Versuchsanordnungen eines Geschmacklosen
#1
Geschrieben 30. März 2008, 06:28
Unter Umständen ist der ein oder andere schon in der Online-Filmdatenbank (OFDb) über das ein oder andere meiner qualitativ fragwürdigen aber hoffentlich zumindest von Enthusiasmus und spürbarer Ambition durchzogenen Reviews gestolpert. Für Einblicke in meinen nach Meinung vieler nicht vorhandenen Geschmack - denn bei mir kommt nahezu alles auf den Tisch und wird vollkommen willkürlich und gelegentlich [auch hier beziehe ich mich auf die Aussagen Außenstehender] mit einem von Größen- oder Minimal-Wahnsinn getrübten Blick rezipiert.
Nach einer schon einige Jahre zurückliegenden Phase, in der mein Herz dem Genre-Kino verschrieben war und einem Kontrastprogramm, das überwiegend aus klassischem Autorenkino bestand, habe ich mich m. E. inzwischen gut eingependelt zwischen nachdenklicher und unbedarfter, instinktiver und besonnener Filmbetrachtung. Und darüber bin ich ausgesprochen glücklich, denn eine kunterbunte, historisch wie inhaltlich ständig springende Speisekarte profitiert davon immens, bzw. wurde sie mir erst dadurch möglich.
Persönliche Vorlieben habe ich allerdings natürlich wie jeder andere auch, näher darauf einzugehen erscheint mir in diesem Moment allerdings zu anstrengend und irgendwo auch hinfällig, gesagt sei nur, das ich pures Gebrauchskino nicht besonders schätze und dabei vor allem dem aktuellen Hollywood-Mainstream mit einer möglicherweise unproportionalen Höchstmenge an Skepsis begegne.
Der Schutzengel, der früher über einen gewissen Ausstoß an Reviews wachte und mich regelmäßig zum Schreiben antrieb, ist derzeit leider ausgeflogen und hat seine Rückkehr noch nicht angekündigt, daher hielt ich es für eine gute Idee, über ungezwungenere Kurzkritiken in einem Filmtagebuch vielleicht wieder zu echten Reviews zurückzufinden oder zumindest auf diesem Weg in "Form" zu bleiben.
Lange Rede, wenig Sinn - Ich beginne mit einem Film, dessen Sichtung ebenso überraschend und spontan kam wie der Entschluss, dieses Filmtagebuch zu eröffnen. Ein Film mit Konfliktpotential (nicht nur für mich, wie es scheint), da er von einem zu recht verschrieenen deutschen Regisseur stammt, der in Hollywood bisher mehr oder weniger nichts als ganz großes Blech gedreht hat - Rost inklusive.
10.000 BC (Roland Emmerich, USA/Neuseeland 2007/08 / KINO)
Auf Anregung eines Freundes, der Roland Emmerich tatsächlich für den Trash-Pabst der Zukunft hält (bzw. inzwischen: hielt?), durfte ich erstmals einem Werk von Deutschlands teuerstem Autorenfilmer (denn, oh ja, das ist er durchaus - nach Definition...) im Kino begutachten. Erwartungsvoll wie ich also war (vorgeführt hatte ich den Film selbst schon einige Male, ohne ihn dabei allerdings wirklich gesehen zu haben), klingelten schon während der ersten Dialoge die Camp-Glocken. Keine auf erhaben getrimmte "Indianerweisheit" und keine mystisch-esoterische Phrase scheint verbraucht genug gewesen zu sein, um nicht noch auf irgendeinem Synthetik-Fließband ihren Weg in das beeindruckend dümmliche Bauwerk des infantilen Scripts gefunden zu haben.
Die Schreibkunst verband sich vielversprechenderweise auch sogleich mit der Ausstattung und den Kostümen denn ob eines Budgets von über 100 Mio. $ waren zeitgenössische Modifikationen selbstverständlich nötig. Deswegen sehen Rolands "Steinzeitmenschen" auch alle überraschend hip und sauber aus, mit stylischem Schmuck, akkuraten Dreadlocks (Wie unschön - wird hier etwa suggeriert, das Anhänger einer bestimmten Musikrichtung Relikte überholter Epochen sind?) und niedlichen Katalog-Gesichtern (außer der obligatorischen Altersweisheit, die hier weiblich ist und ein wenig aussieht wie eine gealterte Tochter von B.B. King und Tina Turner). Was den Aufstieg von "10.000 BC" in den Pantheon neuzeitlichen Gaga-Schunds vereitelt, ist sein enervierendes Pathos (was bei Emmerich ja auch nicht zum ersten Mal auffällt). Genau jener blinde (amerikanische) Heroik die in zahlreichen jüngeren Kriegsfilmen so negativ aufgefallen ist, trieft förmlich aus den todschicken Bildern und lässt jene romantische Naivität, die einen trivialen Stoff wie diesen reizvoll hätte machen können, weit hinter großen kriegerischen Gesten zurück. In einem OFDb-Review verglich der Autor den Erzählstil und das Flair des Films mit den einst (50iger/60iger Jahre) unter deutschen Knaben so beliebten Comics von Hansrudi Wäscher ("Sigurd", "Tibor" und "Falk" - unbegreiflicherweise beinahe vergessen, diese Kult-Götter) verglichen - An und für sich ein richtiger Gedanke denn wie Wäscher wirbelt auch Emmerich historische Epochen und Kulturen wild durcheinander, pickt sich überall die dekorativsten Stücke heraus. Rolands aufregende Zeitreise auf dem fliegenden PC. Doch wo Sigurd und Falk, die "Ritter ohne Furcht und Tadel" oder Tibor, die gutmenschliche Variante von Tarzan, ihre Gegner vor allem durch List, Geschick und Ehrlichkeit besiegen und das meist selbstlos aus gutgläubigen moralischen Überzeugungen, wird hier, jenseits der abenteuerlichen Geschichts-Achterbahn, nur druff gehauen und gebrüllt. Und das selbstverständlich völkerübergreifend (Man beachte die sicherlich nicht bewusst vollzogene aber dennoch bemerkenswerte Verteilung gesellschaftlicher Grundwerte auf die verschiedenfarbigen und verschieden stark zivilisierten Parteien) und, bezogen auf den anführenden Mädchenschwarm, natürlich auch aus Liebe und gekränktem Ehrgefühl. Womit wir von altväterlicher deutscher Rechtschaffenheit à la Karl May wieder ganz schnell beim nicht minder naiven aber immer noch zeitgenössischen und in meinen Augen wenig sympathischen amerikanischen Heldentum wären, das sich stur und dickflüssige Fäden ziehend aufdrängt. "10.00 BC" ist zwar nicht reaktionär, propagandistisch oder sonstwie bedenklich, wohl aber schlicht und ergreifend sehr amerikanisch in seiner Attitüde und selbstverständlich schön bieder. Zumindest anfangs schlägt man aber gerne ein - bei soviel irrsinniger und bestürzend ernst dargebotener Phrasen- und Esoterik-Drescherei. Angesichts eines so hohen Granaten-Potential ist der eigentliche Trash-Gehalt dieser CGI-begeisterten Kitschskulptur aber doch zu gering, um ein wirklich erfreuliches Gefühl in der Magengrube zu hinterlassen. Und ernstnehmen kann man das ohnehin nicht, dafür ist es zu leb- (nicht aber seelen-)los und doof. (11 von 25)
* Regelmäßige Einträge wird es übrigens nicht geben, ich werde streng nach dem "Lust & Laune"-Prinzip verfahren.
#2
Geschrieben 30. März 2008, 21:37
Mit die größte Enttäuschung, die ich nach 12 Buñuel-Filmen erleben musste - oder auch wahlweise der größte Erfolg. Die verwirrenden kleinen Pirouetten, die der Mann so gerne dreht, konnten mir bisher nicht viel anhaben; meine Rückschlüsse aus seinen Filmen standen bisher fest wie Betonklötze auf Fels. Hier habe ich mir ab einem bestimmten Punkt (etwa nach Ende der Hotel-Episode) erstmals verunsichert die Frage gestellt, wie vertrauenswürdig Buñuel eigentlich ist - wo hört der kontrollierte, zweckgebundene Wahnsinn auf und beginnt die berechnende Konfusion des Zuschauers? Ich halte es jedenfalls für durchaus möglich, das sich in "Das Gespenst der Freiheit" allerhand "red herrings" in die Reihen der sarkastischen Vorführungen der lächerlichen Menschheit einreihen, Irreführungen die letztlich zu keinem Ergebnis führen sollen. Möglicherweise findet sogar eine Art Spiegelung statt, die den Zuschauer durch seine pingeligen Versuche, das Gesehene zu ergründen (sicherlich kein Zufall, dass mich "Tristana" kürzlich als erster Buñuel wieder an "Un Chien Andalou" erinnerte) wiederum als Geistesverwandten oder erzwungenenermaßen Verwandten der Charaktere im Film entlarvt. Es wird hier schließlich auch permanent und starrsinnig Dingen auf den "Grund gegangen" die ohnehin schon feststehen. Letztlich ist all das sicherlich sehr pikant und in diesem Fall sogar etwas interessanter als im Vorgängerfilm "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" wo sich Buñuel sichtlich an den grotesken Zwangsneurosen seiner spießigen Protagonisten berauschte. Hier ergötzt er sich an Menschen aller Klassen, bzw. unterscheidet gar nicht mehr, jeder bekommt sein Fett weg - Es ist so bemitleidenswert, ein Mensch zu sein. Trotzdem - wirklich erschlossen hat sich mir die ganze Angelegenheit nicht, abgesehen vom Offensichtlichen und Erwarteten (sprich: Der süffisanten bis sauren Gesellschaftskritik, aber die an sich ist noch nichts außerordentliches, ebenso wenig wie einige der politischen Beigaben gegen Ende). Besonders interessant waren vor allem einige rare Zynismen, die mir vorher bei Buñuel - den ich bei allem Sarkasmus für einen echten Humanisten halte - so nicht aufgefallen sind (der Attentäter im Hochhaus, der von seinem Horst aus Menschen auf der Straße wie Jagdwild erlegt, genießt offenbar Sympathien - warum auch nicht [ethische Ignoranz vorausgesetzt]. Mich hat's trotzdem gewundert) sowie die Lakonie, mit der der Buñuel die surrealen Momente (die noch deutlich offensiver auftreten als in den drei Vorgängerfilmen) einflicht - natürlich und alltäglich stelzen Hahn und Strauß durch das Schlafzimmer von Jean-Claude Brialy und wie selbstverständlich verteidigen die Figuren ihre absurden Klauseln und Riten - ist das noch surreal oder überhaupt noch skurril? Eigentlich nicht. Beachtlich. Trotzdem werde ich ein endgültiges Urteil vorerst vermeiden. Es gibt ihn ja auf DVD, mal sehen... (Wobei meine nächste Buñuel-DVD-Anschaffung eigentlich "Susana" sein muss, diese maßlos unterschätzte Over-the-top Meisterleistung von einer Farce).
Übrigens legt dieser Film in meinen Augen die Vermutung nahe, das Wes Anderson eigentlich ein glühender Buñuel-Verehrer sein müsste.
Bearbeitet von McKenzie, 30. März 2008, 21:42.
