to make a long story short
#1
Geschrieben 01. November 2003, 17:07
Aus dem Verborgenen ans Licht -
k.
Das hier sind auch Fragen (Antworten geben.)
#2
Geschrieben 03. November 2003, 13:37
GB 1979/2003, Regie Ridley Scott
(Der Film, den ich jetzt das erste Mal im Kino sah, ist so alt wie ich.)
Was über diesen Film schreiben, das noch nicht geschrieben ist? Die Geschlechterdifferenz (in ihrer Indifferenz) ist ausgeleuchtet, die sozialen Zusammenhänge sind erkannt, organisch vs. anorganisch, dieser Kampf ist theoretisch ausgefochten, und der Film schon wieder zu weit weg, um sich über die Montage Gedanken machen zu können ... Wann ist ein Film zu Ende? Wenn alles über ihn geschrieben ist?
Ich stelle fest, dass es mich traurig macht, dass der Film so sehr erschlossen ist. Das ist immer so, natürlich, klar. Aber selten steht so viel schwarz auf weiß und macht es mir transparent. Und die Frage kommt mir: Was tue ich denn anderes, als schwarz auf weiß aufzutragen, eben so, wenn ich über einen Film schreibe?
Nur das noch -
Darf man director's cuts machen, den Menschen eingreifen in die Träume, die sie einst hatten - und nun also ein Deja vu angreifen? Ich habe den Gedanken, dass ein Film, das zweite Mal gesehen, mit der ERINNERUNG an das erste Sehen interagiert, vielleicht sich beißt. Dass aber auch ein anders montierter Film eine Art von Erinnerung (in seiner "Verfälschung") darstellt. Jetzt ist die Frage, ob man zwei Erinnerungen zur selben Zeit haben kann oder soll oder - darf.
Oder auch das (um das Ende offen zu halten und die Verantwortung von mir zu geben): Wann blinzeltest du in welchem Film und vor allem: Weißt du's noch?
k.
#3
Geschrieben 03. November 2003, 19:21
USA 1993, Regie Harold Ramis
Schon oft habe ich angefangen, diesen Film zu sehen, einmal nur den Mittelteil verpasst, diesmal aber sah ich ihn ganz.
Ich hab den Murmeltierfilm zuerst nicht mögen wollen, weil er so viel Interesse auf sich gezogen hatte, damals, bei seinem Kinostart, und dem Film 12:01 von Jack Sholder, kurze Zeit später angelaufen, danach dann davon nichts blieb. 12:01 ist fast verschwunden aus meinem Gedächtnis - aber hatte er nicht eine Tragik (in der Liebe), die dem GROUNDHOG DAY fehlt?
Der spricht von Resignation, von Selbstmorden, dann von Wiederaufraffen (einer Liebe wegen). Aber, angenommen, ich erinnere mich richtig, dann hatte der Mann in 12:01 die Frau sterben sehen, was schwerer wiegt als jeder Sprung Bill Murrays von einem Kirchturm ...
Ich hatte gerade noch schreiben wollen, dass ich diesmal an dem Film etwas (und mehr als das) habe finden konnte. Doch wie weg ist das jetzt, da sich der Sholder-Film dazwischenschiebt. Die Distanz, auf sie werd ich wieder warten, sehen, was sie bringt. Vielleicht, einmal, schaffe ich es, beide zu mögen (wohlwissend, dass da noch andere, ähnliche sind ...).
Doch was mir gerade bewusst wird: GROUNDHOG DAY kann doch gar nicht schlecht sein, wenn er von einem Zusammenhang von Liebe und Leben erzählt, so deutlich, so klar, so ... - ja! - schön.
k.
#4
Geschrieben 11. November 2003, 18:41
D/F 1984, Regie Danièle Huillet, Jean-Marie Straub
Nach dem Amerikaroman von Kafka.
Mir fällt zuerst auf, dass jede Figur hier ihre eigene Montage hat, eine Montage des Tons, vorgenommen durch die sprachliche Artikulation des jeweiligen Darstellers. (Dies der erste Gedanke.) - Es ändert sich während des Films, ich meine: man passt sich ihm an, seinem Fluss.
Der Winkel, in dem die Kamera zum Raum gestellt ist, und die Achse der Menschen dazwischen, sind bedeutsam: eine Einstellung wird sichtbar (ja, Harun Farocki spielt auch mit, auch Manfred Blank und Mario Adorf, Alfred Edel). Und das dazu: Wie die Hände gehalten werden und woran. (Diesem möglichen Ausruf wird deutlich Vorschub geleistet: "Gestellt!" Und damit wird er gleichsam entkräftet.)
Dieser Film (zehn Jahre zuvor entstanden) erinnert einmal an PULP FICTION. An PULP FICTION? Ja, ein Brief, der leuchtet, wenn man ihn auffaltet, und danach ein Lichtstrahl, der einen Koffer abtastet.
Und da, spätestens da muss man sagen: Das ist ein bedeutsamer Film. Und wie die anderen geht er langsam in die Erinnerung ein: Er will verarbeitet sein!
Dennoch fällt
es bei diesem Film
mir schwer, anderen
eine
Empfehlung auszusprechen.
Oder doch (nicht)?
k.
#5
Geschrieben 16. November 2003, 14:49
USA 1953, Regie Alfred Hitchcock
Der Film kann bis in die Ewigkeit als Visitenkarte des Kinos gegeben werden.
Eine alte Notiz von mir. Das war eine von einigen, nach dem ersten Sehen des Films: im Kino.
Wenn man den Film zum ersten Mal sieht, haut er einen ziemlich um.
Auch dies ein Zitat - aber von wem? -, eines das gut, aber nicht fix passen will auf Hitchkocks Seh-Film.
Über den Film wird mehr & deutlicher noch zu reden & zu schreiben sein. Er ist das Kino. Damit ist nicht viel gesagt. Das weiß jeder. Darum auf ein Neues, bald.
k.
PS:
Neben denen anderer, finden sich einige meiner Gedanken hier.
#6
Geschrieben 21. November 2003, 17:23
USA 2000, Regie Jay Roach
Lustig?
Ja, mag sein. Besser noch ist "witzig". Doch auch eine Komödie, in der Grauen liegt: Halszuschnürhumor. Aber kein Film. Kein Film? (emphatisch:) Nein, nicht mehr.
[- Erklärung für mich: Früher hat man Filme gemacht, einfach, indem man Einstellungen montierte. - Eine Zigarettenschachtel wird geworfen. / Diese Zigarettenschachtel kommt auf dem Dach deutlich sichtbar zur Ruh - hängen bleibend. In einer Einstellung ganz für sich. / ... / Die Zigarettenschachtel wird aufgeklaubt, eine Kippe geraucht ... bis die Laube brennt. - Einer (nein: mehrere) hat das Kino erfunden, indem er laufende Bilder filmte und zeigte, hat das Kino als Kunst erfunden, indem er gefilmte Einstellungen hintereinander schnitt: montierte. Er rotiert im Grab; vielleicht, weil einige nach ihm noch immer nicht auf andere Ideen gekommen sind. -]
k.
