"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs."
#1
Geschrieben 10. Januar 2004, 17:08
Und anfangen tu ich gleich mit 'nem Burner:
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#2
Geschrieben 10. Januar 2004, 17:34
USA, 1971, Regie: Stan Brakhage
"The Act of Seeing with One's Own Eyes" dürfte das direkte Gegenstück zu Brakhages '62er Werk "Window Water Baby Moving" sein. Dokumentierte er damals noch das Wunder der Geburt seines ersten Kindes mit seiner Kamera, und fing damit die Entstehung des Lebens ein, widmet sich Brakhage hier einem der klassischen Tabus, gar nicht mal der Filmwelt, sondern der Gesellschaft an sich: Dem Tod.
Wie immer bei Brakhage bleibt das Gefilmte aufgrund des Fehlens jeglichen Tons unkommentiert und direkt. Brakhage filmt seinen Dokumentarfilm über mehrere reale Autopsien auf eine sehr ehrliche und wahre Weise. Brakhage lügt uns nicht an, er sucht gar nicht erst nach der Schönheit im Tod, so wie es die Splatterfilmer tun, sondern konfrontiert den Zuschauer mit all der plumpen Hässlichkeit, die uns beim Entweichen unserer Lebenskraft befällt. In Szenen, in denen uns Brakhage zwingt, dabei zuzusehen, wie die Ärzte die Schädeldecke aufsägen, den Brustkorb aufschneiden, oder die gesammelten Innereien wegschaffen, scheint sich der elendige Geruch des Todes über den Bildschirm zu uns aufzudrängen. Die Kamera, die pausenlos das leblose Fleisch abfilmt, ist immer dokumentarisch-wackelig, hin und wieder unscharf, und auch mal ganz gerne orientierungslos zwischen all den befremdlichen Vorgängen. Brakhage klebt mit seiner Kamera fast an den aufgesägten Körperteilen, nimmt die Leiche fast nie als Ganzes auf. Der Höhepunkt ist eine Szene, in der eine unbemerkte Fliege über den Zeh eines Verstorbenen krabbelt, und nur Brakhage anscheinend Notiz von dem Tier nimmt. Die Ärzte nimmt die Kamera praktisch gar nicht wahr. Das Lebendige verkommt zu einem Statist in Brakhages Todesfilm.
Nach einer halben Stunde erlöst uns die Titelkarte "by Brakhage" von den Vorgängen der Autopsie. Und obwohl man nur einen Film gesehen hat, ist man um eine Erfahrung weiter. Der Filmemacher Brakhage hat uns dazu aufgefordert, klar, ehrlich und unsentimental dem Hokuspokus vom Tod, dem Mystizismus von totem Fleisch zu begegnen, und es als etwas völlig banales, wenn auch emotional berührendes in uns aufzunehmen.
9/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#3
Geschrieben 12. Januar 2004, 19:35
Südkorea, 2002, Regie: Kang Hyeon-Il
Ja, unsere Welt ist schlecht. Ohne Liebe, voller Hass. Und unsere Welt richtet sich früher oder später selber zu Grunde. Und ja, wir sind alle daran Schuld. Wir alle. Das zumindest scheint die Grundaussage von Kang Hyeon-Ils Debütfilm "Mago" zu sein. Also letzten Endes nichts, was wir noch nicht gewusst hätten. "Mago" ist so pathetisch und falsch wie ein Straßenprediger. Kaum fängt das selbstgefällige koreanische Kunstfilmchen an, wünscht man sich inständig, dass es bald aufhören solle. Und obwohl "Mago" nur knapp 80 Minuten dauert, ist die Reise zum Nachspann schmerzlich lang. Derart schmerzlich lang, dass man vermutlich vor jedem Gericht der Welt Schadenseratz bei dem Regisseur für die verlorenen 80 Minuten seines Lebens zugesprochen bekommen würde.
Warum geht's denn bei "Mago"? Die Welt, so wie wir sie kennen, ist scheiße. Früher war alles viel geiler, da gab's die Mago. Das war die Mutter der Erde. Wie jede gute Mutter hatte Mago auch 'nen Ehemann. Der ist nun als Computerheini in unserer Welt wiedergeboren und sitzt in einem pseudo-futuristischen Pappmaché-Setdesign, das vermutlich aus den Überbleibseln der "Power Rangers"-Kulissen zusammengebastelt wurden. Und da hängt er vor einem Notebook, bewinselt sein Dasein und redet wirres Zeug über Halluzinationen von 12 weiblichen Erdgeistern, die wohl früher mal alle als Mago zusammen in einem Körper herumhingen. Und nun sterben diese 12 Geisterchen dahin. Schade.
Auf Dialoge wird zumeist verzichtet. In "Mago" gibt's, dem künstlerischen Anspruch entsprechend, fast nur Monologe serviert. Doch die Sätze, die diese Laienschauspieler hier aufsagen, sind wahrlich jenseits von Gut und Böse. Die "Dialoge" klingen so, als wären sie von dem Praktikant des Regisseurs aus der Johannesoffenbarung und irgendwelchen hanebüchenen Bauernphilosophieschwarten zusammengestrichen worden. Diese unerträglich nichts sagenden, und dennoch pathetisch verkapselten Worthülsen beeindrucken nicht, sondern fördern unangenehmen Brechreiz beim Zuschauer. Ach ja, wenn mal nicht irgendwer aus dem Off in den Film reinfaselt, dann hören wir lästige, koreanische Popmusik, die in ihrer stilistischen Qualität auch aus italienischen Pornos aus der Pre-Intimrasur-als-öästhetisch-befinden-Zeit kommen könnten.
Na gut, man könnte ja den Ton herunterdrehen, aber dann bleiben ja noch diese Bilder. Die sind selbstverständlich ganz doll stilisiert, ganz hip ausgeleuchtet und unbeschreiblich schick verfremdet. Mit anderen Worten, der Regisseur hat die Anleitung seiner Digitalkamera brav gelesen, und wusste, wann er welchen Knopf drücken musste. Zu Anfang wird die Gegenwart als seelenlos, kalte Technowelt abgefilmt. In der Mitte dürfen wir den 12 Erdgeisternixen zuschauen, wie sie in der unberührten Natur herumtollen, tanzen, kichern und sich an der reinen Welt erquicken. Und damit dieses kitschige Weichzeichnergeschmiere auch nicht langweilig wird, und der Film der krassen, kontroversen Kunstfilm-Attitüde gerecht wird, lässt Regisseur Kang seine 12 Darstellerinnen einfach nackt zwischen den grünen Feldern herumhüpfen. "Mago" endet dann mit einem optischen Fiasko, wenn der Film in all jenen Verbrechen der Menschheit gipfelt: Wenn wir mit ansehen müssen, wie eine Kaiserschnittgeburt vor sich geht, wie Fleisch gegessen wird, und wie die Natur der Technologie weicht, dann ist dies der ätzendste, überflüssigste "erhobene Zeigefinger" seit der primitiven Lehrfilme in der Grundschule.
Der finale Clou des Films ist, dass im Laufe der 80 Minuten "Mago" 825 nackte Koreaner vor der Kamera herumlaufen. Deswegen hat ihn die koreanische Filmbewertungsbehörde ab 18 eingestuft. Ein programmierter Skandal, denn inhaltlich ist die plakative Nacktheit der Menschen nicht zwingend notwendig, sondern ist schlicht eine dümmliche Provokation, so leer und nichtssagend wie der ganze restliche Film. "Mago" ist schlicht uninteressant, optisch, inhaltlich, formal eine gigantische Enttäuschung. Kunst ist etwas anderes, dies ist die widerlichste Form von pathetischem Möchtegern-Arthaus-Stoff ohne Substanz und Hintersinn.
1/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#4
Geschrieben 18. Januar 2004, 15:11
USA, 2003. Regie: Marcus Nispel
Allein der Verleihtitel ist schon ein Hohn: "Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre". Da fusionieren zwei Filmdekaden, die so widersprüchlich zueinander stehen, wie Tom zu Jerry, dass man das Schlimmste erwarten dürfte. War der '74er "Texas Chainsaw Massacre" von Tobe Hooper das Terrorkino-Referenzwerk schlechthin, und aufgrund seiner wilden, Kopfschmerz bereitenden Schnittweise schnell als Kunst erkennbar, so ist Michael Bay ein Garant für flache Hochglanzaction aus den Neunziger Jahren. In Bays Vorstrafenregister finden sich mehrere Attacken gegen den guten Geschmack: "Pearl Harbor", "Bad Boys II", um nur zwei zu nennen.
Doch so schlimm kommt es nicht, denn Mister Bay hat gnädigerweise den Regiestuhl geräumt, und nistete sich als Produzent in dem Projekt ein. Die Regie bekam Marcus Nispel übertragen, der zuvor besonders wegen seiner Musikvideos, als exemplarisch düsteres Beispiel sei Bushs "Greedy Fly" hier erwähnt, für Aufsehen sorgte, aber nie ein Engagement beim großen Hollywoodfilm bekam, oder dauerhaft ausführen konnte. Nispel hat glücklicherweise viel des dreckigen Sicko-Flairs aus dem Original herüberretten können, und so ist das neue "Texas Chainsaw Massacre" nicht wie befürchtet ein glattes "Blutgericht"-Update mit der Ästhetik eines Calvin-Klein-Werbespots, sondern wirklich ein kleiner, fieser, aggressiver Horrorfilm geworden.
Die Urstory ist beim Kettensägenmassaker des neuen Jahrtausends leicht variiert worden: Die Anhalterin, die die bekifften Lynyrd-Skynyrd-Fans aufgabeln, ist diesmal kein Blutsbruder des Ober-Maniacs "Leatherface", sondern ein "Kettensägenmassaker"-Survivor. Als sie bemerkt, dass ihre Mitfahrgelegenheit direkt wieder zurück zu dem Ort des Terrors steuert, zaubert sie einen Revolver aus einem Versteck irgendwo zwischen ihren Schenkeln hervor, und schießt sich ohne zu zögern eine Kugel durch ihren Kopf. Die Kiddies versuchen verstört einen Sheriff in dem Kaff aufzutreiben. Doch die ältere Barfrau in der einzigen Kaschemme weit und breit schickt die beiden nicht zu einem Rendezvous mit den erhofften Freund und Helfer - Nein, an der alten Crawford Mühle erwartet sie das pure Grauen.
War die Familie aus dem Original schon ein gruseliges Sammelsurium, perfekte Kreuzungen aus texanischen Hinterwäldlern und entrückter Kannibalenmentalität, so wurde das männliche Quartett für das Remake um einige Frauen und ein Kind erweitert. Die labile, verwirrte Killerpsyche ist übernommen worden. Doch mehr als im Original steht hier "Leatherface" im Vordergrund. Im Original war Leatherface ein gleichberechtigter Killer, der dem Befehl des älteren Bruder unterstand. Es war bedrückend und erschreckend anzusehen, wie normal und selbstverständlich der bullige Menschenzerhächsler mit Menschenfleischmaske im Original von seinen Familienmitgliedern betrachtet wurde. Beim Remake wird er jedoch auch von seinen Angehörigen als Freak gedeutet.
Schlimmer noch: Im 2003er "Texas Chainsaw Massacre" bekommt Leatherface eine Geschichte. So wird aus Leatherface eine Person namens Thomas Hewitt. Tommy hatte 'ne schwere Kindheit, und wurde wegen seines "akne vulgaris"-Overkills in der Gesichtsgegend gehänselt. Daraus zieht der bullige Riese seine Konsequenzen, und zieht nun Nacht für Nacht mit seiner Kettensäge bewaffnet aus, auf der Suche nach Menschenfleisch, das er danach unter die Nähmaschine legen kann, um sich ein neues Gesichtsoutfit verpassen zu lassen. Leatherfaces kosmetische Verfahren werden in einer der dümmsten Szenen des Films erklärt: Kurz bevor er sich den schmucken Eric Balfour als Karnevalsmaske zusammenschneidert, zieht er sich seine Standardmaske vom Gesicht und offenbart sein wahres Gesicht. Auch wenn seine nasenlose Fratze grauenhaft und ekelig daherkommt, so wird sie nicht der noch abgründigeren Imagination des Zuschauers gerecht, der beim Original nur erahnen konnte, was für ein Wesen sich hinter der Maske verstecken würde. Leatherface bekommt hier einen Lebenslauf und ein Passfoto geschenkt. Mehr kann man einen Serienkillermythos kaum mehr entmystifizieren.
Auch das Ende bleibt auf der Strecke, und ist nicht annähernd so intensiv wie das Finale in Tobe Hoopers Film. Ist Marilyn Burns im Original die einzige, verstörte, Überlebende gleichzeitig ein Fall für den Psychiater auf Lebenszeit, so steckt in dem Remake ein Hoffnungsschimmer auf normales Leben nach dem Texas Chainsaw Massacre. Hauptdarstellerin Jessica Biel rettet vor ihrer Flucht erst noch ein entführtes Baby aus den Klauen der Massakerfamilie und nimmt noch Rache am sadistischen Sheriff. Das Gesicht des unschuldigen Babies am Ende ist ein Hinweis darauf, dass wenigstens diese kleine Kreatur eines Tages ein Leben ohne Erinnerungen an das Blutbad des Films haben wird. Und somit nimmt der Film seinem Ende jegliche zerstörerische und ehrliche Kraft, jene ausweglose, brutale, wahnsinnige Verzweiflung wie beim Erstling, verspürt man hier nicht.
Abgesehen davon ist "Texas Chainsaw Massacre" durchaus unterhaltend. Der Film ist fies und durchaus spannend. Weitaus graphischer und blutiger als das Original, und leider auch viel weniger künstlerisch und innovativ. Wird dem Original durch das Ausstellen einer Filmkopie im New Yorker Musem für Moderne Kunst das Attribut "Kunst" faktisch bestätigt, so ist diese Version des Films nur ein weiterer Blockbuster-Eintrag in Amerikas eher unbedeutenden Filmhistorie. Während man "Blutgericht in Texas" gesehen haben muss, ist "Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre" nur ein Popcorn-Zeitvertreib. Eher ein Dating-Movie als alles andere.
5/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#5
Geschrieben 18. Januar 2004, 18:33
Japan, 2000. Regie: Tetsuro Takeuchi
Es gibt Filme, die man gerne richtig mögen würde. Japans "Wild Zero" muss man anhand des extrem hohen Trash-Faktors einfach wenigstens ein bisschen mögen. Aber dennoch, beim genauen Hinsehen fällt doch schon oft auf, wie schwach die Regie von Tetsuro Takeuchi in diesem Falle doch ist. Aber erst einmal die Bestandsaufnahme: Was haben wir in "Wild Zero"?
Punkt 1. Rock 'N' Roll! Im Mittelpunkt steht die punkrockige Garagenband Guitar Wolf, die sich sinnigerweise selbst spielt. Klassisch besetzt an Gitarre, Bass und Schlagzeug nennen sich die drei Bandmitglieder einfallsreich Guitar Wolf, Bass Wolf und Drum Wolf. Und da soll noch einer sagen, Rock 'N' Roll wäre tot. Die Band, die wie eine asiatische Version der Ramones daherkommt, hangelt sich von Gig zu Gig; Guitar Wolf auf einem aufgemotzten Motorrad, die Rockabilly-Kollegen Drum Wolf und Bass Wolf cruisen in einem Personenkraftwagen hinterher. Wenn die Typen mal nicht Chansons á la "Jet Generation" trällern, dann hantieren sie gerne mit Revolvern, Schwertern und Bazookas herum.
Punkt 2. Ace. Ace ist ein Bewunderer der Musik und des Lifestyles von Guitar Wolf, folgt seiner Lieblingsband zu jedem Auftritt, träumt aber selber von einer Karriere auf der Bühne. Durch eine Art Hundepfeife ist Ace mit seinen Idolen verbunden. Er soll sie benutzen, wenn er in Schwierigkeiten ist. Und in genau die schliddert er herein, als er Guitar Wolf in ein entlegenes Kaff folgt, denn da gibt's Punkt 3.
Punkt 3. Zombies und Aliens. In dem Städtchen, das der nächste Anlaufpunkt für Guitar Wolf werden soll, ist eine Epidemie ausgebrochen, die im besten "Nacht der lebenden Toten"-Stil alle Tote zu Zombies auferstehen lässt. Die Untoten erinnern mit ihrem Make-up und mit ihren eher staksigen, als bedrohlichen Bewegungen erschreckend nostalgisch an die durchaus unfreiwillig komischen Schlumpfzombies aus George Romeros "Dawn of the Dead". Zum Schluss scheinen irgendwelche UFOs für die Untotenseuche verantwortlich zu sein. Aber hey, Rock 'N' Roll besiegt selbst Raumschiffe.
Punkt 4. Tobio und die Liebe. Weder Rock 'N' Roll noch die Liebe kenne irgendwelche Grenzen, sagt Guitar Wolf am Ende von "Wild Zero". Dies muss Ace (vergleiche Punkt 2) erst lernen, denn zunächst findet er die Melitta-Braut niedlich. Nach seiner Liebeserklärung und einem unkommentierten Strip ihrerseits, muss Ace jedoch entdecken, dass Tobio nicht so weiblich ist, wie sie zunächst schien. Ein für die heterosexuelle Liebe zwischen Mann und Frau durchaus irritierendes Organ befindet sich im Schoße Tobios, und somit verwandelt sich Aces Liebe zunächst in Brechreiz. Erst nach einigen weisen Worten Guitar Wolfs, weiß Ace, dass er allerdings besser auf sein Herz hören sollte.
Punkt 6. Die Yakuzas und andere Bösewichter. Gangster gibt's hier auch. Sogar ziemlich fiese Waffenschmuggler. Doch die werden bald Zombiefutter, und nur ihre Handelspartnerin, eine im Bodysuit gänzlich unpassend gekleidete Hardlinerin bleibt übrig. Sie hat zwar in ihrem Versteck ein gewaltiges Arsenal an Schusswaffen, jedoch scheint sie auf soziale Kontakte und Harmonie eher wenig Wert zu legen. Und dann ist da noch der Sandkastenfreund von Guitar Wolf. Ein Clubbesitzer mit Toupet und Hotpants, der zum Ende des Films übermenschliche Kräfte gewinnt.
