Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#541
Geschrieben 20. April 2008, 15:59
Jamie Foxx, Chris Cooper und ein paar andere FBI-Männer und –frauen begeben sich nach Riad, nachdem dort ein Anschlag auf eine internationale Wohnanlage verübt worden ist. Gegen den Widerstand von Bürokraten in Djellabas und in den eigenen Reihen untersuchen sie das Verbrechen.
Jack Bauer, bitte melden! Tja, ich hatte eigentlich vor, den Film zu hassen. Bei mir hat sich eine gewisse Frontmüdigkeit eingestellt, was die Behandlung von aktuellen Konflikten in Hollywoodfilmen angeht. Für gewöhnlich läuft das Spiel doch auf immer die gleiche Abfolge von Klischees und Klischeesituationen hinaus, die auch dem Wohlwollendsten irgendwann zu denken gibt. Entweder man taucht gleich richtig in den Morast und sieht sich debile Actionschmonzetten à la NAVY SEALS an (=der erste Golfkrieg, johoho!), oder aber man versucht, sich ernsthaft mit dem behandelten Thema auseinanderzusetzen. Das Problem bei der ernsthaften Behandlung eines Themas wie dem Nahostkonflikt ist natürlich, daß sie zwangsläufig eine Simplifikation der vielen Faktoren darstellen muß, die da hineinspielen, wie lauter auch die eigenen Absichten sind. Ein Film wie SYRIANA bemüht sich redlich, die Gefechtslage unter einen zweieinhalbstündigen Hut zu bringen, aber natürlich bleibt es auch da bei den guten Absichten. Da sind mir politisch unkorrekte Serien wie 24 manchmal fast lieber, da sie die Kompliziertheit zwar abbilden und als ästhetisches Format verwenden, aber kein Problem damit haben, die vorgetäuschten Vertiefungen der Erzeugung von krachender Spannung unterzuordnen. OPERATION KINGDOM funktioniert auf eine ähnliche Weise und ist Zuschauern anzuraten, denen bei SYRIANA zuwenig Sachen explodiert sind. Es gibt zahlreiche Nebenkonflikte, die üblichen halt, die in Hollywoodfilmen aufgefahren werden, wenn eine dramatische Handlung entwickelt wird, aber sie werden von guten Schauspielern mundgerecht aufbereitet und sind als zumindest zeitbefristete „Realität“ akzeptabel. Auch gibt es in Gestalt des muslimischen Polizeihauptmannes Al Ghazi einen kompromißbereiten Araber, der sich mit den forschen Amis zusammenrauft. Wenn man ihn auf seine Bestandteile reduziert, schwimmt der Film sogar in Milch. Er ist von seinem Regisseur Peter VERY BAD THINGS Berg aber hinreichend professionell zusammengekloppt worden, um als Spannungsunterhaltung zu funktionieren, und die Actionsequenzen sind wirklich aufregend. Man fühlt sich wie ein „embedded journalist“, der in den Strudel gewaltsamer Ereignisse hineingerissen und von ihnen geprägt wird. Am Schluß leistet sich der Film einen grandiosen Zirkustrick (Schlußsatz!), der zwar Nachdenklichkeit vortäuscht, die der Film nicht wirklich einlöst, aber er ist glänzend realisiert und nötigt auch diesem nervlich durchgeschüttelten Videothekenkunden ein „Gut gemacht!“ ab. Ist halt'n Zirkustrick, da gibt's kein Vertun. Aber funktioniert. Und mordsspannend ist der Film allemal. 24-Fans, die die nächste Staffel nicht abwarten können, sei er angeraten.
Jack Bauer ins Wokie-Tokie: „Ich geh´ jetzt rein!“
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#542
Geschrieben 21. April 2008, 12:52
Mr. Brooks (Kevin Costner) ist ein erfolgreicher Firmenboß, der von der Geschäftswelt gerade zum „Mann des Jahres“ gewählt worden ist. Als echter Familienmensch hat er sich mit einer hübschen Frau und einer hübschen Tochter das amerikanische Ideal realisiert. Nur eine Sache stimmt nicht an dem Bild: Er ist nebenberuflich Serienmörder. Genaugenommen handelt es sich bei ihm um jenen Triebmörder, den die Medien „Daumenabdruck-Killer“ getauft haben, hinterläßt er doch an jedem Tatort einen blutigen Fingerzeig des Mordopfers. Da seine Position in der Gesellschaft und seine geheimen Gelüste sich nicht mehr so ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen, hat Mr. Brooks beschlossen, mit dem Morden aufzuhören. Bedauerlicherweise baut er aber ausgerechnet bei seinem letzten Coup Bockmist und läßt die Vorhänge auf, was einen chronischen Masturbator und Hobbyspanner zum Zeugen seiner Untat werden läßt. Es existieren Fotos. Anstatt zur Polizei zu gehen, erpreßt „Mr. Smith“ den prominenten Schlächter – er möchte nämlich selber mal gerne, weiß aber nicht, wie es geht. Auch in der eigenen Familie blühen Mr. Brooks Probleme...
Die Aussicht, Kevin Costner als Triebmörder zu erleben, hieß mich diesen Film ausleihen, und tatsächlich handelt es sich bei MR. BROOKS um eine ganz reizvolle Angelegenheit, die zwar ihr Potential nicht ausreizt, aber immerhin einige böse Spitzen gegen eine zunehmend wertefreie Gesellschaft plaziert. Mr. Brooks ist der quasi in den Adelsstand erhobene Durchschnittsmensch, eine Ikone der Langweiligkeit. Seine Familie, die jeder Seifenoper zur Ehre gereichen würde, gehört zu jener Form von Installation, in der das reibungslose Funktionieren der alltäglichen Abläufe den Erfolg garantiert – Simulation ist alles. Die dunklen Seiten des Mr. Brooks werden auch folglich als Nebenprodukt seiner gewählten Existenz gewertet, wenngleich das Drehbuch im zweiten Teil des Filmes etwas zu sehr die leichte Route wählt und teilweise selbst den Gesetzen des Käses zu verfallen droht. Als Rettung vor dem Absturz fungiert das Format der schwarzen Komödie: William Hurt spielt die böse Seite Mr. Brooks' mit der sich der Protagonist ständig unterhält, selbst in Anwesenheit anderer. Marshall ist spöttisch, durchtrieben und egoistisch, all das halt, was Mr. Brooks nach außen hin unterdrücken muß. Komiker Dane Cook spielt den völlig dilettantischen Mr. Smith, den es aus simpler Verkommenheit zum Morden treibt, der aber weder den Schneid noch die Fachkompetenz besitzt, um seine Potenzprobleme selber zu lösen. Brooks verachtet den Hanswurst, ist aber zu einer Zusammenarbeit gezwungen. Weniger interessant ist der eingewürfelte Subplot um Polizistin Demi Moore und ihre Scheidungsprobleme. Ihr Charakter hat wohl eher den Zweck, ein wenig klassische Krimispannung in die Vorgänge einzuflechten. Als moralischer Gegenentwurf taugt sie nicht wirklich, zumal die Figur des Psychokillers eigentlich wesentlich sympathischer und vielschichtiger erscheint als ihre etwas verkniffene Moralapologetin. Sei's drum, auch wenn der Film ein paar Fehler macht, so hat er das Herz durchaus auf dem rechten Fleck, und die Besetzung von Hollywood-Saubermann Costner in dieser Rolle ist auch ausgesprochen interessant. Insgesamt keine Zigarre, aber gute Unterhaltung mit einigen Untiefen.
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#543
Geschrieben 25. April 2008, 10:36
Was ist da jetzt wieder passiert? Aber mal langsam: Eine gewissenlose Bande von Finstermännern – angeführt von dem mutmaßlichen Ex-Nazi Thomas Speer und einer Sonnenstudioschwulette namens Cooper (mit tuckigem Makeup und Rambo-Stirnband) – entführt hübsche Mädchen und verscherbelt sie an kannibalische Mönche, die auf einer Insel leben und für ihr Leben gerne tote Kung-Fu-Krieger zum Leben erwecken. Warum sie das machen, weiß ich nicht, aber auf einer Insel gibt's sonst halt nicht viel zu tun, und die Mönche können nicht immer nur ihre Kutten waschen und bügeln. Das wird schnell langweilig. Zum Glück hat eine Reederei an der westamerikanischen Küste eine Kreuzfahrt ins südchinesische Meer geplant, auf der nicht nur kistenweise blonde Bimbos mitfahren, sondern auch die Helden des Filmes: Lehrpersonal einer Karateschule aus Los Angeles! Das gibt dann ein mächtiges Durcheinander...
Zombies, Titten, Nazis – solche Filme werden heutzutage nicht mehr gedreht, und ich bedauere das zutiefst! DIE JÄGER DES JADE-SCHATZES trägt zuweilen den Schalk im Nacken, ist aber nicht von dem chronischen Augenzwinkern geprägt, das mir viele der heutigen auf Trash gebürsteten Werke so schwer gangbar macht. Tatsächlich scheint man sich 1981 gedacht zu haben: JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES war recht erfolgreich, da kann man doch mal einen schnellen Reibach machen – wieviel Geld haben wir denn gerade in der Kasse unserer Videothek? Und die Jungs aus dem Sportstudio, in dem Manni immer an den Schmetterlingshanteln rumschwitzt, würden doch sicherlich auch gerne alle mal in einem richtigen Film mitspielen. Wir brauchen allerdings einen zugkräftigen Namen. Wie wäre es denn mit Hollywoodstar Cameron Mitchell? Der macht doch mittlerweile in allem mit, sogar in Pornos. Der könnte prima den abgehalfterten Schiffskapitän spielen, der sich immer mit seiner zickigen Geschäftspartnerin herumstreitet. Wir brauchen allerdings einen soliden Schurken, vorzugsweise einen Nazi, Jürgen Goebbels oder so. Dem können wir einen Hitler-Schnurrbart ankleben. Ach, das kann der Manni eigentlich selber machen! Nennen wir ihn als Schauspieler einfach Ralph Lombardi, haha. Wir brauchen einige Tittenmäuse für das Schiff, u.a. Camille Keaton, die einen berühmten Großonkel hat und mit dem Regisseur von ICH SPUCK AUF DEIN GRAB verheiratet ist. Oder Jewel Shepard, die später in RETURN OF THE LIVING DEAD mitspielen und Liebesbriefe vom Unabomber bekommen wird, aber das wissen wir ja noch gar nicht, haha. Und gedreht wird auf den Philippinen, wo die Mädels auch nicht viele Fisimatenten machen, höhö. In der ersten halben Stunde lassen wir's mal ruhig angehen, aber dann wird mächtig auf die Kacke gehauen, wenn das Schiff von Nazi-Rockern überfallen wird und der Großteil der Besatzung massakriert wird. Die Überlebenden erleiden natürlich Schiffbruch und landen auf der Insel der Kannibalen. Für die perversen Mönche suchen wir uns ein paar Filipinos, u.a. den berühmten Vic Diaz, die wir in ausgediente Java-Krieger-Klamotten stecken. Die können dann lüstern die Mädels begrabbeln und dumm rumlachen. In Deutschland werden die natürlich wieder etwas von dem Splatter rausschneiden, aber wir haben ja die frühen Achtziger, da läuft so etwas wie unser Film ja sogar im Kino und kriegt eine lustige Berliner Proll-Synchro verpaßt. Packe mer's?
