to make a long story short
#31
Geschrieben 29. März 2004, 16:05
Django
Italien 1966
Sergio Corbucci, Regie
Einen Zettel an den Sarg geheftet.
Das ist hier keine wirklich einsame Welt: Sie muss erst dazu gemacht werden.
Der Film, um den es hier geht, handelt von einem Mann und von einem Paar, geschunden in einer Welt, die um sie herum in Blut und Boden geschossen wird. Das mag komisch klingen, wenn jetzt kommt, dass der Mann die eine Hälfte des Paares ist. Na ja, so ist das nun. Und es ist schon ganz schön Klasse von diesem Männer-morden-Männer-Western, dass er neben seinen Helden noch das Paar stellt.
Ikonen; Django, der Held, schleift einen Sarg hinter sich her – keiner weiß, was drin ist. Auf dem Sarg prangt ein Kreuz. Ein Revolverheld ist nichts ohne seine Hände. Ein Ohr kann man abschneiden, einen Säbel noch versuchen zu ziehen, nachdem man schon von mehreren Kugeln getroffen wurde. – Das ist schon verwunderlich, wie die Signifikanten hier gesetzt werden und wie seltsam sicher mit ihnen umgegangen wird. Das ist mit ein Anfang des Italo-Westerns (das schon auf diesen rekurriert: auf Leones Dollar-Filme) und der etabliert schon allein den grund für ein ganzes Genre.
Der Zuschauer baut mit an diesem Film. Da folgt auf eine wunderschön gerahmte Einstellung eines Blicks durch einen Hausdurchgang das Close-up einer Spagetti-Westernfresse, einfach hingeklatscht. Die Montage der Szenen, deren Zusammenstellung überhaupt, ist kaum zu fassen. Da muss sich im Kopf hernach einiges tun, um da noch was zu kitten. Showdown, Prügelei der Huren im Schlamm, Showdown, Showdown, Showdown. Und es gibt dazwischen nur ab und an ein karges Bild vom Schlamm um durchzuatmen. Genau das: Schlafen kann ich noch genug, wenn ich tot bin.
In dem Film ist die absolute Weltbereinigung. The bad shoot the helpless. Django shoots the bad. – In amerikanischen Western hätten dessen Helden versucht, den Hilflosen beizustehen (und wären meinetwegen dabei romantisch umgekommen). Hier wird bald jeder, wenn er nur ins Bild tritt, da gleich wieder (regelrecht) rausgemäht. Übrig bleibt nur der Staat und das demolierte Paar Adam & Eva. Die bleiben in diese Welt gezwungen, die ihnen sogar den Tod verwehrt.
Und was ist nun in dem Sarg? Dazu gibt’s nichts zu sagen. Da muss jeder Zuschauer wieder selber ran. Denn im Sarg ist drin, was im Kopf des Zuschauers sich drin befindet. Der McGuffin ist wandelbar. In Etappen vollzieht sich das. – In der Mitte des Films wird der Sarg geöffnet, kurz davor schon ist darüber alles klar. Aber dennoch geht die Geschichte weiter und mit dem Sarg dann geht ein Traum nach unten. (Es war der Traum, vom zusammen tot sein können.)
Unfertiges Stückwerk? Nein, man hat mir diesem Film wenigstens etwas zu tun. Und selten genug ist das so.
gez. k.
#32
Geschrieben 17. April 2004, 20:59
Dawn of the Dead
USA 2004
Zack Snyder, Regie
Von Thomas Bernhard den „Untergeher“ gekauft. – Im Kino gewesen. – Große Lust empfunden. – Die anderem im Saal widerlich gefunden. – Dämliche Idioten: Wenn eine/r nicht denkt, und wenn eine/r dazu nicht fühlt, was ist er dann, oder sie? – Aus dem Kino gekommen. – Die Abenddämmerung über Jena gesehn. – deftones gehört. – Gedacht, wie das wäre: Zwei Menschen sind auf einem kleinen Boot. Entweder er oder sie ist infiziert mit dem, was aus den Menschen Zombies macht; sie und er schneiden sich die Pulsadern auf und drücken die offenen Wunden aneinander; wie würde das weitergehn …? – Auf dem Unterarm eines Mädchens, dass gerade aus der Straßenbahn ausstieg, eine Telefonnummer entdeckt. – Daheim angekommen. – Aus dem fünften Stock über die Stadt geschaut.
#33
Geschrieben 29. April 2004, 09:03
Zitat
Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ ist ein Klassiker, und zwar ein unsichtbarer. Viele Filme, die auf ihn rekurrieren, aber er selber bleibt in Deutschland verboten. Was schwer (bis nicht) nachvollziehbar ist, denn die Beklemmung von TCM, ist eine, die im Kopf entsteht. Und weniger im Bild zu finden ist. Ein Blick auf uns selbst.
Zitat
In „Cannibal Holocaust“ wird ein medialer Diskurs geführt und mit Splatter und Snuff zusammengedacht/geschaltet. Es wird also einerseits etwas dargelegt, fast beigebracht, und andererseits geschieht dies auf ganz besondere Weise. Film des gerissenen Fleisches und Film des anschaulichen Denkens. – Seltsam aber wahr.
Zitat
… in „May“ von Lucky McKee
„Kleiner Tod“ ist eine romantische Formel für die Liebe. Die Aufgabe des Selbst ist aber nicht das Sujet dieses Films, sondern die Aneignung des Anderen. Das ist ein Akt des Ausdrucks von Selbstbewusstsein – dem von May, dem Mädchen mit dem trägen Auge.
Und außerdem: Madame Dubarry de Ernst Lubitsch.
#34
Geschrieben 02. Mai 2004, 21:18
Two Weeks Notice / Ein Chef zum Verlieben
USA 2002
Mark Lawrence, Regie
Verschleierte Rezeption durch ihre Haare, meine Gefühle (oder besser: Bewegung) und ihre Interessen hindurch. Doch, war schön
#35
Geschrieben 05. Mai 2004, 10:15
Last House on the Left / Mondo Brutale
USA 1972
Wes Craven, Regie
Last House on the Left – heute
Dank dir, N.
