Von allen Regisseuren, die zwischen etwa 1934 und 1945 die grossen Hollywood-Komödien drehten, ist mir Howard Hawks zweifellos der liebste, weil er es mehr als seine Kollegen darauf abgesehen hatte und auch schaffte, die Moralapostel vom Hollywood Production Code (Hays Code) hinters Licht und an der Nase (herumzu-)führen. Die bigotte Bagage erkannte wohl, dass ihnen hier einer überlegen war und ihre rigiden Vorschriften mit hämischem Grinsen zu umgehen verstand; und sie rächten sich etwa, indem sie den grossen Pessimisten, dessen Regiestil ohnehin aufs Publikum abzielte (seine “Kamera auf Augenhöhe” wurde oft kritisiert, gilt aber heute als klassische Alternative zu den Experimenten von John Ford oder den Spielereien eines Stanley Donen, über dessen “Arabesque”, 1966, sich Hitchcock, neben Billy Wilder grundsätzlich auch ein Verfechter klassischer Kamerapositionen, lustig machte), bei den Oscars stets übergingen - was aber nichts daran ändert, dass wir Hawks in verschiedenen Genres epochale Meisterwerke verdanken.
Es scheint, als habe die Natur Howard Hawks regelrecht dazu auserkoren, dem frömmelnden Pack, das hinter dem Hays Code stand, die Grenzen seiner Macht aufzuzeigen; denn mögen seine späteren Komödien (vielleicht mit Ausnahme des reichlich kindisch geratenen “Monkey Business”, 1952) auch verdientermassen zu kleinen Klassikern geworden sein - sie erreichen nicht annähernd den boshaften, angriffigen Witz, der die “grossen Drei” des Meisters auszeichnet. Ich lasse “His Girl Friday”, 1940, den Film, der mit den “fastest spoken dialogues ever” die Sittenwächter (“Kommt wohl eine Wort vor, das auf unserer No-Go-Liste steht?”) vom Geschlechterkrieg ablenkte, der tatsächlich über die Leinwand fegte, bei dieser Gelegenheit mal aussen vor; stattdessen möchte ich neben der schlicht unumgänglichsten Screwball Comedy auch an ein hierzulande leider weitgehend vergessenes Meisterwerk erinnern.
Leoparden küsst man nicht
(Bringing Up Baby, USA 1938)
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Cary Grant, Katharine Hepburn, May Robson, Virginia Walker, Charles Ruggles, Barry Fitzgerald, Walter Catlett, Fritz Feld, Leona Roberts u.a.
Der Film, in dem das Chaos in Gestalt einer Frau in das Leben eines Mannes eindringt, dem bloss noch ein “Knochen” fehlt, gilt vielen als der Inbegriff von Screwball, wimmelt es doch in “Bringing Up Baby” nur so von skurrilen Figuren wie einem Psychiater mit deutschem Akzent (!), der Leuten einfach nicht über den Weg traut, die - was doch alle Tage vorkommt - einen Leoparden vom Dach seines Hauses heruntersingen wollen, dem Grosswildjäger Major Applegate, der einer seltsam verwirrten Tischgesellschaft den Unterschied zwischen dem Schrei einer Eule und dem eines Leoparden zu erklären versucht, einem dem Alkohol nicht abgeneigten Gärtner - oder einem völlig überforderten Kleinstadt-Sheriff, der “the usual suspects” einfach mal kurz hinter Gitter befördert...
