This is an adventure.
#1
Geschrieben 14. November 2008, 15:10
nun habe ich mich also entschlossen, meine manchmal wilden Assoziationen, manchmal strukturierteren Analysen zu gesehenen Filmen in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich hoffe, dass die Zeit reichen wird, jedem Film in genügender Ausführlichkeit Ehre zu erweisen. Falls es doch ab & an nur zwei Sätze werden, so tragen die Umstände die Verantwortung. Oder der betreffende Film.
Nun denn, viel Freude jedenfalls mit der Lektüre der folgenden Kurzreviews, die hoffentlich vom Blockbuster bis in die obskursten Nischen der Kinogeschichte irrlichtern werden. Oder, um es mit Captain Steve Zissou zu sagen: "This is an adventure."
Kingsley.
#2
Geschrieben 14. November 2008, 15:40
Während das Frühwerk von Mike Nichols mit Werken wie THE GRADUATE oder CATCH-22 fester Bestandteil in so ziemlich jedem Kanon amerikanischer Kinogeschichte ist, scheint der späte Nichols noch immer ein wenig unterbewertet zu sein. Das mag daran liegen, dass im Grunde seine gesamte cinéastische Karriere ein Tanz auf der Schnittmenge zwischen intellektuellem und kommerziellem Kino war und Nichols neben immer wieder bemerkenswerten Filmen auch eine Reihe ganz schlimmer Gurken hervorgebracht hat.
Nachdem er freilich 2004 mit der Patrick-Marber-Adaption CLOSER eine der nihilistischsten Zeitgeistanalysen der 2000er Jahre vorgelegt hatte, durfte das Nachfolgeprojekt CHARLIE WILSON'S WAR durchaus mit Interesse erwartet werden - auch wenn sich dies, als mutmaßliches Starvehikel für Tom Hanks und Julia Roberts, einen wesentlich konsumierbareren Anstrich zu geben schien als die schonungslose Studie über die Liebe, das Leben und den ganzen Rest, die sich hinter CLOSER verbarg. Tatsächlich ist CHARLIE WILSON'S WAR aber eine kompliziertere Sache: nämlich ein Versuch, in der Mimikry der leichten Retrokomödie durchaus in der Gegenwart verankerte politische Kritik zu üben. Und, zudem und nebenbei, eine sehr lustige Komödie zu inszenieren.
Letzteres gelingt schon einmal hervorragend: Die Chemie zwischen den Darstellern Tom Hanks und Philip Seymour Hoffman ist perfekt, die Dialoge pointiert und dicht. Und wie steht es um den Anspruch der Subversion?
Zunächst einmal beginnt CHARLIE WILSON'S WAR mit einem scheinbar eindeutigen und sattsam bekannten Bild: Provinzpolitiker Charlie (Hanks) empfängt eine Ehrung für seine Verdienste um das Ende des Kalten Krieges, one man can make a change, bla bla bla. Man kennt Augenblicke wie diesen und mag sie im Grunde nicht mehr sehen. Dieses Bild jedoch wird am Ende des Films noch einmal auftauchen, und wird deutlich ambivalenter erscheinen als zunächst. Denn Nichols ist zu schlau, um es einfach so stehen zu lassen: Er weiß genau, dass ein Film von 2007 über den Afghanistankrieg der 80er immer auch ein Film über die Gegenwart und die Kriege nach 9/11 ist. Im Grunde ist es klar, dass CHARLIE WILSON'S WAR überhaupt nichts über den Kalten Krieg sagen will, während sich die Dinge, über die er sprechen will, in den Details verstecken. Eigentliches Thema ist etwa die Auffächerung der Perspektive, die sich hinter der Erinnerung daran verbirgt, dass die afghanischen Mudjahidin hier plötzlich als Verbündete im Kampf gegen den Kommunismus in Erscheinung treten, und somit die Relativität aller ideologischen Antagonismen. Thema ist auch, am Ende gar klar ausgesprochen, das Selbstgemachte im Erstarken des Feindbildes USA für die Afghanen, die stets nur als Erfüllungsgehilfen im Krieg gegen die Sowjetunion in Erscheinung traten und nach der sowjetischen Niederlage wieder ihrem Schicksal überlassen wurden. "Who cares about a school in Pakistan?", dieser Satz aus CHARLIE WILSON'S WAR bleibt im Gedächtnis haften und wandelt die Erfolgsgeschichte des Protagonisten und der USA, die Nichols hier zu erzählen vorgibt, schlussendlich in eine bittere Niederlage um. Dass Nichols und Hanks das in einem wunderbaren Schlussbild so stehen lassen, lässt aus einem guten Film einen sehr guten werden.
#3
Geschrieben 16. November 2008, 16:11
Dem Regisseur Clint Eastwood kann man allem Anschein nach nur entweder mit Unter- oder Überschätzung gegenübertreten. Nachdem es zunächst Ewigkeiten dauerte, bis man dem alten Recken, der schon in den frühen 70ern mit seiner gerade mal 2. Regiearbeit HIGH PLAINS DRIFTER einen äußerst bemerkenswerten Film hervorbrachte, den verdienten Respekt entgegenbrachte, schlug dieser dann spätestens mit dem Oscarabräumer MILLION DOLLAR BABY in eine doch etwas überzogene Verehrung um. Überzogen daher, weil Eastwood unbestritten zu den besten verbliebenen Vertretern des klassischen Hollywood-Handwerks zählt, narrativ niemals ganz anspruchslos oder völlig gradlinig, aber eben auch niemals wirklich Avantgarde. Zu seinen Stärken gehört es von Beginn an und immer wieder, auch grob geschnitzte Sujets mit einer seltsamen Zärtlichkeit zu veredeln, die sogar in Actionsausen wie dem jüngst gesichteten THE GAUNTLET ihre Räume findet. Das mag der lässigen Entspanntheit geschuldet sein, mit der der Filmerzähler Eastwood zu Werke geht. Und diese Entspanntheit wächst mit dem zunehmenden Alter des Regisseurs, die Filme wirken geschlossener, ihre Brüche bewusster gesetzt.
HONKYTONK MAN ist in dieser Hinsicht vor allem ein Übergangswerk: Während er durchaus als ein sehr persönliches Projekt Eastwoods zu erkennen ist, geht ihm noch der unaufgeregte Rhythmus und die Unbekümmertheit um schlichte Affekte der besten Streifen seines Machers ab. Tatsächlich zerfällt HONKYTONK MAN im Wesentlichen in einzelne Episoden, von denen manche ziemlich nah an den handfesten Klamauk grenzen, den Eastwood in den 70ern auch durchaus immer wieder bediente. Trotzdem hat HONKYTONK MAN eine ganze Reihe wirklich schöner, stillerer Momente zu bieten - allen voran jene, in denen Eastwood mit fragiler Stimme und ungebrochener Würde seine trashigen Countryballaden zum Besten gibt.
Kurz gesagt: Ein schöner, durchweg sympathischer Film, aber sicher kein großer Wurf. Dennoch wächst die Vorfreude auf Mittwoch, das Biopic BIRD und somit die nächste Station in meiner nicht ganz konsequent verfolgten Eastwood-Retrospektive.
#4
Geschrieben 17. November 2008, 14:41
Motive der Verschmelzung und der Aufspaltung ziehen sich von jeher als rote Fäden durch das Werk von Kim Ki-Duk. Bereits sein vielleicht erster ganz großer Film, THE ISLE, endete in einem enigmatischen Bild der Weltwerdung seiner Protagonistin - eine Klammer, die Kim 5 Jahre später in THE BOW aufgriff und in einer Art Gegenentwurf spiegelte. Eine Art notwendige Rückbesinnung durchaus, nachdem der jenseitige BIN-JIP mit Bildern der Auflösung und des Verschwindens schloss.
