Salò o le 120 giornate di Sodoma (ITA 1975)
Regie: Pier Paolo Pasolini - DVD Legend
Ich wurde von einem ehemaligem Kumpel ständig darüber aufgeklärt, wie scharf er auf diesen Film sei. Ich erfuhr stets, wie es um die Veröffentlichung von SALÒ bei uns stand; hatte selbst aber keine Ambitionen, mir ihn anzuschauen, zumal besagter Kumpel auch eher darauf aus war, seine Grenzen aufgezeigt zu bekommen, was ich mir ja nicht gerade antun muss.
Nun bin ich mit der Zeit aber doch neugierig auf diesen "Skandalfilm" geworden, über den ich so gut wie nichts wusste, außer eben, dass es sich hier um ganz starken Tobak handeln würde und Pasolini nach diesem Werk umgebracht worden ist. Ein gewisser künstlerischer Anspruch sei SALÒ nicht abzusprechen, meinte mal jemand zu mir; das Thema Faschismus würde dort aufgegriffen.
Gestern in der Videothek habe ich den Film dann mitgenommen und muss vorab ein Lob an Legend Films aussprechen: zwar hatte die Leih-DVD noch den "Springer" drin, aber das Bonusmaterial fand ich doch sehr ansprechend und interessant. Mehr dazu aber später.
Zum Film: wo soll ich anfangen? Vielleicht erstmal mit den ersten Eindrücken. Die ließen mir Übles schwanen. Frei nach dem Motto: Schund, der schnell einen Platz in meiner WORST 10 finden würde. Mit der Zeit relativierte sich dieser Eindruck jedoch und auch Dank der Interviews und einer Nacht Schlaf stehe ich SALÒ nun doch wohlgesonnener gegenüber.
Dass es sich hier um eine Analogie (heißt das so?) zu den KZ während WWII handelt ist, so denke ich, unumstritten, zumal die vier Protagonisten klar als Faschisten zu erkennen sind und sich im Laufe des Films als fürchterliche Sadisten entpuppen. Die menschlichen Abgründe werden hier also näher beleuchtet. Der Genuss der Macht sowie das grenzenlose Ausleben sexueller Fantasien. Grenzt man die Gewalt von der sexuellen Perversion (?) ab, so hat der Film rund 30 Jahre nach seiner Entstehung deutlich an Provokation eingebüßt. Scatophilie oder wie auch immer man es nennen mag ist mittlerweile längst enttabuisiert; wie überhaupt alle sexuelle Spielereien mit Ausnahme der Pädophilie.
Diese greift der Film in den zahlreichen Erzählungen auf und erzeugt im Hinblick auf die sexuelle Thematik den größten "Empörungseffekt". Freilich ist auch der brutale Zwang, den die "Hausherren" auf ihre Gefangenen ausüben empörend; doch richtig schockierend empfand ich eigentlich nur die überaus krassen Foltermethoden, die Pasolini in ihrer Wirkung noch dadurch verstärkte, dass er sie uns aus der Rolle des Voyeurs verfolgen ließ.
Bei diesen Szenen wurde für mich das Dämonische im Menschen wirklich Nahe gebracht. Der Gedanke daran, dass so etwas Teil der Realität ist, das derartiges in den KZ oder aktuell in irgendwelchen Gefangenencamps an der Tagesordnung gewesen sein könnte bzw. ist, ist nur schwer erträglich.
So hat der finale Akt des Films auf mich den stärksten "Impact" gehabt, wobei es mich insgesamt doch erstaunt hat, dass Pasolini nicht stärker auf der Mitleidsschiene gefahren ist: natürlich entsteht Mitleid und doch hätte dies durch genauere Charakterisierungen der Opfer noch verstärkt werden können. Teilweise kehrt Pasolini dies sogar um, indem er die Gefangene als feige Denunzianten darstellt. Andererseits muss sich der Zuschauer hier die Frage gefallen lassen, wie er denn gehandelt hätte.
Erstaunt hat mich am Ende aber auch, dass es nicht SALÒ gewesen ist, der mich psychisch am meisten mitgenommen hat - hier rangiert noch immer FESTEN (DK 1997, Thomas Vinterberg) ganz vorne. Und dennoch würde ich Pasolinis Werk als etwas beschreiben, das nachwirkt und sich nicht einfach abhaken lässt.
Hier möchte ich wieder die DVD-Ausstattung aufgreifen, die zur Auseinandersetzung mit dem Gesehenen einlädt, indem beispielsweise vier der provokativsten französischen Filmemacher zu Wort kommen wie auch der Regisseur selbst, der sich nicht davor scheut, seinen Film zu analysieren. Hier gab es interessante Denkanstöße, wohl aber auch Kopfschütteln, wenn über SALÒ gesprochen wird, als hätte man nicht richtig gelebt ohne ihn einmal gesehen zu haben.
Abschließend noch ein paar Worte zur Inszenierung: die Einteilung der Geschichte in diverse Kapitel unterstützen die Zuspitzung der Ereignisse gekonnt (Noe hat dieses Stilmittel in seinem Film SEUL CONTRE TOUS variiert); in punkto Ausstattung und Darsteller kann SALÒ ebenfalls punkten.
Eine zweite Sichtung schließe ich erstmal für mich aus; werde mich aber weiter über den Film informieren und diverse Diskussionen intensiv verfolgen.