Wenn ich von der Innenstadt mit der U-Bahn hinaus in den Münchner Norden fahre, habe ich stets instinktiv das Bedürfnis, mir einen rotweißen Schal um den Hals zu binden und den Ohrwurm „Stern des Südens“ in meinen Fünftagebart zu summen. Denn da oben ganz im Norden, wo die Peripherie Münchens in Hasenheide und Panzerwiesen ausfranst, in unmittelbarer Nähe der Müllverbrennungsanlage, liegt unser allerheiligster Fußballpalast, die Allianz Arena. Oder das Kaiserklo, wie unsere Untermietnomaden aus Giesing es nennen.
Doch heute hat Bayern schon gespielt, vor wenigen Minuten 2 : 2 verloren gegen Heppenheim und Wolfsburg gleichzeitig. Meine Stimmung ist dennoch überraschend im ersten Stock, denn wir haben die Meisterschaft nicht verdient in unserer gefühlt schlechtesten Saison seit zehn Spielzeiten und können zufrieden sein, den Taucher los zu sein, einen hervorragenden neuen Trainer gefunden zu haben und hoffentlich allem Unbill zum trotz Champignonliga zu spielen (* knock knock *). Vielleicht halten wir dann ja sogar Ribery. Also keine Animositäten und aufrichtige Gratulation an Quälix. Viel Spaß schon mal mit den Medizinbällen nächste Saison, liebe Schalker.
Apropos Foltern. Mit gemischten Erwartungen sehe ich den nächsten paar Stunden entgegen. Denn ich bin in den Norden der Stadt unterwegs, um mit der besten Ex von allen die BoundCon VI zu besuchen, laut Programmheft eine European Fetish Covention und "Deutschlands größte Fetisch & BDSM Messe". In der Zenith Kulturhalle von Freimann haben sie auf 5000 qm ihren Tand, ihre Neigungen, ihre Körper ausgebreitet, und der von anderen Erotikmessen gestählte Chronist erwartet wenig Gutes. Spießer, Spanner und Verklemmte, die sich von schlecht gelaunten Prostituierten und Industriepornografen verlustieren lassen. Und ein Kaffee kostet neun Euro fuffzich. Wie man sich doch irren kann. Denn ich gehe ja nicht zu einer Pornomesse, sondern zur Perversenmesse.
Liebeserklärung an Red Hibisca und ihre freundlichen Freunde
Eine sexuelle Neigung kann man sich nicht kaufen und auch nicht simulieren. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Schon aus diesem Grund fehlt auf der Bound Convention von Arschlöchern jede Spur (zumindest von solchen, die man nicht dort sehen will). Stattdessen sind die Überzeugungstäter unter sich, gestylt im Dress Code ihrer Nische wie die Trekkies oder Mangafreaks bei ihren Veranstaltungen.
Da sieht man den Latexmann mit SS-Mütze und Schweißerbrille, die Drag Queen im Ballkleid, quasi nur mit breiten Gürteln bekleidete, kleine Engländerinnen (mit voll den typischen Engländerinnengesichtern, wie bei "Asterix bei den Briten") und die würdige Professorengattin im Kimono und Rentenalter, wie sie sich von ihrem grauhaarigen, goldrandbebrillten Shogun auf der Bühne zur appetitlichen Roulade verschnüren und am Seilzug in Lüfte heben lässt. Mit verschämtem Lächeln und stets gesenktem Blick, wie eine echte Geisha (süß!). Im Geschiebe durch die Gassen zwischen Fesselungsaktionen, anschaulichen Hilfsmittelpräsentationen und Diskurs der Initiativen (Deutsche BDSM-Jugend!) prallt der Prügelknabe auf die Domina, die esoterische Dessousmaus auf das Ganzkörperkondom und die tätowierte Burlesque-Attraktion mit Monstertitten auf den asketischen Schmerzensmönch im Kettenhemd. Niemand schaut dumm, wenn die taillengeschnürte Wuchtbrumme in den fortgeschrittenen Fünfzigern das vor Aufregung leuchtende Antlitz ihres allerhöchstens zwanzigjährigen, auf Kinderschokoladebub gestylten Zögling als Sitzplatz wählt, und der schmächtige Nerd und die übergewichtige Nerdin (beide höchstens 20) werden in knallengem blauen Korsett über breitmaschiger Netzstrumpfhose (sie) und schwarzem langen Rock zu ärmellosem Lackoberteil (er) zum coolen, todschicken und buddhistisch erleuchteten Glamourpaar, mit dem euer Chronist nur zu gern jene Bierbank teilt, an der eine blutjunge, birnenförmige Traumfrau mit kohlrabenschwarzem Pferdeschwanz und dem gewinnendsten Schlampenlächeln der Welt die essbare Currywurst für 3 Euro und dass überbackene Stangensandwich für deren Fünfe kredenzt.