Ich finde, das haben die Jungs aus der Videothek gut gemacht!
Bearbeitet von Cjamango, 25. April 2008, 10:37.
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#544
Geschrieben 26. April 2008, 12:32
Linda Blair und Donna Wilkes (ANGEL) spielen zwei pausbäckige Spätteenies (ca. 30 Jahre alt), die fröhlich schnatternd in die Berge fahren. Dort wohnt nämlich Frau Blairs Pappich, der berühmte Horrorfilmregisseur und Spaßvogel Orville Kruger. Gemeinsam verlebt man einige besinnliche Stunden, die nur gelegentlich von den infantilen Streichen des alten Zausels unterbrochen werden. Mitten in der Nacht wird die Familie von einer plötzlich auftauchenden Horde von Kirmespunks überfallen und terrorisiert, junge Menschen, die jede Vorstellung von Anstand gegen einen Mahlstrom bestialischer Grausamkeiten eingetauscht haben. Sie sind aber nicht nur Spezialisten, was das Morden und Vergewaltigen angeht, sondern labern auch noch eine Menge dummes Zeugs dabei. Zum Glück befindet sich auch noch der mißgestaltete Neffe des Hausbesitzers im Anwesen, und so geht das Gemetzel dann fröhlich weiter...
Joe Tornatore – der übrigens nicht mit dem italienischen Regisseur Giuseppe Tornatore zu verwechseln ist – war ursprünglich Schauspieler und wirkte auch in großen Produktionen von Filmemachern wie George Roy Hill oder Franco Zeffirelli mit. Es wäre wirklich interessant gewesen, was Franco Zeffirelli mit diesem Stoff angefangen hätte, aber hier ist eindeutig eine große Chance vertan worden. Die deutsche Videokassette hat an der Seite den Aufdruck GROTESK – KAMPF UMS ÜBERLEBEN, und ein Grotesk-Kampf ist es in der Tat, der den Zuschauer hier erwartet. Der Film beginnt schon mal ganz locker mit einem endlosen und komplett sinnfreien Monolog, den eine alte Frau mit einer langen Zauselperücke hält. Sie möchte offensichtlich von einem Galan bestiegen werden, der eine Mönchskutte und eine Halloweenmaske trägt. Die ganze Sache entpuppt sich als „Film im Film“, und so wären schon mal 5 Minuten rum. Der erste Auftritt der Kirmespunker ist spektakulär und legt beredt Zeugnis ab von dem tiefgreifenden Verständnis der Macher, was Subkulturen der Jugend angeht. Die Haare sind alle mit Zuckerwasser (unwahrscheinlich) oder teuren Haarsprays (wahrscheinlicher) zu Frisuren der Sorte „Paradoxe Vogelkunde“ aufgetürmt. Grimassiert wird bis zum Gottserbarmen, wobei sich alle an den darstellerischen Leistungen des Komikers Bob POLICE ACADEMY Goldthwait zu orientieren scheinen. Die Synchro befindet sich auf schlechtem Porno-Niveau und liefert zahlreiche Karfunkelsteine der grammatischen Unzulänglichkeiten, vorgetragen von Nullen, die sehr schlecht ablesen können. Was diese Außenseiter der Gesellschaft ausgerechnet in dieser öden Gebirgsgegend wollen, wird vom Drehbuch (von Tornatore und Exploitation-Urgestein Mikel LOVE BUTCHER Angel) nicht näher erläutert. Nach diesem teenieklamottenkompatiblen Auftakt verwandelt sich GROTESK auf einmal in ein brutales Selbstjustiz-Szenario, wobei anzumerken ist, daß Charles Bronson sich niemals eine lächerliche Gummimaske aufgesetzt hat. Butzemann Patrick sieht wirklich aus wie das Kind, das keiner haben will. Nach erfolgreicher Schlachtung der meisten jugendlichen Problemfälle kommt dann auf einmal Tab Hunter aus dem Busch, der Rache will. Tab Hunter war in den 50ern ein beliebter Jugendschwarm à la Peter Kraus, der sich erst 2005 in seiner Autobiographie offiziell „outete“. In GROTESK trägt er ein sehr fragwürdiges Haarteil und chargiert ebenfalls bis zur Besinnungslosigkeit. Der verdiente Schauspieler Guy Stockwell (Bruder von Dean Stockwell) spielt den infantilen Horrorregisseur, der den Eindruck vermittelt, sich freizeits in der U-Bahn zu entblößen. Tornatore und Mikel Angel haben Gastauftritte, und der Deputy-Sheriff wird von Lincoln Tate gegeben, den mancher noch aus Italowestern der niedrigeren Preisklasse kennen wird und der GROTESK mitproduziert hat. Am Schluß begibt sich der Film dann noch auf die Meta-Ebene. Der Abspann spendiert dem Publikum einige Takte aus DER CLOU, in dem Tornatore ebenfalls mitgespielt hat. Ich habe den Film für 50 Cent aus der Grabbelkiste geholt, und das war er denn auch wert. Ein komplettes Tohuwabohu, das wohl so eine Art Liebesarbeit darstellt. Rätselhaft. Als Begleitfilm empfehle ich DIE MÖWE JONATHAN.
Bearbeitet von Cjamango, 26. April 2008, 12:36.
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#545
Geschrieben 05. Mai 2008, 10:14
Der erste Hollywood-Film der Pang-Brothers. Etwas von der Stange, aber wenn man den Resttag damit zugebracht hat, sich Bolls SEED und Lommels THE RAVEN anzukucken, ist man für biedere Feierabendunterhaltung schon ganz dankbar.
Also: Mami, Papi, Tochti und ein Säugling ziehen aufs Land, wo das goldene Korn in den blauen Himmel wächst. Ein altes Farmhaus mit Geheimnissen harret ihrer. Zuerst ist es nur der kleine Krabbler, der Visionen von graugesichtigen Geistern hat, doch hemmt ihn die mangelnde Sprachkompetenz an der Weitergabe überlebenswichtiger Informationen. Das problematische Töchterlein kriegt als nächstes spitz, daß etwas faul ist im Landidyll. Und ja, es ist mal etwas Grausliches passiert, was jetzt mit langen Spinnenfingern nach der Gegenwart greift...
Das Drehbuch verdient keinen Originalitätspreis und liefert die bekannten Standards, die mit der von den Pang-Brüdern zu erwartenden handwerklichen Sorgfalt realisiert werden. Manches ist etwas bieder, manches aber auch hübsch unheimlich. Es gibt eine sehr nette Krähenattacke, und was sich im Keller des Hauses zuträgt, sollte wohl auch für Mietminderung sorgen. Mit RE-CYCLE hatten sich die Pangs für meinen Geschmack mehr abgebissen, als sie kauen konnten. Da mündeten die geballten Anstrengungen in einem kitschigen und moralisierenden Finale, das eindeutig von Hirnerweichung befallen war. THE MESSENGERS geht dieses Risiko gar nicht erst ein, sondern liefert das Gewohnte in ansprechender Form. Die Figuren sind leidlich sympathisch, die Technik gekonnt. Wenn man nicht gerade einen Überkracher erwartet, wird man als Geisterfan angemessen bedient. Ansonsten ist es mittlerweile so, daß ich nur noch von wenigen Asiaten wirklich Außergewöhnliches erwarte, etwa Tsukamoto oder Shimizu. Die Pangs sind gute Techniker, die bereitwillig in gutbereistem Terrain stromern. Für einen grusligen Sonntagabend reicht das aber allemal.
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#546
Geschrieben 20. Mai 2008, 21:44
Von I AM LEGEND habe ich eigentlich 'n büschen was erwartet, zumal ich die Vorlage von Richard Matheson wirklich klasse finde und dachte, das könne man eigentlich nicht kaputtbekommen. Tscha...
