Kitanos Regenschirme
#271
Geschrieben 27. August 2008, 07:59
Nachdem sich Kurosawa mit Juzo Itami (TAMPOPO) über ihren gemeinsamen Film SWEET HOME (1989) überworfen hatte, war er isoliert im japanischen Filmgeschäft. Erst drei Jahre später konnte er diese Low-Budget-Produktion realisieren, die eine mehr oder weniger interessante Variation des Slasher-Films darstellt. Eine junge Frau (Makiko Kuno) beginnt ihre neue Anstellung bei einer Firma namens Akebono Industries in der neu gegründeten 'art brokerage division'. Auf ihrem Weg zur Firma bleibt sie im Taxi sitzend in einem Stau stecken und hört so einen Radiobericht über einen aufgrund geistiger Unzurechnungsfähigkeit freigesprochenen Sumoringer, der seine Freundin und ihren Liebhaber gemetzelt hat. Als sie schließlich ankommt, hält hinter ihr ein schwarzer Wagen, aus dem zunächst niemand aussteigt; doch später erfahren wir, daß es der neue Sicherheitsdienstmensch ist, ein Hüne, und eben jener Sumoringer, der ebenfalls seinen Dienst beginnt. In einer langen Nacht der Überstunden kommt der Wachmann seiner wahren Bestimmung nach und erschlägt einen Mitarbeiter nach dem anderen mit einem Metallrohr. Auch mit einem Metallspind weiß er kreativ umzugehen.
Ein harscher Film. Direct-to-Video, vom Look stark an PULSE erinnernd, brachte dieser Film Kurosawa wieder einige Meriten ein. Das Interessante ist wohl, daß Kurosawa eine ordentliche Portion Humor in den Film hat einfließen lassen, man wundert sich, wie so eine große Firma Bestand haben kann bei solch unfähigen Mitarbeitern. Der Film erscheint als Mischung aus Wirtschaftssatire und Slasher-Film, etwas behäbig, aber im letzten Drittel deutlich Gas gebend. Für Kurosawa-Fans - alle anderen fangen vielleicht besser mit einem anderen Film an. Nach einem ersten Hineinhören scheint mir Tom Mes' Audiokommentar sehr informativ zu sein.
#272
Geschrieben 29. August 2008, 10:10
Ein atmosphärisch gelungener Horrorfilm, der sich zunächst als Geisterhausfilm mit Hexen und Spiegeln ins Jenseits darstellt, und sich dann in der zweiten Hälfte zu einer Mad Scientist-Variation wandelt. Besonders gelungen fand ich das Aufbrechen üblicher Topoi, etwa daß die Hexe nicht zwangsläufig böse ist, oder der tatsächliche Bösewicht von Ehemann durchaus sympathisch erscheinen kann. Toll auch der bandagierte Kopf der Gattin, der in seiner Dämlichkeit ziemlich gruslig wirkt. Sehr schön.
#273
Geschrieben 31. August 2008, 09:03
GRAVE OF THE FIREFLIES-Regisseur Takahata weiß auch mit diesem Film zu begeistern. Taeko, eine 27jährige Frau, hat ihren letzen Arbeitstag in einem Tokyoter Büro und macht sich auf den Weg zu ihrer Tante auf's Land, um dort Urlaub zu machen und bei der Landwirtschaft zu helfen. Dort lernt sie den Freigeist Toshio kennen und vielleicht wächst sogar ein wenig ein Pflänzchen der Liebe. Während der Fahrt erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit, ihr erstes schüchternes Verliebtsein, den strengen Vater, ihre Schwestern, ihre Schulfreundinnen und die schlechten Noten in Mathe.
Takahata gelingt es wieder einmal eine sehr berührende Geschichte zu erzählen. Sein souveräner Umgang mit Kitsch, der stets als solcher ausgestellt wird und als Ausbruch der Euphorie und Energie eine Form findet, macht aus der sehr gefühligen Story ein mitreißend romantisches Unterfangen; dabei werden die Ghibli-üblichen gesellschaftskritischen Themen angesprochen: der Konflikt zwischen Stadt und Land/Natur, zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Kindern und Eltern, den Großeltern- der Generationenkonflikt. Die Themen werden aber nicht als unvereinbare Gegensätze gegeneinander ausgespielt, sondern wieder scheint eine Symbiose, ein Zusammenführen die Harmonie zwischen den Dingen herzustellen. Und am Ende ist man eigentlich wieder einmal bereit, dem Film überallhin zu folgen, auch wenn da plötzlich ein Superheld auf dem Mount Everest auftauchen würde.
Bearbeitet von Bastro, 31. August 2008, 09:04.
#274
Geschrieben 02. September 2008, 20:40
In der Region Kekexili, die im tibetanischen Hochland auf über 4000 Metern liegt, ist die tibetanische Antilope am Aussterben. Der Grund: Wilderer. Eine selbstorganisierte Bergpatrouille versucht dem ein Ende zu setzen, und ein Reporter aus Peking begleitet sie bei der Jagd nach den Übeltätern.
Massig Platz für esoterisches Lokalkolorit und Weltkino-Bilder, sollte man meinen. Doch nicht so hier. Vielmehr ist es ein beständiger Kampf ums Überleben, der uns gezeigt wird. Die Schönheit der endlosen Weite und der Berge ist als Raum jenseits aller Zivilisation in seiner Erhabenheit immer auch menschenfeindlich gezeichnet. Und die Menschen, die wahrlich so gut wie nichts besitzen, die auch ein ganz eigenes Verständnis von Zeit haben, vom Sinn und Zweck des Lebens, stemmen sich der Weite entgegen.
Umso erstaunlicher, daß der Film kaum zu berühren vermag. Vielleicht fehlt so etwas wie die "mythische Dimension" - der Film kommt seltsam nüchtern daher. Die Erklärung im Abspann, daß durch die Berichterstattung des Reporters nun ein Naturschutzgebiet entstanden sei, und sich dadurch die Population der Antilope auf 30000 vermehrt habe, verzweckt den Film im Nachhinein und beraubt ihn noch stärker einer menschlichen Dimension.
Bearbeitet von Bastro, 02. September 2008, 20:41.
#275
Geschrieben 04. September 2008, 15:39
oops, da war doch noch was...