#3
Geschrieben 31. März 2008, 21:53
Den großen Sprung von der mystisch-romantischen Ruinen-Poesie seiner Vampirfilme zu der spartanischen Hässlichkeits-Lyrik dieses fatalistischen Großstadt-Science-Fiction-Dramas ist Rollin ziemlich bravourös geglückt, so bravourös das ich gerne ein Auge zukneife angesichts der stellenweise unnötig ausgedehnten und ästhetisch nicht ganz unpeinlichen Sex-Szenen (deren Länge sicherlich ökonomische Gründe gehabt haben dürfte). Sieht man davon ab, scheint sich Rollin mit seiner Kamera und seinen orientierungslosen, amnestischen Protagonisten (auch wenn ich sie sympathisch finde, ein Fan von Brigitte Lahaie bin ich leider immer noch nicht) zwischen all den geometrisch strengen Formen, dem Beton und dem Glas tatsächlich sehr wohl zu fühlen und schöpft - ich behaupte mal: als negativ überraschter Träumer der alten Schule - aus den vollen: Kaum einer seiner Filme stellt sich so offenkundig und unzweideutig in die Dienste einer kritischen "irdischen" Aussage. Wo bei Rollin sonst reinste, schon fast antiprofane Spiritualität regiert, wird hier die moderne Zivilisation zur geistes- und seelenfeindlichen Hölle erhoben und der Mensch zum hilflosen Kind und Spielball herabgesenkt. Natürlich alles sehr direkt und ohne große gedankliche Erweiterung. Rollin-Filme nimmt man eben doch eher wahr als auf. Seiner eigenen Vorgehensweise angemessen, stellt Rollin das Vorhandensein und die Wesensart dieser Hölle (aus streng subjektiver Sicht) auch nur fest - und das genügt ihm schon. Denn eine Alternative zur Flucht um jeden Preis, die scheint es hier für ihn gar nicht zu geben, allein die Frage danach wäre absurd. Das Bestreben, diesen Ort und seine Bewohner hinter sich zu lassen (also mehr oder minder der nackte Freiheitsgedanke), beherrscht Elisabeth (Lahaie) selbst dann noch, als sie praktisch schon hirntot zwischen den Gebäuden umherirrt.
Äußerlich und von dem bisweilen sperrigen, missverständlichen Ansatz her also unbedingt gewöhnungsbedürftig, würde ich persönlich aber doch soweit gehen, hier einen Spitzenkandidat im Rollinschen Schaffen auszuzeichnen, neben dem psychedelischen "Le Frisson des Vampires" (1970), der Schicksals-Moritat "Lèvres des Sang" (1974) und natürlich dem überragenden Meisterwerk "La Rose de Fer" (1973). Und besonders die letzteren zwei und eben jetzt "La Nuit des Traquées" besitzen genau jene Art von stets zwischen stiller, trockener (introvertierter) Zurückhaltung und manisch-verzweifelt (extrovertierter) schwankender Melancholie, die ich persönlich besonders schätze und der ich mich verbunden fühle. An Rollin kommt man dabei nicht vorbei - denn er liebt sie auch, sie ist für ihn kein bloßer Effekt sondern ganz offensichtlich der Kern seines gesamten Kunstverständnisses. Dadurch wirken seine Filme immer soviel ehrlicher und intimer, als man es bei ihren Sujets in der Regel erwarten würde.
(22 von 25)
Bearbeitet von McKenzie, 31. März 2008, 21:57.
#4
Geschrieben 07. April 2008, 18:47
Da im durchschnittlichen Eastern der Plot dem Erfinden von Konfliktsituationen unterliegt, die als Vorwand für lange Kämpfe dienen, dürften die meisten Vertreter des Genres - denn es handelt sich hier schließlich um ein "Massen-Genre", ähnlich wie in Europa etwas früher der Italowestern - die nicht mit tiefgründigerem aufwarten können (wie angeblich die mir noch unbekannten Filme von Regisseuren wie Chang Cheh oder King Hu) erheblich von beeindruckenden Choreographien profitieren - denn, so musste ich als relativ Eastern-unerfahrener Ignorant bei diesem Film sehr eindeutig feststellen, Kung Fu ist nicht gleich Kung Fu. Der Plot ist hier relativ erfinderisch bei der "Vorwandssuche": Ein Kung Fu-Meister und seine drei jungen Schüler geraten auf der Straße mit einem dunkel gekleideten Fremden aneinander, der ihr Kung Fu als lächerlich und sich selbst als Ausstoß der Hölle bezeichnet (...). Nach einem kurzen Schlagabtausch zieht er von dannen und lässt den Meister schwer lädiert und dessen Schüler fassungslos zurück. Da die Schüler zu ihrem Meister aufsehen wie zu einem Vater, ist die Rache schnell beschlossene Sache. Sie ziehen einzeln in alle Himmelsrichtungen davon, um sich jeder einen Meister zu suchen, der sie für ein Duell mit dem Höllenhund stählen soll, vorgesehen für den Geburtstag ihres darnieder liegenden alten Meisters in sechs Monaten. Durch stellenweise äußerst putzig vorgestellte Zufälle gerät einer an eine Bohnenkäse meiernde und flinke Witwe, der zweite an einen greisen und humpelnden Gauner (dessen Darsteller natürlich, wie so oft, auf älter getrimmt wurde mit dekorativen Kunstbärten) mit überirdischer Reaktionsfähigkeit und der dritte beim Darben nach fremdem Trockenfisch an einen Fischer der mit dem Kampfstock gut umzugehen weiß.
Der typische Schuljungeneifer der Nachwuchs-Kämpfer kommt hier (und besonders in der deutschen Synchronfassung) wirkungsvoll zum tragen - auch wenn der Film stellenweise albernen Humor aufbietet, wie ein Comic wirkt er eher aufgrund der Charaktere, bzw. der Kontrahenten und Meister der drei Jünglinge die durch allerhand äußerst skurrile Eigenschaften auffallen (auch hier leistet die deutsche Trash-Synchro Maßarbeit). Die Höhepunkte sind in diesem Film aber natürlich die Kampfszenen - was tatsächlich betont werden muss. Denn auch wenn diese im Eastern immer als solche gedacht sind und die Handlung eher Füllmaterial ist, gelegentlich wird es einem Eastern-fremden Zuschauer wie mir dann doch gerne etwas fad, wenn minutenlang gedroschen wird - man wartet dann eben doch wieder auf die fallenden Körner, sprich: das Füllmaterial. Hier darf geprotzt werden: Was insbesondere im Finale an haarsträubenden Momenten und geradezu überirdischen Leistungen der Darsteller geboten wird spottet jeder Beschreibung und lässt die Kinnlade auf die Schuhspitzen fallen. Denn im finalen Duell mit dem meisterlichen Höllenhund muss natürlich jeder der drei sein bestes geben und auch ihr Meister (der in seiner Einsamkeit während besagter 6 Monate um ein Haar zum Alkoholiker mutiert wäre, die Tragik kommt also nicht zu kurz...) springt ein. Ob ich schlicht zuwenige Eastern gesehen habe und das hier gezeigte eher ins Mittelfeld gehört, kann ich nicht beurteilen, allerdings hat sich mir durch das dampfhämmernde Schlitzohr die Faszination an diesem übermenschlich wirkenden Gekloppe und seiner Kunst ein erhebliches Stück mehr erschlossen - tatsächlich, es scheint Filme zu geben die man sich nur deswegen ansehen könnte (und von dem trashigen Spaß, den zahlreiche Dialoge dazwischen ermöglichen, will ich gar nicht anfangen. Ob im Original auch soviele One-Liner ins Kampfgetümmel geworfen werden? [...])
Müßig zu erwähnen, das solche Kämpfe (gelegentlich auch kurz mit Zeitlupen versetzt), teilweise großartig gefilmt, auf der Kinoleinwand besonders eindrucksvoll auf mich als passiven Zuschauer einhämmern können; daher bin ich auch äußerst dankbar für die Gelegenheit, den Film eben so von einer fabelhaft erhaltenen deutschen Kinokopie gesehen zu haben.
PS: Ein minutenlanger Kung-Fu-Kampf zwischen einem Schüler und einem blinden, alten Mann - mit zwei gekochten Eiern als Streitobjekten - stellt vermutlich den absoluten Kult-Zenit dieses Films dar. (18 von 25)
#5
Geschrieben 07. April 2008, 18:50
Man möchte es ja gar nicht glauben und zu diesem Misstrauen hat man auch allen Grund in Anbetracht dessen, was sonst so an „Romantikkomödien“ aus Deutschland kommt, aber „Märzmelodie“ ist als Film ein Sieger. Auf ganzer Linie. Und einer, der wieder einmal zeigt, wie engstirnig das deutsche Publikum ist. Ja, hier wird geträllert. Immer wieder werden Dialoge ganz plötzlich gesanglich weitergeführt oder Ausschnitte aus bekannten Pop-Songs und Schlagern treffend eingefügt und den Schauspielern in den Mund gelegt. Na und? Es scheint jedenfalls viele gestört zu haben denn sonderlich erfolgreich war dieser wunderbare Film nicht Dabei muss man ihn einfach lieben. Die Leidenschaft von Regisseur, Autor und Überzeugungstäter Walz spürt man bis ins Knochenmark, das Eingeständnis, nur ein romantisches Großstadtmärchen mit einfachem, unproblematischen Happy End erzählen zu wollen – und Herr, wie oft veranlassen einen Filme, die so beschrieben werden, zum brechen – ist keine Schwäche sondern der absolute Triumph und begeisternde Gegensatz zu den würdelosen und verlogenen Dummdreistigkeiten, die wir sonst aus unseren Landen ertragen müssen – oder dem distanzierten deutschen Arthouse-Kino unter der kühlen Flagge der „Berliner Schule“. Eine vorsichtig an moderne Sehgewohnheiten angepasste Reminiszenz an die musikalischen Komödien des klassischen Hollywoods mitsamt einer entsprechenden Figurenkonstellation. Stereotypen: ja. Pappfiguren: nein. Wie in Vincente Minnellis ebenfalls wunderbarem „The Clock“, den ich kürzlich sichtete, werden auch hier Kunstfiguren entworfen die ein gutes Stück weit den klassischen Konflikt-Kriterien des Sujets (vor allem eben wie es in vergangenen Hollywood-Zeiten üblich war) entsprechen. Da man solche Charaktere einem heutigen deutschen Publikum natürlich nicht ohne weiteres vorsetzen kann, ist die psychologische Tiefenschärfe überraschend. Eine bewundernswerte Gratwanderung zwischen Stilisierung und dramaturgisch bei einem solchen Vorhaben sinnvoller Vereinfachung und auf einem notwendigen und erfreulichen Minimum, das immer noch eine magische, unwirkliche Poesie zwischen den nicht nur menschlichen Menschen erlaubt, bodenständig. Wie universell diese Art von Charakterisierung „erschaffener“ Charaktere war, wird an diesem Film bewunderungswürdig und sympathisch offensichtlich – heutzutage wird alten Unterhaltungsfilmen von einem insbesondere jüngeren Publikum gerne vorgeworfen, ihre Figuren wären simpel und unrealistisch. Heute rennt man mit einem neuen „Authentizitätsanspruch“ dem Realismus und der psychologischen Feinzeichnung hinterher, so schnell und vermessen, das eine Umkehr oder Experimente mit dem „überholten“ Gegensatz gar nicht mehr möglich scheinen. Es wäre nämlich eine Erkenntnis, die dem heutigen Kino das im Grunde leider noch viel, viel „zeitgenössischer“ und damit zeitabhängiger ist als einst, gar nicht übel stehen würde – nämlich das früher für Filme wie diesen – einfach gestrickte, lustvoll und gutmütig dargebotene Romanzen – zwar grundsätzlich erst einmal von effektvollen Stereotypen ausgegangen wurde, diese allerdings mit überaus realistischen und lebensechten Eigenschaften versehen wurden die wiederum freilich s nur selten erheblich ausgearbeitet wurden. So boten die Figuren jedem Zuschauer auf natürlicher Grundlage eine Projektionsfläche für eine eigene, persönliche Sichtweise, die den Stereotypen verschwinden ließ.