Wes Cravens Debüt „Last House on the Left“ ist wie im Fluss. D.h. dass seine Höhepunktstruktur nicht mehr als solche zu erkennen ist. Der Film beginnt mit einer nahezu grässlichen Idylle. Und über eine recht geschickte Parallelmontage (die Bild-/Ton-Montage ist sogar mehr als das, nämlich ein System) hält das „wahre Grauen“ Einzug in die Story. Man kann gar nicht wirklich affektiert werden vom Tod des Kindes, das im Vorbeigehen flugs erschossen wird, und ohne Grund. Denn das kann man gar nicht wirklich wahrnehmen. Man fragt sich: Hm? Wie & was war das denn?
Was seltsam ist und was in einem komischen Blick auf einen selber kulminiert: Dass auch die anderen Morde und die Vergewaltigung nicht gravierend aus diesem Fluss hervorstechen. Das hat ja (Montage, Zeichnung der Idylle) regelrecht eine Struktur der Zwangsläufigkeit – mit einer bald absurden Wende dann am Schluss. Viel lässt der Film zu: Letztendlich sogar die Suche nach der Schuld der beiden (im doppelten Wortsinn:) zugrunde gerichteten Mädchen an ihrem eigenen Schicksal. Das führt alles zueinander hin, etwa: Zwei Mädchen werden gebraucht, genau diese zwei Mädchen fragen den jungen Gangster nach Hasch – und werden von ihm aufs Zimmer mitgenommen … Oder: Ein peace sign wird verschenkt – und wird entdeckt … Ja: Der Plot selber ist amoralisch; der Name des Sub-Genres besagt es schon: Rape & Revenge.
Zum Schluss geht alles rasend schnell. Kaum sind Motivationen zu finden. Die ganze Absenz von Wertesystemen und Moralvorstellungen führt dazu, dass der Film so dermaßen aus der Welt ist (und immer mehr davongetragen wird). Das geht heute natürlich einher mit der besonderen Rezeption der Kleidung, der Frisuren und Inneneinrichtungen der frühen 70er-Jahre. Wie auch Sciencefiction-Filme aus dieser Zeit (aus jeder Zeit) nie allein in der Zukunft spielen, sondern immer auch in der Zeit, in der sie entstanden sind. Die Verweisstruktur ist zwangsläufig mehrdeutig.
– das sowieso. Denn angerissen wird in „Last House on the Left“ einiges. Starke Erinnerungsbilder etwa aus „Taxi Driver“ (1975) werden evoziert, oder aus den „Honeymoon Killers“ (1969). Das ist kein Horrorfilm. Das ist auch nicht wirklich ein Gangsterfilm. Das ist der Beginn des Terrorkinos (aber auch nur bedingt). Der Film ist letztendlich nicht anders zu nennen, als: ein kruder Bastard. Und nebenbei gesagt ist das gewiss kein schlechter Film.
#36
Geschrieben 10. Mai 2004, 21:24
Texas Chainsaw Massacre
USA 1974
Tobe Hooper, Regie
Veränderter Film. Zu TCM
Dem maX zum Dank
Der Film beginnt mit einer Landpartie. Die ist lustig, voller Übermut, und zeichenhaft. Nachdem auf diese Weise ein wenig Zeit verstrichen ist, gefüllt mit kleinen Verunsicherungen, passiert das folgende: Tür auf. Raus. Ein harter Schlag auf den Kopf. Reinschleifen. Tür zu.
Tobe Hoopers originaler „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) ist ein Klassiker, und zwar ein unsichtbarer. Viele Filme, die auf ihn rekurrieren, aber er selber bleibt in Deutschland verboten. Was kaum bis nicht nachvollziehbar ist, denn die Beklemmung von TCM ist eine, die im Kopf entsteht. Sie ist weniger im Bild zu finden, sondern zeigt sich im Blick auf uns selber.
Man merkt dem Film noch seine ursprüngliche, rohe Kraft an, aber wie er heute auf einen wirkt, das ist seltsam. Vielleicht kann man sagen, dass er wie eine Schablone, eine Formel erscheint. Diese wird nach heutigen Sehgewohnheiten und mit einer zeitgemäßen Medienkompetenz und -erfahrung erst als solche erkennbar. So alt ist der Film noch nicht, und dennoch gleicht er alten Fabeln, vielleicht griechischen Epen – also ursprünglichen Geschichten, auf die aufgebaut wird, die verfeinert werden. Die eigentliche Film-Erzählung bleibt so als (kultur oder rezeptions-)historisches Dokument auf der Strecke – zwar ein wichtiges Artefakt, aber nicht mehr in aller Frische und mit voller Wucht (hammergleich) auf uns treffend. Das ist das Schicksal des Revolutionären.
Aber solche „Ursprünge“ behalten auch weiterhin ihren Reiz, nur eben anders als zu ihrer Entstehungszeit. Etwa die Verfolgungsjagden in TCM: Diese, immer zu Fuß, sind als solche regelrecht realistisch. Die Montage macht da nichts erträglicher. Besonders eine, bei Nacht, dauert quälend lange: Die Heldin rennt, schreit, verheddert sich, stolpert – während der Verfolger die Jagd lustvoll zelebriert. (Nebenbei: Diese wird mit dem Finale noch überboten.) An ihnen zeigt sich auch, wie schlicht und einfach schlecht viele moderne Verfolgungen gemacht sind. Das also wird auch sichtbar, wenn man die „alte Schablone“ über neue Zustände legt.
Mit dem Filmschluss entkommen wir (erneut) mit einem Fahrzeug dem „Anderen“ – lädiert. Ein blutiges Gesicht, eine geschwungene Kettensäge – das aber inszeniert in einem Tanz vor der aufgehenden Sonne. Schlussbild und mit einem Jump-Cut in den Schwarzfilm. Das macht den Bruch, der, weil unauflösbar, sich festsetzt im Kopf.
Man sollte den Film sehen – und wenn es nur ist, um aus einem einzigen Film viel über das moderne Horrorkino zu lernen. Über das Kino überhaupt. Aus dem wunderschön grauenhaften TCM.
k.
(Muss sicher noch bissel drübergebügelt werden – ich bitte darum k.)
#37
Geschrieben 12. Mai 2004, 19:27
Madame Dubarry
D 1919
Ernst Lubitsch, Regie
Madame Dubarry ist ein Film, den man heute nicht mehr auf den ersten Blick mit Lubitsch zusammenbringen würde. Mit seinen Komödien ist er uns in Erinnerung geblieben und der Lubitsch-Touch passt wohl nicht zu einem Kostümfilm.
