The Diarrhoea Diary
#571
Geschrieben 12. August 2007, 01:59
Türkei 1970 Regie: Yavuz Yalinkiliç
"I want to show you my memories." Meta-Dialogzeile
Gothic Horror aus dem Land der Meister des Patchwork-Kinos. Ein junges Pärchen wird zu einem abgelegenen Landhaus eingeladen und wundert sich über den Kutscher, der andauernd erwähnt, heute ist der 15. des Monats, und ganz schnell abhaut, nachdem er das Pärchen abgesetzt hat. Das Haus scheint indes verlassen zu sein, bis ein merkwürdiger Diener auftaucht...
Erstaunlich. Die Bösewichter des Films wirken wie übertriebene Villains aus billigen Comicheften und werden inszeniert wie die Monstren der Universal-Filme der dreißiger Jahre. Da der Film in schwarz-weiß gedreht wurde, möchte man das Entstehungsjahr 1970 zunächst auch nicht glauben. Doch dann ist da noch der übliche zusammengeklaute Score, der sich bei eher zeitgenössischen Vorbildern bedient: Das "Main Title Theme" von Rosemaries Baby fügt sich da noch gut ein, aber "Also sprach Zarathustra" in mehreren Gruselszenen wirkt eher kontraproduktiv. Neben dieser eigenwilligen Verschmelzung verschiedener Dekaden des Horrorfilms gibt es hier freilich auch die typisch türkische Avantgarde-Montage, die so schnell an einem vorbeiflitzt, daß man manchmal gar nicht glauben will, was man gerade gesehen hat. Einige der Kamera-Set-Ups sind auch fabelhaft, vor allem wird viel mit Spiegeln gespielt. Diese führen aber leider nicht dazu, daß der Film eine unheimliche Atmosphäre halten könnte, stolpert doch immer das Overacting der anachronistischen Villains dazwischen. Der Butler ist allerdings ziemlich gut, wenn er mit eiserner Miene Lugosi imitiert. Und auch wenn der Film als Gruselfilm nicht wirklich zu funktionieren vermag, hat er doch vielerlei interessante Aspekte zu bieten, die mich an den Bildschirm fesselten. Jahrzentelang verschollen, wurde dieses Werk vor kurzem von Onarfilms wieder zugänglich gemacht, und das auf einer DVD, die noch einen weiteren interessanten türkichen Genrefilm beinhaltet, sowie ausführliche Interviews und andere Extras. Sollte man kaufen, das Ding.
#572
Geschrieben 14. August 2007, 22:42
Belgien 2007 Regie: Koen Mortier
Ein erfolgreicher Schriftsteller wird von drei Behinderten gefragt, ob er bei ihrer Band als Drummer mitmachen will. Da er denkt, aus den kaputten Typen und ihrem Umfeld im Abseits der Gesellschaft Stoff für eine Story herauszuschlagen, läßt er sich auf das Angebot ein...
Die erste fertig gestellte Verfilmung eines Herman Brusselmans-Roman ist ein zynischer Rundumschlag gegen alles. Während in der ersten Hälfte noch der schwarze und politisch vollkommen unkorrekte Humor überwiegt und anarchische visuelle Einfälle begeistern können, wendet sich das Blatt in der zweiten Hälfte allmählich und man schmeckt beinah ständig den Geschmack von frisch Erbrochenem auf der Zunge. Es wird deutlich, daß die zunächst aufgebauten Figuren den Machern mit und mit egal werden, sie scheißen einfach auf alles und übertreiben den Zynismus am Schluß so vollkommen, daß die Bezugspunkte zu nachvollziehbarer Gesellschaftskritik komplett verloren gehen und ich gedacht habe, jetzt wird hier nur noch aus reinem Selbstzweck eine Provokation an die andere gereiht.
Ein beeindruckendes Seherlebnis bleibt EX DRUMMER aber alle mal, denn so etwas konsequent dreckiges bekommt man nicht alle Tage vorgesetzt. Neben den Bildern des hier überhaupt nicht pittoresken, sondern schäbig-trostlosen Oostende ist vor allem der Score herausragend: Kein überproduzierter Pop-Punk oder Nu Metal, sondern schrammeliger Gitarrenkrach, der auch zu der Musik der Band im Mittelpunkt passt. Vor allem das Noise-Crescendo im Finale fügt sich besonders gut ein und erinnerte mich an das sehr ähnliche Finale in Toyodas 9 Souls, welches mich emotional aber freilich mehr packen konnte, denn da waren einem die Figuren nicht scheißegal. Diese Parallele fiel mir natürlich erst ein, als die Fragestunde mit dem Regisseur auf dem Fantasyfilmfest schon zu Ende war.
#573
Geschrieben 14. August 2007, 23:40
GB / USA 2007 Regie: Dario Piana
Die Prämisse klang nach einer vielversprechenden Idee mit "Twilight Zone"-Flair: Ein Typ stirbt mehrfach und wacht anschließend zwar mit dem selben Namen, aber als scheinbar vollkommen andere Person mit anderem Job, anderem Umfeld etc. wieder auf. Was daraus gemacht wurde, war der größte Kappes, der mir auf dem diesjährigen FFF begegnet ist. Sogenannte "Harvester", uninspirierte CGI-Dödel, sind für das multiple Abkacken verantwortlich und folgen einem Regelwerk, in dem wohl weder sie, noch der Drehbuchautor, geschweige denn Ian Stone oder der unschuldige Zuschauer irgendeine Art von Logik oder Schlüssigkeit finden können. Als sie dann auch noch Matrix-Anzüge und Sonnenbrillen anlegen, war der Ofen endgültig aus. Was für ein Scheiß.
