Kitanos Regenschirme
#481
Geschrieben 06. September 2009, 17:37
Die Schriftstellerin Reiko versucht durch die Flucht aus der Großstadt in die Provinz einer bevorstehenden künstlerischen Blockade zu entkommen und landet mitten in einer Geistergeschichte, die nicht zu unwesentlichen Teilen mit einem Kriminalfall verknüpft ist. Denn außer ihr gibt es noch zwei andre aktive weibliche Wesen in diesem am Waldrand - ein phantastisches, leicht industriell anmutendes Setting - gelegenen Haus: eine tausend Jahre alte Mumie und ihre (un-)tote Vormieterin, eine ebenfalls junge Schriftstellerin, die von ihrem Lektor in dieses Haus gelotst wurde.
Kurosawa baut sehr geschickt die Spannung auf: anstatt alle paar Minuten einen Schock sich entladen zu lassen, bricht er die Szene jedesmal einfach ab und schneidet auf einen anderen Handlungsstrang. Genauso verfährt er mit der Musik: aus einem unterschwelligen Schwelen türmt sich dissonanter Terror, bis dieser kurz vor dem Höhepunkt schlicht verpufft - ein Schnitt, und die Musik bricht ab. Das wirkt mitunter verstörender, als gängige Schemata zu erfüllen.
Problematisch allerdings könnte auf so Manchen die bisweilen arg ruhig geratene Stimmung wirken. öfter wirkt der Film etwas lahm, als ob er nicht in richtig in Fahrt käme; schließlich ist doch aber klar, daß Kurosawa genau dieses konventionelle Spannungskino zu vermeiden versucht, und sogar durch die oben geschilderten Abbüche regelrecht sabotiert. In seiner meditativen Ruhe ähnelt dieser Film viel eher einem CHARISMA als einem CURE. Ob einem das gefällt, steht auf einem anderen Blatt.
#482
Geschrieben 08. September 2009, 08:56
Aus aktuellem Anlaß nochmal diesen Fremdschamknaller geschaut, der jetzt bei zweiter Sichtung noch viel deutlicher als beim ersten Sehen Dresens Feingefühl für Nebenschauplätze offenkundig macht. Denn auch in den vielen Details am Bildrand, die man gerne aufgrund der offenkundigeren Skandale übersieht, beweist sich die Güte dieses Films (Bildzeitungsleser, Tirolerhütchenträger, ein schüchterner Kamerablick des Buben bei der Nationalhymne, die Frau des Faschos,...). Ein so wunderbar komponierter Film, daß man das Dokumentarische anzweifelt. "Füße heben!"
#483
Geschrieben 14. September 2009, 08:14
Der in Spanien untergetauchte KZ-Arzt und Kindermörder Klaus kann auch im Exil seiner verhängnisvollen sadistischen und päderastenhaften Passion nicht abschwören und stürzt sich schließlich verzweifelt vom Dach seines Hauses. Fortan querschnittsgelähmt wird er von der Familie gepflegt und von einer Eisernen Lunge am Leben gehalten. Als der junge Angelo auftritt sein Pfleger zu werden, ändern sich schlagartig die Machtverhältnisse im Haus und ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit kehrt zurück.
IM GLASKÄFIG ist ein wunderbar photographierter Film, dessen Bilder in ein tiefes Nachtblau getaucht sind. Die unheimliche Atmosphäre kontrastiert fantastisch mit dem leicht verwohnten aber doch prächtigen spanischen Herrenhaus, in dem die beiden Frauen, die Gattin Klaus' und die Tochter Rena die einzigen Lichtblicke scheinen. Die tiefen Furchen im Gesicht der Ehefrau und ihr permanentes Rauchen, bei dem sie hinter den Schwaden des Zigarettenrauchs undeutlich wird, deuten schon auf ihr Schicksal hin, das sich in einem gewalttätigen Kampf eruptiv entladen wird.
Der Wahnsinn der Männer führt im Laufe des Spielfilms zu einer krankhaften Form der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Lehrer und Schüler, Vater und Sohn, Schänder und Mißbrauchtem, sodaß die Manifestationen der psychen und physischen Wunden teilweise groteske Formen in ihrer bildlichen Entsprechung annehmen. Da erfüllt der Film dann in so manchen Szenen etwas zu sehr sein Soll, in denen er dann beinahe in eine Bühnenhaftigkeit kippt. Doch mindestens der Soundtrack, ein nervenzerreibendes und experimentelles Klanggewitter, hält den Film in der Balance und das Bedrohungslevel konstant.