Manji - Die Liebenden / All mixed up Yasuzo Masumura, Japan 1964
Die gelangweilte Hausfrau Sonoko (Ayako Wakao) lernt in der Zeichenklasse einer Kunstschule die schöne Mitsuko (Kyoko Kishida) kennen. Bald darauf lädt sie diese zu sich nach Hause ein und überredet sie dazu, Modell zu stehen. Als sie nur wenige Zentimeter unbedeckter Haut von Mitsuko sieht, ist sie so sehr von ihrer Schönheit fasziniert, daß sie ihr in einem ausufernden Duell zunächst der Worte, dann in einem Ringkampf ihr den letzten Fetzen vom Leib reißt. Geblendet von ihrer Schönheit bringt Mitsuko wiederum Sonoko dazu, sich ebenfalls zu entkleiden, und sie versinken in einer tiefen Umarmung. Aus der Anbetung der Anderen erwächst Liebe, und je mehr die beiden Frauen sich aufeinander einlassen, desto weniger sind sie gewillt, den Konventionen der Gesellschaft, dem engen Korsett der Ehe bzw. des Verlobtseins zu folgen. In einer sich anheizenden Liebeseuphorie steigern sie sich hinein bis in den Todesgedanken. Doch dann kommen die Ehemänner…
Masumura hat viel gewagt, mit diesem leicht hysterischen Film über eine lesbische Liebe, der so gut wie keine normal ablaufenden Handlungspunkte hat. Es ist ein waschechtes Charakterdrama, das zudem fast vollständig in Innenräumen spielt. Auch bricht Masumura sehr subtil mit den Konventionen, denn es ist nicht die junge Frau, die sich in das Leben der Reifen drängt, mit einem frischen Geist, mutig und intellektuell; nein, es ist die ältere, verheiratete Frau im Kimono, die die junge im farbenprächtigen Blumenkleid begehrt. Die ihrem Ehemann dann irgendwann die Stirn bietet, sich nichts mehr gefallen läßt, und den Schritt wagt, sich ganz für ihre Liebe –auch gesellschaftlich- zu opfern. Als Mitsuko dies merkt, beginnt sie ein gefährliches Spiel der Täuschungen, das Sonoko immer weiter in eine emotionale Abhängigkeit treibt. Und natürlich stellt sich die Frage, was die schöne, begehrenswerteste Frau tatsächlich vorhat.
Ein sehr reduzierter, klassischer Score begleitet den Film, der seine Kraft aus den emblematischen Bildern und der Darstellungskraft der Schauspieler zieht. Dabei ist schon interessant, wie spannend der Film ist – schöpft er die Spannung doch rein aus der ganz langsam sich steigernden Atmosphäre, die auf einen –ja!- Höhepunkt hinausläuft.
Daß letztlich dem Film eine Art moralisches Erzählkonzept via Rahmenhandlung und Flashback übergestülpt wurde, dürfte an den Produktionsbedingungen des Studios gelegen haben. Das stört jedoch nicht, ist es doch offensichtlich, um was es Masumura gelegen ist. Auch möglich, daß MANJI nicht Masumuras bester Film ist – doch wen juckt das noch, wenn man Film um Film dieses Regisseurs sieht, und jeder scheint gelungen und deutlich über dem Durchschnitt. Sehr sehenswert.
#276
Geschrieben 09. September 2008, 17:04
Bayern ist ein schönes Land, und Bairisch ein lustige Sprache. Daß in der ländlichen Idylle nicht alles Heimatfilm ist, muß immer wieder klar gemacht werden. Die Abgründe, jesses!, lauern überall. Und wenn der 11jährige Sebastian am Tod seiner Mutter schuldig gesprochen wird, dann ist das ein wunderbarer Auftakt zu einer schwarzhumorigen Tragikomödie. In deren Verlauf einige sehr lustige und einige sehr traurige Dinge passieren. Daß ein Film immer auch als Zitat funktioniert, war den Filmemachern wohl bewußt, denn schon am Beginn fährt der Bub mit dem Radl durch die davonstiebenden Hühner. Obacht, hier wird gerne mit Klischees gespielt! Und die Grenze verschwindet manchmal, wann hier noch zitiert wird oder ob man das doof in Kauf nimmt, um einen Gag zu produzieren. Einige Pointen werden etwas zu sehr auf die Spitze getrieben für meinen Geschmack, und ab der Hälfte fällt die Konstruiertheit etwas auf die Nerven - und das nicht nur am erzwungen wirkenden Ende. Aber irgendwie ist das ja auch ein Märchen, eine Lausbubenfiktion, eine Kindheit auf dem Lande. Und ein kleiner, netter Film, der gar nicht so klein ist.
Bearbeitet von Bastro, 09. September 2008, 17:06.
#277
Geschrieben 11. September 2008, 20:51
Eine Abdschiedstournee soll es werden! Noch einmal fünf Shows, der alten Zeiten wegen. Auf den langen Strecken im Bus wird endlos gequasselt, Blödsinn gemacht und getrunken was das Zeug hält. Und auf der Bühne zeigt man allen, was noch für eine Sau in einem steckt.
Doch die Zeiten sind vorbei. Die Recken sind alt geworden, und die Zukunft, ja die sieht düster aus. Denn außer Band hat man ja nie etwas gemacht. Das Ego des Sängers Joe Dick ist groß wie ein Hochhaus und erinnert zufällig (?) an Mike Ness, Gitarrist Billy Tallent hat fast den Deal zum Eintritt in die Major-Band in der Tasche. Konflikte, die explodieren (müssen).
Gefilmt ist das als Doku, und wenn die Band auf die Bühne geht und loslegt, dann jagt ein Stromstoß durch das Publikum und den Zuschauer vor dem Fernseher gleichermaßen. Aber was soll man schon machen, wenn die das tolle Who the hell do you think you are? oder Sonic Reducer spielen. Da kriegt man feuchte Augen. Und will auch endlich mal wieder auf Tour...
#278
Geschrieben 13. September 2008, 08:34
Der Liliputaner Hans verliebt sich in die Trapezkünstlerin Cleopatra, die strahlende Schönheit des Zirkus. Sie allerdings hat ein Verhältnis mit Gewichtheber Herkules, und täuscht die Emotionen Hans gegenüber nur vor - zunächst, weil sie sich geschmeichelt fühlt, dann aber um an sein Vermögen zu kommen, da Hansens Verlobte Frieda in ihrem Bemühen um Hansens Rettung ihr unvorsichtigerweise davon erzählt. Bei der Hochzeitsfeier allerdings kommt es zum Eklat, als die versammelten Missgestalteten Cleopatra die Ehre zuteil werden lassen wollen, zu ihnen gehören zu dürfen: betrunken wie sie ist, kann sie ihr wahres Gesicht nicht mehr verbergen und wendet sich ab in Abscheu.