#574
Geschrieben 17. August 2007, 00:10
USA 2005 Regie: Stuart Gordon
Na, das ist doch mal was vollkommen anderes vom alten Stuart. William H. Macy ist Edmond Burke (!), der eines Morgens sein geregeltes Leben einfach satt hat. Sein Job ist von Wiederholungen geprägt, und mit seiner Ehefrau scheint er sich auch nur noch über Nichtigkeiten unterhalten zu können. So stürzt er sich in die New Yorker Nacht, ist aber von den Geschäftsmodellen einiger Prostituierten (Denise Richards, Mena Suvari, Bai Ling) irritiert – die sind einfach zu teuer. Als er dann zum zweiten Mal ausgeraubt werden soll ist das Maß endgültig voll, und er schreitet zum Gegenangriff über, der in einem Amoklauf kulminiert. Der Film endet jedoch nicht mit seiner Verhaftung, sondern wird dann vor allem für diejenigen interessant, die immer schon mal wissen wollten, wie William H. Macy mit Glatze, Knast-Träne und Riesen-Schnauzbart aussieht.
Man fragt sich schon ein wenig, was dieses Drama nach einem Theaterstück von David Mamet auf dem Fantasyfilmfest verloren hat, da mag wohl der Name des Regisseurs ausschlaggebend gewesen sein. Bis auf einen kurzen Auftritt von Jeffrey Combs gibt es hier aber nichts, was an andere Stuart Gordon-Filme erinnern würde. Er beweist hier durchaus, daß er auch andere Sujets glaubwürdig transportieren kann, auch wenn das Gelingen des Fims hauptsächlich den vorzüglichen Darstellern geschuldet ist.
#575
Geschrieben 18. August 2007, 04:02
Japan 2006 Regie: Kiyoshi Kurosawa
Eine Mordserie erschüttert Tokio. Da die Opfer alle auf die gleiche Art und Weise ermordet wurden – in Salzwasser ertränkt – geht man zunächst von einem Serienmörder aus. Doch der Zuschauer weiß, im Gegensatz zur ermittelnden Polizisten-Hauptfigur, daß diese Morde von verschiedenen Personen begangen wurden...
Nach ungemein verrätselten Filmen wie Doppelgänger oder untypischen Dramen wie Bright Future, kehrt Kurosawa hier wieder an die Wurzeln zurück, die ihn Ende der Neunziger auch außerhalb Japans bekannt machten. Retribution ist einerseits ein herkömmlicher Geisterfilm, der vor allem in der Inszenierung der Gespenster mehr an die klassische japanische Tradition der "Kaidan Eigas" aus den 50er und 60er Jahren anknüpft (was auch durch die Variation eines Motivs aus Kobayashis Kwaidan deutlich wird), aber andererseits auch ein existenzialistischer Film, der die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt und nicht beantwortet. Diese emotionale Leere wird, wie schon in früheren Filmen des Regisseurs durch Szenen verstärkt, in der der einsame Protagonist durch scheinbar leere Straßen geht oder apathisch in seiner Wohnung herumsitzt. Koji Yakusho mit seiner grundsätzlich traurigen Gestalt ist für solche Rollen freilich prädestiniert. Aber auch der Kameramann sollte hier lobend erwähnt werden, denn der Film ist visuell von vorne bis hinten ansprechend ausgeklügelt durchkomponiert. Der Plot wiederum erinnert sowohl an Cure als auch an Larry Cohens famosen God told me to und endet wie Kaïro verblüffend apokalyptisch. Danke.
Bitte beachten Sie auch den vortrefflichen Podcast zum Film.
Bearbeitet von pasheko, 18. August 2007, 04:18.
#576
Geschrieben 26. August 2007, 23:20
Kanada 1982 Regie: Paul Lynch
"Acromegaly – whatever it is." Meta-Dialogzeile
Prolog in den 40er Jahren: Eine junge Frau wird auf einer Feier von einem Betrunkenen vergewaltigt, ihre Schäferhunde kommen ihr aber schließlich zu Hilfe. In der Gegenwart: 5 reiche Teenager machen einen Trip mit einer Yacht. Durch Blödheit und Alkohol stranden sie auf einer Insel, auf der eine unheimlcihe Frau ganz alleine wohnen soll...
Teeniehorror mit einer ordentlichen Prise Gothic, die mir das Ganze recht schmackhaft machte. Der Stil des Regisseurs sieht zwar eher wie eine Visitenkarte für's Fernsehen aus (dort war er auch hauptsächlich tätig), aber dafür ist das Editing recht gekonnt und es gibt neben einem schicken Vorspann auch zwei durchaus süße Damen. Von Synthie-Mucke bin ich nicht so der Freund, und das Monster sieht auch nicht wirklich prall aus, dafür kann aber das Ende wieder versöhnen. Kein Klassiker, aber läuft schon ganz gut rein.
#577
Geschrieben 27. August 2007, 22:59
USA 1972 Regie: Ray Williams
Zwei Teenager-Mädchen wollen in einer ländlichen Gegend eine Abkürzung nehmen, dummerweise verreckt ihnen aber mittendrin die Karre. Sie fallen einer Bande Kleinkrimineller in die Hände, die sie vergewaltigen. Doch dies ist nicht das Ende ihrer Qualen: Hilflos durch die Hitze stolpernd, treffen Sie auf eine Gruppe Hippies mit durchgeknallten Anführer, die gerade eine Leiche vergraben wollen...
Darstellerisch ist dieser ultrabillige Nudie mit ein wenig Terror-Elementen unter aller Sau, aber immerhin sind die Hauptdarstellerinnen sehr niedlich, was bei dieser Kategorie Film auch nicht immer selbstverständlich ist. Auch dramaturgisch wird übelst herumgestümpert: So sieht man den Ausgang der Hippie-Episode nur in einer Rückblende zusammengefasst, während im letzten Drittel plötzlich drei neue Figuren mit einem ganz anderen Erzählstrang auftauchen. Möglicherweise hat man da nur improvisiert, weil einige Takes nicht zu gebrauchen waren, oder es war einem egal, weil man nur irgendwas um die wirklich ellenlange Vergewaltigungssequenz (etwa drei mal so lang wie die in Irréversible, aber freilich beileibe nicht so intensiv) herumstricken wollte. Im Grunde genommen ist eine Rezeption des Films nur dann zu empfehlen, wenn man das Bedürfnis hat, sich in meterhohen, antiquierten Sleaze zu suhlen. Soll ja mal vorkommen.