Punkt 7. Die Typen im Auto. Der eine flippt an einer Tankstelle aus, die anderen beiden sind ein Pärchen. Er sieht aus wie der japanische Steve Buscemi, sie wie die japanische Roseanne. Ein nettes Pärchen, das nur zu überleben versucht, und zwischen die Fronten der oben erwähnten Punkte gerät. Dass beide sterben, macht ihnen wenig aus, denn die Liebe kennt keine Grenzen, selbst unter Zombies nicht.
Betrachtet man Punkt 1 bis 7 als leckere Ingridenzien für einen guten Trashfilm, dann muss man leider sagen, Regisseur Takeuchi hätte lieber noch ein wenig am Rezept feilen müssen. Denn so abgefahren seine Bildsprache ist, so irre das total konfuse Drehbuch ist - man hat immer das Gefühl, dass Takeuchi und seine Crew wäre mit der gleichen One-Liner-Dampfhammer-Attitüde wie Guitar Wolf ans Filmen gegangen. Einmal ein lautes "Anarchie!", dann die Kamera an, und einfach drauf los! Genau so sieht "Wild Zero" aus. Viele Einstellungen sind einfach zu lang, führen ins Nichts und bremsen den Film aus. Es ist schon komisch, wenn ein Film, der aus wilder Rockmusik und dem Zerschmettern von Zombiegehirnen durch Bleipatronen besteht, derart langsam dahinwatet. Von Tempo ist hier leider meist keine Spur.
So nett, und so liebenswert trashig "Wild Zero" auch sein mag, es ist nichts weiter als ein Kuriosum, über das man zufrieden schmunzeln kann. Begeisterung wird dieser Film leider nicht auslösen. Und das ist schade. Denn, wie eingangs erwähnt, würde sicher jeder gerne einen Film wie diesen in sein Herz schließen.
5/10
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#6
Geschrieben 21. Januar 2004, 23:47
USA, 2003. Regie: Edward Zwick
Die ersten zehn Minuten sind noch die schwersten. Tom Cruise spielt Nathan Algren, ein Kriegsveteran der Amerikaner im Jahre 1876. Algren hatte einst erfolgreich die Indianer bekämpft, hat die Erinnerungen an Skalpierungen und Folter aber noch längst nicht überwunden. Unzufrieden mit sich selbst und mit seiner Vergangenheit ertrinkt Algren seine Erinnerungen an den Krieg mit den Cheyenne im Whiskey. Ein Held ist er längst nicht mehr, eher eine Schießbudenfigur, die im Auftrage der Firma Winchester die Werbetrommel für deren neueste Errungenschaft auf dem Gebiet der Schießeisen rührt. Es ist jenes übertriebene, dankbare Tom-Cruise-Acting, das schon früher gerne mal einen ganzen Film zerstören konnte, das diesmal glücklicherweise nur hier, in den ersten zehn Minuten zum Tragen kommt, wenn der Hollywoodstar betrunken und verbittert auf der Bühne Winchesters steht, und mit detailliert beschriebenen Geschichten vom Töten und Schlitzen sein Publikum vergrault.
Wenig später erhält Algren das Angebot für die Vereinigten Staaten nach Japan zu ziehen, um dort einen Art Bürgerkrieg für die Japaner zu entscheiden. Algren, der bereits Bücher über das Taktieren gegen die Ureinwohner Amerikas geschrieben hat, soll wehrpflichtige Bauern und einfache Männer ausbilden und sie zu einem Heer japanischen Militärs formieren, um somit die angeblich rückständigen Samurai zu zermürben. Von Samurais hat Algren noch nichts gehört, aber scheinbar scheinen sie nur eine weitere Karteikarte in Algrens Ordner der Wildenstämme zu sein, die er erfolgreich niedermähte. Der einst prinzipientreue Kavallerist Algren folgt nun also seinem Erzfeind Colonel Bagley nach Japan, um für 500 Dollar pro Monat gegen unbekannte Wilde zu kämpfen.
Doch es kommt, wie es kommen muss: Die Armee, die die Amerikaner für die Japaner aufrichten ist bei Weitem nicht so stark und mutig, wie erwartet - gleich die erste Schlacht gegen die berittenen Samurais erweist sich als Desaster. Zwar haben die Japaner, durch die westliche Kultur modernisiert, Schußwaffen und präzise Angriffstechniken, dennoch sind die leidenschaftlichen Krieger der Samurai, die ausschließlich mit dem Schwert in die Schlacht ziehen, den Angreifern haushoch überlegen. Und so vergehen kaum weitere 15 Minuten, und Algren wird Gefangener jener Samurais. Da Algren im Kampf gegen die eigenen Männer Mut und unerschütterlichen Willen bewies, lässt ihn der Samuraiführer Katsumoto (Ken Watanabe) am Leben. Für die Monate, bis der Schnee schmilzt, und die Pässe zurück nach Yokohama wieder passierbar werden, wird Algren "Gast" in einem entlegenen Bergdorf der Samurai werden.
Was nun folgt ist "Der mit dem Wolf tanzt" auf Japanisch. Algren wird fasziniert von der Kultur der Samurai, von ihrer spirituellen Erleuchtung und von ihrem Ehrenkodex. Diese Krieger erweisen sich nicht als plumpe Wilde, sondern als höchst kultivierte, freundliche, ehrbare und intelligente Menschen. Algren muss erkennen, dass nicht nur Kampfstil, sondern auch Gesinnung und Auftrag der Samurai durch und durch rechtschaffen und edel sind. Nach Monaten der Besinnung und des Erlernens der Gebote und Stile der Samurai, ist Algren im Herz ein traditioneller, japanischer Samurai, und als er nach Yokohama zurückkehrt, in die eigene Primitivität, trifft er jene Entscheidung, die schon John J. Dunbar in "Der mit dem Wolf tanzt" traf, und die so offensichtlich auf der Hand liegt, dass sie hier wohl nun nicht mehr erläutert werden muss.
Edward Zwick ("Legenden der Leidenschaft") gelingt ein historisch inkorrektes, dafür aber spannendes und unterhaltsames Epos, das deswegen so stark ist, weil sich Mr. Cruise vornehmlich zurückhält. Obwohl sich die Geschichte komplett um seine Figur dreht, und sie sogar eine spürbare Entwicklung mitmacht, bleibt sie angenehm devot gegenüber dem Plot und der Erzählung. Cruise ist streckenweise auch nur Beobachter, ein Avatar für den Zuschauer, streckenweise nicht aktiv in die Story eingebettet. Das schafft Raum für den wirklich guten Aspekt des Films, nämlich die tiefe Verbeugung vor der japanischen Kultur der Samurai. Genauso tief, wie Cruises finale Verbeugung vor dem Kaiser, in der allerdings wieder sein Pathos-befallenes Gesicht aufblitzt, und wir uns an jene ersten Szenen erinnert fühlen. Cruises Rolle endet so nervig und selbstgefällig, wie sie begonnen hatte.
Während Kameramann Toll die Leinwand mit grandiosen Landschaftsaufnahmen füllt, mausert sich der charismatische Ken Watanabe zum Hauptdarsteller. Seine weise, stille Präsenz und sein multilingual überzeugendes Schauspiel lässt jegliches Ärgernis über Cruises 08/15-Start in den Film vergessen. Das Sahnehäubchen ist dabei Hans Zimmers Score, der hier mit seiner hundertsten Arbeit seit Ewigkeiten endlich mal wieder eine wirklich schöne Filmmusik ablieferte. Das gut komponierte Epos mündet dann in einer heftigen, fantastisch und halsbrecherisch choreographierten Actionsequenz, die genauso schnell und aufregend, wie dramatisch und traurig ist. Jene finale Schlacht dürfte der Magic Moment bei "Last Samurai" sein, denn hier, beim offenen Krieg, stimmt wirklich alles.
"Last Samurai" ist großes Kino, großes Entertainment. Wer eine Kinokarte gelöst hat, wird sich nicht ärgern, denn der Film ist atmosphärisch, ruhig erzählt und technisch auf höchstem Niveau. Cruise hält sich angenehm zurück, und sogar Cruise-Hasser dürften seine größtenteils respektable Performance zu schätzen wissen. Doch im Gegensatz zu Zwicks geistigem Vorbild "Lawrence von Arabien", wird "Last Samurai" nicht in die Annalen der Filmgeschichte eingehen. Für Kunst und Klassiker reicht es dann doch leider nicht.
7,5/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#7
Geschrieben 25. Januar 2004, 14:49
USA, 1963. Regie: Herschell Gordon Lewis.
Miami, Anfang der Sechziger Jahre. Das Schwarzweiß-Blut, das Alfred Hitchcock mit "Psycho" wenige Jahre zuvor auf der Leinwand zeigte, war dem Filmemacher Herschell Gordon Lewis zu wenig. Lewis und sein Produzent Friedman hatten zuvor eher die Sexploitation-Ecke mit Filmen wie "Living Venus" bedient, und sahen sich nun bereit, größtenteils auf Sex und Nacktheit zu verzichten, dafür aber dem Zuschauer etwas noch geistloseres vorzusetzen. Etwas, das ebenso einfach zu konsumieren war, wie platter Sex auf der Leinwand; etwas, das keine besondere Bildung als Voraussetzung innehatte. Pure Gewalt. Blut. Herschell Gordon Lewis drehte mit "Blood Feast" den ersten Gore-Film der Filmgeschichte.
Gore gibt's in "Blood Feast", das ist richtig. Wenn sich der Mörder, dessen Identität innerhalb der ersten zwei Minuten als der ägyptische Delikatessenhändler Fuad Ramses offenbart wird, bei jedem Anschlag auf einsame Frauen, auf brutale Weise ein Souvenir aus deren leblosen Körpern herausschnitzt, dann hält Lewis mit seiner Peep-Show-Kamera voll auf das glibberige, rote Resultat drauf. Realistisch fallen die Gore-Effekte nie aus. Auch erschreckend kann man das simple Herumgematsche mit angeblich abgetrennten Zungen und Gehirnen nicht nennen. Jedoch die Art, mit welcher provokanten Selbstverständlichkeit Lewis hier auf die billigen Replikas menschlicher Innereien filmt, ist ebenso abstoßend, wie die pure Definition des Exploitation-Genres. "to exploit" heißt ins Deutsche übersetzt "ausbeuten, ausnutzen". Und genau das macht Lewis mit seinen Gewaltszenerien. Er nutzt all ihre Kraft, all ihre Widerwärtigkeit aus, hält uns seine vor Erdbeermarmelade triefenden Schauspieler minutenlang vor's Gesicht. In "Blood Feast" sind es jene urigen Morde, die die Höhepunkte in Lewis' Storytelling darstellen.
Das Drumherum, so gibt Lewis selber zu, habe er erst dazugedichtet, nachdem er wusste, wie schrecklich und detailliert seine Mordszenen auszusehen haben. Ganz wie bei seinen Sexfilmen geht es Lewis nicht darum, eine Geschichte mit Charakteren zu erzählen, sondern eine Alibi-Story für die Gore-Highlights zu spinnen. Dass er dabei nicht wirklich gründlich gearbeitet hat, kommt "Blood Feast" nur zu Gute. Denn nun ist Lewis' Werk ein unterhaltsames Trashmovie: campy, billig, humorvoll und schrill. Die Liste der Kontinuitätsfehler wäre gigantisch, inhaltliche und logische Albereien gibt's zu Hauf, und die Schauspieler sind alles andere als überzeugend. Lewis' selbstkomponierter Score setzt dem allem eine Krone auf. Krudes Drummachine-Gebummere ohne Stil, dafür aber mit dem gewissen eigentümlichen Charme, den "Blood Feast" die ganze Zeit umgibt. Obwohl "Blood Feast" nur leicht über 60 Minuten andauert, ist der Film dennoch extrem langsam. Nur sehr gemächlich kommt der Zuschauet in dem Film voran. Lewis hatte wahrlich keine Eile beim Erzählen seines Exploitation-Flicks.
"Blood Feast" verdient filmhistorisch motiviertes Kopfnicken, wenn man bedenkt, dass dies wahrlich der erste Gore-Film, der erfolgreich in den amerikanischen Drive-In-Kinos war. Respekt gebührt dem, was damals, 1963 in Miami geschah. Jedoch: Auch wenn die wunderlich gestaltete Geschichte noch so amüsieren mag, so überraschend konsequent die Leichen hier in Szene gesetzt werden - so lahm ist das Tempo, so untalentiert sind die handelnden Personen im Film. "Blood Feast" mag bis zu einem gewissen Grad unterhalten, doch man ist dann schon irgendwie froh, nach 67 Minuten den Fernseher dann endlich ausstellen zu können.
6/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#8
Geschrieben 01. Februar 2004, 12:24
USA, 2001. Regie: Richard Kelly.
"The dreams in which I'm dying are the best I've ever had" heißt es in einem Tears For Fears Song aus den Achtzigern. Jenes Lied hat auch Regiedebütant Richard Kelly in seiner Jugendzeit gehört, und genau jenes Lied umschreibt die Situation, in der sein Hauptcharakter seines ersten abendfüllenden Spielfilms steckt, auf fantastisch präzise Weise. Dieser Hauptcharakter und dieser abendfüllende Spielfilm teilen sich ihren Namen: "Donnie Darko".
"Donnie Darko" ist ein Drama. Ein Jugenddrama. Es geht um einen jungen Mann, eben jener Donnie Darko (Jake Gyllenhaal), der in einem angenehmen, aufgeklärten familiären Umfeld aufwächst. Gut situiert und wohl erzogen müsste es Donnie eigentlich hervorragend gehen, trotzdem muss er in regelmäßigen Abständen seine Psychiaterin Dr. Lilian Thurman (Katharine Ross) besuchen. Er ist zwar kein Außenseiter, jedoch scheint seine Weltanschauung nicht in die zu passen, die seine Highschool von einem Teenager in seinem Alter abverlangt. Er ist kein Pessimist. Nein, aber er kann sich einfach nicht mit der simpel strukturierten Lebenslinienphilosophie des sektirischen Motivationstrainers Jim Cunningham (Patrick Swayze) identifizieren, die schwarzweißmalerisch besagt, dass es im Leben nur zwei entscheidende Pole gibt: Das Böse, ausgedrückt in Angst, und das Gute, versinnbildlicht durch Liebe. Dazwischen Nichts. Donnie ist kein Pessimist, wie gesagt. Eher ein kluger, realistischer, verwirrter Junge. Der die regressive Reagan-Ära nicht durchblicken vermag, dem das Chaos im System zu gigantisch wird.
"Donnie Darko" ist jedoch auch eine handfeste Science-Fiction-Story. Denn am zweiten Oktober des Jahres 1988 fällt eine Turbine einer 747 direkt auf das Haus der Darkos - geradewegs in das Zimmer Donnies hinein. Donnie wäre kuriosen Tod gestorben - wäre er nicht (und nun betreten wir die Fantasyebene des Films) von einem anscheinend imaginären Freund in einem erschreckend verzerrten Hasenkostüm nach draußen gelockt worden. Der Hase, der sich selbst Frank nennt, prophezeit das Ende der Welt in 28 Tagen, 6 Stunden, 42 Minuten und 12 Sekunden. Das wäre dann an Halloween. Doch bis dahin hat Donnie Darko noch viel vor sich, noch viele Entscheidungen zu treffen.
Er lernt beispielsweise die neue Schülerin Gretchen Ross (Jena Malone) kennen, und lieben. Gleichzeitig entdeckt Donnie seine Sensibilisierung für Zeitreisen. Er versucht mit seinem Physiklehrer Professor Kenneth Monnitoff (Noah Wyle) über die Theorien des Zeitreisens zu diskutieren, informiert sich über Wurmlöcher und Zeitportale - und scheint eben jene später im Film sogar mit eigenen Augen zu sehen. Ist Donnie Darko jener postmoderne Comic-Superheld, wie es sein phonetisch dem Marvel-Universum naheliegender Name und eins der ersten Gespräche mit Gretchen andeuten? Oder ist er wirklich nur ein schizophrener Psychopath? Wieso bildet er sich einen Mann im Hasenkostüm ein, der ihn immer wieder zur Vollführung einiger terroristisch anmutender Taten motiviert? Die Antworten hat Richard Kelly zwar parat, nur hat er sie nicht gefilmt.
Wenn "Donnie Darko" zu Ende ist, haben wir viel gesehen, viel erlebt. Wir wissen am Ende, es ging um Zeitreisen, Paralleluniversen, um Schicksal und um so etwas wie "göttliche Einmischung". Jedoch ist Kelly ein cleverer Regisseur und Drehbuchautor, und deswegen ist das Finale keine kalte, wissenschaftliche Erklärung der vorhergehenden 100 Minuten geworden, sondern ein poetischer Ausklang aus einem fantastischen Universum, dessen Logik und Funktionalität wir uns, wenn wir gewillt sind, selber zusammen erklären müssen. Kelly kaut uns keine vorgefertigten Antworten vor, versteckt aber auch genug Informationen im Film, so dass der Zuschauer nach mehrmaligen Durchlauf durch "Donnie Darko" Hinweise auf eine eindeutigere Interpretationsweise der Geschichte stolpern kann.