Viele Themen werden in diesem Klassiker angeschnitten, natürlich zunächst die "die Schöne und das Biest"-Thematik als Grundkonstellation. Und natürlich läuft die Handlung auf eine Umkehrung der Verhältnisse hinaus: die wahren Missgestalteten sind die Menschen, wogegen sich die 'Freaks' als gut funktionierende Solidargemeinschaft präsentieren, die sich bei allen Beschwernissen 'bewundernswert' durchkämpfen und mit ihren Gebrechen souverän umgehen. Der Zirkus funktioniert also keineswegs als Freakshow, sondern ist tatsächlich Darstellung der Artistik, insofern also souveräner Ausdruck der Persönlichkeiten der 'Freaks'. Browning begeht zum Glück jedoch nicht den Fehler, die Freaks eindimensional zu verklären, zu pathetisieren, zu bemitleiden, oder zu heroisieren. Als nämlich tatkräftiges Handeln gefordert ist, da senkt sich die Achse der Bildkadrierung hinab in den Schlamm - und die Freaks holen sich ihr Opfer im strömenden Regen in der Art wie später Zombies aus dem Grab kriechen werden um das Fressen zu eröffnen. Herrlich.
Am Ende gehen die Freaks als moralische Sieger aus dem Rennen hervor, als Hans sich auf sein Anwesen zugezogen hat und wieder mit Frieda versöhnt. Er hat wieder zurückgefunden ins rechte Maß des ihm Angemessenen und ein zärtlicher Blick auf Frieda wird ihm wieder frei. Ganz so, als habe ein Kind eine Lektion gelernt. Die Menschen aber, die berauschen sich an Sensationen, an der Freakshow: an Cleopatra, der lebenden Ente.
#279
Geschrieben 14. September 2008, 17:52
Diese Manga-Verfilmung krankt vor allem an seinem
#280
Geschrieben 18. September 2008, 20:50
Schwerexplosive Gernremelange, die aber verblüffenderweise a) meiner Meinung nach funktioniert, und die - noch verblüffender - b) mir ausgezeichnet gefallen hat. So ist das erste Drittel sehr actionorientiert, wahnsinnig dynamisch, toll gefilmt und kreativ zwischen Schalk und todernst changierend, das zweite eine Liebesgeschichte mit CeciliaCheung im Fokus und zuletzt, das dritte Drittel eine meditativ kontemplative Buddhismuseinführung, gepaart mit Slasherfilmelementen. Hui. Der Film, eine Antiklimax. Integer, authentisch und zugleich ein gutgelauntes, intelligentes Zitatenkino, das über sich selbst hinauswächst, -weist, und so nichts weniger als wahrhaftig groß wird. Kein Wunder können solche Leute einen Film wie MAD DETECTIVE stemmen - hier ist das Fundament zu sehen.
Bearbeitet von Bastro, 18. September 2008, 20:52.
#281
Geschrieben 19. September 2008, 22:46
Ein, wie mir scheint, politisch immer noch aktueller Film. Einer, der spannend bleibt, gerade weil er keine eindeutige Position bezieht, die Charaktere nicht scharz-weiß verkürzt. Die Tendenz zur Grausamkeit scheint allen eigen, auch den Vertretern der wohlgesitteten oberen Schichten und den "Eliten". Erstaunlich scheint mir auch, wie sehr verschiedene Elemente, Begrifflichkeiten ins allgemeine popkulturell-kollektive Gedächtnis eingegangen sind. Von den Droogs zu den Druqs und dem Tollschocken zu Moloko und der Verwenung von synchronisierten Schnittfrequenzen zur Musik - da muß man auch an den Schuhplattler denken in Kitanos ZATOICHI. Ein sehr stilisierter Film, über den man gewiss eben so aus der Hüfte eine 20seitige Arbeit schreiben kann, wenn man gewillt ist, sich nochmals durch den Film zu denken. Hier schreit alles: Interpretation! Und das scheint mir wirklich ermüdend...
Bearbeitet von Bastro, 19. September 2008, 22:50.
#282
Geschrieben 21. September 2008, 12:51
Kitamura, zu dem ich ein mehr als zwiespältiges Verhältnis habe, legt mit seinem ersten, nur gute 50 min dauernden Film eine wundevolle Yakuza-Ballade vor. Die Stärke des Films ist seine Reduktion auf einen kaum vorhandenen Plot, der sich in einem atmosphärisch dichten und von leisem Humor durchzogenen Finale, einem Duell, entlädt. Dieses Finale nimmt nach den kurzen Präliminarien fast die ganze Spielzeit ein und ist angenehmerweise sehr ruhig gestaltet - so ruhig und kontemplativ, wie es das verlassene Tal in der Bergen hinter dem Tunnel (vgl. KAKASHI) fordert. Soll heißen: kein Schnittgewitter, esoterisch-atmosphärische Musik, viel Stille. Der Film will nicht viel, aber das, was er zeigt, macht er gut. Sehr schön.
#283
Geschrieben 23. September 2008, 11:23
Die Fortschreibung des Klassikers - so möchte ich es nennen, was Zombie da macht - ist umfangreich: in der ersten Hälfte des Films wird ausgiebig psychologisiert und familiär verankert, in der zweiten tatkräftig gemetzelt. Und auch wenn ich die kritischen Stimmen nachvollziehen kann, denen sowohl die Psychologisierung als auch der Slasherfaktor nicht taugt, so würde ich entgegnen: ja gut, aber es ist immerhin eine legitime Möglichkeit diesen Film ins neue Jahrtausend zu beamen.
Und ich denke, das ist ihm geglückt mit der Preisgabe des Unheimlichen für den Schock. Angst, das macht dieses Ungetüm kaum. Spannung verbreitet es dafür ungemein. Und Zombie weiß ja was er tut, und wie er uns kriegt: das sind nicht nur die Zitate sondern ist auch die liebevolle Austattung. Hier gibt es viel zu entdecken in den Wohnungen und Häusern zwischen strunzbiederem Konservativismus und White-Trash-Höhle. Ein Film also über Familie, die dysfunktionale vor allem. Die Väter kommen nicht gut weg, scheint mir. Michaels Väter (3) scheitern allesamt; der leibliche, der Lover der Mutter als Vaterersatz (vgl. TIDELAND), bzw. Loomis in den Folgejahren.
Aber auch Zombie beläßt das (die Benennung der Ursache) ambivalent, so ist doch sehr deutlich, wie bei Michael "in diesen Momenten" der Blick leer wird, wie er zu Stieren beginnt und unansprechbar wird, als ob ein schizophrener psychotischer Schub einsetzt (gibt es sowas?). Interessant auch, daß er später seine Schwester als diese erkennt, obwohl er sie als Erwachsene ja nie gesehen hat. Und auch schön, wie die Ähnlichkeit inszeniert wird: Als sie vor Angst aus dem ehemaligen Haus der Familie zu fliehen sucht und ihren Bruder, den sie als solchen nicht kennt, angestochen hat, sitzt sie an der Wand und schaut an der Kamera vorbei ins Freie. Im Hintergrund liegt Michael auf dem Boden. Mit ihrem abgekämpften bleichen Gesicht und den langen blonden, verklebten Haaren sieht sie ganz so aus, wie Michael als Kind ausgesehen hatte. Kleinigkeiten, wie nebenbei, die mir sehr gut gefallen.