#578
Geschrieben 01. September 2007, 00:34
GB 1968 Regie: Roy Boulting
Wieder ein Film, nach dem ich eine Ewigkeit gesucht habe - hatte über ihn gelesen und es gibt einen tollen THE DAMNED-Song gleichen Titels. Dank Tarantino hatte man zwar in den letzten Jahren die Möglichkeit, sich Bernard Herrmanns prägnantes Titel-Thema in ca. 300 verschiedenen Versionen als Klingelton herunterzuladen, aber vom Film selbst immer noch weit und breit keine Spur. Bis kürzlich heimlich, still und leise in England eine DVD erschien.
Martin wächst in einer dysfunktionalen Familie auf und scheint keinerlei Gefühle oder das Bedürfnis für soziale Bindungen zu besitzen. Beim Ladendiebstahl erwischt, spielt er den Kaufhaus-Detektiven und einer jungen Frau vor, er wäre geistig zurückgeblieben. Die junge Dame (schnuckelige Hayley Mills, zu der Zeit mit dem über dreißig Jahre älteren Regisseur zusammen) zeigt ein Herz aus Gold und Martin entscheidet sich, die Behinderten-Rolle weiterzuspielen...
Exzellenter Psycho-Thriller im Swinging Sixties-Look mit tollen Nebendarstellern (Billie Whitelaw, Barry Foster, Thorley Walters, Frank Finlay) und dem gewissen Etwas. Mag die angesprochene Chromosomen-Theorie (daher auch das "Y" im deutschen Titel) etwas fragwürdig sein, erweckt der Film zu keiner Zeit den Eindruck, die Krankheitsgeschichte seines Protagonisten zu reinen Schock-Zwecken auszubeuten. Nein, so wie Hayley Mills Mitleid mit dem vermeintlich Behinderten hat, hat auch der Zuschauer schlußendlich Mitleid mit dem Psychopathen, der sich hinter dieser Maske verbirgt. Daß der Film zusätzlich über einen fabelhaften Score verfügt, brauche ich wohl nicht mehr extra zu erwähnen.
#579
Geschrieben 02. September 2007, 22:05
Japan 1986 Regie: Kazuo Komizu
Auf der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester fällt die junge Hirumi in die Hände von skrupellosen Yakuza, die sie unter harte Drogen setzen und mehrfach vergewaltigen. Sie kann in eine Klinik flüchten (sogar eine Aquarium-Klinik!), aber die diensthabende Schwester kann ihr auch nicht helfen: Auf der Suche nach mehr Stoff stürzt sie vom Dach. (Ah, der alte Wassermelonen-Trick!) Die Krankenschwester möchte sie rächen, doch wird sie von den cleveren Yakuza bald auch unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Anschließend verwandelt sie sich aber in ein knallrotes
Mögen die Effekte hier streckenweise etwas billig wirken, kommt der Film jedoch ungemein stilvoll daher: Keine Einstellung sieht hier scheiße aus. Zudem ist er ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man Kosten einspart und geschickt den Zensor austrickst. Er schliddert teilweise an der Grenze zum Hardcore-Film vorbei, gerät aber nie wirklich hinein: So gibt es ein Blowjob-Schattenspiel, aber nach der Sache mit der Melone glaube ich nicht, daß das ein echter Pimmel gewesen ist. Auch toll: Der Hypnose-Handjob. Und immer diese Blutflecken auf weißen Grund – das ist doch kein Zufall, daß die manchmal wie die japanische Flagge aussehen. Ein Film, der mit den primitivsten Gelüsten des Zuschauers spekuliert, und als solcher hervorragend funktioniert.
#580
Geschrieben 04. September 2007, 01:30
Deutschland 1978 Regie: Wolfgang Büld
Peter und Karin hocken in Lüdenscheid und wissen mit ihrem Leben nicht all zu viel anzufangen, außer auf die Kirmes zu gehen, herumzuknutschen oder im Café ein paar Spießer zu ärgern. Das ändert sich, als die britische Punkband THE ADVERTS in der Nähe auftritt, und sie diese zufällig auch persönlich kennenlernen. Aufgrund mangelnder Englischkenntnisse kommt es nicht wirklich zum Dialog mit der Gruppe, auch da Bassistin Gaye, Peters Schwarm, ihn nicht mal mit dem Arsch ankuckt. Stattdessen lernen sie eine extreme Lebensweise kennen, die im Sauerland sonst eher selten auffindbar ist, und schlußendlich landet Karin mit dem Roadie im Bett, während Peter immerhin ein wenig Zweisamkeit mit seinem Idol in einer feststeckenden Wuppertaler Schwebebahn geniessen kann.
Die Laiendarsteller sind manchmal etwas schwer zu ertragen, aber dafür ist der Film authentisch, dank der vermutlich improvisierten trockenen Kommentare der Engländer stellenweise äußerst witzig und ein unbezahlbares Zeitdokument mit klasse Musik sowieso. Berichten zufolge gibt es den bald auch auf DVD. Recht so!
#581
Geschrieben 08. September 2007, 16:51
Niederlande / Belgien 2006 Regie: Alex van Warmerdam
Edgar ist seit 25 Jahren Oberkellner in einem mittelprächtigen Restaurant, hat eine bettlägerige Frau und eine fordernde Geliebte. Nachdem er von arroganten Kunden zusammengeschlagen wird, hat er die Schnauze voll und steht auf einmal vor der Tür des Drehbuchautors Herman und verlangt ein paar schönere Momente in seinem Leben...
