The Critic sagte am 06. Februar 2014, 09:16:
Filmisch top in seiner Exegese des Monte Christo Genres. Allein, die historischen Elemente erscheinen mir moralisch fragwürdig. Kein Wort wird zu den anderen Angeklagten verloren, die haben wohl ihre Strafe verdient. Dabei wird impliziert, daß sie auch nur zufällig mit Lincolns Attentäter in Berührung kamen. Aber die waren auch kein Südstaatendoktor und Landbesitzer. Auch der Sklavereiaspekt wird mehr als unangenehm regurgiert, wobei ich das noch der Entstehungszeit zugestehen würde.
Ach ja, und sehr verwirrend war für mich der Musikeinsatz. Ich weiß nicht, was das Leitmotiv für John Ford bedeutet hat, für mich war die Melodie nur "O Tannenbaum".
Wie so oft ist Ford wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dass Ford sich nicht genauer mit den anderen Angeklagten beschäftigt liegt daran, dass es ihm nicht um die Lincoln-Verschwörung an sich ging oder genauer historischer Nachzeichnung, sondern um die Darstellung der Folgen, die sich für eine historisch-synthetische Figur wie die des Samuel Mudd ergeben. Die Vorgehensweise, historische Ereignisse als Aufhänger zu verwenden, sie in das eigene Erzähl-Universum zu transformieren und so tiefere Einblicke in geschichtliche Zusammenhänge zu ermöglichen als es durch rein nacherzählende Bio-Pics oder Geschichtsbücher möglich wäre, setzt Ford in seinem gesamten Schaffen ein. Am Beispielhaftesten wohl in DER JUNGE MR. LINCOLN, der bei Insidern so viel Begeisterung auslöste, dass Eisenstein ihn als wichtigsten Film aller Zeiten bezeichnete. Die schnelle Verurteilung der anderen Angeklagten ist eine Kritik am Klima der Hysterie, die aufkommt, wenn man überall Verschwörung wittert. Ein Beweis, dass sich auch die viel gepriesenen Vereinigten Staaten von Amerika in ein totalitäres System mit Schauprozessen verwandeln können. Einer der Punkte, warum Produzent Zanuck den Film nicht mochte, da er klare Schuldzuweisungen wollte, denn sonst könne ja der Eindruck entstehen, da seien Unschuldige verurteilt worden. Doch ich habe noch nicht einen Film Fords gesehen, wo es je eine klare Schuldzuweisung gegeben hätte. Bei ihm gibt es keine eindeutig Schuldigen, auf die der Zuschauer seine Ablehnungsgefühle projizieren soll.
Weiterer Problempunkt war die Hauptfigur und der Verlauf ihres Schicksals. Anders als es die Konvention vorsieht, geht es weder um ein Reinwaschen der Hauptfigur auf juristischer Ebene, noch um eine Verfolgungsjagd à la Hitchcock, sondern darum, seine Fähigkeiten weiter für das Wohl der Gemeinschaft einzusetzen. Der Einblick, den Ford uns in die Zeit der 1860er Jahre ermöglicht, übersteigt jede Darstellung, wie wir sie aus politisch korrektem Gut-Mensch-Film-Müll erhalten. Schwarze, z.T. ehemalige Sklaven, bewachen jetzt auf Shark Island weiße Gefangene. Das löste damals auch im Norden Entrüstung aus, sowie auch bei Produzent Zanuck, dem dies einfach viel zu unangenehm realistisch war. Denn Ford zeichnet sie nicht als Harvard-Absolventen oder musisch Begnadete, wie wir das von heute kennen, sondern als Menschen ohne Schulbildung, die durch die jahrhundertelange Unterdrückung des weißen Mannes schnell in Angst zu versetzen sind. Infolgedessen ist es nicht nur nachvollziehbar, sondern realitätsnah, dass sie beim Ausbruch der Epidemie auf Shark Island, bei der zunächst nur die Weißen betroffen sind, annehmen, das habe etwas mit der Hautfarbe und Geistern zu tun. Hier ist es nun die Aufgabe Samuel Mudds, der alle Widersprüche in sich zu vereinen scheint, mit ihnen in Kontakt zu treten. Er ist ein Südstaatler, er ist mit dafür verantwortlich, dass die Schwarzen unterdrückt wurden, also muss auch er die Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig kennt er sich durch die selbst verursachten Aberglaubenstrukturen der ehemaligen Sklaven am besten mit ihnen aus und kann ihr Vertrauen gewinnen. Es ist seine Pflicht dies zu tun (eines von Fords Leitmotiven), auch wenn es ihn ausbrennt.
Und so zeigt Ford uns die Hauptfigur am Ende ausgemergelt und um 1000 Jahre gealtert in der letzten Einstellung (Zanuck stand Kopf) unterläuft damit das klassische Happy End und hat doch alles drin, was dafür nötig ist. In der gleichen Einstellung umarmt Mudds ehemaliger Sklave, Buck, glücklich seine Familie und hat damit die erste Schlusseinstellung einer schwarzen Familie in einem nicht des Black Cinema zugehörigen Hollywoodfilms überhaupt. Dies machte Ford mit einem geschickten Schwenk, so dass es Zanuck gar nicht auffiel und Ford das System einmal mehr komplett unterwanderte. Hier habt ihr eure glückliche Familie. Dass die Hauptfigur völlig zerstört war, ging durch das geschickte Affektempfinden, wenn man in der letzten Einstellung glückliche Menschen sieht, völlig unter. Ein Geniestreich.
Die Melodie von Oh, Tannenbaum wird übrigens auch für die Hymne Oh, Maryland verwendet. DEM Staat auf der Mason-Dixon-Linie, welcher historisch für die hochgradige Ambivalenz des weißen Amerikas steht, Schwarzen nun die Freiheit zu geben oder nicht. Das Ying und Yang des Sezessionskrieges. Ein Samuel Mudd wandert auf dieser Linie und muss sich klar machen, dass sein Schicksal unwichtig geworden ist, wenn das Land weiter voranschreiten möchte, um wirklich allen die Freiheit zu geben. Dieses Motiv lässt sich bei Ford immer wieder finden. Am Berühmtesten wohl bei DER SCHWARZE FALKE, wo es dann endgültig jeglichem Heroismus beraubt wird. Und wie wenig Ford seinen Mudd zum Schluss abfeiert, merkt man an dem schnellen Schwenk zu Buck (übrigens von Ford persönlich und mit Ernest Whitman mit einem der bedeutendsten schwarzen Charakterdarsteller im amerikanischen Hollywoodkino der 1930er Jahre besetzt) und seiner Familie.