An und für sich hat man diese „Technik“ wohl beibehalten, nur dass heute niemand mehr merken darf, dass es sich um Stereotypen handelt. Dadurch entstehen grotesk verzerrte Kunstgebilde die noch mehr vortäuschen, noch mehr vorlügen als die Nussknacker-Armeen alter Hollywood-Filme. In dem Versuch, authentischer und individueller, weniger beliebig zu wirken. Ist das notwendig? Nein, nicht unbedingt, auf keinen Fall.
„Märzmelodie“ setzt unter anderem hier an und geht von der alten Basis aus, führt die „natürlichen“ Eigenschaften allerdings von der anderen Seite darauf zurück. Bingo. Es funktioniert. Und wie. Ohne irgendwie „Retro“ zu sein. Das sind tragikkomische Charaktere, die man einfach lieben muss weil sie wie charmante Fabelwesen agieren und uns trotzdem durch kleine weltliche und manchmal auch peinliche Schwächen nahe stehen. Und die man lieben kann, weil man dem Film vertrauen kann. Hier wird einem nichts vorgegaukelt, hier wird nicht geschwindelt, hier wird die wahre Liebe zum großen, unschuldigen Kinozauber kultiviert.
Ästhetisch ist das ein Film unserer Zeit, ohne das die visuell unaufdringlichen, dafür aber oft pointierten Cinemascope-Bilder wie so oft im deutschen Kino, nach Fernsehen oder Dogma-Realismus riechen würden. Akustisch ist das ein zeitloser Film, weil er musikalische Stilrichtungen und Hits aus verschiedensten Zeitspannen mühelos und unverkrampft einbindet, von den 30igern bis zur Gegenwart, von Curt Bois bis Marius Müller Westernhagen, von Schlager über Pop bis Hip Hop.
Die Auswahl der Songs und ihr Einsatz, der so verblüffend, oft so umwerfend komisch und passend ist zeugt von echter Begeisterung des Regisseurs – er liebt und kennt die Materie, fühlt sich ihr verbunden. Dieser Film ist innerhalb der deutschen Kinolandschaft wirklich ein kleines Wunder – liebenswert (wann würde man sonst nicht das brechen bekommen bei diesem Programmkino-Allgemeinplatz), träumerisch (ausnahmsweise einmal kein Grund zum würgen), schwelgerisch (nein, er ist nicht kitschig, wirklich nicht), überschwänglich (nein, nicht zuviel des Guten), poetisch (Oh je – klingt immer schlimmer, oder?) und mit Sicherheit der schönste, ehrlichste und wahrhaftigste Liebesfilm den wir aus eigenen Landen in der nächsten Zeit zu sehen bekommen werden (Autsch, das könnte jetzt das KO gewesen sein – es war nicht meine Absicht). Erzählkino in seiner schönsten und reinsten Form, der besonderen kleinen Momente, immer ein überraschendes Lied auf den Lippen, ebenso altmodisch wie modern und getragen von der überschäumenden Energie der Regie und der herrlich aufgelegten Besetzung. Und zum schreien komisch, übrigens. Ich wäre um ein Haar vom Sitz gefallen. Dabei hege ich sonst größtmögliche Skepsis für Komödien und größtmöglichen Abstand von allem, was nach aufgesetztem Humor riecht. Auf Jan Henrik Stahlbergs weitere Karriere werde ich ein Auge haben, der Typ ist erstklassig. Wann hatten wir in Deutschland das letzte Mal einen so köstlichen und dabei doch lebensechten Film-Loser? Alexandra Neldel als Grundschullehrerin ohne natürliche Autorität am Rande des Wahnsinns auch – wer hätte das gedacht? Ich bin begeistert. Ein neuer deutscher Lieblingsfilm ist geboren. Wenn das, was man gemeinhin so verdächtig als „Gute Laune-Film“ bezeichnet, immer so ehrlich und unverbraucht wäre würde man sich gerne öfter bespaßen lassen. (22 von 25)
(Ursprünglich war das hier nur fürs Filmtagebuch gedacht, da aber das Interesse an diesem löblichen Film sehr zu wünschen übrig lässt, ist dieses Loblied aus propagandistischen Gründen in der OFDb gelandet, auch wenn qualitativ eigentlich nicht ganz ausreicht, m. E. zumindest).
Bearbeitet von McKenzie, 07. April 2008, 18:53.
#6
Geschrieben 10. April 2008, 19:52
Dieser Film schwimmt ganz offensichtlich im brisanten Fahrwasser der ersten erfolgreichen politischen Resignations-Dramen Damiano Damianis („Der Tag der Eule“ [1968], „Recht und Leidenschaft“ [1970], „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ [1971]) und fährt dort auch relativ selbstbewusst und mit gehisstem Segel. Bei Damiani stand meist ein Individuum, ein idealistischer aber letztlich auch naiver Mensch im Mittelpunkt, den die korrupte, verlogene Staatsgewalt und die omnipräsente Mafia mitleidlos und scheinheilig zugrunde richteten. Hier wird von einer Gerichtsverhandlung ausgegangen, in der eben ein solcher Mensch, in diesem Fall ein zum Mord erpresster Kleingauner – angeklagt wird – ohne das er der Protagonist wäre. Davon ausgehend, versucht Regisseur Vancini – der zuvor und auch danach nicht unbedingt als Meister seines Fachs aufgefallen ist, aber sei’s drum – das gesamte Geschehen zu erfassen und den Fall mit all seinen Blickwinkeln und handelnden Personen aufzurollen durch Flashbacks, die die Aussagen der Zeugen und Angeklagten ersetzen. Man könnte den Film nur verreißen bei der Vorstellung, was für ein brillanter, ambivalenter, komplexer und doch einfacher, unprätentiöser Film das bei Damiano Damiani – der als Vorbild, ebenso wie Elio Petris Oscar-Gewinner „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“ jederzeit erkennbar ist – geworden wäre. Vancini kennt keine echte Subtilität, sein Film ist von vorne bis hinten unendlich plakativ – aber wirkungsvoll und offensichtlich durchaus „gut“ gemeint. Bei soviel „Offenheit“ möchte man es nicht allzu übel nehmen, das die Regie so vehement beim Zuschauer Mitleid für diejenigen, die im Verlauf des Prozesses zwischen die Mühlen der Verteidigung geraten, erbettelt. Für diejenigen, die durch die Machenschaften des aalglatten, schleimigen Paten Varesi (Mario Adorf, glänzend besetzt) alles verloren haben und am Ende noch viel mehr verlieren werden. Da wird schon auch emotionale Prostitution betrieben, wenn eine verzweifelte Ehefrau, die ihren unschuldigen Mann verlor, laut und unter Tränen herausschreit, was offensichtlich ist, aber niemand auszusprechen traut – und dann natürlich aus dem Saal entfernt wird. Die Verzweiflung hat sich durch die Repression aufgestaut und kann nicht mehr artikuliert werden – am wenigsten natürlich von einer Frau. Aber das ist im italienischen Genre-Kino (dem dieser Film doch noch halbwegs zugerechnet werden kann) nichts neues. Trotzdem: die angestrebte moralische Stellung bezieht man beinahe instinktiv, denn der geduldige und kluge Staatsanwalt mit der humanistischen Vorgehensweise wird absolut einnehmend von dem großen Enrico Maria Salerno (maßlos unterschätzt, hierzulande wahrscheinlich nur noch als Kommissar aus Dario Argentos erstem Meisterwerk „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ bekannt) verkörpert, der jener affektierten Hitzköpfigkeit der gekauften Verteidiger eine unerschütterliche Ruhe entgegensetzt. Mögen sich die Eiterblasen von selbst öffnen – sie tun es natürlich nicht. Die Beweislage ist so dünn, das Komplott so offensichtlich und doch mündet der Film in ein fatalistisches und leider bemühtes Ende – auch hier ist der Einfluss Damianis und Petris eindeutig. Denn es soll nicht Hoffnung sondern Abscheu und Betroffenheit geweckt werden – es ist erstaunlich, wie viele solche Filme seinerzeit entstanden, ohne das einer der Autoren und Regisseure (zumindest m. W.) plötzlich tot aus dem Tiber gefischt worden wäre. In diesem Film wird sogar kurz darauf angespielt als einer der korrumpierten Verteidiger anmerkt, das Volk würde in allen Medien, Fernsehen, Zeitung und auch Film manipuliert und zu der Überzeugung gebracht, sein Land wäre von der Mafia unterminiert. Ein aggressiver aber auch blindwütiger und plakativer Film der die Größe seiner Vorbilder kaum erreicht, aufgrund seines idealistischen Eifers, seines großartigen Ensembles (Gastone „Milano Kaliber 9“ Moschin als hartnäckiger Mafia-Anwalt ist scheußlich gut, ebenso wie Guido Leontini der hier ausnahmsweise anstelle einer seiner typischen Schurkenrollen den gebrochenen Angeklagten Vacirca spielt) und diverser anderer kleiner Vorzüge wie einem minimalistischen Morricone-Score und einer spannungs- und kontrastreichen Kameraarbeit einen ansehnlichen Eindruck hinterlässt und dem Esel noch länger Futter gibt. Gerade in einem Film, der zu 75 % seiner Spielzeit in einem Gerichtssaal spielt, ist eine pointierte, aussagekräftige und lebendige Form von entscheidender Wichtigkeit – auch das ein Vorteil des Films. In regelmäßigen Abständen wird der allein vor der Fensterfront des Saales an seinem Stand stehende Salerno in der Mitte des CinemaScope-Bildes platziert, eingerahmt von weißen Scheiben. Er steht so isoliert und verlassen in dem großen und verlassenen Saal, ohne Solidarität und Unterstützung von außen. Dieses Bild fasst in Gegenüberstellung mit einer Totale des übrigen Gerichtssaals schon beinahe den gesamten Film zusammen. Oft plump in seinem Gestus und seinen Methoden, anerkennenswert in seinen Idealen und beachtlich in seiner Inszenierung. Wobei ein Beleg dafür, das es sich hierbei um eine Auftragsarbeit handelt, die Wertung augenblicklich in den Keller drücken würde. An einen solchen Film muss man schon glauben können, sonst funktioniert er nicht. Und ich mag es, wenn politische Filme plakativ sind - dadurch wird so schön enthüllt, was für eine disfunktionale Farce das Konzept Politik eigentlich ist. (21 von 25 Punkten)
Eine anständige DVD dieses Titels wäre begrüßenswert um alten, ausgefressenen TV-Aufnahmen wie der von mir gesichteten aus dem Weg gehen zu können.
Bearbeitet von McKenzie, 10. April 2008, 19:56.