Bearbeitet von Bastro, 23. September 2008, 11:24.
#284
Geschrieben 23. September 2008, 17:23
Während die Ehefrau eines Eisenbahnbremsers, eine Malerin, einen "Bishop" samt Frau und Tochter zu sich nach Hause in die New Yorker Wohnung einlädt, kommt ihr Mann nach Hause und mit ihm seine Freunde, eine Bande von herumalbernden Bohemiens und Schriftstellern, Musikern und Dichtern. Die bunte Truppe vollführt allerlei Albernheiten und sind dem Geistlichen sichtlich unangenehm. Die verlassen daraufhin die Wohnung, die Frau ist sauer und die Kerls gehen einen Trinken.
So war das mit der Beat Generation. Jack Kerouacs kleines Stück wird hier mit leichter Hand und ungewöhnlich verfilmt, und es wirkt wie ein Experiment oder ein Gedicht (wie der Titel des gleichnamigen Kollektivgedichtes schon suggeriert). Kerouac fungiert als Erzähler und spricht alle Stimmen so in etwa nach, manchmal trifft er auch die Lippenbewegungen, doch derum geht es nicht. Die Leute sprechen und albern herum, aber wir schauen ihnen dabei zu und lauschenden den abgehackten Wortkaskaden des Dichters, Stakkatointerpretationen des gesehenen Bildes. Manchmal ertönt ein wenig Musik, oder das Klappern von Absätzen. Doch sowohl die Stimmes des Erzählers, als auch die temperamentvoll wechselnde Stimmung zieht in den Bann, etwa wenn Corso einen Witz erzählt, oder Allen Ginsberg einen lustigen Tanz aufführt. Schöne Bilder zudem, und irgendwie sieht man sofort - das muß New York sein.
#285
Geschrieben 24. September 2008, 10:06
Wir alle sind Kinder unserer Eltern. Und hat man das Los gezogen, sich auf dem selben Feld wie der eigene (Über-)Vater beweisen zu müssen, so kann man das durch eine radikale Abkehr vom Vorbild tun. Die andere Möglichkeit ist: man führt die (Familien-)Tradition fort.
Das hinterläßt bei mir ein noch sehr unentschiedenes Gefühl, denn Frau Lynchs Film ist ein sehr Davidesker Alptraum geworden. Und das ist wohl sehr legitim. Vielleicht ist es besser, sich in eine bestehende Tradition einzuschreiben, denn alles aus einer eigenen kreativen Ursuppe generieren zu müssen. Wer weiß. Kunst ist ja auch immer Handwerk.
Und Unterschiede, bei allen Gemeinsamkeiten, die gibt es zuhauf. Leider häufig Dinge, die ich dann doch vermisse, die mir beim Vater besser gefallen. Aber vielleicht bin ich auch nur romantisch vorgeprägt.
In vielen Dingen gleicht dieser Film also einen David-Lynch-Film. Man sehe sich Wild at Heart an, oder Blue Velvet, Lost Highway (2. Hälfte). Die größte Diskrepanz dürfte in einem sehr straighten Storytelling liegen (auch wenn hier mit drei Perspektiven gearbeitet wird), jenseits aller Metaphysik. Das Mysteriöse, das Unauflösbare des Vaters, das gibt es bei der Tochter nicht. Hier löst sich -leider- alles auf, und wer es nicht versteht, dem wird es auch noch einmal erklärt. Am Ende geht man zufrieden aus dem Kino, auch wenn alle tot sind; beim Herrn Papa hingegen ist man ziemlich zerrüttet.
Schlecht finde ich den Film jedoch ganz und gar nicht. Er wirkt etwas wie eine moderne, entschlackte Kopie mit viel Konzessionen an aktuell hippe gezeigte Gewalt. Und zwar nicht zu knapp. Die Frauensexszene ist mit das Kränkste, was ich seit langem gesehen habe. Und ja, Bill Pullman darf man nicht vergessen. Der Mann ist eine Bank. Der Schluß ist bezeichnend, das Kind darf leben. In Asien, meine Herren!, hätte es sowas nicht gegeben.
#286
Geschrieben 24. September 2008, 18:26
Taeko (Michiko Kogure) konstruiert eine windige Geschichte, um mit ihren Freundinnen ein Wochenende im Spa verbringen zu können. Männer will man dabei natürlich nicht dabei haben. Ihre Nichte Setsuko (Keiko Tsushima) allerdings soll endlich mal in den Hafen der Ehe geführt werden - diese jedoch hat ihren eigenen Willen und hält überhaupt nichts von arrangierten Ehen in denen die Liebe zu kurz kommt. Ein schlechtes Beispiel sind eben genau Taeko mit ihren Freundinnen, die zum Lügen gezwungen sind.
Die Familie als Baustelle - ein Thema, das Mitte der 50er einige Filmemacher Japans beschäftigt hat. Dieser Konflikt speist sich aus einer Kontroverse von Tradition und Moderne, hier hauptsächlich aus dem aufkommenden Selbstbestimmungsbedürfnis der Frauen, die die männliche Dominanz abzuschütteln suchen.
Das Auseinanderleben und -driften der Ehepartner wird als schmerzlicher Prozeß dargestellt; zumindest für den sanftmütigen Ehemann Taekos, der sein Los mit stoischem Gleichmut zu ertragen versucht. Als seine Frau endlich ihre harte Konfrontationsposition aufgibt und ihm -symbolisch- erlaubt, das Arme-Leute-Essen des mit grünem Tee übergossenen Reises zu essen, ist eine Versöhnung in Sicht, die auf einem Miteinander basiert, auf einer gemeinsam zu entdeckenden Zukunft des gegenseitigen Vertrauens ohne Einschränkungen.
Ozus Kamera ist für seine Verhältnisse sehr dynamisch: es gibt 2-3 minimalistische Kamerafahrten auf Personen zu, sowie eine längere im Automobil und eine im fahrenden Zug, die in ihrer Bewegung eine im sonst statischen Kontext große Wirkung entfalten. Rasant! Ansonsten sind wieder streng komponierte Bilder zu bewundern, die sich häufig an den Wohnraumgegebenheiten orientieren. Dazu natürlich der Blick aus der Untersicht. Ozu betreibt das bis in die letzte Konsequenz: als die Kamera auf Sitzhöhe am Rücken des Ehemanns vorbeischießt, kommt die Bedienstete herein, die Kamera bleibt statisch. Da sie ja noch steht, ist der Kopf abgeschnitten - erst als sie sich setzt, ist sie voll im Bild... Aber wie gesagt, es gibt ja diese Fahrten!