In diesem Film gibt es kaum ein Aufatmen, kein Entlassen - weder innenrhalb der Geschichte, etwa durch einen Nebenerzählstrang, noch in der Bildsprache.
Der Film selbst ist ein harter, komprimierter Kristallkäfig aus dem Terror der Abhängigkeiten. Wer bei der Sichtung den Pausenknopf bemüht, bringt sich um die volle Wirkmacht des Filmerlebnisses; und kommentiert doch zugleich, daß dieser Film kaum auszuhalten ist. Eine echte Wucht.
Bearbeitet von Bastro, 14. September 2009, 08:18.
#484
Geschrieben 15. September 2009, 22:28
Pseudo-dokumentarisch inszenierter Film Allens über ein menschliches Chamäleon, das aus psychischen Gründen permanent seine Identität an das aktuelle Gegenüber anpaßt, da es geliebt werden möchte. Das geht natürlich ständig in die Hose und ist Allen willkommene Folie um ausgiebig Medien- und Gesellschaftskritik zu üben - und sich über die Psychoanalyse lustig zu machen. Letzlich begegnet uns hier ein Mann der multiplen Identitäten, der aufgrund seiner extremen Neurose gelernt hat, sich so sehr der Umwelt anzupassen, daß er letztlich unsichtbar wird. Aber zum Glück gibt es da noch Mia Farrow und die Liebe!
Bearbeitet von Bastro, 15. September 2009, 22:29.
#485
Geschrieben 19. September 2009, 00:01
Eine frisch vermählte Dorfschönheit sucht den Rat eines Wahrsagers und Schamanens um irgendetwas über ihre Zukunft herauszufinden (der Film hat keine Untertitel). Dabei wird sie verhext und verwandelt sich nach einer finnischen Legende - wie man liest - in ein weißes Rentier, das die Männer des Dorfes in die schneebedeckte Einöde lockt, nur um sie dort, zurückverwandelt in eine wunderschöne Vampirin, auszusaugen.
Selbst ohne Kenntnis des Finnischen bekommt man genug mit, um dem Film folgen zu können, zumal sowieso nicht allzuviel gesprochen wird. Zeitweise mutet er sogar wie ein Stummfilm an. Fantastisch sind die Landschaftsaufnahmen des unendlich scheinenden, verschneiten Lapplands, das zugleich menschenfeindlich und extrem anziehend wirkt. Ein echter Augenschmaus.
#486
Geschrieben 19. September 2009, 13:38
Ein scheinbar "uninszenierter", "realistischer" Film, einer der den Durchnittsbürger in seiner ganzen Biederkeit und Langweiligkeit zeigt. Das kann man sich anschauen, oder einfach nur öde finden.
Die Anti-Darstellung der Figuren finde ich jedenfalls gelungen, und den Film sehenswert. Gerade um mal wieder den Bogen aufzuspannen zum zeitgenössischen Eventkino. Wer jedoch mittels Filmen aus dem Alltag fliehen möchte, für den ist das Leben des Herrn Raab nix, denn das hier ist ein Spiegel, der weh tut.
#487
Geschrieben 30. September 2009, 15:17
Ein spontan durchgeführter Einbruchdiebstahl bringt Colin Smith (Tom Courtenay) den Aufenthalt in einer Besserungsanstalt ein. Seine besondere Begabung zum Langstreckenlauf fällt bald auch dem Sportlehrer und dem Direktor auf, der ihn nun zum Topläufer bei einem Wettkampf nominiert.
Fantastisch gefilmter Free Cinema - Klassiker, der in Rückblenden die Erlebnisse des angry young man erzählt, Vertreter einer Jugend ohne Perspektive, die sich in ihrer Verlorenheit nur mit der Auflehnung gegen eine tristes Leben und gegen herrschende Autoritäten zu behaupten wissen. Sozial- und gesellschaftskritische Aspekte dominieren in einem wunderbar montierten, toll gefilmten und auf komödiantische Töne nicht verzichtenden Meisterwerk.