In dem vollzieht sich das Schicksal einer Frau, in den Wirren der französischen Revolution. Eine schlichte Kurve, nach dem Aufstieg kommt der Fall. An den Kurvenverlauf geheftet: die Geschichte(n) der Männer „an ihrer Seite“. Nein, man muss schreiben: der Männer neben ihr, nein sogar: der Männer um sie herum. Das ist tatsächlich ein Gesellschaftsfilm: in den Beziehungen der Figuren untereinander. Aus den verschiedenen Schichten kommen sie – und die Dubarry als Hauptfigur bewegt sich spielend, zwinkernd durch die Schichten und betört, infiziert alle Männer (gleich, welchen Standes) mit ihrer Blick und anderem Reizenden an sich. Sie wird von Pola Negri gespielt – deren Betrachtung lässt ihren Star-Appeal von einst kaum nachvollziehbar erscheinen.
Die Bewegung des Films teilt sich auch und erst recht über die Filmbilder mit. Ich habe den Film in falscher Abspielgeschwindigkeit gesehen, d.h. die Figuren und die Kamera bewegten sich ständig schneller als „Realzeit“. Aber das kann man sicher vernachlässigen und immer noch von einem reinen Bewegungsfluss sprechen. Der vermittelt sich direkt, man sitzt im Saal, nimmt alles wahr – aber in der Erinnerung sieht man sich nur bis kurz vor der Leinwand blicken – und Schatten beim sich bewegen zusehen. Das habe ich auch gemeint, als ich oben von „vollzogenem Schicksal“ sprach.
Madame Dubarry, ein reiner Filmflussfilm, dessen Bilder- und Erzählstrom sich am besten beschreiben lässt, indem man den Leser denken lässt, die Fahrt eines Fallbeils nach unten, das wäre der Weg zum Guten und der Weg das Ziel. Das Ende des Wegs ist demzufolge ein kleiner Schock. Doch zuvor: Genuss.
k.
#38
Geschrieben 15. Mai 2004, 16:18
May
USA 2002
Lucky McKee, Regie
Sie lieben dich nicht, wie ich dich liebe – „May“
Einem ihrer schönen Godardtexte hat Frieda Grafe das Folgende vorangestellt: „Kleiner Tod ist eine romantische Formel für die Liebe.“ Mit seinem Debütfilm „May“ scheint nun Lucky McKee diesen Spruch auf eigenwillige Weise verfilmt zu haben: als zutiefst romantischen Horrorfilm. Die Aufgabe des Selbst ist dabei das Sujet der ersten Filmhälfte, die Aneignung des Anderen das der zweiten.
Es geht um May. Als Mädchen mit dem trägen Auge, das die Mutter hinter einer riesigen Augenklappe zu verstecken sucht, wird sie von den anderen Kindern ausgeschlossen. Sie baut deshalb eine intensive Beziehung zu einer Puppe auf, die sie von ihren Eltern geschenkt bekommt. Aber sie darf diese nicht aus ihrem Glaskasten befreien, nicht herausnehmen und ihr nah sein. – Da kommt einem der Gedanke an Tennessee Williams zärtliche Kurzgeschichte „Glasporträt eines Mädchens“. Diese wird von ihrem Bruder erzählt (dessen Position wir implizierte Zuschauer in „May“ einnehmen), und dieser endet so: „Ich sehe dann den schwachen traurigen Glanz der vielen hundert transparent schimmernden Glasfigürchen mit ihren zarten Farben. Der Atem stockt mir, denn zwischen ihnen taucht das Gesicht meiner Schwester auf – die Nacht gehört ihr!“
Welch wundervolle Szene: Als May sich, erwachsen geworden, in einem Café eigenwillig Adams, der eingeschlafen ist, bemächtigt. Sie nimmt seine rechte Hand und führt sie an ihre Wange – geht darin auf. Adam, Fan der morbiden Filme Dario Argentos, ist es auch, der zuerst die Schönheit in May entdeckt – sich bald darauf aber auch mit ihrer Schattenseite konfrontiert sieht. Sie findet immer mehr – und vor allem durch ihn – zu sich selbst. Das heißt, sie akzeptiert die Sehnsüchte in sich und setzt ihren inneren Drang in der Außenwelt durch.
Das Auge ist ungleich verletzbarer als die Hand, die eine Verletzung erst möglich macht: durch Handhabung von Waffen, etwa einer Schere. Das Auge nimmt auf, die Hand teilt aus. In „May“ findet beides seinen Platz: große Zärtlichkeit und entäußerte Gewalt. Das hat auch damit zu tun, dass man das Schöne in der Welt – und am Menschen – besitzen möchte und gleichsam damit, dass es den perfekten Menschen eben nicht gibt. Der – jetzt als Objekt einer Liebe – wird jedoch aufgrund der eingebrachten Zuneigung des jeweiligen Liebessubjekts bisweilen als „perfekt“ angesehen. Weil „Liebe blind macht“. Solche Gedanken sind der Ausgangspunkt für einen Film, der sich überlegt, wie es denn wäre, wenn solche Zuneigung nicht erwidert würde – und die enttäuscht Begehrende dennoch ihr Verlangen nach dem perfekten Menschen stillte.
Es hat etwas von Jean-Paul Sartres Philosophie, dass May versucht, der anderen habhaft zu werden, indem sie diese negiert, sich aneignet, die äußere Welt sich einverleibt. Sie macht aus ihnen ein Objekt für sich und denkt sie weiter, arbeitet sie um. Bei Sartre aber ist das ein Prozess, der stets von neuem beginnt: Es gibt keine Versöhnung. Bei McKee jedoch findet May schließlich Ruhe. Das ist tatsächlich eine romantische Vorstellung, die der Film da gibt: Mellon collie and the infinite romance.
Auf sich selber zurückgeworfen beschließt der Betrachter „May“ mit einer sanften Umarmung. Dieser ist ein Memento mori für uns – und May gewidmet.
k.