(Mehr dazu im Cineclub.)
#7
Geschrieben 21. November 2003, 18:26
Italien 1944, Regie Roberto Rossellini
Hier wird noch ein längerer Text folgen - so meine Hoffnung
k.
#8
Geschrieben 22. November 2003, 21:11
DDR 1966, Regie Frank Beyer
Zuerst das: - und dann sehen, wie er weiter verarbeitet wird ...
k.
#9
Geschrieben 30. Dezember 2003, 22:07
USA 1983, Regie John Landis
... folgt.
k.
#10
Geschrieben 30. Dezember 2003, 22:29
So, da ich nun ein paar Wochen gefaulenzt habe, wird hier einiges aufzuholen sein. Mal sehn, wie's klappt. Für die Filmauswahl entschuldige ich mich schon mal im Voraus (meine Ausrede: nur TV mit begrenztem - vorwigend privatem - Senderangebot, kaum Dritte, kein 3sat, kein Arte, null Ozu ...).
Wenn ich meine Notizen rausgekramt habe, geht es hier weiter mit -
(und - EDIT - schon ist es soweit:)
Love ... Actually / Tatsächlich ... Liebe
GB 2003, Regie Richard Curtis
"Love ... actually": Gedichtetes
( Bald schon ist Weihnacht
und
das Kino braucht
zur Weihnacht
seinen Weihnachtsliebesfilm,
seinen Liebesweihnachtsfilm. )
(( "das Kino braucht",
das heißt:
das Kinofilmvolk bekommt
ungefähr das, wovon
es zuvor nocht nicht genau
hat sagen können:
"Ich werd's brauchen." ))
Ein film -
dennoch, darum und deswegen.
Und tatsächlich:
THE GRADUATE ist angetippt hier,
einmal,
hinter einer Glasscheibe.
Aber es sollen mehr Worte sein?
Gut -
Da ist nicht immer alles 'perfekt'
zueinander hin,
aufeinander zu konstruiert
und der Film mag lange Weilen haben
(Fäden von Menschenverknüpfungsgeschichten
verlaufen sich im Nichts, aber
so ist das im Leben eben)
... doch ist er mir auch das:
liebevoll.
Vielleicht liegt es daran, neben wem man im Kino sitzt?
Ja! Sicher.
k.
#11
Geschrieben 13. Januar 2004, 21:51
Eadie-tale. Zu "Millionäre bevorzugt"
starring Jean Harlow.
Ein schöner kurzer Film, wie es sie damals (noch) gab, 1934. Aber viel mehr als Inszenierungen in Räumlichkeiten sind da ja eigentlich auch nicht zu finden. (Ein Boulevardstück: Ein Mädel zieht nach New York, um einen Millionär zu heiraten.) Aber schön ist es doch - ab da, als Mr Cousins leise melancholisch wird. Im Zusammenspiel mit Jean Harlow entspinnt sich dann etwas, eine (nun tatsächlich fesselnde) Geschichte.
Dann kam eine angenehme Unterbrechung - lieber Besuch.
Der Film ließ sich gut an ... ich glaub, mich hätte noch ein Glücksversprechen erwartet.
k.
The Girl from Missouri / Millionäre bevorzugt
USA 1934, Regie Jack Conway
gesehen am 15.12.2003, draußen
#12
Geschrieben 14. Januar 2004, 23:47
Red lights over tokyo
... und "Scarborough Fair".
In Japan Scarlett und Bill, der irgendwann wird heimfahren müssen, denn sukzessive wird ein Kind nach dem anderen enthüllt, die mit der Mutter daheim geblieben sind, in Amerika. Dieser Auszeit-(entdecke die Wärme im Leben neu)-Film, so scheint es, ist richtig 'richtig' da, wo die japanische Kultur für sich bleibt – etwa (& vor allem): als Scarlett auf die Blumenbinderinnen trifft.
Oft trifft der Titel wo es vermutlich nicht gewollt ist, nämlich da, wo bald alle Japanfilme Bruchfilme sind, und nur die Frage nach der Verschiebung zählt. Aber darin ist der Film eben - mags unbeabsichtigt, mags gewollt sein - lost in translation. Und selten wenn nicht nie ... ich meine, in welchem anderen Film gewinnt der Stoffanhänger an einem T-Shirt eine ähnliche Bedeutung wie hier?
the young and the sleepless.
Hauptsache beim im abgeschlossenen Raum abgehaltenen Karaoke sind drei Songs – interpretiert von Bill, Scarlett, und wieder Bill –, bis hin zu seinem "More than this". Die Verschränkung dabei auch im Bild, durch den-/diejenige/n im Bildvorder- und -hintergrund, und durch Unschärfen. Das ist weniger inszeniert als das Liebefinden vor exotischer Kulisse im Nachkriegskino manchmal, sondern wie das herzliche vorbei aneinander der Independents.
Die Golfeinstellung: Der Golfplatz liegt unterhalb des Fujiyama, der leicht im Nebel liegt. In der Bildmitte trennt beide ein Nadelwald, der den Platz umsäumt. Die Bäume sind alle gleichhoch und die Kontur zwischen den scharf sich abzeichnenden Baumkuppen und dem Berg im Nebel, lässt das Bild scheinen, als hätten wir eine Collage vor uns. Wie eine Ansichtskarte, oder? Man ist sich dieses Bildes und wird sich dieser Einstellung bewusst, die eine Länge hat von etwa einer Minute.
Das Tageslicht, lang aufgespart vom Film, kann zum Ende hin milde Präsenz entfalten und die Abblende zum Schluss ist wahrnehmbar als rein technisches Mittel, das 'an eben dieser Stelle' die Erzählung stoppt - am helllichten Tag.
Zum Ende hin - flüchtige, versprengte Eindrücke, (wohl) aus einem fahrenden Wagen heraus: die Wegfahrt von einem tollen Gefühl. Das ist gewiss.
Aber natürlich ist dem amerikanisch Gefilmten ebenso wenig zu trauen wie dem deutsch darüber Geschriebenen.
*
Lost in Translation (2003) von Sofia Coppola
(Mittwoch, 14. Januar 2004)
#13
Geschrieben 20. Januar 2004, 23:11
Notizen dazu:
Max Linders Einfluss reichte nicht allein bis nach Amerika, bis zu Chaplin (u.a.).
Es geht ausdrücklich um Arbeit hier (im Hotel, der Schornsteinfeger) und wenn nicht, dann geht es ausdrücklich um Privatvergnügungen (die Liebesbeschaffung, Tennis).
Wie nah das Varieté. Das hier ist nicht nur gefilmt wie ein Geschehen auf einer Bühne (feste Kameraposition & Kulisse); hier gibt es auch ein impliziertes äußeres Kommunikationssystem. - Es erschreckt erstaunlicherweise mehr, wenn man aus einem Auftritt heraus "angesprochen" wird (wie eben hier oder in VideoClips), als aus einer Diegese heraus (FERRIS BUELLER’S DAY OFF, TRADING PLACES). Vielleicht deshalb: Die Diegese reflektiert aufs Leben, ein Auftritt aber bleibt ein Auftritt.