#488
Geschrieben 01. Oktober 2009, 08:07
Mit seiner Version, die Effi zu erzählen, gelingt Fassinder eine ungemein klare Sicht auf das Verblühen eines jungen Menschen in einer autoritären und stark reglementierten Gesellschaft. Nicht jedoch, ohne alle zärtliche poetische Kraft zu unterdrücken, die der Geschichte innewohnt. Jedoch hat er Effis Erwachsenwerden zu einer sich selbst suchenden Frau stärker betont, als die kränkliche, von Alpträumen und Halluzinationen Gequälte, die uns im Roman begegnet.
Formal ist der Film beeindruckend, nicht nur was sich in der offensichtlichen Kapiteleinteilung ausdrückt, sondern jede Blende ist mit Bedacht gewählt, jedes statische Bild steht mit einer Kamerafahrt in Korrespondenz; die Ausleuchtung interpretiert, wenn Effi neben Innstetten spaziert und beinah im Dunkel verschwindet neben dem großen, zwanzig Jahre älteren Mann. Effi, die dann später nur noch unscharf durch Gaze zu sehen ist, hinter Fenstern, in Spiegeln oder hinter übergeworfenen Schals. Das Spiel der Schygulla -eines lebensfrohen Mädchens, dessen Lebenslust kaputtkorsettiert wird- ist zum Niederknien. Noch so ein Wahnsinnsfilm, ich brech zusammen.
Bearbeitet von Bastro, 01. Oktober 2009, 08:08.
#489
Geschrieben 11. Oktober 2009, 11:13
In den Weiten Utahs zwischen den roten Sandsteintürmen stoßen drei Cowboys auf der Heimkehr zufällig zu einer Bande Gesetzloser, verbringen bei diesen eine Nacht und werden am nächsten Morgen irrtümlich von einer Vigilantengruppe, die hinter den Verbrechern her ist, zu diesen zugezählt. Fortan befindet man sich auf der Flucht durch staubtrockene Täler, auf ausgesetzten Steinbändern, dürren Hochebenen und ohne Proviant und Wasser dem Tode geweiht.
Hellman drehte diesen Film back-to-back mit THE SHOOTING, er teilt also mit ihm das großartige Natur-Setting und die in Grundzügen ähnliche Story. Ganz anders wird allerdings in WHIRLWIND viel geredet, stellenweise kam er mir sogar richtig verlabert vor. Überhaupt habe ich ihn eher als Anti-Western gesehen, denn dieser Film stellt Szenen aus, die man sonst so nie in einem Western zu sehen bekommt: der Angriff auf die Postkutsche wird z. B. nicht auf die Sensation hin erzählt; der Überraschungseffekt wird aufgegeben, indem man die Räuber bei den Vorbereitungen sieht. Der Überfall ist enorm unspektakulär, eine kurze Alibi-Schießerei muß genügen. Ein weiteres Beispiel: am Lagerfeuer bekommt man ein resignatives Gespräch zu hören, während einer der drei Helden das Geschirr abwäscht: er läßt sich die Teller reichen, reibt diese mit Sand ab, und spült kurz mit der Feldflasche drüber. So läuft das nämlich.
Überhaupt ist der Film mehr an der Verlorenheit der Figuren interessiert, denn an Schauwerten oder Action, an der Gewalt, die der weiße Mann dem weißen Mann antut, am Altwerden, am Davonlaufen. Utah gerät wie beiläufig ins Bild, immer trocken, immer staubig, immer dörr. Schön, aber tödlich. Ein Baum ist zum Aufhängen der Gesetzlosen da.
Dieser Film ist großartig und in etwa das Gegenteil einer Karl-May-Verfilmung.
#490
Geschrieben 12. Oktober 2009, 20:53
CONVOY ist ein moderner Western, ein Neo-Western im Trucker-Millieu. Er scheint mir inhaltlich etwas einfältig, oder besser: simpel geraten, aber hey, was will man erwarten, wenn jemand die Lyriks eines Country-Soungs verfilmt?!
Ansonsten ist das die volle Packung Peckinpah, die sich nicht allzu ernst nimmt. Angenehm diese Schlägerei mit der Yankee-doodle-Musik. Wie Aktion auf Musik trifft wird öfter beinah zum Slapstick. Skurril und souverän, auch in der überraschenden Musikauswahl.