Keine Frau hat hier ein Problem damit, wenn du ihr in den Ausschnitt oder auf den vorbeischaukelnden Hintern blickst und anerkennend an deinen Stahlhelm tippst (es freut sie sogar). Draußen vor der Halle in der milden Maisonne, wo man eine Zigarette raucht und genreübergreifend fachsimpelt, sieht es aus wie in einer Drehpause von Ken Russels 100-Millionen-Dollar-Produktion "Caligula trifft Josephine Mutzenbacher im Titty Twister". Von schwitzenden Neckermännern in Bermudas oder Schnauzbärten mit Vokuhila und Goldkettchen fehlt dagegen jede Spur. Die trauen sich hier schon aus begründeter Schwellenangst nicht herein und würden wohl auch ziemlich gemobbt werden von jenen, die sich genau ohne solche Typen entspannt entfalten wollen. Und mit den Keltenbikerschränken, die hier zuweilen die Tätowier-, Piercing- und Auspeitschungsstände bevölkern, würde ich mich nicht anlegen. Gut, dass wenigstens die beste Ex von allen sich in anständigen Kampffummel geworfen hat (Schnürstiefel, Korsett, Hair Extension). Auch kennt sie gleich mehrere Aussteller persönlich und macht mich mit ihnen bekannt. Ich dagegen fühle mich, obschon in langem schwarzen Hemd, schwarzen Stiefeln, Totenkopfringen und mit offenem schulterlangen Haar angereist, wie der volle Normalo. Werde mir also ein rustikales amerikanisches Spankingpaddel zum Spazierentragen leisten (29.-), vielleicht lässt es sich sogar irgendwo ausprobieren.
Und dann entdecke ich sie. Besser, höre sie zuerst. Höre das Klatschen von Leder auf weißer Haut. Weißer Haut in feuerroten Netzstrümpfen, Korsett und Strapsen. Nicht, dass ich auf solch Nuttenfummel stehen würde. Aber weiße Haut und volle weibliche Formen machen mich verrückt. Dabei ist Red Hibisca nicht ansatzweise dick. Nur eine hochgewachsene Schönheit mit eleganter Körperhaltung, daumenkurzen, hellblonden Haaren, weißer Haut, großen natürlichen Möpsen mit hellen Brustwarzen und einem prallen, großen Hintern, der fließend in stramme, endlos lange schneeweiße Oberschenkel übergeht. Mitte zwanzig, frühe dreißig höchstens, der schwere Busen etwas hängend, und der Hintern von milder Cellulite gezeichnet, aber beides eher der natürlichen Form als altersbedingter Schwäche geschuldet. Eine aufregende, aufsehenerregende Erscheinung, ein Blickfang selbst hier. Die Schneeleopardin. Die Softeiskönigin. Im Augenblick wechselt sie gerade leicht die Farbe, wie bei der Brautwerbung der Sepia, denn Red Hibisca bekommt den Hintern versohlt. Und was hätte es überhaupt für einen Sinn, braune Haut zu röten? Da sieht man ja kaum eine Veränderung. Damen haben weiße Haut zu haben, wir sind doch keine Wilden.