#287
Geschrieben 25. September 2008, 13:27
Ein Giallo mit allen Ingredienzien: der Serienkiller, die Handschuhe, der Phallus als Klarinette, usw.. Der Beginn überzeugt enorm, die Zugfahrt und der Terror sind toll eingefangen. Der Mittelteil allerdings kämpft mit einer schlingenrden Handlungsentwicklung, Problemen mit der Entwicklung eines Protagonisten und katastrophalen Dialogen. Eine Hülse reiht sich an die andere. Auch die Bilder sind streckenweise sehr inspirationslos, und nur weil viel rot und blau verwendet wird, ist das noch nicht originell. Bezeichnend etwa das erste kurze Auftauchen des Zwergenmörders im Fenster, der husch husch, schnell wieder weg ist. Das ist dermaßen cheap inszeniert, da wünscht man sich ein Tatort-Niveau. Gegen Ende kommt dann wieder Drive auf, und der Twist ist gar nicht mal unspannend. Letztlich ein zweifelhaftes Vergnügen aufgrund der Unausgewogenheit, aber mit Abstrichen durchaus ankuckbar und spannend.
#288
Geschrieben 26. September 2008, 10:44
Ein weiterer Vertreter des HK-Cop-Thrillers, aber ein besonderer. Die Handlung ist seltsam und kurios zugleich: Polizist Tsim (Simon Yam) nimmt die Anzeige eines scheinbar verwirrten Mannes auf, der behauptet, "Frauen" würden ihm nach dem Leben trachten. Ein Tag darauf scheint er eingeschüchtert worden zu sein und widerruft seine Aussage. Die einzige Person, zu der er Kontakt hatte, war jedoch eine von Tsims Kolleginnen. Das macht ihn neugierig, und so macht er die Aufklärung des Falles zu seiner persönlichen Sache.
Wer möchte, klar, kann hier mit einem Genderdiskurs anknüpfen. Meines Erachtens ist das Besondere des Films aber die Machart. Der Film ist extrem arthausig photographiert, eine Sache die zunächst positiv überrascht. Die Bilder orientieren sich sehr an Perspektiven, an architektonischen Strukturen. Dazu gesellen sich sehr langsame, kontemplative Schwenks in einer häufig nächtlichen, halbdunklen, abgedunkelten Situation. Auf Dauer wirkt das etwas maniriert, sehr gesucht. Man fragt sich, ob das Bild nicht gewaltsam mit Originalität aufzuladen versucht wird, etwa wenn ständig der eigentliche Bildmittelpunkt, also etwa der Protagonist, ganz an den Bildrand gedrängt wird. Dadurch entstehen schöne Bildschirmschoner, aber gesehen hat man das ja auch schon öfter.
Natürlich läßt sich dieses An-den-Rand-Drängen inhaltlich begründen, da "die Männer" an den Rand gedrängt werden sollen, bzw. aus der Gesellschaft hinaus. Dennoch wirkt dieses Vorgehen auf Dauer bemüht. Ein sehr zurückhaltender Score und stark reduzierte Umweltgeräusche evozieren zudem die Abgeschlossenheit diese Systems, spiegeln die psychische Lage Tsims wieder, der sich immer mehr in den Fall hineinstürzt, und sich zunehmend von seiner Frau entfremdet.
Ein offenes Ende, das zur Diskussion einlädt, rundet diesen ungewöhnlichen Film ab, der mir letztlich gut gefallen hat und aus dem Einheitsbrei des HK-Thrillers positiv heraussticht.
#289
Geschrieben 28. September 2008, 10:05
Drei Jahre vor EXODUS konnte Edmond Pang mit diesem anspruchsvolleren Liebeskomödiendrama brillieren. Zwei junge Frauen lernen sich kennen - die eine ist die Freundin von Ken, die andere dessen Ex. Je besser sie sich kennenlernen, desto mehr tauschen sie sich über Ken aus, wobei ihnen immer klarer wird, was für ein Schwein hinter der liebevollen Maske steckt. Das fängt schon damit an, daß er sie mit denselben Sprüchen rumgekriegt hatte. Und das ist nur der Gipfel des Eisberges.
Pang ist hier ein ordentlicher Genremischer: Komödie, Drama und Detektivgeschichte fügt er zu einem wunderbaren Film, manchmal etwas zu hip, zu ausnahmslos schön, zu sehr ins rechte Licht gesetzt. Aber das sieht man ihm gerne nach, macht der Film doch ordentlich Spaß, hat einen geschickt konstruierten Handlungsverlauf mit einigen Überraschungen und zwei Darstellerinnen, die nicht von dieser Erde stammen. Hm! Und immer frisch gewaschen! Kameramäßig hat er sich auch was überlegt: ganz im Gegensatz zu EXODUS dominiert hier die Handkamera, die sehr dicht auf den Personen drauf ist. Das paßt sehr gut, ist dieser doch letztlich auch ein sehr intimer Film. Und irgendwann denkt man sich wirklich, sie sollen jetzt endlich den Typen links liegen lassen, sich in die Arme nehmen und anfangen zu knutschen!
#290
Geschrieben 30. September 2008, 16:00
Von Nobuo Nakagawa kannte ich bislang nur den Geisterfilm Kaiidan – The Living Koheiji (1982) und das eher klassische Chambara-Drama The Ceiling at Utsunomiya (1956). Mit Jigoku jedenfalls schlägt er einen ganz anderen Ton an.
Blick auf die Hölle, wie wir sie nicht kennen: eine leere dunkle Ebene mit einem stilisierten Fluß. Man wähnt sich in einer Theatersituation. Heutigen Betrachtern fällt da vielleicht Lars von Triers Dogville ein oder George Lukas’ Stilisierungen des Raumes in THX1138 - hier als dunkles Komplementärstück. Später wird sie sich allerdings beleben: die Toten wandeln in ihr, das Feuer brennt lichterloh und der Sünder wird über dem Feuer gebraten. Die Haut wird abgezogen und der Leib vom Skelett. Der Film macht sprichwörtlich keine Gefangenen.