Trotz des schwierigen, übernatürlichen Aspekts der Story bleibt "Donnie Darko" ein Film über Menschen. Das Drehbuch bezieht seine Stärke nicht durch die wild aufgestellten Zeitreisetheorien, sondern durch die wunderbar klischeefreien Figuren. Wie bereits oben angerissen, ist Jake Gyllenhaals Donnie Darko kein aggressiver Zyniker, sondern einfach ein verwirrter, aber gutherziger Junge, so wie wir bestimmt jemanden aus der Schule gekannt haben, oder im Zweifelsfall selber waren. Seine Eltern, seine Geschwister sind ebenso hervorragend gezeichnet, wie gespielt. Das nuancierte, detailreiche Spiel der großartigen Mary McDonnell wirkte selten so graziös und überlegen auf der Leinwand, wie hier. Auch der Rest des Ensembles kann nur in die Lobpreisungen mit aufgenommen werden: Produzentin Drew Barrymore und Noah Wyle als progressive Lehrer haben zwar nur kurze Auftritte, verleihen ihren Figuren in kürzester Screentime Charakter und unverwechselbare Tiefe. Die göttliche Beth Grant spielt die bigotte Kitty Farmer, die die Schülerinnen zu der Tanzperformance "Sparkle Motion" motiviert, die Lehren Cunninghams predigt, aber im gleichen Atemzug die Bücher Graham Greenes aus dem Unterricht verbannen will.
Doch so kurios und unsympathisch einige der Figuren auch sein mögen, Richard Kelly sieht davon ab, zu urteilen. Am Ende "Donnie Darkos" haben fast alle ihre Zweite Chance bekommen, sind alle auf esoterische Art und Weise um eine Erfahrung weiser. Fast jede Hauptfigur hat nachvollziehbare Motivationen, auch wenn die daraus entstehenden Handlungen nicht immer rational sind. Und obwohl das Ende traurig und nachdenklich ist, hat es eine lebensbejahende Message. Am Ende wird für das Leben, für die Liebe gestorben. Und obwohl im gleichen Moment auch die Welt, die Stadt, das Raumzeitkontinuum vor etwas Unausgesprochenem bewahrt wurde, geht es hier doch darum, was erhalten wurde. Und das ist die einfache, ehrliche Liebe zwischen zwei Menschen - auch wenn einer nun nicht mehr da ist.
"The Dreams in which I'm dying are the best I've ever had" singt Gary Jules in einer der letzten Sequenzen im Film. Seine Version von "Mad World" legt sich über die bestürzten Gesichter der Nebenfiguren, die im entscheidenden Moment begreifen. Bis der Zuschauer begreift bedarf es sicherlich noch eines zweiten Durchlaufs durch "Donnie Darko", dennoch wird sich kaum jemand dem warmen, schönen, spannenden, aber auch verstörenden Mix aus Fantasyabenteuer, Jugenddrama, Gesellschaftssatire und Teenieromanze entziehen können. Dafür ist Richard Kellys Independentstreifen zu gewaltig, zu groß, viel zu schön, viel zu tief. "Donnie Darko" ist endlich mal wieder intelligentes Kino mit Seele.
9/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#9
Geschrieben 02. Februar 2004, 10:51
(Mona Lisa Smile). USA, 2003. Regie: Mike Newell
Filme über den progessiven Lehrkörper, der sich die Bewunderung seiner Schüler einhandelt, aber die Antipathie der Kollegen, sind meist dankbare Stücke Zelluloid. Wenn dann der Regisseur Mike Newell, bekannt für den romantischen Dauerbrenner "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", und seine Hauptdarstellerin Julia Roberts heißen, dann ist das Schlangestehen vor dem Kinoeintritt vorprogrammiert. Ebenso vorprogrammiert dürfte jenes schale Gefühl sein, wenn man nach 117 Minuten "Mona Lisas Lächeln" den Saal verlässt.
Die Geschichte über eine engagierte, freigeistige Lehrerin für Kunstgeschichte, die ihr Leben auf der sonnigen UCLA verbrachte, nimmt 1953 den heiß begehrten Job am Wellesley College an, einer reinen Mädchenschule, das wegen seiner überspitzten konservativen Grundeinstellung berühmt berüchtigt ist. Abseits von Lehrplänen und Schulbüchern versucht Katherine Watson (Roberts) ihre Teenager-Schülerinnen für moderne, abstrakte Kunst und die Aussichten auf Studium und Karriere im Austausch für Ehe und Staubsauger zu begeistern. Mit Schrecken muss Katherine feststellen, dass ihre vielversprechendsten Schülerinnen auf dem besten Wege sind, in den ehelichen Hafen einzufahren, und die Chance auf berufliche und schulische Weiterentwicklung wegwerfen. Unter jenen Damen befinden sich auch Joan Brandwyn (Julia Stiles), die noch mit der Entscheidung Ehegatte oder Yale hadert, und deren beste Freundin, die einflussreiche Betty Warren (Kirsten Dunst), die ihr Ja-Wort schon in wenigen Wochen geben wird. Während sich Joan von der Begeisterung Katherines anstecken lässt, sieht Betty eine Bedrohung in der Lehrerin, die sich zu sehr in das Privatleben, in das Glück der beiden Freundinnen einzumischen scheint, und versucht sie per Schülerzeitung und verwandtschaftlicher Vorteile in der Schuldirektion zur Strecke zu bringen.
Am Schluss wissen wir, jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Und am Schluss denken wir einmal mehr an "Der Club der toten Dichter", während uns das leicht variierte Finale, in dem die Schülerinnen der abreisenden Lehrerin eine letzte Ehre zu Teil kommen lassen, einen Kloß in den Hals zaubern möchte. Diesmal gibt's Fahrräder, keine Tische, auf die sich die Lehrpflichtigen stellen können. Und es ist genau jenes Ende, das uns daran erinnert, wie austauschbar jene Filme über das Tauziehen eines modernen, offengeistigeren Lehrers mit den Konventionen der Schule doch sind. Zwar wird man sich zwei Stunden gut unterhalten lassen können, jedoch hätte es auch ein "Der Club der toten Dichter", oder besser noch "Goodbye, Mr. Chips" sein können.
Das Fatale an "Mona Lisas Lächeln" sind die allzu seichten Nebenhandlungen, die zwar Einblick in das Leben und Lieben der Schülerinnen geben, aber nie die Grenze des Trivialen überschreiten. "Mona Lisas Lächeln" wird zu oft leichte Liebeskomödie, um wirklich zu berühren, zu oft entschlossenes Drama, um das oberflächliche Lachen zu vergessen. Entschädigung dafür gibt's in Form der Darstellerinnen, wobei die beiden Julias, weder Roberts, noch Stiles, sich zwei viel stärkeren und energetischen Darstellungen unterordnen müssen: Die schlangenhafte, giftige Kirsten Dunst, die ein ganzes psychologisches Profil einer unglücklichen Ehefrau darstellt und überzeugend umsetzt; und allen voran: Maggie Gyllenhaal, die noch die emotionsgeladenste, schönste Rolle der Mädchen innehat.
Die "Mona Lisa" ist ein Kunstwerk, über alle Zweifel erhaben. Der eigentümlich anachronistische Film "Mona Lisas Lächeln" jedoch ist kommerzielles Entertainment mit Herzschmerzthematik, die den Zuschauer zu keiner Minute wirklich packt. Ein Julia-Roberts-Starvehikel, das Schwächen in Drehbuch und Inszenierung aufzuweisen hat. Wer "Der Club der toten Dichter" und "Dangerous Minds" schon zum Gähnen empfand, der muss sich "Mona Lisas Lächeln" nicht aussetzen. Höchstens Fans des "teacher-student-relationship"-Genres werden vergnügte zwei Stunden haben.
5/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#10
Geschrieben 04. Februar 2004, 14:14
USA, 2000. Regie: Sofia Coppola.
Zum Geburtstag hat Vater Francis seiner Tochter Sofia 'ne Filmkarriere geschenkt. Zunächst als Darstellerin, im Jahre 1999 dann schließlich als Regiedebütantin eines ganzen, abendfüllenden Spielfilms. Natürlich produziert von Daddy. Mit einem Mann wie Francis Ford Coppola im Rücken, einem Regisseur, der die Filmlandschaft um Werke wie "Apocalypse Now" oder "Der Pate" bereicherte, dürfte es relativ leicht sein, trotz fehlenden Talents Filmprojekte auf die Beine zu stellen. Und so darf man voreilig und voreingenommen skeptisch dem Debüt von Töchterchen Coppola, "The Virgin Suicides", gegenüberstehen.
Allerdings muss man sich nach dem Genuss des Filmes zurücknehmen. "The Virgin Suicides" ist sicher nicht die erwartete, aus Vetternwirtschaft entstandene Scheiße, die man so gerne auseinander genommen hätte - so richtig gut ist er aber trotzdem nicht. Das liegt jedoch weniger an Sofia Coppolas Regieführung, sondern eher an ihrem Unvermögen aus einem symbolisch verschlüsselten Roman ein auf Zelluloid funktionierendes Drehbuch zu extrahieren. Aber alles der Reihe nach.
Erzählt wird die Geschichte der Familie Lisbon. Vater und Mutter Lisbon (James Woods und Kathleen Turner) sind erzkonservative, in sich gekehrte Kirchengänger, die ihre fünf engelsgleichen Töchter im Alter zwischen 13 und 17 Jahren mit übertrieben strenger Hand erziehen. An Ausgehen und Jungs ist nicht zu denken. Doch das Leben im Hause der Lisbons ändert sich. Der Film setzt ein, als sich die jüngste der Lisbon-Töchter Cecilia (Hanna R. Hall) das Leben nimmt. Als sich ihr depressives Weltbild und ihre Gefährdung mit einem vorhergehenden Selbstmord angekündigte, waren die Eltern sogar bereit, eine kleine Feier im Keller der Lisbons zu gestatten, um Cecilia aufzuheitern. Natürlich ist es genau auf jener steifen Teaparty, auf der Cecilia den letzten Schritt aus dem Leben heraus tritt.
Nach Cecilias Tod und dem Ende der Schulferien ändert sich das Leben der restlichen vier Mädchen, als sich der Schulschwarm Trip Fontaine (Josh Hartnett) in die Lisbon-Tochter Lux (Kirsten Dunst) verliebt. Schließlich schafft es Trip sogar, seinen Englischlehrer, und gleichzeitig Vater von Lux und den anderen Mädchen dazu zu überreden, es zu erlauben, dass Trip und drei weitere Jungs die Mädchen auf einen Ball zu Ehren des Footballteams ausführen dürfen. Diese erste Party, dieses erste Ausgehen endet mit dem sexuellen Erwachen von Lux, ist aber auch gleichzeitig bei der verräterischen Heimkehr am nächsten Morgen der Beginn einer neuen Ära für die Lisbon-Mädchen. Ausnahmen werden gar nicht mehr gemacht. Die vier hübschen Töchter werden von nun an in dem Haus isloliert, eingeschlossen, eingesperrt.
Durch die Geschichte führen uns fünf Jungs, die eine passive Beobachterrolle haben. Fünf gleichaltrige junge Menschen, für die die Mädchen unerreichbar und geheimnisvoll wirken. Durch das Sammeln von Anekdoten und Souvenirs der Mädchen und einem fast obsessiven Ausspionieren der Nachbarmädchen blicken die Jungs hinter die hübsche Fassade von blondem Haar und perfekter Haut. Sie entdecken einen Teil der Schwierigkeiten, der Häßlichkeiten, die die Töchter in ihrem pubertären Alter unter der falschen, fast schon mißbräuchlichen Erziehung aushalten müssen. Jedoch haben sie, und dies beteuern sie durch den Film hindurch immer wieder, nur einen Teil des Puzzles.
Und genau darin besteht der Fehler des Skripts. Der Zuschauer bleibt passiv, kann sich ob der bizarren, geheimnisvollen Welt, die hier von den Jungs beobachtet wird, gar nicht emotional engagieren. Für den Zuschauer bleibt die Welt der Mädchen greifbar aber unerklärt. Für die literarische Vorlage mag ein solches Vorgehen funktionieren. Der Leser wird im Buch Teil einer fast verschwörerischen Clique, die hinter das Geheimnis der Lisbon-Mädchen kommen möchte, hinter das Geheimnis des Sommers, in dem fünf Schwestern an Selbstmord starben. In "The Virgin Suicides" sind wir jedoch nie Teil der Jungengruppierung. Bestenfalls lassen wir uns von ihnen diese Geschichte erzählen. Doch in dem Moment, in dem die Kamera im Schlafzimmer der Mädchen aufgebaut wird, möchten wir mehr über die Seele, über die Personen der Mädchen erfahren. Doch aufgrund der Konzeption, dass die Jungen nur eine verschwommene, öffentliche Sicht auf die Schönheit, und somit nur die Oberfläche der Pein und der Depression erahnen können, haben, bleiben die Protagonistinnen geisterhaft und unscheinbar.
"The Virgin Suicides" wird demnach schlecht erzählt. Doch so sehr hier der Geschichtenerzähler mit seinem Storykonstrukt auf die Nase gefallen ist - ein paar der Zutaten sind durchaus interessant. Da wäre die wunderbar seidig-leichte Musik des Pariser Pop-Duos Air, die für den Soundtrack die hübsche Melodie des Hit-Themas "Playground Love" variieren. Auch die Darstellerriege ist beachtlich. Besonders die starken Auftritte von Woods und Turner sind bemerkenswert. Von den fünf Mädchen kommen eigentlich nur Dunst und Hall richtig zum Tragen. In Nebenrollen erblicken wir kurze Cameos von Danny DeVito, Michael Paré und Scott Glenn.
Francis' Geschenk an Sofia war nicht nutzlos. "The Virgin Suicides" ist zwar kein guter Film, wie oben bereits gesagt, aber auch kein Totalreinfall. Die Darsteller, die Musik und die Bilder stimmen einfach. Das falsch angegangene Drehbuch jedoch gibt dem Film den emotionalen Todesstoß und baut eine Wand zwischen Zuschauer und den Protagonisten auf. So wird "The Virgin Suicides" nie die Energie und die Kraft haben, die der Film gerne hätte. Zum nächsten Geburtstag schenkt Francis seiner Sofia vielleicht 'nen gescheiten Ghostwriter zur Unterstützung...
5/10
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#11
Geschrieben 08. Februar 2004, 21:39
LOST IN TRANSLATION
USA, 2003. Regie: Sofia Coppola.
Manchmal, da kann man seine Probleme nicht lösen. Zu groß sind diese, zu klein man selbst, zu gigantisch und kompliziert das Leben. Wenn selbst CDs mit meditativen Selbstfindungsphrasen nicht mehr helfen, dann sind es meist Menschen, Freunde, im besten Falle Seelenverwandte, die zwar zumeist nicht aktiv helfen können, die aber aufgrund ihres puren Daseins, des Existierens, das Leben einfacher erscheinen lassen. So metaphysisch und nachdenklich dies klingen mag, genau darum geht es in "Lost in Translation", einer Liebesgeschichte, einer Tragikomödie.
Bob Harris ist Schauspieler. Ein Star. Er könnte zu Hause, wie er selber sagt, Theater spielen, große Kunst kreieren. Aber da Frau und Kind, und auch ein neuer Bordeaux-farbender Teppichboden im neuen Büro finanziert werden wollen, muss der künstlerische Idealismus zurückgesteckt, und Geld verdient werden. In Tokio nimmt er deshalb für zwei Millionen Dollar einen Whiskeywerbespot auf. Japan irritiert den überforderten Star: Erst der Jetlag, dann die eigenartige Sprache, mysteriöse, fremdländische Regieanweisungen und später auch noch eine unbestellte, höchst eigenwillige Prostituierte. Und auf der anderen Seite der Welt lebt seine Frau Lydia, die nichts besseres zu tun hat, als ihm um 4:20 Tokioer Ortszeit eine Auswahl an möglichen Regalen fürs Büro zu faxen. Wenn sie jedoch mit ihrem Ehemann telefoniert, sagen sie sich kaum etwas.
Viel besser hat es Charlotte eigentlich auch nicht. Sie ist auch Amerikanerin und wohnt im gleichen Hotel. Ihr Ehemann John ist ein viel beschäftigter Starfotograph, der sich lieber für das oberflächliche Schauspieler-Blondchen Kelly interessiert, als für die Seele seiner Frau. Die junge Anfang 20-jährige sucht in dem fremden Land verzweifelt nach Antworten vieler Fragen. Als sie eine der Fragen, die ihr auf dem Herzen brennen, am Telefon gegenüber ihrer besten Freundin äußert, nämlich, was für einen Mann sie da eigentlich geheiratet habe, wird ihr nur mit gleichgültigem Alltagsstress begegnet. Antworten wird Charlotte hier nicht finden.
Als John dann für einige Tage aus Tokio abreisen muss, beginnt die Zeit für Charlotte und Bob. Obwohl gut 30 Jahre älter, zieht Bob mit seiner Landsmännin durch das Nachtleben Japans. Irgendwo zwischen schrillen Karaokeparties und billigen Stripclubs wird den beiden bewusst, dass sie mehr verbindet, als nur alleine in einer fremden Stadt zu sein. Beide Menschen sind nicht nur verloren in einer Kultur, die sie nicht begreifen, sondern auch in einem Leben, das sie nicht verstehen. Während Bob seine Frustration auf die Mid-Life-Crisis schieben kann, fragt sich Charlotte, ob er der Beweis dafür ist, dass das Leben zukünftig nicht leichter wird. Dennoch, durch das Gefühl nicht alleine mit den Gefühlen, nicht alleine in einer japanisch sprechenden Metropole zu sein, wird es einfacher für Beide. Wenn auch nur für wenige Tage.
Am Ende von "Lost in Translation" haben beide Figuren keine der Fragen beantwortet bekommen, die sie sich gestellt haben. Vieles ist unausgesprochen geblieben, und als letzte Verabschiedungsgeste flüstert Bob seiner Charlotte einen Satz ins Ohr, der selbst uns vorenthalten wird. Welche Lebensweisheit, welches Kompliment, welche aufmunternden, lebensbejahenden Worte er in dieser Szene auch spricht, Charlottes Lachen danach, lassen uns zumindest die Wirkung nachempfinden. Was nun gesagt wurde, bleibt uns überlassen. Jeder Zuschauer kann seine eigenen, erfrischenden Sätze in diese kurze Szene hineinhören. So bleibt die Aussage des Films universell. Egal, wie groß, oder wie individuell unsere Probleme ausschauen mögen: Es gibt jemanden, der sie versteht, und der zur rechten Zeit, die richtigen Worte finden wird, um das Leben einfacher zu gestalten. Die Worte werden nicht präzisiert. Nur die Situation.