Das Schöne an den Filmen von Alex van Warmerdam ist, daß man nie weiß, welche Wendungen sie nehmen: Einzig der skurrile Humor und der Regisseur selbst als meist wortkarge, schlecht gelaunte Außenseiter-Figur sind Konstanten, dann weiß man aber nicht mehr, ob das Ganze ebenso als absurde Komödie endet wie es anfängt, oder sich plötzlich ins melancholische oder tragische wendet. Alles möglich bei dem Mann. In seinem neuesten Film verwendet er zum ersten Mal Figuren, die sich ihrer Fiktionalität teilweise bewußt sind, was eine dankbare Ausgangssituation für schwarzhumorige Einfälle bietet, sowie die Möglichkeit anfangs "realistisch" wirkende Darstellungen ins vollkommen Absurde zu übersteigern. Solide Unterhaltung mit einigen prächtigen Witzen, wobei De Jurk und Noorderlingen aber nach wie vor meine Lieblingsfilme des Regisseurs bleiben.
#582
Geschrieben 08. September 2007, 23:21
Thailand 2006 Regie: Monthon Arayangkoon
Da ich nicht wüßte, wie ich über den Film schreiben sollte, ohne über seine Gesamt-Struktur zu reflektieren, ist der folgende Eintrag voller Spoiler. Die Schauspielschülerin Ting wird von der Polizei engagiert, um bei der Rekonstruktion von Verbrechen die Opfer-Rolle zu spielen. Als es jedoch um den Mord eines bekannten Fotomodells geht, bekommt sie seltsame Visionen...
In einem zeitgenössischen asiatischen Geisterfilm gleichzeitig die mediale Aufbereitung dieser Phänomene zu thematisieren ist ja nichts neues, gab es ja z.B. bereits in One missed call oder Reincarnation. The Victim geht da aber noch einen Schritt weiter: Zur Halbzeit des Streifens hören wir plötzlich ein "Cut!" und befinden uns am Set des Films, den wir bislang gesehen haben. Der Editor stellt dann fest, daß die Kamera einige merkwürdige Einzelbilder aufgenommen hat, die nicht aus der Effekt-Abteilung stammen. Von dieser recht originellen mise en abyme-Idee hätte man sich aber doch eine konsequentere Durchführung ala Fight Club gewünscht – zwar werden im Abspann noch weitere "versteckte" Bilder offenbart, diese stammen aber alle aus der ersten Hälfte des Films, und wären interessanter und abgründiger gewesen, wenn man sie über den ganzen Film verteilt hätte. Vielleicht gibt es das ja spätestens bei der Verfilmung von Roszaks "Flicker" – wenn die denn tatsächlich irgendwann mal kommt.
Neben dieser quasi verschenkten Idee ist The Victim sonst leider nur Durchschnitt – es fehlt an Subtilität, die Schockeffekte hat man schon wesentlich funktionstüchtiger erlebt, und das Ende ist auch nur Standardkost.
#583
Geschrieben 10. September 2007, 16:35
USA 1977 Regie: George Barry
Ein Dämon erschuf einst für eine Liebesnacht ein Bett, doch die Geliebte verstarb, bevor es genutzt werden konnte. So fährt der Dämon traurig in einen Baum, während das Bett hungrig wird und über die Jahrzehnte Menschen verspeist, begleitet vom Geist eines an Aubrey Beardsley angelehnten schwindsüchtigen Malers, der hinter einem Gemälde steckt und die Taten des Bettes kommentiert...
Ein böses Bett, das Menschen und alles, was auf ihm so herum liegt, verschlingt, mag nicht wie ein überzeugendes Konzept für einen Horrorfilm klingen. Dessen waren sich die Macher wohl auch bewußt und inszenierten das Ganze nicht wie einen Standard-Horrorfilm, sondern als Mischung zwischen stilisiertem Kunstfilm und Komödie. Trotz des offensichtlichem Humors gelingt es den Film an manchen Stellen jedoch, durchaus creepy zu sein. Zudem gibt es einige tolle Ideen (der Junge mit den Skeletthänden!) und zahlreiche stylische Einstellungen. Wieder mal ein hübsches Beispiel von "one of a kind"-Film. Sogar Rosa Luxemburg spielt mit.
#584
Geschrieben 13. September 2007, 01:14
USA 1987 Regie: Chester N. Turner
"That's a strange tale." Meta-Dialogzeile
Rahmenhandlung: Eine Mutter liest dem unsichtbaren Geist ihres toten Sohnes Gruselgeschichten aus dessen Lieblingsbuch vor. Oh, in der ersten Episode dürfen sogar Weiße mitspielen: Eine Familie streng religiöser Yokels hat wohl ein Essensritual, nach dem ein Familienmitglied immer leer ausgehen muss. Bis dann eines Tages der Sohn ein Gewehr mitbringt. Die wunderliche Fabel, ihre Erzählweise sowie die unterirdischen Darsteller geben dem Ganzen einen höchst surrealen Touch. In der zweiten Episode klaut der mit wundervollen Richard Roundtree-Koteletten ausgestattete Ted die Leiche seines Bruders aus dem Funeral Home, um sie zu Hause in Ruhe beschimpfen zu können und anschließend mit einem Clownskostüm im Keller zu verscharren. So was sollte man in Horror-Episodenfilmen aber nicht machen! Statt in einer dritten Episode geht die Action in der Rahmenhandlung weiter: Vater kommt nach Hause und schlägt Mutter mit dem titelgebenden Buch zusammen, weil sie sich wieder Illusionen hingibt. Dafür kriegt er von ihr ein Messer in den Bauch.