Ich bin auf das angenehmste berührt von dieser natürlichen Subkultur und umgeben von freundlichen, einfühlsamen Menschen, die respektvoll miteinander umgehen, während sie sich schlagen, fixieren, rituell demütigen oder mit Kerzenwachs beträufeln. Klassen- und schrankenlos greifen Generationen ineinander, politische Bekenntnisse, finanzielle Verhältnisse und berufsbedingte Dünkel zählen wenig im Moment, in dem du von Hausfrau, Anwalt oder Hochschüler Soundso zum Magier der Sinne wirst. Vielleicht ist das ja eine der positiven Entwicklungen der Gegenwart neben all den vielen ach so schlimmen. Daß die Gesellschaft gerade durch die Aufsplitterung in viele kleine Zirkel und Subkulturen homogener wird, sich besser kennen lernt. Ganz ähnlich wie in so einem Filmforum, wo sich ja auch der Philosoph mit dem Krankenpfleger, der Lehrer mit dem Tellerwäscher unterhält auf der Basis einer Zensurdebatte oder Argento-Retro. Und dort versohlt eben die feine Dame den Studentenpunker, und der alerte Medienfritz führt die dicke Bäckerin an der Hundeleine Gassi.
Langer Rede, kurzer Sinn: Bin verliebt. Aktions- und Körperkünstlerin Red Hibisca hat Nina Brunner (3sat) von Platz 1 verdrängt auf meiner persönlichen Hitliste der modernen Medienfrauen. Habe sie nicht mal angesprochen, nur aus naher Ferne bewundert, fand den Moment nicht angemessen aus verschiedenen Gründen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Vielleicht liest sie ja mein Filmtagebuch. Höchstwahrscheinlich tut sie das. Kaffee? Trinken? Ins Kino gehen? Presse von "Terminator IV"? Euch aber auf den Weg: Fort mit Scheuklappen. Nur keine falschen Hemmungen. Das Leben ist zu kostbar für Eifersucht.
Aus gegebenem Anlaß / einmalig ein kurzes Selbstzitat aus dem nur für Mitglieder geöffneten Tagesfred des Forums (weil’s da gelöscht wird und hier stehen bleibt): Große Brüste hängen nun mal, und stehen nicht in der Gegend herum wie Luftballons. Das tun nur fleischfarben lackierte Plastiktüten. Und Damenhintern haben Cellulite. Wer das nicht ertragen kann, muß sich einen Knaben fangen.
Cloverfield
(US 08)
Junge Leute besuchen eine Party in Manhattan, lachen, scherzen, schütten Cocktails in sich hinein. Plötzlich stören beunruhigende Geräusche und Aussichten das lustige Treiben auf der Dachterrasse. Drüben, in der Hafengegend, in wenigen Kilometern Entfernung, erleuchtet eine gewaltige Explosion den Nachthimmel, und die Trümmer fallen bis zu ihnen herüber. Eines der Trümmerstücke ist der weggerissene Kopf der Freiheitsstatue. Mit diesem schönen Effekt beginnt "Cloverfield", ein aufwendiger, mit aller zur Verfügung stehenden Technik ausgestatteter Studio-Katastrophenfilm im Stile einer Amateur-Augenzeugenreportage. Das Modell von "Blair Witch Project" und "Cannibal Holocaust" ist also in der Chefetage angekommen.
Ich persönlich würde versuchen, die Kamera ein wenig ruhiger zu halten, wenn ich ein Homevideo egal welcher Art filme. Sonst kannst du es ja auch gleich lassen. Hier aber soll nackte Panik Vater des Gedankens sein, und da zappelt man eben herum. So geht’s hinaus auf die Straße und Richtung Brooklyn Bridge, Hauptsache raus aus Manhattan, mit fünf Typen, die sich gegenseitig beim Fliehen, Zetern und Zagen mit einer Handkamera filmen, und zwischendurch auch immer mal wieder wie zufällig Bruchstücke jenes Geschehens einfangen, weswegen die ganze Aufregung überhaupt herrscht. Ein Monster von unbekannter Herkunft ist nämlich in die Stadt am Hudson eingefallen und erledigt, was King Kong, die Warriors und Osama nicht geschafft haben. Später taucht es auch mal bildfüllend im Fokus auf (für drei Sekunden), aber über die meiste Strecke kann der Zuschauer nur ahnen und Bruchstücke formen angesichts des Rätsels, das sich vor seinen Augen entfaltet.