Regisseurin Sofia Coppola ist es auch zu Gute zu halten, dass sie die Liebe zwischen den beiden Menschen nicht auf ihre Genitalien reduziert. Sexuelle Energie entwickeln beide Protagonisten nie für einander. Als Bob unabsichtlich in einen One Night Stand hineinschliddert, wird erst die körperliche Anziehung zwischen Bob und Charlotte formuliert. Nicht in Worten, sondern in wenigen, enttäuschten Blicken. Und obwohl Bob und Charlotte ihre Zuneigung füreinander - den finalen Kuß jetzt mal ausgenommen - nie körperlich zum Ausdruck bringen, bleibt ihr Verständnis und ihre offenkundige Liebe füreinander bestehen.
Sofia Coppola ummantelt jene Lovestory mit Polaroid-artigen Momentaufnahmen aus der Nachtwelt Japans. Während sie die Geschichte einer Freundschaft erzählt, entfaltet sie mit ihrer Handkamera eine Liebeserklärung an die Großstadt Tokio, die so energetisch, wie fremdartig, aber auch sehr reizvoll dargestellt wird.
Den größten Respekt verdienen allerdings bei "Lost in Translation" die Darsteller. Perfektes Schauspiel, bei dem wirklich jede Geste, jeder verträumte Blick, jeder Satz stimmt. Besonders Bill Murray, den man schon in schlechten Klamauk-Filmen bemitleiden musste, fällt nicht in einer einzigen Szene aus seiner Rolle heraus. Nie wirkt er platt oder selbstgefällig. Selbst in den humorvollen Szenen - man denke nur an die "Lupf meinen Schtlumpf"-Szene -, in denen er auf sein altes, weniger unaufdringliches Repertoire zurückgreifen könnte, bleibt er voll und ganz Bob Harris, und nie Bill Murray, der Bob Harris nur spielt.
"Lost in Translation" ist ein wunderbarer Film. So komisch wie das Leben, so traurig wie das Leben, so wahr, so realistisch. Aber dennoch verträumt und unterhaltend. Einfach ein großartiges Stück Kino, so, wie man es nur selten zu Gesicht bekommt. Und jedem sei versichert: Auch wenn die Message des Films nicht unbedingt romantisch-überspitzt abgerundet wird, sondern immer realistisch bleibt; niemand wird das Kino ohne das Gewissen verlassen, dass das Leben eigentlich ziemlich schön ist.
8/10
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#12
Geschrieben 09. Februar 2004, 15:16
USA, 1977. Regie: John Waters.
"Boy, if you don’t like this, there’s really something wrong with you", sagt Muffy St. Jacques einmal in dem Film. Sie ist geschockt davon, wie die psychisch labile Peggy Gravel es ablehnt, sich zur Belustigung das blutige Quälen und Auspeitschen eines nackten Mannes durch eine mit einem Lendenschurz bekleidete Amazone anzusehen. Ja, da stimmt wirklich irgendwas nicht so richtig. Doch ein Blick auf den Regisseur-Credit erklärt das eigenartige Treiben auf dem Bildschirm: "Desperate Living" ist gedreht von John Waters, und genau deshalb ist auch dieser Film, nach "Pink Flamingos" und "Female Trouble" ein Hoch auf die Geschmacklosigkeit, auf den Trash.
Peggy Gravel (Mink Stole) kommt gerade aus einer Klinik für Geisteskranke. Gebessert scheint sich ihr Zustand nicht zu haben, jedoch glaubt ihr Ehemann Bosley an die heilende Kraft des Zuhauses. Doch nachdem ein Nachbarskind einen Baseball aus Versehen durch ihr Schlafzimmerfenster schickt, ihre beiden Kinder harmlose Doktorspielchen im Flur spielen, und dann ihr auch noch die tägliche Medizin gegeben werden soll, drehen bei Peggy die Sicherungen durch, und sie stiftet ihre extrem übergewichtige, schwarze Haushälterin Grizelda Brown (Jean Hill) an, ihren Angetrauten den Erstickungstod durch "Draufsetzen" erleiden zu lassen. Nach dem Mord werden die beiden Frauen von der Polizei gesucht. Als sie von einem Motorrad-Cop gefunden werden, lebt der kurz seine Unterwäsche-Fantasien mit ihnen aus, gibt ihnen dann aber den Tipp ihres Lebens: Geht nach Mortville, jenes vergessene, abgewrackte Kaff, in das all jene einkehren, die im echten Leben nichts mehr zu verlieren haben, außer ihr Leben.
Mortville ist kein beschauliches Örtchen. Sondern der stinkigste Moloch der Welt, die letzte Zufluchtsstätte für den Dreck der Gesellschaft. Regiert von der hochnäsigen, fetten Königin Carlotta (Waters-Regular Edith Massey), leben in Mortville größtenteils Freikörperkultur-Fetischisten, viele lesbische Ruinen und eine Gruppe, der Königin untertänigen, bewaffneten Lack-und-Leder-Schwuchteln. Peggy und Grizelda kommen bei dem gleichgeschlechtlichen Pärchen Muffy St. Jacques (Liz Renay) und Mole McHenry (Susan Rowe) unter, die den beiden Neuankömmlingen gleich erstmal einen Lotterieschein stibitzen. Mole träumt von einer Geschlechtsumwandlung, und ein Lotteriegewinn könnte der Ex-Wrestlerin ein Hoffnungsschimmer auf ein besseres Leben sein...
Wie nicht anders zu erwarten ist der Plot offensiv, provokativ und geschmacklos. Es werden Genitalien abgetrennt, Augen aus ihren Höhlen herausgeprügelt und dann zermanscht, es werden Babies in Kühlschränke gesteckt, und noch viele andere, bedenkliche Szenerien. "Desperate Living" ist kein experimenteller Tabubrecher, wie zum Beispiel "Pink Flamingos", dafür aber ein Bad-Taste-Movie im Umfeld eines unschuldigen, unberührten Märchens. Und genau deswegen funktioniert der krude Humor in "Desperate Living" auch größtenteils. An einigen Stellen hat Waters' Film sogar recht schlagfertigen Dialoghumor zu bieten, verfällt aber oft zurück in schlichte, dreckige Provokation.
"Desperate Living" ist der Übergang von Filmen wie "Pink Flamingos" zu den eher konventionelleren Komödien in Waters' Filmographie. Der Film ist sicherlich einer seiner geradlienig komischsten, aber dennoch zu lang, für eine derartig anstrengend-geschmacklose Tortur. Wer sich von Waters trashigen Visionen nicht abschrecken mag, der kann in "Desperate Living" reinschauen, eine klare Empfehlung gibt es nicht.
5/10
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#13
Geschrieben 10. Februar 2004, 12:31
Deutschland, 1999. Regie: Sebastian Schwipper.
Es soll die letzte, gemeinsame Nacht werden. Die erste und die letzte gemeinsame Nacht in Freiheit. War das Leben von Floyd (Frank Giering) zuvor durch Bewährungsauflagen eingeschränkt, will er in der ersten Nacht seines neuen, freien Lebens noch einmal alles mit seinen beiden Kumpels Ricco (Florian Lukas) und Walter (Antoine Monot Jr.) erleben, was möglich ist, um am darauf folgenden Morgen, um 10 Uhr auf einem Überseedampfer anzuheuern, und das Leben in Hamburg für immer zu verlassen. Floyd will den Ort finden, an den er wirklich passt, und konfrontiert seine Freunde erst 24 Stunden vor dieser Entscheidung. Traurig, aber auch entschlossen, eine letzte, infernalische Zeit loszutreten, stürzen sich die Drei in die irrste Nacht ihres Lebens.
"Absolute Giganten" lebt 75 Minuten lang von diesem Gefühl, das ein letztes Mal wirklich alles geht; das man ein letztes Mal alles machen darf, was man will, bis nach wenigen Stunden der Abschiedsschmerz kommt. 75 Minuten begleitet man die hervorragenden Schauspieler durch die Ups und Downs dieser Nacht, lacht und leidet mit. Der Film wird dabei leicht episodenhaft, und nicht immer storyorientiert. Doch dank der richtig stimmigen Grundatmosphäre von "Absolute Giganten" und dem grandiosen Soundtrack von The Notwist tuen die Schwankungen in Sachen Storydichte und Erzählweise dem durchaus positiven Gesamteindruck keinen Abbruch.
Lediglich an der arg klein gehaltenen Charakterisierung der Charaktere kann man Kritik üben. Regiedebütant Sebastian Schipper scheint kein Wort allzu vieler Worte zu sein, und so bleiben die wenigen Momente, in denen die Hauptdarsteller Einblick in ihr Leben oder in ihre Psyche gewähren, rar und verklausuliert. Doch selbst wenn Frank Giering sehnsüchtig von seiner allerersten Kindheitserinnerung aus dem Off erzählt, ohne wirklich dem Film dadurch einen dynamischen Kick zu bereiten, sondern nur um Stimmung aufzubauen und zu erhalten, werden jene Monologe nie peinlich, sondern aufgrund des starken Schauspiels immer eindrucksvoll und berührend.
Die Nacht ist spannend und abwechslungsreich. Zunächst mischen die Drei eine Gruppe Elvis-Impressarios, die eine Auto-Stunt-Show betreiben auf, dann wird sich mal eben beim Fast-Food-Restaurant um die Ecke "alles" bestellt. Auf dem Parkplatz legen die Jungs dann einen auschoreographierten Tanz zu "20th Century Boy" von T.Rex hin. Der Höhepunkt der Nacht ist das wohl beste Tischfussball-Match der Filmgeschichte. In aufwändigen Effectshots wirft uns Regisseur Schipper direkt ins Geschehen auf den Tisch mit den Holzfigürchen. Nach der Entdeckung jener ach so unfilmischen "Sportart" geht es jedoch bergab. Floyd entdeckt die junge Telsa, eine Nachbarin, die in der örtlichen Disco eindeutig zu viel Alkohol in sich 'reinfließen ließ. Das Abenteuer mit Telsa endet in der Notaufnahme.
Der Film endet schön und poetisch. Obwohl nur sehr kurz, hat er uns auf eine Reise mitgenommen, die in einem ungewöhnlichen Abschied enden muss. Nach 75 Minuten ist diese Geschichte über Freundschaft zu Ende, und man weiß, man hat einen tollen Film gesehen. Schwächen hat er, ja. Doch vieles an "Absolute Giganten" ist so sympathisch, dass jene kleinen Fauxpas gerne verziehen werden.
8/10
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#14
Geschrieben 12. Februar 2004, 19:52
USA, 1943. Regie: Maya Deren & Alexander Hammid.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Filmemacherin Maya Deren, die die künstlerische Qualität des europäischen Surrealismus in die USA importierte, einen Film drehte, und damit zur Pionierin der Avantgarde-Bewegung wurde. "Meshes of the Afternoon" ist filmhistorisch bedeutsam, und künstlerisch ein Muss.
Alles beginnt mit dem Platzieren einer Blume auf einem beschaulichen, von Palmen am Rand verzierten Weg, durch eine Hand einer Mannequinpuppe. Nachdem die Blume dort liegt, wo sie liegen soll, verschwindet die Hand wie durch einen Zauber. Schon allein diese ersten Szenen des Films zeigen, dass dies kein plausibles Universum ist, in dem wir uns in "Meshes of the Afternoon" bewegen. Die Hand, die von oben ins Bild herein greift, wirkt künstlich, könnte als sogar als Gottes Hand interpretiert werden. Der Film folgt dann der Frau, die die Blüte vom Straßenrand aufhebt.
Diese Frau wird von Maya Deren selbst gespielt und ist Dreh- und Angelpunkt von "Meshes of the Afternoon". Zunächst sehen wir die Frau nur als Schatten. Wir sehen zwar, wie sie ihre Hände einsetzt, um die Blume aufzuheben, um an der Tür ihres Zuhauses zu klopfen, und diese Tür mit einem Schlüssel aufzuschließen, nachdem sie ihn versehentlich auf den Boden fallen lässt; und wir sehen, wie ihre Füße über den Boden gehen. Alles andere jenseits dieser menschlichen Funktionen wird nur durch den Schatten an der Wand dargestellt. Im Inneren ihrer Wohnung gibt es dann eine schwindelerregende POV-Handkamerafahrt Trepp’ auf, und Trepp’ ab. Und schließlich findet die Frau in einem Sessel vor einem Fenster Schlaf.
Ihr Entschwinden in die Traumwelt sehen wir aus ihrer Perspektive: Während sie beim Entschlummern aus dem Fenster sieht, legt sich ein schwarzer Schimmer über das Bild, bis es schließlich komplett dunkel ist. Deren nimmt uns mit in eine noch verfremdete Traumwelt: Hier geht eine eigentümliche Person umher. In schwarzer Kutte umhüllt wandert die Figur schnellen Schrittes auf dem Weg, den die Frau wenige Minuten zuvor gegangen ist. Die mysteriöse Person trägt eine Kapuze, jedoch statt eines Gesichts trägt der Schemen einen Spiegel. Die Frau rennt dem menschlichen Mysterium nach, holt es aber nicht ein, und kehrt auf halber Strecke zur Wohnung zurück.
Von nun an befinden wir uns in einem halluzinatorischen Strudel voller Duplizitäten. Die Strukturen der Zeit werden weggewischt, alles wiederholt sich unaufhörlich, und endet letzten Endes an dem Punkt, wo es begann. Jegliche Logik innerhalb der Räumlichkeiten wird dank der irrsinnig verwinkelten Kameraperspekriven ad absurdum geführt. Die Frage, was Wirklichkeit und was Traum ist, kann nicht beantwortet werden - beziehungsweise wird gar nicht erst gestellt, da Realität und Einbildung zu einem surrealen Ganzen verschwimmen. Innerhalb dieses verzerrten Universums läuft die Zeit vorwärts, rückwärts und dabei streckenweise noch beschleunigt.
Wobei es in diesem gespenstischem Angsttraum dann letzten Endes geht, ist dem Zuschauer selbst überlassen. Aus Schlüsseln werden Messer, und in einer Szene sitzen sich drei identische Frauencharaktere gegenüber. Im Finale kommt es dann zu einem Selbstmord. Dabei gibt es im Laufe der 13 Minuten keine wirkliche Narration. Die Geschichte, wenn man sie so nennen kann, wird durch die Monatge eher zu einer abstrakten Struktur, als dass man eine traditionelle Erzählweise wieder findet. Der feministische Avantgarde-Film möchte keine fixe Interpretation hervorrufen, sondern lässt es aufgrund seiner weit ausladenden Phantastik zu, dass ein jeder selbst etwas in die traumhaften Bilder lesen kann.
Nach 13 Minuten hat man den Triumph des Films als Kunst hinter sich. Maya Derens Meisterwerk ist ein enigmatisches Meisterwerk durch und durch. Die innovativ gestalteten Bilder, düster und irritierend, und die fantastische Montage, die sämtliche Grenzen der Logik und des Verstandes einrennt, fügen sich zu einem brillant funktionierenden Film zusammen, der meditativ und hochgradig lyrisch wirkt. "Meshes of the Afternoon" ist mit Sicherheit eines der schönsten, herausfordernsten Stücke Film aller Zeiten, ein surreales, verstandbeugendes Gedicht.
10/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#15
Geschrieben 15. Februar 2004, 02:36
USA, 1997. Regie: Quentin Tarantino.
Den gab's gestern im Fernsehen. Und obwohl ich "Jackie Brown" schon 5 mal gesehen habe - und das ist viel für mich -, habe ich ihn mir gestern noch einmal angesehen. Ich war des Öfteren abgelenkt, und hab auch zwischendurch einmal telefoniert. Am Ende war ich aber spätestens zum finalen Coup wieder völlig gefesselt und gespannt.
Und auch nach dem sechsten Mal "Jackie Brown" finde ich einfach nicht die Muße, einen kompletten Text über diesen Film zu schreiben, obwohl ich ihn für den besten aller Tarantinos halte. Hier stimmt einfach alles. Ja, alles. Und das wichtigste: Man wird nicht müde. Verliert der inszenatorische Zaubertrick "Pulp Fiction" nach mehrmaligem Schauen irgendwann seinen Reiz, ist "Jackie Brown" irgendwie immer cool, passig und irgendwie rund. Es gibt echte Menschen, und eben nicht nur coole Sprüche. Es gibt ein richtiges, menschliches Ende, und eben nicht nur ein Ende das sich der verspielten, aufgebrochenen Erzählweise unterwirft. "Jackie Brown" ist einfach ein menschlicher Tarantino, und genau deswegen funktioniert er auch im Dauereinsatz besser als ein "Pulp Fiction", dessen Budenzauber verfliegt.
Ja, ich mag "Jackie Brown". Und auch noch jetzt, 24 Stunden und mehrere Gläser Bier später, dudelt mir immer noch "Across 110th Street" im Kopf rum. Ist es Liebe?
9/10
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#16
Geschrieben 04. März 2004, 10:47
Originaltitel: Miu Gaan Diy Chung Gik Miu Gaan. Hong Kong, 2003. Regie: Andrew Lau Wai-Keung & Alan Mak.
Was macht der durchschnittliche Filmschaffende, wenn man nach dem überraschenden Erfolg eines Copthrillers großspurig eine Trilogie angekündigt hat, und mit dem Nachfolger, einem verquasten, nur noch vom Charme des Erstlings zehrenden Prequel, die Erwartungshaltung für den finalen, dritten Teil verhältnismäßig niedrig hält? Bombast-Action? Explosionen und neue, unglaubwürdige, familieninterne Enthüllungen á la "Star Wars"? Während in den USA ein dritter Teil einer Trilogie meist nur die kompromissbereite Summe aller erfolgspendenden Eigenschaften der Vorgänger, ohne Sinn und Innovation, darstellt, überraschen uns die "Infernal Affairs"-Regisseure Mak und Lau mit ihrem dritten Teil der Cop-Saga. Denn der Abschluss der Geschichte um zwei parallele Maulwürfe ist urplötzlich der beste Film der gesamten Reihe geworden.