#7
Geschrieben 10. April 2008, 20:51
Wie wirkungsvoll die betont intellektuellen und unter der Last ihres filmwissenschaftlichen Knowhows und Wortschatzes beinahe zusammenbrechenden Altkritiker ungeschliffenen Jungspunden wie mir das Interesse an den von ihnen verehrten Altmeistern verleiden können (es gibt da ja einige deren cineastischer Horizont nicht einmal über die Kanon-Größen aus dem Reclam's hinaus reicht), zeigt hervorragend das Beispiel Carl Theodor Dreyer, von dem ich lange misstrauischen Abstand hielt, auch wenn mich einige seiner Filme wie „Gertrud“, „Vampyr“ und auch „Die Gezeichneten“ reizten. Was für eine Überraschung – im Rückblick ist das beinahe peinlich – „Michael“, mein erster Dreyer, ist ein ganz „normaler“ Film und beinahe schon das Gegenteil der von mir erwarteten didaktischen Unwucht, ein philosophisches Melodram mit einer Ikonologie wie aus vergangenen Tagen. Herausragend ist dieses Kleinod sicherlich nicht aufgrund seines Plots – die massive Homoerotik des Films ist daraus beispielsweise keineswegs ersichtlich – sondern seiner Bildgestaltung, der „InSZENIERUNG“. Man könnte ohne weiteres die Hypothese aufstellen, das Dreyer mit seiner Komposition die Entwicklung von CinemaScope maßgeblich beeinflusst hat – denn angesichts unendlich tief und weit wirkender Totalen hoher, großer, düsterer und unmerklich durch Lichteinfall gerasterter Räume (quasi auch eine Art in die Höhe gestrecktes vertikales Pendant zum Breitwand-Format) und mit Objekten und Menschen perfekt ausbalancierten (und eindrücklich ausgeleuchteten) Bildkompositionen hat man schon beinahe das Gefühl, Scope zu sehen. Ohne jeden Zweifel ein Film, der mit dem eigenwilligen, aber kompromissbereiten Kopf (diese ökonomische Art des Filmemachens scheint Dreyers Fall nicht gewesen zu sein) äshtetisch weit vor den meisten anderen Kollegen seiner Zeit lag. Eben diese Klassik wird also verbunden mit besagter Ikonologie, die Groschenroman und literarisches Vorbild zu vereinen scheint (Shakespeare-Anleihen werden auch geweckt): Der unweltlichen Weisheit des reifen Malers, die durch die Anmut des unschuldig wirkenden, engelsgleichen Knaben mit der geradezu spirituellen Wirkung zu Fall kommt und die unbewusste Femme Fatale, die unbedarft und nichts böses wollende aber übles auslösende Verführerin, die den Engel abtrünnig macht, den Maler bricht und durch den Auftrag eines Portraits mit egoistischer Rücksichtslosigkeit an seine Grenzen führt. Dieses Dreieck ist wiederum umgeben von Nebenfiguren, die durchaus ähnlich und teilweise beinahe noch extremer stilisiert werden (wie beispielsweise der greise Hausdiener des Malers Zoret). Unzählige Ansätze sind bei diesem Film möglich, sowohl ein gesellschaftskritischer (ließ sich für mich zumindest erahnen, erscheint aber nicht als Kern der Sache) als auch ein selbstreflexiver (meistens weit interessanter) der sich in diesem Fall um die nicht bewertete aber bitter und teilweise auch ironisch untersuchte These kreist, das ein Künstler nur mithilfe eines Extremes zu transzendenten Werken im Stande ist, das er sonst nur der Pragmatik der Abbildung unterliegt und die Poesie der Abstraktion und Überhöhung ein rein emotionales Phänomen bleibt, das sich nicht künstlich reproduzieren lässt. Glücklicherweise fühlt sich „Michael“ diesem Grundsatz verpflichtet und ein Film der Zweideutigkeit, der Schlichtheit, des subtilen Surrealismus und der eines ehrgeizigen, aber unbeschwerten „Mehr“. Und die letzte Einstellung des Films, die den betroffenen Michael zeigt, entbehrt nicht einer gehässigen Komik: In einem (mutmaßlich) bunten und zierreichen Schlafgewand und mit seinen weit aufgerissenen Augen sieht er aus wie ein Kind, aus der Wiege gerissen. In diesem Moment schließt sich der zum Beginn des Films geöffnete Kreis auf ausgesprochen ironische Weise. Ein perfektes Beispiel für einen kaum gealterten Stummfilm, technisch innovativ und reif, von einem hervorragenden Ensemble weitgehend ohne den damals üblichen, heute oft übertrieben wirkenden Stil zurückhaltend und zeitlos interpretiert. (22 von 25)
Bearbeitet von McKenzie, 10. April 2008, 20:54.
#8
Geschrieben 10. April 2008, 21:30
Eine echte Entdeckung – weil hier gegen so ziemlich jede Erwartung, die man als Unwissender an einen Science Fiction-Film der DEFA stellen könnte, verstoßen wird. Weder ist „Eolomea“ eine konkrete politische Botschaft aufgepfropft (hinsichtlich von DEFA-Filmen herrscht da oft eine gewisse Paranoia - auch wenn hier diverse Ansätze bzw. Anspielungen in wohlgemerkt verschiedene Richtungen vorhanden sind), noch handelt es sich um einen actionbetonten, primär schauwertigen Film, die Weltraumeffekte sind größtenteils sehr beachtlich (abgesehen von den Mondlandschaften, die als Studiobauten sofort zu erkennen sind) und der Kern des Films existenziell-humanistisch, nicht übergeordnet-sozialistisch – und schon gar nicht anti-individualistisch wie es anderorts schon behauptet wurde. Es geht in „Eolomea“ um einen der heiligsten Ursprungsgedanken der Weltraumforschung, die Entdeckung neuer Zivilisationen und alternativer Lebensformen – und das nicht aus wissenschaftlicher sondern idealistischer Sicht. Die Welt hat sich längst an die Erforschung des Weltraums gewöhnt, Astronaut ist ein Beruf wie jeder andere, der ohne weiteres mit ermüdender und resignierender Routine verbunden sein kann und die Frage nach Eolomea, einem mysteriösen Wunderplaneten, der die besten Eigenschaften der Erde vereint und die meisten ihrer negativen ausschließt, Brennstoff – für Träume wie für Unsicherheit, wird dadurch doch in Frage gestellt, wie erstrebenswert ein irdisches Dasein, das für den seiner monotonen Tätigkeit überdrüssigen Helden (mit augenzwinkerndem Anti-Touch!) Dan, gespielt vom bemerkenswert gut aussehenden Ivan Andonov, wie der Himmel erscheint, eigentlich ist – und ob die Erforschung des Weltalls überhaupt jemals sinnvolle, also zukunftsorientierte Ziele verfolgt hat. Das sich ausgerechnet Dan am Ende diesem Gedanken er- und seine irdischen Träume aufgibt, das kann wohl als sozialistischer Gedanke verstanden werden, andererseits reiht er sich damit in eine Gruppe kritisch beäugter Vorkämpfer ein, die durchaus ihre Art von Individualismus und Souveränität vertreten, indem sie sich auf die Suche nach Eolomea begeben. Für Dan in der leisen Befürchtung, das die galaktische Routine der irdischen doch aufs Haar gleichen könnte. „Eolomea“ ist ein Film der Tagträume und Lebensfantasien, die – egal ob eingebettet in eine entfremdete irdische Existenz oder ein „alltägliches“ Weltraum-Leben im Astronautenanzug – all jene Menschen eint, die nicht an die Begrenzung des Menschen durch praktische Wälle glauben möchten. Das Optimum auf Erden wird in beinahe schon Malickscher Manier gezeichnet als Vereinigung mit der reinen Natur, die den Menschen zu sich selbst zurückführt – also letztlich doch in gewisser Weise illusionistisch bleibt - während der Reiz der kosmischen Idealvorstellung weit unbegrenzter, fast schon anarchischer ist. Und doch auch kritisch verhandelt wird als riskant und draufgängerisch. Der Initiator der nicht genehmigten „Eolomea“-Mission (gespielt von einem heute vor allem in TV-Krimiserien häufig vertretenen Mimen, dessen Namen ich aus eventuellen Spoiler-Gründen nicht nennen möchte;-) ist nicht wirklich koscher und seine Beweggründe werden nicht eindeutig auf puren Idealismus oder persönliches Gutdünken festgelegt. Doch die unterschiedlichen, modernen und mit beinahe kindlicher Selbstverständlichkeit, auch romantischer Naivität miteinander verknüpften gedanklichen Ebenen in „Eolomea“ sind – bei aller Einfachheit von Drehbuch und Inszenierung – darin noch nicht erschöpft, gerade auch weil Zschoche bei aller Konzentration auf diese Eckpfeiler gängige Unterhaltungsfilm-Ästhetiken und –Mechaniken als ebenfalls unabdingbar mit einbindet (selbstverständlich – das hier ist schließlich ein aufwendiges und Prestige-trächtiges Projekt) und eine Täuschung des Zuschauers im Bereich des möglichen liegt. Die romantische Verklärung, die über dem gesamten Film liegt, mag ihn heute vielleicht als etwas überholt wirken lassen, die Gratwanderung zwischen gefühlsbetontem, fast schon spirituellem Diskurs - eigentlich schon fast ein Imperativ - und „speziellerem“ Mainstream aber ungewöhnlich modern. Ein in der Tat äußerst faszinierender, nur selten unfreiwillig komischer und visuell betörender Film ist das, der trotz einer stellenweise ungelenken Machart (holprige Synchronisation bzw. Akzent einiger Darsteller, ebenso holprige Szenenfolgen, Schnitte und Dialoge) unter Beweis stellt, dass das ostdeutsche Kino bisweilen zwar freilich etwas welt-, bzw. westfremd war, jedoch keineswegs so rückständig und oberflächlich wie gemeinhin gerne und oft behauptet wird (wer dieser Überzeugung ist, dem empfehle ich dringend Egon Günthers Meisterwerk "Abschied"). Zu diesem überraschend zeitgenössischen Eindruck trägt auch die oft Easy Listening-artige, überwiegend elektronische Musik bei, die nicht selten an die typische und liebgewonnene Filmmusik italienischer Filme der selben Zeit erinnert mit Frauenstimmen und E-Gitarren. Ennio Morricone, Goblin und das Duo Manfred Hübler / Sigi Schwab lassen grüßen. „Eolomea“ ist auf jeden Fall eine Entdeckung wert. Ich würde viel dafür geben, den Film in seiner originalen 70mm-Fassung auf einer großen Leinwand genießen zu können.