Ansonsten: wer sich den Anfang nicht mindestens drei mal ansieht, steht nicht auf Kino. Soviel ist sicher. Mein Beamer hat das Ding jedenfalls auf's richtige Format aufgeblasen. Und wenn der Truck im weißen Sand unter stahlblauen Himmel in die Kurve geht und die Kamera aus der Untersicht und in Breitwand draufhält, dann kann man sich nur auf den Boden werfen und zum großen Filmgott beten, schreien, PECKINPAH, du Sau, du hast es mir mal wieder richtig besorgt!
#491
Geschrieben 17. Oktober 2009, 10:16
Ja.
#492
Geschrieben 30. Oktober 2009, 06:37
Und der alles entblößende Monitor des Fernsehers, der böse und übernah die Nacktheit aller zeigt. Rainald Goetz, Abfall für alle
Teil 2 der von Johnny To produzierten PTU-Sequel-Fernsehserie mit Simon Yam und Maggie Siu als Helden geht in die Vollen. Auch Bewegung, Action, Reminiszenzen an das Bloodshed-Genre sind allenthalben auzumachen. Nachtphotographie, Neonreklame, die Temple Street, das Unbehaustsein derer, die sich mir einem Marktstand über Wasser halten, oder einem Brett vor der Tür für die paar Kleinigkeiten und die Waren dann im Hausflur die Wand entlang gestapelt zum Kauf anbieten.
Aber vor allem anderen ist NO WAY OUT eine Tragödie. Die des geistig leicht behinderten Fai (Derek Tsang), seines Zeichens Fußvolk einer Triade, illegaler Zigarettenverkäufer, ständig auf der Flucht vor den Polizeistreifen der PTU und abhängig von der Bezahlungswilligkeit seiner meist nicht gerade zartbesaiteten Kundschaft. Der in Konflikt gerät mit der gegnerischen Lok-Triade, mit dem Hitzkopf Crack (Samuel Pang) als durchdrehendes, auf Hochtouren laufendes Exekutivkommando.
Es ist die Tragödie einer illegalen Festlandchinesin (Wu Li), die sich als Prostituierte verdingt und sich des behinderten Fai annimmt, zwei einsame Seelen, die zueinander finden. Doch als die Polizei Fai als Köder einer ihrer Razzien mißbraucht um die Triaden nach einem weiteren Mordfall auszuheben, werden Fai und die Schöne zwischen den Fronten zerrieben.
Und daß diese Gemengelage nicht gut ausgehen kann, dafür bekommt man schnell ein Gespür. Lau hält vorzüglich das Tempo, setzt ruhige Akzente, operiert mit subjektivem Soundeinsatz und exzellent inszenierten Bildern einer das Tragische entblößenden Kamera. Der Film erreicht so nach und nach eine Intensität, die kaum mehr auszuhalten ist. An ein Happy-End denkt da schon lange keiner mehr. Die Sichtung läßt einen alleine zurück, am Boden, verstört und emotional venichtet. Der Abend ist gelaufen.
Bearbeitet von Bastro, 30. Oktober 2009, 06:45.
#493
Geschrieben 04. November 2009, 10:32
Dieser koreanische Katastrophenfilm ist eine gelungene Mischung aus JAWS und THE HOST plus Flutwellenthematik. Dass in der ersten Hälfte das Portrait einer kleinen Gemeinde mit Sorgen und Nöten präsentiert und etabliert wird, das dann in der zweiten mit dem Tsunami kollidiert, ist ein ausgesprochen glücklicher Umstand. Wie so oft im koreanischen Kino prallen Komödie und Tragödie unvermittelt aufeinander und werfen den Zuschauer in seinen Gefühlszuständen hin und her. Haeundae ist mehr als nur gelungene Unterhaltung - mit leider nicht immer ganz optimalen Trick-Effekten.
Bearbeitet von Bastro, 04. November 2009, 10:34.
