Kitanos Regenschirme
#211
Geschrieben 03. April 2008, 23:17
Kawasaki wird von seinem Lehrer und Mentor, Professor Inagaki (Ichirô Sugai), in sein Sommerhaus am Meer eingeladen. Dort lernt er dessen Frau Sachiko kennen, die nicht nur viel jünger als ihr Ehemann ist, sondern auch noch Kawasakis verstorbener Frau sehr ähnlich sieht. Doch Kawasaki hält sich aus Respektsgründen mit seinen Gefühlen zurück. Als sie aber bei einem Ausflug von einem Unwetter überrascht werden, kommen sie sich nachts am Strand näher, und Kawasaki beichtet ihr seine Liebe. Sachiko, die an ihrer eigenen Liebe zu dem viel älteren Mann zweifelt, wird vor eine Prüfung gestellt. Am Ende gibt es, soviel sei verraten, Schmerzen und Tränen.
Schönes Charakterdrama mit relativ schrecklicher Musik; viel Harfeneinsatz. Ruhig erzählt, leichtfüßig, auf die kleinen Nuancen achtend. Die minimalen Verschiebungen im Gefüge, die ein Blick herstellen kann, der eine halbe Sekunde zu lange geht. Die plötzliche Freude, die mehr Emotionen verrät, als gestattet wäre. Die Hemmungen und die Wände, die die Konventionen zwischen den Menschen hochziehen. Schönheit und Schmerz liegen dicht beieinander, so auch die Filmkopie, die leider schon ziemlich durch war.
#212
Geschrieben 05. April 2008, 09:05
Billy Brown (Gallo) kommt nach 5 Jahren Haft aus dem Knast und muß mal wieder zu Hause vorbei. Seinen debilen, sozialgestörten Eltern (Ben Gazarra, Anjelica Huston) hat er verkauft, er sei für längere Zeit im Dienste der Regierung unterwegs. Um seine nichtexistente Ehefrau vorstellen zu können, kidnappt er eine etwas einfältige Tänzerin (Christina Ricci) mit großem Busen und großem Herzen. Diese verliebt sich in ihn, doch Billy ist zwischenmenschlich eher der Rüpel und erotisch ziemlich vertrocknet. Dabei möchte er nur eines: sich am Schuldigen rächen...
Was hier flapsig-ironisch formuliert wurde ist Ausdruck meiner Beschreibungsimpotenz. Der Film ist (zunächst) ein beinhartes Drama, eine one-man-show von Gallo. Die erste Szene, wie er verloren aus dem Gefängnis stolpert und in die triste, verregnete Welt zurückgerät, da ist sofort klar: hier kann man nicht von Ankommen sprechen. Ein unrasierter Hungerhaken in knallengen Hosen und roten Zipp-Stiefeletten - die Rolle hätte vielleicht noch zu Sean Penn gepaßt - auf der suche nach einer Toilette; doch überall wird er zurückgewiesen. Ein Mann unter Strom, der die Faust schon in der Hosentasche ballt. Visuell wird hier auch gleich klargemacht, daß man in der Tradition eines amerikanischen Independent-Kinos steht: grobkörnige Optik, extreme Nahaufnahmen, Unschärfen, sich überlagernde, gesplittete Screens, collagierte Filmbilder. Dann kommt die Ricci dazu mit ihrer Lolita-Erotik, die völlig absurde Szene bei seinen Eltern, die überall herrschende zwischenmenschliche Gewalt. Nur am Ende, da schlägt der Film einen Haken und unterläuft die Zuschauererwartung. Schön.
#213
Geschrieben 06. April 2008, 19:26
Macau: Vier Gangster lassen sich auf die halsbrecherische Aktion ein, den untergetauchten Freund nicht umzubringen und sich somit gegen die Triade zu stellen und sich dem Chef zu widersetzen.
Mein vierter To in Folge, was ich mir ja noch vor einem Jahr nie hätte vorstellen können. BREAKING NEWS hatte das Eis gebrochen, dann habe ich den schönen THROW DOWN gesehen, der Rest steht im Tagebuch.
Gelackter Film dennoch, weniger Nacht, weniger Schmutz. Dafür eindeutig mehr shoot-outs, mehr gestylte Action und: Humor. Und leider weniger Plot. Anthony Wong und Simon Yam brillieren, Lam Suet gefällt, wie alle anderen.
Nach den ELECTION-Teilen kommt also dieser sehr ordentliche und gestylte Actioner, dann: MAD DETECTIVE. Ich vermute ja, den finde ich am Gelungensten; auch wenn er ein wenig schräg ist.
#214
Geschrieben 09. April 2008, 08:53
Während das große chinesische Reich in einzelne Königreiche zerfällt und von außen bedroht wird, kommt es im innern zu Thronfolgequerelen, die nicht nur durch Mord gelöst werden, sondern auch im komplizierten System der Liebschaften seine Spuren hinterlassen.
Um genauer zu sein: das ist eine sehr deutliche Adaption von Shakespeares Hamlet, angewendet auf ein chinesisches Historien- und Kostümepos mit starken Martial Arts-Passagen. Die sind auch zunächst das tollste am Film: die erste große Kampfsequenz zeigt erstmal, wo hier der Hammer hängt: und da wird man mitgerissen in eine wunderschön grausame Welt aus Kampfballett und Todeskampf. Und auffällig wird direkt der nächste Unterschied zu Filmen wie etwa CURSE OF THE GOLDEN FLOWER: hier geht es viel brutaler zu. Hier fließt Blut, hier werden Menschen abgeschlachtet. Hier kommt der wichtigste Protagonist ins (Film-)Bild: es ist das Blut. Um dieses dreht sich im Film alles. Es wird regelrecht Gegenstand der Inszenierung, und verweist zudem auf die brutale Thronfolgeregelung. Nicht daß das etwas Besonderes wäre; aber unsereiner vergißt allzuleicht, daß es jenseits der Genealogie im (früh-)mittelalterlichen Europa üblich war, die Thronfolge mit der Ermordung des Königs anzutreten. Ungeachtet der Adelshierarchie oder seines familiären Verhältnisses zum Nachfolger.
Nun denn: die Personenkonstellation ist nicht die einfachste, und im Bereich Liebeswirren entfernt man sich dann doch von Shakespeare, was das ohnehin nicht einfache Beziehungssystem zusätzlich verkompliziert. Ob das nötig gewesen wäre? Immerhin gerät so Zhang Ziyi ins Zentrum, die zunächst unscheinbare Prinzessin, die aber heimtückisch Lady Macbeth-esk die Fäden zieht. Eine wunderbare Massageszene wird uns gegönnt: Frau Ziyis Rücken und Hintern in honiggelbem Licht.