(22 von 25)
#9
Geschrieben 12. April 2008, 09:57
Eher einer der schwächeren Bava-Filme, der aber schon erahnen lässt, wie einflussreich und stilbildend, wie weit seiner Zeit voraus Bava war. Ein gewöhnlicher Whodonut-Plot in relativ unauffälliger Umsetzung - das "subversive" Potential des Films erschließt sich nicht augenblicklich. Doch es sind einzelne Szenen, Momente, die diesen Film als ein Werk des italienischen Meisters des diabolischen Sarkasmus, des extravaganten Trugspiels und der schauerlichen, naiven Märchenhaftigkeit ausweisen. Einer der aufregendsten und einprägsamsten Momente des Films spielt sich am Strand von Ostia zwischen Nora, der jungen, aufgeweckten Amerikanerin und Marcello, dem Doktor ihrer Tante, der sich ihrer annimmt, ab: Auf der Tonspur läuft Jazz als Marcello mit einem eigenartig starren Gesicht auf Nora zugeht – „Warum siehst du mich so an?“ fragt sie ihn misstrauisch. „Hast du es immer noch nicht gemerkt? Es ist Zeit, es hinter uns zu bringen!“ – In Erwartung des krönenden Mordes an der Protagonistin hält das Publikum den Atem an – und dann bricht Bava diese Szene schalkhaft auf. Die Symbiose zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Sex und Gewalt, zwischen Liebe und Zwang, ein Komplex der Bavas Werk durchgehend begleitet, findet hier zu einer ersten konkreten Ausformulierung (wurde allerdings schon in "La Maschera del Demonio" angedeutet) – später sollte das facettenreicher und subtiler von statten gehen wie etwa in „La Frusta e il Corpo“, „Hatchet for the Honeymoon“, „Shock“ oder seinem Meisterstück „Lisa e il Diavolo“. „The Girl who knew too much“ ist aber trotzdem einer der unterhaltsamsten und spritzigsten Bava-Filme mit überraschend vielen Screwball-Comedy-Elementen, entsprechendem "Hollywood-Soundtrack", Galgenhumor und adretten Charakteren die wie aus einem der klassischen Kriminalromane, welche Nora verschlingt, entsprungen scheinen. Lustvoll spielt Bava mit den Klischees derselbigen – was auch eher ungewöhnlich und ein frühes Phänomen ist, da Genre-Reflexionen dem ernsthaften und romantischen Blick, den Bava für seine mystischen bis expressiven Bilderbögen aufbrachte, an und für sich widersprechen – und lässt seine Heldin zwischen niedlichem amerikanischen Dummchen auf aufregender Mörderhatz und gewieftem Naseweis mit unfehlbarem Riechorgan schwanken. Dazu gesellt sich ganz passend ein blutjunger John Saxon als ebenso voreiliger und jungenhafter Casanova (wenn das ein deutscher Film wäre, es müsste Horst Buchholz oder Karlheinz Böhm sein…), der die Gute einfach nicht so recht verstehen will – er ist schließlich nicht umsonst Italiener. Trotzdem: Wieviel Regisseure wie Dario Argento, Brian de Palma, Quentin Tarantino, William Friedkin oder auch Sidney Lumet Bava zu verdanken haben, das ist besonders offensichtlich in diesem Film und den nachfolgenden Gialli, die Bava drehte. Besonders bei Argento dürfte gerade dieser Film einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Einige Sequenzen übernahm er schon beinahe originalgetreu in seinem Regiedebut „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ und die wichtigsten Ingredienzen des Giallo-Subgenres werden hier aufgelistet (und demonstriert, warum der Ursprung desselbigen weniger bei Hitchcock wie oft behauptet, als vielmehr bei der „schwarzen Serie“ der 40iger und den deutschen Edgar Wallace-Filmen [die auch in den italienischen Kinos liefen] liegt), beginnend bei der für Bavas Verhältnisse außergewöhnlich spektakulären Schlüsselsequenz zu Beginn, als Nora einen Mord beobachtet und die signifikanten Details dieses Erlebnisses ihr erst später als solche bewusst werden, bzw. ins Gedächtnis zurückkehren. Im Gesamtwerk Bavas also theoretisch kein Glanzlicht doch die große Perfektion, die der stilbildende Auteur des italienischen Genre-Films später erreichen sollte, kündigt sich hier, in diesem frischen, lässig-humoristischen und augenzwinkernden Film schon an, der – beinahe mehr noch als „La Maschera del Demonio“ – als erster typischer Bava bezeichnet werden kann. Trotz der Umsichtigkeit und Sicherheit, mit der Bava dem durchschnittlichen Plot zuleibe rückt, vor allem sein süffisanter bis boshafter, rabenschwarzer Humor schlägt hier durch (seine später geradezu extravagante Bildgestaltung bleibt noch im Hintergrund, auch wenn die kontraststarke Schwarzweiß-Fotographie exquisit ist) – diesen Kreis sollte er erst 7 Jahre später wieder mit dem Beginn seines Spätwerks schließen, mit „Gefahr: Diabolik“ und „Five Dolls for an August Moon“. Diesen Film könnte man ohne weiteres als den „Nouvelle Vague“-Film und die erste große Reifeprüfung des modernen italienischen Genre-Kinos bezeichnen, als B-Movie-Pendant zu „Außer Atem“. (19 von 25)
#10
Geschrieben 14. April 2008, 05:48
Von mir alleine schon aufgrund des äußerst würzig duftenden Trailers glühend herbeigesehnt, hat dieser bemerkenswerte Film vermutlich unter einer nicht falschen, aber zu hohen Erwartungshaltung leiden müssen. Denn Vorraussetzungen, ein persönlicher Jahresfavorit zu werden, hat er an und für sich schon: Er ist ausgesprochen lakonisch, melancholisch und trist (ich liebe Filme, die Trübsal blasen, ohne das es sich wie Trübsal anfühlt - also echt und überlegt), er ist die Misanthropie selbst (das liebe ich nur dann, wenn es mir ohne Hass und Mordlust ins Gesicht geklatscht wird) und er ist eine der bemerkenswertesten humanistischen Überlegungen, die mir im aktuellen Kinoprogramm seit langem untergekommen ist. Wie das geht? Meine Ermüdungs- und Wiederholungsbedingte Faulheit treibt mich an, dieser komplexen Frage aus dem Weg zu gehen und ganz bequem und ohne Arbeitsaufwand auf den Text von Andreas Thomas in der Filmzentrale hinzuweisen, der es relativ kompakt und treffend auf den abstrusen, aber richtigen Punkt bringt, meine innere Stimme sagt Nein. Nun denn, es ist theoretisch alles sehr einfach: Der Wunsch, die gesamte Menschheit einzuäschern ist sicherlich in vielen von uns mindestens ebenso ausgeprägt wie der Wunsch, die wenigen Quelle profaner, geistiger und emotionaler irdischer Freuden so gut als möglich zu nutzen, um etwas zu machen aus diesem gärigen Sauerkraut-Eintopf, respektive Leben. Dieser Grundgedanke überschattet diesen Film, der so durchtränkt ist mit Tristesse, Müdigkeit, Erkältungs-Poesie und bleischwer wirkenden, hässlich kahlen Innenräumen die zu der Frage anregen, ob die Schweden selbst überhaupt bei Ikea einkaufen oder ob Roy Andersson einfach das Hässlichste, was er an (deutschem? Fühlte mich jedenfalls immerzu an alte deutsche Schnulzen der Marke "Pfui" erinnert) Einrichtungsinventar aus den 50igern und 60igern finden konnte, aufgekauft und verbraten hat. In diesen Stilleben alltäglichen Wahnsinns und Gewöhnlichkeit finden groteske, teilweise surreal überhöhte Handlungen statt, die die Funktions- und Leblosigkeit der stupiden und selbstmitleidigen Spezies Mensch und ihrer müßigen Rituale dem Zuschauer als audiovisuelle Groteske in statischen Einstellungen um die Ohren schlägt - der dann quasi, man muss eigentlich davon ausgehen - über sich selbst lacht. Es gibt da eine bemerkenswert makabre Szene, in der viele Menschen um mich plötzlich das Gelächter einstellten: Ein Maurer soll auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden, weil er das 200 Jahre alte Porzellan-Service einer großbürgerlichen Familie zerdeppert hat - nun sieht man also eine Art kleinen Kinosaal, aus dem heraus die gesamte Familie durch eine getönte Glasscheibe Blick auf den elektrischen Stuhl hat und dort Popcorn essend auf die Hinrichtung wartet. Das ist einer der plakativsten Momente eines Films, der die Vermutung zulässt, dass sein Regisseur sich während der Post Production selbst beim "sich gehen lassen" ertappte und heimlich, still und leise den Bombenhagel, der den Film eigentlich beenden sollte, herausgeschnitten hat mit den in einem verhaltenen Gähnen mündenden Worten "Die armen Teufel, sie können ja auch nichts dafür!". Dieses "sich gehen lassen" ist überhaupt das grundsätzliche Problem des Films: Er stagniert. Sozusagen das Arthouse-Pendant zu Koen Mortiers kürzlich gestarteter, punkiger Schlammschlacht "Ex Drummer" und der böse Schwager von Ulrich Seidls "Import/Export". Aber eigentlich reicht auch die Übersetzung des Originaltitels - in etwa"Du Lebender" - aus, um den Braten zu riechen. (20 von 25 Punkten)
#11
Geschrieben 14. April 2008, 06:53
Per qualche dollaro in più / Für ein paar Dollar mehr (Sergio Leone, Italien/Spanien/BRD 1965 / DVD - dF)
Viel bleibt mir hier nicht zu schreiben, neues hätte ich kaum anzuhängen. Nur vielleicht als überraschende Feststellung am Rande (nachdem die letzte Sichtung beider Filme trotz einer mythischen Anbetung von Leone als Schöpfer des Filmes der Filme, "Spiel mir das Lied vom Tod", schon Jahre zurücklag) die Beobachtung, das Teil 1 eigentlich wie gemacht ist um den Vorwurf der Misogynie gegen Leone zu entkräften. Marianne Koch hat nicht viel mehr als 4 oder 5 umfassende, wichtige Szenen - und mit steigender Konzentration wird sie in diesen Sequenzen als der einzig erfreuliche und moralisch akzeptable Charakter des Films vorgestellt - begleitet zwar von einer Auflistung diverser Werte, die man heute im Zusammenhang mit Geschlechterrollen als überholt bezeichnen würde, aber nichtsdestotrotz. Marianne Koch wirft mit ihren wunderschönen strahlenden und doch peinvollen Augen einen Blick auf die Szenerie ihre flüchtenden Kindes, als Clint Eastwood auftritt und sie signalisiert ihm Anerkennung mit diesem Blick, Marianne Koch ist es, die just in dem Moment auftaucht, als Clint Eastwood im Begriff ist, vom idealistischen Rächer zum berechnenden Dieb zu werden und Marianne Koch ist es, die am Ende Clint Eastwood das Leben rettet, als seine Aufmerksamkeit kurz nachlässt. Und es ist auch Marianne Koch, die als einzige Figur mehr als nur Verachtung oder Mitleid in Eastwood auslöst. Wem diese Argumentation zu platt ist sollte sich überlegen, in wie weit es der übrige und dezent überschätzte Film nicht vielleicht auch sein könnte - denn nicht umsonst halte ich (der ich Leone durch Teil 2 sowie "Spiel mir das Lied vom Tod" kennen lernte) "Für eine Handvoll Dollar" nach wie vor für den einzigen "zweitklassigen" Leone, der den offensichtlichen, hohen Ansprüchen seines Schöpfers (noch) nicht gerecht wird. Dafür gibt es hier noch echten Schmutz, Chaos, aufrichtig eingestanzte Thesen und eine kernige Action-Narration - schon Teil 2 lässt diese dann beinahe vollkommen weichen, zugunsten freilich von etwas viel besserem, interessanterem und vielseitigerem: Dem, was wir heute augenblicklich mit Leone asoziieren, der unendlichen Geduld in der Narration und der gefilterten, konzentrierten Beobachtung und Reflektion der selbst erschaffenen Kunst-Welt. Die Steigerung innerhalb der Trilogie, die nach Ansicht der meisten im Abschlussfilm "Il Buono, il brutto, il cattivo" ihren Höhepunkt findet, kann ich zwar nachvollziehen, teile sie aber nicht. In Teil 3 werden die Gefahren übermächtig, die durch Perfektionismus und eine selbstreflexive Grundhaltung bei einem Regisseur wie Leone beinahe automatisch früher oder später ans Projektorenlicht treten müssen, an erster Stelle die Selbstreferenz und die Umwandlung der kaum noch extremer abstrahierbaren Figuren in Teil 2 zu Comicfiguren in Teil 3, das große Augenzwinkern das mir heute bei Quentin Tarantino oder den Gebrüdern Coen so suspekt bis verhasst ist. Deswegen wird mein Liebling "Für ein paar Dollar mehr" bleiben weil er den perfekten Spagat schafft zwischen der Essenz von Phase 1, der "Dollar-Trilogie" und dem Auftakt von Phase 2 und Höhepunkt des Leoneschen Schaffens, "Spiel mir das Lied vom Tod", die perfekte Balance zwischen exzessiver Stilisierung und geerdeter Narration, zwischen zynischer Schwarzmalerei und elegischer Spiritualität, zwischen der Amoral der Charaktere und den Momenten der subtilen und hart erkämpften Romantik, die Leone ihnen gelegentlich schenkt. (21 Punkte für die volle Hand und 24 Punkte für die zusätzlichen Dollars)
* Auf die Darsteller einzugehen ist natürlich erst recht müßig, muss aber eigentlich sein - kein Wort zu Clint Eastwood mit dessem bloßen Blinzeln man jedem Publikum die Zähne gefriervermahlen könnte, sondern vor allem zu Gian Maria Volontè: Warum auch immer, ich hatte es vergessen: Der Mann ist in diesen beiden Filmen ein Tier, das wildeste, teuflischste und furchteinflößendste, das je von Italienern auf die Leinwand geschickt wurde, der Mann ist die pure Energie, der Mann IST DIE Definition eines Filmbösewichts. Der Mann ist so widerwärtig abstoßend, so abgeklärt und doch impulsiv und furios dass es schon beinahe anziehend ist. Wenn es der Teufel jemals in einen Film geschafft hat, dann hat er sein Cameo in "Für ein paar Dollar mehr" als Eindringling in ein fremdes Schlafzimmer: Mit tödlich glänzenden Augen, dunklen Brauen und Bart, vom Regenwasser durchnässt sowie einem Mund, so rot als hätte er Blut getrunken. Dagegen verblassen sie alle - außer natürlich vielleicht Klaus Kinski. Das Wolfgang Lukschy eine Nebenrolle in Teil 1 spielt war mir bisher auch noch nicht aufgefallen...