#39
Geschrieben 26. Mai 2004, 08:48
Eternal Sunshine of the Spotless Mind
USA 2004
Michael Gondry, Regie
Stiftung Kasitest: Prädikat +
(Absicherung durch [weibliche] Zweitstimme: ebenfalls +)
#40
Geschrieben 09. Juni 2004, 20:29
Ins Kino gegangen, um Tarantinos Debüt anzuschauen. In der Straßenbahn setzt sich einer gegenüber hin und schlägt ein Buch von Hermann Hesse auf – „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Ausgestiegen inzwischen, führte der Weg über die neue Brücke, welche sie vertretungsweise neben der zu renovierenden alten über den Fluss geschlagen haben. Den Weg gehe ich so das erste Mal.
Tarantinos Film jedoch, leider, markiert keinen Anfang. Er fasst auswählend zusammen. So vielfältig sind die Bezüge. Eine Darlegung von Kinoerfahrungen, die reflektiert wurden und nun umgearbeitet sind: zu einem Film. Der ist von 92 und für mich, der Pulp Fiction zuerst gesehen hat, reicht der Bezug auch bis hin zum Cannes-Gewinner – in der Art wie Madsen hier die Cola trinkt (eben wie Jackson in Pulp Fiction die Sprite) & wie der Kofferraum geöffnet, dort hinein- und hinausgeblickt wird & …
Die Story geht so: Nach einem Bankraub finden sich, nacheinander, die an einem Juwelenraub beteiligten Gangster in einer Lagerhalle ein. Nach hinten wird dann die Geschichte aufgerollt, in Rückblenden setzt sich das Dilemma zusammen, vieles ging schief. Die Männer tragen Namen wie „Mr White“, denn persönliche Bezüge sollen und dürfen nicht hergestellt werden unter diesen professionals. Man beobachtet im Film, wie die Profis ihre Fassung verlieren. Die Kamera, unser Blick also, ist stets geschützt; man kann es sich vorstellen, als sei man unsichtbar in dieser Halle dabei, und durchlässig auch. Das hat etwas pervers Tragisches, was da und wie es geschieht.
Zweimal aber zieht die Kamera vom Ort der Gewalt weg und man begreift, dass man doch nicht der unsichtbare Ich-Erzähler sein darf, sondern personal von Tarantino geleitet wird. Das weg sehen hat nicht den Grund, den Zuschauer vor der Gewalt zu schonen (das Ergebnis der ersten Tat ist später deutlich sichtbar und das Ausblenden der zweiten erfüllt einen erzählerischen Zweck). In diesem Ich zeige/Ich zeige nicht wird Machtausübung deutlich.
Reservoir Dogs drängt sich auf. Im Kinosaal lässt sich etwas beobachten, ja regelrecht empirisch nachweisen: wie etwas gemeint ist im & mit dem Film. Ein wenig sind die Sitze im Kino ja angeordnet wie eine Klaviatur, und Tarantino nutzt es auch als Apparat, auf dem er spielen kann (einfache Melodien). Er läutet wie Pawlow die Glocke und im einen Moment wird gelacht und im anderen werden die Hände vors Gesicht geschlagen.
Der Film hat, deutlich weniger allerdings als die späteren Filme Tarantinos, einigen Hype abgekriegt. In ihm funktioniert die Postmoderne populistisch. Die Verweise, die der Regisseur zieht, sind vom Publikum nachvollziehbar. Es gibt eine gemeinsame Basis, etwa: „Like a virgin“ von Madonna, Gedanken über Trinkgelder. Reservoir Dogs, wie das gesamte Kino von QT, ist ein Gespräch von Filmemacher und Filmzuschauer; das verbindende Medium ist das Kino (genauer: die Leinwand, das Tonsystem & das Publikum).
Auf einer Party trifft man jemanden, der sich gut auskennt auf seinem Gebiet und der sein Interesse cool vermitteln kann (was auch heißt, dass die Liebe fehlt – zumindest noch in den Dogs). Man redet, er redet mehr, man versteht sich. Zu tieferen Erkenntnissen gelangt man dabei nicht – das weiß man –, aber ein Gefühl aufgefangen und verstanden worden zu sein, das bleibt – dann, wenn man die Party verlässt, nach draußen.
(2.6.04), k.
#41
Geschrieben 21. Juni 2004, 18:04
29. Mrz. 2004
Carrie
USA 1976
Brian De Palma, Regie
blood is sweat is tears
Die Musik schmeichelt, sie ist ein falscher Freund in Brian De Palmas „Carrie“. Sie wiegt zuerst – dann sticht sie zu. Sie ist sinnbildlich für das Vorgehen dieses fantastischen Films, für das Ausbreiten von Ruhe und den Ausbruch dann. Für den Gegensatz von Mutter & Mörder.
Der Weichzeichner macht fast alles weiß, bleich, mild. Aber die extremen Farben (ROT, BLAU, GELB) machen Aufruhr. Es sind Extreme in einem Film, der auch über die Pubertät geht. Gleich zu Anfang bekommt Carrie ihre erste Periode, unter der Dusche, nach dem Sport. Sie kann damit nicht umgehen und ihre plötzliche Angst wird von ihren Mitschülerinnen ausgenutzt. Carrie läuft bettelnd auf sie zu, nackt, die Arme ausgestreckt, die Hände offen. Die Mädchen drängen sie in die Dusche zurück, bewerfen sie mit Tampons und Binden. Carrie duckt und schützt sich mit den Armen. Panik ist das schon – diese Augen! Die Lehrerin kommt dazu, versucht das Mädchen zu beruhigen. Aber ein langsames Abschwellen der Angst (und der als solche wahrgenommenen Bedrohung) gibt es nicht, sondern deren Entladung: Die Glühbirne über ihnen birst.
Es geht dann um die Emanzipation von der Mutter. Die ist fanatisch christlich und das wirkt sich zwangsläufig auf die Erziehung, also auf Carrie aus. „Woman is weak!“ Die Monatsblutung sei Strafe, die Brüste werden „Kissen“ genannt. Und draußen ist die Welt, hinter den dunklen, schweren Vorhängen des alten Hauses. Diese tritt nun auf Carrie zu; eine Lehrerin sowie einige Schüler versuchen, sie in ihre Welt hineinzunehmen. Was anderen zuwider geht …
Die kaputte Lampe: das war Carrie. Sie ergründet ihre telekinetische Fähigkeit und lernt sie gezielt einzusetzen – als Befreiung auch von der vereinnahmenden Mutter. Ein Junge, ihr hat sein Gedicht im Unterricht gefallen, lädt sie zum Abschlussball ein. Sie willigt dann auch irgendwann ein und es wird … schön. Diese Freude und Entspannung, Erleichterung in ihren Augen! Den Kopf kann sie nun, anmutig entspannt, ein wenig zur Seite legen. Und die Kamera tanzt um ein tanzendes Paar.
