maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
Gewünscht hätte ich mir noch eine etwas kritischere Durchleuchtung des durchaus nicht unumstrittenen Kozeptes des "impliziten Autors". Wessen Definition nutzt du da? Die (sehr schwammig gebliebene) von Booth?
branigan arbeitet da mit einer eigenen definition, sowohl in
point of view in the cinema als auch dem nachfolgewerk
narrative comprehension and film. daran habe ich mich eigentlich orientiert und sie (recht) stillschweigend übernommen. seitenzahlen könnt ich gewiss nachliefern, wenn du willst. da müsst ich dann ein bisschen in den beiden bänden schmökern.
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
3. Ich habe den Plot des Films etwas anders gelesen als du und würde mir wünschen, dass du folgende Sichtweise von mir korrigieren kannst: Die "Stiefmutter" ist nicht die Nebenbuhlerin der Mutter und auch nicht der Grund für deren Suizid. Sie ist offenbar Ärtzin und damit Kollegin des Vaters. Su-mi, die Fotos von ihr und dem Vater findet, konstruiert daraus eine Wahnvorstellung, die ihr den Suizid der Mutter begreiflich macht. Anders lässt sich für mich nicht erklären, warum der Vater am Ende des Films bei der "Stiefmutter" (schreibe ich in Ermangelung einer besseren Bezeichnung) anruft und sie bittet, Su-mi abzuholen - und sie dann auch wieder in der Psychiatrie besucht. (Der Dress, den sie dort trägt, ist keine Arztkleidung - das spricht für deine Lesart).
ja, das ist wohl sehr schwierig. also mein verständnis weicht da ganz klar von deinem ab. ich verstehe den film so, dass die "stiefmutter" wenn schon nicht
die stiefmutter, so aber doch eine liaison des vaters war, die zur trennung von seiner frau und ihren suizid führt. diese lesart hat aber auch seinen grund in unserer unterschiedlichen bewertung der binnenerzählung. für mich enden die wahnhaften imaginationen su-mis bei der "gegenüberstellung" der gleichen stiefmütter (ihr werden sie ja auch selbst bewusst und ihr vorstellungen werden ihr
als solche klar - das wird m.e. sehr stark markiert). für mich sind damit die letzten flashbacks des films (vor dem abspann) als diegetische wahrheit einzuordnen und somit glaubhaft. aber selbst ohne diese differenz, gibt es da ein kleines cue, was gleich in der ersten szene und somit vor der binnenerzählung aufblitzt - es ist das familienfoto, in dem die leibliche mutter zwar noch innerhalb ihrer familie aber die nebenbuhlerin schon ins bild getreten ist. auffällig ist, dass der arzt/therapeut meint "das ist ihre familie" - und somit wohl auch diese 5. person mit einschließt (denn: warum kein anderes foto nehmen?). der sehr formal klingende anruf des vaters bei der "stiefmutter" kann man sich durchaus auch anders erklären (auch wenn er wirklich befremdlich ist):
(1) übersetzung und synchronisation etwas ungenau (vielleicht).
(2) es bleibt ja im unklaren was zwischen dem suizid und dem tragischen versterben su-yeons und dem erneuten besuch des hauses su-mis mit ihrem vater geschehen ist. bzw. - gehe ich recht in der annahme, dass du die erste szene des films, in der psychatrie, auch für den ersten aufenthalt su-mis, gleich nach den traumatischen geschehnissen um mutter und schwester, wertest? ah, dieses zitat spricht dafür:
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
Du machst eine markante Feststellung, in der du die ersten Sequenzen nach dem Prolog als "Zukunft" bezeichnest. Habe ich das richtig verstanden, dass du meinst, das danach gezeigte sei erzählzeitlich davor situiert und die nunmehr wirklich geheilte Su-mi kehrt in dieser Sequenz nach Hause zurück? Wo findest du Indizien für ein solche Lesart?