Teil 1 war ein High-Tech-Thriller mit enorm begeisterungsfähiger Besetzung, der das Popcorn-Kino in Hong Kong wieder aus dem Dornröschenschlaf wach küsste, und westliche Standards in die Traditionen der chinesischen Filmschmiede setzte. Der nachgeschobene zweite Teil wiederum krankt an vielen Gesetzmäßigkeiten eines Sequels, beziehungsweise eines Prequels. Die Darsteller sind längst nicht so überzeugend, und die in die Vergangenheit expandierte Storyline möchte gerne eine asiatische Variante von "Der Pate II" sein, scheitert aber kläglich am halbherzigen Drehbuch. Und nun kommt "Infernal Affairs III", dessen Konzept gefährlich kommerziell klingen mag, aber dennoch bei den Zuschauern für Erstaunen sorgen wird.
Die Geschichte, die im dritten Teil erzählt wird, ist zweigespalten. In Rückblenden erfahren wir, wie Undercover-Cop Yan (Tony Leung), 6 Monate vor seinem Tod, um das Vertrauen seines Triaden-Bosses Sam kämpfen, und dabei so manche Schmach und gefährliche Situation durchleben muss. Doch die schwierige Zeit wird von einem Hoffnungsschimmer am Horizont überflügelt: Anscheinend nähert sich seine Arbeit als Maulwurf bei der verbrecherischen Gegenseite dem Ende, und auch seine Liebe zu seiner Psychiaterin Dr. Lee (Kelly Chen) nimmt durchaus angenehme Formen an. Diese fälschlicherweise optimistische Seite, vor den Erlebnissen in dem ersten "Infernal Affairs"-Teil, fügen sich an die Hauptstoryline an, die wiederum 10 Monate nach dem Tod von Yan spielen: Hier kehrt Ming (Andy Lau) an seinen Schreibtisch für die "Internal Affairs" zurück, muss aber feststellen, dass sich sein Leben in eine ihm völlig unliebsame Richtung entwickelt. Nicht nur, dass sich seine Frau von ihm scheidet, und jeglichen persönlichen Kontakt mit ihrem Noch-Ehemann ablehnt, auf der Arbeit ist ein neuer Stern am Himmel: Der kalte, aufstrebende Elite-Cop Leung (Leon Lai), der das Ansehen von Ming noch überschatten könne. Ming ist sich sicher, Beweise für ein Doppelspiel Leungs in der Hand zu halten, und verwickelt sich in ein manisches Spiel aus Verschwörung und Selbstheilung, in dem er letzten Endes sogar seine eigene Identität verliert.
Diese verschachtelte Erzählweise funktioniert großartig, denn sie gibt dem Zuschauer genau die Informationen und die Einblicke in das Leben der Protagonisten, die man bei dem sonst sehr soliden ersten Teil vermisste. "Infernal Affairs" war ein High-Tech-Thriller, kein Film über echte Menschen. Die Figuren waren zwar toll gespielt, aber recht schablonenhaft geschrieben. Die Damenwelt im Erstling wurde sogar nur auf hübsches Beiwerk reduziert, während gerade im dritten Anlauf auf die Charaktere wert gelegt wird. Der Film nimmt sich die Zeit, die romantische Beziehung zwischen Yan und Dr. Lee zu ergründen. Und so ist hier Tony Leungs Yan viel lebendiger, eine viel vollere, ausformuliertere Figur, als noch im Vorgänger. Dass das Rückbesinnen auf die Tage vor dem ersten Teil durchaus einen kommerziellen Aspekt hat, sehen wir in einer megalomanistischen Szene, in der Lau und Mak alle ihre Stars in einem einzigen Setting auflaufen lassen: Lau, Leung, Wong, Tsang, Lai, To und Chen stehen sich in einer Sequenz gegen Mitte des Films alle gegenüber.
Es wirkt sicherlich hin und wieder übertrieben, wenn der Film immer und immer wieder die beiden Protagonisten Leung und Lau durch Flashbacks und Halluzinationen in gemeinsame Szenen steckt, aber dennoch scheint diese Strategie hinsichtlich der Story aufzugehen. Die Parallelen in dem Leben zwischen den beiden Maulwürfen werden aufgezeigt und miteinander verglichen. Wenn kurz vor dem Ende dann jene Grenzen ineinander zusammenbrechen, und Ming die Ereignisse durcheinander wirft, dann scheint jene Star-Vehikel-Vorgehensweise nicht kalkuliert, sondern der Story dienlich. Da möchte man dem Film lieber einen Strick daraus drehen, wieder konsequent in jeder Filmminute einen Product Placement auszuführen. Zwar noch nicht in jener penetranten Art, wie es die letzten "James Bond"-Filme gezeigt haben, aber dennoch schon recht ärgerlich.
In "Infernal Affairs III" müssen wir fast den gesamten Film auf den ersten Schusswechsel warten, und selbst dann, im Showdown, verfällt der Film nicht in hippe Action-Manierismen, sondern verzichtet gänzlich auf jegliche Kampf-Szenen im Bloodshed-Stil. Ja, der Fokus liegt hier wirklich auf dem Charakter von Ming. Dem Mann, der in dem kontroversen Ende vom ersten Teil noch als "Bad Guy" die Flucht aus der Schuld gelang. Schon damals war dem östlichen Publikum jene sarkastische Auflösung zu subversiv - nun bekommt Ming das, was er verdient. Und der Fall eines Verbrechers, der verzweifelt versucht sein Leben zu ordnen, einer von den Guten zu werden, und gleichzeitig einen Schuldigen für seine Misere zu finden, ist perfekt gespielt und grandios in Szene gesetzt. Aus den oberflächlichen Gimmick-Thrillern, die die Vorgänger waren, wird in "Infernal Affairs III" eine beeindruckende Charakterstudie.
Mit dem Ende von "Infernal Affairs III" sind alle Moralisten und Komplettisten zufrieden zu stellen: Jeder der Protagonisten hat das bekommen, was er verdient: Ming seine höllische Bestrafung, Yan hat man eine hübsche, leichte Vergangenheit hinzuaddiert. Die Fans der Reihe haben ein paar Plotlöcher weniger zu bemängeln, und haben nach den zwei Stunden "Infernal Affairs III" endlich echte, dreidimensionale Figuren erlebt, keine angekratzten Drehbuchskizzen. "Infernal Affairs III" ist ein spannender, auf ganzer Linie funktionierender Thriller-Triumph, optisch wie inhaltlich ein Genuss. Nur die Actionfans dürften enttäuscht werden, aber das ist eh eine andere Baustelle. "Infernal Affairs III" ist alles in allem genau das, was ein Hollywood-Filmemacher nicht aus einem dritten Teil eines erfolgreichen Film-Franchises machen würde - und genau darin liegt die Stärke dieses Filmes.
8/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#17
Geschrieben 08. März 2004, 18:22
USA, 1982. Regie: Steven Lisberger.
Es hätte der ganz große Wurf werden sollen: Um sich endlich als großes, ambitioniertes Studio zu etablieren, ließ Disney 1982 "Tron" drehen. "Tron" ist ein sehr gewagtes Projekt, das durch den Trickfilmspezialisten Steven Lisberger ins Rollen gebracht wurde. In dem Film geht es darum, wie ein Computerhacker in den Arbeits-PC eingesogen wird, und plötzlich auf eine völlig fremde Welt jenseits des Monitors entdeckt; eine Welt, in der Programme leben, und diese durch einen allmächtigen, diktatorischen Haupt-Rechner unterjocht und kontrolliert werden. Mittels kompliziertester Technik wurden die Szenen die innerhalb des Cyberspaces spielen schwarzweiß gedreht und in der Postproduktion aufwändigst nachbearbeitet, so dass aus der Parallelwelt aus Mikrochips und Datensträngen ein neon-leuchtendes Fantastikum geworden wird. "Tron" erschien innovativ, neu und ziemlich aufregend.
Nun, das ist "Tron" nicht. "Tron" ist eigentlich ziemlich schlecht. Die Dialoge zu denen Jeff Bridges und Bruce Boxleitner vertraglich gezwungen werden scheinen wirklich aus eine Zufallsgenerator eines Computers gekommen zu sein - kein halbwegs gelernter Drehbuchautor hätte kernige Sätze wie "All that is visible must grow beyond itself, and extend into the realm of the invisible" geschrieben. Und das ist noch einer der weniger ärgerlichen Sätze. Einige der Dialoge scheinen derart naiv, dass man annehmen könnte, der Autor hätte sie direkt aus Vormittags-Zeichentrickserien abgeschrieben. Auch die Darsteller tun sicherlich nicht ihr Bestes, um gegen fehlende Wortgewandtheit ihrer Rollen anzukämpfen. Jeff Bridges gibt den Computer-vernarrten Sonnyboy und Bruce Boxleitner gewinnt weder als programmierender Brillenträger, noch als heroisches Programm an Profil.
Das größte Ärgernis allerdings ist der verhunzte Schnitt Jeff Goursons. Gourson findet in den gesamten 90 Minuten Film, die ihm zur Verfügung stehen nicht ein einziges Mal ein passendes Tempo, um seine krude Story zu erzählen. In den Actionszenen schneidet er derart willkürlich und überraschend stümperhaft hin und her, so dass dem Zuschauer jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren gehen. Besonders im Showdown, in einer Szene, in der wir annehmen sollen, Tron wäre in den Windows-Papierkorb verschoben worden, beziehungsweise getötet worden, scheint uns der Schnitt gar Informationen vorzuenthalten. Nachvollziehbar ist das ganz und gar nicht, und somit ebenfalls sehr weit weg von jeglichem künstlerischen Anspruch.
Doch trotzdem mag man an dem kindischen Spiel mit der virtuellen Realität Spaß haben. Nicht zuletzt wegen der wirklich aufregenden Optik und der extrem brillant ausgeführten Spezialeffekte wird "Tron" zumindest für die Augen ein echter Leckerbissen. Alle Schauspieler wurden gegen eine schwarze Wand photographiert, und später wurde eine Backlight-Technik verwendet, die alle Szenerie in ein steriles Grau taucht, das auf wundervoll geschwungene Weise durch knallig blaue, rote oder orangene Neonfarben aufgebrochen wird. Das Meiste in "Tron" wirkt fremdartig und nicht gerade sehr einladend. Da wo das Drehbuch durch sympathische Figuren Nähe zu dem Publikum hätte herstellen sollen, sieht man nur die schimmernden, eindrucksvollen Outfits der Schauspieler. "Tron" kann man beobachten, man kann sich von der tollen Optik berauschen lassen, der Film vermeidet es aber tunlichst den Zuschauer auch zu berühren und zu unterhalten.
Dafür bleibt die Geschichte auch viel zu konfus und dämlich. Die wenigen Szenen in der echten Welt sind von schauspielerischer Debilität und wissenschaftlicher Sandkasten-Mentalität geprägt - im Computer selbst verheddert sich Lisberger in eine Geschichte irgendwo zwischen Computerspiel, "Star Wars" und pseudo-religiöse Reflektion auf das Verhältnis Anwender/Programm. Computernerds mögen Freude an der Vorstellung haben, bald mit ihren Word-Dateien reden zu können - die Masse der Zuschauer wird eher irritiert von jener Wunschvorstellung sein.
In der letzten Szene kurz vor dem Abspann verwandelt sich der Blick auf die Großstadt wieder in eine schwarze Umgebung, in der nur die Umrisse und vereinzelte Formen und Muster zu jenem unvertrauten Neonschimmern mutieren. Aus einer Metropole wird die Versinnbildlichung des Datenhighways. Dazu erklingt die wunderschöne Synthesizer-Musik von Wendy Carlos. Und plötzlich mag man den Film. Denn obwohl des immensen Scheiterns der Regie, des Schnitts und der Schauspieler - "Tron" hat jene überlegene Optik und jene zeitlose Filmmusik, die einen ganzen Film retten können. Dies ist weder Lisbergers, noch Disneys Verdienst. Aber beide haben dafür auch ihre Quittung bekommen. End of Line.
5/10
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#18
Geschrieben 10. März 2004, 17:57
Originaltitel: Mortal Thoughts. USA, 1991. Regie: Alan Rudolph.
Der Titel macht's dem Zuschauer nicht wirklich einfach. "Tödliche Gedanken" könnte in die Filmgeschichte als einer der nichtssagensten, belanglosesten Filmtitel eingehen. Dabei ist der Film hinter dem Schlaftabletten-Titel durchaus sehenswert. Regisseur Alan Rudolph hat einen soliden, nicht sonderlich überraschenden Thriller gebastelt, der durch die überraschend guten Darsteller vor der Vergessenheit gerettet wird.
Das größte Problem des Films ist das Drehbuch an sich. Die Geschichte findet grundsätzlich in einem einzigen Raum statt: Cynthia Kellogg (Demi Moore) trifft sich auf der Polizeiwache mit Detective John Woods (Harvey Keitel), um endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen. In Flashbacks wird von der Ehe ihrer besten Freundin Joyce (Glenne Headly) erzählt, und wie sie unter ihrem tyrannischen, selbstsüchtigen Gatten Jimmy (Bruce Willis) leidet. Während der nämlich Joyce Geld aus der Kasse ihres Friseurbetriebes klaut, um damit Koks für seine nächtlichen Touren zu beschaffen, begegnen Cynthia und Joyce der schrecklichen Ehesituation mit sarkastischem Humor: Sie spinnen herum, wie Joyce ihren Mann umbringen könne. Als Jimmy eines Tages wirklich mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Van liegt, bringt dies einen Stein ins Rollen, der viele Lügen und einen weiteren Mord mit sich zieht.
Im gesamten Film hören und sehen wir Cynthias visualisierter Berichterstattung zu. Dadurch fehlt dem Film die gewisse Dynamik, um wirklich zu fesseln - die Dialoge auf der Polizeistation sind zu einfach gestrickt, als könne "Tödliche Gedanken" als Kammernspiel funktionieren. Rudolph zeigt uns die von Cynthia formulierten Rückblenden als Realität, stellt das Gezeigte nie in Frage, sondern lässt dafür Harvey Keitel einige Zwischenfragen und Misstrauen in die Geschichte einwerfen. Da Demi Moores Cynthia unsere Heldin und Erzählerin der Geschichte ist, mögen wir lieber ihr glauben, als der stereotypen Cop-Schnüffelnasen-Paranoia, die Keitel bravourös darstellt. Und genau aus dieser Situation erwächst nie Spannung. Der Funke springt nie über, und der Zuschauer stellt nie, bis ganz kurz vor dem Ende, das Erzählte in Frage. Die Auflösung von "Tödliche Gedanken" ist dann genauso wie erwartet. Bemüht überraschend, aber doch irgendwie nur konventionell und vorhersehbar.
Das Konzept ist also gescheitert, aber dennoch mag "Tödliche Gedanken" unterhalten. Das mag vordergründig auf jeden Fall an den respektablen Schauspielern liegen. Bemerkenswert ist Glenne Headlys Darstellung einer Frau vor dem Ende ihrer sozial-ethischen Existenz. Ihr Fall von Ehe- und Geschäftsfrau zur psychopathischen, gefährlichen Mörderin, die den einzigen Ausweg in der Gewalt sieht, ist glaubwürdig und nie übertrieben klischeehaft. Bruce Willis und Harvey Keitel spielen die harten Burschen ohne sich dabei ein Bein auszurenken, und Demi Moore macht ihre Sache angesichts der Schwäche ihrer Figur - sie ist nur die staunende, passive Marionette in dem Spiel anderer - ganz gut.
In wenigen lichten Momenten wirkt die Inszenierung des Films gar virtuos. Die fiebrig verstellten Szenen auf dem Jahrmarkt, in denen die Abgeschiedenheit des Platzes und die unwirklich schimmernden, kunterbunten Lichter des Riesenrads im Hintergrund aus dem Rummelplatz ein abweisendes, surreales Erlebnis machen, werden durch eine behäbig umherschwänkende, schwindelerregende Kamera verstärkt. Dazu spielt der edle Soundtrack von Mark Isham. Diese großartigen Szenen sind das Zentrum des Films, und dürften auch die einzigen sein, die dem Zuschauer später im Gedächtnis bleiben.
Schlußendlich: "Tödliche Gedanken" ist kein schlechter Film. Es ist aber auch kein wirklich überdurchschnittlicher Film. Wenn ein guter Film als Metapher ein köstliche, mehrgängige, warme Mahlzeit in feierlichem Ambiente wäre, so könnte man "Tödliche Gedanken" als kurzen Bonbon für unterwegs sehen. Er schmeckt zwar, aber man der Genuss des Leckerlis wird keinen einschneidenden Effekt auf das Leben des Genießers haben.
6/10
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#19
Geschrieben 12. März 2004, 13:17
Originaltitel: Trauma. USA, 1993. Regie: Dario Argento.
Wenn europäische Filmemacher den Weg über den großen Teich ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten wagen, um dort Filme für das amerikanische Volk mit amerikanischen Geld zu produzieren, dann endet das nie mit Meisterwerken. Denn so lukrativ und glitzernd die amerikanische Filmwelt samt Hollywood meist erscheint - es ist ein Land, in dem sich der Regisseur sehr den Sehgewohnheiten der Geldgeber, Kritiker und Zuschauer anpassen muss. Und so scheitern die amerikanischen Gehversuche vieler europäischer Regisseure meist bereits am Kunstanspruch, später dann auch an der Kinokasse. Selbiges widerfuhr Dario Argento, der seit seinem '87er "Opera" keinen abendfüllenden Spielfilm mehr inszenierte. 1993 ging er in die USA, um "Trauma" zu drehen.