Also, statt Vincent Price und Charlton Heston stromert hier der eigentlich sehr sympathische, hier so-leid-es-mir-tut aber massiv fehlbesetzte Will Smith durch die Ruinen von New York, wo Mutationen eines Anti-Krebs-Mittels fast die gesamte Bevölkerung zu blutrünstigen Vampirmonstern haben degenerieren lassen. Wissenschaftler Robert Neville hält die Stellung, um ein Gegenmittel zu finden, lediglich assistiert von seiner treuen Freundin Sam, einer Hündin. Der erste Teil des Filmes ist sogar recht gelungen, wenn auch mit seinen diversen Rückblenden etwas unelegant konstruiert. Ein recht guter Einfall ist die durch die soziale Abnabelung erfolgte Debilitierung des Helden, der schon etwas wunderlich und verschroben geworden ist. Wie wenig Gefühl die Macher für die Story gehabt haben, merkt man aber schon hier daran, wie sehr die unbestreitbare Virilität des Hauptdarstellers ins rechte Licht gerückt wird. Sogar ein paar flotte Witzchen darf er machen. Man wollte es sich halt nicht mit dem Teenie-Publikum verscherzen. Warum man darauf bestand, die Monster komplett computerzugenerieren, ist mir schleierhaft, denn die eigenartigen Bewegungen der Viecher wirken eher irritierend denn bedrohlich. Kein Vergleich etwa zu den Vampirzombies in 30 DAYS OF NIGHT. Zu richtigem Murks wird I AM LEGEND, als aus heiterem Himmel eine weitere Überlebende mit ihrem inanen Balg hereinschneit und die Handlung komplett ausbremst. Außerdem erweist sich die Anforderung, nun auch noch Dialoge zu entwerfen, als eine Hürde, der das Drehbuch nicht gewachsen ist. Die Dialoge sind schrecklich, etwa die grausige Bob-Marley-Sache mit Smith oder das christliche Geblubber seiner neuen Freundin. Der plötzlich losbrechende Finalfight entlädt unzählige Zombies auf die gebeutelten Menschlein und wirkt in etwa so, wie sich die Wessis früher Sachsen-Anhalt vorgestellt haben. Der Chefzombie ist besonders schlimm und schaut aus wie eine Mischung aus Laurens Meyer und Onkel Fester. Auf einmal ist der Film zu Ende, nicht ohne noch einen Jauler von Schlußmonolog geliefert zu haben. Der Regisseur hat vorher Rockvideos mit Britney Spears und CONSTANTINE gemacht. Das überrascht mich jetzt nicht. Nein, tut mir leid – netter Anfang, dann immer weiter in die Grube mit der Entengrütze. 28 DAYS LATER und auch dessen Fortsetzung sind um Lichtjahre besser.
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#547
Geschrieben 05. Juni 2008, 21:05
Antonio Frau hat als junger Mann seine Freundin umgebracht, da er sehr eifersüchtig war und über ein sanguinisches Temperament verfügte. Nach seiner Entlassung aus der Herrenduschanstalt findet er tatsächlich eine hübsche Frau, die dumm genug ist, ihn zu heiraten, denn „Menschen verändern sich ja“. Zufällig stirbt obendrein eine Tante, die Herrn Frau eine alte Pension vermacht, die mal Stammhafen für Bordsteinschwalben gewesen und nicht im besten Stadtteil von Madrid gelegen ist. Jung geübt, alt getan – Zimmer 6 färbt sich rot...
Debütfilm eines Spaniers, der hier mehr abbeißt, als er schlucken kann. Abgesehen von den zahlreichen Unglaubwürdigkeiten schlägt das Drehbuch einen irritierend schwarzhumorigen Ton an, der ebenso ziellos wie ineffektiv ist. Schon merkwürdig, wie jemand, der mal eine Frau im Affekt tötete, sich binnen weniger Jahre zu einem methodisch vorgehenden, narzißtischen Serienmörder mausern kann, der den französischen Frauenschinder Landru verehrt und klassische Musik hört, während er ein mit vielen Nietzsche-Hobbyklempner-Schlaumeiereien gespicktes Tagebuch schreibt. Das geht nicht wirklich auf, und auch die widerwärtigen Mordszenen (eigentlich nur zwei) wirken lediglich reißerisch, nicht schockierend. Der hongkongesische DUMPLINGS hat demonstriert, wie man eine sehr grausige Story wirkungsvoll aufbereiten kann, und da geht es immerhin um eine Babymetzgerin! H6 erschöpft sich – trotz durchaus ordentlicher Inszenierung und guter Schauspieler – in einer weitgehend sinnfreien Aneinanderreihung von Genreklischees und geschmäcklerischem Nonsens, mit einigen massiven Ekeleien angereichert. Es wäre interessant gewesen, die Misogynie der folterfreudigen Hauptfigur näher zu erläutern, aber das wird weitgehend verplempert. Wer einen brauchbaren iberischen Serienmörderstreifen schauen möchte, kann sich ja Eloy de la Iglesias morbiden CANNIBAL MAN anschauen. Der rockt.
Bearbeitet von Cjamango, 05. Juni 2008, 21:07.
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#548
Geschrieben 05. Juni 2008, 21:07
Ein junges Schausteller-Elternpaar muß für eine Weile verreisen und gibt seine beiden Töchter Sylvia und Jenny in die Obhut einer alleinstehenden Frau, die sich ihr schmales Salär etwas aufbessern will. Gertrude Baniszewski (Catherine Keener) hat bereits einige Kinder am Hacken, seitdem ihr Mann sich aus dem Staub gemacht hat. Sie hat ihr Leben lang hart gearbeitet und Trost im Christentum gefunden. Leider ist sie nicht unbegrenzt belastbar: Unglückliche Umstände führen dazu, daß sie große Schwierigkeiten bekommt, für die sie Sylvia die Schuld gibt. Nun erweist es sich, daß Gastmutter Gertrude sogar einen ausgewachsenen Sockenschuß hat und ihren aufgestauten Frustrationen einen Sündenbock zuweist: Die junge Sylvia wird Gegenstand zahlreicher Abstrafungen, die schließlich dazu führen, daß sie ihm Keller eingesperrt wird. Damit beginnt ein unglaubliches Martyrium...
Auf einem realen Fall basierendes Psychodrama, das aufrüttelnder ist als die meisten Horrorfilme. Kindesmißhandlung ist kein Thema, das von Hollywood häufig behandelt worden ist. AN AMERICAN CRIME macht sich die Mühe, die Entstehung der Gewalt sorgfältig aufzuzeigen. Dabei wandelt sich der Beginn des Filmes – die typische 60er-Jahre-Nostalgia, die man aus Filmen von z.B. Joe Dante kennt – sehr bald zu nacktem Entsetzen, denn sobald man in dieser sauberen Vorstadtwelt erst einmal angefangen hat, Tabus zu brechen, kriegt man die Schleusentore nicht mehr zu. Am entsetzlichsten an der Geschichte ist vor allen Dingen die Bereitwilligkeit, mit der auch Nachbarskinder an der Peinigung der unglücklichen Sylvia teilhaben. Die erwachsenen Nachbarn halten die Schreie der Kleinen nur für die Folgen drastischer Erziehungsmaßnahmen und hören tapfer weg. Es darf alles gar nicht wahr sein. Catherine Keener spielt exzellent und gibt sich nicht damit zufrieden, ihre Figur als eindimensionalen Butzemann anzulegen. Glaubhaft porträtiert sie eine Frau, die in einer prüden Gesellschaft lieblos aufgezogen worden ist und niemals gelernt hat, ihre Gefühle auszudrücken. Was sich angestaut hat, hat ein Monster aus ihr gemacht. Ellen Page (aus HARD CANDY) ist ebenso überzeugend als Sylvia. AN AMERICAN CRIME verzichtet völlig auf selbstzweckhafte Zutaten und erzählt die Geschichte nachfühlbar und überzeugend. Gerade deshalb ist seine Wirkung nicht zu unterschätzen – ich war danach wie durch den Wolf gedreht. Ganz hervorragender Film.
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#549
Geschrieben 07. Juni 2008, 13:33
Juan Garciá ist ein glücklich verheirateter Polizist in Madrid, der mit einem wichtigen Fall betraut wird: Er soll einem vor zwei Jahren verschwundenen Fabrikanten nachspüren. Bei seinen Nachforschungen bekommt er spitz, daß sein Vorgänger, Medina, seinen Sohn umgebracht und dann ins Irrenhaus gekommen ist. Diese unerklärliche Wandlung eines vormals makellosen Gesetzeshüters wird García verständlicher, als ihm klar wird, daß das Verschwinden des reichen Mannes mit unzähligen anderen Vermißtenfällen zusammenhängt. Auch irritieren ihn merkwürdige Erscheinungen – Menschen, wo eigentlich keine Menschen sein dürften. Als er dann schließlich versteht, daß sein Fall mit seiner eigenen Kindheit zusammenhängt, hat das Fundament seiner Existenz bereits zu bröckeln begonnen...
Wenn im ZDF mal ein spanischer Geisterfilm läuft, den ich noch nicht kenne, lasse ich natürlich gerne mitlaufen! NOS MIRAN („Sie sehen uns zu“ bzw. „Sie beobachten uns“) beginnt als simpler Kriminalfilm, wird dann zunehmend mysteriöser und läßt den Zuschauer zusammen mit seinem Protagonisten den Boden unter den Füßen verlieren. Der extrem gemächlich erzählte Film stellt das ausgesprochen geschickt an und verwendet auf intelligente Weise die Strukturen des Paranoia-Kinos, um die Realität des Betrachters aufzuweichen. Schließlich ist überhaupt nicht mehr klar, inwieweit man sich auf seine Wirklichkeitswahrnehmung und die Bewertung der Vergangenheit verlassen kann. Ist der Protagonist ein seelischer Napfkuchen, der immer mehr in den Wahnsinn torkelt? Oder wird die Menschheit wirklich bedroht von unerklärlichen Kräften? Wer einen Gruselfilm mit Geistern erwartet, wird enttäuscht sein, aber mir hat der Film ausgesprochen gut gefallen und wird auf jeden Fall irgendwann noch mal gesichtet werden. Das Drehbuch stammt von Alex de la Iglesias Stammschreiber Jorge Guerricaechevarría, der hier allerdings sehr viel ruhigere Töne anschlägt, als dies bei jenem Regisseur der Fall zu sein pflegt.
Bei der Gelegenheit möchte ich übrigens noch auf de la Iglesias 800 BULLETS hinweisen, der jedem Fan des Italowesternkinos gefallen wird. Auch seine Groteske EIN FERPEKTES VERBRECHEN ist (trotz des beknackten Titels) sehr, sehr lustig.
Bearbeitet von Cjamango, 07. Juni 2008, 13:35.
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#550
Geschrieben 07. Juni 2008, 13:38
Die Machtkämpfe zwischen verfeindeten Gangstergruppierungen in Paris.