Doch da sind nicht allein die Mächte des Guten am Werk. Ein Eimer voller Schweineblut ergießt sich über sie; eben noch zur Ballkönigen gekürt und ihrem Tommy um den Hals gefallen, dann der Menge ein grandioses (ebenso schüchternes) Lächeln gezeigt, hat Carries Blick nun – im Split-Screen – eine ganz und gar andere Ausstrahlung: Die Macht, in zwei Bildern gleichzeitig zu sein. Aber eben nicht einfach im Sinne einer Gleichzeitigkeit (zweier oder mehrerer Blicke auf einen), sondern in einem furious cause and fatal effect.
Die Dramaturgie, die schon inmitten des Films das Finale angefangen hat, beginnt sich zu überschlagen. Klingen! Bildnis! Höllenschlund! Für uns gilt nun zu schauen; aber das ist nichts, was man bedenken müsste – da ist ein Sog, der einen greift, der bannt und, ja, der mitreißt. Wohin? Hinab! – Die Musik im Abspann ist wieder ruhig und schmeichelnd. Es ist, nach all dem Verderben zuvor, die reine Perversion.
k.
#42
Geschrieben 11. Juli 2004, 10:36
The Exiles
USA, 1961
Kent MacKenzie, Regie
Nachts in der Stadt: der Lichttanz. The Exiles
Das ist poetisches Erforschungs- und Erfahrungskino, von Kent Mackenzie geschrieben, produziert und inszeniert. Dieser Text ist diesem Vergessenen gewidmet. Ausgangspunkt für „The Exiles“ war der 1956 noch an der USC von ihm realisierte Kurzdokumentarfilm „Bunker Hill“. Zwölf Stunden in Los Angeles umfasst der Spielfilm, die Geschichte(n) indianischer Einwohner in einer Nacht. Drei von ihnen haben eine innere Stimme. Sie kommentieren weniger das Geschehen auf der Leinwand, als dass sie ihre eigene Gesamtsituation reflektieren: Wie sie nach Bunker Hill kamen. Wie es daheim war und hier nun ist. Yvonne berichtet: „I haven’t started drinking and hang around main streets, yet.“
Der Film ist selten – wer ihn sehen kann, soll das tun. In Thom Andersens in München gezeigter reflektierter Filmbilderkompilation „Los Angeles plays itself“ firmiert er prominent; darum hat man auch den Film von ’61 für zwei Vorstellungen aufs Filmfest geholt. „The Exiles“ und Los Angeles: Die Ansichten des Films sind Einsichten über die Stadt.
Blues & Rock’n’roll werden gespielt, auch indianische tunes. Selten gibt es Off-Musik. Aber die aus dem Bild kommt, die ist Klasse. Zu rhythmisierendem Musikeinsatz schwingt der Film sich selten auf. Doch wenn er das einmal tut, ist da Zauber. Es ist so elend, so verbraucht, dabei von der Musik des Lebens zu sprechen, aber genau die ist es.
Die Bilder. – Im Amerikanischen würde man es so ausdrücken: awesome – ehrfürchtig sitzt man vor der Leinwand, benommen fast, dennoch zieht es einen genau da hin. Jedes Photogramm fungiert gleichsam als Bilddokument. Das ist die Kunst, die Dinge einzufangen, wie sie sind – jedenfalls hat man das Gefühl, es wäre so. Alle Einstellungen sind exakt komponiert, und schön zudem.
Die soziale Situation der jungen Indianer und das Gesellschaftliche der Zeit von Rock’n’rebellion sind bezeichnend in „The Exiles“ eingegangen. Dem schulden sich Schlägereien. Eine kurz vor Schluss. Dabei wird klar: Bewegung im Kino ist eine Farbe auf der anderen wandernd. Das Geschehen bleibt jedoch immer figurativ: Eben eine Schlägerei ist zu sehen.
Die „Exiles“-Leinwand ist von Grund auf schwarz. Nur vereinzelte Lichtpunkte, die sie illuminieren. Die Lichter der Großstadt, Fenster und Neon. Im Tunnel stieben, bei schneller Fahrt, Glutpartikel von der Zigarette weg. Ein Cop lässt selbstvergessen seinen Schlagstock kreisen. Aus der Distanz beobachtet vermischt sich dieses Bewegungsspiel mit dem Licht, dass auf den Knüppel fällt – das erst recht tanzt. Es gibt Filme, da hätten sie daraus ein szenisches Highlight gemacht. Hier wirkt es wie nebenbei von der Kamera eingefangen. Wie auch die blinkenden Glöckchen, die an den Knien der tanzenden Männer festgemacht sind. Ein Fest wird da gefeiert, über der Stadt und bis ins Morgengrauen hinein.
Die Stadt erwacht, die Menschen gehen schlafen. Eine steht auf. Sie zeichnet sich gegen leuchtende Wolken am Himmel ab. In leichter Untersicht ist das gefilmt. Wie etwa bei Eisenstein, oder wie ich es zuletzt gesehen habe in Jean Vigos „L’Atalante“ …
“I just want my kicks”, sagt Tommy. “The Exiles” ist unserer. Film-beat-poetry.
k.
#43
Geschrieben 18. September 2004, 06:17
Svend Noldan war Oliver Lammerts Großvater. Das ist der Ausgangspunkt für einen Film. Noldan war Avantgardist, dann Kulturfilmer, schließlich beim Olympiafilm von 1936 Kamera- und Effektmann in Diensten Leni Riefenstahls.