Ein weiterer Leitfaden durch das in der Folge immer hermetischere Werk Kims ist der Schmerz. In den wütenden Frühwerken noch in graphischer Direktheit, später unter der kontemplativen Oberfläche schwärend. Auch in seinem neuesten Werk DREAM bleiben diese Konstanten erhalten. Der Plot des Films führt einmal mehr eine Reihe vom Schicksal aneinander geketteter Menschen zusammen: Zunächst einmal ist da eine Zweierkonstellation, die ihren Ausgangspunkt in einem Autounfall hat. Jin nämlich hat diesen Unfall geträumt, muss aber feststellen, dass sich dieser in der "Realität" des Filmes tatsächlich zugetragen hat. Fahrerin des Unfallautos war jedoch die schlafwandelnde Ran, die sich an nichts erinnern kann. Ein unsichtbares Band, das seine Ausgangspunkte jeweils in der Vergangenheit einer unglücklich zu Ende gegangenen Liebe hat, verknüpft beide im Schlaf. Was Jin träumt, das führt Ran aus. Verständlich, dass ihr die Träume vom wilden Sex mit der/m Verflossenen wenig behagen... und spätestens, als Jins obsessive Liebe in Mordphantasien mündet, wird es Zeit, einen Plan zu schmieden, um der schicksalhaften Verknüpfung zu entgehen.
Kims neues Werk wird seinem Titel durchaus gerecht und schwelgt in rätselhaften Bildern auf der Grenze von Tag und Nacht, Traum und Wachzustand. Es ist ein Film der Oberflächen, die durchlässig werden - immer wieder schieben sich transparente Stoffe zwischen das Kameraauge und die Protagonisten, werden Blicke durch reflektierende oder farbige Fensterscheiben in Szene gesetzt. Und ebenso transparent wie diese Stoffe sind auch Kims Charaktere - im Grunde spätestens seit BIN-JIP. So wird die Zweierbeziehung durch die Hinzunahme der Verflossenen beider Protagonisten zum Quartett erweitert, und in einer der eindrucksvollsten Sequenzen von DREAM spielt Kim eine Reihe unterschiedlicher Konstellationen dieser Figuren zueinander durch. (Will man unbedingt eine Vergleichsgröße für die ganz individuelle Handschrift der späteren Filme Kims finden, so böte sich vielleicht vor allem Alain Resnais an.) Und das Ende, gleichermaßen schmerzvoll wie romantisch, wird dann erneut zu einer Übung in Weltabgewandtheit.
#5
Geschrieben 17. November 2008, 14:58
Hier waren die Erwartungen hoch! Mit MEMORIES OF MATSUKO war Regisseur Nakashima vor 2 Jahren ein schier überwältigender Film gelungen, der unter seiner bonbonbunten Oberfläche tiefe Melancholie verbarg und im Grunde eine zutiefst deprimierende Geschichte eines gescheiterten Lebens erzählte. Die knallbunte Ästhetik, die er auch zuvor schon in KAMIKAZE GIRLS etablierte, hat Nakashima auch in seinen neuen Film PACO AND THE MAGICAL BOOK herübergerettet. Ist dieser aber genauso gut wie sein meisterhafter Vorgänger? Naja, nicht ganz. Ist er dennoch wunderbar? Auf jeden Fall.
Insgesamt schlägt PACO deutlich leichtere Töne an als MATSUKO, auch wenn sich auch hier tiefe Schatten und Abgründe in der psychedelischen Bastelwelt der unfassbaren Kulissen verbergen. Wo aber MATSUKO noch durchaus gnadenlos das tragische Schicksal seiner Heldin verfolgte, funktioniert PACO eher als ein Panorama, in dem jede der vermeintlichen Nebenfiguren im Laufe der Erzählung ihre eigene (meist traurige) Geschichte bekommt. Der Rahmen erinnert ein wenig an Tarsems THE FALL, der ebenfalls ein junges Mädchen und einen lebensmüden Erwachsenen zusammenführte, die sich durch die Kraft des Erzählens gegenseitig Kraft geben können. Wo aber Tarsem an diese durchaus kitschaffine Grundsituation komplexe erzähltheoretische Überlegungen anschließt, nutzt Nakashima sie eher zur Einbindung kleiner, fein gearbeiteter Vignetten und LSD-getränkter visueller Eskapaden. Letztlich bleiben aber all diese Stilmittel auch immer ein Stück weit Rechtfertigungen, um wieder so richtig hemmungslos in larger than life Melodramatik schwelgen zu dürfen. Das funktioniert alles ganz fabelhaft, und PACO AND THE MAGICAL BOOK ist ein wunderbares, warmes und vor Phantasie aus allen Nähten platzendes Kinomärchen.
#6
Geschrieben 17. November 2008, 20:26
Diese Film platzte in meine unsystematische Sichtung des Gesamtwerkes von Mr. Steven Seagal hinein wie ein Telegramm aus einer Zeit, als der wuchtige Aikido-Meister zumindest noch versucht hat, richtige Filme zu machen. Die jüngeren, wie am Fließband heruntergekurbelten DTV-Produkte Seagals (mit Ausnahme des - wirklich! - fabelhaften RENEGADE JUSTICE) versuchten ja oft gar nicht mehr, so etwas Ähnliches wie eine zusammenhängende Story zu erzählen oder machten sich zum Teil sogar nichtmal mehr die Mühe, in regelmäßigen Abständen Actionsequenzen zu integrieren - eine Art Dekonstruktion des Bewegungskinos anhand der Figur (!) des träge und fett gewordenen Recken von der traurigen Statur. Ganz anders sah es da in den frühen 90ern aus, wo Seagal sein persönliches Highlight OUT FOR JUSTICE und eine Reihe durchaus akzeptabler Klopper vorlegte. THE GLIMMER MAN freilich ist einer Phase des Übergangs zuzurechnen - seit seinem Regiedebüt mit ON DEADLY GROUND wurden Seagals Filme immer ambitionierter und im reziproken Verhältnis zur künstlerisch-philosophischen Selbstverliebtheit ihres Helden auch immer dämlicher. THE GLIMMER MAN steht nun in vielerlei Hinsicht auf der Kippe: Zwar ist er offensichtlich noch nicht, wie die meisten seiner Nachfolger, für Achtmarkfuffzich produziert und versucht außerdem mit dem Buddy Movie und dem Serial-Killer-Film an modische Genres der Mittneunziger anzuknüpfen. Das funktioniert aber eher gar nicht, weil das darstellerische Talent des hier schon sichtbar füllig werdenden Seagal für beides nicht ausreicht. Seagal kann nur einen Seagal-Film drehen, und der geht nunmal auf dem kürzesten Weg von A nach B und hält sich nicht beim Kalauern mit Dumpfnasen wie Keenen Ivory Wayans auf. So entsteht hier denn eher ein Kontrast, der Seagal irgendwie - wie auch in dem späteren, meist als eine Art Kurzzeit-Comebackversuch und Höhepunkt missverstandenen EXIT WOUNDS - würdelos wirken lässt.
Naja, immerhin darf er Brian Cox foltern, ein Restaurant zerlegen und ein paar böse Jungs durch Fensterscheiben werfen.
#7
Geschrieben 20. November 2008, 11:59
Hmm, irgendwie hat mich dieser Film vor allem müde gemacht. Dabei kann man Eastwood nicht einmal Ambitionslosigkeit vorwerfen - gerade im Vergleich zu den jüngeren, gerade in den letzten Jahren ja so boomenden Musiker-Biopics um Ray Charles oder Johnny Cash ist BIRD eigentlich recht unmainstreamig und außergewöhnlich düster ausgefallen. Die Biographie Charlie Parkers wird fragmentarisch und achronologisch erzählt und eher in einzelne Vignetten aufgelöst denn in das Gerüst einer folgerichtigen Narration eingezwängt - was ja sicherlich die richtigere Herangehensweise ist. Das größte Problem von BIRD liegt also nicht unbedingt in seiner Struktur (wenngleich dieser eine Beschränkung auf knappe 2 Stunden im Gegensatz zur hier erfolgten Auswalzung auf beinahe 3 sicherlich gut getan hätte). Das letztendliche weitgehende Scheitern von Eastwoods Herzensprojekt liegt vielleicht mehr noch darin bedingt, dass wir es hier mehr mit einer Drogen- denn mit einer Künstlerbiographie zu tun haben. Das ist sogar durchaus eindrucksvoll umgesetzt von Hauptdarsteller Forest Whitaker, aber ich hätte dem Film doch lieber eine These des Jazzliebhabers und Musikers Eastwood zu Parkers Kunst entnommen denn 160 Minuten lang eine biographische Episodenrevue anzuschauen. Subjektiv und ein bisschen unfair dem Projekt des Films gegenüber? Das mag sein, aber Künstlerbiographien, in denen es nicht um Kunst geht, interessieren mich nunmal meist eher wenig bis gar nicht.