Ein Suchfilm: Wer findet den ersten sympathischen Charakter? Regisseur Frédéric Schoendoerffer (Sohn des bekannten Filmemachers Pierre Schoendoerffer) macht keine Gefangenen und schildert die Umtriebe seiner Charaktere als weitgehend moralfreie Abfolge von Gewalttaten. Im Mittelpunkt steht dabei der schmierige Clubbesitzer Claude Corti (brillant gespielt von Philippe Caubère), der eigentlich ein ganz netter Typ wäre, würde er nicht anderen Leuten mit einem Drillbohrer in den Kniescheiben rumstochern, Augen rausschneiden und ungarische Nutten beim Sex auf dem Abort verdreschen. Dem deutschen Titel entsprechend konzentriert sich der Film voll und ganz auf die Welt der Verbrecher, die aus einem von allen akzeptierten Regelsystem besteht, in dem es in erster Linie darum geht, vor den anderen Männern den dicken Max zu machen. Ich fühlte mich beim Betrachten etwas erinnert an die HipHop-Blagen, die immer „Respekt, Mann!“ einfordern, ohne daß ich eine Vorstellung habe, wofür sie den eigentlich haben wollen. Schoendoerffers Gangster sind mies, mieser, am miesesten, wedeln mit Pumpguns herum, ziehen sich eine Line nach der anderen rein, schanzen sich gegenseitig osteuropäische Fickschlitten zu, kucken sich auf Plasmafernsehern dumme Actionfilme an, ballern mit Kalaschnikows in Parkhäusern herum und besitzen das menschliche Einfühlungsvermögen von Gummibärchen. Zu sagen, diese Leute seien gefährlich, entspräche in etwa der Behauptung, der Mount Everest sei recht hoch. Ob einem der Film gefällt, hängt in erster Linie davon ab, inwieweit der Zuschauer bereit ist, auf Identifikationsfiguren zu verzichten. Der Film beginnt, bewegt sich und ist dann irgendwann zu Ende. Die dargestellten Ereignisse werden genauso weitergehen wie gezeigt. Eine Moral findet nicht statt. CRIME INSIDERS ist ein wenig wie Brian de Palmas SCARFACE, nur ohne jeden Glanz. Schoendoerffer verläßt sich auf erstklassige Darsteller (neben Caubère noch Benoît Magimel als sein Quasi-Sohn) und eine ausgezeichnete Inszenierung, die ohne jeden Firlefanz unschöne Dinge darstellt, die vermutlich in ähnlicher Weise ihre Entsprechung in der Realität haben. Ob man sich das anschauen mag, muß jeder für sich selbst entscheiden. Allzu zimperlich darf man dann aber nicht sein, denn der Film ist knochenhart. Bei der Folterung eines renitenten Drogendealers ist komplett Feierabend – da wäre ich fast aus dem Sessel gefallen. Man möchte diesen Charakteren nicht auf den Fuß treten. Genaugenommen möchte man sie nicht einmal aus dem Augenwinkel vorbeihuschen sehen. Ein recht guter Film, dessen Erfolg in seiner Konsequenz begründet ist. Die Eindeutschung ist gelungen, aber auch hier eine Vorwarnung: Eine vornehme Ausdrucksweise ist nicht das starke Gewand der hier gezeigten Mitmenschen. Voll auf die Zwölf.
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#551
Geschrieben 07. Juni 2008, 13:42
Ein Tag in einem New Yorker Polizeirevier.
Klassiker des amerikanischen „cop movie“, der den Alltag der Beamten als nicht abreißen wollende Folge von moralischen Entscheidungen schildert, die sie nicht zuletzt mit ihren privaten Verhexungen konfrontiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte des moralstrengen Detective McLeod (Kirk Douglas), den eine miese Kindheit zur Polizei geführt hat. Sein Haß auf den Vater hat dazu geführt, daß er an sich selbst wie an seine Mitmenschen hohe Anforderungen stellt. Dabei schießt er des öfteren über das Ziel hinaus, was auch seine Beziehung zu einer sehr netten Frau beeinträchtigt. Sein Geschick steht dabei stellvertretend für die Arbeit von Männern, die „das Gute“ repräsentieren, selber jedoch mit dem Wust an Gewalt und kaputten Menschen, dem sie ständig ausgesetzt sind, fertig werden müssen. Daran zerbrechen manche – eine psychologische Tendenz, die von Hollywood vor allem in den 70er Jahren weiter ausgeführt wurde. POLIZEIREVIER 21 basiert auf einem Theaterstück, und gerade die minutiöse Schilderung der Ereignisse und das dadurch erzeugte Dabeisein-Gefühl führt den Zuschauer an die eigentlich hermetisch abgeriegelten Charaktere heran, die sich selbst in Regeln ergeben haben, die eigentlich nur die Komplementärregeln zu denen der Verbrecher darstellen. Kirk Douglas ist brillant in der Rolle des nach außen hin diamantharten, nach innen aber langsam kollabierenden Gesetzeshüters, der nicht aus seiner Haut kann, da ihm letztendlich der Schneid fehlt. Die anderen Polizisten werden von vertrauten Gesichtern wie William Bendix oder Horace McMahon gegeben, die nicht ohne Grund sehr häufig als Cops besetzt wurden. Lee Grant hat einen sehr schönen frühen Auftritt als Kleptomanin, deren Diebstahl einer 6 Dollar teuren Handtasche gegen die anderen Kriminalfälle ziemlich abstinkt. Craig Hill (der später Italowestern drehen sollte) taucht auf als Jungspund, der aus Liebe eine Unterschlagung getätigt hat. Joseph Wiseman (Dr. No!) hat einen glänzenden Auftritt als italienischer Kleinganove mit Hang zur theaterreifen Grandezza. Veteran William Wyler gehört zu jenen klassischen Hollywoodregisseuren, die sich niemals auf ein Genre festgelegt haben und allen Sätteln gerecht wurden. Erstklassige Arbeit, spannendes Kino. Weit entfernt von euphemistischer „Helft eurer Polizei“-Werbung, wie sie etwa die TV-Serie „Dragnet“ darstellte.
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#552
Geschrieben 10. Juni 2008, 15:55
Meine Vorliebe für amerikanische Low-Budget-Horrorfilme aus den 70er Jahren ist ja kein Geheimnis. In den Zeiten meiner cineastischen Bewußtwerdung war es zudem mehr Glückssache, welchen Filmen man mal über den Weg laufen würde. Die meisten Autokino-Exploiter liefen kurz in den Schrabbelmühlen und verschwanden dann auf Video oder wurden fortan nie mehr gesehen. Matt Cimbers THE WITCH WHO CAME FROM THE SEA (1976) ist solch ein obskures Teil, das seit seiner Auswertung in den frühen Tagen der Videotheken praktisch verschollen war und jetzt auf DVD wiederveröffentlicht wurde.
Matt Cimber war bekanntlich der letzte Ehemann von Jayne Mansfield. Außerdem schuf er einige Exploiter, von denen manche eher dem Sex, andere der Action zuneigten. Am populärsten war sicherlich sein Noir-Heuler mit Pia Zadora und Orson Welles (!), BUTTERFLY. THE WITCH fällt aus seinem Schaffen etwas heraus, zumal er sensationalistische Zutaten mit einer ernsthaften Psychopathologiestudie mixt und dabei sogar recht erfolgreich abschneidet. Hauptfigur ist eine gewisse Molly (Millie Perkins), die zusammen mit ihrer rundlichen Schwester und deren zwei mißratenen Bälgern an der kalifornischen Westküste lebt. Das Familienidyll ist aber ein trügerisches: Molly hat finstere Visionen, in denen sie Bodybuildern als Femme Fatale erscheint und ihnen die Hoden abschneidet. Als besonders unangenehm erweist es sich, daß besagte Mordtaten sich auch in Wirklichkeit zuzutragen scheinen. Wer daraus messerscharf folgert, daß Molly schwer einen an der Waffel hat, liegt nicht falsch – ein fürchterliches Kindheitstrauma hat sie in den Krallen, und von diesen Krallen tropft Blut...
Cimbers Film basiert auf einem Drehbuch von Frau Perkins´ Ehegatten Robert Thom, und es ist ein gutes Drehbuch, das jenseits der grausigen Ereignisse Verständnis für den aus den Fugen geratenen Verstand der Protagonistin erzeugt. Mitverantwortlich für den Erfolg ist die gute Leistung von Frau Perkins, die 17 Jahre vorher Anne Frank in George Stevens´ berühmter Verfilmung von DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK gewesen war. Sie traut sich hier einiges: Als sie in einer Szene barbusig einen graumelierten Schmierlappen bezirzt und er forsch seine Hose öffnet, um orale Gratifikation zu erlangen, beißt sie ihm volle Kajüte in den Schritt und bricht ihm dann einen Finger! Die Kastrationsfixierung, von der Molly getrieben wird, findet ihre Entsprechung in dem Andersen-Märchen von der Meerjungfrau, die sie sich von einem besonders skurrilen Tätowierer namens Jack Dracula auf den Bauch malen läßt. Auch hat sie farblich verfremdete Visionen von einem Floß mit lauter halbierten Männern drauf. Freud komm´ raus, du bist umzingelt – symbolisiert wird nach Leibeskräften. Da hat Käpt'n Iglo gut lachen. Die DVD enthält eine etwa 35-minütige Featurette, auf der sich Cimber, Frau Perkins und der später zu Ruhm und Oscarnominierungen gekommene Kameramann Dean Cundey über die Produktion auslassen. Der Schluß schafft es sogar, den Geschehnissen einen tragischen Anstrich zu verpassen, doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon in den Film verliebt. Sehr eigentümlich, sehr lohnend. Ein niedriges Budget war doch manchmal das Beste, was den Leuten passieren konnte. La paloma, oh weh...
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#553
Geschrieben 10. Juni 2008, 23:19
Eine wirkliche Kuriosität aus dem Jahre 1964, im Vertrieb der Paramount, und trotzdem ein Sleazebrett von einigen Gnaden. Uffa!