Bearbeitet von McKenzie, 14. April 2008, 07:03.
#12
Geschrieben 15. April 2008, 01:19
Warum Männer sich ihre Fehler nicht eingestehen können und Frauen das instinktiv zu nutzen wissen - und warum ist das trotzdem sehenswert? Weil ein Vielfilmer wie Claude Chabrol darüber mit einer erfreulichen und seltenen Entspanntheit und mit trockenem Lakonismus sinnieren bzw. grinsen kann. (19 von 25 Punkten).
Bearbeitet von McKenzie, 15. April 2008, 01:52.
#13
Geschrieben 16. April 2008, 00:24
Würde liebend gerne mit dir zumindest über den neuesten Chabrol didkutieren, den ich fast für ein Meisterwek halte. Leider hab ich nirgendwo im Netz auch nur ansatzweise meine Ideen über den Film wiedergefunden. Alle schreiben nur über Gesekkschaftskritik und Beziehungszeug. Dabei ist der Film so manieriert, künstlich und unecht, dass er schon fast die träumerische Wirklichkeit eines Argento erreicht. Und die Routine und ABgeklärtheit Chabrols machen dann ihr übriges. Und Gian Maria Volonté in "Für eine Handvoll" Dollar ist Gott! Einfach mörderisch sexy. Wusste gar nicht mehr, dass der im zweiten teil auch mitspielt.
#14
Geschrieben 23. April 2008, 14:53
So sehr ich mich auch fassungslos for dieser filmischen Monströsität, dieser Ausgeburt von wahrer Genialität und größenwahnsinnigem, Kubrickesken Perfektionismus verbeugen muss - es ist doch ein Jammer, das ich sowohl während dieser Sichtung als auch derjenigen auf dem 70mm-Festival in Karlsruhe im letzten Oktober (mit der neuen 70mm-Kopie) aufgrund von Übermüdung in einen quälend unfreiwilligen Halbschlaf verfallen bin - und das beide Male während des absurden, meisterlich choreographierten Finales. "Play Time" harrt also weiterhin einer adäquaten Sichtung die jenseits der Kinoleinwand bei diesem Detail-Overkill eigentlich gar nicht möglich ist und deren Datum somit bis auf weiteres in den Sternen steht, jetzt da ich diese beiden angemessenen Chancen durchgebracht habe...
Bearbeitet von McKenzie, 23. April 2008, 14:53.
#15
Geschrieben 05. Mai 2008, 00:26
Wem der in keinster Weise zu beanstandende aber doch offensichtliche und einschüchternde Kunstanspruch Stanley Kubricks in "Dr. Strangelove" zu ernsthaft und zu gehemmt war und sich dabei folgerichtig auch an gut durchwachsener, plakativer Amerika-Stichelei erfreut, wird hier auf Gold stoßen. Vollkommen unverblümt und extrem unverschämt schlägt der Amerikaner William Klein mit dem sarkastischen Holzhammer von Frankreich aus über den großen Teich auf seine Heimat ein - Mr. Freedom, ein Superheld, Amerikanisch von der Socke bis zum Baseball-Helm, wird von seinem Chef Dr. Freedom (Donald Pleasence in einer maßgeschneiderten Nebenrolle) zur Suche nach einem verschwundenen Kollegen und der Ausmärzung von "red" und "white [undecided]" nach Frankreich geschickt, wo er seinen grundfesten Glauben an "Freedom" (nicht mehr und nicht weniger als "Amerika", in diesem Falle) vehement vertritt und ihm jeder nach der Nase redet. Auf dieser Grundlage lässt Klein eine anarchische Groteske von der Leine, die als Rundumschlag jenseits konkreter politischer Bezüge auf den kalten und den Vietnam-Krieg bis heute Gültigkeit besitzt und an aggressiver Direktheit nicht spart. Die bis ins Surreale übersteigerte Anbiederei, die dem ebenso dümmlichen wie selbstgefälligen Muskelprotz von "Helden" in Frankreich zuteil wird, karikiert sehr schön die ungebrochene Amerika-Faszination der Europäer, dieses "in Amerika ist alles schöner, erfolgversprechender, moderner und ungezwungener"-Denken, das heute unsere Kultur und nationale Mentalität mehr denn je zu unterminieren droht. Frankreich scheint es da nicht anders zu gehen, bzw. gegangen zu sein - egal welches absurde Theater man dem grenzdebilen 2 Meter-Schrank auch gefälligerweise vorführt, er nimmt es gar nicht wahr - denn einem Amerikaner sollte diese Ehrerbietung schließlich mit Selbstverständlichkeit erwiesen werden. Als das Kind seiner französischen Assistentin Marie-Madeleine (Delphine - der Traum - Seyrig) ihn einen Mörder und Faschisten nennt, ist er am Boden zerstört und beginnt, sich als Märtyrer zu fühlen inklusive blutiger Wunden an Händen und Hüfte. Aus Misstrauen legt er jede zweite Person, die ihm über den Weg läuft, um, er suhlt sich im bedingungslosen, vulgären Jubel seiner Anhänger, guckt geschäftig-markig und gleichzeitig ahnungslos in der Gegend umher und ist einfach durch und durch das Klischee des amerikanischen Provinz-Proleten, der sich durch Manneskraft statt Intelligenz nach oben gearbeitet hat und nur die Faust als Mittel zum Zweck kennt. Die bizarren aber erschreckend vertraut wirkenden Vorgänge werden in knallige Farben, nominell rot (es scheint hier jemandem sichtlich Freude bereitet zu haben, "kommunistisches" Rot und kriegerisches "amerikanisches" Rot in eine Form zu gießen) verpackt, von den Möglichkeiten übertriebener Kostümierung ausgiebig Gebrauch gemacht (Philippe Noiret als Kommunisten-Führer (!) "Muschik-Man" - une grande surprise8-), mit gigantischen, bewegten Ballon-Kreationen hantiert (mehr sei nicht verraten) und bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit mit aus europäischer Sicht peinlichen amerikanischen Eigenheiten, Klischees und militantem Gehabe schadenfroh verfahren - Er kam, sah und siegte - über die "undemokratischen" und "exzentrischen" Franzosen, denen er mit knalligen Marketing-Parolen aus dem good ol' America die "Freiheit" nahebringen will. Auch wenn John Abbey ein Glücksgriff in der Titelrolle ist - Arnold Schwarzenegger (Österreicher hin oder her) wäre auch sehr denkbar gewesen.
Ach... irgendwie lässt sich diese grundsympathische, durchgeknallte Wahnsinns-Schlammschlacht überhaupt nicht wirklich beschreiben. Daher: Salut! (22 von 25 Punkten)
Bearbeitet von McKenzie, 05. Mai 2008, 00:30.
#16
Geschrieben 12. Januar 2009, 21:27
Das ist wahrscheinlich schlicht einer der existenzialistischsten amerikanischen Filme überhapt, weil er die Betrachtung seiner Charaktere als Opfer des Lebens, die trotz ihres Bewusstseins darum ihre Deformierungen nicht behandeln können, mit größtmöglicher Konsequenz zuende denkt und mit dramaturgischen Zweideutigkeiten unterfüttert, eine Haltung und Vorgehensweise, die Tennessee Williams etwas sehr ursprüngliches, geradezu selbstverständliches an sich hat und von Kazan offenbar geteilt wird (an dieser Stelle ein kurzer, vieldeutiger Blick nach vorn auf A FACE IN THE CROWD). Es sind die emotionalen Marken, die der Film setzt– wann wir beginnen, erstmalig Mitleid mit Blanche zu spüren und Wut auf Stanley, wann Stanley plötzlich winzig und bemitleidenswert, ehrlich erscheint und Blanche verlogen in ihrem verklausuliert behaupteten Humanismus, wie Stella Blanche als emotionales Nervenfutter mehrfacher Art missbraucht und wiederum von ihr geistig unterjocht wird – Williams ist ein Jongleur und seine Bälle sind wir, weil er so selbstsicher und ohne egozentrische Anmaßung die Charaktere seines Stück mit uns Zuschauern gegeneinander ausspielt und uns dabei unseren Schleier der Distanz zum vermeintlich Ungeheuerlichen vom Gesicht reißt, nur um seine Figuren damit zu kleiden und zu mystifizieren. Und Kazan erweist sich mit seiner siedenden, kurz angebundenen und doch ausgesprochen stilisierten, sinnlichen Inszenierung als prädestinierter Konspirations-Partner. Ein neuer Lieblingsfilm, ein Fest der brennenden Verzweiflung und rasenden Zerfleischung, ich liebe es. Es ist großartig. Möglicherweise ein Lieblingsfilm von Zulawski und Fassbinder.
America, America / Die Unbezwingbaren (Elia Kazan, USA 1963 / VHS - dF)
Vor etwa genau zwei Jahren war ich im Kino von NUOVOMONDO maßlos enttäuscht, weil er sich mit der mäßig einfallsreichen Bebilderung der Illusionen und letztlich auch des späten Schocks einer italienischen Familie, die nach Amerika auswandert, begnügte und dabei letztlich weder zu einem eigenen gedanklichen Ansatz noch zu einer harmonischen Beziehung zwischen seiner an sich interessanten Filmsprache und seines an sich reizvollen Motivs, das jedoch einer sorgfältigeren und originelleren Pflege bedurft hätte, fand.