Noch ein Wort zur Bildgestaltung: die ist opulent, die Bilder sind sehr voll und sehr rot zeitweise, aber immer symmetrisch strukturiert. Häufig fängt Xiaogang zwei Handlungslinien in einem Bild ein. Ansonsten wird hier meist mit epischer Wucht inszeniert. Die epische Spiellänge allerdings gestattet es dem Regisseur sich auch auf das Personal zu konzentrieren, sodaß durchaus genaue Charakterzeichnungen entstehen.
Allerdings scheint der Film öfter mal überlang, und irgendwann auch etwas zäh. Man braucht Sitzfleisch, Konzentration, sollte das Mitdenken nicht aufgeben. Der Film ist deutlich komplexer als CURSE OF THE GOLDEN FLOWER oder auch HOUSE OF THE FLYING DAGGERS. Aber das schadet ja nicht. Eine zweite Sichtung ist angeraten, auch, um nochmal verstärkter auf die virtuose Regie zu achten, die sich auch schon in Xiaogangs WORLD WITHOUT THIEVES zeigte. Wer mit Königsdramen kann, sollte hier zugreifen.
#215
Geschrieben 11. April 2008, 10:18
Das kleine Städtchen Boshu in der Präfektur Chiba ist schockiert: der Geschäftsmann Maeda hat sich das Leben genommen nachdem seine Bohrungen nach Erdgas erfolglos blieben. Die Einwohner allerdings schieben die Schuld auf Fumiko (Yoko Minakaze), die seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Von allen krumm angeblickt und von den eigenen Eltern gerügt, zieht sie sich mit ihren beiden Freundinnen, ebenfalls Außenseiterinnen, oft an den Strand zurück um zu spazieren oder die Zeit totzuschlagen. Dort trifft sie auf die ehemaligen Erdgasarbeiter, welche in äußerster Armut mit einem alten kranken Hahn in einer Hütte hausen. Die Arbeiter aber haben ein großes Herz und kümmern sich rührend um sie.
Nun ändert sich der Ton des Films: von dem ernsten Drama schwenkt er in eine leichte Komödie. Fumiko nämlich hatte sich mit ihren unglücklichen Freundinnen einen Termin zum gemeinsamen Selbstmord gesetzt. Und dieser Tag rückt näher. Als plötzlich ein zwielichtiger Geologe namens Kurama auftaucht, der eigentlich auf der Flucht vor der Polizei ist, und der sowohl Fumiko als auch die Arbeiter täuschen will, muß sich der Zusammenhalt der neuen Freunde beweisen. Doch Kurama ist ein liebenswerter Trottel, der immer nur von einer Ecke in die andere rennt, und niemandem wirklich etwas zuleide tun kann. Am Ende geht alles gut aus und der Hahn kräht wieder, denn er ist gesundet.
Eine schöne Geschichte aus den 50ern, die mit ihren zwei Stunden Laufzeit leider einige Längen hat. Das liegt weniger daran, daß die Handlung einbricht, sondern eher, daß relativ viele Erzählstränge miteinander verknüpft werden. Eben auch ein wenig die Geschichte der Eltern in ihrem Uhrenladen erzählt wird, oder die einer dazukommenden Tante. Die langen ruhigen und gemächlichen Passagen werden aber immer wieder mit humorigen Szenen unterfüttert, sodaß es einem ungefähr wie nach einem zu lang geratenen Kaffeetrinken und Kuchenessen geht: es war lecker und hat Spaß gemacht, man hätte auch ein wenig weinen können und aus dem Fenster schauen, aber etwas abgekürzt hätte es auch nicht geschadet. Für Sonntagnachmittags, und das ist nicht abwertend gemeint. Hier kann man sich Zeit lassen, muß man sie sich nehmen.
#216
Geschrieben 15. April 2008, 23:51
There Will be Blood ist ein reduziertes und entfärbtes Stück Staub und eine Eruption tiefschwarzen Drecks zugleich. Karg, brutal, menschenfeindlich mit einem epischen Atem und einer biblischen Unausweichlichkeit, die Angst macht. Sehr langer Film, was aber nicht ein einziges mal zu spüren ist. Toll ausbalanciert und ein Glücksfall wohl aus guter literarischer Vorlage, ebensolchem Regisseur, und einem Duell zweier Schauspieler, die sich beide in nichts nachstehen.
Memento von Herrn Nolan zum zweiten, nach Jahren. Und ich erinnere noch gut die langen Gespräche nach dem Kinobesuch. Und jetzt wieder dasselbe. Besonders schön habe ich empfunden, wie zwei der drei Erzählebenen zusammenfinden, die s/w-gehaltene Vergangenheit in die aktuelle Erzählung übergleitet. Das Polaroid des erwürgten Dealers belichtet sich, und mit zunehmendem Bildinhalt, färbt sich das tatsächliche Filmbild (zunächst der Hintergrund). Die Konstruktion kommt im Jetzt an. Aber auch Unklares bleibt; etwa die Inkonsistenz in der zeitlichen Länge des Erinnerbaren in Lennys Gedächtnis. In einem Fall vergißt er ruckzuck, im anderen fährt er noch mit dem Auto zum Ziel. Oder der Filmbeginn, wo in der allerersten Sequenz tatsächlich die Ereignisse rückwärts laufen, in sonstigen Film bleiben aber alle Sequenzen dem normalen zeitlichen Ablauf verpflichtet. Das sich auflösende Polaroid (da rückwärts erzählt) ist zwar eine schöne Metapher für die verblassende Erinnerung, funktioniert jedoch nur als isoliertes Bild. Innerhalb des Kontextes ist es ja ein entstehendes Bild, nur auf reverse. Nun denn, hier sollte man mal was zu lesen, da könnte man sich viel Arbeit sparen.
