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Casa de los babys
(Casa de los babys, USA/Mexiko 2003)
Regie: John Sayles
Darsteller: Marcia Gay Harden, Susan Lynch, Daryl Hannah, Mary Steenburgen, Lili Taylor, Maggie Gyllenhaal, Vanessa Martinez, Rita Moreno, Guillermo Iván
Obwohl Regisseur John Sayles mit "Passion Fish" (1992) und "Lone Star" (1996) zwei der bedeutendsten Independent-Filme der 90er Jahre gedreht hatte, fiel es ihm in letzter Zeit immer schwerer, Vertriebsmöglichkeiten und damit den Weg zum Publikum zu finden. "Sunshine State" (2002) durfte seine Weltpremiere noch an den Internationalen Filmfestspielen von Cannes feiern, der hier zu besprechende Film "Casa de los babys" schaffte es meines Wissens nicht einmal mehr in die deutschen Kinos!
Die Schweizer Kritiker hingegen fanden für den Film, dem der Ruf eines Meisterwerks vorauseilte, nur lobende Worte, als er in unseren Programmkinos anlief. Solche Voraussetzungen lockten natürlich zum Besuch eines Streifens, der sich dem heiklen Thema der grenzüberschreitenden Adoption widmet; sie bergen aber auch die Gefahr in sich, dass der Zuschauer in seinen Erwartungen enttäuscht wird.
Mich selber vermochte die "Geschichte", so es denn eine war, über sechs Frauen (fünf Amerikanerinnen, eine Irin), die in einem südamerikanischen Land seit Wochen der behördlichen Bewilligung zur Adoption eines Drittwelt-Babys entgegenfiebern, beim ersten Mal nicht zu überzeugen. Ich hatte wohl eine klare Botschaft zum Thema erwartet, wollte hinter die bürokratischen Kulissen eines Landes (die Aufnahmen wirkten zum Teil derart postkartenartig, dass ich froh über die fehlende Nennung seines Namens - der Film wurde in Mexiko gedreht - war) sehen, dessen einziger Tourismus- und Export-Artikel Babys sind, die von ihren Müttern nicht ernährt werden können. Stattdessen wurden mir mehr oder weniger zusammenhängende - freilich sowohl von den mexikanischen als auch von den amerikanischen Darstellern hervorragend gespielte - Episoden dargeboten, die zeigen, wie die wartenden Frauen ihre Zeit verbringen - und einiges über sie verraten. Der Hintergrund, der sich mit der behördlichen Willkür, dem bewussten Hinauszögern beschäftigt, wird weitgehend ausgeklammert. --- Man muss "Casa de los babys" jedoch mindestens (!) zwei Chancen geben; denn der Film ist, wie Sayles selber betont, nicht politisch bewusst, ideologisch. Er endet mit mehr Fragen als Antworten.
Wie stark Sayles dem Hintergründigen seiner Bilder und den raschen Wechseln der Schauplätze vertraut, zeigt bereits der Beginn des Films. Zuerst sieht man - einen zärtlicheren Anfang kann man sich kaum vorstellen - die im Heim untergebrachten schlafenden und erwachenden Babys in ihren weissen Betten liegen, umspielt von liebevoller Musik. Die Schwester hält eines der Kinder in ihren Armen und beruhigt es mit einem Lied - das scheinbare Paradies in einem Haus, das mitten im idyllischen Grün steht. Die nächste Szene lenkt die Aufmerksamkeit auf die erwachenden Strassenkinder (sie hatten nicht das "Glück", von reichen Leuten adoptiert zu werden), die aus ihren Kartonschachteln klettern - und gleich verjagt werden. Diese Kinder leben, wie spätere Szenen zeigen, vom hemmungslosen Stehlen und Betteln, ihnen wird jede Chance verwehrt bleiben. Die scheinbare Idylle erweist sich als trügerisch. - Es folgt ein Blick auf die im "Paradies" arbeitende Bevölkerung, die in Hütten wohnt und auf schlecht ausgebauten Strassen zum Bus eilt, der sie zur Arbeit fährt. Dann ein krasser Schnitt zum Swimming-Pool des kleinen Hotels, in dem die sechs Frauen wartend ihre Zeit verbringen; er wird gerade gereinigt. Küchenarbeiter bereiten das klinisch-reine Frühstück für die Gäste vor, ein Arbeitsloser bittet die resolute Besitzerin und offensichtliche Profiteurin des Baby-Handels, Señora Muñoz, vergeblich um einen Job. - Dann sieht man die athletische Skipper, eine der Wartenden, wie sie zum kühlen Pool eilt, um ein paar Runden zu schwimmen. Die anderen Frauen erscheinen zum Frühstück - und beginnen übereinander zu tatschen, zum Zeitvertreib, aber auch aus Neid.