#494
Geschrieben 09. November 2009, 08:48
Nicht gedacht hätte ich, dass am Ende des Filmes - nachdem man sich eineinhalb Stunden fürchterlich gelangweilt hat - noch etwas Interessantes passieren würde. Jedoch finde ich den nicht völlig unvorhersehbaren Twist, bzw. die "Auflösung" des Mysteriums ziemlich gelungen, und auch spannend inszeniert. Was man von den ersten 2/3 des Filmes nicht behaupten kann. Da ist alles aus dem Baukasten zusammengesetzt - es ist grauenhaft. Die schlechten Schocks mit Rumms und Kabumms über die Tonspur nicht zu vergessen. Ansprechend hingegen ist das schöne Haus, sind die Locations, und die guten Darsteller. Jemanden wie Peter Sarsgaard sehe ich gerne.
#495
Geschrieben 13. November 2009, 09:06
Die Endzeit, die böse Menschheit, die Biohumanoiden, ein Mega-Superhirn, der ewige Krieg und eine hübsche Kämpferin mit Brüsten und einer Schnellfeuerwaffe, die sich für Recht, Liebe und Freiheit einsetzt.
Nu ja, plotmäßig also alles beim Altbekannten. Kompliziert wird's nur, weil der Plot künstlich verschlungen erzählt wird. An optischer Rasanz mangelt's dem Film allerdings nicht, wohl aber an der adäquaten musikalischen Untermalung. Das paßt nicht immer so ganz optimal zusammen. Eine durchwachsene Angelegenheit, leider.
#496
Geschrieben 15. November 2009, 22:19
Der von Yasuzo Masumura gescriptete dritte Teil der Hanzo-Reihe entpuppt sich als exploitativ gemäßigte Seherfahrung, in der zunächst bereits bekannte Ermittlungsverfahren des Investigatoren nochmals kurz eingeführt werden, um dann in einen spannenden Plot um illegale Gold-Leihgeschäfte zu münden. Höhepunkte der Ekstasen sind ein moralisch enorm problematischer, erzwungener Liebesdienst mit herrlichem Kotospiel und psychedelischen Nahaufnahmen, sowie die finalen Schwertkämpfe, in der die Ordnung wiederhergestellt wird. So ist der dritte Teil wohl der Unspektakulärste und zugleich Gesellschaftskritischste der Reihe; und aufgrund seines hohen Niveaus weit mehr als nur eine Pflichtübung für Komplettisten.
Bearbeitet von Bastro, 15. November 2009, 22:25.
#497
Geschrieben 19. November 2009, 10:22
Als sich Takeshi Kitano mit Kinji Fukasaku, der den Film eigentlich drehen sollte, überwarf und dieser den Regieposten abgab, übernahm der völlig regieunerfahrene Hauptdarsteller des Films das Ruder, nachdem ihn der Produzent in lockerem Scherzton gefragt haben soll, ob er das nicht machen wolle. Ein Glücks- und ein Zufall, entstand doch in diesen Wirren der erste "echte" Kitano-Film - mit einer Filmcrew, die äußerst skeptisch war. Auch Kitanos Anweisungen, die Kamera nicht zu bewegen, stieß zunächst auf Unverständnis. Ein Element, das sich stilistisch durch alle Filme des Mannes ziehen wird, und das, ein weiteres Markenzeichen, dazu führt, daß die "Action", die Handlung, häufig Offscreen geschieht. Das Filmbild fängt das Geschehen eben gerade nicht ein, sondern präsentiert dem Zuschauer lediglich das Ergebnis. Dieser lakonische, "trockene" Inszenierungsstil fordert den Zuschauer in seiner Beteiligung und schockiert umso mehr, wenn dann, in einer späteren Szene mit ebensolch emotionsloser Kamera die Gewalttat ins Bild gerückt wird. Da wird dann eben auch nicht künstlich dynamisiert, geschnitten, oder gerummst auf der Tonspur. Die Wirkung auf den Zuschauer wird auf diese Weise potenziert und die Gewalt als "realistisch" wahrgenommen.
VIOLENT COP erscheint mir jetzt nach der Zweitsichtung noch wesentlich gelungener und souveräner, als ich dies beim ersten Sehen wahrgenommen habe. Die Szenen sind exzellent getacktet, der Musikeinsatz häufig kontrapunktisch oder zumindest verstörend ungewöhnlich genutzt, die Montage ist sehr ökonomisch und effektiv. Auch die häufig monierte Langatmigkeit kann ich so nicht bestätigen, schraubt sich der Film doch zusehends in eine Spirale der Gewalt hinein, die gegen Ende dermaßen unkonsumierbar wird, daß einem der Atem stockt. Das Finale ist eine Himmelhundsche Parade-Duellsituation, die den Film nachdrücklich in Genre-Traditionslinien hineinrückt. Nicht zu vergessen: auch dieser Film ist bisweilen enorm humorvoll.