also meine chronolgischen rekonstruktion der ereignisse wäre folgende: nach dem selbstmord der mutter und tod der schwester erleidet su-mi einen psychischen zusammenbruch, wird behandelt, selbstverständlich kühlt sich die beziehung des vaters und seiner neuen flamme ab oder erlischt ganz (deshalb vielleicht auch der komisch klingende anruf des vaters gegen ende), nach der erholung und genesung will der vater su-mi an den vertrauten ort zurückführen. es kommt nun zu den hauptereignissen des films (binnenerzählung) und zur erneuten "einweisung", dann folgt die erste szene des films, die sich nun beim zweiten aufenthalt su-mis in der psychatrie abspielt. das ist spekulativ, das will ich nicht verhehlen, aber darum dreht sich ja meine arbeit. folgende indizien sprechen dafür:
[indent]a. formalästhetisch ist der übergang von der ersten szene des films zur autofahrt auf das landgut ja ein sehr weiche und langsame überblendung. mit der vorherigen aufforderung, sie solle sich erinnern, ein starkes indiz für ein flashback. (gegen mich zu wenden - der doktor fordert sie auf, sich an einen bestimmten tag zu erinnern, welcher soll denn das sein bei dem mehrtägigen aufenthalt auf dem landgut sein?)
b. ich bin ja mit der these angetreten, zu entkräften, dass es sich bei der binnenerzählung um eine rein wahnhafte traumvorstellung handelt, sondern um beglaubigte erzähltwelt, vermischt mit projektionen su-mis. die kollisionen, die ich ausmache, deute ich ja eben als zeichen dafür, dass su-mi nicht vollkommen frei ihre geschichte fantasieren kann, sondern immer wieder von "oben" gestört wird. somit muss ich davon ausgehen, dass die rückkehr zum landgut diegetisch vorgefallen ist und zwar nach dem ersten zusammenbruch und einer ersten genesung (cue dafür - auch wenn in einem imagnierten gespräch, von dem ich aber annehme, dass es auch diegetische wahrheit verarbeitet - sind die aussagen der stiefmutter, als die geschwister das erste mal das haus betreten.) auch das gespräch zwischen su-mi und dem vater hat m.e. so stattgefunden - er eröffnet ihr, dass ihre schwester tot ist und "wie lange" sie dies noch verdrängen will. (was also auf eine psychopathologischen historie vor ihrem erneuten zusammenbruch und der folgenden einkehr in die psychatrie hinweist.)[/indent]
ich denke, eine weitere wirkliche größe des films ist, dass weder deine, noch meine deutung falsch ist. er legt soviele fährten so dicht beieinander und ist so höllisch komplex konstruiert, dass er sich wirklich alle möglichkeiten offen lässt.
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
a. Zum Einen ist mir natürlich der Umgang mit Symmetrien aufgefallen aus dem häufig eine Aufteilung des Filmbildes resultiert, bei der Figuren in separierten Bildparzellen "eingesperrt" wirken (siehe etwa die Schuss-Gegenschuss-Aufnahme bei der Begrüßung der Schwestern durch die Stiefmutter oder die Sequenz, in der der Vater mit Su-mi, die auf der Veranda sitzt, spricht. Es wäre spannend hier die mise-en-scene noch in die Raumtheorie zu integrieren, also ein erweitertes, von den POV unabhängiges Raumtheorie-Modell zu entwickeln.
hab ich ja bei letzerer szene
versucht.
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
b. Es gibt durchgängige, leitmotivartige Elemente, die den von dir beschriebenen Prozess der Verschleierung untergraben und indiziengleich wirken. Zuallererst wäre hier die Farbdramaturgie zu nennen. Die Farben Rot, Blau/Cyan und Weiß/Beige dominieren vor allem die Kleidung der Protagonisten und scheinen mir eng mit deren Funktion im Plot verknüpft. Sinnfällig wird dies, nachdem Su-mi vom Schuppen zurückkehrt, ihr weißes (Unschulds)Kleid auszieht und ihr rotes (Agressions)Kleid anzieht. Danach kann sie Su-yeun mit der notwendigen Strenge begegnen, als sie deren Hämatome am Arm entdeckt. Die Kippfigurenhaftigkeit der Stiefmutter zeigt sich gegen Ende, als sie ihre (ansonsten "kalt"-blaue) Kleidung gegen einen weißen Morgenmantel eintauscht und in diesem den Sack mit der vermeintlichen Leiche durchs Haus schleift. Man müsste hier noch mehr sammeln, käme aber bestimmt auf einige interessante Beobachtungen.
die farben
(du siehst, hier war es mir nicht möglich, über den zustand des staunens hinauszukommen.)