Elia Kazan hat sein Autoren-Ego bei AMERICA, AMERICA weiter zurückgesteckt, als man es sich im Regelfall von einem in Hollywood bereits etablierten Prestige-Regisseur erhoffen würde. Offenbar fühlte er sich verpflichtet, in aller Demut, diese Geschichte die ihm zufolge die seines Onkels ist, zuerst als Roman und danach auch als Film zu erzählen, als Film, für den der schreibschüchterne Regisseur (siehe „Kazan on Kazan“) sogar erstmals selbst das Drehbuch abfasste. Das, kombiniert mit der abenteuerlichen Produktionsgeschichte des Films – als Kazan und Team bereits vor Ort waren, zog bekanntlich der Finanzier die Mittel zurück und eine Geldspritze von einem befreundeten Warner-Produzenten rettete den Film im letzten Moment – gibt diesem aufgrund seiner Bescheidenheit nur sporadisch episch und selten anmaßend oder ehrpusselig wirkenden Film einen außerordentlich rohen, archaischen, ungeschliffenen, spontanen Charakter und das zu fotografierende Geschehen in staubiger Ebene und auf den dreckigen Straßen Istanbuls in grobem Schwarzweiß muss für Haskell Wexler ein Fest gewesen sein. Es ist vielleicht ein wenig enttäuschend, dass auch Kazan in seinem Anspruch auf Wahrhaftigkeit, Realismus, Authentizität und seiner Demut vor dem Vorbild des Onkels nicht soweit denkt, sich filmisch nicht soweit vorwagt, wie es vielleicht wünschenswert gewesen wäre (und wie er es in der Vergangenheit schon selbst erzielt hatte), die Inbrunst, die Sicherheit und Überzeugung dahinter spürt man aber intuitiv in jedem Bild, der Überfluss an moralischen und spirituellen Konflikten, denen sich Stavros (Stathis Giallelis, ein absoluter Laie, der hier beinahe James Dean, der in EAST OF EDEN einen verwandten Charakter verkörperte, an die Wand spielt) erschöpft einen ebenso wie das hohe Erzähltempo und die harten Bilder, von denen man in eine kulturelle Mentalität eingesogen wird, die in einem amerikanischem Film so noch nie zuvor präsentiert worden sein dürfte. Dieser Film definiert sich durch sein Temperament und seine Aufrichtigkeit, nicht durch seinen Kopf – Kazan selbst erwähnte später, dass er AMERICA, AMERICA nicht für seinen besten Film halte, wohl aber seinen persönlichen Liebling. Und das kann man bei Sichtung dieses pulsierend, atmend, wild und durchwegs leidenschaftlich inszenierten, gespielten, geschriebenen, fotografierten, vertonten und vor allem gefühlten zweieinhalb Stunden-Koloss von einem Roadmovie sehr, sehr gut verstehen. Ein Meisterwerk, nein, dass nicht. Alleine schon die Ehrfurcht, die Kazan seiner Familienhistorie erweist, verhindert schlicht, dass er seinen filmischen Einfallsreichtum gänzlich entfalten konnte der paradoxerweise z. B. in A STREETCAR NAMED DESIRE (der Adaption eines Broadway-Stücks!) deutlicher aus dem Schatten der Straßengassen trat, während er hier unter der Leidenschaft Kazans und der flirrenden anatolischen Sonne gelegentlich zu verschmelzen droht. Trotzdem ungemein souverän, beeindruckend und schamvoll in Vergessenheit geraten.
[Leider steht eine adäquate DVD des Films noch aus, mir stand nur eine VHS-Aufnahme der ZDF-Erstausstrahlung der ungekürzten Fassung von 1984 mit neuer (allerdings hochwertiger) Synchronisation zur Verfügung.]
Paths of Glory / Wege zum Ruhm (Stanley Kubrick, USA 1958 / DVD - OmU)
Würde ich meinen Studenten dreimal im Jahr zeigen, wäre ich ein resignierter Dozent an einer Filmhochschule, dem der pädagogische Idealismus abhanden gekommen ist. Ein Handbuch minimalistischer Effizienz, ein Wörterbuch brutal-direkter Filmsprache und in der Tat Kubricks erstes Meisterwerk.
Jezebel (William Wyler, USA 1938 / DVD - OmU)
Amüsant, dass allerorts, auch auf dem Cover der DVD – Dank an meine liebe, großzügige Mutter für dieses Weihnachtsgeschenk – Wylers Film mit GONE WITH THE WIND verglichen wird. Natürlich spielen die Filme um die gleiche Zeit im gleichen Milieu und ihre Protagonisten sind ähnlich. Aber Pres ist kein Ashley sondern willensstark und ehrgeizig, Buck kein Rhett sondern ein dumpfer, opportunistisch-reaktionärer Trottel und schließlich ist Julie keine Scarlett O’Hara – denn sie ist weder dumm, noch uneinsichtig. Scarlett O’Hara hat mich als Figur nie erreicht denn mag sie auch einen messerscharfen Instinkt haben, dieses „Geschöpf“ hat mich nie zu großer Auseinandersetzung eingeladen, trotz all seiner Ambivalenz. Die die Davis als Julie hat und zeigt. Die Wyler anstimmt und furios lenkt. In einer „cineastischen“ Phase wie dieser, in der sich mir ein Film wie dieser besonders aber überhaupt gerade diesen Filme des alten Studiosystems und seiner Meisterregisseure, als so überaus metaphysisch offenbart, als besonders offen für verschiedenste Rezeptions-Ansätze, mehr noch als so manches, was ich bisher für metaphysisch hielt, ist es schwer, hier die eigentlichen Vorzüge en Detail anzupreisen. Diese Filme muss man schlicht spüren (von fühlen keine Rede, ich habe zwar einen leichten Hang zum Sentimentalen, bin aber nach meinem eigenen Empfinden nicht an sich sentimental), man kann ihre Seele, ihren Geist und ihre Kunstfertigkeit nicht eindeutig erkennen und analysieren (höchstens ihre Form) sondern nur wahrnehmen. JEZEBEL ist auch ein seltenes Beispiel für einen Film, dessen Qualität mit wachsender Laufzeit kontinuierlich ansteigt, gerade so, als wäre das Wylers Absicht, sein Effekt – und sie kulminiert und endet in einer der umwerfendsten mir bekannten Schlusssequenzen, einer monumentalen Visualisierung von Julies finaler Erlösung. Und so selten wird eine Figur wie Julie wirklich erlöst und so selten haben Filmemacher und Publikum ihr das gleichermaßen gegönnt. Man spürt, dass Julie diese Erlösung (und Strafe zugleich) verdient hat, nach Wylers Auffassung, die er unsere werden lässt, wenn er mit unvergleichlicher Leichtigkeit, geradezu unsichtbar, in nur 100 Minuten eine Figur um 180° dreht, ohne einen Anflug von Pathos oder Konstruktion. Magnificent. I haven’t yet seen anything quite like it.
The Naked Kiss / Der nackte Kuss (Samuel Fuller, USA 1965 / DVD - OV)
Endlich mein erster Fuller. Und wie toll der ist. Toll, toll, toll. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ein Regisseur immer dann am souveränsten und innovativsten ist, wenn er selbst den Anspruch alleine, sich einen „Stil“ zuzulegen, einen ganz eigenen, als künstlerischer Individualist und Rad-Erneuerer aufzutreten, ablegt. Und dabei kann dann so ein anbetungswürdig schlichter, bescheidener und weise inszenierter Film wie THE NAKED KISS entstehen, der weder Erzähl- noch Formreflexions- oder Avantgarde-Kino ist, der auf allen Ebenen irgendwie funktioniert (und theoretisch auch bei jedem Zuschauer funktionieren müsste), obwohl er keiner bestimmten Richtung folgt. Wie schön, Fuller als Neu- und John Huston als persönliche Wiederentdeckung ergänzen sich somit im Augenblick perfekt. Mehr von beiden, viel, viel mehr.
Die Schlüsselszene, in der Constance Towers das wahre Gesicht ihres Partners erkennt, zählt schon jetzt zu meinen "most hypnotic moments ever".
EDIT: Bei IMDB hat es ein User noch prägnanter auf den Punkt gebracht:
"[Bad acting and annoying preachy moralizing. It's a hodgepodge.] But it is also a totally unique experience to watch. Noir. Melodrama. Crap. Art. This is pure Fuller! Gotta love it!!!!!"
Bearbeitet von McKenzie, 12. Januar 2009, 21:41.
#17
Geschrieben 19. Januar 2009, 03:52
Ich könnte mir kaum ein reizvolleres nationalmythisches (vermutlich ein nicht existentes Wort) Projekt vorstellen, als ein Remake und zugleich eine Erweiterung dieses Filmes zu drehen, wenn es irgend einen historischen süddeutschen Stoff gibt, dessen Verarbeitung zu einem großen Epos mit intimem Kern sich für meine Bedürfnisse und Ansprüche an reines Kino geradezu anbietet, dann diesen. Reinhardt Hauff, den man auch alleine schon wegen seines bekanntesten Films MESSER IM KOPF als Regisseur sehr, sehr hoch einschätzen könnte, hat allerdings schon den denkbar reizvollsten Ansatz gewählt und Mathias Kneissl ohne große manieristische Mätzchen oder überstrapaziertes romantisches Pathos zu einem bayerischen Jesse James stilisiert und den Film unaufdringlich und ohne seiner konzeptionellen Nüchternheit, die oft an Bresson erinnert, zu widersprechen, offenkundig als „Bavaro-Western“ angelegt. Der Charakter Kneissl wird von Hauff weder mit der mystischen Aura eines menschlichen Rätsels umwebt (dieser Versuchung wäre ich als Regisseur mit Sicherheit erlegen), noch verklärt, er ist nichts weiter als ein junger Bursche, der, ohne große Chancen auf einen anderen Lebenslauf, zuerst zum Versager und anschließend unfreiwillig zum Held der bayerischen Unterschicht wird, nur weil er sich – erzwungenermaßen – gesetzlos durchs Leben schlägt. Kneissl ist hier ein mehr oder minder nicht nur materiell, sondern auch sozial von der Gesellschaft abhängiger, widerwilliger Einzelgänger, ein Feigling mittleren Grades, ein grenzenlos naiver Jammerlappen, der eher als ängstlicher Gehetzter durch die Landen schleicht denn als stolzer Vagabund reitet. Hauffs Film ist innerhalb des deutschen Films in jeder Hinsicht ein faszinierendes Außenseiterwerk: Die malerische Kulisse uriger bayerischer Bauerndörfer und Wälder hat selten für einen Film dieses oder auch nur eines verwandten Sujets als Kulisse gedient und fast könnte man den Eindruck gewinnen, Hauff will dort Land gewinnen, wo die Heimatfilme der 50iger und 60iger so unwiderrufliche „Imageschädigung“ verursacht haben. Blasse, naturalistische Farben starren einen an, aus Bildern von schlammigen Straßen, dreckigen Häusern, herbstlichen Moorwiesen im Nebel und gefrorenen Äckern – Kaum zu glauben, dass es so lange gedauert hat, bis ein Filmemacher das deutsche Äquivalent zu der weiten amerikanischen Prärie, zum Grand Canyon, zu den Rocky Mountains, zu Monument Valley und all diesen ikonographischen Schauplätzen gefunden hat und ihnen ohne Eitelkeit und Anmaßung wie selbstverständlich ein deutsches Pendant entgegensetzt. Dass MATHIAS KNEISSL mehr oder minder der einzige deutsche Film dieser Art ist (oder: zu sein scheint), bleibt ein ebenso paradoxes Phänomen wie die Tatsache, das Deutschland mit seinem mythologischen, historischen und kulturellen Kontext in 100 Jahren Filmgeschichte nur eine knappe Handvoll reinrassiger Gothic-Horrorfilme hervorgebracht hat – obwohl unsere Gefilde ohne jeden Zweifel für dieses Subgenre eine prädestinierte Brutstätte wären. Das deutsche Kino war, ist und wird immer so spießig, ängstlich, vorsichtig und kontrolliert bleiben wie die breite deutsche Masse. Vor einem Jahr hat uns Marcus H. Rosenmüller, das neue Goldkalb des Bayern-Kitsches, mit „seiner“ Version von Kneissls Geschichte „beglückt“. Dass er das ganze dabei zur deftigen Komödie umfunktioniert und somit den Seherwartungen des auf Regional-Exotismus getrimmten restdeutschen Publikums entsprochen hat, ist nur bezeichnend für die rapide Verkümmerung des deutschen Kinos im Lauf der letzten 30 Jahre. Hauff war kompromisslos wie fantasievoll und hat sich, auch wenn das den wenigsten bewusst sein dürfte, mit diesem Film schon automatisch in die deutsche, und speziell die deutsche Filmgeschichte eingeschrieben.
