sechs Jahre nach einem halben Dutzend halbstündiger Einsätze in der vom ZAZ-Team mitentwickelten Minireihe "Police Squad!" kehrte deren beliebte Hauptfigur Frank Drebin, von Leslie Nielsen bei stets perfekt sitzender Gewandung und - aller Idiotie und Inkompetenz zum Trotze - unschlagbarem Selbstbewusstsein meisterhaft dargeboten via Großleinwand zurück. Wie zuvor bereits bei "Airplane!" und "Top Secret!" basierte das Konzept von "The Naked Gun" primär darauf, durch scheinbar völlig anarchische, chaotische Gags in höchstmöglicher Frequenz insgeheim eine straighte Struktur zu schaffen. Anders als bei herkömmlichen Komödien sind der humoristischen Bandbreite des Scripts dabei keine Grenzen gesetzt - die Witzkavalkade reicht von infantil bis brillant, von zotig bis subtil, von Situations- über Dialoghumor, von laut bis schallend.
Als besonders signifikant empfand ich dabei immer, dass die besonders offensichtlich arrangierten Gags, von denen es Dutzende gibt und viele beim Massenpublikum zu beliebten Klassikern avancierten, dem Test der Zeit tatsächlich gar nicht recht standzuhalten vermochten. Andere indes - und glücklicherweise das Gros der Gesamtheit - entfalten auch nach dutzendfacher Betrachtung noch immer ihre brachiale Komik. Das letzte Viertel, das sich ganz auf das Baseball-Spiel konzentriert, bei dem der Held den unbekannten Meuchelmörder dingfest machen muss, läuft schließlich zur absoluten Hochform auf: zur Untermalung eines Randy-Newman-Songs ("I Love L.A.") tastet der weder im Text der Nationalhymne noch betreffs der Baseball-Regeln versierte Drebin sämtliche Spieler und Schiedsrichter ab, derweil im Publikum eklige Snacks serviert werden. Ricardo Montalbans Ableben mitsamt Dampfwalze und Tambourkorps (der "Louie, Louie" spielt), rundet das Ganze ab. Die Lachquote erhöht sich hier ins Unermessliche und glücklicherweise hatten ZAZ den Mut, bei aller Kürze des Films ihrem Publikum nicht noch mehr Lachkrämpfe zumuten zu wollen. Die Gefahr multipler Zwerchfellentzündungen wäre unabwendbar gewesen.

9/10

David Zucker Jim Abrahams Jerry Zucker ZAZ Parodie Hommage Los Angeles Satire


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CRÓNICAS (Sebastián Cordero/MEX, EC 2004)


Zitat entfällt.

Crónicas ~ MEX/EC 2004
Directed By: Sebastián Cordero

Der TV-Sensations-Journalist Manolo Bonilla (John Leguizamo) ist mit seinem Team (Leonor Watling, José María Yazpik) für einen in Miami ansässigen Latino-Sender in Ecuador unterwegs. Hier treibt seit Längerem ein Kindermörder sein Unwesen, der bereits Dutzende von Opfern auf dem Gewissen hat. Eine zufällige Spur ergibt sich, als der Bibel-Vertreter Vinicio Cepeda (Damián Alcázar) einen kleinen Jungen anfährt, dessen Zwillingsbruder bereits von dem "Monster von Babahoyo" ermordet wurde. Als der verzweifelte Vater (Henry Layana) der toten Jungen Vinicio auf offener Straße verbrennen will, landen beide Männer im Gefängnis. Manolo springt für Vinicio in die Bresche und verkauft ihn zunächst als unschuldiges Opfer unglücklicher Umstände. Doch ein weiteres Gespräch weckt in Manolo einen schrecklichen Verdacht: Vinicio selbst scheint der gesuchte Kindermörder zu sein, verfügt er doch über höchst brisante Informationen bezüglich des Falles. Bevor Manolo die Sache mit seinem Anchorman (Alfred Molina) klären kann, wird der bereits fertiggestellte Bericht gesendet; Vinicio kann unbehelligt abtauchen und seinem blutigen Geschäft weiter nachgehen.

