Cannibal Holocaust (ITA/ COL 1980)
Regie: Ruggero Deodato - DVD LP
Ich zitiere den filmdienst:
"Ein handwerklich routinierter Film mit drastischen Grausamkeiten, der unfreiwillig zu einer zynischen Reflexion über die Vermarktung derartiger Bilder wird."
Das ist eine reichlich ignorante Aussage, die Deodato unterstellt, lediglich einen reißerischen Film gedreht haben zu wollen. Und auch wenn natürlich überall mit Slogans wie "The most controversial Film ever made" geworben wird, ist CANNIBAL HOLOCAUST doch viel mehr als ein "normaler" Splatterfilm.
Das wird schon dadurch deutlich, dass Deodato geschickt mit den Realitätsebenen spielt: was echt sein soll ist gefaked und das, was echt ist, wird als gestellt abgetan. Zudem setzen sich die Verantwortlichen für die Ausstrahlung des Films kritisch mit ihm auseinander und der Zuschauer darf sich am Ende nur allzu recht die Frage gefallen lassen, wer denn nun die wahren Kannibalen seien.
Kannibalen ist hier natürlich nicht wortwörtlich zu verstehen, sondern auf der moralischen Ebene: Sensationsgeilheit, Freude am Leiden anderer, aber Betroffenheit heucheln (dazu gibt es eine klasse Szene, als einer der Dokumentarfilmer fast sabbernd vor einer aufgespießten Frauenleiche steht und angemahnt wird, die Kamera würde laufen, so dass schnell die eben erwähnte Betroffenheitsschiene gefahren wird), Brutalitätenshow für die Öffentlichkeit gerechtfertigt dadurch, dass dieser nix verschwiegen werden dürfte...
Jeder kriegt sein Fett weg: die Dokumentarfilmer, die als schlimmste Sorte Mensch dargestellt werden, die TV-Produzenten, die die Doku ausstrahlen wollen und dabei ganz sicher am meisten an der Quote interessiert sind und der Zuschauer, dem diese (vermeintliche) Doku vorgesetzt wird - mit dem Wissen, um was es sich hier handelt. Die Wilden, die Kannibalen kommen noch am besten weg, gehen sie doch lediglich ihrer (stark von Gewalt geprägter) Natur nach.
Jetzt darf man sich als Zuschauer die unbequeme Frage stellen: wieso habe ich mir das angeschaut?
Wer behauptet, dies lediglich auf Grund des filmhistorischen Stellenwertes getan zu haben, dem werfe ich Heuchelei vor. Natürlich schaut man sich so etwas wegen der Gewalt an. Man will schockiert werden, seine Grenzen austesten. Dies darf jetzt nicht falsch verstanden werden: nicht jeder, der sich CANNIBAL HOLOCAUST anschaut ist eine gewaltgeile Person, die den Film nicht auf anderen Ebenen rezipieren will, denn es gibt heftigere Sachen mit weitaus weniger Anspruch (da weiß selbst ich, wovon ich spreche
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). Aber dennoch behaupte ich, dass da die Faszination Gewalt eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Auch ich hätte mir den Film ja nicht ansehen zu brauchen. Habe ich aber und darf mich auch hinterfragen, wieso ich das getan habe.
Und wenn ich den Film so nachwirken lasse, dann schockiert mich am meisten, wie wenig schockiert ich im Endeffekt von dem Gezeigten doch bin. Da haben mich andere, als weit weniger kontrovers eingestufte Filme mehr mitgenommen. So muss ich mir eine gewisse Abgestumpftheit vorwerfen lassen, wobei einige goofs natürlich auch ins Gewicht fielen: als ob irgendjemand filmen würde, wie eine Freundin vergewaltigt, erschlagen und enthauptet würde. Als ob die Kannibalen die Filmrollen selbst wieder in die Dosen gesteckt hätten... Da hat Deodato doch etwas an inszenatorischem Geschick vermissen lassen.
Trotzdem hat er hier einen durchaus intelligenten Film abgeliefert, der seine Wirkung zwar vornehmlich aus reißerischen Gewaltakten bezieht, aber wie schon gesagt, allein durch seine Machart viel tiefer in die Materie eintaucht, als der Großteil der übrigen Genrebeiträge (wobei ich nicht wirklich viele davon gesehen habe
![:P](http://www.filmforen.de/public/style_emoticons/default/tongue.gif)
).
So bin ich am Ende doch überrascht, wie viel ich CANNIBAL HOLOCAUST nach den ganzen Bedenken und auch Vorurteilen abgewinnen konnte. Dieser Film wird zurecht als sehenswert eingestuft, auch wenn man sicherlich gut damit leben kann, ihn nicht gesehen zu haben.
Für eine Sache aber könnte ich dem Herrn Regisseur mächtig in die Klöten treten: die Tierfolterszenen waren nun vielleicht nicht unnötig, um die Dokumentarfilmer zu charakterisieren, aber es war absolut unnötig, dazu richtige Tiere zu benutzen. Wer realistisch aussehende, krasse Gewaltakte an Menschen faken kann, dem ist dies auch mit Tierfolterei möglich. Es ist völlig indiskutabel und unentschuldbar, was Deodato dabei geritten hat und an dieser Stelle ist er es, der die Antwort auf die finale Frage im Film darstellt.
Ansonsten aber ein wirklich interessanter Film, der - auch getragen von guten Darstellern (auch wenn einer der Filmer mächtig nach Bernd Schuster aussah) - eine sehr nachhaltige Wirkung auf mich hat und zur Reflexion anregt. Weitere Kannibalenfilme muss ich jetzt aber nicht mehr sehen, da dieser hier ja eh der beste sein soll.