Ähnlich wie der Vorgänger Black Devil Doll from Hell die Chucky-Filme vorwegnahm, werden hier Formate wie Tales from the Hood oder Snoop Dogg's Hood of Horror vorweggenommen. Dank der kürzeren Laufzeit und der Episoden-Struktur ist das hier sogar noch viel kurzweiliger als Turners Debütfilm. Dabei fehlen die liebgewonnenen Stilmerkmale des Erstlings aber keineswegs: Wieder gibt es den hausgemachten Casio-Score, der in manchen Momenten total unpassend ist, hier und da aber doch über beachtenswerte Hooks verfügt. Es gibt auch wieder die selbe Hauptdarstellerin, möglicherweise des Regisseurs Freundin (weder Aussehen noch Talent dürften hier ausschlaggebend gewesen sein), die diesmal auch den Vorspann malen durfte. Zudem setzt sich das Werk mit dem Thema "Film als Illusion" kritisch auseinander. Was "Quadead" eigentlich bedeuten soll, wird nicht geklärt. Dafür verspricht der Abspann: "Tales from the Quadead Zone will return!" Ich glaube nicht wirklich daran, hoffe es aber sehr.
#585
Geschrieben 16. September 2007, 17:06
GB 2005 Regie: Sam Miller
Gut 50 Jahre nach Ausstrahlung des Originals hat die BBC ein Remake produziert, das als Tribut an den SF-Klassiker wie dieser live ausgestrahlt wurde. Daß bei dieser Vorgehensweise nicht viel mit Spezialeffekten ist, kann man sich denken: So findet sich im Finale (welches von der Westminster Abbey in die Tate Modern Gallery verlegt wurde) der unglückselige Astronaut Carroon auch nicht als amorphe Masse ein, sondern mehr als eine Art metaphysische Entität. Formal und darstellerisch ist das alles auf hohem Niveau – Jason Flemyng ist mir persönlich als Quatermass zwar zu jung, aber dafür überzeugt Mark Gatiss von der "League of Gentlemen" in einer überraschend ernsten Rolle als dessen Kollege. Richtig vom Hocker reißen konnte mich diese Neuauflage jedoch nicht – scheinbar hat man vor lauter Respekt dem Original gegenüber vergessen, selbst ein wenig originell zu sein.
#586
Geschrieben 18. September 2007, 01:05
USA 1970 Regie: Andy Milligan
Andy Milligan war einer der frühesten Epigonen von Herschell Gordon Lewis, hatte aber noch weitaus weniger Budget oder Talent zur Verfügung, und zudem einen Hang zu Kostümfilmen. Was ich anfangs eher als etwas bizarre Neigung empfunden habe, die sich selbst in den Schwanz beißt (Low-Budget-Filme OK, Kostümfilme auch OK, aber beides zusammen wird etwas schwierig, weil man dem Zuschauer mit beschränkten Mitteln nicht so ohne weiteres das 19. Jahrhundert vorgaukeln kann), machte nach dieser erneuten Sichtung von Bloodthirsty Butchers plötzlich Sinn: Wir haben es hier mit einem Re-Enactment des "Grand Guignol" zu tun, und das in allen Konsequenzen: Billige, blutige Effekte, vollkommen übertreibende Darsteller und eine Menge schwarzer Humor. Klar, daß dieser gigantische Rückschritt in Sachen Schock-Technik damals kaum einen Kino-Zuschauer aus den Socken hauen konnte, klar auch, daß die Kritik sich hauptsächlich auf die handwerklichen Mängel des Werks stürzte, denn davon gibt's genug. Vor allem stehen zwischen den Szenen mit ausuferndem Blut-Gemantsche und jenen mit dramatischen Over-Acting einfach viel zu viele, viel zu lange Dialoge, denen der Pep und der Charme vergleichbarer britischer Elaborate einfach fehlt. Die Charaktere sind zwar viktorianisch, entsprechen aber keinesfalls etwa Dickens-Figuren, sondern beziehen sich direkt auf die berühmte Penny Dreadful-Vorlage um Sweeney Todd, den dämonischen Barbier aus der Flötenstraße, die sich auch nicht unbedingt mit Stil bekleckert hat. Streckenweise kann man diese Version auch als Aktualisierung der Tod Slaughter-Fassung aus den Dreißigern sehen, die zwar inszenatorisch wesentlich professioneller war, das zur Geschichte gehörende Gekröse aber nicht so explizit zeigen konnte. Der semi-professionelle Hauptdarsteller hier macht nicht ganz so viel Spaß wie der bühnenerprobte Tod, hat aber dafür eine Peter Cushing-Frisur und eine großartige Nase. Zu erwähnen sei auch noch die Prinz Eisenherz-Perücke, die einer der Nebendarsteller trägt: Hauptsache alt und Englisch, muß ja nicht haargenau in die Periode passen. Gesungen wird hier übrigens nicht, aber auf Tim Burtons Version der Geschichte bin ich trotzdem gespannt.
#587
Geschrieben 24. September 2007, 23:03
USA 1976 Regie: Alfred Sole
Ausgerechnet während ihrer Erstkommunion wird die hübsche Karen (Brooke Shields) brutal ermordet. Der Verdacht fällt zunächst auf ihre frühreife ältere Schwester...
Würde man den Film rein auf seine Plot-Elemente herunterbrechen, käme wohl ein knapp über dem Durchschnitt liegender Thriller heraus. Aber glücklicherweise bietet der Film wesentlich mehr: Da ist zum einen der fabelhaft durchkomponierte Stil, der die bunte Heimeligkeit des Handlungsjahres 1961 plastisch einfängt und eine feine Einstellung nach der anderen liefert, zum anderen sind da die gekonnt inszenierten, effektiv-deftigen Mordszenen und die auch nicht alltägliche Katholizismus-Kritik. Nicht zu vergessen zahlreiche liebevolle, irritierende Details, wie die Nebenfigur des fetten Untermieters (Alphonso DeNoble aus Bloodsucking Freaks), der ständig in vollgepisster Unterwäsche Katzen streichelt und Arien hört. Gäbe zusammen mit Pete Walkers House of Mortal Sin ein perfektes Double Feature für den Kirchentag ab.