Bearbeitet von Bastro, 19. November 2009, 10:24.
#498
Geschrieben 19. November 2009, 19:44
Wundervolle Sommererzählung um einen mürrisch-aggressiven Tagedieb der einen kleinen Jungen begleitet, der sich in den Sommerferien aufmacht um seine Mutter in einer weit entfernten Stadt zu suchen.
Der große Handlungsrahmen bietet Kitano ausreichend Gelegenheit einen liebevollen und vergnüglichen Episodenfilm zu drehen. Seine Erfahrung als Komödiant beweist sich in unzähligen lustigen Sequenzen, mal rauh und gewalttätig, mal sanft und zum Schmunzeln, mal trocken wie der Straßenstaub. Daß die beiden ungleichen Charaktere sich in diesem langen Prozeß einander annähern, und der Erwachsene in diesem Sommer vielleicht noch viel mehr gelernt hat als das Kind, kann man sich denken. Die umwerfende Magie früherer Sichtungen hatte sich aber leider nicht wieder einstellen wollen.
#499
Geschrieben 21. November 2009, 21:33
Als Yujiro Isobe, ein Bauarbeiter und liebenswerter, von seiner Frau getrennt lebender Loser eine Menge Geld erbt, entschließt er sich aus einer Laune heraus, ein Café zu eröffnen. Seine verantwortungsbewußte Tochter, die bei ihm aufwächst (und auf ihn aufpaßt), schlägt bei diesem Himmelfahrtsprojekt nur die Hände über dem Kopf zusammen: das kann ja nicht gut gehen!
Doch nach und nach füllt sich das Kaffeehaus, vor allem Dank der hübschen Serviererin Kumiko, die, kurz berockt, die Gäste lockt. Auch ein gut aussehender Schriftstellerjüngling sitzt Tag für Tag an seinem Platz, und ein zartes Pflänzchen der Liebe sproßt in Tochter Sakikos Herzen; plötzlich ist das Kaffeehaus auch zu ihrem Mittelpunkt im Leben geworden. Doch dann kommt alles anders...
Yoshida gelingt eine wirklich wundervoll inszenierte Komödie, die Dank ausgezeichneter Darsteller und extrem gut getimter, häufig leiser, Pointen enorm zu unterhalten weiß. Da das Leben aber keine Sahnetorte ist, schleicht sich zusehends ein ernster Ton in den Film, der dann - völlig überraschend - mit ein paar emotional hammerharten Szenen aufwartet. Umso mehr steigt meine Bewunderung und Verehrung für diesen stilsicheren Film, der es schafft, beinah jedes Klischee zu umschiffen und in seinen Dialogen völlig zu überzeugen weiß. Ein brillanter Film.
Bearbeitet von Bastro, 21. November 2009, 21:35.
#500
Geschrieben 29. November 2009, 11:47
Die zurückhaltende Schülerin Haru rettet einer Katze, die die Hauptstraße überqueren will, das Leben. Das gerettete Tier entpuppt sich als der mit menschlicher Sprache sprechende Katzenprinz Lune und verspricht Haru, daß sie für ihre mutige Tat belohnt werde. Daß sie den Thronfolger im Königreich der Katzen, so der deutsche Titel, ehelichen soll, ist zwar eine große Ehre, doch Haru hat sich ihren Gatten anders vorgestellt. Als sie schließlich entführt wird, da der gestrenge Katzenkönig ein zwar wohlwollender Regent ist, der aber keinen Widerspruch duldet, kann ihr nur eine kleine Truppe, angeführt vom Katzenbaron von Gikkingen, noch zur Hilfe kommen.