#217
Geschrieben 19. April 2008, 17:14
"Maybe, I'll awake in your dreams, daddy..." Diese metapoetische Zeile, die fast ganz am Ende des Films von Jeliza-Rose gesprochen wird, kann in der Retrospektion als Motto für den ganzen Film stehen. Denn wir, die Zuschauer, treten ebenso in einen Traum ein: in Jelizas. Oder zumindest in so etwas ähnliches. Denn in diesem Film wird die Grenze zwischen Realität und Traum aufgehoben. Das Leben kann zu einem Trauma werden, zur permanenten Flucht vor der Realität; vor allem, wenn man im Absurden zuhause ist. TIDELAND ist ein Familienfilm, natürlich einer, über die gescheiterte Familie. Und zugleich ist er eine Groteske, erzählt durch die Augen der Jeliza-Rose, der Tochter der beiden heroinabhängigen Eltern, die dann auch nicht mehr lange zu leben haben. Die aber auch nicht gehen dürfen; denn Kinder brauchen ihre Eltern, zur Not auch als konservierte Mumie. Und der Zuschauer wird mitgenommen durch die oftmals subjektive Kamera, durch die gekippten Kamerawinkel, hinein in eine fantastische Märchenwelt, die sich im Kopf des Mädchens und in der grotesken Realität der ländlichen Farm abspielt. An einem Rückzugsort für die Freaks und die Kranken also, all die liebenswerten Menschen, die es verstehen, in mehreren Welten gleichzeitig zu leben. Und die Realität kommt zurück am Ende als Versuchung: der angebotene Apfel. Und das letzte Filmbild sind die Augen Jelizas, durch die wir den Film gesehen haben, nun gefüllt mit Tränen, da diese Geschichte, dieses Märchen zu Ende ist. Und ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen werden wird. Die Rückkehr in die Welt der normalen Irren.
Bearbeitet von deadpointer, 19. April 2008, 17:16.
#218
Geschrieben 20. April 2008, 10:00
Der Film beginnt wie die Nahaufnahme eines Jackson Pollock-Bildes. Ein Schwenk durch weiße Farbflächen, durch die sich rote Schlieren ziehen. Plötzlich kommt ein Kopf ins Bild, der im Bild selbst liegt. Und dann wid klar, woher das Rot kommt. Es ist Schramms Blut, das aus seiner gebrochenen Nase läuft. Nun sieht man: Er ist gerade von der Leiter gestürzt, hat den Farbeimer umgerissen. Offensichtlich hat er gerade die Wohnung gestrichen. Warum er diese streicht, das wird erst später klar. Denn Buttgereits Film ist elliptisch organisiert, die Zeitstruktur ist aufgebrochen. Doch nach und nach setzen sich die Bilder zusammen zu den letzten Tagen des Schramm, eines Serienkillers. Schramm ist kein Monster, sondern ein Mensch; aber einer, der eben auch ein Killer ist. Und daß es dafür keine Erklärung gibt, ist das eigentlich Unheimliche an diesem Film. Es gibt nur Andeutungen die Vermutungen füttern: ein Marathonläufer mit jetzt steifem Bein, eine Kindheit und Urlaub am Meer mit Super 8 gefilmt, Einsamkeit und vor allem: Unklarheit. Es wird eben keine Erklärung gegeben. Die Nähe zur Prostituierten ist noch das Schönste in Nachbars Alltag, eines Taxifahrers. Die rohen Szenen sind allerdings sehr deutlich. Da hatten die Filmemacher wohl ihren Spaß. Und das Publikum ist geschockt. Und am Ende hat sich das Bild vom Serienkiller etwas geformt, etwa so, wie wenn man sich auf die Bilder Pollocks einläßt. Erklärt wird da nichts, denn das ist Kunst - nur weil die Mittel beschränkt sind disqualifiziert das nicht den Film. Mit Trash hat das eigentlich nichts zu tun.
Bearbeitet von deadpointer, 20. April 2008, 10:02.
#219
Geschrieben 21. April 2008, 12:46
Ein sehr schmackhafter Italo-Western, der sich ausgiebig beim Frauenlagerfilm und beim japanischen Samuraifilm, genauer: der Zatoichi-Serie, bedient. Zudem ist der Film liebevoll ausgestattet, mit toller Musik begleitet und bietet lots of Tote und nackte Brüste, kreischende Frauen, blonde Arierinnen und lumpige Drecksäcke, die vor allem schwitzen und stinken. Die Hatz der fliehenden Frauen (die in diesem Film ausschließlich "Weiber" heißen und so etwas wie Goldbarren mit zusätzlich Sex symbolisieren) durch die heiße Wüste unter gleißender Sonne ist fulminant: da wird erschossen wie auf der Treibjagd, die Fetzen heruntergerissen, vergewaltigt und von männlicher Seite herumgeschrieen, getobt, und ordentlich gelacht. Das Maul immer weit aufreißen, bitte. Und dabei nicht ohne Humor.
#220
Geschrieben 24. April 2008, 21:37
Manche Filme begeistern mich, dieser sogar, obwohl ich sehr gut zu ihm schlafen kann. Immer wenn ich wieder aufwache, sehe ich etwas Tolles. Etwa das Essen bei den Schwiegereltern. Diese ständige Nacht, die Gebäude, der Sound. Die Kraft, die in den Bildern steckt. Da kann man sich den Mund fusselig drüber reden, wie man an so einen Film rangeht. Ich lehne mich lieber zurück, schau ihn noch zwanzig mal, und... schau ihn einfach an. Irgendwie entdecke ich ständig was von mir selbst darin. In diesem linkischen Henry.
#221
Geschrieben 26. April 2008, 16:43
Sehr unterhaltsamer und leicht hysterischer Film, der seine Qualitäten weniger in einem ausgeklügelten Plot als in der Leinwandpräsenz der Darsteller findet. Da sei stellvertretend die kreischende und zurückgebliebene Mutter erwähnt, die im Babylaufstall ständig nach Eiern und ihrem heißgeliebten "Eggman" schreit, der semi-debile Bruder, der eine unglaubliche Sex-/Vergewaltigungsszene mit zwei Hühnern zu gestalten weiß, und eine sehr deutliche Anusszene. Sogar visionäre Kraft entfaltet der Film in Form der gekidnappten Anhalterinnen, die im Keller gefangen gehalten werden zum Lustspiele, sowie zur Produktion von Babys, die wiederum an Lesbenpaare verhökert werden. Über all dem Chaos steht breitbeinig Divine mit dem Charme eines Tangotänzers und Transenpanzers und bekämpft die unglaublich hotteste Frau des Universums: Mink Stole. The filthiest girls on earth: es kann nur eine geben. Erfrischend, in seiner Art.
Bearbeitet von Bastro, 26. April 2008, 16:43.