Das sind Koordinaten, die eine Richtung angeben: hin zur filmischen Avantgarde der Zwanzigerjahre. Inmitten dieser Künstler fanden sich viele, die später zum Kulturfilm wechseln und diese Arbeit auch im 3. Reich fortführen würden. Unter dem Begriff des „Kulturfilms“ wurde zwischen den Kriegen das subsumiert, was sich vom Kientopp abheben sollte: Lehrfilme, Werbe- und Industriefilme, aber auch Spielfilme mit nationalem Anspruch wie Fritz Langs „Nibelungen“. Leni Riefenstahl machte sich die künstlerischen Talente, die technische Erfindungskraft dieser Filmer zu Eigen. Sie begründeten eine Ästhetik, deren Einfluss bis heute reicht: von der Sportberichterstattung im Fernsehen zur Ambivalenz der Band Rammstein. Vom „Schön-bösen“ einer Regisseurin, die für Hitler Propaganda machte, hin zu deren Verehrung in der Gothik-Szene. Fließend sind die Übergänge und wachsam ist der Hirschkäferfilm.
Und der Hirschkäfer? Der ist vielfacher Darsteller in Nazikulturfilmen, symbolisch belastet und noch heute auf Plattencovern des Dark Wave zu finden.
Aus einem reichen Fundus an Material können die Regisseure Madeleine Dewald und Oliver Lammert schöpfen: Besuche von Schauplätzen und Expertengespräche; ein erstaunliches Reservoir alten Filmmaterials; Computeranimationen, Avantgardefilmfetzen; Käferzitate aus der Literatur, von Kafka oder Wilhelm Busch. Schließlich weben die beiden noch ihre eigene Arbeit am Film in den Film ein. Das weist über den Begriff, den wir uns vom Dokumentarfilm machen, hinaus.
„Vom Hirschkäfer zum Hakenkreuz“: Schon der Titel ist so reich. „Vom/zum“ – das sind Gedankensprünge. Die Filmemacher haben sich dafür ein Instrument erfunden: den Historionauten. Diese vorurteilsfreie Maschine stellt Zusammenhänge her, wo man zunächst keine vermuten würde. Der „Hirschkäfer“ ist ein Essayfilm. In ihm manifestieren sich Gedankensprünge als Montagesprünge. Die freie Assoziation, dieses „zum Denken anregen“ lässt in den Köpfen der Zuschauer gewissermaßen eine Unzahl von Filmen entstehen.
Es gibt hier einen Moment, da wird man leise schmunzeln: „Anuftalmus hitleri ist ein winzig kleiner, brauner und blinder Höhlenkäfer.“ Und einen anderen, da wird man aufmerksam – auf das, was Leni Riefenstahl gerade gesagt hat: Sie hätte es sich aufgeschrieben und komme auf nur 6 Monate, die sie für das Dritte Reich gearbeitet habe. Da meldet der Historionaut: „Es ist der Fehler 11 aufgetreten!“ So wird man auch für Arbeitsweise des Films sensibilisiert.
An diesem Punkt kommt mir der Gedanke, dass auch der „Hirschkäfer“ etwas von einem Lehrfilm hat. Er legt Täuschtaktiken bloß. Dazu braucht es wenig mehr als den Täuschern aufs Maul zu schauen. Wie bei der Riefenstahl und dem „Fehler 11“. Oder dem versuchten Heraus-, doch noch immer Ideologiereden des Musikproduzenten Josef Maria Klumb, das kurz von einem Bild vom Kampf in der Natur, von einem Über- und einem Unterlegenen begleitet wird. Das weist auf den Anfang des Films zurück, als dieser einen Kulturfilm buchstäblich durchschaute. Da war die Rede eines freundlich klingenden Professors davon, dass wir alle in einem ständigen Kampf leben würden. Und Kampf, das sei die Vernichtung des Schwächeren. Anders würde alles Leben an seiner eigenen Schwäche zugrunde gehen. – Das wird nun wieder wachgerufen, als im schwarzweißen Bild ein Insekt über das andere triumphiert, es fortschleppt, und als Klumb sagt: „Aber Berührung heißt nicht, dass da die große Verschwörung herrscht, weil man ist sich uneinig, überall, ja, im Gebiet der Geächteten herrscht keine Einigkeit.“
Es wäre jedoch unzulässig, Lammert und Dewald die eine gesicherte Wahrnehmung, Verarbeitung und Darstellung der Gegenstände zuzusprechen. Selbst scheinbare Instanzen bedürfen ständiger Auseinandersetzung und Untersuchung. Der Essay hält eine Denkbewegung fest; er ist Versuch und Inspiration. Diese 900 Meter Zelluloid regen das Subjekt an. Ich habe den Hirschkäferfilm jetzt zweimal gesehen. Ich werde ihn noch oft sehen. Er spinnt sich fort in meinem Kopf und aus ihm hinaus. k.
Zur DVD-Veröffentlichung –
Im Hinblick auf das Assoziative des Films bietet das DVD-Format für den Nutzer erhebliche Vorteile. Man kann ihn zerlegen und selber neu zusammensetzen. Kann ihn mit dem Bonusmaterial koppeln, welches sich zahlreich auf dem Datenträger findet: (sehr kurze) Essays, Pressenotizen, Internetlinks. Die Möglichkeit, sich ein Programm zu gestalten, besteht aufgrund der Beigabe des Films „Das Erbe der Bilder“. Es ist der Ursprung der Trilogie, dessen Ende nun der „Hirschkäfer“ bildet. (Dazwischen entstand eine interaktive CD-Rom mit gleichem Titel.) Das „Erbe“ ist jenes Svend Noldans. Schon dieser erste Film wurde durch ihn angeregt. Eine Recherche, die in der persönlichen Bestimmung aufgeht, wer der Großvater war, oder besser: wer er gewesen sein könnte. Und was das heute für wen ausmacht. – Die formale und technische Qualität der Edition ist hervorragend.
#44
Geschrieben 01. November 2004, 17:01
Zur Politik der Marx-Brothers
Mit diesem Film sind die Marx’ das erste Mal bei MGM. Vorher, bei Paramount unter Vertrag, hatten sie mehr kreative Freiheiten. Ihre Filme mussten keine Handlung haben. A Night at the Opera hat eine: Zwei Tenöre, eine schöne Frau, drei Marx’. Der erste Tenor soll in die USA importiert werden, an die New Yorker Oper. Der zweite hätte es aber viel mehr verdient – umso mehr, als er zusammen mit seiner geliebten Sängerin den Weg von Mailand in die neue Welt antreten könnte. Doch der andere soll mit ihr fahren.