Temporeiche, witzige, liebevolle, charmante und enorm kurzweilige Angelegenheit aus dem Hause Studio Ghibli, die wie so häufig die Türe aufstößt zu einer Fantasie-Welt, die gar nicht so weit von unserer eigenen entfernt liegen muß. Das zeigt vor allem auch der ernste und gesellschaftskritische Ton, der sich immer dann einschleicht, wenn die phantasievolle Erzählung ihre Krallen zeigt: das Versprechen auf das neue, zauberhafte Land beinhaltet immer auch das Fremde, das Unbekannte und Unheimliche. Das "Land of Milk and Honey" gibt es nirgendwo, nicht mal im Reich der Schmusekatzen.
Bearbeitet von Bastro, 29. November 2009, 11:58.
#501
Geschrieben 21. Dezember 2009, 08:32
Beide Filme in körnigem Schwarzweiß. Da kann man eigentlich schon beginnen mit der Interpretation.
Beide Filme: Noir-Adaptionen. Bei Kubrick mit Engagement: auch Melodram, Großstatdtfilm, Boxerfilm. Genremixer. Die Helden geraten in die Malaise, aus der kommen sie kaum wieder raus; Schuld daran hat auch wieder einmal: die Frau. Bei Kubrick in blond, als Gegensatz zur allesumfassenden Düsternis, zum Grau des Mietzimmers hoch über den Straßenschluchten. Wer so lebt hat nur zeitweise einen Vertrag mit seinem Leben. Morgen können die Koffer schon gepackt sein, der Zug bestiegen und: wo geht's hin? In eine andere Großstadt, klar, auf's Land wäre keine Option.
Bei Suzuki ganz anders: volle Konzentration auf das Noir-Drama. Wobei wenn man bei Suzuki sagt: Drama, dann meint man immer auch: Komödie. Aber mit dem ureigenen Suzukihumor. Ist ja nicht so, daß das direkt lustig wäre, was man da sieht. (Ausnahmen gibt es aber auch: in DETECTIVE BUREAU 2-3: GO TO HELL BASTARDS (1963) zeigt uns Suzuki einen Ermittler, der mit einer Uzi, um seine Geliebte zu befreien, ein kreisrundes Loch in die Betondecke über ihm schießt - diese bricht ein, und die Geliebte, die gefesselt auf einem Stuhl genau an ebendieser Stelle eine Etage über ihm saß, landet in seinen Armen.) Aber da Suzuki immer weiß, daß er zitiert sobald die Kamera läuft und dass er das, was er gerade zeigt, eigentlich nicht zeigen kann, zeigt er es anders. Mit einem Augenzwinkern, das man nicht sieht. Man sieht das erst, wenn man ein paar von diesen Filmen gesehen hat. Und weiß, daß Suzuki ein Auftragsfilmer ist, ein Vielproduzent, eine Nikkatsu-Hure, die alles filmt, was ihm auf den Tisch gelegt wird. Eine sympathische Hure. Einer der weiß, daß er die Welt nicht verändern wird, daß er nur ein mittelmäßiger Regisseur ist, einer, der vielleicht mal Glück gehabt hat und einen Nerv getroffen hat mit seinen Bildern. Einer, der deswegen völlig befreit auffilmt, anarchisch wird, innerhalb des Systems auf Konventionen scheißt und aneckt. Der von einer Szene knallhart auf die nächste schneidet - Blende?, warum blenden, das hält doch nur auf! Musik abgeschnitten, mitten in der Melodie: egal. Hier wird es dann ruppig, boah, denkt man sich, das ist ja der Hammer. Jump-cut brutal. Suzuki ist das egal, glaube ich, der will dass es weiter geht. Er zerstört die Konventionen des filmischen Erzählens und darf dafür seinen Hut nehmen: Nikkatsu schmeißt ihn raus.
Kubrick: nö. Immer sauber bleiben. Zeigen, was man kann. Am Ende von KILLER'S KISS, als ihm die Zeit wegläuft, weil er so einen wunderbar kurzen, knackigen Film produziert muss er trotzdem noch zeigen, dass er alle Blenden kann. In knapper Folge dann kommt das. Ein Problemkind. Steht auf den Tisch und schreit: hier! Doch zum Ärgern ist keine Zeit: Kubrick fährt mit Bildern auf, vor allem gegen Ende, die sind direkt aus seinen Photographien auf das Zelluloid gebeamt. Große Klasse. Perspektiven, Gebäude, Schluchten, Einsamkeit, kalte Welt. Man ahnt, wozu der Mann fähig sein wird.