Übrigens scheint Hauff gut mit Rainer Werner Fassbinder gestanden zu haben, der hier selbst eine größere Rolle als verschlagener Großbauer übernommen hat, nebst seiner „Familienmitglieder“ Hanna Schygulla, Kurt Raab und Irm Hermann in weiteren Nebenrollen. Die herzzerreißende, sparsam beigemischte Musik ist von Peer Raben. Und zu guter letzt ist in einer Nebenrolle als lüsterner Kaufmann, der Kneissls drallem Schwesterlein unters Röckchen will, noch Gustl Bayrhammer, m. E. der bayerische „Duke“, zu sehen. Do schaust!
DVD-Veröffentlichung d-r-i-n-g-e-n-d-s-t notwendig.
Bearbeitet von McKenzie, 19. Januar 2009, 03:54.
#18
Geschrieben 19. Januar 2009, 04:13
Relativ geplättet. Wieder einmal. Sollte es Menschen geben, die Damiani plumpe linke Propaganda oder / und emotionale Prostitution unterstellen, sie befänden sich meinem Empfinden nach in einem geradezu böswilligen Irrtum. Damiani macht das Böse direkt, aufrichtig-plakativ und umissverständlich kenntlich, die Falschheit und vor allem das Dysfunktionale des Systems, oder, besser gesagt, Konzepts Politik. Bis aufs Mark. Und trotzdem zeigt er nicht nur seine Verführungskraft sondern auch die verbleibende Menschlichkeit, die dieser den Weg ebnen muss und der mit reiner Kalkulation nicht beizukommen ist. Franco Nero gerät doch erst in die Fänge des Mafiosos, weil dieser ihn versteht, wirklich versteht, weil er die reaktionären Dimensionen seines individuellen Falles bis ins kleinste Detail nachvollziehen kann – und große Manipulationen deswegen überhaupt nicht mehr notwendig sind. Das vollkommene Böse ist bei Damiani der Mensch, dem es gelingt, ohne mit der Wimper zu zucken gegen seine jede Minute pulsierende Menschlichkeit zu handeln, der streng selektiert, welche Gefühle er sich erlauben darf, sich selbst völlig unter Kontrolle hat.
Am Ende steht der übliche Schlag in die Magengrube, hier besonders irritierend, unspektakulär – das Bild der unverwandt vom Ufer zu Franco Nero auf der Yacht schielenden Tochter von Pesenti ist ebenso bleibend, so ewig und so unvergesslich, so schrecklich und grausam wie der versteinerte Traini in DER CLAN, DER SEINE FEINDE LEBENDIG EINMAUERT, der leblos mitten auf einer Straßenkreuzung verbliebene Leichnam in IO HO PAURA oder der dem jämmerlichsten Größenwahn verfallene GIROLIMONI. Nur kann man Vanzi sein Handeln schwerlich übel nehmen – seine Chance ist noch geringer und der Preis, den er dafür bezahlt, noch größer. Und offen bleibt schließlich doch auch, inwiefern Vanzi nicht zu einem der „Bösen“ geworden ist, inwiefern sein ängstlicher Gesichtsausdruck am Ende nicht vielleicht eine letzte, unkontrollierte emotionale Reaktion auf dem Weg zur perfekten Gewissenlosigkeit ist.
D wie direkt, wie denunzierend, wie deklarierend, wie differenziert, wie delektierend, wie deprimierend, wie desillusionierend, wie desorientierend, wie derb, wie direkt, wie Damiani.
Ich wünschte, es gäbe hier in Deutschland, dem Land der stur politikgläubigen Appell-Filmer, einen Regisseur wie Damiani, der statt intellektuell verbrämter Formspiele aggressiv aus allen Rohren feuert. Dreck aufzuwühlen gäbe es genug. Vielleicht aber auch bezeichnend, dass sich wahrscheinlich keiner dieses Kalibers finden ließe – kommentiert sich die deutsche „Politik“ (und freilich nicht nur die) und leider auch das Gros des politischen deutschen Kinos - mit dem man erschreckenderweise sogar Namen wie Volker Schlöndorff assoziiert - schon seit unbestimmter Zeit von selbst.
Klingt alles vermutlich wenig überzeugend und banal. Damiani zu beschreiben, ist eine Aufgabe, die ein talentierterer Mensch einmal angehen sollte.
#19
Geschrieben 20. Januar 2009, 12:40
Dass kaum ein anderer Regisseur so harmonisch, vielseitig und extrem mit Marlon Brando arbeiten konnte wie Kazan liegt wahrscheinlich in der Vorstellung begründet, die offenbar beide Männer im Umgang mit Filmprotagonisten, bzw. Helden ( Identifikations-Figuren und der Vorstellung, die man seinerzeit davon hatte, geteilt zu haben scheinen. Dekonstruktion, die über den Antihelden hinaus zum bemitleidenswerten, teilweise geradezu erbarmungswürdigen Schatten einer vermeintlich starken Persönlichkeit die, so wird immer angedeutet, eine eben solche vielleicht niemals gewesen ist. So scheint das Motto. Bei einem zweiten Blick auf MUTINY ON THE BOUNTY, der bekanntermaßen in erster Linie eine Brando-Regiearbeit darstellt und keinen Lewis Milestone-Film, fällt sofort auf, wie sehr Brandos ganz eigene, alles andere als einfache Interpretation des Fletcher Christian sich mit seinem Emiliano Zapata aus diesem Film deckt und ergänzt, nur das Brando in MUTINY ON THE BOUNTY schon gar nicht mehr wirklich als Rebellions-Führer agiert, agieren kann, letztlich nur zum Instrument seiner Matrosen wird. So kaputt, selbsttäuschend, labil, schlicht charakterlos wie Brandos Christian (dem das Mainstream-Publikum '62 verständlicherweise die Gunst verwehrte und dem Film an den Kinokassen nicht übermäßig gewogen war) ist Emiliano Zapata hier noch nicht, trotzdem ist auch er ein Mann, der nur nach der Ideologie handelt, von der er glaubt, sie müsse die richtige sein, ungeachtet seiner instinktiven, scharfen Intelligenz, die ihn von der Naivität eines Brandoschen, hyperkontrollierten Christian abhebt. Letztlich sind auch alle Parteien um Zapata geradezu grotesk überzeichnet und mir würde niemals einfallen, dem Film den Verdacht eines "antikommunistischen Kommentars" aufzuerlegen - arbeitet Kazan doch einfach nur beißend, aber in meinen Augen sichtlich ungerührt von den Motiven an sich, den Faschismus heraus, der zwangsläufig aus kommunistischem Fanatismus erwachsen muss, der rücksichtslose Geltungsdrang, der auf beiden Seiten für Willkür und Machtmissbrauch sorgt, die allgemein unmögliche, eindeutige Schuldzuweisung, wie sich in der zweiten Hälfte des Films zeigt. Deswegen ist VIVA ZAPATA auch vielmehr ein moralischer denn ein politischer Film, der soziale und gesellschaftliche Missstände auf die Machtkonstruktion und nicht auf die politische Front ihrer Ingenieure zurückführt.
In erster Linie ist Kazans Film aber ohnehin noch echtes Unterhaltungskino mit einem Anspruch an sich,wie man ihn heute kaum mehr kennt - und ein Phänomen insofern, als man während dieser nur 109 Minuten den Eindruck gewinnt, man würde einem ungemein packenden, vielschichtigen, dreistündigen Epos beiwohnen - während der Sichtung stellte sich bei mir eben jenes Zeitgefühl ein, dass sonst nur Filme wie LAWRENCE OF ARABIA, BEN HUR, DOCTOR ZHIVAGO, C'ERA UNA VOLTA IL WEST, THE GODFATHER und all jene "Über-Filme" erzielen, das Gefühl, es sei viel Zeit verstrichen, als seien viele Ereignisse und eine ungeheure Anzahl komplexer menschlicher Veränderungen in der dafür nötigen Breite vor sich gegangen, mit einem Nachgeschmack von glücklicher Erschöpfung und gefühlter Größe.
Bemerkung am Rande: 1970 haben sich auch mexikanische Produzenten angeschickt, ihre eigene Variante vom National-Mythos und -Helden Zapata auf die Leinwand zu bringen, der EMILIANO ZAPATA betitelte Film ist m. E. trotz ungeheurem Aufwand dem Film von Kazan weit unterlegen und gewinnt der Figur, die dort nur ein unfreiwillig profilloser, markiger Aufrüttler ist, kaum interessantes, geschweige denn authentisch wirkendes ab und ertrinkt weitgehend in ihren allerdings beachtlichen "production values" und ihrem hölzernen Drehbuch. Bezeichnenderweise setzt dieser Film mitten im Kampfgetümmel ein und schert sich kaum um die Vorgeschichte und Entwicklung der Revolution, bleibt in erster Linie ein Schlachtengemälde - was VIVA ZAPATA! gerade nicht ist. Und Antonio Aguilar ist leider auch kein Brando, der sich hier noch, ebenso unverbraucht wie in A STREETCAR NAMED DESIRE, von seiner Rolle mit Haut und Haaren verschlingen lässt - oder auch vice versa.
#20
Geschrieben 09. Februar 2009, 05:36
Oder: Die Ballade vom Tod einer armen Familie. Die äußere Gleichgültigkeit, mit der Tony Richardson, vielleicht einer der meistunterschätzten britischen Regisseure seiner Generation, und John Osborne die schizophren anmutende Persönlichkeit von Archie Rice (ein unfassbar gewaltiger, kraftvoller Laurence Olivier) und die dauernd wechselnde, aber stets existente Hierarchie seiner zerfallenden Familie seziert, steht in ebenso krassen wie lieblichen Gegensatz zu der melodramatischen Geschichte, die einem jeden Cineasten-Typ das bietet, was sein Herz begehrt: Den sozialkritisch-antikapitalistisch-linken Agitationskino-Touch, das spirituell-poetische Requiem das vor schönster, ehrlichster Melancholie trieft und zu guter letzt die gedoppelte Kreuz-Reflexion über das Miss- und Liebesverhältnis von Theater und Kino. Und so. Quasi ein leidenschaftlicher, kurzer, sinnlicher und unwiderstehlicher, aber auch vergänglicher Flirt von Schwulst und Tonerde, von Ambivalenz und Moral. Eine lakonische Ballade des Untergangs und ein kongenialer Partner im Geiste von Chaplins nicht minder großem LIMELIGHT. Von den sechs Filmen Richardsons, die ich bislang sehen konnte*, ist dies in meinen Augen sein ausgeglichenster, aufrichtigster, komplexester aber auch rührendster, dicht gefolgt von THE LONELINESS OF THE LONG DISTANCE RUNNER.
*LOOK BACK IN ANGER (1959)
THE ENTERTAINER (1960)
A TASTE OF HONEY (1961)
THE LONELINESS OF THE LONG DISTANCE RUNNER (1962)
TOM JONES (1963)
A DEATH IN CANAAN (1978)
Bearbeitet von McKenzie, 09. Februar 2009, 05:38.
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