Der große Reisekoffer von Groucho bietet dem jungen Mann schließlich noch die Möglichkeit, mit aufs Schiff zu kommen (und die bietet er auch Chico und Harpo). Das ist eine großartige Szene: Grad so passt Groucho mit seinem Koffer in die mickrige Kabine; als er ihn öffnet sind sie schon zu viert drin. Diverses Personal kommt hinzu, für diverse Aufgaben. Keiner wundert sich über die Fülle an Menschen in dem kleinen Raum, jeder der kommt, tritt ein. Das ist ein Grundprinzip der Marx’schen Komik, welches hier, im Handlungs- und somit Sinnzusammenhang, mehr als in der Anarchie zuvor, zum Tragen kommt: Wen wundert’s?
Die Handlung ist ein System, aus dem man ausbrechen kann. Genau wie die gesellschaftlichen Situationen, die Groucho auf den Kopf stellt. So nimmt er etwa, am Anfang des Films, ein Treffen mit einer Dame „wahr“, indem er mit dem Rücken zu ihr – und mit einer jüngeren, einer Blonden – zu Abend ist, und erst mit der älteren in Kontakt kommt, als diese ihn aufrufen lässt. Ihre sprachlichen Einwendungen gegen sein Verhalten nimmt er ebenso sprachlich auseinander. Das sind Freiheiten, von denen nicht genau gesagt werden kann, ob man sie sich nehmen darf. Groucho nimmt sie sich – und liefert so einen Gegenbeweis (nach dem niemand verlangte) zu normativem Nachdenken über diese Situation. Das ist sein erster Auftritt. Das jeweilige Erscheinen von Harpo und Chico ist ebenso charakteristisch für ihre Charaktere. Das ist keine Tautologie. Die Marx’ sind sie selber. Chico – er machte den Deal mit MGM – handelt hier mit Groucho einen Vertrag aus. Die beiden nehmen sich dabei alle Freiheiten. Das sei Un-Recht? Keiner hindert sie; und sie kommen überein.
Die drei haben also alle Freiheit der Welt. Die, über die Gesellschaft und ihre Normen zu verfügen. Oder über die Zeit: Es gibt immer wieder Sequenzen, die ausgespielt sind, die bis an die Grenze gehen – und damit über die Grenzen der Hollywoodkonvention hinaus. Wenn also nach einer Solonummer von Chico (am Klavier, während der Überfahrt, unter den einfachen, heiteren Leuten) Harpo noch eine anschließt – so what? Und über den Raum. So in Grouchos Kabine: Es wird enger und enger; bald scheint nichts mehr zu gehen. Da kommt jemand und öffnet die Tür … So sind wir bei der „letzten Freiheit“, der Freiheit der Wünsche. Da treffen sich die Brüder mit dem Kino selber. Wie die Apparatur setzten sie hier ihre Wünsche für andere durch.
Bald immer in diesem Film hat die Kamera ihren festen Standpunkt. Gewissermaßen: Sie schaut, was sich vor ihr abspielt. Wie der Zuschauer im Theater, in der Oper. Doch das Kino hat die Freiheit der Montage. Während also der Zuschauer im Saal nur auf den festen Rahmen der Bühne schauen kann, da kann das Kino alle Rahmen sprengen – und die Leute im Kino verfolgen das mit.
Mit der Kajütensequenz wird somit ein Vorgeschmack aufs Finale des Films gegeben. Letzteres verwandelt die Opernbühne in ein Piratenschiff: Sie ist offen und kann von allen Seiten attackiert werden. So ist auch A Night at the Opera ein offenes Kunstwerk, eine selbstgestaltete und dennoch (mit)teilbare Welt. Das ist die Liebe zu den meisten ihrer Zuschauer und das ist die Freiheit der Marx’.
#45
Geschrieben 14. Februar 2005, 18:57
#46
Geschrieben 26. Februar 2005, 13:57
#47
Geschrieben 10. April 2005, 23:23
Ich war wahnsinnig enttäuscht, als ich den Film damals im Kino sah. Jetzt, als lockere Ablenkung gedacht und ebenso „locker“ betrachtet, eröffnen sich Zugangswege. Ich habe die Idee, bei einer dritten Sichtung könnte ich den ganz groß finden.
Kann ich Anarchie nennen, was mich diesmal – etwas – infiziert/fasziniert hat? Ein wenig hab ich dieses Gefühl der Gewolltheit noch im Kopf, dass ich im Kino hatte. Damit meine ich jetzt nicht so sehr etwa die erweiterte Präsenz von Frank, dem Mops (aber klar, dieses Kalkül nervt auch), sondern eher diese Art Nummernrevue, die da abgezogen wird. Wie Tommy Lee Jones, der noch mal in der Bude der worm guys reinkommt, mit schiefem Kopf, denn die Decke ist niedrig (er macht drauf aufmerksam, in der zweiten Reihe geparkt zu haben), Rosario Dawson, die kurz darauf mit den guys schon Twister spielt (natürlich, ohne Wirbelsäule können die das auch prima!) …: das Absurde. Der Film ist voll von solchen Momenten. Und zu denen habe ich nun eine Zuneigung entwickelt. Ein wenig trifft diese auch auf die tragischen Momente: Dawson, nach dem Alien-killt-Alien-Mord am Anfang, hockt traurig (und mehr) in einer Ecke der Küche, die Kamera zieht den Blick hoch und findet ein großes Dachfenster und darin das Bild von Nacht und Regen. Später – und damit stellt er dieser Szene überraschend in einen neuen Kontext – weiß Jones davon, dass es immer regnet, wenn sie traurig ist, ja, er weist sie darauf hin, dass da ein Zusammenhang besteht. Letzterer Mythos nimmt ersterem Bild aber nichts, was wichtig ist.
#48
Geschrieben 19. Juni 2005, 22:28
Magisch: Ich wusste gar nicht, dass dort Baustelle ist. Darum, mit dem Bus heim von Batman Begins, stoppte dieser vor der roten Ampel. Mein Blick wandert umher und findet plötzlich in einem Fenster des ersten Stocks, gelbe Hauswand, magisch angestrahlt, eine Katze zwischen Blumenblüten und hinter einem kleinen Geländer, wie sie, kätzchenhaft, interessiert umherschaut (aber den Bus nicht sieht). Ein Hauch von Montmartre (sagt man da wohl).