Also los: Olivia de Havilland (noch ein Jahr entfernt von WIEGENLIED FÜR EINE LEICHE) spielt die reiche Dichterin Cornelia Hilyard, die zusammen mit ihrem Sohn in einem großen Anwesen wohnt. Da sie sich vor kurzem die Hüfte verletzt hat, ist sie auf seine Hilfe und einen Behindertenaufzug angewiesen, der wie ein improvisierter Fahrstuhl aussieht. Eines Tages muß der Sohnemann verreisen. Ein Unfall führt zu einem Stromausfall, der Cornelia zum Gefangenen ihres eigenen Fahrstuhls macht. Hilflos baumelt sie im Foyer ihres Anwesens. Der einzige, der ihre verzweifelten Hilferufe hört, ist ein geisteskranker Wermutbruder, den alle nur „Repent“ („Tuet Buße!“) nennen, da er das immer schreit. „Repent“ denkt gar nicht daran, die alte Mamsell zu befreien, sondern will die Weinvorräte ausräumen. Er alarmiert zur Verstärkung die alternde Lebedame Sade (Ann Sothern), die auch gleich mit dem Ausräumen beginnt. Dumm nur, daß auch einige unangepaßte Jugendliche davon Wind bekommen haben – ein Muskelmann, ein debil grinsender Schwachkopf und eine Schlampe. Und da man sich keine Zeugen leisten kann, setzt es bald Mord und Totschlag...
Holla, was ist hier denn passiert? Daß LADY IN A CAGE nicht nach Deutschland gekommen ist, wundert mich kaum, denn er ist merkwürdig, merkwürdig, merkwürdig. Der erste Teil des sehr stark an ein Theaterstück erinnernden Filmes ist sehr überzogen, fast schon ausgelassen. Ich gehe mal davon aus, daß die schwarzkomödiantischen Akzente so geplant gewesen sind, denn ansonsten würden fast alle Schauspieler maßlos überchargieren, inklusive der Frau de Havilland. Der bizarre Eindruck des Filmes wird verstärkt von einigen – allerdings unklugen – Prätentionen: Der gestelzte Dialog macht sich einige Gedanken über den Niedergang der menschlichen Rasse. Als absoluten Tiefpunkt in dieser lebensanschaulichen Hinsicht darf man wohl die Gruppe rund um Muskelmann James Caan annehmen, der hier seinen ersten größeren Filmauftritt und noch viele Haare hatte. Die Jugendbande wirkt wie eine Vorskizze zu UHRWERK ORANGE: Als Alptraum einer verspießten älteren Generation wirbeln sie durch das Anwesen und treiben fröhlich Unfug, die anderen Gäste dabei malträtierend wie sadistische Kinder. Aus dem Spiel wird dann aber auf einmal Ernst, und was der Film in den letzten 20 Minuten anstellt, erinnert in seiner Drastik fast an das Finale von MANDINGO – ein regelrechter „cookout“, bei dem z.B. einem Charakter die Augen ausgestochen werden, was von den anderen mit höhnischem Gelächter quittiert wird, Frau de Havilland wird u.a. mitten ins Gesicht getreten. Da übrigens auch die Figur der Dichterin und Mutter schließlich voll und ganz diskreditiert wird, dürfte der obwaltende Nihilismus mit Sicherheit eine harte Packung für das zeitgenössische Publikum dargestellt haben. Abgerundet wird das Ganze von einem sehr verspielten, schrägen, bisweilen atonalen Soundtrack. Unglaublich...
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#554
Geschrieben 20. Juni 2008, 13:16
Passend zur Beschlagnahme von HOSTEL 2 ein bezauberndes kleines Filmchen über eine junge Frau, die mitsamt ihrer Tochter von einem geheimnisvollen Mann verschleppt wird und von ihm über einen Zeitraum von etwa 2 Monaten in einem Wald gefangengehalten wird. Damit es nicht langweilig wird, foltert er sie zwischendurch ein bißchen. Wird es ihr gelingen, dem trüben Gesellen zu entfliehen?
Who cares? Ein neues Meierwerk aus dem Wirkungsbereich des britischen Pärchens Adam Mason und Nadja Brand, die seit etwa 10 Jahren die Welt mit ihren Schelmereien beglücken. Gesehen habe ich bislang nur den grenzdebilen DUST, eine Art Mischung aus Backwoods- und Zombiefilm, der es schaffte, in einem eigentlich anspruchslosen Sujet auf die Nase zu fallen. Bei BROKEN liegt der Fall etwas anders, denn er versucht sich als minutiös erzählte Geschichte eines Martyriums, und da hängt das Gelingen der Übung schon sehr davon ab, ob die Charaktere nachvollziehbar gestaltet sind und als Identifikationsfiguren taugen. Der Film greift in seiner Besinnungslosigkeit sehr hoch und liefert gleich zu Beginn ein Zitat, das den Film mit einer S&M-Thematik ausstattet. Außerdem wird man mit der Information versorgt, daß die Story auf realen Begebenheiten basiere. Der Anfang ist extrem widerwärtig: Eine Frau ist an einen Baum gefesselt, Schlinge um den Hals, Füße auf einem wackeligen Haufen aus mehreren Holzblöcken. Sie reißt sich eine notdürftig vernähte Öffnung in ihrer Bauchdecke auf, um ein dort deponiertes Rasiermesser hervorzukramen. Sie schafft es irgendwie, die Schlinge durchzuschneiden, purzelt zu Boden, ein Sammelsurium von Eingeweiden auf den Waldboden ergießend. Betrachter meint: Würg. Kommt die nächste Frau dazu, gespielt von Frau Brand, und was soll ich sagen: Ihr passiert genau dasselbe. Anders als die erste Frau hält sie aber durch und verdient sich damit eine langanhaltende Gefangenschaft. Irgendwann kommt noch eine andere Frau dazu, die sehr viel schreit. Der Killer ist wortkarg und hat ein Outfit, das ihn als „Fields of the Nephilim“-Fan ausweist. Ein wenig hat er auch von Robert Englund. Man erfährt nichts über ihn, aber er scheint ein Problem mit Frauen zu haben. Gleichzeitig scheint er von Todessehnsucht getrieben zu sein. Entweder das, oder er ist reichlich doof. Frau Brand hat jede Menge Gelegenheiten, den Abflug zu machen, verbockt aber eine um die andere. Und da haben wir auch schon das Problem des Filmes: Es kümmert einen eigentlich herzlich wenig, ob sie entkommt oder nicht. Schauspielerisch hat Frau Brand nicht gerade den Zwieback erfunden, nicht mal den Einback, und was sie da an Überlebensstrategien auffährt, entspricht in etwa dem Auftreten der deutschen Nationalmannschaft beim Spiel Deutschland gegen Kroatien. Es gelingt dem Film nicht, die Vorgänge interessant zu gestalten. Damit man nicht einschläft, werden diverse Gorebauern-Einsprengsel dargereicht: Einer Frau wird das Bein entzweigetreten, einer anderen die Zunge herausgerissen. Das ist alles herzlich sinnlos und sieht eher desinteressiert aus. Desinteressiert an den Figuren, desinteressiert an Zuschauern, denen an mehr gelegen ist als einer Parade von Unerquicklichkeiten. Man hätte aus dem Stoff in der Tat eine interessante S&M-Geschichte machen können über die gegenseitige Abhängigkeit von Täter und Opfer, aber was herauskommt, ist Schlonz. Keine Ahnung, was manchen Kritiker dazu bewogen hat, dem Film eine feministische Tendenz zu unterstellen. Ich sehe da eher eine unappetitliche Tendenz in die entgegengesetzte Richtung. Das Ende ist dann ein endgültiger Tritt in den Arsch. Da ist mir jeder Film von Andi Schnaas lieber als dieser sich selbst zu wichtig nehmende Unfug. Ein unsympathisches Gestümpere, langweilend und ärgerlich. Das einzig Schockierende an BROKEN war der Abspann, der ein großartiges Stück von Nick Cave parat hält, das noch aus „Birthday Party“-Zeiten stammt und hier völlig deplaziert ist.
P.S.: Der als BROKEN 2 herausgekommene Film hat mit BROKEN nichts zu tun und ist irgendeine Ami-Produktion namens THE CELLAR DOOR.
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#555
Geschrieben 23. Juni 2008, 09:59
Damit ich nicht komplett verpöbele, habe ich mit einer privaten Bergman-Retrospektive angefangen, die mich jetzt schon seit einigen Tagen durch den frühen Bergman führt. („Das ist die Niere, das ist die Milz, und, hallo, wenn das nicht unser alter Freund, der Zwölffingerdarm, ist!“)
ABEND DER GAUKLER hat einen Titel, der den traditionellen Rambo-Fan eher nicht ansprechen wird. Wovon handelt denn der Film? Ein Wanderzirkus, Clowns, Manege... Oh, toll, ich hasse Zirkus! Hereinspaziert!!!
„Cirkus Alberti“ ist nicht zu vergleichen mit Roncalli, Krone oder ähnlichen Panoptiken des Grauens. Nur ein paar abgerissene Gestalten, die durch verregnete und landschaftlich wie herzensmäßig verödete Regionen Schwedens ziehen, um die Leute zum Lachen zu bringen und ihrem tristen Alltag ein paar Glücksmomente abzutrotzen. Die finanziellen Probleme, die die Artisten schieben, sind noch ihre geringsten. Der Anfang präsentiert eine Episode, die Frost, dem offiziellen Clown des Ensembles, widerfahren ist: Als nämlich seine nicht mehr ganz taufrische Gattin (der Erzähler meint: „Ihr Wonnemonat war schon vorbei!“) vor einer Kompanie von Soldaten auftaucht und anfängt, sich nackt auszuziehen, kommt er hinzu und muß mitansehen, wie sein Augapfel sich vor den gröhlenden Totmachern zum Spektakel macht. Natürlich hat er seine Weißclown-Maskerade an, und das daraus resultierende Schauspiel ist dermaßen demütigend und erbärmlich, daß selbst die Soldaten zu lachen aufhören und sich schämen. In einer griechischen Tragödie würde solcherlei Geschehen zum Freitod oder wenigstens zu einem Amoklauf führen, aber in Bergmans Welt ist das gerade mal der Auftakt – das Leben geht weiter, die Figuren schlucken ihren Horror hinunter und vollziehen ihre Sterblichkeit. Der Chef des Ensembles ist der dicke Albert, ein versoffener Lebemann, der seine Frau und seinen Sohn seit drei Jahren nicht mehr gesehen hat. An seiner Seite hat er die hübsche Anne (Harriet Andersson, aus DIE ZEIT MIT MONIKA), die er irgendwann mal aufgelesen hat. Daß der Zirkus kein Platz ist für solch ein Geschöpf, weiß er selber, und ihm schwant, daß die junge Frau ihn früher oder später verlassen wird. Der Zeitpunkt scheint gekommen, als sie eine städtische Theatertruppe um Kostüme anschnorren und ein gutaussehender Kleindarsteller um die Gunst der Holden buhlt...