Im Mittelpunkt steht jedoch der weltfremde Paläontologe Dr. David Huxley, der hinter den Mauern “seines” Museums seit Jahren an der Rekonstruktion eines Brontosaurus arbeitet, zu dessen Fertigstellung ihm bloss noch ein einziger Knochen (der sagenumwobene Claviculus intercostalis, von dessen Existenz die Forscherwelt bis heute nicht ganz überzeugt ist) fehlt - und der kurz vor der Heirat mit seiner Assistentin steht, die auf Flitterwochen verzichtet und den Bronto als ihr zukünftiges Kind betrachtet. Dass ein in solch geordneten Verhältnissen lebender Mann (ohne “Knochen”) das Auftauchen eines geschwätzigen Weibsbildes, dessen Verhalten ihm schon in den ersten Minuten des Films mehrfach ein “I’ll be with you in a minute, Mr. Peabody!” abnötigt, als unangenehm empfindet, überrascht nicht, wobei der “psychoanalytisch fundierte” Hinweis, den Dr. Fritz Lehman der turbulenten Susan Vance, die sich bald einmal als Nichte von Mrs. Random, einer möglicherweise grosszügigen Spenderin für das Museum, in dem David arbeitet, erweist, gibt (“Without my knowing anything about it, my rough guess would be that he has a fixation on you.”), sich vielleicht als gar nicht so abwegig erweist, revanchiert sich der Paläontologe doch für jede chaotische Untat, die Susan während der traumatisch endenden Begegnungen begeht, mit einer anderen. So reisst er etwa auf einer Party, nachdem ihm das holde Unwesen seinen Frack zerrissen hat, vielleicht unbewusst gar nicht so ungern den hinteren Teil ihres Abendkleides herunter, was zu einem äusserst “nahen” Abgang führt:
David: “I am behind you.”
Susan: “Well, get closer.”
David: “I can’t GET any closer!”
(Warum wohl nicht?)
Nachdem Susan David, der sie und den dem Song “I can’t give you anything but love, Baby” zugeneigten zahmen Leoparden Baby auf dem Weg zum Haus ihrer Tante begleiten muss, auch noch die Kleider voller Federn (man hat so nebenbei einen Wagen voller Schwäne zu Schrott gefahren) entrissen hat, trifft der Mann, den sie mittlerweile zum Mann ihrer ihrer Träume erkoren hat, endlich auf die mögliche Spenderin. Er trägt - Susan’s flauschigen Morgenmantel. Die Frage, was er hier zu suchen habe, beantwortet er mit einem der legendär gewordenen Sätze der Filmgeschichte: “I’m sitting in the middle of 42nd street waiting for a bus.” (Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wie sich der bisexuelle Cary Grant, der noch eine weitere von einer tuckigen Bewegung begleiteten Bemerkung von sich geben darf, beim Dreh dieser Szene wohl fühlte. Tony Curtis etwa soll nämlich das Rumlaufen in Frauenkleidern in “Some Like It Hot”, 1959, gehasst haben - als hätte dies seine Neigung zu beiden Geschlechtern offen gelegt).
Es folgt die berühmte Nacht, die aus der Jagd nach dem vom Hundi vergrabenen Claviculus und dem entlaufenen Baby, dem sich ein wesentlich weniger liebenswerter Leopard zugesellt, besteht und die zentralen Figuren dieses Chaos in Bildern hinter Gitter bringt, wo sie alle auf das gleiche Niveau gebracht, sprich: der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Der Zuschauer weiss allerdings zusammen mit den wohl ebenso mit den Zähnen knirschenden wie hilflos dem “harmlosen” Geschehen ausgelieferten Zensoren vom Hays Office längst, dass es sich beim “Baby”, das da hochgebracht werden soll (der deutsche Titel “Leoparden küsst man nicht” bemüht sich wie so oft um ein himmeltrauriges Verschleiern der Doppeldeutigkeit), keineswegs bloss um den Leoparden handelt. Und das Beste: David’s allererster Satz im Film (er sitzt im Museum auf seinem Gestell und dreht geistesabwesend einen Knochen in der Hand herum) weist bereits auf das hin, was nicht bloss dem Brontosaurus noch fehlt: “Alice, I think this one belongs in the tail.” - Während der heutige Fan von Screwball Comedies voller Genuss miterleben darf, wie das “Baby” in einer Komödie, in der es um nichts anderes als Sex, Sex, Sex geht, nach und nach auch ohne Knochen hochgebracht wird, erwiesen sich die Stossgebete der Zensoren wenigstens für kurze Zeit als erfolgreich: Der Film war zuerst ein Flop und besiegelte den Ruf von Katharine Hepburn als “Kassengift”.
