“In den ersten Minuten nach Mitternacht erhielt China die Souveränität über Hongkong zurück. In einer festlichen Zeremonie endete an einem Dienstag die 156 jährige britische Kolonialherrschaft. Nur wenige Sekunden nachdem britische Soldaten zum letzten Mal den „Union Jack“ zu den Klängen von „God Save the Queen“ eingeholt hatten, wehte schon Chinas rote Flagge im Wind. - Markierte den Übergang eines freien kapitalistischen Territoriums unter kommunistische Kontrolle. Es war ein Ereignis, das von vielen lange Zeit sowohl mit Angst, als auch mit Nervosität erwartet wurde. Genau genommen bereits seit 1984, als die Machtübergabe zwischen England und China besiegelt wurde. Seit dem herrschte Beklemmung und Unsicherheit, ob China Hongkongs Status, Hongkongs Lebensart und seine Freiheiten unangetastet lassen würde.“
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„Im Mittelpunkt der Spekulationen um Hongkongs Zukunft nach dem Souveränitätswechsel im Sommer 1997 pflegte immer die Frage zu stehen, ob es den neuen Herren gelingen würde, das internationale Vertrauen und damit Hongkongs blühende Wirtschaft zu wahren, oder ob die Kolonie vielmehr in festlandchinesischer Korruption und Rechtlosigkeit versinken würde. Wenig Aufmerksamkeit wurde demgegenüber der ebenso schicksalsträchtigen Frage gewidmet, ob und wie die Hongkonger nach über eineinhalb Jahrhunderten Separation mit dem neuen Souverän in Peking zu Rande kommen würden.“
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Die Kamera blickt in ein grelles Licht an der Decke – Wir sehen die Umgebung aus dem Blickwinkel eines Menschen. Seine Blicke, und damit auch die Kamera, huschen unruhig über die Wände, tasten die Umgebung vorsichtig ab. Wir fühlen uns damit wie in dem kurzen ersten Augenblick des Aufwachens in einem fremden Bett. Das ungläubige Mustern der Umgebung. Das erste Stutzten: Wo bin ich hier?
Doch der Off-Erzähler lässt uns nicht alleine: Er sagt uns wo bzw. wer wir sind. Wo: Hongkong. Wer: Polizist Sonny Leuong, gerade verstorben. Er liegt im Krematorium in seinem Sarg, die Familie trauernd neben ihm kauernd. Die Kamera schlängelt sich durch die Gänge des Gebäudes, genauso wie sie verlieren sich die Gedanken des Polizisten in diesem undurchsichtigen Labyrinth. Er blickt zurück auf sein Leben, kramt in seinen Erinnerungen, seinen Erinnerungen an Hongkong. Wir erfahren wie er Polizist geworden ist, werden Zeugen seiner Kindheit, sehen die bedeutenden Momente seines Lebens. Und immer wieder ist die eigene Geschichte, die eigene Entwicklung untrennbar mit der Entwicklung Hongkongs verknüpft. In schwarz-weißen Rückblenden im dokumentarischen Stil werden die historischen Ereignisse illustriert, die prägend für ihn und für Hongkong waren.
„Immer wieder stellt sich die Frage nach politischer Loyalität und menschlicher Glaubwürdigkeit, sowohl bei den Versuchen Pekings Hongkong 1967 in einer Serie von Aufständen zu übernehmen, wie viele Jahre später bei der Polizeirevolte gegen die ICAC
(4), die der Korruption bei der königlichen Hong-Kong-Polizei ein Ende bereiten sollte.“
(5) – Und dieses Phänomen war außerordentlich ausgeprägt. Die Polizisten immer hin- und her gerissen zwischen Treue, „Duty“ und dem Versinken in Lethargie und Bestechlichkeit. Viel schwerwiegender aber in diesem Zusammenhang das „in der Luft hängen“ zwischen nationaler Identität und britischer Fremdbestimmung: Chinesische Polizisten kämpfen 1956 während der Revolten gegen die eigenen Landsleute, und werden 1967 bei den Anti-Korruptionsgesetzen selbst Zielscheibe der britischen Fremdherrschaft. Diese Zerrissenheit bleibt aber keine innere, sie zeigt sich in sichtbaren Spannungen und offenen Konflikten. Im Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen China und Großbritannien, zwischen Pflichterfüllung und „Wegschauen“. Der von seinen Kindern als alt titulierte Vater hat seine Pflicht für die Briten ausgeübt, hängt aber auch an China und an Hongkong. Der Cousin dagegen hat sich mit dem bisherigen System arrangiert und weicht den Veränderungen aus, flieht, will nur schnell zum Flughafen, raus aus Hongkong. Auch die Kinder, die nur das Leben unter britischer Kolonialmacht kennen, keine „chinesische Identität“ haben, hält nichts mehr in Hongkong – Kanada ist eine gar nicht so ferne Alternative. China den Rücken zu kehren ist für seine schwere Entscheidung, fühlen sie sich doch nur teilweise als Chinesen. Und die Bewohner Hongkongs hatten immer einen Sonderstatus inne. Sie genießen Freiheiten, Privilegien, haben sich westliche Eigenschaften und Wertvorstellungen zugelegt, die der britischen Besatzer-Seele entsprechen, und sonst eher den Überseechinesen eigen sind. Sie lebten auf einer abgeschirmten „Insel“, bekamen die Politik aus China nur als „Foreign News“ mit, und wurden dafür von den Landsleuten bewundert. Doch die scheue Bewunderung der Chinesen dürfte bald Neid Platz machen, wenn Hongkonger und die „armen Verwandten“ aufeinander treffen.