Argento wurde bekannt durch seine opulenten Horrorfilme und seine perfekt ausgeklügelten Gialli. Für die Vereinigten Staaten mischte Argento seine bisherigen Giallo-Erfahrungen mit dem klassischen Erzählkino des Mysterygenres. Einerseits geht es bei "Trauma" um einen brutalen Mörder, der seine Opfer bei Regen enthauptet, andererseits ist es ein Krimistück mit Puzzle-Attitüde, in der ein Hobbydetektivpärchen das schafft, was die zu simpel denkende Polizei versäumt. Unsere Helden sind gebrochen und schwierig: Aura Peterescu (Argentos Tochter Asia) ist die magersüchtige, labile Tochter zweier Opfer des "Kopfjägers", wie die Presse den Serienkiller betitelte. Zufällig lernt sie den Grafiker und ehemaligen Drogensüchtigen David Parsons (Chris Rydell) kennen, der ihr Unterschlupf und Liebe bietet, und im Handumdrehen nicht nur das Rätsel um den Mord an ihren Erziehungsberechtigten lösen will, sondern sie auch noch von ihrer Bulimie befreien möchte.
Die Story ist mau. Die Auflösung ist typisch für Argento, und der Weg dorthin uninteressant und ärgerlich. David und Aura haben kaum Schwierigkeiten hinter einen unmenschlichen Ärzteskandal zu kommen, während die ermittelnden Cops (unter anderem der schrecklich overactende James Russo) auf jede noch so falsche Fährte hineinfallen. Unterbrochen wird die stringente Krimihandlung durch kurze Szenen, die in dem Nachbarshaus des unbekannten Mörders beginnen. Hier entwickelt ein Spitzbube (Cory Garvin) Interesse für das eigenartige Getier, das sich im Nebenhaus befindet. In den Szenen, in denen der kleine Junge direkt in das Haus des brutalen Killers einbricht, um mit seinen Mordwerkzeugen herumzuhantieren und ein Haustier zu stibitzen, haben wir einige der seltenen Momente echter Spannung und Suspense. Das kindliche Entdecken des Grauens just nebenan ist erschreckender und spannender als die zähen Ermittlungen der beiden Hauptdarsteller.
Argentos Stil in "Trauma" ist ein anderer, als noch der in Filmen wie "Suspiria" oder "Opera". Die architektonische Brillanz, die man in "Suspiria" oder auch "Rosso - Die Farbe des Todes" bewundern konnte, fehlt in dem eher langweiligen Minneapolis gänzlich. Argento spielt immer noch ab und an mit Farben und setzt Steadycams mit Fischaugen-Objektiven ein, um einen POV-Flug eines Schmetterlings zu realisieren - in dem Kontext des sonst eher statischen "Trauma" wirken jene Szenen eher eingequetscht und gezwungen. Dennoch mögen wenigstens die satte Beleuchtung in dem breiten Cinemascope-Film gefallen.
Für die Musik sorgt diesmal Pino Donaggio, der einen sehr klassischen Score entwarf, und somit etwas ungewöhnliches in Bezug auf Argentos bisherigen Schaffen wagte: Waren Argentos Filme in der Vergangenheit durch Pop-lastige, experimentelle Scores von Claudio Simonetti oder Keith Emerson veredelt worden, mutet Donaggios Filmmusik ungewöhnlich unspektakulär und langweilig an. Trotzdem ist der Score, ähnlich wie die Goblin-Klänge in frühreren Argento-Filmen, penetrant in den Vordergrund abgemischt worden, so dass der leise Soundtrack Donaggios nach nur kürzester Zeit stört. Ähnlich ungewöhnlich ist auch Tom Savinis Zurückhaltung beim Blutgehalt der Spezialeffekte. In nur wenigen Mordszenen zeigt uns Argento plastische Gewalt, und wenn, dann nimmt er ihm durch ironische Übertreibung - die separierten Köpfe machen Grimassen oder schreien - den Schrecken.
Argentos Auseinandersetzung mit Magersucht und Todessehnsucht mag eine persönliche Odyssee für den Regisseur zu sein. Gerüchten zufolge basiert die Figur der Aura auf einer älteren Tochter Argentos, die er von einer früheren Ehe hatte. Anna Argento soll an den Folgen ihrer Magersucht kurz nach Erscheinen "Trauma"s gestorben sein.
Argentos erster amerikanischer Film ist wie erwartet nicht so stark und nicht so einfallsreich wie gewohnt. "Trauma" ist sicherlich kein schlechter Film, dennoch nimmt der Mischmasch aus italienischem Giallo und amerikanischem Ambiente dem Film jegliche Funktionalität. "Trauma" ist nicht spannend oder psychologisch von großem Interesse, sondern mag nur wegen wenigen lichten Momenten und durchweg soliden Filmemachens seine Zuschauer gutmütig stimmen. Weder neueinsteigende Mainstreamer, noch Argento-Vollblut-Fans, werden dem Film hundertprozentig etwas abgewinnen können, und so ist auch dieser europäisch-amerikanische Kompromiss gescheitert.
5/10
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#20
Geschrieben 15. März 2004, 12:12
Originaltitel: Dr. Strangelove or: How I learned to stop worrying and love the Bomb. Großbritannien, 1964. Regie: Stanley Kubrick.
"Now then, Dmitri, you know how we've always talked about the possibility of something going wrong with the Bomb... The Bomb, Dmitri... The hydrogen bomb!", sagt Peter Sellers nervös in den Telefonhörer. Sellers ist der amerikanische Präsident Merkin Muffley, und er muss gerade dem russischen Premierminister Dmitri Kissoff klarmachen, dass diesmal wirklich etwas schiefgegangen ist mit der Bombe. Sein Gesprächspartner Kissoff scheint zu dem Zeitpunkt noch völlig unbeeindruckt von dem vorsichtig-beschwichtigenden Ton in Muffleys Stimme, während er sich langsam an das heikle Thema heranwagt, sondern lässt im Hintergrund Musik laufen und scheint Damenbesuch zu haben. Als er dann erfährt, dass mehrere US-Bomber auf den Weg ins russische Heimatland sind, um dort strategisch durch den Einsatz von Bomben den "Ruskies den Arsch zu versohlen", scheint sich jede Promille Alkohol aus dem Blut des russischen Staatsoberhauptes verabschiedet zu haben. Ja, die Welt steckt in einer gigantischen Krise. Und wir, die Zuschauer, haben den Spaß unseres Lebens.
Stanley Kubrick haben wir diesen Spaß zu verdanken, der mit "Dr. Seltsam Oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" zweifellos die beste Satire der Filmgeschichte drehte. Komischer, intelligenter, bissiger geht es kaum mehr. Filmisch, wie inhaltlich interessant, ist "Dr. Seltsam" einer der wichtigsten Kubrick-Filme überhaupt.
In "Dr. Seltsam" blicken die beiden Gegner im Kalten Krieg, Amerika und Russland in eine gemeinsame, düstere Zukunft. Das Ende beider Länder könnte bevorstehen. Jedoch wurde der Konflikt nicht durch Kriegstaktiken, nicht durch ein strategisches Manöver heraufbeschworen, sondern findet seinen Auslöser in schlichtem, menschlichen Versagen. Bestrebt, die Reinheit seiner Körpersäfte zu waren, beschließt General Jack D. Ripper seinem Präsidenten zuvorzukommen, und einfach eine Armada von B-52's nach Russland zu schicken, die dort den Atomkrieg entfachen sollen. Ohne Provokation, einfach nur, um endlich das As im Ärmel auszuspielen. Da die Bomberpiloten denken, sie würden einen dringenden Notfallplan ausführen, sind sie nur durch einen Kommandocode zurückzurufen, den natürlich nur Ripper kennt.
Wenige Stunden bleiben der amerikanischen Regierung, um einen Ausweg aus der ungewollten Krise zu finden. Präsident Merkin Muffley versucht aus dem Kriegsraum im Weißen Haus eine Lösung zu finden. Zur Seite stehen ihm der knallharte General Buck Turgidson, der dem bevorstehenden Ende für Russland eher gelassen entgegensteht, und darin sogar einen Vorteil für sein geliebtes, kapitalistisches Amerika sieht; der russische Botschafter Alexi de Sadesky, der enthüllt, dass Russland in dem Falle eines Abwurfs von Atombomben eine allesvernichtende, automatisierte Waffe erbaut hätte, deren Gegenschlag unabwendbar die Erde für die nächsten 90 Jahre radioaktiv verseuchen würde; und der wahnsinnige Dr. Strangelove, ein Ex-Nazi im Rollstuhl.
Voller Niedertracht seziert Kubrick hier die Befehlskette amerikanischer Militärs, als auch die Kaltblütigkeit, mit der Armeegeneräle von den nächsten Schachzügen sprechen, und dabei über Millionen von Menschenleben richten, so, als würde es sich wirklich nur um die Schachfiguren handeln. In einer Zeit des Wettrüstens, in der die Kontrolle über "die Bombe" enormen politischen Einfluss hatte, erzählt Kubrick hier die Geschichte, wie die Bombe, beziehungsweise die russische "Weltvernichtungsmaschine" sich dem Einfluss menschlicher Intelligenz entzieht, und selbst entscheidet. Kubrick führt das kriegsmännische Posieren mit der möglichen Vernichtung alles Lebens ad absurdum und lässt uns den Schrecken in jedem Knochen spüren.
Doch natürlich ist "Dr. Seltsam" dadurch kein erschreckender, bedrückender Film. Der kurzweilige, flotte Kinofilm hat viel zu viele Lacher auf seiner Seite, als dass ernsthaft von dem satirischen Aspekt verschreckt werden könne. Doch so komisch die Dialoge auch sein mögen, filmisch nimmt sich der Film durchaus ernst. In den wenigen Kriegsszenen, in denen natürlich, im Geiste der Satire, Amis gegen Amis kämpfen, drehte Kubrick mit wackeliger Handkamera und war damit einer der ersten, die solchen Actionszenen einen Dokumentarfilm-Touch gaben, um ihre realitätsnahe Wirkungsweise zu intensivieren. Man hinterfragt den Wahrheitsgehalt der Bilder nicht, wenn sie nicht gewollt filmisch und durchkomponiert künstlerisch wirken; sondern wenn sie unruhig, verwackelt, ungenau, immer wieder aufbebend, wenn etwas in der unmittelbaren Nähe explodiert, sind, nimmt man das Gesehene als bare Münze hin. Jene Szenen sind ernst gedreht und keineswegs vordergründig humorvoll (mal abgesehen von der Szene, in der Ripper aus seinem Büro den Kampf führt), sondern wirken erst in ihrer absurden Gesamtsituation verzweifelnd komisch.
Aber keine Angst, der Zuschauer hat Gelegenheit zum lauten Herausprusten. Zwar ist kein Dialog beschränkt auf plumpen, zotigem Witz, aber bei Sätzen wie "Gentlemen, you can't fight in here! This is the War Room" dürfte jedem das Gesicht mindestens zu einem breiten Grinsen entgleisen. Die Satire ist klug und scharf und verlässt sich voll auf seine Darsteller. Peter Sellers spielt gleich drei Rollen, ähnlich seines multiplen Vorkommens in Kubricks Vorgängerfilm "Lolita": Group Captain Lionel Mandrake, der zusammen mit dem wahnsinnigen Ripper in dessen Büro eingesperrt ist. Hier muss er sich die psychotischen Theorien der Säfte entkräftenden Russen anhören, während er verzweifelt versucht von dort aus, dem Treiben ein Ende zu setzen. Später hat es Mandrake dann mit einem amerikanischen Colonel zu tun, der ihn für einen Perversling hält, da Mandrake befiehlt, einen Coca-Cola-Automaten aufzuschließen. Amerikas Heiligtum wird als Geldwechselmaschine vergewaltigt. Keenan Wynn als der stoische Colonel droht Mandrake: "You're gonna have to answer to the Coca-Cola company".
Die zweite Sellers-Rolle ist die des nervösen US-Präsidenten, eine weniger übertriebene, ernsthaftere Rolle. Hier hat Sellers die Chance, ein gesamtes Telefonat mit der russischen Seite des heißen Drahtes zu improvisieren. Eine grandiose Szene, in der Sellers jede außenpolitische Freundlichkeitsfloskel bemüht, um die Schwere der Botschaft zu beschwichtigen. Seine dritte Rolle ist dann absolut over-the-top. Der im Rollstuhl sitzende Ex-Nazi-Wissenschaftler Dr. Strangelove, dessen Theorien meist von einem zwanghaft in die Luft zischenden rechten Arm und einem herausgebrüllten "Mein Führer!" unterbrochen werden. Dr. Strangelove ist eine herrlich überzeichnete Karikatur, völlig neben der Kappe und ohne jeden Realismusanspruch.
So virtuos Sellers mit allen drei Figuren umgeht, das schauspielerische Highlight ist jedoch George C. Scott, der Kaugummi kauende General Buck Turgidson. Scott wurde von Kubrick zum Overacten ermutigt, und eine unglaublich energetische, gummigesichtige Vorstellung ist das Resultat. Sein Turgidson ist ein überschwenglicher General, der regelmäßig schlechte Nachrichten verkündet, und jegliche Menschlichkeit für eine eigene militärische Logik opfert. Die Grimassen, die Scott zieht, die überreichliche Gestik - alles scheint hundertprozentig zu sitzen und zu passen. Selbst als Scott über seine eigenen Füße stolpert und auf den Boden stürzt, läuft die Kamera weiter. Auch aus der Nummer kommt Scott hervorragend und überzeugend heraus.
Am Ende steht das Ende der Welt. Anstatt den Film einem Happy-End zu opfern, zeigt uns Kubrick jene schreckliche Konsequenz des Krieges: Kurz zuvor ritt Slim Pickens seine Bombe ins Ziel, nun vollführen Atompilze ihren morbiden Tanz zu Vera Lynns "We'll meet again". "Dr. Seltsam" ist eines der großen Kubrick Meisterwerken, ein großartiger, humorvoller, hintergründiger Film, so intelligent, wie komisch zugleich. Toll geschauspielert, ebenso fabelhaft gedreht. Grotesk und doch wahr.
9/10
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#21
Geschrieben 19. März 2004, 16:56
DIE PASSION CHRISTI
Originaltitel: The Passion of Christ. USA, Italien, 2003. Regie: Mel Gibson
Lieber Gott,
vergeb' mir, denn ich habe gesündigt. Ich war nicht nur seit Ewigkeiten nicht in der Kirche, ich habe mich auch noch dazu hinreißen lassen, einen Film, jenes satanische Lichtspielwesen, das uns immer wieder dazu anhält, zu sündigen, oder jegliche Sünde als vertretbar darstellt, anzusehen. Dabei wollte ich nur etwas über Dich und Deinen Sohn erfahren. Meine Motivation ist also hinlänglich gerecht und lobenswert.
Der Film hieß "Die Passion Christi", ein Lehrfilm über die letzten Tage im Leben Deines Sohnes, Jesus Christi. Ein Schauspiel das haarkleinst abbildete, wie Dein Erstgeborener von dem Übeltäter Judas verraten wurde. Du wirst das alles bereits wissen, aber der Film hatte kein Happy End. Man zehrte Jesus von Pontius Pilatus zu König Herodes und wieder zurück zu Ponti, der das Leben des Christus schließlich in die Hände der Juden übergab. Diese Juden waren ziemliche Scheusale, die Deinen Sohn schließlich kreuzigten. Er starb auf dem Berg Golgotha.
Der Mann, der diese filmische Sünde verbrochen hat, ist Mel Gibson. Ich weiß, den wirst Du Dir noch vornehmen, denn er zeigte das sich zu Ende neigende Leben Christi sehr detailgenau und oftmals komplett korrekt bezüglich seiner Vorlage, der Bibel, Dein geschriebenes Wort, verzichtete aber dennoch nicht auf all jene Folter- und Gräuelsequenzen, die darstellen, wie übel dem Gottes Sohn mitgespielt wurde. Ich kann nicht beurteilen, ob das damals live auch so ekelig abging, damals war ich noch Quark im Schaufenster, wie Du weißt. Aber es hat mich schon ziemlich überrascht wie viel Energie Gibson darauf verschwendet jede Qual, die Christi zu erleiden hatte, entsprechend gruselig und hart in die Theater bewegter Bilder zu bringen.
Nun, lieber Gott, muß ich gestehen, ich mag mir gerne Filme ansehen, und zu einem gewissen Grad war ich auch be "Die Passion Christi" unterhalten. Doch nur durch die gottlosen Spezialeffekte die erschreckend jede Wunde Christi nachbildeten. Mitmenschen, die "Die Passion Christi" einen gelungenen Film nennen, werden sich nur von den brutalen Folterszenen geblendet haben lassen. Denn neben jenen blutgetränkten Sequenzen, gibt es nichts, was Gibsons Interpretation der Jesus-Passion interessant gemacht hätte. Zu starrhalsig geht er hier mit dem Original um, und schafft es, die Bibel Wort zu Wort als langweiliges, unreligiöses Splatterfilmchen aussehen zu lassen. Wie du weisst, ist die Chance, dass Gibson all jene Szenen relitätsgenau ausstattete, eher hoch, jedoch geht dem Film kein religiöser oder nur menschlich bewegender Aspekt ab, der nicht nur auf dem Märtyrum Christi basiert.
Lieber Gott, ich weiß Du bist ein vielbeschäftigter Mann, und in diesen Tagen werden viele zu dir beten. Johannes Paul beispielsweise, der den Film am liebsten in die Hölle zum ollen Satan schicken würde. Oder auch die jüdische Lobby, die dem Film Antisemitismus vorwirft. Deswegen mach ich's jetzt auch kurz. Bitte vergeb' mir, und verurteile alle jene, die dieses exploitativ anmutende Bibelstory für ein Meisterwerk halten. Dein Name sei gesegnet, wie im Himmel und auf Erden.
Amen
... ach, und verhindere mal, dass Steven Seagal weiterhin Filme dreht.
3/10
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#22
Geschrieben 26. März 2004, 20:25
USA, 1998. Regie: Rozz Williams & Nico B.
Wenn man im Filmlexikon "Underground" nachschlagen möchte, so wird man fortan dort wohl als exemplarisches Beispiel "Pig" lesen können. "Pig" ist mehr Underground als alles zuvor. Gleich vorweg: "Pig" ist schwer zu schauen und fast unmöglich zu verstehen - zumindest im traditionellen Sinne. "Pig" sieht so aus, als hätten Richard Kern und Nick Zedd zeitgleich ein Remake von "Begotten" und "Schramm" gedreht. Aber doch waren es die filmisch eher unbescholtenen Rozz Williams und Nico B.
