Smergo sagte am 05. Dezember 2014, 17:26:
Ich meine die Ambiguität kommt daher, dass Ethan einerseits gewisse Eigenschaften eines Helden aufweist*. Dem wirken andererseits - klar - sein Hass, seine Besessenheit (man könnte sagen: seine Fehler) entgegen. Allerdings meine ich, dass diese Fehler die Figur nicht soweit definieren, dass sie als Anknüpfungspunkt für Zuschauer dienen könnten (also etwa als Anknüpfungspunkt zur Identifikation). Möglicherweise bin ich da ganz falsch, aber einen Antiheld verstehe ich als eine Figur, deren Schwächen oder Fehler einen Zugang eröffnen, Sympathien zulassen. Bei einer Figur wie Ethan würde ich aber eher andere Anknüpfungspunkte sehen (vielleicht sind die eher auf der Helden-Seite zu verorten).
Ergibt das Sinn? Bin mir selbst nicht so sicher...
*Er ist es ja eigentlich, der nicht aufgibt, der durch seine Unnachgiebigkeit die Entführte rettet.
Ich hatte deshalb gefragt, weil der weitgehende Konsens auf journalistischer wie akademischer Ebene der ist, dass Ethan Edwards die Geburtsstunde und der absolute Inbegriff des Anti-Helden im Kino sei. Gleichzeitig wurde und wird darüber natürlich viel gestritten. Manche sehen in ihm den reinen Helden und übersehen damit Hunderte von Aspekten, die dem widersprechen, andere sehen in ihm sogar den eigentlichen Schurken der Geschichte. Es ist Fords ausgleichender Stil und sein Besetzungsgriff John Wayne, der die Sache so hochambivalent macht. Ein Bekannter von mir meinte mal, ob John Wayne denn gar nicht gemerkt hat, wie Ford ihn und seine Filmpersona vorführt. Und anscheinend hat er es nicht.
Und genau der Punkt mit der Anknüpfung des Zuschauers ist das Schlüsselelement des Films, weshalb er so missverstanden werden kann. Natürlich muss der ungezügelte Rassismus, der Hang zum Wahnsinn (schön in der Büffelszene zu erkennen), der Tötungsrausch Edwards (er skalpiert Scar/den schwarzen Falken und Ford zeigt beim Verlassen des Zeltes als Ethan auf seine Nichte blickt aus der Untersicht, dass der Mann wahnsinnig ist), der Wille seine Nichte nur deswegen zu finden, um sie töten zu können (bei der Szene mit der Wood offenbart sich Fords ganze Amerika-Kritik) genauso vom Zuschauer berücksichtigt werden, wie die mir eigentlich gar nicht wirklich in den Sinn kommenden positiven Eigenschaften. Seine Beharrlichkeit ist letztlich nur ein Teil seiner Besessenheit. Ethan Edwards ist eine der, wenn in den großen Kinomythologien nicht die düsterste Hauptfigur, die je entwickelt wurde. Eben weil es keine eindimensionale Sache ist, sondern mit der Besetzung des großen Gegenentwurf John Wayne (das ist wohl der einzige Anknüpfungspunkt für den Zuschauer) der Inbegriff von Demontage und Funktionieren gezeigt wird. Ford gelingt es in diesem Film beides mitlaufen zu lassen. Die Auseinandernahme eines Systems, das aber trotzdem funktioniert. Auch wenn diejenigen, die Amerika aufgebaut haben psychisch zerrüttet sind (Edwards), in dieser Gegend nichts zu suchen haben (die verängstigten Siedler) oder indifferente Abziehbilder von Wild-West-Klischees darstellen (die schnell aufgebenden Verfolger), die aber letztlich normale Menschen sind und in nichts irgendeinem Mythos entsprechen. Ford schafft mit Ethan Edwards tatsächlich den Inbegriff eines Anti-Helden im wortwörtlichen Sinne, weil er die Bedeutung und ihr Gegenteil transportiert. Er ist das Gegenteil eines Helden (zumindest nach klassischem Verständnis), aber dabei tut er etwas, was (vielleicht später in den Geschichtsbüchern) als heldenhaft gesehen wird und dadurch beginnt die Verklärung eines psychisch eigentlich Kranken zum Helden. Doch wir waren dabei, wir kennen die Wahrheit, oder doch nicht? Ford hat uns im Grunde gezeigt auf welch verdrehter Ebene Geschichte geschrieben wird. Wie sie interpretiert werden kann und wie man sie gehörig falsch verstehen kann. Dass Ford seinen Film so angelegt hat, dass selbiges in der (Film-)Geschichte mit seinem Werk geschieht, verwebt es unabdingbar mit seinen Aussagen und der (amerikanischen) Geschichte.