Während viele der früheren Bergmänner geprägt waren von einem leichten, häufig aber auch recht korrosiven und pessimistischen Humor, stellt ABEND DER GAUKLER ein Melodram dar, mit starken Tendenzen zur Tragödie. Die Zirkusvagabunden sind Menschen ohne eine Heimat, die nicht aus Berufung ihrem Geschäft nachgehen, sondern weil sie das Leben an den Rand gespült hat. Im Grunde genommen hätten sie alle gern eine bürgerliche Existenz, doch sie haben nur Niederlagen erlitten und glauben nicht mehr daran, daß sie zu einem herkömmlichen Glück fähig sind. Stattdessen ziehen sie Tag um Tag dieselben Routinen ab und spielen den Leuten ein Glück und einen Zauber vor, die für sie selbst in weite Ferne gerückt sind. Die Artisten sind zwar ehrenhaft und gute Menschen, aber auch unsagbar bemitleidenswert, Lebenslängliche mit Schminke im Gesicht. Bei einer Begegnung mit Theaterdirektor Gunnar Björnstrand macht sich dieser schnöselig über sie lustig: „Ihr setzt euer Leben ein, wir nur unsere Eitelkeit. Warum also sollten wir nicht über euch lachen?“ Sie werden verachtet, und sie verachten sich selber. Die Eifersuchtsposse, die zum Fallstrick für den alten Albert wird, ist in ihrer Banalität nur ein Zerrbild des „Glückes“, das ihnen in Form der normalen Bürgerlichkeit versagt bleibt. Während die Theaterleute wenigstens ihren Esprit und ihren Hochmut auffahren können, um sich über den Pöbel zu erheben, bleibt den Zirzensern nur der Alkohol und das kleine Glück im Schoß. Gott, bin ich deprimiert! Ist aber tatsächlich ein ausgesprochen exzellenter Film. Statt der bösen Hinterlistigkeit von DIE ZEIT MIT MONIKA, der nach einer flockigen Aussteiger-Fantasie das Auftrumpfen auf dem Boden der bürgerlichen Realität schildert als unausweichliche Folge des jugendlichen Hochmuts, spielt ABEND DER GAUKLER mit offenen Karten und führt den Zuschauer in den tiefsten Schacht, in dem der Bergman mit den anderen Kohlenkumpeln Karten drischt. Das ist schwerlich partykompatibel, aber menschlich sehr anrührend. Von frühen Meisterwerken wie DAS SIEBENTE SIEGEL und WILDE ERBEEREN war der Regisseur noch ein paar Jahre entfernt, aber wem der seichte Eskapismus Hollywoods auf die Nerven geht, kann sich mal mit dem schwedischen Filmemacher befassen. Da wohnt Wahrheit drin.
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#556
Geschrieben 23. Juni 2008, 21:15
Detective Eddie Argo (Stellan Skarsgard), ein hartgesottener New Yorker Polizist, hat sich mit einer merkwürdigen Kette von Morden auseinanderzusetzen: Mitglieder einer Straßengang treten vor ihren Schöpfer. Manche von ihnen wurden das Opfer von Stromschlägen, andere grausig verunstaltet. Bei seinen Ermittlungen soll ihn eine junge Kollegin unterstützen, der hübsche Newbie Helen Westcott. Die Spuren führen zu einer Bluttat, die vor mehreren Jahren das Leben von zwei Frauen zerstört hat. Doch wie nah ihm dieser Fall noch gehen soll, ahnt Eddie Argo nicht...
WAZ handelt nicht von der gleichnamigen Tageszeitung aus dem Ruhrgebiet. Tatsächlich lautet der Titel korrekt auch „W-Delta-Z“ und bezeichnet den Anfang einer Formel, die sich mit möglichen altruistischen Tendenzen in der Tierwelt auseinandersetzt und manchen der Opfer in die Haut geritzt ist. Der Film profitiert von einer beeindruckenden Grimmigkeit, die der britische Regisseur Tom Shankland in die Vorgänge einflicht. New York City wird in seiner Vision zu einer Abfolge deprimierender Schauplätze, in der sich komplett derangierte Kreaturen herumtreiben und alles tun, um irgendwie am Leben zu bleiben. Die Cops sind arme Hunde, die den ganzen Haufen unter Kontrolle halten müssen und dabei menschlich selbst eigenartige Wege gehen. Stellan Skarsgard ist wie üblich ziemlich gut und wird hier unterstützt von Melissa George. Frau George hat ein wenig die falbe Schönheit von Gwyneth Paltrow, spielt allerdings besser und ist nicht die einzige Parallele zu David Finchers SEVEN. Natürlich wäre ein qualitativer Vergleich der beiden Filme unfair und würde stark zu Lasten von WAZ ausfallen, aber erwartet habe ich nur sehr wenig und fand ihn dann doch ungewöhnlich spannend. Man wird relativ schnell mit der Identität des Mörders konfrontiert, aber die Story hält hinreichend Wendungen parat, am Schluß sogar einen Doppelwhopper mit Käse, über den man sich unter anderen Umständen vielleicht hätte amüsieren können, aber der Film wird so düster, daß unfreiwillige Komik heuer ausfällt. Tatsächlich möchte ich dem Film eine Gesundheitswarnung voranstellen, denn die Grausamkeit des Finales ist in der Tat schockierend. Da die Geschichte aber von Gewalt und präzise von Verwundungen handelt, fand ich das durchaus angemessen. Man sei nur vorgewarnt – das ist nichts für einen romantischen Abend zu zweit. In der IMDb wimmelt es von Vergleichen mit den sogenannten „torture porns“ der HOSTEL- und SAW-Liga, aber der Vergleich hinkt gewaltig, genau wie die meisten der Protagonisten am Schluß. Ein wenig fröhlich stimmender Film, aber nicht schlecht gemacht, ganz und gar nicht.
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#557
Geschrieben 27. Juni 2008, 12:19
Ein Dokumentarfilm für Hartgesottene.
DEFA-Filmemacher unterhalten sich mit Major Siegfried Müller, besser bekannt als „Kongo-Müller“, der in den sechziger Jahren durch seine Aktivitäten in südafrikanischen Staaten bekannt war wie ein bunter Hund. Dabei plaudert er launig vor sich hin, und da die Interviewer die Weitsicht besaßen, ein ausreichendes Sortiment an Alkoholika bereitzustellen, wird er zunehmend betrunkener. Das hemmt die Diktion, fördert aber die Ausbeute an Zitierfähigem.
Ob es integer ist, seinen Interviewpartner quasi vor laufender Kamera abzufüllen, sei mal dahingestellt. DER LACHENDE MANN war eine Auftragsarbeit für das Fernsehen der DDR, und bereits der Untertitel des 1966 gedrehten Filmes – „Bekenntnisse eines Mörders“ – stellt klar, daß den Regisseuren nicht an einer objektiven Darstellung der Person Müller gelegen war. Gelegentlich werden die Ausführungen des Söldners ("Sehen Sie, ich bin eigentlich gegen das Abschießen von Negern!") von propagandistischen Schnipseln unterbrochen, die die Auswogenheit des „Schwarzen Kanals“ besitzen und reichlich naßforsch daherkommen. So wird dem italienischen Filmemacher Jacopetti einfach mal so unterstellt, er habe an der Tötung eines Afrikaners aktiv teilgenommen. Auch die Information, Jacopetti hätte mehrfach wegen Verführung Minderjähriger im Gefängnis gesessen, wird von den Machern offenbar für sachdienlich erachtet. Was den Film aber auch heute noch faszinierend macht, ist die Gelegenheit, einem Monster beim Plaudern zuzuschauen. Müller offenbart sich als ein überaus fröhlicher Geselle, lacht fast ununterbrochen, geradezu enervierend, zeichnet sich selbst als einen Kämpfer für die Sache des Westens, für den die „dolle Negerjagd“ angeblich ein notwendiges Übel zur Erlangung höherer Ziele gewesen war. Was DER LACHENDE MANN trotz seiner polemischen Aufmachung leistet, ist die Illustration der Banalität des Bösen. Die schurkischen Hollywood-Nazis, die dämonischen Juden der NS-Filme, die genialen Verbrecher, die nach Weltherrschaft streben – alles das wird entlarvt als Nonsens. Die wirklichen Schlagetots führen ein ganz normales Leben, wenn sie nicht gerade Menschen abschlachten. Sie gehen nach Hause zu ihrer Familie, sie machen den Fernseher an und trinken ein gemütliches Feierabendbier. Sie sind die Leute, die man am Stammtisch sitzen sieht, wo sie johlend ihre Weltanschauung zum Besten geben. Sie sind selbstverständlich ganz tolerant, denn – Menschen sind wir schließlich alle. Sie wissen einen guten Witz zu schätzen und sind Gemütsmenschen, denen auch schon mal eine Träne aus dem Auge quillt, wenn es einen Kameraden erwischt hat.
Daß die Ausstrahlung von DER LACHENDE MANN in der BRD unterbunden wurde, liegt wohl kaum an der „Lassen wir ihn mal reden“-Herangehensweise von Heynowski und Scheumann, die ja auch Winfried Bonengel bei seinem BERUF NEONAZI viel Ärger eingehandelt hat, sondern an der knüppeldick aufgetragenen Anti-BRD-Polemik. Seiner Herangehensweise zum Trotz liefert der Film aber Wahrheit, die Wahrheit über die Mechanismen, die aus Menschen Monster machen. Das macht den Film auch aus heutiger Sicht sehenswert. Man braucht aber ein dickes Fell...
Bearbeitet von Cjamango, 27. Juni 2008, 12:20.