Und so blicken die Hongkonger dem Tag der Übergabe mit Angst, oder zumindest mit Skepsis und Ungewissheit entgegen: Ungewissheit vor dem was kommt – sowohl politisch, als auch ökonomisch und wirtschaftlich, am meisten aber, vor der persönlichen Ungewissheit. Wie wird sich das Leben in Hongkong ändern? Wird die Bevölkerung auch orientierungslos, wie in einem fremden Bett aufwachen? Wird sie sich ungläubig umschauen müssen, und erst langsam begreifen wo sie sind? In den formalen Zeremonien jedenfalls klappt der Übergang reibungslos. Mit militärischer Präzision und ohne Zwischenfälle wird die Flagge, die den Sarg des toten Polizisten bedeckt, ausgetauscht. Er steht nun nicht mehr im Dienst der Royal Hongkong Police.
Doch der Film lässt erahnen, dass der scheinbar fließende Übergang Hongkongs von der „Seifenblase“ in britischer Obhut, zurück in die chinesische Wirklichkeit, in der Realität weitaus holpriger ausfallen wird ….
Wenn der Polizist seinen Cousin durch das nächtliche Hongkong chauffiert, durch die hell erleuchteten Häuserschluchten fährt, inmitten greller, bunter Neonreklame sinniert, dass die kapitalistischen Reichen die neuen kommunistischen Herrscher am lautesten willkommen heißen, dann fühlt man sich wie in einem Wong Kar-Wai Film. Die Bilder zucken in stakkatohafter Zeitlupe. Die Lichter verschwimmen, der Film verfällt in einen sanften „Flow“ – ein kontinuierlicher Fluss, eine Rastlosigkeit – genauso einem ständigen Weiterschreiten unterworfen wie Hongkong. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Veränderung und Wandel sind das einzig Kontinuierliche an der Schwelle nach China….
Hong Kong entwickelt selbst in Filmen einen ganz persönlichen, eigenwilligen Charme. Die bunte Neon-Welt, der Gestus eines „Supervergnügungspark für die Massen der Festlandbesucher, Eldorado für Zehntausende von legalen und illegalen Zuwanderern“, und Moloch und Metropolis zugleich.
Immer wieder blickt Lau Shing-hon aus der bunten Glitzerwelt zurück auf die Schattenseiten Hongkongs Geschichte, zeichnet historische Momente nach – mal als originales Material aus den Archiven der BBC. Mal als nachgedrehte Szenen, denn nicht immer war Material verfügbar, oder wurde die Benutzung verboten. Generell hatte Lau Shing-hon beim Dreh mit Problemen und Behinderung durch die Staatsmacht zu kämpfen. Die Arbeit am Film zog sich so über 5 Jahre hinweg, und selbst nach Fertigstellung lief der Film weder in den Kinos, noch auf dem Hongkong-Filmfestival. Das führte auch dazu, dass der Film anderen internationalen Festivals verborgen blieb. Umso schöner, dass Michael Kötz den Film für Mannheim-Heidelberg entdeckt hat. Und wie schreibt die Festival-Zeitung so treffend: „Dieser Film ist eigentlich Hochverrat - in den Augen der Zensoren vom chinesischen Festland und auch die ehemalige britische Kolonialmacht wird ihn nicht angenehm finden.“