Und ja, das kann schon recht spannend sein. Wenn man sich wirklich dafür interessiert, was da durch die Schluchten schlabbert, ständig kleine Ableger abwirft, die auch schon reichen, um einen knarrenstarrenden Muskelmann zu fällen, dann will man bis zum Schluß dabei bleiben und wissen, was eigentlich los ist. Leider erfährst du es nie ganz richtig, aber dafür kannst du dir schön die psychologischen Folgen von 9/11 angucken. Denn wenn "Godzilla" die Atombombe verkörpert, dann repräsentiert das Monster aus "Cloverfield" den Anschlag auf das World Trade Center. Viele Einstellungen, zum Beispiel die, wenn die Staubwolke durch die Canyons walzt und die Leute sich schreiend in irgendwelche Läden flüchten, bevor es RICHTIG DUNKEL wird, sind offensichtlich den Nachrichtenbildern vom 11. September 2001 nachempfunden.
Von Charakteren kann bei solcher Ausgangsposition und knappen 80 Minuten Spieldauer nicht die Rede sein. Du kriegst gerade noch mit, wer wahrscheinlich Mann oder Frau ist, und dann sitzen auch schon alle bibbernd im Dreck und schreien. Nicht gerade ein Schauspielerfilm. Die Effekte überzeugen vor allem deshalb, weil du kaum etwas von ihnen siehst, und wenn das Monster schließlich in seiner ganzen Pracht im Tageslicht den Central Park besucht, wunderst du dich nur, warum ein Ding von solchen Proportionen überhaupt noch auf einzelne Menschlein dort unten im Ameisenhaufen reagiert. Aber offensichtlich kann man den wilden Watz ganz schön sauer machen, wenn man ihn ohne zu fragen filmt. Genau wie eine nacktbadende Haushaltsschülerinnenklasse an der Isar. Aber das ist eine andere Geschichte.
Last House on the Left
(US 09)
Ein Remake eines klassischen Horrorfilms. Der Trend der letzten Jahre und eigentliche Motor des aktuellen Horrorgenres. "Dawn of the Dead", "The Hills Have Eyes", "Omen", "The Texas Chainsaw Massacre", "Halloween", "Freitag der 13.". Sogar solche obskuren Sachen wie "Wizard of Gore", "The Children" oder "Blutiger Valentinstag" kommen wieder. Nur an "Maniac" traut sich keiner heran. Warum eigentlich nicht? "Last House on the Left" nehmt ihr doch auch.
Den wollte ich zuerst eigentlich gar nicht sehen. Schließlich ist das Original einer meiner Lieblingsfilme. Was konnte dabei schon heraus kommen. Sex dürfen sie nicht zeigen, eine zwanzigminütige Dauervergewaltigung kann ich mir von Hollywood nicht vorstellen, und wo wird das Rohe, Ungeschliffene, Improvisierte bleiben, das ja mal irgendwie dazu gehörte und Charme ausmachte, wenn man ein 15-Millionen-Dollar-Remake dreht von einem Film, der zirka 100.000 Dollar kostete. Okay, in der Nixonära war der Dollar noch etwas mehr wert als heute. Und das Remake hat schon mal mehr als das doppelte seiner Produktionskosten im Kino eingespielt. Ihr wollt wissen, warum sie so gerne Horrorfilme drehen? Ehe die Leute merken, wie schlecht sie sind, haben sie schon Gewinn eingespielt. Und wenn sie doch nicht scheiße sind, machen sie Riesenknete. Vor allem später, auf DVD.
Viele Klassiker-Remakes des modernen Hollywood gingen dann allerdings überraschend okay. "Dawn of the Dead" hatte eine Hammereröffnung wie der erste und auch sonst ein paar gute Einfälle. "TCM" war spektakulär brutal, stimmungsvoll und mit R. Lee Ermy und Jessica Biel trefflich besetzt (Die Titten und das Tier). "The Hills Have Eyes" fand ich besser als das Original, viel besser, und habe mich gewundert, wieso Wes Craven das persönlich produziert. Weil er nicht gut aussieht daneben, im Vergleich. "Halloween", nun ja, habe ich einen Eintrag zuvor ausführlich gewürdigt, und den neuen "Freitag der 13." kenne ich noch nicht. Vielleicht überrascht mich ja auch "Last House on the Left" positiv. Und vielleicht hilft es, Spaß im Kino zu haben, wenn man eigentlich recht leicht zu erheitern ist und trotzdem immer direkt das Schlimmste erwartet.