#222
Geschrieben 28. April 2008, 10:19
Ein königlicher Gesandter wird von einer Diebesbande gekidnappt um einen der ihren freizupressen. Anstelle des Unterhändlers kommt aber Golden Swallow (Cheng Pei Pei), die mit ihren ballettartigen Kampfkünsten erstmal einige Bösewichte ins Nirwana befördert. Sehr schön ist die Wirtshausszene, die vermutlich wieder mal von Quentin Tarantino gebla bla blat wurde. Unterstützung bekommt sie später von Drunken Cat, einem Bettler, der aber natürlich ein ausgekochter expert Swordsman ist. Dieser hat zwei schöne Gesangs- und Tanz-Szenen mit einem Kinderchor, die die Herzen der Zuhörer erweichen und deren Geldbörse öffnen sollen. Die im Studio gedrehten Außenaufnahmen entbehren nicht einer hübschen Plastikoptik, die in starkem Kontrast zu wirklich fulminanten Panoramaaufnahmen stehen, die den Hintergrund für einige Kampfgemetzel bilden. Da ist der Film dann auch explizit mit Thoraxdurchstoßungen und Handabhacken. Die Kamera bleibt aber relativ statisch, sodaß ein richtiger Wirbelwind der Körper im Kampfgetümmel nicht entsteht. Ich habe den Film überhaupt als ruhig und beinah kontemplativ -für dieses Genre- empfunden. Das Lächeln der Cheng Pei Pei genügt an Aufregung für ein Männerherz, möchte ich meinen.
#223
Geschrieben 29. April 2008, 10:20
Juno ist bei einer Versicherung als Gutachter angestellt und soll eventuelle Versicherungsbetrüger entlarven. Als er zu einem halb verfallenen Haus gerufen wird, ahnt er zunächst nichts schlimmes, doch entdeckt er dort ein möglicherweise gewaltsam begangenes Verbrechen. Der dubiose Vater der Familie scheint es auf die Versicherungssumme abgesehen zu haben und als diese schließlich ausbezahlt wird, könnte er den Fall eigentlich ruhen lassen. Doch Juno vermutet im Vater einen Mörder, und will unbedingt hinter das Geheimnis kommen. Nicht zuletzt deshalb, da er selbst schon von diesem Mann, den er für einen Psychopathen hält, mehrfach bedroht wurde, da die Auszahlung der Summe etwas gedauert hatte.
Zunächst ist auffällig, wie sehr hier die geordneten Lebensumstände Junos eine Entsprechung in der Bildgestaltung finden: stets werden streng geradlinige geometrische Gegenstände im Bild mit dem Protagonisten eingefangen. Etwa auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz fällt der Blick aus dem Auto heraus auf das Bürogebäude und die strenge Architektur der Parallelität der Geschosse und Fensterreihen. Schnitt an seinen Arbeitsplatz: einzelne Bürocubes in einem Großraumbüro, abgetrennt durch rechteckige Stellwände. Schnitt zu ihm am Schreibtisch sitzend, im Hintergrund links ein File-container mit den geraden Schubladen und dazu die abschließend waagerechte Horizonntlinie der Stellwand. Schnitt auf sein Bücherregal, natürlich wieder waagerecht das Bord und senkrecht die Bücher. Direkt danach die Ankunft zuhause und wie er zur Tür hereinkommt: die Kamera schießt von hinten durch das Bücherregal durch (von der gegenüberliegenden Wand). Juno erscheint also wieder in einem streng strukturierten Bild, fast wie in einem Fadenkreuz. Das Handy legt er genau neben das seiner Freundin; er beginnt zu kochen und mit dem Messer schneidet er geübt und genau im rechten Winkel auf dem weißen Brettchen das Gemüse in parallele Streifen. Als er von einer Möhre nascht (und also gegen die Ordnung verstößt) umarmt ihn urplötzlich die Freundin von hinten, die aufgewacht war (der Zuschauer konnte sie auch nicht kommen sehen, und ist genauso überrascht wie Juno).
Als er dann den Auftrag bekommt, sich den neuen Klienten und dessen Objekt in einem gammeligen Vorort anzuschauen – bisher hatte man sich im gelackten koreanische Hightech der Stahl – und Glasarchitektur aufgehalten –, wird er nach dem Weg fragend von einer alten Frau zum Haus über (!) die Eisenbahnschienen hinweg geschickt (er kreuzt also die geradlinigen Schienenstränge), er überschreitet eine Schwelle. Die Dame warnt ihn noch, die Schranke (eine schutzgebende Sicherung für den Fußgänger) sei kaputt, und diese hängt dann tatsächlich schief in der Angel. Zudem ist plötzlich das Wetter verregnet, wo es eben nur bewölkt war. Die Holzbohlen, über die er schreiten wird, sind naß, wohingegen der Weg bisher trocken aussah. Bezeichnenderweise läuft er dann auch nicht um die herabhängende Schranke herum, sondern steigt ungelenk über sie hinüber, nicht ohne sich zwei Schritte später nochmal fassungslos und verwundert nach ihr umzusehen. Der sich anschließende Weg ist schmutzig und voller Pfützen und geht bergauf.
Wenn das keine schlechten Vorzeichen sind! Es steht zu vermuten, daß die geordnete Welt des Versicherungsangestellten Juno ausgehebelt werden wird, eben aus den wohlgeordneten Fugen gerät. Hier also ein kleines Beispiel, wie fein in diesem Film Inhalt und Form verschränkt sind.
Leider bröselt der Film in der zweiten Hälfte ziemlich auseinander. Er entwickelt sich von einem Thriller zu einem Slasher, und das, obwohl ein stimmungsvoller Geisterhausgrusler zu erwarten wäre. Zugegeben – er wird unglaublich spannend, findet aber seinen Höhepunkt in einer unmotivierten Slaughterhouse-Szene, die mich vom Look an den Keller in SAW erinnert (gähn). Es wird also munter geklaut. Man lass die Hoffnung auf Qualität fahren und setze also auf den puren Thrill, und das Adrenalin kommt. Ganz sicher. Aber wenn der Film dann nicht enden will und noch eine Wendung und noch ein Twist kommt, dann macht sich trotz der ständigen Spannung ein Genervtsein breit. Spannung ist halt auch nicht alles.
Unterm Strich also bleibt: eine sehr gute erste Hälfte, und eine sehr spannende zweite, die den Film aber leider ungewollt bagatellisiert. Da sich der Film fortan einem aktuellen Slashergehabe andient und dadurch redundant wird, ist man schlußendlich etwas enttäuscht. Man fragt sich, warum er nicht mehr seiner Atmosphäre vertraut, anstatt auf handelsübliche Gewalt zu setzen. Schade, dennoch nett anzusehen.