#588
Geschrieben 03. Oktober 2007, 16:15
USA 1988 Regie: Greydon Clark
In einem Forschungslabor in Florida entweicht eine radioaktive Katze, die, wie wir bald sehen, eine zweite, mutierte Katze in sich birgt. Statt mordernd durch Ft. Lauderdale zu ziehen, wird sie allerdings von einer Studentin mit auf die Yacht eines Industriekriminellen genommen, der sich auf die Kaiman-Inseln absetzen will. Das weiß die Mutanten-Katze freilich zu verhindern.
Ui ui ui! Was für ein herrlicher Scheißdreck! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Bei den miserablen Darstellern (selbst George Kennedy als Bodyguard bekleckert sich nicht mit Ruhm, dafür aber mit blutigen Blasen auf dem Oberkörper), den debilen Dialogen oder den putzigen Spezialeffekten. Die Mördermuschi wird wohl von zwei verschiedenen Stubentigern dargestellt, und die Mutation sieht auch jedesmal anders aus und variiert in Größe und Gestalt. Am tollsten noch die Sequenzen, in denen deutlich zu erkennen ist, daß man sich wohl in Disneyland eine große gestreifte Grinsekatze aus Stoff besorgt hat, aus deren Mund man dann die Mutantenmieze herauskriechen lässt. Alles in allem sehr unterhaltsam und für Katzenhorror-Freunde definitiv ein Pflichtfilm.
#589
Geschrieben 07. Oktober 2007, 02:37
Japan 2005 Regie: Toshiaki Toyoda
Nachdem der Regisseur sich zuvor hauptsächlich Außenseiterfiguren gewidmet hat, sind seine Protagonisten diesmal eine „typisch japanische“ Familie, die sich untereinander immer mehr entfremdet. Beileibe kein schlechter Film, aber nach der konsequenten Steigerung bis zum fabelhaften 9 Souls hatte ich vom Herrn Toyoda etwas mehr erwartet. Zwar gibt es auch hier einige herausragende Momente, (allein wie der Titel ins Bild gerückt wird ließ mir einen Seufzer entweichen) aber die Figuren wollten mir nicht so nahe kommen wie in den früheren Filmen. Übrig bleibt aber immer noch ein sehr toller, sehenswerter Film, der aber leider nicht der Hammer geworden ist, den ich mir insgeheim erhofft hatte.
#590
Geschrieben 13. Oktober 2007, 21:02
Mexiko 1975 Regie: Carlos Enrique Taboada
Eine junge Mexikanerin erbt das Haus ihrer verstorbenen Tante und zieht mit ihren Muchachas dort ein. In Wirklichkeit scheint das Haus aber der schwarzen Katze der alten Dame zu gehören, die die Nachtruhe etwa durch Dezimierung eines Kanarienvogels stört. Kurz darauf liegt die Mieze jedoch tot auf dem Teppich. Spätestens seit Edgar Allan Poe wissen wir aber, daß schwarze Katzen immer dann aus dem Totenreich zurückkehren, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann...
Auch hier liefert Taboada wieder astreines Handwerk ab, und die Bildgestaltung der Grusel-Momente zeigt Parallelen zu Operazione Paura oder der Wassertropfen-Episode aus I tre volte della paura. Schönere Parallelen kann man sich kaum vorstellen! Toller atmosphärischer Film, nicht nur für Katzenliebhaber. Das Schlußbild ist auch sehr hübsch.
#591
Geschrieben 15. Oktober 2007, 22:21
Norwegen 1958 Regie: Kåre Bergstrøm
Am Blausee, so heißt es, geht der Geist des alten Tore um, der einst seine Schwester und ihren Geliebten ermordete und anschließend Selbstmord begang. Auch sämtliche Nachmieter seiner einsamen Waldhütte fand man früher oder später im Wasser treiben, darunter auch den Künstler Werner, über dessen Tod seine Freunde näheres herausfinden wollen. So begeben sie sich zum Ort des Geschehens...
Wenn auch in erster Linie ein Psychothriller, so geraten vor allem die Rückblenden aus dem Tagebuch des immer wahnsinniger werdenden Werners äußerst unheimlich. So ausführlich auch die psychoanalytische Auflösung am Ende geraten ist, so läßt sie sowohl im Film als auch in Bernhard Borges literarischer Vorlage zumindest die Möglichkeit zu, daß da vielleicht "tatsächlich" jemand aus dem Totenreich zurückgekehrt ist. Clever konstruiert, spannend und atmosphärisch auch nicht von schlechten Eltern, das alles. Laut ofdb handelt es sich bei dem bekackten Villmark um ein Remake dieses Films, aber wenn ich mich recht erinnere, kam da halt auch ein einsamer See und Leichen vor, und das war's schon mit Gemeinsamkeiten. Habe jedenfalls keine Lust, mir diesen Senf noch mal anzutun, um das genauer zu verifizieren.
#592
Geschrieben 18. Oktober 2007, 01:21
GB 1969 Regie: Freddie Francis
Sonny und Girly tragen Schuluniformen, aus denen sie längst rausgewachsen zu sein scheinen, aber Mumsy und Nanny ist es nur recht, daß die beiden ihre infantile Ader nicht verlieren, denn nur dadurch ist die Harmonie im Herrenhaus gesichert. Im Zoo oder im Park treffen die beiden oft neue Spielkameraden, die sie dann mit nach Hause bringen, damit sie nach dem Dinner eingesperrt oder umgebracht werden können.
Eine so rabenschwarze Komödie wie diese mit Ausfällen sowohl ins knallharte Terror-Kino als auch vollkommen Absurde ist zwar auch in anderen Ländern denkbar, konnte aber in dieser Art und Weise nur in England entstehen. Abgesehen von der viktorianischen Gemütlichkeit des Herrenhauses und dem damit verbundenen Konservatismus, der hier auf den Kopf gestellt wird, spielt auch die Tatsache, daß viele britsiche Kinderreime einen äußerst morbiden Charakter haben, eine entscheidende Rolle. Als Zuschauer ist man ständig zwischen Grauen und Belustigung hin- und hergerissen, wenn die nach außen hin perfekte Familie im Verlauf des Plots immer heftigere psychische Störungen offenbart. Gedankt sei's dem cleveren Drehbuch, der stimmungsvollen Inszenierung, vor allem aber dem vortrefflichem Ensemble.