Wagt man einen groben Umriss dessen, was man auf dem Bildschirm zu sehen bekommt, dann wird man es als Geschichte eines Killers beschreiben, der sein Gesicht hinter einer Schweinemaske versteckt, ein ebenso gesichtsloses, unter Bandagen verstecktes Opfer irgendwo in der Wüste aufgabelt. Der Killer bringt sein Opfer in ein Haus, wo er mit der Folter beginnt - anscheinend inspiriert von einem bizarren Zauberbuch namens "Why God Permits Evil".
Der Höhepunkt der wilden schwarzweißen, auf grobkörnigem und verschmutzten 16mm-Material gedrehten Tortur sind jene Schockszenen, in denen dem Akteur James Hollan das Wort "Pig" mit einem Rasiermesser auf die Brust geritzt, und ein amateurhaftes Genitalpiercing gesetzt wird. Da die groben, verwackelten Bilder keinen Zweifel an der Authenzität der gezeigten Schockbilder lassen, wird eine Grenze in diesem Underground-Flick überschritten, die sonst nur im pornographischen Sadomaso-Bereich links liegen gelassen wird. Diese Szenen dürften die sein, die am härtesten zu verdauen sind. Aber es sind auch die einzigen Szenen, die nicht jene bedrohliche, abgefahren-kaputte Atmosphäre bieten, sondern die sich selber auf die eigene "Gross-Out"-Attitüde der beiden Darsteller reduzieren, und somit für wenige Minuten nur eine bessere Jahrmarkts-Freak-Show sind, als wirklicher Horrorfilm.
Konzipiert als Versuch in eigene dunkle Fantasien abzutauchen, änderte Rockmusiker Williams ("Christian Death") den Kurs seines Kurzfilmes, und machte daraus einen detaillierten Tauchgang in die wirren Tiefen einer Killer-Psyche. Ohne verständlichen Dialog und ohne klar strukturierten Soundtrack und mit einem Schnitt, der jegliche Verbindung zur Realität aufhebt und verneint, schuf er ein abstraktes, avantgardistisches, surreales Werk voller Bosheit und Hass. Dass dieser Film, der mit dem Thema eines durch einen Killer kalkulierten Todes spielt, kurz vor dem Selbstmord der Gothic-Rock-Ikone Williams fertiggestellt wurde, mag kein Zufall sein. Für viele Verfolger der Karriere des Rozz Williams dürfte "Pig" eine seiner, trotz der ständigen Abstraktion der Bilder, persönlichsten Arbeiten sein.
Wenn man von den platten Schocksequenzen absieht, hat man mit "Pig" ein diabolisches Filmfragment. Verstörend, böse und brutal. Der Kurzfilm funktioniert genauso als subjektive Beschreibung des verständnislosen Killer-Daseins, als auch als Testament für Rozz Williams.
7/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
"I ask of film what most North Americans ask of psychedelic drugs." - Alejandro Jodorowsky
"When two or more people agree on an issue, I form on the other side." - Bill Hicks
#23
Geschrieben 09. April 2004, 13:32
Originaltitel: Cidade de Deus. Brasilien/Frankreich/USA, 2002. Regie: Fernando Meirelles.
"Cidade de Deus" heißt der Überraschungserfolg aus Brasilien, ein junger, mutiger Film aus einem Herkunftsland, das man nicht oft mit hochwertiger, filmischer Ware in Verbindung brachte. Und schon gar nicht in dem Ausmaße, wie es mit "Cidade de Deus", der international als "City of God" vermarktet wurde, geschah: Oscar-Nomnierungen, weltweile Veröffentlichungen im Kino oder auf Bildmedien. Warum gerade dieser brasilianischen Produktion solche Ehre zu Teil wurde, wird schnell klar: Erstens, der Film ist ganz gut. Und zweitens, und das ist viel wichtiger, bedient sich Regisseur Fernando Meirelles hinlänglich an Vorbildern aus dem US-amerikanischen Filmmarkt, an den wilden Filmemachern, die sowohl von Kritikern, als auch von den zahlenden Filmfreaks vergöttert werden - weil sie so hip und cool und talentiert zugleich sind: Scorsese, Tarantino und Stone.
Gleich zu Anfang, wenn in einer nervigen Soundcollage das Gackern von Hühnern, brasilianische Straßenmusik und das Schlirren eines Messers, das auf Stein geschliffen wird, auf schnelle, hektische Schnitte gelegt werden, dürfte jedem klar sein, dass "City of God" keinen eigenen, brasilianischen Stil besitzt, sondern lediglich genug Budget, um mittels hochwertiger Steadycams und anderer technischer Spielereien den Look zu erzeugen, der sonst nur den Inspiratoren aus den Vereinigten Staaten vergönnt ist. Nix mit brasilianischer Folklore also, wir befinden und mitten in einer US-Produktion. Hat man diese erste kleine Enttäuschung überwunden, entfaltet sich ein wahrlich interessantes Gangsterepos, das aber oft genug den Zuschauer blendet, als wirklich Qualitäten zu entfalten.
Der Prolog ist Teil einer der Schluss-Sequenzen aus dem Film. Ja, Meirelles erzählt seinen Film unchronologisch. Mittels einer Kapitel-gleichen Trennung der einzelnen Abschnitte und vieler Leinwandtexte setzt Meirelles wilde Verknüpfungen und Gliederungen innerhalb seiner Geschichte. Die Übersicht verliert man glücklicherweise nie, doch schmeckt man auch hier wieder den bitteren Nachgeschmack einer Tarantino-Imitation. Denn rein dramaturgisch ist die Verschachtelung der Ereignisse in diese Drehbuchform nicht notwendig. Der Off-Kommentar des Helden, den Meirelles ständig zur Orientierung innerhalb der Story nutzt, hätte allein gereicht, um dem Zuschauer die Beziehungen zu erläutern. Der oben genannte Prolog endet mit einer vertrackten Situation. Der Held unserer Geschichte, der junge Buscapé (Alexandre Rodrigues) stolpert aus Versehen in den Gangster Locke (Leonardo Firmino) hinein, der kurz zuvor durch den Dialog als Todfeind Buscapés etabliert wurde. Obwohl in der gleichen Sekunde Polizisten in das Szenario kommen, ist die Situation brenzlig. Locke hat eine Waffe in der Hand und hinter ihm steht seine Armee von jungen Gangstern, die allesamt mit Waffen ausgestattet sind, die die Kinder kaum heben können. Dann blendet der Film wieder aus, und widmet sich den Anfängen der Geschichte. Die nächsten 2 Stunden braucht dann der Film, um zu erklären, dass jenes vermeintlich tödliche Treffen zwischen Buscapé und Locke ein eher zufälliges, missverständlich böses war.
In "City of God" geht es um Gewalt, Drogen, Sex, Freundschaft und das Erwachsenwerden. Also um alles, was man von einem knallharten Gangsterfilm erwartet. Aber "City of God" eröffnet uns nicht mehr als das. Gerade weil die Geschichte des jungen Fotographen, der sich aus den Bandenkämpfen und Schießereien heraushält und doch immer wieder zwischen die Fronten von Gewalt und Blut gerät, authentisch ist, hätte man von dem Regisseur mehr hintergründige Sensibilität erwartet. Meirelles weiß, wie cool man das Mündungsfeuer von Schusswaffen inszenieren kann, versteht sich aber kaum, die Motivationen oder die Hintergründe für all das Verbrechen in seinem Heimatland auszuleuchten, oder wenigstens zu hinterfragen. Der Teufelskreis aus sozialen Missständen, zerstörter Zukunftsperspektiven, dem Lebenserhaltungsdrang auf den Straßen und der daraus oft folgende Eintritt ins Verbrechertum wird zwar angedeutet, aber nie kritisiert.
Letzten Endes bleibt "City of God" ein Actionfilm, der sich darauf bestens versteht, laute, blutige Ballereien einzufangen und nebenbei eine durchaus interessante Story zu erzählen. Ja, der Film ist überraschend direkt, sehr temporeich und unterhaltsam. Doch leider verkommt der Film, der so viel mehr hätte sein können, dadurch zum seichten Gangsteractioner ohne Tiefgang.
6/10
"Cinema is everything to me. I live and breathe films... I even eat them" - Lucio Fulci
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#24
Geschrieben 09. April 2004, 16:33
Originaltitel: They live. USA, 1988. Regie: John Carpenter.
Der Held aus "Sie leben!" hat keinen Namen, dafür 'ne scheiß Frisur. Der Abspann jedoch verifiziert den Haarunfall als Nada. Gespielt wird der Held ohne Namen von Roddy Piper, grobschlächtiger Ex-Wrestler, der allen Erwartungen gemäß schlecht spielt. Seine Figur ist eine Art Landstreicher, unterwegs durch die USA. Er sagt, er glaube an dieses Land, und wartet nur auf seine Chance, auch einmal Glück zu haben, und das passende Geld zu verdienen. Wenig später hat er eine Sonnenbrille in der Hand, die ihm erstmals gewährt, die Wahrheit zu sehen: Unsere Welt steckt in der Hand von Aliens, die unsere Rohstoffe ausbeuten, und die gesamte Bevölkerung unterwandert haben.
Ganz schön viel Belastung auf einmal für so einen einfachen Mann wie Nada. Aber bewaffnet mit einem grauenerregenden Holzfällerhemd, der Super-Sonnenbrille und ein paar Schießeisen wird er das Ding schon schaukeln. Er verbündet sich mit einem Schwarzen und kämpft fortan gegen die Aliens und gegen ihre menschlichen, kapitalistischen Unterstützer - ach, eigentlich gleich gegen alles, was die Reagen-Ära in den Achtzigern ausgemacht hat. Doch neben jenen satirischen Schlägen hat "Sie leben!" nicht viel zu bieten.
Die stimmungslose Musik von Carpenter selbst fängt nie die Ausweglosigkeit in der sich die Menschheit angesichts der Invasoren befindet ein - und auch die Story vermag nicht einmal dem nachzukommen. Die ganze Erde ist von Aliens übersät, aber Mr. Roddy Piper muss sich nur kurz in der nächsten Seitenstraße verstecken, und schon ist er sicher - dass ganz Amerika inklusive der menschlichen Bürger dank Steckbrief-Plakatierung und TV-Propaganda sein Gesicht kennen, stört ihn und Regisseur Carpenter anscheinend nicht. Selten, eigentlich nur zu Anfang des Films, zeichnet Carpenter den außerirdischen Aggressor als wahre Bedrohung für Nadas pulsierendes Leben. Anstatt seine Bösewichte wirklich gefährlicher und interessierter an einer aktiven Sterbehilfe für Nada zu inszenieren, hält sich Carpenter lieber mit einer minutenlangen, ermüdenden Wrestling-Szene auf, in der Nada und sein afroamerikanischer Kumpel Frank sich gegenseitig die Birne einkloppen, weil wieder einmal jegliche Vernunft oder verbale Kommunikation versagt haben.
Vielleicht hätte man mehr Geld in das Drehbuch investieren sollen, und nicht nur John Carpenter alleine daran ’rumdoktoren lassen - das Geld hätte man sich aus der Gage von Roddy Piper sparen können. Kein Zuschauer hätte es bemerkt, hätte man den Stiernacken mit einem kostengünstigen Pappaufsteller seiner selbst ausgetauscht. Relativ clever fällt da auch die Auswahl der anderen Darsteller aus. Keiner der B-Mimen, die hier herumstolpern, haben nur ansatzweise das Können oder die Begabung, um den überforderten Piper an die Wand zu spielen. Carpenter hat seinen Film durchweg schlecht besetzt. Der Höhepunkt ist die schreckliche Meg Foster, deren Leinwandtot man ständig entgegenfiebert.
Positiv kommt das Alien-Design weg. Gerade in den ersten irritierenden Szenen, in denen Nada seine Sonnenbrille aufsetzt, und der außerirdischen Hässlichkeit ins Angesicht blickt, wirken erschreckend und schön irreal. Doch der Zauber verfliegt proportional zu den öfter vorkommenden Alienfratzen schnell.
Wem die Satire an den Konsumismus gefällt, der mag kurze Zeit unterhalten sein. Aber die schlaffe Inszenierung, die langweilige, musikalische Untermalung und die desaströsen "Schauspieler" machen den Filmtitel zu einer Lüge: "Sie leben!" ist so leblos, inhaltlich wie formal, dass der 90-minütige Durchgang durch diesen Carpenter-Streifen fast zwangsläufig mit einem Sekundenschlaf verbunden sein muss. Verpassen wird man nichts.
3/10
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#25
Geschrieben 12. April 2004, 17:19
USA, 2003. Regie: Tim Burton.
Tim Burtons neuestes Werk "Big Fish" lädt zum Träumen ein. Ein ruhiger, zauberhafter Traum, bei dem man allerdings seine Augen auflassen sollte. Wenige Minuten nach Beginn des filmischen Traums hat "Big Fish" seinen Zuschauer schon in seinen Bann gezogen, und man ist inmitten eines farbenfrohen Märchens: optimistisch, verzückend und von Grund auf gut.
Grundlegend geht es in "Big Fish" um eine angeknackste Vater-Sohn-Beziehung: Während Papa Ed Bloom ständig in die Rolle des exzentrischen Märchenerzählers zu schlüpft, um sein Publikum mit fantastischen, angeblich autobiographischen Spinnereien zu unterhalten, ist Sohnemann William von dem Ego und von dem Anglerlatein seines Vaters genervt, und distanziert sich letzten Endes von dem Leben seines Daddys. Erst als dieser im Sterben liegt, kehrt Will mit seiner Frau Josephine in sein Zuhause zurück, um sich mit seinem Vater auszusprechen. Doch selbst geschwächt vom Krebs und dem Tod ins Auge blickend, läßt Ed nicht von seinen ausgeschmückten Erinnerungen ab. Während Regisseur Burton uns die Geschichte Ed Blooms in dessen märchenhaft-übertriebener Version zeigt, versucht Will in der Gegenwart Hin- und Beweise für das wahre Leben seines Vaters zu finden.
Eds Geschichten werden auf der Leinwand zu einem bunten Märchenbuch. Ed, ein anständiger junger Mann, trifft auf Hexen, Riesen, versteckte Städte, siamesische Zwillinge und, und, und. Burtons Kreativität scheint auf dem Zelluloid schier explodiert und zu einem gigantischen Triumph zusammengewoben worden sein. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen Burton in seinem filmischen Output Düsternis und Pessmismus ("Sleepy Hollow", "Planet der Affen") vorherrschen ließ - in "Big Fish" liegt eine zu seinen bisherigen, gar zynischen Werken (vergleiche "Edward mit den Scheerenhänden") völlig konträre, naive Harmonie. Jeder Mann hilft seinem Nächsten, die Liebe triumphiert über alle Hindernisse, und selbst das Sterben wird hoffnungslos romantisiert. Wer würde seinen Abgang vom irdischen Leben nicht gerne so glücklich, prachtvoll und verrückt erleben, wie in diesem Film Edward Bloom? In "Big Fish" gibt es nicht mal einen klassischen Bösewicht: Der Riese entpuppt sich als herzensguter Weggefährte, die Hexe als anachronistische, unerfüllte Liebe - selbst der Krieg, zu dem Ed einberufen wird, wird lieber ausgelassen, als dass man der unbekümmerten Atmosphäre hier einen Bruch gewähren ließe.
Vorbei sind auch die Zeiten für Regisseur Burton, in denen er sich nur auf die Optik seiner Filme verlässt. In einem Projekt, das über das Leben eines Geschichtenerzählers berichtet, muss Burton selbst zu einem Geschichtenerzähler werden, und muss alte Unzulänglichkeiten bezüglich Spannungsaufbau und Storyline überwinden. Burton schafft es erstaunlicherweise seinen Film, dessen Narration ständig zwischen Vergangenheit, Gegenwart, Realität und Fiktion hin- und herspringt, rund wirken zu lassen. Nie fühlt man sich durch die Wechselhaftigkeit in der Erzählung gestört oder vor den Kopf gestoßen. Ed Bloom sagt in einer Szene, dass die meisten Menschen eine Geschichte geradlinig und wahr erzählen, und das dies zwar weniger kompliziert wäre, aber auch gleichzeitig viel weniger interessant. Und genau dies hat glücklicherweise Tim Burton berücksichtigt, und hat eine etwas kompliziertere Art des Storytelling benutzt, dafür aber das Interesse seines Publikums auf ganzer Linie gewonnen.
Während man also Regisseur Burton und ganz sicher der gesamten Effects-Crew für all den Zucker für die Augen dankbar sein kann, darf man die großartigen Darsteller nicht vergessen: Das Doppelgespann Ewan McGregor und Albert Finney, die den selben Mann in unterschiedlichen Epochen darstellen, und überraschenderweise kleine, physische Ähnlichkeiten aufweisen, allein ist die Kinokarte wert. Auch wenn die Rollen von so begabten Darstellern we Jessica Lange, Steve Buscemi, Danny DeVito, Helena Bonham Carter oder Billy Crudup verhältnismäßig klein gehalten wurden, spielen sie jede Szene mit Hingabe, ohne Aussetzer. Hinzukommt der wunderbare Soundtrack von Danny Elfman, der, ähnlich wie Burton, weg von seinen düsteren Wurzeln im Komponieren musste, und einen fröhlicheren Score schrieb.
Nichts von alledem in "Big Fish" scheint realistisch, oder ins wahre Leben ernsthaft übertragbar. "Big Fish" ist dennoch ein Film für Träumer, deren Horizont nicht an den Grenzen der Logik oder des kalten Realismus endet. Ein wunderbares Fantasieepos, das auf jegliche Rationalität pfeift. Für knallharte Realisten mag "Big Fish" irritierend sein, für diejenigen, denen Mythen, Magie, Poesie und die eine oder andere zum Schmunzeln anregende Anekdote noch etwas bedeuten, die können sich im Kinosessel entspannt zurücklehnen, und einen wunderbaren Traum für die nächsten 120 Min. erfahren. Der Weg nach dem Abspann in die kalte Realität dürfte dann aber umso schwerer fallen.