Der alte "Last House on the Left" war auch schon ein Remake, und zwar, „believe it or not” (Ebert), von Ingmar Bergmans protestantisch strengem Mittelalterkupferstich "Die Jungfrauenquelle" aus dem Jahre 1960. In Bergmans Film ging es um die Ermordung eines adeligen Töchterlein, das allein nur mit einem Korb Wein und Kuchen bewaffnet in den dunklen Wald reitet und statt der Großmutter bzw. Mutter Kirche leider die drei bösen Wölfe trifft. Später suchen die Wolfsburger Obdach im Heim ausgerechnet des adeligen Vaters, welcher im Gebäck der Gäste prompt das Geschmeide seiner Tochter entdeckt. Hitzige Rache nimmt ihren unkontrollierten Lauf, zur Buße für die eigene Untat errichtet der Vater eine Kirche (mein unchristliches Rechtschreibprogramm will unbedingt, daß ich Busse schreibe, wie in Jochen Busse, oder Linienbus). Die Kirche kann man heute in Schweden besichtigen, oder sie sich in der Kritik von Roger Ebert anschauen, der bildet sie nämlich freundlicherweise ab. Was ich mich hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht traue. Based on a true story.
Der kritische Baptist und ambitionierte Pornograph Wes Craven, späterer Erfinder von Freddy Krueger und Großgeldverdiener mit der "Scream"-Franchise, knöpfte sich den Schwarzweißklassiker 1972 zum farbenfrohen Remake vor und machte daraus (passenderweise mit Pornodarstellern) "Last House on the Left", den vielleicht wichtigsten, klarsten und aufrichtigsten Beitrag zum übel beleumundeten Subgenre des Rape & Revenge-Horrorthrillers (sofern man "Deliverance" nicht bereits als solchen betrachtet). In jedem Fall ein Film, der seiner Zeit voraus war, über den gute Bücher geschrieben wurden, und der das Anschauen lohnt. Besonders für süße kleine Pressetanten, die das Remake Grobianen wie mir verkaufen sollen.
17 Jahr, blondes Haar
Vielversprechend schon mal der Einstieg. Nicht unbedingt der Auftritt von Krug und seiner Gang in Szene 1, obwohl auch das in Ordnung geht. Im Gegensatz zum Original zeigt dir das Remake nämlich den Ausbruch der späteren Lustmörder. Hätte ich aber lieber bei Tag gesehen, diese recht brutale Szene. Dann steigt auch schon die grazile, hellhäutige, siebzehnjährige Mari Collingwood (Sara Paxton, Jahrgang 88, jünger wirkend) in den Crystal Lake und beginnt zu kraulen wie Johnny Weissmueller in "Tarzan gegen Seestern Hitler". Eine kleine stolze Porzellandampfmaschine durchschneidet wie ein Messer die unheilverheißend dunkelgrüne, glasscheibenflache Wasseroberfläche. Schnell. Elegant. Schöne Szene. Für so etwas bin ich schon bereit, die Fäuste sinken zu lassen und mich dem Film hinzugeben. Jetzt laß mich bloß nicht auf die Schnauze fallen.
Wir erfahren, dass die Schwimmerin mit ihren Eltern im Wochenendhaus am Ort ihrer Kindheit urlaubt. Gemeinsam mit Sandkastenfreundin Paige macht sie jetzt die Gegend unsicher und läuft dabei dem gleichaltrigen, auf der Durchreise befindlichen Justin über den Weg. Unter Justins Kapuzenpulli und Lockenmähne verbirgt sich ein unverschämt hübsches Gesicht, und er besitzt Stoff zum Rauchen in einer Qualität, wie man sie im kleinen Dorf nicht alle Tage sieht. Mari und Paige folgen Justin in das Appartement im Motel und nehmen erst mal einen zur Brust, obwohl Mari eigentlich nicht mehr kiffen wollte, der Sport, die Eltern, der Sport. Aber ach, der junge Mann mit dem gewinnenden Lächeln hat es ihr schon mächtig angetan. Gib mal her das Ding. Weia, haut das rein, nach so langer Pause. Pech, dass der Knabe eine Familie hat, die irgendwann nach Hause kommt. Sonst hätte es ein schöner Abend werden können.