#593
Geschrieben 21. Oktober 2007, 02:08
USA 1968 Regie: Ron Ormond
Ron Ormonds letzter kommerzieller Film, bevor er sich mit dem unglaublichem If Footmen tire you, what will horses do? und weiteren Pamphleten der christlichen Propaganda widmete, ohne freilich seine Exploitation-Roots gänzlich abzuschütteln. The Monster and the Stripper ist alleine schon aus historischen Gründen unbezahlbar, hält er doch Figuren und Locations der Nachtclub-Szene im New Orleans der späten 60er für die Ewigkeit fest. Aber auch als Genrefilm fährt dieses Werk das volle Brett und vermag wie Mesa of Lost Women aufgrund einiger wirklich erstaunlicher Szenen von vorne bis hinten zu unterhalten. Da wäre zum Beispiel die zu diesem Zeitpunkt schon stramm auf die 60 zugehende Frau des Regisseurs, die hier mit pinker Sonnenbrille Stripperinnen bewertet und sogar selbst auf die Bühne steigt, um sich zu entblättern. Der Sohn Tim Ormond darf einen Country-Song zum besten geben, aber weder sieht er besonders gut aus, noch kann er wirklich singen. Und dann ist da noch diese unfassbare Sequenz (bei der ich beinah vom Sofa gekippt wäre) in der das Monster einem seiner Opfer die Arme abreißt und den armen Kerl mit dessen eigenen blutigen Extremitäten zu Tode prügelt. Interessant auch, als bei einer Kamerafahrt über eine Straßenszene ganz kurz ein Afro-Amerikaner zu sehen ist, von dem aber ganz schnell weggeschnitten wird. Scheinen nämlich sonst nur Weiße in New Orleans zu wohnen, macht es den Eindruck. Das Monster wird von dem Rockabilly-Sänger Sleepy LaBeef gespielt, der auch mal mit Elvis auf Tour war, und es wird am Ende nicht vernichtet, sondern versteckt sich einfach irgendwo. Das gibt der Werbebotschaft des Films für das exotische Nachtleben in New Orleans zwar einen kleinen Dämpfer, aber wie erwähnt: Dieses Werk ist sowohl ein unschätzbares historisches Dokument, als auch äußerst kurzweilige Unterhaltung.
#594
Geschrieben 23. Oktober 2007, 01:30
GB 1998 Regie: Julian Farino
Wenn auch mehr Liebesgeschichte als die meisten anderen Dickens-Stoffe, kommt die Sozialkritik freilich nicht zu kurz, wenn sie sich auch nur am Rande versteckt durch etwa den Broterwerb einzelner Figuren, wie z.B. Leichen aus der Themse fischen, Müllberge nach Brauchbarem durchsuchen oder Ratten auszustopfen, um mit Ihnen Szenen von Shakespeare nachzustellen. Wie von der BBC gewohnt, historisch so akkurat wie möglich und so gibt es hier neben tollen Sets auch jede Menge schlechte Zähne zu sehen. Visuell ist das auch das bislang überzeugendste Werk, das ich von den zahlreichen Produktionen gesehen habe, da sind schon verdammt viele Einstellungen drin, die eigentlich ins Kino gehören. Toll auch Peter Vaughan, der mit seiner großen Nase, den tiefliegenden Augen und dem spitzen Kinn wie der Dickens-Villain per se (der er in Bleak House auch ist) aussieht, aber durchaus auch ambivalente oder positive Figuren glaubwürdig herüberbringen kann. Das war wieder mal fein. Spätestens bis Weihnachten muß ich mir noch so ein Ding ins Haus holen...
#595
Geschrieben 04. November 2007, 05:17
USA 1935 Regie: James Whale
In der New Yorker Upper Class weiß man zu feiern: Scheiß auf moralische Bedenken und dergleichen, Hauptsache, das Glas ist voll. Wenn man dann nach einer durchzechten Nacht die ein oder andere Leiche im Haus findet, reagiert man am besten damit, beim Frühstück direkt weiter zu saufen. Um die Aufklärung des Mordes kann sich ja der dicke Detektiv-Typ kümmern.
Wundervoll, auch wenn ich einige Witze nicht verstand. Mag an obsoleten Redewendungen oder zeitgenössischen Anspielungen liegen, die heutzutage nicht mehr so leicht zu rekonstruieren sind. Die Verweise an die Universal-Horrorfilme, seien sie von Whale selbst oder von Kollegen, sind freilich auch jetzt noch offensichtlich. Das Highlight ist sicherlich der Auftritt von Gustav von Seyffertitz mit seiner imposanten Hypnosemaschine, der die Gedächtnislücken der Säufer beleuchtet – leider wird er erschossen, bevor er den Namen des Mörders verraten kann. Warum müssen diese ausländischen Wissenschaftler auch immer so weit ausholen, bevor sie zum Punkt kommen! Lange her, daß ich einen Film gesehen habe, der so konsequent gute Laune verbreitet und mir ein fast schon psychopathisches Dauergrinsen verpaßte.