Dekonstruktionen, natürlich. Die kennt man ja, man hat sie hier zu recht erwartet.
Die Häuser sehen mir sehr heutig aus; ich kann kaum glauben, dass das diese alte Zeit ist -
Eine frühe Kamerafahrt, die aussieht, als wäre die Kamera getragen worden: gleichzeitig vorwärts wie auf und ab. Dann steht sie wieder. Der Schwenk, der jetzt kommt, scheint mir nervös ausgeführt (das Zittern nach weitem Weg?).
Eine frühe Werbung ist dabei (für Eri Lederschmiere). Die ist zuerst ganz einfach eine langsame & langatmige Version der anderen Filme und in der zweiten Hälfte ist sie ein AusstellungsSTÜCK. Und dabei tatsächlich aus heutiger Sicht weniger berechenbar als die reinen Filme. Auf die wurde weiter AUFGEBAUT (weshalb "es" uns bekannt vorkommt), die Reklame aber wurde ABGELÖST (weshalb wir sie SO nicht kennen).
Und tatsächlich: Karl Valentin fällt aus dem Programm heraus: weil da etwas PERSÖNLICHES ist. (Nicht etwa als Persönlichkeit, die man noch heute kennt - so ist das nicht gemeint -, vielleicht aber, weil man hier einen auf jede Bewegung hin abfühlt. Der Grund dafür ist, dass der Name einen aufmerksam macht.)
(Ansonsten sind die Filme SO natürlich tot, da können Bock, Hagener und Tukur tausendmal dafür verantwortlich sein.)
*
Dienstag, 20. Januar 2004.
#14
Geschrieben 25. Januar 2004, 22:16
In meinem Notizbuch finden sich 24 Seiten mit Gedanken zum Film. Die werde ich nicht ausführen, nicht darlegen. Denn: Die Gefahr - selbst hier - besteht, dass einer sie Zwick an die Brust heftet. Dafür bin ich mir zu schade.
Nur das -
Um das Thema "schlechter Film" (oder nicht) geht es hier nicht. Das Problem ist, dass Edward Zwick selbst von einem eigentlich doch unverfänglichen Titel wie "Regisseur" so elend weit entfernt ist, wie ein Gedanke von seinem Kopf. - Goodbye, Mr. Cruise? Sayonara, Mr. Zwick. Nur bitte ich Sie zuvor noch um eines: Nehmen Sie das Ihnen gereichte Schwert doch an.
(Wohlgemerkt: Damit hab ich - bewusst - kein eindeutiges Urteil über den Film gesprochen; wohl aber eines über den hinter dem Namen unter dem "Directed by".)
((Über den Film schreiben, heißt Trauerarbeit leisten.))
*
Sonntag, 25. Januar 2004.
#15
Geschrieben 26. Januar 2004, 12:35
Woher kommt die Entspannung (und leichte Erregung), die man fühlt angesichts LOST IN TRANSLATION? Weil man von einem Paar nicht sprechen kann? Sondern sprechen muss von (mindestens) zwei?
Scarlett Johansson ist nach Tokio gekommen; sie begleitet ihren Mann Giovanni Ribisi, der Fotograf ist und hier Aufträge ausführt. In diesen Zeiten wartet sie im Hotel. Auch Bill Murray lebt eine zeitlang hier. Seine Frau ist daheim geblieben, in Amerika; die Kinder - sukzessive wird eins nach dem anderen am Telefon (sozusagen:) enthüllt - auch. Er, der Filmstar von einst, macht Werbung in dem Land, das sich besser an ihn erinnert. (Man kann vielleicht metaphysisch von Japan als einem "Gedächtnis" sprechen, erinnernd sich selbst und draußen die Welt.)
Nach einer ersten "Berührung" im Fahrstuhl unterhalten sie sich in der Lounge. Schwebend zwischen beiden alles folgende (und als es an einem Punkt "deutlich" zu werden scheint, fehlt uns - lost in translation - die Verständigkeit des Verständigungsmittels Sprache zum Verständnis - d.h. einfach: das akustische Verstehen). - Einmal liegen sie nebeneinander im Bett; in dieser ikonographischen Einstellung hat Johansson (Scarlett; im Film Charlotte) die Beine etwas angezogen, Murray (Bill; Bob im Film) berührt mit einer Hand ihren Fuß.
Da verstehen sich zwei (blind) und wir verstehen es nicht (ganz) im "Reich der Zeichen" (R. Barthes), die "wir hier" nicht (eindeutig) deuten können.
Ja, Japan. Eine Einstellung von einem Golfplatz sei hier exemplarisch genannt. Wirklich einzig eine Einstellung, in der Mitte des Films, die zeigt: Murray, der sich vorbereitet, dann den Abschlag macht, tief ins Bild hinein, in dem - über allem - der Fujiyama sich erhebt. Einzig ein Symbol? Nein, die ganze Einstellung ist symbolisch. (In einer Länge von wohl etwa einer Minute:) A monument within.
Vom Ende mag ich, klar, nicht allzu viel verraten, nur dies: Eine Fahrt mit Blicken, die jeder schon getan hat (versunken & dennoch unendlich klar); zuvor waren Köpfe ganz nah beieinander. Über die Liebe hab ich damit nichts verraten, nur über Menschen etwas gesagt.
"Barthes versucht im Reich der Zeichen nicht, ausgehend von seinen Werten und Kategorien, das Fremde zu verstehen; er affirmiert ganz im Gegenteil die Unverständlichkeit, die Abwesenheit von Sinn und Referenz - natürlich nur für ihn, der er ein Fremder in der japanischen Kultur und Sprache ist."
Doris Kolesch.
Entspannung (und leichte Erregung) - es sind immer auch bedeutsame Filme gewesen, die sich auf eine einfache Formel bringen ließen. Dass diese hier von den Gefühlen (denen im Körper) spricht, sagt wiederum etwas aus über diesen Film, diesen schönen. (Dabei stimmt mich nur ein wenig traurig, dass ich von "dem" Film reden muss - und nicht sprechen kann ... von ihr.)
*
Mittwoch, 14. Januar 2004.
#16
Geschrieben 01. Februar 2004, 10:30
winslow: the boy & the case.
es wird oft und immerzu geraucht in diesem film.
zigaretten (ich erinnere bei dieser gelegenheit an resnais’ smokig/no smoking, ebenfalls nach einem stück von terrence rattigan)
schriften
hingegen nicht so deutlich ist die zeit. sie löst sich auf.
musik
ein seltener, schöner film. in ruhe gefasst.
*
Mittwoch, 24. Dezember 2003.
*
'das' (s.o.) sind die schnellen Notizen. Natürlich sind sie falsch. Ich habe nachgeschaut: "Smoking/No Smoking", das Stück, ist von Alan Ayckbourn; Rattigan haben wir auch THE BROWNING VERSION zu danken, von Figgis 'verfilmt'.