Die Schuldigkeit des arroganten Journalisten: Weil "Don Manolo", wie ihn seine lateinamerikanischen Fans ehrerbietig rufen, eine flotte Story wittert, die ihn einmal mehr als Anwalt der Unterdrückten ausweisen wird, macht er sich mitschuldig im Falle des Monsters. Dass Vinicio Cepeda (dessen Figur augenscheinlich ihr verschleiertes, authentisches Vorbild in dem kolumbianischen Kindermörder Pedro Alonso Lopéz hat) der gesuchte Killer ist, daran lässt der Film keinen Zweifel: Gleich zu Beginn wird er beim Epilog eines seiner furchtbaren Verbrechen gezeigt. Es geht "Crónicas" also ganz eindeutig nicht um die Entlarvung des Täters, sondern darum, dass allein die Sensationsgeilheit des prominenten Fernsehmachers und vor allem dessen weigerung, sich zu seinem Fehler zu bekennen, Cepedas Flucht ermöglicht und ihn weitere Bluttaten begehen lassen wird.
"Crónicas" verzichtet auf eine allzu scharfe Umreißung des Gebotenen und legt Wert darauf, das "Monster von Babahoyo" trotz seiner irrsinnigen Aktionen als Mensch zu porträtieren, was Damián Alcázar, der seinen Part großartig ausfüllt, nebenbei vortrefflich gelingt. Vinicio Cepeda wird nie als Ungeheuer dargestellt oder auch nur als bedrohlich denunziert: hier ist ein gottesfürchtiger, etwas einfacher Mann, der seine Familie liebt, eine freundliche, gar unterwürfige Art an den Tag legt und seine Lügenkonstrukte offenbar selbst glaubt. Kein Haarmann, kein Kürten, kein Hannibal Lecter - nur ein verwirrter Mensch mit todbringenden Neigungen. In den Szenen mit Alcázar entwickelt "Crónicas" eine Kraft, die ihm sonst leider abgeht. Daran, dass der Film, der unter produktionstechnischer Beteiligung der renommierten mexikanischen Filmemacher Alfonso Cuarón und Guillermo del Toro entstand, einst als Prestigeobjekt für das lateinmamerikanische Kino gedacht war, bleiben am Ende wenig Zweifel. Mit John Leguizamo und Alfred Molina konnten zwei berühmte Ethno-Gesichter verpflichtet werden. "Crónicas" wurde bei der Academy als Beitrag für den besten internationalen Film eingereicht und er schlägt bei all seiner Medienschelte und vor allem angesichts seines grauenvollen Topos einen allzu gemächlichen Ton an.
Im Rahmen des Serienkiller-Films sicher ein interessanter Exkurs, mehr jedoch kaum.

6/10

Sebastián Cordero Serienmord Ecuador Alfonso Cuarón Guillermo del Toro Fernsehen Unfall Madness


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IL ROSSETTO (Damiano Damiani/I, F 1960)


Zitat entfällt.

Il Rossetto (Unschuld im Kreuzverhör) ~ I/F 1960
Directed By: Damiano Damiani

Die vierzehnjährige Silvana (Laura Vivaldi) ist heimlich in ihren Nachbarn Gino Luciani (Pierre Brice) verliebt, eine Tagelöhner und Klinkenputzer. Als in ihrem Haus eine als "leichtes Mädchen" bekannte Frau ermordet wird, fällt Gino spontan in den Verdächtigenkreis. Er jedoch behauptet, die Tote überhaupt nicht gekannt zu haben. Als Silvana ihm eröffnet, dass sie ihn am Tattag aus der Tür der Ermordeten habe kommen sehen, wird Gino jedoch nervös und schiebt dies auf Silvanas Einbildung. Von un an widmet er dem Mädchen mehr Zeit als beiden guttut und schließlich landet Gino als Hauptverdächtiger bei Commissario Fioresi (Pietro Germi). Dessen Verhör zieht eine Schlammschlacht nach sich, die vor allem die urplötzlich im Mittelpunkt des polizeilichen und öffentlichen Interesses stehende Silvana übel mitnimmt.