#224
Geschrieben 05. Mai 2008, 15:43
Als eine Bande Revolverhelden einen Saloon überfallen und aus reiner Triggerhappiness zwei unschuldige Anwesende niederknallen, worauf zwei der Banditen auf der Flucht ebenfalls ihr Leben lassen müssen, knastet der diensteifrige Sheriff den Gauner Chester Conway (Kinski) ein. Dieser jedoch beteuert seine Unschuld. Vor seinem Fenster aus Gitterstäben wird bereits der Galgen aufgebaut. Zur selben Zeit allerdings wurde eine mexikanische Schönheit von einem Unbekannten erdrosselt und erstochen – und die Eltern legen Mr. Silver (Gianni Garko) 1000 Dollar auf den Tisch, auf daß er den Mörder finde und die Tochter räche. Der lehnt aber zunächst ab. Nicht jedoch das Angebot des Verteidigers Conways, der von dessen Unschuld überzeugt ist und endlich mal dem korrupten Richter die Stirn bieten will. Daß er dabei einen Teufel verteidigt, weiß er; aber es geht um’s Prinzip.
Nachdem der Film bockstark beginnt – die Ermordung der Mexikanerin gefilmt aus der konsequent subjektiven Sicht des Täters – also des Zuschauers, flacht der Film erstmal enorm ab. Nach einer halben Stunde aber fängt er sich als endlich Mr. Silver die Zügel in die Hand nimmt, und als Detektiv auftritt. Mit Hilfe des Anwalts werden Indizien gesammelt, Tathergänge konstruiert, usw., sodaß der Western beinahe den Charakter eines Whodunit bekommt („Spaghetti Western Murder Mystery“, IMDb). Und intelligenterweise schlägt der Plot dann seine Haken - mehr Haken, als man ihm zugetraut hätte. Und unterhält famos. Kinskis kurze Auftritte sind fast zu vernachlässigen – er gibt halt mal wieder das Raubtier und seine Fresse ziert das Cover. Nun gut, wer’s braucht. Der Star des Films ist jedoch ohne Zweifel Garko, der hier sehr elegant den Leichenberg anhäuft und die angebotenen Dienste der begehrenswertesten Dame des Ortes mit einem Lächeln abschlägt, obwohl die bereits das Bustier aufknöpft.
#225
Geschrieben 07. Mai 2008, 10:42
Im Frühjahr '98 war ich drei Wochen auf Tasmanien unterwegs und kaufte mir eines Tags die Tageszeitung, die einen riesigen Aufmacher auf der ersten Seite hatte, daß Mark "Chopper" Read, vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen, nun sich auf Tassie aufhalten würde um sich hier niederzulassen und weiter an seiner Schriftstellerkarriere zu arbeiten. Nun, dachte ich mir, das paßt ja. Abends dann, nachdem ich das Zelt auf einem dieser schönen freien Campsites aufgeschlagen hatte, kam mein Zelt-Nachbar, der einzige außer mir auf dem Platz, aus dem Gebüsch, grüßte lässig mit herber Stimme und setzte sich auf einen Stamm um zu schnitzen. Dazu holte er ein riesiges Messer heraus. Urgs.
Beim zweiten Blick durchfuhr es mich: ein rötlicher Typ, blond-braune Haare, Muskeln ohne Ende und überall Tattoos. Urgs. Neben mir sitzt der Chopper! Das kann ja eine unruhige Nacht werden...
Wurde sie auch, nachdem ich ständig von kreischenden und fauchenden Geräuschen belästigt wurde: die Tasmanian Devils hatten sich über den draußen gelassenen Müllbeutel hergemacht.
Am nächsten Morgen war mein Nachbar verschwunden, und ich am Leben. Uff.
Ach, den Film liebe ich natürlich.
Bearbeitet von Bastro, 07. Mai 2008, 10:43.
#226
Geschrieben 09. Mai 2008, 09:39
Bubby ist mittlerweile 34, doch er hat noch nie das Tageslicht gesehen. Seine fette, tyrannisch-debile Mutter hat ihn seit der Geburt in einem Kellerraum eingesperrt und ihn täglich sexuell mißbraucht. Im Raum gibt es buchstäblich nichts: nur eine rudimentäre Kochstelle, ein Bett, einen Tisch, zwei Stühle. Und eine Kiste mit Gitter, in der Bubby seine Katze hält, mit der er alles das macht, was seine Mutter mit ihm macht. Bubby kann nicht richtig sprechen und hat das Gemüt eines Kindes. Eines eingeschüchterten, bestraften, gepeinigten und mißbrauchten. Er denkt, er könne nicht hinaus, da ihm die Mutter vorlügt, draußen sei alles vergiftet mit tödlichem Gas; weshalb sie immer eine Gasmaske aufsetzt, wenn sie den Keller verläßt, und eine auf hat, wenn sie hereinkommt. Eines Tags kommt der alkoholabhängige Vater zurück und kommt hinter das Geheimnis...
Was zunächst aussieht wie eine visionäre filmische Vorwegnahme von Amsdetten und in realistischen Verstörungsbildern gezeigt wird, etwa die zunehmende Verwahrlosung, die Akte des sexuellen Mißbrauchs durch die Mutter, usw., erfährt in der zweiten Hälfte des Films eine totale Wandlung; inhaltlich hin zu einer mythisch-moralischen Heilsbringerparabel (der kindliche Bubby, der allen den Spiegel vorhält in seiner unverbrauchten Naivität und zudem die Zungenreden der Spastiker zu übersetzen weiß) und bildästhetisch zu einer künstlerischen-poetischen Verklärung und Romantisierung (Parkplätze im Abendlicht, Auftritte mit der Wave-Band (Bubby als Skandal-Ian-Curtis), Weichzeichnersex mit der Blondine).
Zwei Filme in einem also, und man steht ratlos davor, was das eigentlich soll. Schwierig auch deshalb, weil beide für sich eigentlich hätten gut werden können. Schade.
#227
Geschrieben 10. Mai 2008, 09:00
...denn sie wissen nicht was sie tun, diese drei Mädels. Sich mit Machos auf ein Autorennen einlassen! Auf einer schmalen Brücke werden sie abgedrängt, brechen durch das Geländer und stürzen in den Fluß. Die Suche der Rettungsmannschaft bleibt erfolglos, doch plötzlich kehrt eine der Frauen, Mary, wieder. Und Mary ist nicht mehr die Kirchenorganistin, die sie einmal war. Aber das zeigt sich erst im Laufe dieses gelungen und äußerst atmosphärischen Untotenfilms. Der Film ist von einer sympathischen Einfachheit und kommt ohne Spezialeffekte und Brimborium aus. Marys aufgerissene Augen, die Bilder der Rummelplatzes, auf den der englische Originaltitel verweist, und die des unheimlich auftauchenden Mannes sind so stark, daß sie einem lange im Gedächtnis bleiben.