Man sollte meinen, eine solch wilde und von Andeutungen überquellende Komödie sei nur in einer Zeit realisierbar gewesen, in der sich der Witz
gegen etwas (hier die Zensurversuche) richten konnte. Dass es Peter Bogdanovich 1972 gelang, mit “What’s Up, Doc”, einer Hommage an seinen Lieblingsfilm, die chaotische Susan Vance dank Barbara Streisand auf würdige Weise noch einmal zum Leben zu erwecken, grenzt für mich deshalb an ein Wunder, musste er doch in einem Zeitalter der sexuellen Freiheit und scheinbar fehlender Tabus ohne die reizvollen Anspielungen auskommen, die einen Film wie “Bringing Up Baby” so herrlich machen. Manchmal frage ich mich, ob Arthur Hillers “Love Story” (1970) von der Welt der “Liebenden” als derart unantastbar betrachtet worden war, dass alleine die Demontage eines Ryan O’Neal für den Erfolg ausreichte. - Bessere Erklärungen werden jederzeit gerne entgegengenommen.
Die merkwürdige Zähmung der Gangsterbraut Sugarpuss (Alternativtitel: Wirbelwind der Liebe)
(Ball of Fire, USA 1941)
Regie: Howard Hawks
Darsteller: Barbara Stanwyck, Gary Cooper, Oskar Homolka, Henry Travers, S.Z. Sakall, Tully Marshall, Richard Haydn, Dana Andrews u.a.
In der berühmten Gefängnisszene von “Bringing Up Baby” durfte Katharine Hepburn als scheinbar zum Singen bereites Gangsterflittchen dem Zuschauer bereits eine Kostprobe jener Sprache bieten, die man damals als “Slang” bezeichnete. “Ball of Fire” scheint sich überhaupt nur mit “Slang” zu beschäftigen - scheint! Denn auch hier soll die möglicherweise unflätige Sprache die Zensurbehörden lediglich davon ablenken, dass Barbara Stanwyck Beine zeigt, die bis zum Hals hinaufreichen - und ich kann versichern: Ihr Hals befindet sich wesentlich weiter oben als der von Marlene Dietrich. --- Umso erstaunlicher mag es anmuten, dass es sich bei diesem Film im Grunde genommen um eine romantische Liebeskomödie handelt. Sie ist sogar, wie viele romantische Liebeskomödien, im Bereich des Märchens angesiedelt, was uns bereits eine Ankündigung zu verstehen gibt: “Once upon a time - in 1941 to be exact - there live in a great, tall forest - called New York - eight men wo were writing an encyclopedia.”
Tatsächlich handelt es sich bei den acht Professoren, die im Auftrag eines verstorbenen Wohltäters seit Jahren zurückgezogen und unter der Fuchtel der strengen Haushälterin Miss Bragg am gesammelten Wissen der Menschheit arbeiten, um recht drollige, weltfremde Gelehrte, die sich sogar während eines Small Talks gegenseitig mit ihrem Fachwissen bereichern. Der Jüngste von ihnen, Professor Bertram Potts, ist Sprachexperte und als solcher gerade dabei, einen Artikel über “Slang” zu schreiben. Mit Erstaunen muss er feststellen, dass Slang (wie Sprache eben überhaupt) dem ständigen Wandel unterworfen ist und sich seine gesammelten Daten als völlig veraltet erweisen. Es bleibt also nur eine Möglichkeit: Potts muss Feldforschung betreiben!
Und so begibt er sich unter die Menschen eines ihm fremden New York, sammelt in der U-Bahn, auf den Strassen und vor der Uni ihm so fremde Begriffe wie “plenty gestanko”, “just a jerk” oder “killer diller”, lädt Leute, die er für typische Slang-Sprecher hält, zu einem Seminar ein, das er im weltfremden Refugium seiner Freunde abzuhalten gedenkt - und endet in einem Nachtclub, wo die Sängerin “Sugarpuss” O’Shea gerade den “Drum Boogie” (das Wort “Boogie” wird sofort notiert!) hinlegt und sogar Potts ein rhythmisches Mitklopfen mit den Fingern entlockt. Bei einem anschliessenden Gespräch erweist sich die Sängerin, die nebenbei die Freundin von Gangsterboss Joe Lilac ist, als Slang-Sprecherin par excellence. Sie lehnt die Einladung des Sprachgelehrten brüsk ab, klingelt jedoch bald an der Pforte der von den Professoren bewohnten Villa, weil die Polizei ihren Freund verhaftet hat und nun auch nach ihr sucht. In ihrem Versteck, in dem sie Potts für weitere Studien (herrlich, wie in einer Sitzung das Wort “corny” auf seine Bedeutungen im Alltag abgetastet wird!) zur Verfügung steht, stellt sie bald einmal erstaunt fest: “We have a lot of books! All of them different?” - und bringt Leben in den von der Theorie beherrschten Alltag, indem sie etwa den anderen Professoren, die sie weniger als Studienobjekt denn als ganz neue Erfahrung betrachten, das Tanzen des Boogies beibringt. Doch auch Potts kann sich dem Charme von “Sugarpuss” auf die Länge nicht entziehen, und spätestens als ihm die Schönheit die Bedeutung von “yum yum” beibringt, stellt er sich möglicherweise als Märchenprinz heraus - was die Geschichte zu einer Neuauflage von “Schneewittchen und die sieben Zwerge” für Erwachsene machen würde. Allein schon die herrliche “yum yum”-Szene lässt jedoch die Frage aufkommen, ob das intellektuelle Fundament von “Sugarpuss” (sie braucht diverse Bücher als Unterlage, um Potts Lippen für “yum yum” zu erreichen) für eine nachhaltige Beziehung ausreicht. Und Gangsterbräute haben es leider an sich, dass sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden...