Und einen Plot gibt es auch noch: der Student Shiro (Shigeru Amachi) ist mit der Professorentochter Sachiko verlobt. Doch der eigentliche Dreh- und Angelpunkt ist dessen Freund Tamaru (Hiroshi Hayachi), Mensch, Dämon und Alter Ego Shiros zugleich. Bei einer Autofahrt durch eine schlecht beleuchtete Straße überfährt Tamaru einen Yakuza, der betrunken vor den Wagen taumelt. Shiros Gewissensbisse –ganz im Gegensatz zu Tamaru, der damit sehr gut zurechtkommt- bringen ihn an den Rand des Verstandes. Als er Sachiko zu einer Fahrt im Taxi überredet fährt dieses gegen einen Baum. Sachiko überlebt den Unfall nicht. Fortan kommt Shiro mit der Schuld nicht mehr zurecht. Jedoch: Sekunden vor dem Unfall sahen wir, wie an Stelle des Taxifahrers Tamaru mit diabolischem Grinsen am Steuer des Wagens saß. Hat er das Schicksal beeinflußt? Und das vielleicht schon die ganze Zeit?
In diesem Horrorfilm, der sich in ein rauschhaftes Moralstück hineinsteigert mit gräulichen Visualisierungen der Hölle, finden östliche Theologien (Shintoismus, Buddhismus) eine explosive Gestaltung. Der westliche Zuschauer dürfte häufig überfordert sein mit all den Anspielungen und Allegorien, Mythen und Ästhetikprinzipien, die hier ihre Realisierung finden. Das macht aber nichts – man überläßt sich einfach den blutroten, faszinierenden Bildern dieses Horrortrips. Eines ist am Ende jedoch klar: ein Bad im „Blutteich“ ist wenig erholsam.
#291
Geschrieben 01. Oktober 2008, 09:30
Das Quälende und das Eindrucksvolle, das Unvergessliche und das Verfolgende: hier geht es um ein Mysterium, die Faszination des Schrecklichen. Und ob das Haus selbst nun lebt, oder die Geister in ihm, ob es ein dunkles Erbe gibt in all dem gargantuesk aufgetürmten Unsicherheiten -den Korridoren, den Geräuschen, den barock überfüllten Zimmern, den viktorianischen Accessoires, den strengen und unheimlichen Angestellten, der Bibliothek, nicht als Ort des Wissens und der Erkenntnis und Kunst in Szene gesetzt, sondern als furchteinflößender Ort des Todes und des Suizids- läßt sich nicht so einfach mit Sicherheit sagen; dafür gibt es die Wissenschaft. Jedoch in der Person der Nell stellt sich immer die Frage, und das weiß jedes Kind, das vor Angst nicht mehr in den Keller geht: der Horror kommt auch immer von innen, aus einem selbst.
Viktorianismus ist vielleicht wirklich das Stichwort, und dazu: gothic novel (das Nursery-Zimmer ist das Äquivalent zum verschlossenen und heruntergekommenen Seitenflügel des Schlosses in Wuthering Heights, das auf keinen Fall betreten werden darf), der sensational novel, der etwas jüngeren detektivischen Mysteryvariante. Um die Erweiterung allerdings, die übersinnlichen Phänomene nicht direkt durch die Ratio aufzulösen.
Ein wunderbarer Klassiker, fast schon zu gut austariert und in den Figurengestaltungen so ausbalanciert, daß er wieder sehr konsumierbar wird. Besonders hart fällt das auf, wenn man direkt zuvor den um drei Jahre älteren japanischen JIGOKU gesehen hat. Irgendwie leben wir kulturell alle auf total verschiedenen Planeten.
Bearbeitet von Bastro, 01. Oktober 2008, 09:31.
#292
Geschrieben 03. Oktober 2008, 10:24
Ein äußerst dunkler und enorm brutaler Copthriller wird hier geboten. Zunächst zeichnet er sich durch einen sauber durchgehaltenen Nihilismus aus, der sich fast bis zur Unerträglichkeit steigert. Mit anhaltender Laufzeit allerdings wird das durch eine Bonnie&Clyde-Thematik aufgeweicht, die sich ganz am Ende in einen unerträglichen und unglaubwürdigen Liebeskitsch hineinsteigert.
Es ist ein ernstgemeinter Rat: Man sollte den Film vor der letzten Viertelstunde abbrechen, am beisten bei der Bootsfahrt. Der Schluß macht ALLES kaputt. Man fragt sich, was der Regisseur mit so einem Quatsch bezweckt haben mag. Nun dürfte der Film niemandem mehr gefallen. Schieben wir es mal auf Produzenteninteressen, die mit Peitsche uind Nagelbrett durchgesetzt wurden.
#293
Geschrieben 04. Oktober 2008, 22:17
Die Hollywoodisierung des spanischen Geisterfilms. Insgesamt sehr enttäuschend, trotz des rührenden Endes. Einzig Belén Rueda macht den Film sehenswert. Eine weniger meisterhafte Hauptdarstellerin hätte deutlich gemacht, was der Film tatsächlich ist: Popcorn-Kino zwischen egal und zum Kotzen ärgerlich. Für die Zielgruppe, der THE DEVIL'S BACKBONE zu anstrengend war.
#294
Geschrieben 05. Oktober 2008, 10:06
Irezumi - Spider Tattoo Yasuzo Masumura, Japan 1966
Otsuya (Ayako Wakao), die Tochter eines zu Wohlstand gekommenen Kaufmannes, brennt mit dem kleinen Gehilfen Shinsuke (Akio Hasegawa) durch - es ist die große dramatische Liebe. Shinsuke jedoch hat ein äußerst schlechtes Gewissen seinem Herrn gegenüber, denn dieser hatte ihn wie einen eigenen Sohn aufgenommen. Unterschlupf finden sie bei dem zwielichtigen Gonji, der versucht die Liebenden zu trennen, Shinsuke ermorden zu lassen und anschließend Otsuya an den Bordellbesitzer Tokubei verkauft. Der läßt ihr eine riesige Spinne mit Dämonenkopf auf den Rücken tätowieren, die männerfressende Spinne - denn Otsuya ist eine äußerst attraktive Frau, die Männer scheinen in ihrer Nähe den Verstand zu verlieren.