Auch im Original kaufen sie Haschisch, und ich frage mich, wann endlich mal einer die Message daraus liest und versteht. Wenn. Ihr. Nicht. Wollt. Dass. Eure. Heissen. Töchter. Harmloses. Haschisch. Bei. Kaputten. Verbrecherclochards. Kaufen. Dann. Müsst. Ihr. Die. Verfickte. Scheiße. Bloß. LEGALISIEREN. Aber nix da. Wahrscheinlich müssen noch zwei bis drei Generationen von Maris dekorativ ins Schilf beißen, bevor die Menschheit den Irrtum erkennt und sich eines Besseren besinnt. Wenn die Tür aufgeht und Justins Vater (Krug!) mit dem Bruder (Weasel!) und der Schlampe (Sadie!) heimkommt (von wo?), fällt sofort das Fallbeil. Vom Zuschauer ohnehin erwartet (er guckt ja einen Horrorfilm, keine Dating-Komödie), aber auch von den beiden zentralen Mädchencharakteren sofort erkannt. Niemand weiß, daß ich hier bin. Und hoppla, ich bin jetzt Opfer.
Eine der Stärken des Originals war die überzeugende Vermittlung von Entsetzen bei den passiv Beteiligten. So auch hier. Sowohl den Mädchen als auch dem Teenagersohn des Hauptverbrechers steht ohne viel Geschrei nacktes Grauen ins Gesicht geschrieben. Ihnen wird zunehmend bewusst, dass die Mädchen diese Begegnung, wenn kein Wunder geschieht, nicht überleben werden. Auf Kidnapping und sexuellen Übergriff stehen hohe Freiheitsstrafen, erst recht, wenn man ein aus dem Gefängnis geflohener Schwerverbrecher und Copkiller ist. Diese Leute werden sie nicht laufen lassen. Und auch nicht lange mitschleppen. Die Mädchen wissen das. Die Verbrecher wissen das. Der Sohn des Oberverbrechers weiß das. Und ist auch noch ungewollt schuld daran. Der Zuschauer fühlt mit, wie er sich windet. Aber einem Vater, der aussieht (und handelt) wie der Man Eater nach einem Friseurbesuch, widerspricht man nicht. Schon gar nicht, so lange der Alte die Knarre und zwei dumpfe Vollstreckerfreunde hat, die sich zu überbieten suchen dabei, ihrem Leitwolf mit Greueltaten zu gefallen. Und von denen einer ziemlich sexy ist (Riki Lindhome) und sich als erstes mal oben rum freimacht, als sie ins Zimmer tritt. Als hätte es noch eines Ausrufezeichens bedurft, wie außerweltlich sittenlos diese Ausflugsgruppe des Schreckens ist. Amerikanische Mädels jedenfalls können die Zeichen lesen, und der Zuschauer auch.
This ain’t no picnic
(spoilers ahead)
Ich will euch jetzt nicht langweilen mit Details des Massakers, dass in den folgenden zirka zwanzig Minuten seinen unvermeidlichen Lauf nimmt. Nur so viel. Es steht dem Original in Brutalität wenig nach. Es werden nicht in Großaufnahme Jeans eingepisst, Namen in Brüste geschnitzt oder Innereien aus dem Bauch geholt (eine Anspielung des Originals auf den noch nicht lange zurückliegenden Mord an Sharon Tate), aber es geht nah und tief. Die Mädchen werden vergewaltigt und ermordet, jedenfalls glauben die Übelwichte das. Und suchen Schutz vor einem Unwetter im Haus der Collingwoods. Dem letzten Haus links am Waldsee. In den Mari Collingwood mit letzter Kraft hinein hüpfte. Bevor ihr Krug noch eine Kugel verpasste.