#17
Geschrieben 10. Februar 2004, 00:57
Lippen. Nach dem Vorspann (und Familienfotos darin) beginnt mit denen Faye Dunaways der Film. Im close-up. Dieses Rot! Seine vielen Bedeutungen werden den Film weiter begleiten - Liebe, Blut & Leidenschaft.1967 hat ihn Arthur Penn gedreht. Der Erfolg danach konnte nicht verhindern, dass er vielen auch ein Herzfilm geworden ist. Dass beides zusammengeht, war immer wieder möglich, damals in "New Hollywood".
If you're still in need / of something to read / then fine / here's the story of Bonnie and Clyde. Eine bekannte Geschichte; und wäre sie nicht so lebendig, müsste man von "Mythos" sprechen: 1931. Da ist Bonnie Parker (Faye Dunaway). Und da ist Clyde Barrow (Warren Beatty). "We rob banks." Das geht zuerst auch gut. Doch später - inzwischen sind sie mit drei anderen fast schon eine Gang - immer weniger. Schritt für Schritt geht es bergab - und dann:
Es ging der Tag und mit ihm alles Schöne!
Die süße Stimme, Lippe, Brust und Hand,
Der warme Atem, holde Flüstertöne,
Der Glanz des Auges, der Gestalt entschwand.
(John Keats)
*
Penns "Bonnie and Clyde" ist ein Film, kein Buch. Aber er würde eine feine Rumtraglektüre abgeben, so wie Salingers "The Catcher in the Rye" oder wie Kerouacs "On the Road". In denen trifft sich das Unterwegssein im Buch mit dem Unterwegssein des Buches. Es ginge dann aber um ein Paar in diesem Buch, nicht um einen einzelnen Helden. Ich weiß, das wäre eine romantische Vorstellung, ein "Buch von zwei Menschen" mit sich zu tragen. Romantisch wegen der zwei Menschen; "romantisch" ist diese Vorstellung aber auch deshalb, weil wohl keiner, der allein auf die Reise geht, es aushalten könnte, ständig in einem "Buch zweier Menschen" zu lesen. Man besinnt sich dann wohl eher auf sich selbst und seine Situation. Wie auch die meisten den "Robinson Crusoe" mit auf die einsame Insel nehmen würden anstatt eines ausladenden französischen Epochenportraits.
Und die Story wäre straight (to the end) wie in einem B-picture oder einem Schundroman.
*
Es ist schon komisch, wie hier die Autofahrten behandelt werden. Man wird aufmerksam. Von außen kann es zwar manchmal tatsächlich wie ein road movie ausschauen (der Wagen in der Ferne der Landschaft); aber öfter noch sind da Verfolgungsjagden, fast wie bei den Keystonecops: recht unbeschwert, von Banjomusik begleitet, hastig. Da ist es dann markant, wenn einem Verfolger, der auf den Wagen aufgesprungen ist, von innen durchs Fenster in den Kopf geschossen wird. Das erst ist der Wendepunkt in der Geschichte des Paares, nicht die Raubüberfälle zuvor.
Bilder aus dem Inneren der Autos sind häufig und markant in diesem Film. Nicht allein wegen der verwendeten Rückprojektionen - diese verweisen auf ein Kino von einst; sondern auch, wie der Innenraum genutzt wird - hier wird gegessen, gelesen, gelacht, geschlafen, geblutet. Hier wird auch - wie fast im ganzen Film - die Psychologie der Figuren auf eine harte Probe gestellt. Die Zeit der Depression scheint es nicht zuzulassen, schlicht traurig zu sein: die Figuren sind verzweifelt, während Schießereien auch hysterisch.
Zum Ende hin wird immer häufiger in der Nacht gefahren; die Flucht wird gehetzter. Dabei wird auch einmal einem Wagen der rechte Scheinwerfer kaputtgeschossen. Beatty trägt dann zu seiner letzten Fahrt im Film eine Brille, deren rechte Seite schwarz abgedeckt ist. Der Mensch und die Maschine, so nah beieinander; ein Mann und sein Mittel. Erst da trifft der Vergleich, das Pferd sei (als Gefährte) vom Auto abgelöst worden. Da mischen sich Western und Gangsterfilm - sie sind Möglichkeit zur Freiheit für und gesellschaftlicher Druck auf die Geschichte einer Liebe.
Clyde: "I ain't a rich man. You could get a rich man if you tried."
Bonnie: "I don't want no rich man!"
"You ain't going to have a minute's peace."
"You promise?"
Da waren zwei Menschen, die für ihre Liebe und die Bedingungen ihrer Liebe eintraten. Das wurde hier erzählt. Und mehr ist nicht passiert. Was bleibt, ist gedruckt. Zeitungsberichte. Fotos. Also eine Legende.
*
Man muss sich bewusst sein, wenn man über diesen Film schreibt, dass man eine Liebeserklärung verfasst an "jemanden", der von bald jeder/m geliebt wird. Aber das hier ist eine Sache, die nicht geteilt werden muss (das Kino). Nur bewahrt. Nur?
k.
Als P.S. ein Musiktipp: Mick Harvey und Anita Lane, "Bonnie & Clyde". Zu finden auf dem Album "Intoxicated Man" (Intercord).
*
Samstag, 7. Februar 2004.
#18
Geschrieben 14. Februar 2004, 23:40
für N.
Sie sind wie Geister. Sie tragen schwarze Mäntel, wo wir doch von den Geistern wissen, dass sie weiß gewandet sind. Sie sind Engel um uns. Sie hören Musik zum Sonnenaufgang. Wir hören Musik zum Film.
Man kann Angst bekommen, wenn sie auftauchen, in Menge zumeist. Und da fällt mir ein wieso: Sie sind wie Hermes, geleiten nach drüben. Doch sie strahlen Ruhe aus und man muss sich neben sie stellen und auf sich selber blicken, dann nehmen sie dich mit.
"Dazwischen" sind sie - zwischen wirklichem Gefühl und kalter Leere, auch zwischen hier und da. Das mag der Grund sein, warum sie gern in Höhen sitzen, stehen. Wolkenkratzer sind sie.
Es gibt in diesem Film keine Kirche zu sehen. Sondern Menschen, sondern Dinge, sondern Substanzen, die sich verbunden, etwas geformt haben und das, was dazwischen ist. Für einen Filmstreifen gilt das auch.
Was eingefangen wird: Wasser des Meeres. Licht vom Himmel. Birnen greifen, Birnen beißen. Einzelner Finger von ihm sich bewegend auf der Handfläche von ihr. Augen zu, die Luft zu spüren!
Und jetzt bekommt dieser Text seinen Titel:
"Lebensgefühl"
*
Samstag, 14. Februar 2004.
#19
Geschrieben 20. Februar 2004, 19:23
Ein schlichter Film eigentlich, in ihm geschehen die Dinge beiläufig. Hier hat (auf den ersten Blick) jedes Ereignis einen ähnlichen Rang und die gleiche Aufmerksamkeit verdient: das Gehen durch die Schule ebenso wie ein Gespräch unter Freunden, oder am Ende des Films jeder einzelne Schuss.