#8
Geschrieben 21. November 2008, 15:11
Wenn man, so wie meine Wenigkeit, in den frühen 90ern mit dem bewussten Filmeschauen begann, dann kennt man es letztlich nicht anders: Woody Allen dreht jedes Jahr einen Film, und im Grunde jedesmal den gleichen. Wie ein kleiner Schock kommt daher aus der Perspektive des Nachgeborenen immer wieder die Begegnung mit Allens frühesten Werken (Prä-ANNIE HALL) daher. BANANAS ist, nach WHAT'S UP, TIGER LILY? und TAKE THE MONEY AND RUN Allens erst dritte Spielfilmregie und kommt um einiges wilder und anarchischer daher als der Stil, zu dem Allen kurz darauf finden sollte und den er bis heute nur minimal variiert. BANANAS ist stärker im Slapstick verwurzelt und geht in seinem Humorkonzept, so gab Allen selbst wohl zu Protokoll, eher auf die anarchischen Komödien der Marx Brothers zurück. Eine hohe Hürde, die Allen nicht ganz überspringt - aber dennoch ist BANANAS eine oft hochkomische Nummernrevue. Allen gelangte später auf den Gipfel seiner Kunst, als er seiner Komik eine große Prise Bodenhaftung und Melancholie verabreichte - aber dass BANANAS das Frühwerk eines begnadeten Komikers ist, das ist unübersehbar.
#9
Geschrieben 29. November 2008, 13:02
Dieser Film böte sich wohl für eine Zweitsichtung an, da die erste doch unter extrem erschwerten Bedingungen stattfand: inmitten des Umzugsstresses, beim ersten Versuch auf halber Strecke eingeschlafen, beim zweiten beinahe erneut kurz vor Schluss. Also habe ich zwar inzwischen den ganzen Film gesehen, aber nicht eben auf kohärente Art & Weise. Der erste Eindruck war jedoch der eines recht clever konstruierten cinéastischen Planspiels, das in zwei Hälften zerfällt - jeweils dominiert von einem großen Schauspieler. Pechschwarz bis zur letzten (mörderischen) Konsequenz und gespickt mit einer Reihe von Kabinettstückchen - aber etwas lang, vielleicht? Naja, ich bleibe der Fairness halber erstmal bei diesen Mutmaßungen...
#10
Geschrieben 29. November 2008, 13:19
Ein kleiner, aber ziemlich interessanter Selbstjustizstreifen aus den mittleren 70ern, der eine recht interessante Spiegelung vornimmt: Nach dem mit hemdsärmeligen Prügelsequenzen und lustiger Countrymucke unterlegten Vorspann beginnt alles in gut reaktionärem Stil mit der kleinen Stadt, irgendwo im Country&WesternTerritorium, wo früher alles besser war. Nun jedenfalls sind zu viele Fremde vor Ort, sodass die Eingeborenen sich kaum noch auf die Straße trauen, wo das Verbrechen regiert. Um dem Abhilfe zu schaffen, schafft man sich eine semipolizeiliche Spezialeinheit aus einst aus der Stadt vertriebenen Vietnamveteranen (angeführt von Kris Kristofferson) an, die mit handfesten Methoden mal so richtig aufräumen soll. Dumm nur, dass Kristofferson und seine Jungs sich so gar nicht in ihren Kompetenzen zu beschränken vermögen und sich bald, im Zeichen des eigenen Macht- und Monetenausbaus, zum wild um sich schießenden Mob entwickeln. In den Plot verwoben ist nun noch der Bruderkonflikt zum braven Jan-Michael Vincent, der sich zuerst als treibende Kraft der Resozialisierung des verfemten Bruders gab, um dann später als einzig Einäugiger unter den blinden Stadtvätern die amoklaufenden Gesetzeshüter mit einer eigenen paramilitärischen Vigilanteneinheit zu bekämpfen - die sturen Rednecks werden in der Konfrontation mit den hippieesk gezeichneten Veteranen wieder zum positiven Leitbild! Insgesamt zeichnet VIGILANTE FORCE mit äußerst groben Strichen eine durchaus interessante Skizze des Vietnamkonflikts und seiner Konsequenzen: Jene Gewalt, die zunächst outgesourced wurde, trägt sich selbst wieder in die amerikanische Gesellschaft hinein, wo sie zunächst mit Ablehnung konfrontiert wird. Auf den Versuch der Reintegration, der freilich mit einer Kanalisierung und Instrumentalisierung Hand in Hand geht, folgt die Erkenntnis, dass die einmal entfesselte Gewalt eben nicht so einfach steuerbar ist, sondern lediglich ihren eigenen, irrationalen oder egozentrischen Regeln folgt. Das macht aus dem nicht eben wenig angestaubten Streifen einen wenn nicht guten, so doch aktuellen Film.
#11
Geschrieben 30. November 2008, 20:00
Zuerst fängt alles ganz langsam, wenngleich nicht unbedingt harmlos, an: Ein Liebesdreieck entspinnt sich zwischen dem Navy-Saubermann Tom (konsequent in schneeweißer Uniform: Kevin Costner), der umtriebigen Susan (Sean Young) und dem von vornherein suspekten Secretary of Defence, David Brice (Gene Hackman). Das geht eine Weile hin, dann wieder ein bisschen her, nebenbei wird Tom erst zum Nationalhelden und dann zum Mitarbeiter in Brices engstem Kreis, und schließlich ist Susan tot. Verschieden per Unfall durch die Hand des eifersüchtigen Brice, was nun natürlich tunlichst vertuscht werden muss. Brice selbst nimmt hierbei eine eher passive Rolle ein, als wahrer Bösewicht entpuppt sich vielmehr der schmierige Scott, rechte Hand und Verbindungsglied zwischen beiden Rivalen. Die Schuld am Tod Susans soll nun auf den unbekannten Dritten geschoben werden, und die Suche nach diesem - ergo: nach sich selbst - wird nun ausgerechnet in Toms Hände gelegt... bester Stoff für einen hübsch paranoid-schizophrenen Verschwörungsthriller, sollte man meinen, und zumindest im letzten Drittel geht die Rechnung auch auf und NO WAY OUT zieht die Spannungsschraube mächtig an. Die Schlusspointe dann erweitert das Ausmaß der Verschwörungen und Contraverschwörungen noch einmal beträchtlich und lässt durchaus verblüfft zurück. Das ist zwar letzten Endes alles hochgradig konstruiert und auch ein bisschen aufgesetzt, aber es verwickelt doch in das immer kompliziertere Netzwerk und beeindruckt schließlich.
NO WAY OUT könnte also ein richtig guter Thriller sein, wenn er nur etwas früher Fahrt aufnehmen würde. Grundsätzlich ist es ja etwas Gutes, wenn ein so plotlastiger Film wie dieser sich Zeit für eine ausführliche Exposition nimmt - aber leider sind hier im Grunde alle Charaktere flach und völlig uninteressant. Roger Donaldson, der im Grunde in diesem Jahr mit THE BANK JOB seinen ersten wirklich brauchbaren Film vorgelegt hat, lässt die erste Stunde ebenso hölzern und langweilig wirken wie das Spiel seines Hauptdarstellers Kevin Costner.