#596
Geschrieben 06. November 2007, 01:36
Mexiko 1964 Regie: Rafael Baledón
Aus irgendwelchen Gründen gehörte dieser Film nicht zu denjenigen, die K. Gordon Murray flott mit einer englischen Synchronisation versah und auf den US-Markt schmiß. Was nur die Vermutung bestärkt, daß seine Auswahl eine äußerst willkürliche war, denn was die Horror-Sequenzen betrifft, spielt dieser hier definitiv in der Oberliga, was mexikanische Gothic-Schocker betrifft. (Zwei mal "betrifft" in einem Satz, das macht betroffen.) Auch das Motiv einer blonden Werwolf-Frau ist angenehm abweichend, wird aber freilich wieder mit einem Mad Scientist-Plot kombiniert. Ist aber eigentlich egal, was für Experimente der Doktor da macht (von den spanischen Dialogen versteh ich eh kaum ein Wort), solange man die Wolfsfrau durch den Wald schleichen und springen sieht. OK, an der Metamorphosen-Sequenz ist das niedrige Budget sichtbar und die suggestive Montage funktioniert auch des öfteren nicht, dafür rocken aber Sets und Bildkompositionen das Haus. Ich muß mal wieder sagen: Wer Gothic Horror der alten Schule mag und England, Italien und die USA schon abgeklappert hat, dürfte in Mexiko auf eine wahre Fundgrube stoßen.
#597
Geschrieben 07. November 2007, 01:41
Frankreich 1976 Regie: Michel Subiela
Die Pianistin Penny vermeint in einem vom zwielichtigen Grafen von Saint-Germain gebauten Schach-Roboter Züge ihres verstorbenen Geliebten wiederzuerkennen. Gemeinsam mit einem Bekannten versucht sie, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen...
Außer seinem berühmtesten Werk "The Fly" sind nur wenige Erzählungen von George Langelaan verfilmt worden: Neben diesem hier gibt es meines Wissens nur noch eine "Night Gallery"-Episode nach "The Other Hand". Schade eigentlich, denn auch hier zeigt sich, daß er einige originelle Ideen hatte und auch Motive von Poe und Hoffmann wirkungsvoll neu variieren konnte. Der Verfilmung merkt man nicht an, daß sie eine Fernseh-Produktion ist: Ausgeklügelte Beleuchtung und ein effektiver Score sorgen dafür, daß ein eindrucksvoller melancholischer Ton über dem Ganzen liegt, der den Themen Liebe und Tod angemessen ist. Neben zahlreichen unheimlichen Momenten besitzt das Finale ebenfalls Kino-Qualitäten und haut ordentlich rein, während von den Darstellern allein der jugendliche Held ein wenig blass bleibt. Das machen aber Claude Jade (die mich die ganze Zeit an Mimsy Farmer erinnert hat) und André Reybaz als ambivalenter Saint-Germain wieder wett. Sehr fein.
#598
Geschrieben 08. November 2007, 01:15
GB / Irland 1986 Regie: George Pavlou
Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich den Film damals, als er in den holländischen Videotheken zwischen Re-Animator und Cellar Dweller stand, mal ausgeliehen, gekuckt und wieder vergessen habe, oder ob jetzt tatsächlich die erste Sichtung stattgefunden hat. Damit ein irischer Bauer sein Feld besser pflügen kann, läßt er ein altes vorchristliches Relikt aus dem Boden entfernen. So etwas tut man einfach nicht, selbst wenn nicht immer wie hier ein uralter Dämon darunter hervorkreucht, um durch die Gegend zu meucheln.
Neben den schnuckeligen irischen Locations ist das Beste am Film das offensichtlich von M.R. James beeinflußte Detail mit dem Kirchenfenster. Sympathischer Ansatz, im Großen und Ganzen aber doch eher mißlungen, da es auf einen mittelmäßigen Monsterfilm mit etwas Gore hinausläuft und nie wirklich eine angemessene Atmosphäre aufgebaut wird. Zudem sieht das Vieh ein wenig zu statisch aus (das wäre mir vor 20 Jahren vermutlich nicht so aufgefallen) und die Figuren hätten auch ein bißchen besser entwickelt werden können. Vor allem der durchdrehende Küster geht ja mal gar nicht. Keine Zeitverschwendung, den Film zu schauen, denn gelangweilt habe ich mich keineswegs, aber doch eine Verschwendung von filmischen Möglichkeiten.
#599
Geschrieben 09. November 2007, 00:56
Frankreich 1959 Regie: Michel Gast
Joe ist ein "Mischlingskind": Er sieht zwar aus wie ein Weißer, fühlt sich aber wie ein Schwarzer. Nachdem sein Bruder von einem Mob gelyncht wurde, zündet er ein paar Hütten an und verdrückt sich in eine Südstaaten-Kleinstadt, um dort als Buchhändler unterzutauchen. Sein Plan ist es, möglichst viele weiße Mädchen zu verführen...
Es war klar, daß Boris Vians großartig menschenverachtender und äußerst ruppiger Roman nicht 1:1 auf die Leinwand übertragen werden konnte, und so wird die Hauptfigur in ein viel sympathischeres Licht gerückt, da viele der Gewalttaten gar nicht erst stattfinden. Dafür gibt's nackte Brüste, das Filmdebüt von Jean Sorel als Halbstarker, sowie von einem äußerst schmissigen Jazz-Score unterlegte stimmungsvolle Noir-Bilder. Interessant, daß der Filmdienst dem Film "grelle Schwarzweißmalerei" vorwirft. Ja, was denn sonst?
#600
Geschrieben 13. November 2007, 01:57
Kanada 2005 Regie: Robin Aubert
Flavien ist Reporter für ein paranormales Käseblatt, dem langsam die Puste auszugehen droht. In der Hoffnung auf eine große Story wird er mit einem Fotografen in ein entlegenes Nest geschickt, in dem seltsame Dinge vor sich gehen sollen...
Na, das ist doch mal eine erfrischend originelle Angelegenheit! Zwar sind die Schockmomente durchaus herkömmlich inszeniert, aber dafür wildert der Plot dreist durch verschiedenste Genres. Dank sorgfältiger Ausleuchtung, einem feinen Score mit viel Steel Guitar und einer zuweilen bewußt abgebremsten Erzählweise gelingt es dem Film auch, eine sehr eigenwillige Stimmung zu verbreiten, wozu auch Details wie ein eher außergewöhnliches Love Interest beitragen. Trotz kleinerer Schwächen eine klare Empfehlung.
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