Ein Kriminalfall und wie er sämtliche Beteiligten und Unbeteiligten auf das Nachhaltigste involviert - für einen veritablen Vertreter des Neorealismus ist Damianis Frühwerk mit seinem wunderbar passgenauen Originaltitel ("Der Lippenstift") dann allerdings doch eine minimale Spur zu kolportagehaft geraten. Dabei liegt gerade darin der besondere Reiz des Films, nämlich Lokalkolorit und triviale Dramaturgie zu kreuzen, um daraus einen ebenso formal durchkomponierten wie sezierenden Genrefilm zu machen. Pierre Brice darf als schmieriger Filou noch große, man mchte bald konstatieren "ungewohnte" schauspielerische Qualitäten demonstrieren, wie es ihm in den Folgejahren nicht zuletzt durch seine immer normierteren elf "Winnetou"-Einsätze leider kaum mehr möglich war. Der eigentliche Star des Films dürfte jedoch Laura Vivaldi sein, die durch ihre berückende Darstellung eines emotional hoffnungslos überforderten, fragilen Mädchens im Angesicht selbstgerechter Maskulinität, die gleich aus mehrerlei Richtungen auf sie einprasselt, zu zerbrechen droht.

8/10

Damiano Damiani Rom Coming of age


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SLEEPERS (Barry Levinson/USA 1996)


"Hell's Kitchen. It is the lost and found of shit."

Sleepers ~ USA 1996
Directed By: Barry Levinson

Im Sommer 1967 verursachen vier jugendliche Freunde aus Hell's Kitchen, Lorenzo (Joe Perrino), Michael (Brad Renfro), John (Geoffrey Wigdor) und Tommy (Jonathan Tucker) aus kriminellem Leichtsinn heraus einen schweren Unfall: Ein von ihnen gestohlener Hot-Dog-Wagen zerquetscht beinahe einen unbeteiligten Passanten. Es folgt ein rund anderthalbjähriger Jugendarrest im Wilkinson-Gefängnis, der das Leben der Jungen nachhaltig verändert: Die Wächter um den sadistischen Nokes (Kevin Bacon) prügeln, foltern, missbrauchen, vergewaltigen die Freunde, die aus Scham über das Erlebte nie zu sprechen wagen. Rund 15 Jahre später begegnen John (Ron Eldard) und Tommy (Billy Crudup) Nokes zufällig in einer Kneipe und erschießen ihn. Michael (Brad Pitt), nunmehr Staatsanwalt, sieht in dem Mord die Möglichkeit, seine lange schwelende Rache an der Wachmannschaft von Wilkinson in die Wege zu leiten. Zusammen mit Lorenzo (Jason Patric) fasst er einen komplexen Plan, wie John und Tommy freikommen und die alte Rechnung beglichen werden kann.

Nach dem doch sehr sleaze-affinen "Disclosure" machte sich Levinson an ein wesentlich ernsteres und brisanteres Thema: Den sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlen im Staatsgewahrsam. Basierend auf einem Buch von Lorenzo Carcaterra, der ebenjene im Film wiedergegebene Ereignisse, oder zumindest Teile davon, höchstselbst erlebt haben will.
Als ich "Sleepers" damals erstmalig im Kino sah, fand ich ihn ärgerlich bis mäßig, weil hier offensichtlich einer probierte, Scorsese seine Dömäne streitig zu machen, und das auch noch mit Unterstützung seines (damaligen) Hausstars Robert De Niro. Besonders das erste Viertel des Films, dass mit teils humorig-liebevoll-nostalgischem, teils sozialkritischem Blick die typische Jugend jener vier New Yorker Jungs in den Spätsechzigern abbildet, wirkt mit seiner weichen Unterlage zeitgenössischer Songs wie der zigste Abzug einer x-mal betrachteten Fotografie. Doch auch was dem folgt, kann nicht eben als innovativ bezeichnet werden: Psychische Sollbruchstellen, die nie aufgearbeitet wurden, ein komplexer Racheplan, ein Priester, der mit seinem Glauben und Gewissen hadert, weil er einen - moralisch gerechtfertigten - Meineid leisten soll. Die Figuren stammen durchweg aus der Kiste der Kintopp-Stereotypen, vom alternden Revier-Paten (Vittorio Gassman) über den prügelnden Familienvater (Bruno Kirby) und den fetten Kioskbetreiber (Frank Medrano), bis hin zum versoffenen Anwalt (Dustin Hoffman) und besagtem, väterlichen Pfarrer (De Niro). Und natürlich darf und muss einer der vier miesen Knastwärter (Terry Kinney) auch echte Reue zeigen. Vielfache Gelegenheit für eine mehr als beachtliche Starbesetzung, ihr gewohnt patentes Können zu demonstrieren, was auch für die tadellose Formseite von "Sleepers" gilt, die unter anderem einen tränentreibenden John-Williams-Score vorschützt.
Heuer gefällt mir "Sleepers" etwas besser, weil ich mich mittlerweile im Stande sehe, sein doch sehr kalkülbedachtes Wesen zugunsten seiner fraglos vorhandenen Qualitäten weitgehend abstrahieren zu können. Das macht sein allzu emsiges Bestreben, vor allem feuilleton- und zuschauergerechtes Kino herzustellen, jedoch nicht unbelassen. Dass damit sein tatsächlich schlimmes, ja, furchtbares Sujet zu einem schicken Hochglanzfilm "umgearbeitet" wird, hinterlässt bei mir nach wie vor einen schalen Beigeschmack.