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#558
Geschrieben 28. Juni 2008, 09:58
Willem Dafoe spielt den Polizisten Stan Aubray, der vor Jahresfrist daran beteiligt war, daß ein berüchtigter Serienmörder gestoppt wurde. Besagter Mörder war ein echter Künstler und gab sich nicht mit herkömmlicher Schnetzelei zufrieden. Die Vergangenheit wird wieder sehr präsent, als ein Leichnam aufgefunden wird, der nach Art der mittelalterlichen „Camera Obscura“ sorgsam arrangiert worden ist – eich echtes Kunstwerk. Da der Mörder von einst den Löffel gereicht hat, vermutet man einen Trittbrettfahrer, der sein Idol imitiert. Aubray wird hinzugezogen als Experte. Sehr bald muß der gebeutelte Mann des Gesetzes aber feststellen, daß mit dem Fall einiges im Argen liegt, und das verbindet ihn direkt mit dem Killer...
Noch ein Film über Serienmörder, gähn... Na ja, ich habe ihm mal eine Chance gegeben, da Willem Dafoe mitspielt, und der ist ja zumindest schon mal ein Garant für gute Arbeit an der Schauspielerfront. ANAMORPH beginnt unspektakulär, hält das Interesse an den Vorgängen aber wach. Trotz offensichtlichen Schielens auf Klassiker wie SEVEN oder DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER entwickelt er seine eigene Qualität, und das liegt nicht zuletzt daran, daß der Dafoe-Charakter interessant und plausibel entwickelt wird. Hat man sich erst einmal von dem Schock erholt, daß Dafoe eine Frisur hat, die ihn ein wenig wie den Fußballlehrer Otto Rehhagel aussehen läßt, kann man sich an einer Vielzahl von kleinen Zwangsneurosen erfreuen, mit denen seine Figur auf unaufdringliche Weise ausgestattet wird. Aubrays Leben ist ein recht einsames, in dem die Serienmörder, mit denen er es zu tun bekommt, die Fixpunkte darstellen. Dafoe wird unterstützt von guten Nebendarstellern wie Peter Stormare und Clea DuVall. Und was den Killer angeht, so wird das Motiv vom Mörder als Künstler hier in der Tat auf die Spitze getrieben – was der sich für Mühe gibt, ist wirklich – im Fußballdeutsch gesprochen – aller Ehren wert. Man kann auch einiges über Kunstgeschichte lernen, etwa in bezug auf den Titel des Filmes, der sich auf eine mittelalterliche Maltechnik bezieht. Sehr kniffelig. Wer einen realistischen Thriller erwartet, wird möglicherweise enttäuscht werden. ANAMORPH orientiert sich in mancherlei Hinsicht am italienischen Giallo, und das betrifft auch die sehr artifizielle Storyline. Die Auflösung hat so manchen im Regen stehen lassen (Schlußeinstellung!), aber ich finde sie recht grandios. Es empfiehlt sich dafür, sich mit den Kunstwerken von Francis Bacon vertraut zu machen, hihi... Nö, ich fand den Film eigentlich ziemlich gut.
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#559
Geschrieben 28. Juni 2008, 09:59
Nachdem mir jetzt von unterschiedlicher Seite beschieden worden war, bei dem französischen INSIDE handele es sich um einen würdigen Nachfolger für den zwar nicht makellosen, aber wirklich mordsspannenden HIGH TENSION, erwies sich die eigentliche Sichtung als ernüchternd.
Worum geht's? Die junge Sarah (gespielt von Vanessa Paradis´ Schwester) muß mit einer Katastrophe umgehen: Ein Autounfall kostet ihrem Freund das Leben. Sie selbst erleidet schwere Verletzungen, doch dem Kind in ihrem Leibe scheint nichts passiert zu sein. Vier Monate später sind die körperlichen Wunden fast verheilt, und der kleine Schlumpf soll innerhalb der nächsten 24 Stunden schlüpfen. Einer letzten ruhigen Nacht vor dem Kindersegen steht allerdings eine schwarz gekleidete Frau (Beatrice Dalle) entgegen, die auf einmal in Sarahs Wohnung erscheint und viel über ihr Leben zu wissen scheint. Außerdem weiß sie viel über scharfe Messer, und so wird die Nacht zu einer der weniger erfreulichen Episoden im Leben der jungen Mutter...
INSIDE beginnt sogar recht gut und entwickelt die Figur der Protagonistin glaubhaft und nachvollziehbar. Sarah hat vom Unfall – wie zu erwarten – einen schweren Schlag seitwärts beibehalten und steht der Geburt mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Natürlich freut sie sich auf das Kind, aber es ist zu vermuten, daß es sie jeden Tag ihres Lebens an den Verlust ihres Geliebten erinnern wird. Als dann auch noch die geheimnisvolle Black Lady erscheint, wirkt das fast wie ein auf Spielfilmlänge gebrachter Gnadenakt. Und der Film geht in die Vollen: Sarah wird eine Schere durchs Gesicht gezogen und in den Nabel gestochen. Erstes Grummeln im Magen des Zuschauers, aber wirklich gar nichts gemessen an der roten Flut, die dann hereinbricht und bedauerlicherweise auch jede Möglichkeit davonspült, die Story ernstzunehmen. An Frischfleisch gebricht es dem Film nicht – in Sarahs Wohnung geht es mitten in der Nacht zu wie auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof zur Rush Hour. Ins Auge geht's, in die Genitalien natürlich – Frau Dalle erweist sich sowohl als Meisterin des „femme castratrice“-Gewerbes als auch als Apologetin der Stutenbissigkeit. Dabei schäumt und kreischt sie, daß es nur so eine Art hat. Die Gute geht richtig aus sich heraus, und man kann wirklich nicht behaupten, sie würde nicht bedrohlich wirken. Der Zuschauer stumpft angesichts der aufeinandergetürmten Blutstürze und Regelverstöße bzw. Tabubrüche aber schon bald ab. Das ist einfach pubertär, sorry. Der hormonelle Wirbelsturm, den eine Schwangerschaft nun einmal darstellt, hat schon so einigen Horrorfilmen für eine paranoide Schauermär Pate gestanden. Die Möglichkeiten werden in INSIDE reihenweise verschenkt. Stattdessen gibt es viel „originelles“ Kamera- und CGI-Gewurschtel und ein beständiges Bemühen darum, das Vorangegangene noch an Widerlichkeit zu übertrumpfen. Die deutsche Fassung ist massiv geschnitten – etwa 2 Minuten fehlen –, aber warum eigentlich? Auch in der vorliegenden Version ist der Film noch ein echter Tritt in die Zwölf und serviert pränatale Fron nonstop. Die Schnitte sind vergleichsweise geschickt ausgeführt worden – wenn man's nicht weiß, kann man es höchstens erahnen. Kein HELLRAISER-2-Effekt. Wer wildes Gesplattere haben möchte, ist bei INSIDE also recht gut bedient. Ich war aber schließlich ermattet und enttäuscht, denn für mich verballert der Film sein durchaus vorhandenes Potential sehr rasch und bietet dann nur noch Schlächterei von der Stange. Kein neuer HIGH TENSION – njet.
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#560
Geschrieben 29. Juni 2008, 00:34
Warum dieser Film laut IMDb heruntergestuft worden ist, um eine „Ab 12“-Freigabe zu erlangen, ist mir schleierhaft, denn was, bitteschön, sollen Zwölfjährige mit DIE STUNDE DES WOLFS anfangen? Da kann man die auch gleich in einen Schrank einsperren und ihnen von kleinen Männern erzählen, die ihnen die Füße abnagen, so wie dies die Eltern von Johan gemacht haben. Johan (Max von Sydow) ist ein anerkannter Maler und hat sich mit seiner Frau (Liv Ullmann) auf eine einsame Insel verzogen. Das heißt: Ganz so einsam ist die Insel gar nicht. In bemerkenswert kurzer Zeit lernt zuerst Johan, dann auch seine Frau, ein Sortiment von aristokratisch anmutenden Exzentrikern kennen, die auch dort leben und eine eigenwillige Vorstellung von Gastfreundschaft pflegen. Ihre Attitüde dem Künstler gegenüber ist an der Oberfläche ehrerbietend, aber deutlich geprägt von Hohn und Verachtung. Und langsam rückt die Wolfszeit näher...