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
c. Fußnote 24
: In der Nichtbeachtung der Horrorelemente (bzw. deren Marginalisierung) liegt meines Erachtens vielleicht das einzige wirkliche Problem der Arbeit. Diese Elemente sind ja durchaus nicht funktionslos. Die in der Alptraum-Sequenz erscheinende Mutter hat - schon durch ihren schiefen Hals - prognostische Qualitäten. Das Kind unter der Spüle lässt sich als Verschiebung des Schrankunfalls sehen (der Schock-Effekt, als es darunter hervorgreift, steht analog zu den sehr häufig einkopierten Flash-Sequenzen, die den Unfall stroboskopartig zeigen: auch dort ist immer die Hand Su-yeuns zu sehen, die unter dem Schrank hervorgreift. Insgesamt scheinen mir die (Alp)Träume einen dritten Raum zu öffnen, der hybriden Charakter besitzt: Dort werden schon etliche Wahrheiten verschoben und verdichtet dargestellt, die zum Ende hin als Indiz gewertet werden können. Das erlittene Trauma drängt in diesen Sequenzen an die Bildoberfläche, wird aber stets wieder zurück gedrängt.
da würde ich dir recht geben. mein problem war nur folgendes - nach meiner grundthese wären diese geister eben auch als solche zu rationalisieren. also als wirkliche, diegtische geister. die frau des verwandten paares, welches zu besuch kommt (kollision: ihr sichtbares befremden ob des komischen verhalten der - retrospektiven - su-mi), sieht ja dieses wesen unter der küchenspüle. genau wie das ende für mich eine typische ghost-revenge ist - womit die nebenbuhlerin-theorie für mich kein problem ist und hier ihr folgerichtiges ende findet. natürlich hätte ich deine bedeutungsebenen als symbolische auslegungen auch unterbringen können. aber narratologisch waren sie für mich eben nicht ganz so interessant. klar, die alptraum-sequenz hat eine eigene subjektive qualität ganz im sinne branigans. (da musste ich leider auf eine analyse verzichten.)
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
Gibt es einen Grund, dass du den Begriff "Szene" dem Begriff "Sequenz" vorziehst? (Gerade, weil "Szene" imho ja doppeldeutig auch als "Szenerie" verstanden werden kann)? Implizierst du da auch diese zweite Raum-Bedeutung?
ich impliziere damit nichts theoretisches, sondern verwende szene als terminus technicus für eine einstellung(sfolge), in der die einheit von zeit, raum und handlung gegeben ist. wusste bis jetzt gar nicht, dass das verbrämt ist.
ich orientiere mich bei solchen begriffen ja am liebsten am metz (probleme der denotation im spielfilm) und der unterscheidet szene und sequenz terminologisch. szene als kontinuierliche (erzählte) raum-zeit und sequenzen als diskontinuierliche sytagmen (1. sequenz durch episoden - z.b. frühstückssequenz in
citizen kane, 2. gewöhnliche sequenz - diskontinuierlich raumzeit durch ellipsen, verkürzen der handlungen). der
beller empfiehlt deine terminologie an, borstnar/pabst/wulff bleiben in ihrer
einführung in die film- und fernsehwissenschaft sehr dunkel und unklar, s. 139.
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
Du wertest Sequenzen, in denen Su-mi nicht der POV ist (Seite 14 unten) als Zeichen extradiegetischen Erzählens. Gesetzt den Fall, es handelt sich bei den Su-mi-Sequenzen um rein mentale Wahn-Konstruktionen, dann ist ihre Anwesenheit in solchen Sequenzen nicht nötig.
korrekt. aber einer der hauptgründe, warum ich daran zweifeln würde, ist immer noch die szene des einfahrens des autos in das landgut am anfang des films, in der die kamera so eine geheimniskrämerei um die insassen/-in des autos macht. ein "darstellungswinkel", den eine fantasierende su-mi m.e. gar nicht nötig hätte. und eben der vater als agent der diegese, der die wahnvorstellungen stets durchbricht.
maX sagte am 16.06.2008, 20:09:
Die Stiefmutter bekommt stets 2 Tabletten vom Vater gereicht - nicht eine, wie du schreibst (S. 16 unten). Scheint mir irgendwie auch durch die Close-ups auf die Tabletten "sinnbeladen" zu sein.
interessant. zwei tabletten für die zwei anderen fantasierten figuren, die sie stets in sich trägt, also "einnimmt". würde dafür sprechen, dass der vater in dieser dreierformation als fantasieprodukt keinen platz hat... (naja, etwas weit hergeholt!
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