Gus van Sants „Elephant“ (der Filmtitel verweist auf eine alte buddhistische Parabel, aber er legt auch die Lesart nahe, die Underdogs hätten die Schmähungen nicht vergessen können) ist eine Reaktion auf die Schulmassaker (nicht nur) in den USA, wie an der Colombine Highschool in Littleton. Ein Spielfilm. Er versucht keine Rekonstruktion der Ereignisse. Aber eine Rekonstruktion von sich selber: Die Struktur des Films ist an seinen Figuren orientiert. Deren Wege verfolgt er (buchstäblich) und manchmal treffen sie aufeinander – was dazu führt, dass die Zeitlinie aus den Fugen gerät und mitunter dazu, dass wir ein Geschehen aus mehreren Blickwinkeln wahrnehmen. Der Film macht darauf aufmerksam, dass es immer mehrere Perspektiven gibt.
Es ist die Beiläufigkeit eines normalen Tages: John kommt zu spät zum Unterricht, weil er seinen betrunkenen Vater nicht fahren lassen wollte. Die drei Mädchen, die eben noch Shopping-Pläne in der Cafeteria machten, erbrechen kurz darauf das Essen auf dem Schulklo. Im Sportunterricht wird Michelle gesagt, sie solle doch beim nächsten Mal kurze Hosen tragen, andernfalls würde sie eine schlechte Note kriegen. Danach geht sie in der Bibliothek aushelfen. Elias fotografiert. Und so weiter.
Bei Alex daheim geschieht anderes: Er und Eric schauen eine Geschichtsdokumentation, die Hitler zeigt. Alex nimmt an der Tür eine Paket entgegen, in dem Waffen sind. Sie küssen sich in der Dusche als sie feststellen, dass sie im Leben noch nicht geküsst worden sind. – Als Alex Eric den Plan des Anschlags erklärt und sich dabei das Massaker vorstellt, ist in die Vorstellungsbilder eine Einstellung eingefügt, die gefilmt ist wie die Darstellung des Ego-Shooters, des Computerspiels, wie Eric es zuvor gespielt hat. Jeder Weg durch einen Korridor erhält vom Film mehr Aufmerksamkeit als das. Es ist auch nur ein Analogiefetzen (die Vorstellung wird durch das bereits Gesehene mitbestimmt). Aber dieses Bild – wie viele andere – ist eindrucksvoll, es lässt einen nicht los.
Hier herrscht eine flirrende Spannung von Anfang an, schon bevor klar wird, dass das Geschehen auf einen Ausbruch hinausläuft: marginale Brüche. Geringfügige Demütigungen. Lange Einstellungen, in denen die Kamera die Laiendarsteller durch die Schule begleitet – wann wird wohl die Einstellung beendet sein, wann ist der Schüler an seinem Ziel, und was ist sein Ziel?
Das Attentat dann wird nur bruchstückhaft gezeigt. Das steht der Ausführlichkeit der Anfangsszenen entgegen und verweist auf eine veränderte, partielle Wahrnehmung. Während wir zuvor davon ausgehen konnten, am Leben von John und den anderen teilzuhaben (wegen der Ausführlichkeit, in der uns die Alltäglichkeit vorgeführt wurde), wird nun etwas weggeschnitten. Das hat mehrere Folgen: 1.) wird voyeuristischer Schaulust entgegengetreten, 2.) wird die Bluttat als Ausbruch deutlich (ein Bruch in der Erzählung), und 3.) wirkt das letzte Filmviertel so wie das Finale eines Thrillers: durch die Aussparungen, die den Schrecken in unseren Köpfen erzeugen. – Ich kann nicht wirklich sagen, ob dieses Vorgehen ganz und gar ok ist, aber wenigstens bin ich sicher, dass dadurch der Film (und somit sein Thema) im Kopf nachhallen. „Elephant“ arbeitet weiter in der Erinnerung. Wie selten ein Film.
Kernpunkt von Van Sants ästhetischer Strategie scheint mir zu sein: Die Wahrnehmung jedes Menschen ist subjektiv. Das ist nicht die Ausflucht einer Erklärung. Gäbe es eine, wäre sie sicher schon gegeben wurden und die Diskussion dazu an ihrem Ende angelangt. „Elephant“ ist eine von vielen möglichen Betrachtungsweisen. Der Film ist eine Aussage. Also eine weitere Station in der Auseinandersetzung. Und wieder deren Anfang: im eigenen Kopf.
*
Dienstag, 17. Februar 2004.
#20
Geschrieben 24. Februar 2004, 23:24
Auf dem Gang vorm Saal, wo wir uns aneinander drängten, denn drin lief noch ein anderer Film, hab ich mich wenigstens nicht mit Rotwein bekleckern lassen. Schon mal ein gutes Zeichen: Nicht mit Rotwein bekleckert werden. Keines: Dass die Leute mit Rotweingläsern in Händen in den Film gehen. Nun ja, sollen sie wie sie wollen.
Jean-Pierre Leaud hat sich beteiligt an diesem Cinephilie-Projekt: Er wirft höchstselbst die Flugblätter vor der Cinemathek. Im Gegenschnitt Dokumentaraufnahmen von damals, als ein junger Leaud die Blätter warf. Der in bunten Bildern ist sichtbar gealtert. Also hat schon mal die Diegese einen Knick.
Oder so: In Literaturvorlesungen sagen sie uns, dass mit dem Eindringen von Fiktivem ins Dokumentarische das „reale Dokument“ als solches zerstört wird. Umgekehrt verträgt eine Fiktion viele dokumentarische Inserts (und wenn es, wie hier, nur alte Filmausschnitte sind). –
Theo erzählt Matthew, der gerade Isabelle kennen gelernt hat, was Godard über Ray sagte: „Ray ist das Kino.“ Bei Godard heißt es: „Das ganze Kino, nichts als das Kino“. Das ist aber egal – wichtig ist, was Godard weiter sagt (und was Bertolucci Theo unterschlagen lässt): „Dieses Lob schließt eine Einschränkung ein. Nichts als das Kino, das ist vielleicht nicht das ganze Kino.“ –
Wenn der Film ausgelaufen ist, läuft dann, über dem freeze frame, rückwärts der Abspann ab. Und die Handlung hört zuvor auf wie ein Buch:
„Sie kommen.“
*
Dienstag, 24. Februar 2004.
#21
Geschrieben 29. Februar 2004, 23:26
Die Nacht des Jägers
Der Prediger, der ein Mörder ist, singt in der klaren Nacht die gottesfürchtigen Lieder. Er bemächtigt sich einer Frau und ihrer beiden Kinder. Die Frau tötet, die Kinder verfolgt er, weil in der Puppe des Mädchens 10.000 Dollar versteckt sind. Wunderbar ist das erzählt; im Effekt (im Bild; in Ton, Musik) unendlich raffiniert. Es ist die erste Regiearbeit des als Mime überaus geschätzten Charles Laugthon, die sich dem zeitgenössischen populären Kino Hollywoods in den Weg stellte, wo sie konnte; die so eine Macht, unbändig, in sich trägt.