#12
Geschrieben 30. November 2008, 20:23
Noch ein Woody-Allen-Film, in Vorbereitung des nächstwöchigen Kinobesuchs von VICKY CRISTINA BARCELONA. Während der jüngst gesichtete BANANAS wohl zu Allens exaltiertesten und episodischsten Arbeiten gehört, schlägt SEPTEMBER völlig andere Töne an und gibt sich zutiefst ernst und konzentriert. Die Einflüsse sind dabei kaum zu verkennen: Schon die ersten Bilder scheinen dem Zuschauer "Bergman! Bergman!" geradezu entgegenzuschreien. Tatsächlich ist SEPTEMBER so eine Art Variation auf Ingmar Bergmans HÖSTSONATEN, mit einem Hauch von Ibsen und nicht zu wenig Tschechow. Zu lachen gibt es hier, auch im Kontext von Allens ernsteren Filmen eher selten, rein gar nichts, die depressive Grundstimmung Bergmans bleibt konsequent nachempfunden. Nach einem etwas arg gezwungenen Eindruck in den ersten Minuten, der darauf zurückzuführen sein mag, dass das in seiner Zeit schon durchaus hin und wieder altmodische Kino Bergmans im Kontext der Spät-80er noch etwas mehr aus der Zeit gefallen erscheint. Tatsächlich ist SEPTEMBER aber nicht etwa eine bloße Stilübung in Epigonentum, sondern ein wundervoller Film. Nach einer kurzen Phase der Befremdung erschienen die schweren Substanzen, die Allen hier verhandelt, seltsam schwebend, wurde SEPTEMBER zum sensiblen, sanften, traurigen und bei alldem berückend entspannten Film. Ein kleines Juwel in Allens Filmographie, das mich nun doch motiviert, baldigstmöglich INTERIORS und ANOTHER WOMAN nachzuholen. Aber vielleicht vorher, zur Vorbereitung auf den neuesten Allen, noch die zuletzt aus akuter Unlust infolge des sträflich überschätzten Selbstplagiats MATCH POINT ausgelassenen SCOOP und CASSANDRA'S DREAM? So viele Filme, so wenig Zeit...
#13
Geschrieben 01. Dezember 2008, 13:31
Hin und wieder gibt es Filme, die in Vergessenheit geraten, gerade weil sie ihrer Zeit um nur ein weniges voraus zu sein scheinen. Wäre aus Kathryn Bigelows STRANGE DAYS ein stilprägender Blockbuster geworden, hätte sie ihn nur einige Jahre später vorgelegt?
Zunächst scheint es sich bei NIRVANA vom italienischen Regisseur Gabriele Salvatores, der zuletzt etwa den schönen IO NON HO PAURA inszenierte, um ein solches Beispiel zu handeln. Der nahezu vollständig ignorierte paneuropäische Science-Fiction-Streifen von 1997 nimmt nämlich in seiner Ausgangsposition frappant viele jener Ideen vorweg, die mit David Cronenbergs EXISTENZ, Mamoru Oshiis AVALON und Josef Rusnaks THE THIRTEENTH FLOOR nur kurze Zeit darauf zu drei völlig unterschiedlichen Meisterwerken ausformuliert wurden. Leider ist aber der Fluch der zu frühen Geburt nicht der einzige Grund für den Schleier des Vergessens, der sich zwischen Publikum und Werk schob. Zudem ist NIRVANA nämlich leider auch ein horribel missratener Film. Dabei hätte man sich gern tiefgreifender mit der Situation des armen Solo auseinandergesetzt, der seine eigene Existenz als Spielfigur in einer Simulation zur Kenntnis nehmen muss - aber nein, davor scheint NIRVANA, wie so ziemlich alle Filme zu vergleichbaren Themen, zurückzuschrecken. (Lediglich Alejandro Amenábar schenkte einem solchen Charakter in ABRE LOS OJOS einmal einen großen, tragischen Moment.) Gern wäre man auch den Erschütterungen im Welt- und Selbstbild des Spieleentwicklers Jimi (Christopher Lambert) nachgespürt, der sich plötzlich zum Dialog mit seiner Schöpfung gezwungen sieht. Oder hätte sich in den zahllosen Spielarten der Realitäten und Metarealitäten verstrickt, die dieses Konstrukt im Grunde zwingend hervorruft. Aber NIRVANA geht leider in eine andere Richtung - oder vielleicht eher: in drei oder vier andere Richtungen. Nach dem Auftakt, der zunächst eine melancholische, erkenntnistheoretische Ballade heraufbeschwört, beginnt die Filmerzählung nämlich hilf- und orientierungslos zu mäandern und schleppt sich nach knappen zwei schier endlosen Stunden müde ins Ziel, ohne viel zurückzulassen über den Eindruck hinaus, soeben einen der verquastesten Cyberpunk-Filme überhaupt miterlebt zu haben. Schade.
#14
Geschrieben 05. Dezember 2008, 14:53
A MIDSUMMER NIGHT'S SEX COMEDY (USA 1982, Woody Allen)
ZELIG (USA 1983, Woody Allen)
ANOTHER WOMAN (USA 1988, Woody Allen)
SCOOP (USA/UK 2006, Woody Allen)
Man könnte sagen, ich habe eine ganze Menge Woody Allen geschaut in den letzten 2 Wochen... mit durchaus unterschiedlichen Resultaten. Eine aus der fortlaufenden Retrospektive erwachsende Erkenntnis besteht in jedem Fall darin, dass ich den "ernsteren" Allen interessanter und ein wenig unterbewertet finde, während ich sein exaltierteres Frühwerk, das sich in immer wieder auftauchenden, späteren Fingerübungen fortsetzt, für bestenfalls unterhaltsam und schlechtestenfalls vernachlässigbar halte. Aber, der (chronologischen) Reihe nach, ein kurzer Trip durch 5 jüngst gesichtete Allens.
LOVE AND DEATH wird von Allenianern stets hoch gehandelt, und das zumindest nicht ganz zu Unrecht. Das quirlige Frühwerk Allens erreicht damit einen Höhe- und vorläufigen Endpunkt, an den sich mit ANNIE HALL (1977), MANHATTAN (1979) und STARDUST MEMORIES (1980) die großen, melancholischen Meisterwerke des Filmemachers anschließen. Eine Phase in seinem Schaffen, die mir und meinem subjektiven Blick weitaus reicher erscheint als die zuvor vorgelegten reinen Komödien - an die er im Anschluss an STARDUST MEMORIES mit A MIDSUMMER NIGHT'S SEX COMEDY noch einmal lose anknüpft. Aber nicht, ohne dass die reiferen Arbeiten der Zwischenzeit ihre Spuren hinterlassen hätten: Allens SEX COMEDY ist zwar durchaus als Fingerübung zu bewerten, entbehrt aber nicht ganz einer gewissen bitteren Schärfe. Unter den Nebenwerken eines der gelungeneren. Im Anschluss daran experimentiert Allen mit der Form der Mockumentary und legt mit ZELIG einen seiner originellsten Filme vor. Tragisch, komisch und von ungeheurer Schärfe im Humor - ZELIG zählt sicherlich zu den ambitioniertesten Werken Allens. Das gilt auch durchaus für ANOTHER WOMAN, einen der sehr seltenen Versuche Allens im rein dramatischen Fach. Hatte mir jüngst schon SEPTEMBER sehr gut gefallen, so fand ich auch ANOTHER WOMAN sehr bereichernd. Zwar entbehrt er ein wenig der seltsamen Sanftheit des unmittelbaren Vorgängers, doch hätte das zu der Erbarmungslosigkeit dieses Psychogrammes wohl auch nicht so recht gepasst. Ein sehr bitterer, konzentrierter, von der großen Gena Rowlands wunderbar getragener Film! Ich hätte wirklich gern mehr dramatische Werke von Allen gesehen. - Den größtmöglichen Kontrast dazu bildet jedenfalls SCOOP, einer der jüngsten Filme Allens. Als eine Art ambitionsbefreite Variation auf den für sich schon überschätzten, weil sich freimütig beim eigenen, wesentlich dunkleren CRIMES AND MISDEMEANORS bedienenden MATCH POINT erinnert SCOOP vor allem an Allens bis heute wohl schlechtesten Film, den schwer erträglichen THE CURSE OF THE JADE SCORPION. Das Leichtfüßige wirkt bei Allen mittlerweile oft schrecklich staubig und bleischwer, und nach ein paar hübschen Stückchen in den ersten 20 Minuten schleppt sich SCOOP nur noch träge dahin bis zur fast schon egalen conclusio. Allen wäre ein besserer Regisseur, wenn er Filme wie diesen einfach mal nicht drehen würde.