#49
Geschrieben 06. Oktober 2005, 18:26
CDN/F/USA 2005
George A. Romero, Regie
Nachdem Peter Körte in der FAS gerade die Frage nicht beantwortet hat, warum er es nicht haben mag, dass die (film- oder werkhistorische) Evolution der Zombies einen abermals höheren Grad von Sprache und Sozialem erreicht, beendet er seine Kritik folgendermaßen:
Zitat
Solche Wahrnehmungseffekte sind großartig und gleichsam erhaben und schön. Nur die schlechtesten Filme lösen sie nicht aus. Vielleicht kann man es (in Ermangelung von Begriffen) den "Charaktereindruck" eines Films nennen, und es meinetwegen dialektisch formulieren als: den Charakter, der dem Film eingeprägt ist, sein "Wesen" oder besser: sein (Wirk-)Potenzial; den Eindruck, den dieser wiederum im je speziellen Zuschauer hinterlässt; jener geht schließlich aus dem Saal und die Impression wirkt nach, da sie die Wahrnehmung vorgeprägt hat. Den Weg aus dem Kino heraus muss sich dieser Eindruck erst einmal erhalten und bewähren, und wenn man dann in die Stadt hinaustritt (und bald immer ist es eine Stadt) und sich darin bewegt, sieht man, welche Brille man gerade aufgesetzt bekommen hat.
Es sind die verschiedenartigsten Filme, die dergleichen auslösen. Western sind ein recht kanonisiertes Beispiel dafür (aber so einfach ist es nicht). Was mich angeht, haben Filme wie Sunset Boulevard oder The Night of the Hunter eine unglaubliche Wirkung gehabt. In den glücklichsten Fällen bekommt man die Brille den ganzen restlichen Tag nicht abgesetzt. Man mag dann auf die Nacht und den Schlaf hin schon langsam wehmütig werden, aber oft genug bleibt fürs restliche Leben jeweils ein Säckchen Erinnerung ... - Mag ich bildlich ins Mittelalter gehen und sagen, dass seien diese überraschend kleinen Beutel, in denen die ganze materielle Existenz von jemandem stecken kann; darum ist der Beutelschneider so eine Gefahr und die Verzweiflung so groß und existenziell, wenn der Beutel abgeschnitten wurde. Mag ich das noch um einen magischen Aspekt jener Zeit erweitern, um das Bild, wenn der Beutel, gleich einer Brotzeit, auf einem Baumstumpf inmitten einer Lichtung geöffnet und ausgebreitet wird (sind ja nichts anderes als Lappen, die mit einem Strick verschlossen gehalten werden). Und als wäre darin so eine Art Goldstaub, Feenstaub, dieser verströmte plötzlich sein Aroma, glitzerte auseinander, füllte einen Raum. Das ist jedenfalls das Bild, welches ich in den Kopf bekomme, wenn ich meine, ich müsste diesen Effekt, weil er gerade aufgeschrieben wird, auf den Begriff bringen.
Bleibt zu erwähnen, dass sich diese Werte wieder einsammeln und einschließen lassen. Und soweit ich das bis jetzt überschaue, verbrauchen sie sich von selbst kein Stück (Demolagen von außerhalb freilich ...). - (Ich will das hier nicht mit anderen Erlebnissen vergleichen, einem Konzert etwa, oder gar einem ersten Treffen mit einem Menschen, sondern nur darauf hinweisen und für mich festhalten, dass es auch das gibt.)
Aber ich hatte mit Körte angefangen. - Ganz zweifellos haben die angesprochenen Nach-Bilder einen ganz spezifischen touch, und ganz bestimmt ähneln sie sich von Zombiefilm zu Zombiefilm. Besonders geschärft wird in der Tat die Stadtwahrnehmung selbst. Es scheint mir dieser Aspekt, den die besagte Brille nun fokussiert: aufragende Gebäude, stoppende und anfahrende Straßenbahnen, stehende/sich bewegende Menschen innerhalb dieser Stadt. 1.) ist mir das so gegangen, 2.) sind das alles Dinge, Motive, die in den Zombiefilmen eine besondere Gewichtung bekommen, 3.) erklärt sich der vorliegende Effekt sicher auch nicht so einfach und automatisch.
Die Kritik spricht eine besondere, ausgesprochen individuelle Erfahrung an. In zwei Sätzen lässt sich das Phänomen recht schlecht erklären, und ein bestimmtes Versprechen gibt dieser Schluss, das kaum einzulösen sein wird. Stattdessen hätte ich gern die Antwort gehört, warum ...
*
Noch etwas: Dieser 'publizistische Witz', dass es Romeros Night of the Living Dead doch bis ins Museum of Modern Art "gebracht hat" (Körte), funktioniert auch nur mit einigen Einschränkungen. Als ich diese Anekdote seinerzeit das erste Mal las, hab ich mich über diesen Sachverhalt tatsächlich gefreut. Das wird daran gelegen haben, dass man froh ist, wenn einem - wie hier bei der Verteidigung eigener "obskurer" Interessen - jemand beisteht.
Seither bin ich regelmäßig auf immer die gleiche - kurze - Geschichte gestoßen. Dass aber allein dieses Faktum schon von Bedeutung sei, ist ein Trugschluss. Der Fakt der Aufnahme sagt gar nichts (nicht viel). Er mag ein Zugang sein, Entree in einen Raum, der Auseinandersetzung (andere, anders) ermöglicht. Aber er garantiert diese nicht zwangsläufig. Die Konfrontation mit dem Film ist sogar im Fall von Texten zu Night fast immer mit dem insistierenden Verweis auf die MOMA-Aufnahme sogleich wieder beendet. Die so praktizierte Heiligsprechung des nun (in beiderlei Sinn) unangreifbaren Films ist der Absch(l)uss einer kritisch-analytischen Auseinandersetzung. Die Wahrnehmung eines 'ehrfürchtig stimmenden, nahezu einmaligen Erfolgs' scheint sich darauf zu gründen, dass der Film in ein Reich aufsteigt, in welchem er 'schließlich doch' eine Aura zugesprochen bekommt (er bekommt, so geht die Engelmetapher, "seine Flügel verliehen"). Dabei ist es von dieser (Tempel-)Schwelle zu weiteren Erkenntnissen bloß ein Schritt.
#50
Geschrieben 08. Oktober 2005, 00:18
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