Einer der ungeheuerlichsten Filme der Welt; uns ist er ein unvergleichlicher Schatz.
(ca. 1998/99)
#22
Geschrieben 01. März 2004, 17:12
The Fan
Man kann sagen, niemand wird es bestreiten können, Baseball ist niemals so verfilmt worden wie hier. Baseball-pop; es hat einen Grund: Der Film schiebt seine wahrnehmbare Oberfläche ständig vor den Stoff, die Zahl der Reibungspunkte muß gering bleiben, die Kraft der Wahrhaftigkeit ist rudiment. Dafür eine Maske, perfekt nahezu, so doch eine Maske. So blickt sie uns an: ein Mann - de Niro; Vater, geschieden, Besuchsverweigerung; Jobverlust, wegen Baseball; the fan -, ein zweiter - Snipes; Vater, Baseballstar, Formtief; Befreiung, durch Mord: the fan -: unumgänglich der Thriller, aufgeregt und sichtbar, spürbar, unüberhörbar auch in allem (der Kamera, den Gesichtern, der Musik).
(ca. 1998/99)
#23
Geschrieben 02. März 2004, 19:15
Außer Atem
Eine neue französische Revolution, 180 Jahre danach.
Ein Mann, filou, wird in einem gestohlenen Wagen gestellt, erschießt den Polizisten, sieht sich zwangsläufig nun Verfolgung ausgesetzt. Die junge amerikanische Geliebte gerät unter Druck. Vorbild Melville tritt auf, sein Wunsch: "Unsterblich werden - und dann sterben."
Dieser sieht aus wie einer jener Filme, welche die Amerikaner die zwei Jahrzehnte zuvor oft, auch gut, gedreht haben: Kleingangstertun, Aufstieg, Fall. Allein, es ist nicht Genre, es ist jung. Das Bild! Die Montage! Die Reflexion! - Der Regisseur heißt Jean-Luc Godard und man muß ihn sich merken. - "Wir sind Tote auf Freigang." Dem Entdecken anheimgegeben.
(ca. 1998/99)
#24
Geschrieben 03. März 2004, 20:15
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In den Weltenraum tauchen, was finden? Jodie Foster tut es, findet Bilder. Wie immer; trotzdem Bilder. - Zuvor: Ein Mädchen arbeitet sich hoch, vom Traumkind zum Doktor, hört später Signale aus dem All; letztlich bauen sie eine Maschine, welche die Tore gen Himmel öffnen soll. Der Film hat zweieinhalb Stunden, über Gebühr füllt er sie nicht mit Wissen, nicht mit Spannung. Philosophisch gedachte Dispute werden ausgefochten, die Existenz der Fremden, der Anderen vorausgesetzt. Glaube, Wissenschaft, Klischees; nach Carl Sagan. Wieder und wieder Momente der Einmischung von Realität. Ein Film, nicht ganz schlecht; irgendwie. Gefunden wird jedenfalls eins -: Hollywood!
(ca. 1998/99)
#25
Geschrieben 12. März 2004, 12:59
Dieser Film erzählt eine bald schon alte Geschichte, viele werden sie kennen: die Geschichte von Peter Pan – „der Junge, der nicht erwachsen werden wollte“ – und Nimmerland. Mit allen die dazugehören: Nana, das Hundekindermädchen, Piraten und Indianer, Glöckchen, die verlorenen Jungs, Wendy und ihre Brüder, deren Mutter mit dem warmen und der Vater mit dem anfangs scheinbar kalten Herzen.
Der griechische Hirtengott Pan suchte wie so oft eine Nymphe für sich zu gewinnen. Doch auch Syrinx wollte ihn nicht, entfloh wie die anderen und verwandelte sich in ein Schilfrohr. Daraus machte sich der hässliche Pan eine Flöte, auf welcher er sehnsuchtsvoll zu spielen lernte. – Kunst ist also etwas Gemachtes, das eine Seele birgt. Etwas aus Liebe und wegen der Sehnsucht Geschaffenes – ein beseeltes Ding, nicht einfach ein Artefakt. „Peter Pan“ nun ist kein Film der Kunst. Was ist er dann?
Einer der Väter im Geiste von Harry Potter ist James M. Barries Vorlage und dessen Bruder im Erfolg soll nun der Film werden. Links sind gesetzt zum Erfolgsverwandten: Am deutlichten noch im Aussehen von Wendys Bruder John, welches markant auf Harry rekurriert. Ebenso beziehungsreich ist die Verpflichtung des Charakterdarstellers Jason Isaacs (bei Rowling/Columbus spielt er Lucius Malfoy) für die Doppelrolle von Vater Darling und Captain Hook. Und auch der Flug der Kinder nach Nimmerland drängt eine Erinnerung an die Potterfilme auf. Wie überhaupt viel vom Ambiente des Films.
Entgegengesetzt ablaufend prallen künstlerische und ökonomische Strategie aufeinander. Die künstlerische arbeitet rückwärts und entdeckt erneut einen modernen Klassiker. Die ökonomische arbeitet – von Potter aus – nach vorn. Was sie finden wird, ist abzusehen, der Erfolg wahrscheinlich. Denn selbstverständlich hat dieser „Peter Pan“ auch einiges zu bieten. Die bekannte Fabel und ihr feines Spiel aus Spaß und Reflexion wurde mit Bedacht in die Neuverfilmung übertragen. Bis in kleine Details hinein ist diese sorgfältig gestaltet: In einer Szene sollen die Kinder ertränkt werden. Halb schon im Wasser werden sie an Steinen festgemacht. Dann heißt es abwarten bis die Flut kommt. Diese an sich grausame Szene wird schnell ironisch gebrochen, denn das gleiche Schicksal ereilt auch Michaels Teddy: Ebenfalls in Ketten wird er überraschend ins Wasser wie ins Blickfeld hineingeworfen. Oder Hook, der sich aus Peters Höhle ins Dunkel zurückzieht – diese Einstellung ist wunderschön anzusehen. Immerhin das lässt sich also sagen: Der neue „Pan“ ist von Könnern gemacht. Was im Hollywood-Geschäft keine Selbstverständlichkeit ist.
In dieser kurzen Begebenheit ist viel vom Bruch zwischen Kind und Erwachsenem gefasst, im spielenden Umgang mit Sprache und Kommunikation: Peter nimmt den „Fingerhut“ für einen „Kuss“. Da schmunzelt man wissend – und in dem Wissen auch, dass die kindliche Rezeption eine ganz und gar andere als die erwachsene ist. Was man zum Beispiel dann bemerkt, wenn man einen Film aus der Kindheit wiedersieht – wie weit klaffen da Erinnerungsschatz und erneutes Filmerlebnis auseinander.