So, soviel zum komprimierten Zwischenstand. ALICE und SHADOWS AND FOG liegen noch bereit, CASSANDRA'S DREAM steht ganz oben auf der Liste, und Sonntag gibt es VICKY CRISTINA BARCELONA im Kino. Stay tuned!
Bearbeitet von Kingsley Zissou, 05. Dezember 2008, 14:55.
#15
Geschrieben 05. Dezember 2008, 15:17
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die SAW-Reihe ist der letzte große Splatter-Franchise im Geiste der 80er und ihrer Slasher-Heroen. Und, auch dies ist kaum zu leugnen: Sie ist in ihrer ständigen Erweiterung des gleichen, im ersten Film etablierten Netzwerks weitaus cleverer konstruiert als die FRIDAYs und HALLOWEENs mit ihren nur lose aneinander anknüpfenden, Chronologien immer wieder über den Haufen werdenden Endlos-Redundanzen. Was diese Reihen ihr jedoch voraus haben: Zumindest am Anfang stand jeweils ein einzelner, mehr oder minder gelungener Film. James Wans SAW dagegen zählt sicherlich zu den überschätztesten Werken der 2000er Jahre.
Soviel also vorweg zu meiner Einschätzung der filmischen Qualität der Reihe: Sämtliche SAW-Filme sind m.E. erbärmlich schlecht inszeniert und dargestellt und haben mit richtig gutem Genrekino eigentlich keine Berührungspunkte. Dennoch gehört die SAW-Reihe, zumindest in den 3 Beiträgen von Darren Lynn Bousman, zu meinen liebsten, jüngst alljährlich gepflegten guilty pleasures. Wo sich nämlich Wans Film noch ganz furchtbar originell vorkam und letztendlich doch nur bis zur Lächerlichkeit aufgeblasene Klischees neuauflegte, verschob Bousman in SAW II, SAW III und (mit Einschränkungen) SAW IV den Fokus gleich auf die reine, mit kindlichem Vergnügen in Sadismen schwelgende Over-The-Top-Achterbahnfahrer-Mentalität. Das hat was von einer Wette mit sich selbst: Nun kann es doch nicht noch sadistischer werden? Und prompt zoomt die Kamera noch einmal näher heran ans verzerrte Gesicht, prompt dreht die Kamera noch eine Pirouette um die offene Wunde. In diesen Augenblicken sind diese Filme einfach nur ganz unmaskiert die schwindelerregende Nummernrevue, die sie eben sind und verstecken sich nicht mehr hinter der Maske von Narrativität, die - so die Kritiker der Reihe - doch im Kino stets und primär voranzubringen sei. Das zeigt sich besonders hübsch in den chronologischen Parallelisierungen und Nebenarmen, die Bousman in SAW IV eröffnet und die sich in SAW V fortsetzen. Wo jedoch SAW II - IV in ihrer Fetischisierung der grausigen set pieces durchaus effektiv an eine Jahrmarktstradition des frühesten Kinos anzuknüpfen vermögen, da gerät dies nach dem Regisseurswechsel zu David Hackl leider aus der Balance. Dieser scheint das Rezept der Serie nicht so ganz durchschaut zu haben und verwendet, durchaus vergleichbar zu Wan im ersten Film, zu viel Zeit auf das Erzählen von Unwichtigem, springt in Rückblenden im Vergleich zum Prädezessor Bousman eher planlos umher und vernachlässigt daher - bis auf wenige Kabinettstückchen, die blutigen Mechanismen der creative killing-Momente. Daher taugt SAW V leider nichtmal mehr als guilty pleasure für die Einen und Hassobjekt für die Anderen, sondern lässt seltsam kalt.
#16
Geschrieben 06. Dezember 2008, 19:24
SHADOWS AND FOG (USA 1992, Woody Allen)
Und noch zwei Woody-Allen-Filme, diesmal zwei der eher wenig beachteten Werke aus der m.E. unterbewerteten Phase in den Spätachtzigern/Frühneunzigern. ALICE ist dabei wieder eine Art Rückkehr zur leichteren Seite von Allens Schaffen, nach einer Reihe von schwereren Stoffen. (Neben den reinen Dramen SEPTEMBER und ANOTHER WOMAN folgte ALICE unmittelbar auf die grimmige, nachtschwarze Schuld-und-Sühne-Moritat CRIMES AND MISDEMEANORS.) Und siehe da: In den 90ern gelang Allen noch jene Form von federleichter Schwerelosigkeit, die ihm im Folgejahrzehnt gleich serienweise missriet. Nach einem etwas umständlichen Auftakt wird ALICE zu einem ganz großen, luftigen Vergnügen, voller hübscher Ideen und charmant spinnerter Abschweifungen. Hübsch, optimistisch, rund, sympathisch. Gewichtiger geriet da schon das Folgewerk, der in expressionistischen Schwarzweißbildern inszenierte Kafka-Alptraum SHADOWS AND FOG. Naja, Alptraum nur so halb, da es ja immer noch ein Allen-Film ist - Kafka aber schon, und da vor allem deshalb verblüffend, weil er aufdeckt, wie schlüssig eine Linienziehung von Kafkas zu Allens Protagonisten ausfällt. Auch Allens K.(leinman) findet sich, nachts aus dem Schlaf gerissen und in eine seltsame Mörderhatz verwickelt, inmitten sich ständig multiplizierender Fronten wieder und weiß nie so ganz richtig, worum es eigentlich geht. Insbesondere auch als Gegenstück zum ziemlich zeitgleich entstandenen KAFKA von Steven Soderbergh ist SHADOWS AND FOG von einigem Interesse, demonstriert er doch eindrücklich den Unterschied zwischen den zwei Filmemachern: Während Soderbergh mit viel Pomp einen KAFKA-Film inszeniert, in dem er eigentlich nur demonstriert, dass er Kafka nicht verstanden hat, legt Allen ohne viel Aufhebens und ohne den großen Namen auch nur einmal zu erwähnen, einen kleinen, individuellen, wunderbaren Film vor, der dem großen Autor im Geiste viel näher kommt als der pseudointellektuelle Taschenspieler Soderbergh es je sein wird.
#17
Geschrieben 12. Dezember 2008, 11:13
Greg McLeans Horrorfilme funktionieren vor allem durch den Kontrast zwischen dem Schrecken des Dargestellten und ihrer seltsam schimmernden Schönheit. Das funktionierte im Fall des gelungenen Terrorfilms WOLF CREEK noch ganz fabelhaft, hier nun leider weniger. Was vor allem daran liegen mag, dass ROGUE im Vergleich zu Nerlich/Trauckis nahezu zeitgleich vorgelegtem BLACK WATER in jeder Hinsicht den kürzeren zieht. Der Dreh mit echten Krokodilen punktet gegen das plumpe CGI-Getier aus ROGUE, das einigermaßen konsequent naturalistische Konzept gegen die hier inspirationslos abgespulten Horrorfilmklischees. ROGUE fängt mit ein paar schönen Bildern an und scheint zwischendurch gar mal kurz unberechenbare Pfade einzuschlagen, nur um dann doch kalte Füße zu bekommen und alles am Ende ebenso lahm wie befürchtet werden zu lassen. Eine große Enttäuschung.