#228
Geschrieben 13. Mai 2008, 20:01
Ein älterer, erfolgreicher Geschäftsmann verliebt sich in die Cousine seiner sehr jungen Frau. Diese allerdings ertappt die beiden zufällig auf dem Bahnhof, und beschließt, nichts zu sagen. Die zunehmende zwischenmenschliche Vergletscherung nimmt belastende Formen an, als die beiden Lovebirds beschließen, niemandem etwas zu sagen, den Status Quo aber zu belassen. Die Unmöglichkeit der Situation führt zwangsläufig in die (sehr japanische) Katastrophe.
Goshos Adaption der Erzählung "Das Jagdgewehr" von Yasushi Inoue ist schlicht - ich gebrauche das Wort zum ersten mal in meinem Tagebuch - ein Meisterwerk. Schauspieler, Bildgestaltung, Farben, Musik, Spannungsbogen und Narration sind umwerfend. Eine ungemein feinsinnige Darstellung einer menschlichen Tragödie. Ob das an der Vorlage liegt? - die hat sicher ihren Anteil am gelungenen Film.
#229
Geschrieben 17. Mai 2008, 09:07
Käferhorror. Paranoiakino. Zwei Dinge, die ich schon mal prinzipiell gut finde. All die negativen und enttäuschten Kritiken konnten mich dann doch nicht allzu lange vom Film fernhalten. Zum Glück, muß ich sagen. Der Film ist schön stringent aufgebaut, mit stetig zunehmender räumlicher Einengung, die die mentale Entwicklung, also die anwachsende Paranoia der Charaktere wiederspiegelt. Die auftretenden Darsteller reduzieren sich stetig im Verlauf des Films, sodaß man sich bald in einem Kammerspiel wähnt, die Bildgestaltung wird immer undefinierter, das Licht und die Farben wechseln von sattem Gelb/Braun zu metallisch monochrom. Letztenendes zeigt Friedkin die tragische Liebesgeschichte einer Säuferin und eines Psychotikers, die beide ein großes Herz haben. Menschen, die so verzweifelt sind unter der Oberfläche, daß sie für eine letzte Liebe richtig viel in die Waagschale werfen. Man muß sich die Toten als glückliches Liebespaar vorstellen.
Bearbeitet von Bastro, 17. Mai 2008, 11:40.
#230
Geschrieben 17. Mai 2008, 21:52
Die Weite der Bilder, die hypnotisch langsamen Kamerafahrten, die reduzierte Klaviermusik von Arvo Pärt. Mehr muß man nicht sagen zu dieser Geschichte aus Americana, Schönheit und Tod. Die Fliegen setzen sich auf die Zunge, weil einem der Mund offensteht vor so viel ungezwungener Erhabenheit. Und wenn die Wolken sich beschleunigen, dann bleibt einem das Herz stehen. Zum Niederknien.
#231
Geschrieben 18. Mai 2008, 14:34
Rabbi Löw erkennt am Sternenbild, daß die Situation für die Juden im Prager Ghetto nicht zum Besten steht. Der Kaiser will diese nämlich per Dekret ausweisen. Durch eine Geisterbeschwörung erweckt er einen riesigen Klumpen Lehm zu leben, den Golem. Dieser rettet bei einer Audienz dem Kaiser das Leben, als der Palast einzustürzen droht. So ist der Kaiserr besänftigt, und widerruft seinen Erlaß. Zu den Irrungen und Wirrungen gesellt sich noch eine Liebesgeschichte mit Löws Tochter Mirjam und dessen Famulus, sowie des Junkers des Kaisers. Auch der Golem entwickelt zunehmend menschliche Gefühle, je länger er unter diesen weilt. Mit seiner großen Kraft allerdings richtet er auch so manches Unheil an und wehrt sich gegen ein Abschalten, da er begonnen hat, eigenständig zu denken. Erst ein kleines Mädchen kann ihm den Davidstern von der Brust nehmen und so den Zauber aufheben.
Ein fulminanter Stummfilm- und früher Horrorklassiker, der aufwändig restauriert in viragiertem Glanz erstrahlt. Die neu eingespielte Musik vom Ensemble A. Zimmermann tut ihr übriges, um aus diesem Film einen Genuß zu machen. Die verwinkelten Bauten des Ghettos sind sehr beeindruckend, ebenso die teuflisch gruslige Geisterbeschwörungsszene. Das haut einen auch heute noch aus dem Sessel. Ein echtes Filmerlebnis, das einem auch zeigt, wie schön es sein kann, nicht auf allen Ebenen zugeballert zu werden. Wenn Platz bleibt, wenn Atmosphäre genutzt wird, wenn der Zuschauer eine Eigenleistung erbringen muß.
#232
Geschrieben 20. Mai 2008, 10:07
So schön kann Expressionismus sein! Die Konstruktion der Stadt, der Häuser, der Fenster ist einmalig. Dagegen wirkt das geordnete Irrenhaus direkt lapidar, oder eben: normal. Toll ist ja auch die Konstruktion mit der Rahmenerzählung, denn die Geschichte wird ja von einem Insassen erzählt, was die gesamte Erzählung noch weiter aus einer wohlgeordneten Rezipienten-Bürgerlichkeit herausreißt, als es die Binnenerzählung eh schon tut. Der Rezipient steht hier einer wahrhaft wahnhaften, gewalttätigen, schockierenden Welt gegenüber. Und muß sich umso bedrohter fühlen, da jedes Heil, das die Geschichte andeuten könnte, durch den Kontext des Irrenhauses zerschlagen wird. Das ist eine fremde und bedrohliche Welt, Bourgeois! Im Vergleich zum GOLEM finde ich diesen Film aber etwas schwächer was den Gebrauch der Texttafeln angeht (die allerdings sehr schön gestaltet sind). Im CALIGARI muß viel mehr über die Schrift erklärt werden. Der GOLEM vertraut da mehr auf seine Bilder; dessen Handlung aber auch weniger komplex ist. Dennoch ganz klar: Pflichtfilm, und zwar ein einmaliger.
Bearbeitet von Bastro, 20. Mai 2008, 10:18.
#233
Geschrieben 22. Mai 2008, 08:51
Wenn Boris Karloff zum ersten Mal zur Tür hereintritt, rückwärts (!) wohlgemerkt, sich dann langsam umdreht und sein Gesicht in der Nahaufnahme den Bildschirm ausfüllt, dann ist das jedesmal wie eine Erweckung. Diese Bilder finde ich so beeindruckend, daß ich den Film einfach nur anbeten kann. Auch sehr schön ist, daß der Vater immerzu darauf dringt, der verrückte Wissenschaftler soll doch endlich diesen Quatsch lassen und sich den wichtigen Dingen im Leben zuwenden: nämlich zu heiraten. Was ist denn das für eine Einstellung, mein Herr!