Das alles schreibt einer, der erwachsen geworden, dessen kindliche Fantasie schon ein wenig geschwunden ist. Wie meinte François Truffaut? „[…], aber ist es nicht die Aufgabe des Kritikers, als Vermittler zu dienen zwischen den Autoren eines solchen Films und dem Publikum, für das er bestimmt ist?“ Dieser „Peter Pan“ hat keinen Autoren im truffautschen Sinne, er ist wie seine Vorlage Kind vieler Einflüsse (gleiches gilt für die „Harry Potter“-Romane und -Filme). Jedoch: Der Weg über das Portmonee der Eltern führt vielleicht in die Herzen der Kinder. Denen ist einiges zuzutrauen. „Peter Pan“ ist für sie – das beweisen nicht allein die weit aufgerissenen Kinderaugen in den ersten Einstellungen von Steven Spielbergs „Hook“, die fasziniert auf die Theaterinszenierung von Barries Stück schauen. Den Erwachsenen wiederum kann der Film eine Erinnerung sein …
*
Dienstag, 17. Februar 2004.
#26
Geschrieben 16. März 2004, 20:28
The Browning Version / Schrei in die Vergangenheit
Großbritannien 1994
Mike Figgis, Regie
für Ippo
Das philologische Abenteuer / Rekurs.
Der Lehrer Andrew Crocker-Harris, den Albert Finney hier spielt, steht im Mittelpunkt des Stücks. Bald einziger Schauplatz ist das Internat, an dem er lehrt. Nur am Anfang des Films gibt es Bilder vom Weg dorthin. Und einen Ausflug in die Stadt – der Ort an dem der Schüler Taplow die „Browning Version“ kauft, eine von Robert Browning besorgte Übertragung des klassischen Textes „Agamemnon“ des Aischylos. Das Buch kauft der Junge nicht für sich. Er schenkt es seinem Lehrer zu dessen Abschied. Unter den Schülern hat der den Namen Crock, wenn sie ihm einmal freundlich gesinnt sind; oder sie nennen ihn den „Hitler der Untersekunda“, was häufiger geschieht – weil sie Angst vor dem Mann haben. Mit außerordentlicher Begeisterung lehrt er Altgriechisch und Latein. Aufgrund der strengen Disziplin jedoch, mit der die Begeisterung sich mischt, schafft er zwischen sich und den anderen Menschen – Schüler wie Gleichgestellte – Distanz. Das ist der Grund, weshalb das Geschenk an ihn für jeden eine Überraschung darstellt. Es bricht auf einmal vieles auf, bricht sich Bahn in Crocks Bewusstsein: Der Liebesbetrug seiner jüngeren Frau, die Demütigungen seiner Kollegen, die Angst der Schüler. Es fehlt an Respekt, wenn man es auf ein Wort bringen will. – Der Film, in dem ein kleines Ding das alles auszulösen vermag, muss ein Drama sein.
Mike Figgis und Jean-François Robin (Kamera) beobachten das Geschehen wie ein „unbemerkter Unbeteiligter“. Einstellungen von einer spürbaren Distanz, sei es in den Totalen oder in den Nahaufnahmen. Der Kamerablick scheint wie der eines Geistes unter Menschen. Das schließt unbedingt die Untersuchung des Gegenstandes (und schlussendlich ist damit „the human race“ gemeint) mit ein, doch diese hat die erzählerische Qualität des Dramas, das auf den Menschen blickt. Die äußere Form ist ruhig, in entspannten, entspannenden Breitwandbildern, im tiefen Grün der Vegetation, in den Pastelltönen der Gebäude und Innenräume.
Der Film ist aus der Zeit. Man kann da nicht einfach so etwas schreiben wie: „Dorset, England, 1994“. Mag sein, dass das ginge – aber es beschriebe nicht das Gefühl. Anhaltspunkte für die Zeit der Handlung sind hier selten gesetzt. Man erschrickt, als Finney so unvermutet wie plötzlich das Wort „Glasnost“ über die Lippen kommt. Oder auch, als ein Ghettoblaster im Waschraum der Jungen dröhnt. Denn eigentlich ist „The Browning Version“ ein Anachronismus. (Wie Finney selbst. Sichtbar schon in der ersten Einstellung: Er sitzt ruhig auf der Bank und drei Schüler rennen an ihm vorbei). – Man kann das durchaus als Hinweis auf die Zeitlosigkeit des Dramas verstehen. (Zur Information: Terence Rattigans Einakter, die Filmvorlage, wurde 1948 uraufgeführt). Außerdem: Hindeutungen auf die Strukturen des menschlichen Zusammenlebens, auf Beziehungen finden sich wiederholt. Auf die Ehe etwa: Es wird angesprochen – im Scherz –, dass die schrecklichsten Dinge im Leben Umzug und Scheidung seien. Beides betrifft Finneys Crock.
Scheidung und Umzug? Also die Veränderungen im Leben, das Verschieben des zu Erwartenden, allzu Bekannten. Heroisch erscheint Finney dann, als er eine Einsicht wagt – als einer, dem ein Umschwung, vom Alter her und der festen Struktur, kaum zuzutrauen war. Entgegen Kafkas „Kleiner Fabel“: Hätte da die Maus nur die Laufrichtung geändert, sie wäre nicht weiter auf die Katze zu und damit in ihr Verderben hinein gelaufen. (Natürlich: Man ist dazu bisweilen einfach nicht in der Lage).
Die Vermutung des Lesers (also: potentiellen Zuschauers) liegt nahe, dass dies ohne Pathos nicht abgeht. Und ja, die Schauspieler sind hervorragend, ihre Gesten genau abgezeichnet (Matthew Modine als amerikanischer Austauschlehrer fällt da treffender weise etwas hinaus); die Musik Mark Ishams steigt bis zum Finale hin an – zuvor bisweilen unterstützend, dann in Feier für den Helden. Damit wird aber keine Probleme haben, wer das griechische Drama schätzt – und sich dergleichen (leise nun) in der Jetztzeit vorstellen kann.
In „The Browning Version“ ist ein menschliches Drama – nein, sogar: das Drama der Menschen gefasst: in seinem Eingehen in die Gesellschaft; mit vielleicht einem möglichen Ausgang. Das ist keine positivistische Sicht sondern eben die lehrhafte Andeutung einer Möglichkeit. k.
#27
Geschrieben 17. März 2004, 00:04
Das Leben nach dem Tod in Denver
Große Geschichten müssen einem beigebracht werden, anders sind sie nicht zu fassen: Jimmy the Saint (edler Anzug, edler Mensch: der Held) treibt durch die Story, stets begleitet von einem Erzähler und dem griechischem Chor, Menschen die letzte Worte/Weisheiten für ihre Hinterbliebenen auf Video bannen lassen: die eine Geschichte. Die andere - eine Einschüchterung eskaliert, die Verantwortlichen müssen büßen - bietet dem Film den dramatischen Aufhänger. Dessen Figuren heißen Easy Wind, Critical Bill und Pieces. Der der alles überschaut, nennt sich Der Mann mit dem Plan, der stille Killer der ihnen bald auf den Fersen ist, wird Mr. Shhh gerufen und von Steve Buscemi dargestellt, ohne den der Film nicht auskommen will. Karg, schlicht und einfach wäre das zu wünschen gewesen. Doch die Kamera - keine Ruhe, immer in Bewegung - tanzt und zappelt aufgeregt umher. Die Bilder, ausgeleuchtet das gesamte Cadre, schillern, blenden, Götzenbildern gleich. Die Figuren verschwinden bisweilen in Zwischenwelten, werden zu Konturen, zu Schatten. Alles & jeder eine Assoziation: So viele Geschichten, die der Film so selten tragen kann. Mord, Rache, Sühne. Heiland. Zuviel, zuviel.