Die Bilder gibt es auch bei Suzuki. Aufschreien möchte man, halt halt, das will ich nochmal sehen! Wenn man nur den Plot besser verstünde! Damit muss man halt zurecht kommen, mit diesem Suzukischen Storychaos. Der Film fängt halt irgendwo an und endet dann nach 80 Minuten. Am besten sind dann alle tot. Angst muss man deswegen nicht haben, Noir-Plots sind ja auch immer irgendwie gleich.
Fein die Frauen in BRANDED TO KILL: die supernervige hysterische Gattin, die stets nackt und beischlafbereit durch die Style-Wohnung hetzt und lust auf Töten hat. Wie auch der love interest, eine schwarzhaarige Schöne, die Joe Shishido schon längst in ihren Fängen hat. Als sich das Blatt dann wendet und alles den Bach runtergeht sieht er sich den 16mm-Film an, den die Gangster schicken. Projektor an: die Geliebte in den Klauen der Gangster, brutale Flammenfolter. Shishido springt auf rast auf das Filmbild zu, will sie retten. Doch es ist der Film im Film! Er packt die Waffen ein und macht sich auf zum letzten Kampf am Hafen.
Bearbeitet von Bastro, 21. Dezember 2009, 09:38.
#502
Geschrieben 10. Januar 2010, 19:41
Ein siebzehnjähriges Mädchen trifft spätabends (in Kuala Lumpur?) einen etwa 30jährigen Bekannten. Sie unterhalten sich in einem Imbiss, liegen auf der Wiese, singen ein Lied zusammen, laufen durch die Stadt.
Tan Chui Mui ist ein wunderbarer, 24 minütiger, Kurzfilm gelungen (und mit dem sie auch auf Festivals (u. a. Oberhausen) Preise gewann). Prätentionslos, beobachtend mit statischer Kamera, unaufdringlich fängt sie die sehr authentischen Gespräche, das Schweigen, die Nacht und ihre Geräusche, die Farben ein. Das Mädchen wird morgen 18 Jahre alt werden, er schenkt ihr Middlemarch von George Eliot. Sie weiß nicht, was sie mit so einem dicken Buch anfangen soll.
Sie erzählt ihm zweimal von ihrer blöden Busfahrt am Morgen, wie sie die Haltestelle verpennt habe, und dann weit draußen auf den Bus zurück warten mußte. Doch dort habe sie einen Baum gesehn mit wunderschönen dünnen Blättern: den Tree in Tanjung Malim, einer Ortschaft etwa 70 km außerhalb von Kuala Lumpur. Doch wie sie später, am Ende des Filmes selber meint: Even if I fail to get to where I wanted to go, I get to see beauty.
#503
Geschrieben 11. Januar 2010, 17:00
In ihrem Kurzfilm One Future entwirft die Regisseurin eine dystopische Zukunft: den Menschen ist durch den Staat jede Sorge genommen, alles ist geregelt, jeder ist glücklich. Als sich in einem ungenannt bleibenden Mann ein Problemgefühl einstellt, weil er seine Wohnung nicht mehr betreten kann, muß er dies artikulieren. Und wie in Truffauts Fahrenheit 451 das Lesen von Büchern verboten war, so ist hier das Sprechen nicht erlaubt. Als er dies doch tut, wird er von einer Agentin in Handschellen gelegt und abgeführt.
Dieser problematisch moralische Film ist zwar mit netter, reduzierter Klimpermusik unterlegt, kann aber leider nicht überzeugen. Allzu deutlich trägt er seine Botschaft vor sich her, als dass da etwas Interessantes bliebe, das sich zu entschlüsseln lohnte. Auch die Verwendung eines off-Erzählers, der wie ein Märchenonkel die Handlung kommentiert, verstärkt zwar den utopischen Gehalt der Fiktion, verweist aber zugleich auf die Unzulänglichkeit der Regisseurin, den Film mit Bildern erzählen zu können. Auch das stakkatohafte Aneinanderschneiden von Filmstills um eine fragmentierte Realität darzustellen, ist zwar eine schöne Idee im Medium der "bewegten Bilder", die aber leider den Film nicht retten kann. Dieser Kurzfilm ist Teil einer Compilation mit dem Titel 15Malaysia.
#504
Geschrieben 22. Januar 2010, 13:17
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