#234
Geschrieben 25. Mai 2008, 18:32
Ein alternder Fischer zieht ein Mädchen auf, in der Absicht sie zu ihrem 18. Geburtstag zur Frau zu nehmen. Vom Vater zum Geliebten, um genau zu sein. Just wenige Wochen vor dem erwarteten Termin bricht eine neue Kraft herein, nämlich die Liebe: ein Junge aus Seoul begleitet einige Kumpel auf das Boot des Fischers um zu angeln, und nur wenige Blicke genügen, um ein zartes Pflänzchen sprossen zu lassen. Der alte Fischer ist jedoch gar nicht erfreut über die Entwicklung, und schießt mit Pfeilen auf die Eindringlinge. Dennoch ist die Katastrophe im Anmarsch, denn das Mädchen ist sich nun ihrer eigenen Bedürfnisse bewußt geworden.
Liebe und Tod, archaische Gewalt, Gewalt und Prophetie, und nun auch: Kindesmißbrauch. Ein neuer Aspekt im wieder einmal fast stummen Kosmos Kims. Wie in Frühling,... kommt die den Mikrokosmos bedrohende Kraft von außen, von der Stadt. Hier aber ist es eine nur scheinbare Idylle, die gestört wird. Denn das Mädchen ist nicht nur Kind, sondern auch Opfer. Sie ist es gewohnt, in erzwungener Harmonie zu leben. Die Gewohnheit an den autoritären Peiniger will es, daß sie ihn akzeptiert. Sie allerdings, eben noch ein Kind, darf dann einen Akt der Nächstenliebe ausführen - etwas, wozu ihr mehr als erwachsener Gatte niemals in der Lage wäre. Und auch so geraten die Machtverhältnisse ins Wanken. Einzig die zuckrige Musik stört bei dieser Variation altbekannter Kim'scher Topoi. Wen das nicht stört, bekommt das, was er erwartet.
#235
Geschrieben 28. Mai 2008, 09:44
Ku Shen Chai hat es nicht leicht: ständig liegt ihm seine Mutter in den Ohren, er solle doch endlich mehr aus seinem Leben machen, als Portraits zu zeichnen und Schriftrollen zu kopieren. Zu allem Unglück verliebt er sich noch in seine neue Nachbarin Miss Yang, die aber nicht diejenige ist, die sie zu sein vorgibt. Als Regierungstruppen ins Dorf kommen wird schnell klar, daß hier ein paar sympathische Menschen, die einen Unterschlupf gesucht hatten, von den Schergen gejagt werden, und das zu Unrecht natürlich. Da kann Ku Shen Chai selbstredend nicht nur zusehen, sondern kämpft sich mit der Geliebten und seinem enormen grinsenden Gebiss durch so manches Abenteuer, bis sie schließlich Unterstützung von zenbuddhistischen Mönchen erhalten.
Abenteuer-, Martial-Arts-, Komödien- und religiöse Erweckungsgeschichte in einem, garniert mit wirklich außerordentlichen Landschaftsaufnahmen. Da schlägt das Wuxia-Herz höher, sind doch auch die Kampfszenen erlesen choreographiert. Weg von realen Kampfstilen hin zu schaustellerischem Ballett, inklusive des Kampfes im Bambuswald und Angriff der Kamikazekämpferin, die sich im Baumwipfel abstößt und mit ausgestrecktem Schwert nach unten gen Feind saust. Wessen Herz würde da nicht Miss Yang zufliegen! Die epische Qualität des Filmes wird noch durch die sehr lange Laufzeit von beinahe drei Stunden unterstrichen. Durch die relativ klare Strukturierung des Filmes läßt sich zwischendurch aber immer sehr gut frischer Proviant aus dem Kühlschrank holen.
#236
Geschrieben 28. Mai 2008, 23:50
Unter heftigen Stromstößen verwandelt sich Masaru Daisatou in den Superhelden Dai Nipponjin, den ‚großen Japaner’. Dieser wird per Handy immer dann gerufen, wenn wieder mal ein neues Riesenmonster auftaucht. Schnell elektrisiert, wird aus dem Normalo eben der Superheld, und der Kampf kann beginnen. Allerdings läuft das alles nicht mehr so gut…
Die Einschaltquoten haben sich verschlechtert, und seine Agentin hat sich bereits Maßnahmen zur finanziellen Rettung überlegt: Werbung auf dem Körper etwa. Auch das häusliche Leben leidet gewaltig im normalen Leben: die Frau mitsamt der Tochter ist weg, und die Nachbarsjungen werfen abends Steine durch das Fenster. Man hat es nicht leicht als Superheld.
Diese Mixtur aus Superhelden- und Monsterfilm ist besonders wegen eines stilistischen Kniffs gelungen: der Film wird als quasi-Dokumentation verkauft, gefilmt mit der Handkamera. Masaru wird also ständig interviewt, mit der Kamera begleitet, und so werden einige desillusionierende Peinlichkeiten festgehalten. Zugleich werden so natürlich dem Humor die Tore geöffnet, ebenso der Gesellschaftskritik. Das Ende hält noch ein besonderes Schmankerl bereit – unbedingt ansehen!
#237
Geschrieben 31. Mai 2008, 12:48
Shurayuki wird zum Tode verurteilt, doch auf dem Weg zum Galgen von der Geheimpolizei entführt. Für diese sauberen Herren soll sie eine anarchistische Organisation ausspionieren, deren Kopf ein Revolutionär und Schriftsteller ist. Bald aber wechselt Yuki die Seiten, denn die Machthaber wenden sehr unmenschliche Methoden an (zum Beispiel injizieren sie Pestspritzen) um ihre Ziele zu erreichen.
Weshalb der Film vielerorts gescholten wurde, ist mir völlig schleierhaft. Er ist toll inszeniert, hat einen sauberen Plot, der mehr Sinn macht als so mancher OKAMI-Teil, bisweilen interessante bis großartige Musik, und Kampf- und Actionszenen, die dem 70er Jahre-Freund die Augen leuchten lassen. Für mich eine rundum gelungene Sache, die dem ersten Teil in nichts nachsteht. Unnötig zu erwähnen, daß Meiko Kaji auch hier äußerst attraktiv das Schwert durch die Leiber der Männerwelt sausen läßt. Wenn ich selbst eines Tags durch eben jenes sterben müsste, dann werde ich Shurayuki vor Augen haben und mit ihrem Namen auf den Lippen den letzten Atemzug aushauchen, während mein Blut den Schnee rot färbt. Hach.