Dieser umwerfend liebenswerte Spass zeigt, was Barbara Stanwyck, die mir abgesehen von “The Lady Eve” (1941) vor allem als Leidende, Gequälte oder als “femme fatale” (“Double Indemnity”, 1944) bekannt war, als Sexbombe, die langsam zum liebenswerten Mädchen gezähmt wird, zu bieten hat. Wer sie den “Boogie” oder “Sugar, Sugar” hinlegen sieht, käme nie auf die Idee, dass die Schauspielerin in Wirklichkeit dem “Sewing Circle”, einem privaten Zusammenschluss lesbischer und bisexueller Frauen in Hollywood (Greta Garbo, die Dietrich, Joan Crawford und natürlich die berüchtigte Mercedes de Acosta, von der es scheint, als habe sie in den Betten sämtlicher lesbischer Frauen ihrer Zeit genächtigt, waren berühmte Mitglieder) angehörte. Dass ihr “Ball of Fire” eine ihrer vier Oscar-Nominierungen einbrachte, darf als mehr als berechtigt bezeichnet werden. - Und Gary Cooper war mir persönlich nie näher denn als völlig weltfremder Sprachexperte, der von sich behaupten kann, er habe schon als Einjähriger Blake’s “Tyger Tyger, Burning Bright” rezitiert, der aber der Liebe so wundervoll ahnungslos gegenübersteht.
Dass “Ball of Fire” (gelegentlich auch als “The Professor and the Burlesque Queen” vermarktet), in Deutschland dermassen vernachlässigt wurde und immer noch wird (die deutsche Uraufführung fand in den 70ern im TV statt, mittlerweile ist der Film scheinbar in der Versenkung verschwunden), ist unverständlich, erhielt doch die herrliche Liebeskomödie aus der Feder von
Billy Wilder (!) vier Oscar-Nominierungen und gefiel Howard Hawks so sehr, dass er sich - leider! - 1948 zu einer Neuverfilmung des Stoffs mit einem peinlichen Danny Kaye und Virginia Mayo mit dem Titel “A Song Is Born” hinreissen liess. - Dass es bis heute keine DVD in deutscher Sprache gibt, ist für jemanden, der der englischen Sprache halbwegs mächtig ist, verkraftbar; denn was seinerzeit als “Slang” galt, ist entweder weitgehend Bestandteil der Alltagssprache geworden - oder wirkt zum Brüllen komisch!
Ich bewundere “Bringing Up Baby” ausserordentlich; für “Ball of Fire” würde ich - metaphorically speaking - sogar meine letzte Unterhose verkaufen, so ich denn noch eine hätte. Es ist einfach ein himmlisch-rührendes Vergnügen, den Professoren, von denen jeder einer exakten Zeichnung gewürdigt wird, zuzusehen, wie sie sich an Potts’ Polterabend vom Biologen “aufklären” lassen oder sich in sentimentaler Stimmung an alte Melodien zurückerinnern. Und die Feststellung, dass geballter Intellekt jeder Gangsterbande überlegen ist, darf als das Tüpfelchen auf dem “i” bezeichnet werden!
Bearbeitet von Zodiac, 27. November 2009, 06:44.