#18
Geschrieben 26. Dezember 2008, 11:23
INDIANA JONES AND THE KINGDOM OF THE CRYSTAL SKULL (USA 2008, Steven Spielberg)
Den ersten Film habe ich zum ersten Mal seit meiner (Prä-)Pubertät wieder gesehen, den jüngsten nun nach ausgelassenem Kinoeinsatz per DVD nachgeholt. Der direkte Vergleich hat nun freilich ergeben, dass der Großteil der Reviews Humbug war: Der CRYSTAL SKULL ist keineswegs der Tiefpunkt, der die gesamte Reihe zu einem unwürdigen Abschluss führt. Tatsächlich ist der 4. Film nicht mehr oder weniger Unfug als der erste. Ob man das für unterhaltsamen Unfug hält oder einfach nur für Unfug, das sei dahingestellt - (ich neige eher dazu, Spielberg & Lucas für die vorsätzlichen Mörder des amerikanischen Kinos zu halten) - , aber so recht will mir nicht einleuchten, warum nun der Kühlschrank und die Atombombe gegenüber dem Feuerwerk der ersten Filme einen Sündenfall darstellen soll? Und die Einführung der Aliens empfinde ich sogar als einen Tick durchdachter als man erwarten durfte, hat sich doch mit der Abkehr von den 30ern, den Nazis und der verbrämten religiösen Mystik auch das Referenzsystem verschoben: die 50er und die Kommunisten, das sind eben auch in einem Popkultur-Universum wie jenem der INDIANA JONES-Filme immer die UFO-Invasionsfilme.
[Nachtrag: Na gut, der massive und mäßige CGI-Einsatz wäre ein Grund - aber vielleicht doch eher ein Sekundärkriterium? Ich bin mir da selbst immer nicht so ganz sicher, wie weit mich das für oder gegen einen Film einnimmt. Hier hat's mich weniger gestört, aber ich war auch leidenschaftslos.]
Bearbeitet von Kingsley Zissou, 26. Dezember 2008, 11:25.
#19
Geschrieben 27. Dezember 2008, 12:51
Die "Verwandlung eines friedlichen Bürgers in einen gnadenlosen Killer" verspricht das Backcover, und eben dafür interessiert sich der Film überhaupt nicht. Nach dem eröffnenden Massaker an der Familie des Farmers Josey überspringt die Narration nämlich in einer Montage prompt ein paar Jahre und setzt am Ende des Bürgerkrieges wieder ein, wo Josey - als einziges Mitglied seiner Südstaaten-Guerillakampfeinheit - nicht kapituliert und somit nicht in jene Falle tappt, die all seinen Kameraden den Tod bringt. Der Film folgt dann Joseys Weg, erst relativ ziellos fliehend, dann in immer neue Episoden verwickelt, dann gen Erlösung per Liebe und Frieden. Kurz gesagt: THE OUTLAW JOSEY WALES ist ganz sicher kein straighter Rachewestern, auch kein Bürgerkriegsfilm, sondern reiht sich eher in die sentimentalere Tradition im Regieoeuvre Eastwoods ein. Das beinahe balladeske Erzählen erreicht nicht die kalte, konzentrierte Wucht des frühen HIGH PLAINS DRIFTER oder des späten UNFORGIVEN, sondern zeigt sich eher von New Hollywood beeinflusst - nicht ganz so augenzwinkernd wie BUTCH CASSIDY AND THE SUNDANCE KID und nicht ganz so lyrisch wie THE HIRED HAND, aber in durchaus vergleichbarem Gestus.
#20
Geschrieben 27. Dezember 2008, 13:01
Weniger ein tougher Polizeithriller als vielmehr ein düsteres Drama um Familienbande, Loyalität und Verrat. Bobby Green steht zwischen zwei Fronten: Seine Copfamilie, die für ihn nicht vel Achtung übrig hat, und sein eigenes Leben als Geschäftsführer eines Russenmafia-affizierten Nachtclubs führt ihn in einen Konflikt, der ihn zu zerreißen droht. Als er sich nach einem Mordanschlag auf seinen Bruder entschließt, als Informant zu arbeiten, beginnt alles zu eskalieren. James Gray, der sich bereits mit LITTLE ODESSA und (mt Abstrichen) THE YARDS als Regisseur finsterer Gangsterdramen im klassischen Duktus empfohlen hat, nimmt sich viel Zeit, seine Geschichte zu erzählen und spitzt diese lediglich zu zwei stark beschleunigten und kraftvollen Aktionssequenzen zu. Das tut dem Film gut, überdeckt aber nur teilweise dessen Schwächen in Sachen Plausibilität - sowohl, was die eher flache Charakterzeichnung angeht, als auch in immer wieder etwas schlampig anmutenden Detailfragen. Schade, mit einem etwas sorgfältigeren Skript hätte es wirklich groß werden können.
#21
Geschrieben 27. Dezember 2008, 13:12
Ein wahrhaft hyperblutiger Algerienkriegs-Actioner aus Frankreich, der jedenfalls gehörig vor den Kopf stößt. Dabei setzt die extrem beschleunigte Erzählung, die kaum Ruhepausen gönnt, zunächst eher episodisch ein und steigert sich, immer mehr auf die Perspektive des jungen Lieutenants Terrien fokussiert, schließlich in einen rauschhaften Trip in den Wahnsinn des Krieges hinein. Die Inszenierung Siris ist mitreißend, kinetisch und affektiv, und L'ENNEMI INTIME ist in jedem Fall ein außergewöhnlicher Actionfilm. Als (Anti-)Kriegsfilm mag er durchaus Gefahr laufen, in all den Strömen von Blut abzusaufen - für mich freilich hat's hervorragend funktioniert.
#22
Geschrieben 28. Dezember 2008, 12:08
Mit Christopher Nolan und mir ist das so eine Sache: Nie steckt so richtig das drin, was der erste Blick zu offenbaren scheint. Mit Taschenspielertricks und überbewerteten Blendern à la MEMENTO und THE PRESTIGE bewirbt sich Nolan immer wieder um den Steven-Soderbergh-Award für pseudointellektuelle Mainstream-Luftnummern. Und dann kommt er mal so eben daher und haut mit BATMAN BEGINS einen kompletten, sündteuren Blockbuster mit Überlänge heraus, der im Grunde nichts als den Prolog für den "richtigen" Batman-Film darstellt. Und der ist dann tatsächlich so kraftvoll und so nah am Puls der Zeit, dass man nicht anders als beeindruckt sein kann. Dabei ist Nolan selbstverständlich nicht origineller Interpret oder gar Neuschöpfer des Mythos: Alles, was THE DARK KNIGHT an Neuerungen in das Kinouniversum Batmans einführt, ist aus den Comics von Frank Miller oder - im Fall von THE DARK KNIGHT gar noch offener - Jeph Loeb übernommen. Aber im Kino hat es halt so, auch in den mehr als gelungenen Filmen Tim Burtons, noch nicht existiert. Und tatsächlich, die ästhetische Umsetzung durch Nolan ist nachdrücklich und einigermaßen radikal geraten: Die Kameraarbeit ist fabelhaft, und insbesondere der Einsatz von Sound, kulminierend im immer wieder atonalen, verstörenden und so gar nicht Hollywoodkompatibel anmutenden Score, schraubt THE DARK KNIGHT noch lang ins Gedächtnis. Gut, ein paar der Technikgimmicks und vor allem das dann doch von pathetischen Ansprachen ein wenig verwässerte Ende schlagen dann doch wieder die Brücke zum Multiplex-Publikum - aber wir wollen ja auch nicht vergessen, dass wir uns hier noch immer im Referenzrahmen Blockbuster bewegen, und dessen Publikum wird vergleichsweise selten derart herausgefordert wie hier. (Selbst der im Grunde noch klügere WANTED von Timur Bekhmambetov ließ sich noch den Notausgang offen, vom Standardnerd auch noch als hirnlose Actiongülle konsumiert werden zu können - das dürfte beim DARK KNIGHT nicht so einfach werden.) Kurz gesagt: THE DARK KNIGHT verfügt über jede Menge Substanz, die zwar nicht wirklich auf eigener geistiger Leistung beruht, aber immerhin an den richtigen Stellen geklaut und halbwegs kompromisslos in ein neues Medium übertragen wurde. Das lässt ihn aus den Blockbustern in einem an interessanten Blockbustern gar nicht einmal so armen Jahrgang durchaus herausragen.