9/10
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#26
Geschrieben 19. April 2004, 12:11
USA, 2003. Regie: Matthieu Kassovitz.
Mal wieder ein Film, der mich nicht einmal dazu motiviert hat, einen längeren Text zu schreiben. Was soll's, dann halt mal einen Tagebucheintrag, wie er formal auch sein sollte.
Ich frage mich, warum ich eigentlich in diesen Film gegangen bin? Gut, ich hatte nicht die Idee, mir ausgerechnet Kassovitz' schnöden Grusler im Kino 'reinzuziehen, aber ich stand' vor der Wahl, italienisch essen zu gehen, oder nochmal ins Kino. Und obwohl ich Hunger hatte, habe ich mich für's Kino entschieden. Meine persönliche Einschätzung: Der Film ist verflucht. Er zieht seine Besucher grundlos an. So 'ne Roy-Neary-Close-Ecounters-"ich-matsche-mit-dem Kartoffelbrei-rum"-Sache.
Wie auch immer, "Gothika" ist lahm und überraschungsfrei. Außerdem mag' ich es nicht, wenn ein Film in seiner nach Außen hin propagierten Logik Platz für Geister und Gespenster läßt. Nicht dass Gespenstergeschichten nicht schön wären, aber hier hat's nicht gefunkt zwischen den Geistern, Halle und mir.
2/10
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#27
Geschrieben 19. April 2004, 12:14
Originaltitel: Keeping the Faith. USA, 2000. Regie: Edward Norton.
Mittlerweile zum mindestens fünften Mal gesehen. Schöner Film, schöne Menschen, schöne Musik. Schöner Filmeabend unter Freunden. Jenna Elfmans Synchrostimme ging mir auf'n Sack.
9/10
So, meine nächsten Einträge werden wieder länger. Glaube ich.
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#28
Geschrieben 03. Mai 2004, 10:42
Originaltitel: Le Charme discret de la bourgeoisie. Frankreich/Italien/Spanien, 1972. Regie: Luis Buñuel.
Sie sind gebildet, wohl erzogen und Mitglied der Großbürgertums in Paris. Sie wissen genau auf welche Weise man welchen Drink korrekt zu sich nimmt, und sie wissen ebenfalls genau, auf welche diskret-höfliche Art und Weise man seine Manieren wahrt, während ein wildfremder Soldat die Geschichte seines Vatermords auftischt. Sie sind bourgeois, hochnäsig und weltgewandt. Und sie sind zumeist hungrig. Um sich gegenseitig die Freundschaft und Hochachtung zu beweisen, lädt sich ein französisches Sextett, darunter auch der Botschafter einer fiktiven lateinamerikanischen Diktatur, zu Diners ein, die aber jedes Mal wieder von Störungen aller Art unterbrochen werden.
Als der Film beginnt ist es noch ein kommunikativer Fauxpas, der auf einer wahren Begebenheit des Produzenten von "Der diskrete Charme der Bourgeoisie", Serge Silberman, basiert: Der bereits oben erwähnte Botschafter Don Rafael (Fernando Rey) kommt infolge seines Freundes Thevenot (Paul Frankeur), dessen Frau Simone (Delphine Seyrig) und ihre jugendliche Schwester Florence (Bulle Ogier) sind bei den Senechals (Stéphane Audran und Jean-Pierre Cassel) eingeladen. Als die Gäste eintreffen, jedoch sind sie Opfer eines peinlichen Missverständnisses. Der Gastgeber Monsieur Senechal ist nicht zu Hause, und dessen Frau ist unvorbereitet - beide nahmen an, die Einladung zum Essen für den folgenden Tag ausgesprochen zu haben. Man beschließt also zu fünft ein nahe gelegenes Restaurant aufzusuchen. Doch auch hier kommt man nicht zum erhofften Gaumenschmaus: Im Nebenraum liegt der aufgebahrte Leichnam des toten Restaurantbesitzer. Man beschließt sich vorerst zu trennen, und sich an einem späteren Zeitpunkt zum Essen zu verabreden.
Was nun folgt ist die immer wiederkehrende, szenische Abfolge dieser einen Grundsituation, in ihrer Absurdität aber kontinuierlich potenziert. So simpel es klingen mag, "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" erzählt nur von dem Streben von sechs Parisern, im Laufe der einzelnen Episoden durch Gäste, wie einen gärtnernden Bischof oder einer ganzen Armee ergänzt, gemeinsam zu tafeln. Doch die kulinarischen Begierden der bürgerlichen Gruppe können durchgängig nicht befriedigt werden. Mal ist das gastgebende Pärchen eher an einem gemeinsamen Koitus interessiert, als an dem Empfang der geladenen Freunde, ein anderes Mal finden sich die Dinierenden auf einer Theaterbühne wieder, als sich eine Stellwand als aufziehbarer Vorhang entpuppt. Zusammengehalten werden die aberwitzigen Episoden des lukullischen Scheiterns eher lose: Auf eine übliche Dramaturgie verzichtend orientiert sich Regisseur Luis Buñuel hier lieber an sein Frühwerk aus den 1930er Jahren, und verknüpft die Handlungselemente durch die Offenbarung der vorherigen Episode als bloßer Traum. Da träumt der eine vom Abbruch seines Festes durch Gewalttätigkeiten, und der andere träumt davon, wie wieder jemand anderes träumt, die Polizei hätte das Abendessen gesprengt und alle Anwesenden verhaftet.
Buñuel vermengt hier seine Realitäts- und Traumsequenzen, schickt sich aber zu keinem Zeitpunkt an die Grenzen zwischen den beiden Welten klar abzustecken und zu definieren. Wenn wir am Anfang einer neuen Episode sind, können wir höchstens anhand des Absurditäts-Grads der Essensunterbrechung erahnen, ob wir nun der harten Realität beiwohnen, oder ob das Theater als Traum entlarvt wird. Dabei bleibt Buñuel immer fröhlich und heiter. Damit ist "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" wohl einer seiner zugänglichsten Filme, der aber dadurch nicht an Qualität einbußen muss.
Die Stärke der satirischen Beobachtungen Buñuels liegt hier eindeutig darin, dass sich der Regisseur mittlerweile selber als Teil dieser bourgeoisen Gesellschaftsschicht wieder findet. In seinen Memoiren "Mein letzter Seufzer" widmet er selber mehrere Absätze der fast wissenschaftlichen Analyse eines korrekten Servierens und Trinkens eines trockenen Martinis. Wenn Paul Frankeur in "Der diskrete Charme der Bourgeoisie", nachdem er selbstgefällig einen snobistischen Diskurs über das gesellschaftlich korrekte Leeren des kegelförmigen Martini-Glases zum Besten gibt, den Chauffeur seines Freundes hereinruft, unter dem Vorwand dieser einfache Mann aus der Arbeiterschicht dürfe heute einen Drink mittrinken, ihn nach dem Zuprosten seinen Freunden als perfektes Beispiel dafür, wie man nicht einen Martini trinkt, vorführt, dann ist das ein überspitztes, kritisches Spiegelbild Buñuels selber.
Doch trotz all jener ironischen Spitzen auf das Bürgertum, vergisst Buñuel nicht, Buñuel zu sein, und fügt in sein Sammelsurium auch eine klerikale Parodie ein. Der lokale Bischof heuert bei den Senechals als Gärtner an, und wird für einige Zeit festes Mitglied bei den Versuchen miteinander zu dinieren. In einer Version wird der Bischof kurz vor dem Essen von einer ungläubigen Dorfbewohnerin gebeten, einem sterbenden Mann die letzte Ehre zu erweisen. Auf dem ärmlichen Totenbett offenbart sich nun die schicksalhafte Verbindung zwischen dem Sterbenden und dem betenden Geistlichen: Der Todkranke bittet um Vergebung seiner schrecklichsten Sünde; er brachte einst die Eltern des Bischofs um. Dieser erteilt ihm die Absolution, betet zu Gott für ihn - wendet sich ab, und erschießt den hilflosen Mann.
Nach all der Groteske und all der absurden Heiterkeit mag man sich fragen, was bedeutet nun "Der diskrete Charme der Bourgeoisie"? Den ganzen Film über ist es jene wohlerzogene Kinderstuben-Diskretion, die die Protagonisten benutzen um ihre eigenen Schwächen und Fehler zu kaschieren, zu verdrängen. Jeder der drei Männer ist in groß angelegte Koks-Schmuggels involviert, insbesondere der Botschafter Rafael Acosta, der gleichzeitig in manierlicher Höflichkeit die Grausamkeiten seiner verrotteten Heimat verteidigt oder leugnet. Er ist es auch, der die Frau seines besten Freundes begehrt - und als der Betrogene die außerehelichen Tätigkeiten seiner Frau entdeckt, wird dies etikettengerecht mit höflicher Ignoranz überspielt. "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" ist die Fähigkeit der Protagonisten jegliche Unannehmlichkeit, jegliche Peinlichkeit durch heuchlerisches und falsches Formgefühl verschwinden zu lassen.
Buñuels Groteske ist ein deliziöser Triumph. Sarkastisch, leicht, surreal und doch bedeutsam und hintergründig. Ein wunderbar schmerzender Seitenhieb auf die falsche Moral des Großbürgertums!
9/10
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#29
Geschrieben 04. Mai 2004, 19:16
Deutschland, 1928. Regie: Hans Richter.
Mit "Vormittagsspuk" machte der Dadaist Hans Richter den entscheidenden Schritt, weg von seinen abstrakten, inhaltslosen Filmspulen, hin zu erzählender Filmkunst, wenn auch immer noch avantgardistisch und experimentell. Weg von seinem Formenspiel, hin zu greifbaren, reellen Gegenständen. Ja, in "Vormittagsspuk" gibt es sogar darstellende Menschen.
Wenn es wirklich so etwas wie eine Geschichte hinter "Vormittagsspuk" gibt, dann ist es die von den Gegenständen, die gegen ihre angedachte Funktionalität und gegen die Herrschaft des Menschen rebellieren. Da sieht man vier Hüte alleine durch die Landschaft reisen. Sie brauchen keinen Besitzer, keinen Träger - Sie schweben in der Luft und demonstrieren, dass der Gegenstand über den Mann triumphieren kann. Mehr irrationale Dinge passieren: Ein Revolver wendet sich von seinem Besitzer ab, vermehrt sich und bedroht die Menschen um ihn herum. Die Türen eines Hauses gehen selbstständig auf und zu. Eine Fliege möchte nicht um den Hals ihres Eigentümers gebunden werden, und löst sich aus dessen Umklammerung. Und ein Feuerlöschschlauch wickelt sich eigenmächtig ab, um einen der Hüte auf seinem Wasserstrahl tanzen zu lassen.
Doch nicht nur die Gegenstände rebellieren gegen ihren Verwendungszweck. Richter kreiert in "Vormittagsspuk" eine gesamte (Traum-)Welt des Irrealen. Durch simple Spezialeffekte, wie eine clevere Montage, Linseneffekte und Stop-Motion-Einstellungen wird aus der Umwelt eine ungeheuer lebendige, andersartige Fantasywelt, in der scheinbar auch die Naturgesetze gegen den Menschen aufständig werden.
Nicht nur, dass Richters Meisterwerk eine Sammlung aller zu seiner Zeit denkbaren Tricktechniken beherbergt, "Vormittagsspuk" ist ein heiterer, dadaistischer Film voller eigentümlicher Bilder und einer grundlegenden surrealistischen Thematik: Die Gegenstände gegen das Lebendige. Die Verselbstständigung des Leblosen; aber auch die Rückkehr aus dem Chaos hinaus, zu einer realen Ordnung.
9/10
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#30
Geschrieben 05. Mai 2004, 20:00
Originaltitel: L'Important c'est d'aimer. Frankreich/Italien/Deutschland, 1975. Regie: Andrzej Zulawski.
Nadine Chevalier (Romy Schneider) sitzt auf ihrem Filmpartner. Es ist eine miese, sensationalistische Pornoproduktion, für die sie hier ihren Körper hergibt. Um sie herum das geschäftige Chaos der schmuddeligen Filmcrew, allen voran, die vulgäre Regisseurin, die sie dazu antreibt, endlich den von ihr geforderten Dialog zu sprechen. Doch Nadine Chevalier kriegt den Satz nicht über die Lippen - obwohl sie beteuert, eine echte Schauspielerin zu sein. Nadine scheitert an dem Satz "Ich liebe dich", da sie zu viel privaten Schmerz und innere Zerrissenheit mit diesem Satz verknüpft. In dem Augenblick absoluter Verzweiflung, macht der Fotograph Servais (Fabio Testi) heimlich Paparazzi-Aufnahmen von der scheiternden Darstellerin. Der Anbeginn von Andrzej Zulawskis "Nachtblende", der Anbeginn einer komplizierten Liebe.
Zulawski, schon immer ein Provokateur, der sein Handwerk als Assistent bei Andrzej Wajda erlernte, schuf mit "Nachtblende" einen schwierigen, komplexen Film, der wie ein halluzinatorisches Drama wirkt. Die Geschichte, die er nebenher erzählt ist wackelig und unausgewogen. Zulawski geht es bei seinem Film darum, seine Figuren an die Grenzen ihrer Existenz zu führen. Er sieht sich gerne die Figuren Schneiders, Testis und Jacques Dutroncs an, wie sie kurz vor dem Zusammenbruch stehen, wie sie mit ihrem seelischen Überleben kämpfen. Dass er dabei eine nicht hundertprozentig runde Erzählweise an den Tag legt, ist dabei vermutlich notwendig, wie auch kalkulierte Absicht.
Nach der oben beschriebenen Szene kommen sich Nadine und Servais näher. Servais verliebt sich schnell in die Mittdreißigerin, erkennt aber auch gleichzeitig, wie unzufrieden sie mit ihrem Leben ist: Eigentlich möchte sie endlich als anspruchsvolle Schauspielerin anerkannt werden, bekommt jedoch nur Angebote aus der Sexfilmbranche. Auch scheint ihre Ehe mit Jacques (Dutronc) nicht glücklich. Einst rettete er sie vor der Prostitution, doch wirkliche Liebe scheint zwischen dem verschrobenen Clown und der schwermütigen Künstlerin längst verflogen. Nadine lässt Servais so weit an sich heran, dass er zumindest diese Dinge über sie erfährt, begegnet ihm daraufhin dann allerdings kalt.
Um die Schauspielerin für sich zu gewinnen, nimmt Servais wieder Aufträge von dem Mafiosi Mazelli (Claude Dauphin) an, der ihn für fragwürdige Porno-Fotoshootings überdurchschnittlich bezahlt. Mit dem Geld finanziert Servais klammheimlich eine gewagte Theaterproduktion des homosexuellen Inszenators Messala, unter der Voraussetzung, Nadine würde einen wichtigen Part bekommen. "Richard III." wird gespielt, und Nadine soll als Lady Anne neben dem exzentrischen, maßlosen Karl-Heinz Zimmer (Klaus Kinski) spielen. Doch das Stück gerät zu einem desaströsen Flop, und die Spannungen im Leben zwischen Nadine und den beiden Männern werden immer komplizierter und gewagter.
"Nachtblende" ist ein Schauspielerfilm. Ohne die psychisch und physisch intensiven Leistungen von Romy Schneider, Fabio Testi und Klaus Kinski, die sich hier an den Rand des Wahnsinns spielen, wäre der Film nur halb so viel Wert. Der Rest macht die barocke Stimmung aus. Die Welt, in der die schicksalhaften Figuren wandeln, ist düster und ohne Glück. Testi spielt den Fotographen, der zwar viele lukrative Angebote bekommt, aber seinen künstlerischen Anspruch unterordnet, und nur die Bilder schießt, die von ihm verlangt werden - zumeist nackte Körper. Ein Loser. Ganz ähnlich die Schneider: Ihr Talent wird verschwendet. Während sie von einer Karriere auf den großen Theaterbühnen und vor den Kameralinsen der einflussreichen Regisseure träumt, kann sie gerade mal auf ein Engagement in einem billigen Exploitation-Streifen namens "Nympho-Kuda" zurückblicken. Kinskis Figur ist ein exzessiver Schauspieler, der sich selbst als unterschätzt und unverstanden ansieht. Ein Narzisst ohne Natürlichkeit, ohne die Liebe, die Testi und Schneider bewegt.
Zulawskis Position in dem chaotischen Reigen aus Liebe, Moral und Abhängigkeit ist meist die eines Beobachters. In wenigen Szenen, beispielsweise in der Sequenz, in der sich Testi und Dauphin als dessen Gangster-Mentor eine Aussprache unter freiem Himmel liefern, scheint Zulawski sich die Optik wirklich an die Figuren heranzutrauen. Viel lieber versteckt er sich voyeuristisch, wie die Auftraggeber des Fotographen, hinter der authentischen Kamera und lässt seine Darsteller theaterhaft agieren. Die selten eingesetzte, dafür um so lauter in den Vordergrund gemischte, schwere Filmmusik Delerues scheint manchmal das einzige, filmtechnische Spiegelbild für die zögerliche Liebe zwischen Schneider und Testi zu sein.
"L'Important c'est d'aimer", so der Originaltitel, der übersetzt "Was zählt, ist Liebe" bedeutet, ist eine pessimistische Reflektion Zulawskis auf das Leben mehrere Künstler - seien sie Schauspieler oder Fotographen (oder Regisseure), die ihr Leben und ihre Leidenschaft für die Kunst irgendwo zwischen dieser und dem Kommerz arrangieren müssen, und die darüberhinaus ihren Halt bei ihrer anderen, menschlichen Liebe finden müssen. Zulawski ist dabei nie freundlich oder heiter, sondern immer kritisch und fast schon dekadent. "Nachtblende" ist ein Skandalfilm. Brutal, nackt, obsessiv und intensiv. Ein Filmgenuss der komplizierteren Art.
8/10
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