Viele New-Hollywood-Regisseure berufen sich auf Ethan Edwards als die ultimative Inspiration für ihre Anti-Helden-Figuren. Der Film ist mit seiner Figur und Vorgehensweise auch auf filmhistorischer Ebene der Vorstoß ins moderne Kino, weg von dem alten Studio-Code, wo Schauspieler und eigentlich positive Identifikationsfiguren nicht "böse" sein durften und sich klar und eindeutig zu verhalten hatten. Diese Figur saß zwischen allen Stühlen und sitzt offenbar auch heute noch dort.
Zitat
Dem wirken andererseits - klar - sein Hass, seine Besessenheit (man könnte sagen: seine Fehler) entgegen. Allerdings meine ich, dass diese Fehler die Figur nicht soweit definieren, dass sie als Anknüpfungspunkt für Zuschauer dienen könnten (also etwa als Anknüpfungspunkt zur Identifikation). Möglicherweise bin ich da ganz falsch, aber einen Antiheld verstehe ich als eine Figur, deren Schwächen oder Fehler einen Zugang eröffnen, Sympathien zulassen.
Das ist eine Definition des Anti-Helden, wie sie der Literatur entspringt und dort Anwendung findet. Das kann man natürlich auch so auf Film übertragen und wird auch gemacht. Auch ein Grund, warum die Figur des Ethan Edwards ein Anti-Held ist, der ganz dem Kino gehört. Film funktioniert bei der Identifikationsstiftung von Figuren anders als Literatur. Auch da greift wieder der Aspekt der Besetzung Waynes als massenpsychologisches Kulturphänomen, da das Kino selbst beginnt seine eigenen Mythen zu demontieren oder sogar zu dekonstruieren. Die Figuren eines Humphrey Bogart oder James Dean mögen an den "literarischen" Anti-Helden erinnern. Ausgerechnet John Wayne wurde durch Ford zum geistigen Vater kleiner Bastarde wie Alex aus UHRWERK ORANGE oder Travis Bickle aus TAXI DRIVER (er stand sogar für Anakin Skywalker/Darth Vader Pate). Da Alex' und Bickles Figurenzeichnungen sich jedoch noch stärker an die Psyche heranwagen - was Ford geschickt mit dem Mythos verbindet - sind sie letztlich "nur" gestört erscheinende Individuen, während Ethan Edwards, der Kriege mitgemacht hat, als Söldner tätig war, alles Nicht-Weiße hasst, Tausende in den Tod geführt hat und immer noch kein Ende kennt, ein wichtiger Gründungsbaustein des Landes ist (nur Lucas findet die Rückanbindung zu einem, in diesem Fall dann selbstgeschaffenen, Mythos und rehabilitiert seinen "Ethan"). Nicht zuletzt deshalb gilt DER SCHWARZE FALKE als der Film, mit dem Ford den Gründermythos der USA, den er z.T. selbst mitdefiniert hat, in sein Gegenteil verkehrt. Danach ist bei Fords Western nichts mehr so wie vorher. Es folgte der kritische Bürgerkriegs-Western DER LETZTE BEFEHL. Der erste anti-rassistische Western Hollywoods mit einem schwarzen Hauptdarsteller MIT EINEM FUSS IN DER HÖLLE, die Searchers-Kehrseite, die auf die wunderschöne Ästhetik verzichtet ZWEI RITTEN ZUSAMMEN (ist eigentlich schon der erste Spätwestern), die analytische Dekonstruktion DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS, das erste Pro-Indianer-Epos CHEYENNE und der Frauen-Western SIEBEN FRAUEN, den Ford in China platziert. Laut Howards Hawks soll er 1973, wenige Wochen vor seinem Tod, noch die Idee für einen Western nur mit schwarzen Darstellern gehabt haben. Fred Williamson und Woody Strode sollten die Hauptrollen spielen.
Alle Aspekte/Thematiken dieser letzten Western lassen sich selbstverständlich auch in seinen Western vor DER SCHWARZE FALKE finden, nur da sind sie hinter dem Mythos.