![Eingefügtes Bild](http://img5.imageshack.us/img5/280/casadelosbabyssayles.jpg)
Nach und nach kommen zum Teil bloss vermutete Einzelheiten ans Licht, die vielleicht erklären, weshalb die Frauen sich ihren Kinderwunsch in einem südamerikanischen Land statt in ihrer Heimat zu erfüllen versuchen: Nan neigt offensichtlich zur Kleptomanie, die religiöse Gayle ist Alkoholikerin, Leslie wird von den anderen für eine Lesbe gehalten - und selbst der makellosen Skipper sagt man nach, sie habe eben "something Arian" an sich. Diese kleinen "Defizite" stehen jedoch nicht im Vordergrund; Sayles belässt es bewusst beim Small Talk am Strand, den spärlichen Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung während eines Marktbesuchs, bei einem Stadtrundgang, für den sich der Arbeitslose, der von Philadelphia träumt, als Fremdenführer anbietet. - Die Nacht bringt dann Teile der Wahrheit sozusagen an den Tag: Señora Muñoz, verlässt kühl, wie sie am Morgen eingetroffen ist, ihr Hotel, offenbar nimmermüd', ihre Angestellten liegen erschöpft in ihren Zimmern; der arbeitslose Fremdenführer hat sich ein Los der Fernsehlotterie gekauft und schaut sich in einem Schaufenster zunehmend enttäuscht die glitzernde, von einem "Astrologen" begleitete Ziehung an, um am Ende sein Los auf die Strasse fallenzulassen, von wo es ein Windstoss zusammen mit den anderen wegfegt; wartende Frauen beten - und die Strassenkinder suchen sich unter den Booten am Strand einen Platz zum Schlafen. Ein Junge blickt zum Himmel hinauf und beobachtet zunehmend desillusioniert die Sternschnuppen; er weiss, dass sie nicht ihm gelten.
Am Ende hat möglicherweise ein Bestechungsversuch Erfolg: Zwei Frauen dürfen auf das ihnen zugesprochene Baby warten. Dann endet der Film abrupt. - Es gilt jedoch, was die Hotelbesitzerin schon am Anfang über alle Anwärterinnen sagte: "...wollen Mütter sein und brauchen selber einen Babysitter". - Die adoptierten Kinder blicken einer ungewissen Zukunft entgegen.
Letztlich erweist sich "Casa de los babys" dank seiner höchst sensiblen Annäherung ans Thema (nicht zuletzt in Nebenrollen herausragende Darstellerinnen wie Maggie Gyllenhaal, Daryl Hannah und Marcia Gay Harden tragen mit ihrem natürlichen, selbstverständlichen Spiel dazu bei) als sehenswert. Der Zuschauer muss das Puzzle von Schicksalen und kleinen Ereignissen selber zu einer "Geschichte" zusammenbauen, was oft ein lohnendes, gelegentlich ein zutiefst berührendes Unterfangen ist. Unter dem Strich bleibt jedoch eine wirkliche Begeisterung aus; man hätte sich eine weniger schematische Abhandlung gewünscht, anstelle eines bewussten Eskapismus eben doch einen Einblick in die schwierige Zusammenarbeit mit einer undurchschaubaren Verwaltung erwartet. Vor allem das plötzliche, unerwartete Ende erweckt auch den Eindruck, für einmal habe sich Sayles für den Zuschauer nicht sonderlich interessiert. - Dennoch greift etwa der Vorwurf, der Film sei zu "privat" oder - wie Kritiker Steve Rhodes meinte - einfach eine predigende Geschichte über sechs neurotische Frauen, zu kurz; "Casa de los babys" bemüht sich nämlich ernsthaft, auch der betroffenen einheimischen Bevölkerung Raum zu geben.
Da "Casa de los babys" zweisprachig ist, bietet auch die DVD keine synchronisierte Fassung, sondern ist nur mit Untertiteln erhältlich.