6/10

Barry Levinson New York Freundschaft Sexueller Missbrauch Rache Courtroom Jugendarrest Gefängnis


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DISCLOSURE (Barry Levinson/USA 1994)


"Back then, they were keen on you - now they're keen on your job."

Disclosure (Enthüllung) ~ USA 1994
Directed By: Barry Levinson

Der bei einem Computerkonzern beschäftigte Familienvater Tom Sanders (Michael Douglas) wird zum Opfer einer firmeninternen Intrige, deren Ziel es ist, ihn wegen Inkompetenz vor die Tür setzen zu können. Der umständlich inszenierte Plan beginnt mit dem Versuch, Tom durch die neue Führungskraft Meredith Johnson (Demi Moore), zugleich eine frühere Geliebte Toms, diffamiere zu lassen. Die spitze Lady versucht Tom zu verführen, was dieser jedoch noch gerade abbremsen kann, bevor es zum Koitus kommt. Am nächsten Morgen hat er eine Beschwerde wegen sexueller Nötigung am Arbeitsplatz auf dem Tisch, kann sich jedoch mithilfe der Anwältin Catherine Alvarez (Roma Maffia) erfolgreich aus der Sache herauswinden. Doch der Tom daraufhin neu offerierte Arbeitsvertrag hat einen bösen Widerhaken...

Edeltrash, der nach zwanzig Jahren ein ebenso unterhaltsames wie belustigendes Zeitdokument abgibt. Weniger der große Aufhänger und -reger von Roman und Film, die Gender-Problematik um sexuelle Unflätigkeiten am Arbeitsplatz, welche ja stets ein Symbol des Machtgefälles darstellt und in der Regel von Mann an Frau verübt wird, zu diametralisieren, macht "Disclosure" retrospektiv bezeichnend, sondern seine höchst reaktionäre Angst vor einer omnipräsenten Technokratisierung. Damals noch neue, hippe Begriffe wie 'Cyberspace', 'Virtual Reality', 'Internet', 'E-Mail' und 'Mobiltelefon' spielen enorme Rollen bei der wechselseitigen Ausspionierung und bezogen auf anonyme Stichwortlieferanten. Die Welt von "Disclosure" ist an Konservativismus kaum mehr zu überbieten: Das wohlsituierte, obermittelständische Familienbild erweist sich als ebenso etabliert wie die klar definierten Rollenbilder von Mann und Frau im sozialen Gefüge und am Arbeitsplatz. Das häusliche Frauchen Mrs. Tom Sanders (Caroline Goodall, offenbar bewusst entfärbt) etwa ist zwar juristisch gebildete Akademikerin, aber brav und treu und selbst in schärfsten Krisensituationen tapfere Flankiererin ihres schlingernden Gatten; selbstbestimmte Frauen wie Meredith Johnson derweil sind neurotische, erfolgsgeile Schlampen, die es angesichts ihres halbseidenen Aufstigsgebahrens an ihren Platz zu verweisen gilt. Das eigentliche Spiel spielen sowieso weißhaarige Managertypen wie der von Donald Sutherland lustvoll karikierte Bob Garvin, der trotz aller Übervorteilungsspielchen am Ende dort bleibt, wo er ist: an der Spitze.
Dass "Disclosure" vor losen Enden und Logiklöchern nur so strotzt, verzeiht man ihm angesichts seiner naiven, beim besten Willen nicht ernstzunehmenden Establishment-Hofierung fast blind. Außerdem gibt es zwei wunderbar komische Szenen, die mit zum Witzigsten des Dekadenkinos zählen (Sanders' Albtraum von Bob Garvin und ihm im Fahrstuhl und wie er später im Zuge seiner Privatspionage im "Four Seasons" vor einer Putzfrau erschrickt. Super!)
Ein Film, ebenso doof wie amüsant.