#23
Geschrieben 03. Januar 2009, 14:21
Die verdienstvolle Reihe "Hommage an Madame Kawakita: 24 japanische Klassiker" im Berliner Arsenal-Kino bot mir, zum cineastischen Auftakt des Jahres 2009, die Gelegenheit, mit meinem ersten Ichikawa-Film einen weiteren Altmeister des japanischen Kinos kennenzulernen. Ein zumindest zunächst recht quirliger Einstieg in ein hoffentlich fabelhaftes Kinojahr, legt doch die erste Hälfte von A FULL-UP TRAIN ein relativ hohes Tempo vor und hat gleich eine ganze Reihe hintersinniger Pointen zu bieten. Mit einer hübschen Montage, welche die Entwicklung der Eliteausbildung im Japan der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bespöttelt, setzt Ichikawa die Signale für seine ätzende Satire auf die Arbeitswelt: In ewig der gleichen Zeremonie werden da die Absolventen einer Akademie in den Ernst des Lebens entlassen. Zunächst eine Handvoll steht da und lauscht den Floskeln des Lehrkörpers, dann ein paar mehr, schließlich eine unüberblickbare Masse, welche auf freiem Feld, von Regenschauern umtost, dem Ausnahmezustand zum Trotz doch wieder das Immergleiche zu hören bekommt. Eine Masse, die schließlich in den Wirren der MODERN TIMES als Salarymen in hirnzersetzenden Idiotenjobs verbrannt wird oder gleich in der Schlange vor dem Arbeitsamt landet. Auch Moroi ist darauf gedrillt, in einem solchen Alltag verloren zu gehen, was jedoch von verschiedenerlei Geschehnissen verzögert wird: Zunächst steht da sein Elan, der ihn das Pensum eines achtstündigen Arbeitstages in zehn Minuten erledigen lässt, was auf Unmut seitens des Abteilungsleiters stößt. Bringt es doch die Strukturen und Abläufe des streng durchgeplanten Arbeitstages durcheinander. Zudem gibt es da jene seltsamen Phantomschmerzen, die sich - vom Lärm der Bierfabrik verursacht - zunächst in seinen Zähnen äußern und von den behandelnden Ärzten zunächst als unheilbar diagnostiziert werden, dann mittels diverser zweifelhafter Behandlungsmethoden von Körperteil zu Körperteil verschoben werden. Als dann noch ein Elternteil wahnsinnig wird - nur: welcher? - und Moroi selbst nach einem 31tägigen Koma seine Anstellung verliert, gerät sein Leben endgültig aus den Fugen, denn nicht-geradlinige Lebensläufe sind im Japan der Spätfünfziger nicht vorgesehen... Leider gerät auch Ichikawas Film in der zweiten Hälfte ein wenig ins Schlingern und kann das rasante Tempo und die Dichte der ersten Stunde nicht ganz aufrecht erhalten. Dennoch bleibt bis zum sarkastischen Finale der Eindruck, dass A FULL-UP TRAIN ein scharfsichtiger, auch heute noch beeindruckend aktueller Film ist. Wird wohl nicht der letzte Ichikawa für mich sein!
Bearbeitet von Kingsley Zissou, 03. Januar 2009, 14:24.
#24
Geschrieben 04. Januar 2009, 15:59
Der krankhaft schüchterne Dorfsonderling Lars bestellt sich eine "Real Girl" Sexpuppe aus dem Internet und beginnt nun allerorten, diese als seine neue brasilianische Freundin Bianca vorzustellen. Was allerlei Potenzial für zotige Scherze bietet, lässt diese dankenswerterweise völlig links liegen. Im Grunde ist LARS AND THE REAL GIRL noch nicht einmal eine Komödie, sondern vielmehr ein kleines, stilles Drama über Einsamkeit, Schmerz, Verlust und Ängste. Ein wenig märchenhaft in seinem Harmoniestreben, das schließlich aus Zuneigung zu Lars die gesamte Dorfbewohnerschaft dazu bewegt, Bianca wie ein "real girl" in ihre Mitte zu nehmen, und erfreulich konsequent gegen Ende, wenn Lars' Halluzinationen eben gerade nicht aufgelöst werden, sondern Bianca ein tragischer Tod plus Begräbnis spendiert wird. Unwichtig, aber hübsch.
#25
Geschrieben 04. Januar 2009, 16:11
Es fällt mir relativ schwer, zu den Filmen Roy Anderssons etwas zu sagen. Wie schon in SONGS FROM THE SECOND FLOOR inszeniert der schwedische Regisseur hier eine Reihe lose verknüpfter, sorgfältigst ausgearbeiteter Tableaus, die in ihrer Gesamtheit so etwas wie ein Mosaik der Menschheit ergeben. Das ist einerseits mit beeindruckender Präzision arrangiert, andererseits erscheint es oft auch ein wenig zu ausgefeilt: eher wie ein Planspiel denn wie ein Kunstwerk. Aber, andererseits, wenn das hier ein Planspiel ist: Was ist dann der Plan? Zwischen diesen beiden Extrempolen oszilliert Anderssons neuester Film DU LEVANDE (übersetzt soviel wie "Ihr, die Lebenden"), zu deutsch nun rätselhafterweise DAS JÜNGSTE GEWITTER getauft. Die Assoziation stimmt sogar irgendwie, denn im Grunde ist DU LEVANDE nicht nur ein Planspiel ohne Plan, sondern auch eine Apokalypse ohne Apokalypse. Die scheint Andersson, nachdem er sie in SONGS FROM THE SECOND FLOOR noch faszinierend ausbuchstabiert hatte, hier im Grunde nicht mehr nötig zu haben?
Ein seltsamer, ungreifbarer, rätselhafter Film. Wird mich wohl noch eine Weile beschäftigen.
#26
Geschrieben 04. Januar 2009, 16:20
Judith Hermann ist mit ihren zwei Erzählbänden SOMMERHAUS, SPÄTER und NICHTS ALS GESPENSTER durchaus zu den interessanteren AutorInnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zu zählen. Nicht ganz auf dem Niveau eines Christian Kracht, aber wer ist das schon. Ihre Erzählungen handeln vom Reisen und Nirgendwoankommen, von der Sehnsucht, die immer weiter treibt, bis ans Ende der Welt, und die an den malerischsten Schauplätzen immer wieder auf die eigene Leere verweist. Im Grunde also Stoffe, die sich recht gut für die Kinoleinwand eignen. Zum Teil bestätigt der Film von Martin Gypkens, der gleich 5 von Hermanns Erzählungen verknüpft, das auch durchaus, findet er doch immer wieder eindrucksvolle Bilder voller Melancholie und Schönheit. Leider bleibt es aber auch oft dabei, und etwas fehlt fast immer: das Gefühl, der Film hätte der literarischen Vorlage etwas hinzuzufügen. Somit bleibt er ein atmosphärischer, schön anzusehender, aber nicht wirklich notwendiger Bilderbogen.
