Die
Kitano-Diskussion geht hier weiter!
@Bob und die Frage, inwiefern formelhafte Strukturen realistisch wirken: Ja, eine leicht paradoxe Aussage, die ich getroffen habe. Aber ein Gedanke, den ich immer wieder gerne aufnehme. Die Frage ist natürlich, was unter Realität zu verstehen ist. Wahrnehmungspsychologisch ausgedrückt besteht Realität zum größtem Teil aus eingeübten, automatisierten Prozessen, die die Vielfalt an Sinnesdaten in bereits bekannte Schemata einteilt und somit unsere alltägliche Wahrnehmung entlastet und
bahnt. Ein Ansatz, um das Wesen der Kunst zu beschreiben, liefert in dieser Hinsicht die neoformalistische Filmtheorie: Kunst habe den Zweck, diese alltägliche Wahrnehmung zu verfremden - den Menschen aus dem automatisierten Trott zu holen. In diesem Sinn hast du die Filme Kitanos oder Ratanaruangs m.E. auch verteidigt. Du hast sie aber eben "realistischer" genannt, weil du Realität als meditaive Reflexion verstanden wissen willst, wobei ich eben eher die Automatisierung betone. Ein faszinierendes Feld - für den interessierten Filmfan, der den Sprung in die Analyse wagen will, kann ich hier wirklich nur Kristin Thompsons durchaus lesbaren Text
Neoformalistische Filmanalyse empfehlen. Wie schon gesagt, geht es darin darum, Kunst als Verfremdung von Realität zu verstehen. Kunst kann sich dabei aber auch selbst automatisieren, indem eine eingeführte Verfremdung irgendwann zum Usus wird, z.B. durch die Herausbildung von Genre-Strukturen.
Ich persönlich finde aber diesen Verfremdungsaspekt im Text etwas zu überbetont, auch wenn er eine wichtige Funktion von Kunst ist. Ich glaube - darin liegt der genuine Zweck von RomComs, Disneys TV-Film-Produktionen etc. und daraus lässt sich die Nachfrage nach solchen Produkten erklären - dass eine weitere wichtige Funktion von Kunst eben gerade auch Wiederholung, Automatisierung usf. ist. Das gilt natürlich besonders für die eskapistischen Geschichten, die eigentlich immer das gleiche Schema haben: Gegensätzliche Menschen lernen sich in einem Konflikt kennen, kommen sich näher, dann folgt nach 2/3 Spielzeit der Vertrauenbruch/die Trennung und zum Schluss die glückliche Wiedervereinigung. Ich schaue mir ab und zu unheimlich gerne Filme nach diesem Schema F an. Es gibt nichts Erholsameres und die Produktion solcher Filme zeigt den Bedarf danach an. Sich naserümpfend darüber zu erheben, finde ich auch immer etwas lächerlich. Ich glaube nicht, dass man sich immerzu Filme anschauen kann, die vollkommen jenseits bekannter Formeln ablaufen. Das käme ja einem ständigen Mindfuck gleich und würde das Gehirn schädigen.
Deshalb wirst du mich auch immer wieder etwas stärker gerade eingeübte Effekte und bekannte Schemata verteidigen sehen. Ich glaube, dass jegliche Wahrnehmung ohne sie gar nicht (!) möglich ist. Die Verfremdung ist aber tatsächlich ein genauso wichtiger Wert, der mich aber nicht so interessiert.
Das war jetzt eindeutig zu fundamental und ich entschuldige mich für dieses Gedankenmonster. Ich drücke jetzt trotzdem auf "Antworten".