Bearbeitet von Bastro, 31. Mai 2008, 12:50.
#238
Geschrieben 06. Juni 2008, 18:31
Beim Label Arthaus werden seit einiger Zeit vermehrt Kunstdokus auf den Markt geworfen, unter anderem auch diese vermutlich erste lange Dokumentation Warhols Leben und Werk nach seinem Tode. Das sollte man natürlich wissen, daß man es hier quasi mit einer "historisch wichtigen" Doku zu tun hat, denn an Informationen kann sie, nach heutigem Stand (!) natürlich nichts Neues bieten. Entsprechend enttäuscht war ich dann eben auch. Bis ich die Jahreszahl sah. Heute müßte man also vielmehr nicht über ihren Gegenstand, sondern über sie selbst sprechen, und den Platz, den sie in der Filmgeschichte einnimmt. Zu sehen ist natürlich viel Andy Warhol, und nachgegangen wird der These, daß er sich selbst das wichtigste Kunstwerk war. Der Film konzentriert sich also sehr auf Warhol den "Popstar", und das revolutionäre Moment, das in so einem Ansatz steckt und mit einem bürgerlichen Kunstbegriff zu brechen weiß. Man bekommt also recht viele Interviewschnipsel eingespielt, in denen Warhol, auf die Frage, was er mit seiner Kunst, resp. mit diesem oder jenem Bild denn zu erreichen gedenke, antwortet, daß er das nicht wüßte. Überhaupt scheint Warhol nicht viel zu wissen über Kunst, deren Geschichte, oder weshalb er irgendetwas tut. Aber das "Genie" in Warhol, so sind sich die Experten einig, breche sich eben Bahn. Nu denn. Das muß man, denke ich, nicht für bare Münze nehmen. Es gibt auch ein paar schöne Bilder von Velvet Underground, wie sie die Gitarren durch die Factory jaulen lassen. Und auch: Gerard Malanga, der ziemlich nüchtern seine Meinung sagt. Und das ist auch gut so. Daß der Mann was kann, ist bekannt. Unter anderem schreibt er auch schöne Gedichte. Die Doku hat mich immerhin dazu gebracht, mal wieder seine Verse zu lesen, und damit schließe ich auch diesen Beitrag, mit eben den letzten Versen aus seinem Gedicht Leaving New York for Asako aus dem Band memory's snapshots, Éditions en Vues, 1998:
No more photographing you
against upstairs hallway wall
where sunlight comes
sliding through in a slow crawl.
There'll be other kinds of photographs,
other kinds of dreams.
No two days the same.
No more the fresh faint smell
of coming summer rain.
No great loss.
I never really wrote about this anyway.
#239
Geschrieben 07. Juni 2008, 09:39
Meine letzte Sichtung des Filmes liegt erst ein gutes halbes Jahr zurück, doch damals mußte ich mir die schreckliche deutsche Synchro antun. Das war jetzt anders, alles im schönsten Japanisch mit UT. Viel besser ist das. Und auch meine Wertung würde ich nun etwas nach oben korrigieren, denn dieser Film scheint mir sehr gut geraten zu sein. Sabu versteht es ausgezeichnet, eine Balance zwischen Komödie (und Groteske) und Tragödie, zwischen ruhigem Erzählkino und Action zu finden. Auch die Episodenhaftigkeit späterer Filme (MONDAY etwa, oder BLESSING BELL (wobei es hier zum Konzept gehört)) wird im POSUTOMAN dazu verwandt ein komplexes Netz aus Handlungssträngen zu weben, die dann gegen Ende alle zusammenfinden und dem Film seine geschlossene Form zurückgeben. Diese wird im Abspann interessanterweise wieder aufgelöst um so dem Zuschauer einen Ausblick auf die Zukunft zu gestatten. Und da greift das japanische Konzept des mono no aware in seiner schönsten Form: in der Vergänglichkeit der Dinge, der eine sanfte Traurigkeit unterliegt, wird die Schönheit erkannt.
#240
Geschrieben 08. Juni 2008, 09:44
Der Gendarm Hanzo (Shintaro Katsu) ist ein aufrechter Polizist. Er hat es endgültig satt mit den Gaunern, und als sich eine Verschwörung, die sich bis ins Shogunat zu erstrecken scheint, abzeichnet, da macht er auch vor den eigenen Vorgesetzten und der Obrigkeit nicht halt.
Die 70er sind auch in Japan ein äußerst interessantes Kapitel. Nach seinen ZATOICHI-Filmen liefert Kenji Misumi hier den HANZO ab, nur um danach mit Shintaro Katsus Bruder Tomisaburo Wakayama die OKAMI-Reihe zu starten. Sehr schön, wie hier alles verknüpft ist. Und HANZO scheint auch im filmischen Universum Misumis eine Sonderstellung einzunehmen, verarbeitet er hier doch enorme (s)exploitativen Delikatessen. Hanzos masochistische Ader, sich selbst durch Folter zu immunisieren, wird schlicht durch seinen moralisch hohen Anspruch gerechtfertigt, er wolle selbst das durchleben, was er anderen antue, nur um so noch besser das Prinzip Folter verstehen, und den Vorgang des Foltern selbst ausüben zu können. Die speziellen Fertigkeiten Hanzos liegen dabei im Verhör der Frauen, und da nutzt er seine anatomischen Fähigkeiten geschickt: mit seinem enorm beeindruckenden Schlong weiß er die Weiblichkeit auf unterschiedlichste Art kunstvoll zu vergewaltigen, sodaß sie zunächst durch die Schmerzen überwältigt, sodann aber bald von der erotischen Kraft seines Gemächts wie seines Könnens zerfließen und natürlich nur noch eines wollen: mehr.
Hanzo macht es sich selbst aber nicht leicht: zur Abhärtung seines Penises übergießt er ihn mit kochendem Wasser, stößt ihn kraftvoll in einen aufgeschlitzen Sack Reis, und bearbeitet ihn mit einem Holzknüppel. Der Abdruck im Holzblock, auf den er seinen Heinzi legt, zeugt eindrucksvoll von den Torturen. Zur exploitativen Kraft des Filmes gesellt sich eine durchaus ansprechende Kampfchoreographie, eine gewisse ninjaeske Kreativität des Waffengebrauchs mischt sich in die Samuraischwertkampfstandards. Auch der Soundtrack überzeugt vollends durch einen kräftigen Schuß Funk, der einen beschwingt durch die Folterhöllen Hanzos begleitet. Da will man doch mehr von!
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