5/10

Barry Levinson Cyberspace Mobbing Verschwörung femme fatale Seattle Michael Crichton


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SETTE NOTE IN NERO (Lucio Fulci/I 1977)


Zitat entfällt.

Sette Note In Nero (Die sieben schwarzen Noten) ~ I 1977
Directed By: Lucio Fulci

Die übersinnlich begabte Virginia (Jennifer O'Neill) glaubt, im Zuge einer Vision ein Jahre zuvor geschehenes Verbrechen entdeckt zu haben. Tatsächlich findet sie hinter einer Wand im leerstehenden Landhaus ihres Gatten Francesco (Gianni Garko) die eingemauerte, mittlerweile skelettierte Leiche einer jungen Frau. Mit Virginias ursprünglicher Annahme deckt sich dieser Fund jedoch nicht: In ihrer Vision sieht sie eine alte, sterbende Dame und das Zimmer des Leichenfundes sieht exakt so aus wie in der Gegenwart. Mithilfe des Parapsychologen Luca (Marc Porel) erkennt Virginia nach und nach die Wahrheit: Den vergangenen Mord hat sie lediglich durch Zufall entdeckt, was sie tatsächlich sah, war die Zukunft...

In "Sette Note In Nero" laufen kreative Kräfte zusammen, die Fulcis vorletzten Film vor seinem zweiten Frühling als Splatter-Maestro (danach kam noch der Spätwestern "Sella D'Argento") zu einem, wenn auch vergleichsweise spät entstandenen Hauptwerk des Giallo machen: Sein Team bestand unter anderem aus Dardano Sacchetti (Co-Script), Sergio Salvati (dp) und Fabio Frizzi, dessen unvergessliche, titelgebende "sieben Noten" dem Film einen motivischen Dreh- und Angelpunkt verleihen und ihn ganz nebenbei zu einer wunderbaren Poe-Hommage verhelfen. Ohne den inflationären Gebrauch blutiger Details, wie er bei dem Kollegen Argento bereits Usus war, gelang es Fulci, ein höchst atmosphärisches Werk zu fertigen, dessen Storywendungen, so man bereit ist, deren immanente PSI-Elemente als ihren wesentlichen Bestandteil zu akzeptieren, sich nicht nur schlüssig, sondern darüberhinaus sogar zwingend gestalten. Die überaus sorgfältige Inszenierung in Kombination mit der gekonnten Bildsprache lassen bis ins Detail höchste Könnerschaft erkennen. Einer der schönsten Filme des Regisseurs, dem man, ein kleines, wenngleich völlig verdientes Wunder, just sogar eine gelungene Erstsynchronisation nebst auch sonst durchweg erfreulicher Veröffentlichung zuteil werden ließ. Wiederum ein Schule machendes Beispiel für die überfällige, hiesige Neuentdeckung der alten Meister. Bleibt dringlichst zu hoffen, dass in äquivalenter Form bald noch "Lizard" und "Duckling" nachfolgen.

8/10

Lucio Fulci Toskana Siena Giallo





Filmtagebuch von...

Funxton

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