Wes Cravens House konnte vergewaltigen und töten wie kein zweiter. Doch drum herum gelang ihm nicht so viel. Alle Personen außerhalb des Orbits Bande – Opfer waren wie schlechte Karikaturen gezeichnet, die Abrechnung der Eltern mit den Mördern ihrer Tochter überzeugte allenfalls bedingt und wirkte in ihrer wilden Konstruktion aufgesetzt. Von einem schlechten Gewissen wie bei Bergman fehlte jede Spur. Da gibt sich das Remake mehr Mühe, auch wenn es der eigentlichen Geschichte kaum Neues zufügt. Eher läßt man etwas weg, denn Polizei (Bozo die Clowns im Vorgänger) taucht weder am Anfang, in der Mitte noch am Ende auf. Stattdessen nimmt man sich eine klitzekleine, doch höchst gewichtige Freiheit, die dem ganzen Film am Schluß eine völlig neue Richtung gibt und sowohl die Sache mit dem schlechten Gewissen als auch den Bau einer Kirche irgendwie in anderem Licht erscheinen läßt. Und dann setzen sie noch einen drauf.
Ich weiß nicht, wie ich das Ende finden soll, ich schwanke immer noch. An der Idee, am Schluß vielleicht doch noch ein Teenage Dating Movie draus zu machen, ist jedenfalls nichts verkehrt. Und außerdem gibt es für meine Begriffe sowieso zu wenig Horrorfilme, die gut ausgehen. Warum denn nicht, zur Abwechslung. Ich jedenfalls wäre auf einen zweiten Teil gespannt, der überhaupt kein Horrorfilm mehr ist. Sondern ein knallhartes Beziehungspsychodrama mit viel schwarzer Situationskomik, in dem Mari und Justin trotz der erlebten gemeinsamen Abenteuer versuchen, eine einigermaßen erfüllte Beziehung und Ehe irgendwo in der Vorstadt zu führen. Weil sie sich gegenseitig einfach so rattenscharf finden, müssen sie irgendwie lernen, miteinander klar zu kommen. Sowie damit, dass seine Familie ihrer den Garaus machen wollte und ihre Familie seiner den Garaus gemacht hat. Und dass Sie auf einem Waldboden fixiert den Phallus seines Vaters im Anus hatte. Aber da konnte Er ja nichts für. Und wenn wir keinen aufgekifft hätten, hätten wir uns überhaupt nicht kennen gelernt. Fragt sich, was besser wäre. Und was wir den Kindern erzählen. Jason Reitman, übernehmen sie. Oder noch besser, Rob Reiner.
Im großen und ganzen ist "Last House on the Left" (der neue) eher ein Rächerdrama als ein Horror oder gar Torture Porn Movie. Es ist nur sehr bequem, ihn in letzere Ecke zu rücken. Aber eine Serie einfallsreicher Killaktionen abzufackeln, ist kein Torture Porn, sondern klassische Slasher-Kür. Und wenn die kreativen Morde(!) nicht von einem Slasher begangen werden, sondern von einem erregten Bürger im Zuge der Abrechnung mit den Vergewaltigern seiner Tochter, würde ich von einem Rächerthriller sprechen in der schönen Tradition beispielsweise des "Exterminator". Nur eben einem, der sich für den Grund der Rache und die Charakterisierung der Beteiligten mehr Zeit nimmt. Also ein Rächerdrama. Garret Dillahunt aus den "Sarah Connor Chronicles" ist ein guter Krug, und ich LIEBE David Hess in dieser Rolle. Monica Potter ("I’m With Lucy") und Tony Goldwyn machen passable Figuren als Eltern, erstere sieht ihrer Filmtochter sogar ähnlich, was gewiß kein Nachteil ist. Von Regisseur Dennis Illiades kann ich nichts sagen, obwohl ich seinem einzigen bisherigen Film, "Hardcore", seinerzeit im brillanten Branchenorgan Videowoche bescheinigte,„eine sensibel portraitierte Mädchenliebesgeschichte mit einer toughen Crime Story in bester moderner Popkulturtradition zu einem überraschend stimmigen Gesamtbild“ zu verschmelzen. Produzent Jonathan Craven ist übrigens der Sohn von Wes Craven sowie der siebenjährige Junge, dem David Hess im Original am Anfang mit der Zigarre den Luftballon sprengt.
Bearbeitet von hoolio21, 19. Mai 2009, 02:56.