Die literarische Vorlage zum Film stammt von Junichiro Tanizaki, das Skript von Kaneto Shindo (ONIBABA, KURONEKO). Was kann man da anderes erwarten, als herausragendes Kino! Masumura gelingt hier ein atmospärisch dichter, äußerst kompakt wirkender Film, der Figuren zeigt, die ständig am Abgrund wandeln. Umgesetzt in prächtige Bilder, in eine beeindruckende Inszenierung der Körper. Überhaupt scheint dies das Hautthema des Films zu sein, neben Liebe, Begehrlichkeit und Geld. Wie schon in MANJI - DIE LIEBENDEN, in dem Masumura eine lesbische Liebe portraitierte, ist hier die nackte Haut das zentrale Thema, das Ins-Auge-Fallende. Ob das der halbnackte Rücken der Tätowierten ist, ihr nackter Bauch im Bett nach dem Liebsspiel, der nackte Rücken ihres Geliebten Shinsuke, an den sie sich mit aller Kraft klammert, oder, eine der schönsten Szenen, als sie zu Beginn im Gasthaus des Gonji den Raum mit betrunkenen und spielwütigen Männern betritt. Barfuß, "wie eine Geisha", tritt sie ein, der prachtvolle Kimono teilt sich, der freie Knöchel wird sichtbar, dem Tätowierer Seikichi verschlägt es die Sprache. Ganz langsam und elegant umrundet sie einmal die Spielenden und die Stimmung der Begehrlichkeit scheint zu explodieren. Doch sie hat alles unter Kontrolle - und man sieht es ihr da schon an, da genügt nur der Blick, die Körperhaltung - diese Frau hat die Männer in der Hand. Und der Anblick des Knöchels genügt, er treibt alle Anwesenden in den Wahnsinn (und uns ebenso).
Wieder gelingt es Masumura in eindrücklichen Bildern und mit hervorragenden Schauspielern einen intensiven Film zu gestalten, der vom Aufbegehren des Individuums nach Selbstbestimmung erzählt. Gegen gesellschaftliche Konventionen, Geschlechterrollen und, ja, Unterdrückung.
#295
Geschrieben 08. Oktober 2008, 16:12
Ein Film über Landschaft. Auch: Seelenlandschaft. Wüste, Megalopolis, Provinz, das in Kürze die Stationen. Aber auch ein Film über Familie und Einsamkeit, über Fortbewegung: ein Road Movie. Das geht bis in die Mikrozelle, etwa wenn der kleine Hunter par tout nicht zu Fuß von der Schule nach Hause gehen will, obwohl sein Vater auf der anderen Straßenseite auf ihn wartet. In L.A. wird alles mit dem Auto erfahren, überhaupt hier in diesem Film. So ist dieser auch ein Film über L.A., und weshalb ich so eine Affinität zu L.A.-Filmen habe, ist mir schleierhaft. Ob das an James Ellroys Romanen liegt, oder an Short Cuts, Mulholland Drive, an T. C. Boyles América, oder schlicht an der faszinierenden Grausamkeit in Colors - ich weiß es nicht. Hier gibt es tolle Szenen und Blicke auf die Stadt von der Anhöhe aus, von der kargen Terasse des Bruderhauses im Dämmerlicht wenn alles vor Verheißung und Leben leuchtet. Aber nur wie nebenbei, als Figurensicht - nicht als Sensation (anders als die Wüste, die beeindrucken soll). Ein offener Blick bietet sich dar, das Gegenstück zu New York -oder hier im Film: Houston, in das man "ein"fährt. Und wenn man den Film auf L.A. reduziert, dann tut man ihm Unrecht - er hat so viel mehr zu bieten. Aber hier schreibe ich mal über L.A - auch wenn der Filmtitel von einem anderen Ort, auch ein Sehnsuchtsort, spricht. Ein Ort im Nirgendwo.
Bearbeitet von Bastro, 08. Oktober 2008, 16:15.
#296
Geschrieben 11. Oktober 2008, 17:17
Der Männeractionfilm ist nun überhaupt nicht mein Metier. Nach den 80ern hatte ich das Genre völlig aus den Augen verloren. SNIPER ist aber vielleicht so etwas wie ein Überschreiten der Schwelle, denn in Verbindung mit dem jüngst gesehenen und für gut befundenen SPARTAN, hat mich dieser Film doch ziemlich begeistert.
Zum Beispiel: die vielfachen Momente der Verstörung. Das beginnt mit den sehr nüchternen Credits am Anfang und der damit einher gehenden sehr unheimlichen, ja experimentellen Musik. Kein Bombast, nirgends. Das beginnt fast wie ein Horrorfilm. Dann der Dschungel: die Wildnis, das Ungangbare. Man sieht keinen Meter weit, das ist die Gefahr, das ist der eigene Schutz. Eine Ambivalenz. Überhaupt Ambivalenzen sind überall zu finden in diesem Film, in dem auch wieder wie in SPARTAN viel geredet wird. Und zwar deutlich mehr als verkürzte martialische Platitüden: da wird argumentiert, gelehrt, gelernt, aufbegehrt, aber auch: hinterfragt, dekonstruiert und bis ins Private hinein: Hoffnungen zerstört. Und das jenseits eines muskelprotzerischen Genre-Konventions-Versatzstück-Abhakens. Ein Film, der Männer zeigt, die, wenn sie ihren Job gut machen, nicht zu sehen sind! Der Film fragt so eben auch, was den Helden zum Helden macht.
Wenn dann SNIPER doch immer wieder ein Actionfilm wird, so ist das keinesfalls negativ. Das ist sauspannend inszeniert und sehr dunkel. Da denke ich an JOHN RAMBO und die Dekonstruktion des Actionhelden, und finde hier in diesem Film 15 Jahre früher bereits das Fundament. Sogar der Showdown bleibt der ästhetischen Konzeption treu. Da wird der Grünschnabelfaktor zwar überwunden, und der Hansel wird zum (moralischen) Helden, doch geht das ganz ohne Bombast ab, und der Blick in den Himmel, an dem der Morgen aufzieht, genügt um den Ausblick auf die Rettung anzuzeigen. Im Abspann gibt es wieder nüchterne Credits und die verstörende, leicht melancholische Ambientmusik. Wunderbarer Film.
Bearbeitet von Bastro, 11. Oktober 2008, 20:35.
#297
Geschrieben 16. Oktober 2008, 19:52
Diesen Film zu schauen, ist wie nach Hause kommen. Von Grusel heute natürlich keine Spur, aber den alten Onkel Vinnie umarmt man gerne immer wieder. Ebenso diese Sets, die immer irgendwie gleich aussehen, und einen doch immer wieder noch etwas entdecken lassen, was man früher übersehen hatte. Alles in allem bin ich ziemlich froh, daß ich zu der Hälfte der Menschheit gehöre, die Prices distinguiertes Overacting zu schätzen weiß. Ich kann aber auch verstehen, daß einen das in den Wahnsinn treiben kann.
In diesem Film sieht die Frau tot übrigens am besten aus. Man möchte ihr in bester nekrophiler Art den Hauch von Tuch herunterreißen.
#298
Geschrieben 17. Oktober 2008, 18:20
Eine Handvoll Gangster flieht nach einem Banküberfall in einem Kastenwagen. Von der Polizei werden sie durch Genua gejagt. Doch auch der gefürchtete Killer Quintero (Klaus Kinski) will mehr von der Beute sehen, als er zunächst gesagt hatte.