(um 1998)
#28
Geschrieben 25. März 2004, 21:50
Angel Eyes
USA 2001
Luis Mandoki, Regie
Ihr wisst schon
#29
Geschrieben 25. März 2004, 21:59
Kika
Spanien 1993
Pedro Almodóvar, Regie
Can't tell
Ich weiß noch nicht so richtig. Eine zweite Sichtung ist bei diesem Film unausweichlich. Aber auf jeden Fall ein +
#30
Geschrieben 27. März 2004, 17:31
The Passion of Christ / Die Passion Christi
USA 2004
Mel Gibson, Regie
„Yeah! I’m going to hell!” /
„God damn me.“ Filter. – Das soll heißen, dass es mitunter ausgesprochen interessant ist, welche Musik einen – im Ohr – auf den Weg ins Kino begleitet.
Mitleidsnotiz (in front of „A Mel Gibson Film“). Oder: Einwürfe (in ein mögliches Gespräch), Angerissenes
„Im Kino gewesen. […]“ Franz Kafka.
Welch ein somatischer Film! Was da zu untersuchen wäre an Zuschauerreaktionen! (Ein Pärchen etwa, das plötzlich nicht mehr kuschelt und sich nicht mehr in den Arm nimmt, als der Film eine kurze Zeitlang läuft, eine Reihe weiter vorn; das Mädchen, rechts, das selten nur den linken Arm vom Gesicht wegbekommt oder beide Hände vom Mund; alle im Saal, wie sie – was niemals da gewesen ist – den ganzen Abspann aussitzen …)
„[…], und aus dem Kino in meiner Heimatstadt Shilington in Pennsylvania wurde die Kirche einer christlichen Sekte. Die neueren protestantischen Kirchen gehören tatsächlich zu den wenigen Interessenten, die sich für diese verlassenen Traumtheater noch finden, deren Geräumigkeit und elegante Dekoration einmal dazu gedacht war, eine religiöse Stimmung zu erzeugen.“ John Updike.
Weil es im Kino eben immer auch um so etwas wie „Kunst“ geht (und das regelrecht im Kampf, in der Bewegung) stellt Gibsons weihender, geweihter Film die Entweihung eines Tempels dar.
Die Inhalte der Bilder des Films sind an mittelalterlichen Illustrationen orientiert; wobei wir wissen, dass Godard seinen Film namens „Passion“ in Teblaus vivants nach Gemälden drehte. Man enthebt sich nie mit einem Film dem Kino selber. (Jacques Rivette schrieb einmal: „Weil man selbst nur Filme macht in Bezug auf die anderen Cineasten. Man macht keine Filme im Abstrakten. Man projiziert keine innere Vision, die man im Kopf hat, das gibt es nicht. So etwas ist falsch.“) Es gibt keine Enthebung, auch nicht für Gibsons Film (wenngleich uns das viele Medien im berichtenden Rausch um den Film wahrmachen wollen).
Non video.
„Das Kino ist nur zu oft die Kunst, Schwierigkeiten aus dem Weg aus dem Weg zu gehen.“ Jacques Rivette.
Es ist kompliziert … Es ist nur einfach gesprochen so, dass Gibson etwas für sich nimmt, das nicht das seine ist. Das Kino. Der Mythos. Die Kunst. – Auf jedes Wort ist hier zu achten, auch wenn der Film doch eigentlich schon vorbei ist. Der beginnt ohne seinen Titel (mit einer Einstellung vom Mond, wie sie verbrauchter nicht hätte können, aber gut, weiter im Text): Nach den diegetischen Zeichen und der Untertitelung sind die ersten Schriftzeichen, die erscheinen, die im Abspann. Zuerst: „Directed by Mel Gibson“ – er allein. Als nächstes teilt er sich den Credit für das Drehbuch mit einem anderen und den für die Produktion mit zweien. Ein Dreieck ist das, das eine Aussage trifft. – „The Passion of Christ“ ist „A Mel Gibson Film“ und „An Icon Production“.
Ein Versuch: Das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass es schwierig ist, wenn man einen Film über ein solches Sujet (die Passion Christi) machen will, sich nicht a priori bestimmte Fragen zu stellen; aber alles geschieht, als hätte Gibson es aus Inkohärenz, Dummheit oder Feigheit unterlassen, sie sich zu stellen. – Eigentlich ist das wieder Rivette. „Eigentlich“, denn ich habe ihn paraphrasiert. Lesen Sie nun seinen Text „Über die Niedertracht“ in diesem Sinne einmal weiter – Sie werden zu erstaunlichen Erkenntnissen kommen! – (Ich weiß wohl, dass ich mit dieser Paraphrase – im Hinblick auf das eigentliche Sujet von Rivettes Text: die Konzentrationslager – zu weit gegangen bin; aber Denken muss mitunter zu weit gehen, um zu Erkenntnissen gelangen zu können).
„Hierzu kommt, dass jemand, der leicht vom Affekt des Mitleid gerührt und durch das Leid oder die Tränen eines anderen bewegt wird, oft etwas tut, was er später bereut, sowohl weil wir im Affekt nie etwas tun, wovon wir gewiss wissen, dass es gut ist, als auch weil wir gar leicht durch falsche Tränen getäuscht werden. Ich spreche indessen hier ausdrücklich nur von dem Menschen, der nach der Leitung der Vernunft lebt. Denn wer weder durch die Vernunft noch durch Mitleid bewogen wird, anderen Hilfe zu leisten, der wird mit Recht ein Unmensch genannt, denn er scheint […] einem Menschen nicht mehr ähnlich zu sein.“ Benedict de Spinoza.
Bald jede Lektüre vom Mitleid passt auf diesen Film.
„[…] das Gefühl des Mitleids – ja dieses bezeichnet man geradezu als Menschlichkeit –, […]“ Laktanz.
Ich bitte die anderen Menschen nun, hierzu ganze Bücher zu schreiben. (Denn es fordert der Mensch, mit dem was er tut, im Guten manches Mal, die anderen zum Denken auf.)
– Vermerkt sei zum Abschluss noch –:
„Glücklich jene, die jetzt weinen, denn sie werden lachen.“ Nach Lukas.
„Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater in den Himmel preisen.“ /
„Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet.“ Nach Matthäus.
(Und „maybe“ – Deine Lakaien. – ist diese Arbeit ein work in progress). k.
inspired by Deep Red, Der Außenseiter & Melissa Auf der Maur.
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