#27
Geschrieben 05. Januar 2009, 14:04
Es ist offensichtlich, was Baz Luhrmann hier zu tun versucht: das epische Erzählen von all dem Ballast befreien, der sich in Jahrzehnten darauf abgelagert hat, und es, gleichsam durch die Postmoderne hindurch, jenseits von Bruckheimer/Bay wieder möglich machen. Gleich eine Trilogie von Nationalepen will er sich dafür Raum nehmen, und das scheint ausnahmsweise mal eine gute Idee. Ist doch der Auftakt, AUSTRALIA, reichlich unrund ausgefallen. Ausgangspunkt von Luhrmanns Projekt ist die (gute) Frage, wie denn heute ein Nationalepos zu inszenieren sei, ohne gleich in das Pathos von PEARL HARBOR & Co. zu verfallen. Als wilde Zitatcollage, die aber eben nicht nur Pop bleibt, sondern gerade durch die eigene Artifizialität melodramatische Exzesse wieder unpeinlich macht, so lautet (von jeher) Luhrmanns These hierzu. Leider aber fügt sich das in AUSTRALIA einfach nicht so recht zusammen: Wenn der Film Pop ist, dann ist er nicht Pathos, und wenn er Pathos wird, dann ist er nicht mehr Pop. Es darf freilich mit Spannung erwartet werden, wohin sich dieses Projekt bei Fortsetzung, nach etwas Abrundung all der ungeschliffenen, nicht ganz zu Ende gedachten Elemente hier, noch entwickeln kann. Baz Luhrmann ist ein kluger Regisseur und ganz offensichtlich zu mehr imstande. (Am Rande, überhaupt bin ich gespannt, wie Luhrmann seine Trilogie fortschreibt - im gestrigen, regen Diskurs im Anschluss an den Film schien die These nicht unplausibel, dass Russland nun an der Reihe sei - überhaupt, hat doch Luhrmann schon zu AUSTRALIA erstaunlich oft den Namen "David Lean" im Munde geführt .)
Bearbeitet von Kingsley Zissou, 05. Januar 2009, 14:07.
#28
Geschrieben 06. Januar 2009, 12:52
Ich bin kein großer Bond-Fan, und es fällt mir meist eher schwer, einen Bond-Film zu entdecken, der über die Erfüllung resp. Erschütterung des eigenen Mythos heraus auch als wahlweise Actionfilm oder Spionagethriller funktioniert. Letzteres ist vielleicht eh der falsche Maßstab, da die Seriosität, die dieses Genre, ernstgenommen, einfordert, eh nie die Sache von 007 war. Also doch eher Gimmicks, Postkartenpanoramen und Mädchen im Badeanzug. Gleichwohl versuche ich derzeit eine erneute Annäherung an das Phänomen Bond - diesmal nicht über die während meiner filmischen Sozialisation schon (mehrfach) angeschauten frühen Connery-Bonds, sondern über sein poppigeres Gegenbild Roger Moore. Zunächst fällt mir dabei auf, dass Moores Bond im O-Ton einiges gewinnt. Die sehr flapsige Synchro unterschlägt die kalte, auch ein bisschen skrupellose Arroganz, die Moore durchaus an den Tag legt und die seine Darstellung der Figur sehr viel interessanter macht als die unzähligen TV-Wiederholungen von THE SPY WHO LOVED ME vermuten lassen. Während diese positive Erkenntnis jedoch im Falle des im Dezember gesichteten Moore-Debüts LIVE AND LET DIE durch eine langwierige Erzählweise und ein nervenzehrendes Plotkuddelmuddel wieder in den Schatten gestellt wurde, funktioniert FOR YOUR EYES ONLY im Grunde ganz gut. Naja, okay: die obligatorische Pre-Credit-Sequenz ist eine Katastrophe, der Gegenspieler uncharismatisch und die nicht eben komplexe Narration ist - dies wohl eine Grundkrankheit der Bond-Filme - viel zu breit ausgewalzt. Dafür ist FOR YOUR EYES ONLY angenehm geradlinig und kann mit einer Handvoll wirklich mitreißender Actionsequenzen punkten. (Hervorzuheben wäre hier vor allem die fabelhafte Verfolgungsjagd auf der Skipiste, grandios choreographiert von Willy Bogner.) Also, bekehrt bin ich nun noch immer nicht wirklich, aber wenn Bond, dann eher so als anders.
#29
Geschrieben 06. Januar 2009, 13:27
Zur Vorbereitung auf den dieswöchigen Kinostart von JERICHOW die Wiederbegegnung mit jenem Film, der Christian Petzold im Jahr 2000 endgültig zur Speerspitze eines neuen deutschen Kinos machte. Zuletzt, mit YELLA, schien es ja ein bisschen so, als habe sich Petzold zwar auf hohem Niveau, aber gleichwohl in einer doch etwas zu bequemen Nische eingerichtet. DIE INNERE SICHERHEIT freilich zeigt ihn noch als zum Gipfel seines Schaffens strebenden Filmemacher - den er dann 5 Jahre später mit dem Meisterwerk GESPENSTER erreichte. Die ganz eigene Filmsprache, die er dort perfektionierte und seitdem variiert, hat er freilich in DIE INNERE SICHERHEIT noch nicht so ganz ausformuliert. Dennoch ist ihm ein beeindruckend intensives Werk über das Dasein im Nirgendwo gelungen. Protagonistin Jeanne, eindrucksvoll verkörpert von der großartigen Julia Hummer, ist Zeit ihres Lebens mit ihren Eltern auf der Flucht, im Untergrund, ohne Leben, ohne Identität, ohne Ort. Auch hier bereits: ein "Gespenst". Von ihrer Sehnsucht nach einem Ankommen erzählt Petzold hier, vom Zerrissenwerden zwischen zwei halben Leben, die sich niemals zusammenfügen können und die stets schmerzhafte Lücken reißen werden. Von der Unfähigkeit, sich zu entscheiden, und von der Unmöglichkeit, eine abgeschnittene Vergangenheit in eine Gegenwart hinein zu verlängern, die von ihr nichts mehr wissen will. Ohne einmal das Wort RAF in den Mund zu nehmen, entwirft Petzold hier ein gültiges Panorama jener Zwischenwelt, in der Ideale zu Anachronismen werden, weil sie sich weigern, mit ihrem Rahmen zu sterben. Wie lächerlich und jenseitig die Protagonisten hier wirken, die ihnen noch immer anhängen, das macht vielleicht die eigentliche, gegen Ende immer bedrückendere Kraft von DIE INNERE SICHERHEIT aus.
#30
Geschrieben 10. Januar 2009, 13:47
HOTTE IM PARADIES (Deutschland 2003, Dominik Graf)
Dominik Graf gehört zu jenen wenigen deutschen Filmemachern, die sowohl großes wie auch kleines Kino mit Bravour zu inszenieren imstande sind. Ein imposanter, seinerzeit zu Unrecht kaum beachteter Beleg für ersteres ist DIE SIEGER von 1994 - einer von nicht eben vielen Versuchen, eine genuin deutsche Variation des Polizeifilms zu inszenieren. Dabei orientiert sich Graf weniger an der Ästhetik der Mitt-90er, die sich in Gestalt von Michael Bay & Co. bis heute verlängert, und mehr am klassischen Erzählkino. Dementsprechend viel Zeit nimmt er sich (132 Minuten), um seine Erzählung zunächst langsam zu entfalten und dann immer weiter zu verzweigen. Ein atemloser Actioner ist DIE SIEGER nicht gerade, aber gerade darin gelingt es Graf, sich abseits vom Nachspinnen geborgter Strukturen auf etwas eigenständigere Weise zu profilieren. Leider führte dann aber der gigantische Misserfolg an der Kinokasse dazu, dass es bei diesem einsamen Startpunkt blieb.Schade fürs deutsche Kino, weniger aber für Dominik Graf - der hat nämlich unbeirrt weiter einen interessanten Film nach dem anderen gemacht, und ganz nebenbei seit dem fabelhaften DER FELSEN von 2002 die Möglichkeiten der Filmsprache expandiert. Seitdem nämlich arbeitet und experimentiert Graf mit dem Medium Digitalvideo, und schafft dabei immer wieder höchst faszinierende Spannungsverhältnisse zwische Annäherung und Distanzierung, Realismus und Stilisierung. So auch in seinem TV-Film HOTTE IM PARADIES von 2003: Einerseits sehr genaue, sorgfältig recherchierte Milieustudie, andererseits von unverkennbarem Kunstwillen geprägt und durchweg artifiziell gehalten. Ebenso wie DIE SIEGER nimmt sich Graf auch hier viel Zeit für seine Erzählung, deren grundsätzliche Konflikte sich erst entfalten, nachdem Graf eine ganze Welt um seine Antihelden herum konstruiert hat.
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