In Rückblenden erzählt der Film den Hergang des Himmelfahrtkommandos aus der subjektiven Sicht der einzelnen Personen im dahinrasenden Wagen. Das ist spannend gestaltet, denn die Figuren werden auch ungewöhnlich tief psychologisiert. Nicht zu tief allerdings, es gibt reichlich Platz für alles, was das (Männer-)Herz begehrt: markige Sprüche, Frauenfleisch, Muskeln und Schweiß, enge Hosen, durchsichtige Blusen, Haschparties, Gewalt und Kannonen. Und vor allem: richtig fetzige Musik. Der Film ist eine echte Granate.
#299
Geschrieben 19. Oktober 2008, 15:34
Red Angel / Akai Tenshi Yasuzo Masumura, Japan 1966
Im Jahre 1939 kommt die Krankenschwester Sakura Nishi (Ayako Wakao) in ein Lazarett an der Front in der Mandschurei. Dort wird sie eines Nachts bei einem Kontrollgang durch die Schlafsäle von mehreren Soldaten vergewaltigt. Als sie die Assistentin des renommierten Arztes Dr. Okabe wird, erlebt sie die Hölle auf Erden. In 48-Stunden-Schichten werden Verwundete behandelt, Schußwunden operiert, Halbtote aufgegeben, und Gliedmaßen amputiert. Das Lazarett mutet an wie ein wogendes Meer aus schreienden, verwundeten Männern, die übereinanderliegend, die Schmerzen nicht mehr aushalten können.
Die Darstellung der Operationen ist mehr als deutlich. Der Arzt und die Assistenten sehen aus wie aus einem Schlachthaus über und über mit Blut verschmiert. Die Kugeln, die aus den Körpern geholt werden, häufen sich in Metallschalen, die amputierten Arme und Beine werden in Bottiche und Fässer geworfen. Immer wieder muß der Boden geschrubbt werden, das Blut fließt hinaus und fließt in die Erde. Die Leichen werden in Massengräber geworfen. Und da kommt der Laster mit den nächsten Verwundeten.
Masumura findet eindrucksvolle Bilder in s/w für dieses menschengemachte Inferno, für diesen Angriff auf die Psyche, für den ständigen Kampf gegen den Tod. Und auch die "Engel" der Medizin sind keine unantastbaren Wesen, wie schon in der Vergewaltigungsszene deutlich wurde. Sakura muß sich ständiger Übergriffe erwehren, jede Art moralischer Wertvorstellung ist bei den Männern ausgeschaltet. Vor dem Hintergrund des nahen Todes gelten die Gesetze nicht. Als sie einen Soldaten pflegt, dessen beide Arme amputiert werden mußten, ist sie ihm in seiner Verzweiflung auch sexuell zu Diensten. Die Verzweiflung allerdings, die diese Erkenntnis fördert, nie wieder eine Frau berühren zu können, treibt den Soldaten in den Selbstmord. Er springt vom Dach des Hauses in den Tod. Sakura fühlt sich daraufhin schuldig am Tod des Soldaten. Gerade in dieser Szene wird erneut deutlich, wie kontrovers Masumura durchweg durch seine gesamte Filmbiographie hindurch die Themen Sexualität und Gewalt verknüpft.
Doch Sakura verliebt sich in Okabe, den Arzt, der jedoch, um die Gräuel zu ertragen, morphiumsüchtig geworden ist. Als sie auf einem Außenposten Dienst tun müssen, werden sie von den anderen Truppenteilen abgeschnitten. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann die übermächtige chinesische Armee die Siedlung überrennen wird. Als die Cholera im Lager ausbricht, spitzt sich die Situation zu, und Sakura wähnt die Zeit für ihre Liebe zerronnen. In einem Akt des Aufbäumens der eigenen Bedürfnisse zwingt sie Okabe in der letzten Nacht zum Entzug, überwindet die Hemmungen seiner drogenbedingten Impotenz und vereinigt sich mit ihm mehrere Male.
Als der Gegner schließlich anrückt, beginnt ein Bombardement auf ein unbedeutends Fleckchen choleraverseuchter Erde, das keine Überlebenden übrig läßt. Doch Sakura überlebt wie durch ein Wunder, sucht die Gräben ab, dreht alle Leichen um, und findet Okabe schließlich tot auf dem Feld liegend. Sie nimmt ihn in die Arme und erhebt die Stimme zur Klage, die, vor dem Hintergrund des Requiems, das leise eingesetzt hat, eine Anklage sondergleichen gegen das Militär darstellt, gegen die Sinnlosigkeit des Krieges, gegen die Gewalt, die Menschen sich gegenseitig antun.
#300
Geschrieben 21. Oktober 2008, 21:58
Nachdem der 16-jährige Ryo Ishibashi (Shawn Yue) scheinbar grundlos seine Eltern ermordet hat, kommt er für zwei Jahre ins Kittchen. Dort wird dem Prinzenärschchen übel mitgespielt, wie man sich denken kann. Beim Karatemeister Kenji (Francis Ng) lernt er aber die ultimative Karatetechnik und wird sich, wieder frei, an seiner Umwelt rächen. Außerdem macht er sich auf die Suche nach seiner verschwundenen und sich prostituierenden Schwester.
Der DOG BITE DOG-Regisseur hatte bei mir einen schweren Stand nach dem völlig verkorksten Ende des Vorgängers. Zudem wußte ich, dass dies eine Mangaverfilmung ist, was mich prinzipiell erstmal abtörnt. So rein gar nichts zu erwarten kann aber auch seine Vorteile haben. Und hier seien die positiven Aspekte des Films genannt: auch wenn die Handlung etwas dürftig erscheint und kaum über die Zeit trägt, so ist der Film doch immer wieder spannend und unterhaltend. Dies liegt vor allem an der Inszenierung, die -kaum ein Klischee auslassend- immer auch interessante Gutzle findet. Gutes Licht, spannende Winkel, stilisierte Räume, interessante Dialogmontagen. Blutfontänen in Zeitlupe. Besonders hervorzuheben ist -wie beim Vorgänger- das tollste am Film: der Einsatz des Tons. Das ist teils experimentell und atemstockend. Aber auch: manchmal zu viel des Guten, wenn man große Perioden über nur noch gestaltete Klangwelten hört. Am Ende gibt es noch einen guten (!) Twist und fertig ist der durchschnittliche Muay-Thai-Klopper, der seine Brutalität leider allzuoft abfeiert. Ein Jungsfilm, eindeutig.
Bearbeitet von Bastro, 21. Oktober 2008, 21:59.
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