VARGTIMMEN ist so nahe am Horrorgenre angesiedelt, wie Ingmar Bergman jemals gelangen sollte, aber er verarbeitet wieder die Themen, die auch seine früheren Filme geprägt haben: Die Schwierigkeit der Menschen, miteinander sinnvoll zu kommunizieren, und die vielen Alibigeschichten und Fantasien, die sie entwerfen, um die gefürchtete Konfrontation zu vermeiden. Zu Beginn des Filmes wird bereits verraten, daß der Maler unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Seine Frau Alma wird in Interviewmanier befragt und gibt einige Reminiszenzen zu Besten, denen man vertrauen darf oder auch nicht. Auch sie hat die merkwürdigen Menschen gesehen, die die Insel bevölkern, doch vieles spricht dafür, daß sie nur Figmente der gequälten Künstlerseele sind. Alma bemerkt, daß, wenn zwei Menschen viele Jahre zusammen verbringen, sie einander immer gleicher werden, dieselben Ansichten teilen, schließlich sogar denselben Gesichtsausdruck. Diese Form von Synthese war in gewisser Weise bereits das Thema von Bergmans vorangegangenem Film, der bedrückenden, handwerklich brillanten Schizophreniestudie PERSONA, in der die Persönlichkeiten zweier Frauen – eine Kranke, eine Krankenschwester – miteinander verschmelzen, vielleicht sogar von Anfang an eins sind. VARGTIMMEN splittet das auf in viele unterschiedliche Aspekte der Psyche, die Ängste und Frustrationen als Nachtmahre wiederkehren lassen. Dabei gelingt es Bergman, die traditionellen Horrormotive – der Vogelmensch, die alte Frau, die sich das Gesicht abschält – fast weniger grausig erscheinen zu lassen als die alltäglichen Erscheinungen. Die „Party“ im Schloß etwa ist für jeden Feind gesellschaftlichen Geplänkels der absolute Gnadenhammer, wobei Bergman den Zuschauer durch bizarre Einstellungen, vor allem aber das plötzliche Erscheinen von Gesichtern oder eine als unstatthaft empfundene Nähe von Widerlingen verjagt und ihm Unbehagen einflößt. Bergmans Technik ist dabei überaus simpel, gar nicht verschnörkelt. Die berühmten Bergman-Einstellungen von Gesichtern, die aneinander vorbeiblicken und gerne als prätentiös verunglimpft werden, sind eigentlich das genaue Gegenteil von prätentiös – die Leute schauen halt aneinander vorbei, sind jeder für sich selbst, obwohl Kommunikation und Gemeinsamkeit vorgetäuscht werden. Als besonders wohltuend empfinde ich dabei den Verzicht auf konventionelles Melodrama, denn mehr als an den altbekannten Emotionsexzessen sind die Figuren an einer Ausdeutung ihrer Seele (oder der des Gegenübers) interessiert, bauen ein Steinchen an das andere. Sherlock Holmes wäre begeistert gewesen. Die Bergman-Filme – zumindest bis VARGTIMMEN, meine Retrospektive ist ja chronologisch – sind überhaupt nicht verschachtelt oder selbstzweckhaft verworren, sondern kristallklar wie ein Bergsee. Passend zur Story ist der Schauplatz eine karge skandinavische Insel. Die Hütte der beiden Eheleute ist ebenfalls karg. Aus dem Rahmen fällt lediglich die Behausung der Aristokraten, die ein veritables Renaissanceschloß darstellt, vollgepackt mit schönen Künsten, die aber einen rein dekorativen Zweck erfüllen. Der grausige Schluß des Filmes findet dann statt in einem Wald, der aber nicht den bukolischen Märchenwald früherer Bergmans repräsentiert, sondern eher seine Pervertierung – der Hort der mißbrauchten Natur, der dem geknebelten Menschen den Untergang bringt. Ein wirklich unheimlicher Film, der – im Unterschied zu anderen Bergmännern – der Menschheit keine Gnade zuteil werden läßt. Aber der Mann war ja Atheist, nicht wahr...
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#561
Geschrieben 06. Juli 2008, 23:14
Léo Vrinks (Daniel Auteuil) ist schon sehr lange bei der Polizei und gehört zu jener Sorte Männer, die wirklich in ihrem Beruf aufgehen. Eine Kette von brutalen Überfällen auf Geldtransporter soll zum Sprungstein für eine Beförderung werden. Doch als Konkurrent erweist sich unglücklicherweise Denis Klein (Gérard Depardieu), mit dem Vrinks mal eine Freundschaft verband. Da Klein bei einem Einsatz Mist baut, stirbt ein Kollege. Statt Klein geht es aber Vrinks an den Kragen – er landet im Bau. Und damit beginnt erst der harte Weg des Léo V., der aus Freunden Todfeinde macht...
Holla, die Waldfee – was für eine nette Überraschung am Sonntagabend! Ein erstklassiger Polizeithriller mit Action, bewährten Schauspielern und einem tragischen Anstrich. Tatsächlich handelt es sich um eine der ersten Regiearbeiten des sonstigen Schauspielers Olivier Marchal, der selber einmal Polizist war. (Der Film ist einem getöteten Kollegen zugedacht.) Zusammen mit einem weiteren ehemaligen Flic, Francois Mancuso, zeichnet er auch für das Drehbuch verantwortlich. Ob die Machenschaften innerhalb des französischen Polizeiapparates akkurat dargestellt werden, vermag ich nicht zu beurteilen, aber vielleicht ist das ja auch eine kleine Feierabendfantasie gewesen, die den Ex-Cops aus dem Füller geflossen ist. In jedem Fall ist das Resultat ein sehr spannendes, relativ zurückhaltend gemachtes Drama, das im wesentlichen Auteuil gehört, der einen Bullen aus Passion mimt, dessen vielversprechendes Leben langsam in seine Bestandteile zerfällt, bis es nur noch einen Fixpunkt gibt, nämlich die Begleichung alter Rechnungen. Depardieu ist ebenfalls exzellent als sein Erzfeind, dessen großes Manko seine eigene Selbstüberschätzung ist. Klein wollte immer ein erstklassiger Polizist sein, aber seine Mittelmäßigkeit stand ihm immer im Weg. Um sein Ziel doch noch zu realisieren, ist er dazu gezwungen, alle Moral fahrenzulassen, und dabei geht er wahrlich über Leichen. Ein richtiges Schwein – toll! Wer solche Filme mag, sollte 36 definitiv nicht links liegen lassen.
P.S.: Oh, ein Hollywood-Remake wird auch schon vorbereitet...
Bearbeitet von Cjamango, 06. Juli 2008, 23:17.
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#562
Geschrieben 09. Juli 2008, 11:37
Ein Film, der sich eine Menge Mühe gibt, und meines Erachtens hat er auch Erfolg damit.
Theo (Jürgen Vogel) ist wegen dreifacher Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Nach knapp 10 Jahren Therapie wird er wieder auf freien Fuß gesetzt. Es fällt ihm schwer, wieder in das „normale“ Leben zurückzufinden. Er ist unfähig zur Kommunikation mit Frauen, fühlt sich dabei sehr einsam. Gleichzeitig ist er verzweifelt darum bemüht, seinen Trieb unter Kontrolle zu halten. Ein Ausweg bahnt sich an, als er die gleichfalls nicht unkomplizierte Nettie (Sabine Timoteo) kennenlernt, die sich nach einer gewissen Anlaufzeit aufrichtig in ihn verliebt. Doch die Vergangenheit drängt sich wieder in den Vordergrund...
Eine Art deutsche Version von THE WOODSMAN, die sich weitestgehend auf die detailgenaue Beschreibung eines emotional gestörten Menschen konzentriert. Dabei meidet der Film Hollywoodklischees oder überhaupt erzählerische Konventionen, was ihn für viele zu einer harten Sitzung machen wird. DER FREIE WILLE ist sehr lang (161 Minuten), doch auch dieses etwas zermürbende Format ergibt Sinn: Wo man sich in einem amerikanischen Film vermutlich den melodramatischen Ausweg eines Suizides oder eines anderen glanzvollen Weges zur Handlungsauflösung ausgekuckt hätte, geht in DER FREIE WILLE das Leben immer weiter. Die Figuren werden mit ihrer Verantwortung und mit ihrer Schuld alleingelassen, müssen irgendwie damit klarkommen. Das macht ihn nicht gerade zu erstklassigem Unterhaltungskino, besitzt aber den nicht zu unterschätzenden Vorzug der Aufrichtigkeit. Der Film erzählt keine Lügen. Die Hauptdarsteller sind exzellent, doch man muß schon ein Interesse am Thema aufbringen können, um den Figuren die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Viele Zuschauer werden vorher aussteigen oder sich in Ironie flüchten. Ironie liegt dem Film aber fern, genauso wie billige moralische Gemeinplätze. Nichts wird verharmlost. Alles ist so kompliziert, wie es im wirklichen Leben auch ist. Bin jetzt noch etwas geplättet.
Mit FREE WILLY hat der Film nichts zu tun.
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#563
Geschrieben 30. Juli 2008, 14:02
Glaubt nicht den Kritiken.
Als Richard Kellys lang erwarteter Nachfolgefilm zu seinem überraschend erfolgreichen DONNIE DARKO in Cannes lief, wurde er einhellig als völlige Katastrophe bewertet und mit Dreck beworfen. Die Produktionsfirma bekam daraufhin kalte Füße, kürzte den Film massiv und beschnitt seinen Vertrieb. In Deutschland ist der Film als Kaufversion sofort als Doppelpack zusammen mit seinem populären Vorläufer herausgebracht worden.
Oh je, ich mag ihn! Dwayne „The Rock“ Johnson spielt einen bekannten Schauspieler, Boxer Santeros, der für einige Tage in der Wüste verschwindet und dann auf mysteriöse Weise wieder auftaucht. In seinem ausgebrannten Auto findet man einen nicht zu identifizierenden Leichnam. Santeros ist ein Star der Massen, der enge Verbindungen zur republikanischen Partei besitzt und mit der Tochter des kalifornischen Senators verlobt ist. Das macht ihn für die „Neo-Marxisten“ interessant, eine Untergrundbewegung, die mit terroristischen Aktionen der verspielten Art die Regierung in Verlegenheit bringen will. Um an Santeros ranzukommen, bedienen sie sich eines jungen Mannes namens Ronald Taverner, dessen Zwillingsbruder Roland Polizist ist. Was dann passiert, ist zu konfus, um es zu erzählen, aber von der Apo zur Apokalypse ist es nur ein Katzensprung...
Richard Kelly entwirft mit SOUTHLAND TALES eine Parallelrealität, die ihren Reiz daraus bezieht, daß sie Elemente unserer Realität mit Fiktion vermengt. Es gibt Terrorparanoia, Präsident Bush, den „Patriot Act“, aber eben auch eine riesige Hydroenergiegewinnungsstation im Ozean, die notwendig geworden ist, da die Ölreserven im Zuge des Irakkrieges zur Neige gegangen sind und die ganze Kriegsmaschinerie ja irgendwie angetrieben werden muß. In den USA hat sich eine Art Medienfaschismus light entwickelt, in dem die demokratisch gesonnenen Bürger durch einen umsichtig kalkulierten Mix von Sex und Action ruhiggestellt werden. Gleichzeitig befindet sich das Land dicht an einem Bürgerkrieg, da die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu sozialen Unruhen nicht mehr zu übertünchenden Ausmaßes geführt hat. Statt also mit einer Art-Deko-Retro-Zukunft zu nerven, die seit BLADE RUNNER ja ziemlich in Mode gekommen ist, gibt uns Kelly eine Welt, die so wirkt, als hätte sich neben der Realität des Publikums eine weitere parallel entwickelt, was sehr zur Story des Filmes paßt. Da darf ich aber nix verraten, näch. SOUTHLAND TALES präsentiert seine Vision in einem überbordenen Miteinander von Figuren, das etwas wirkt wie diese postmodernen Multipersonenfilme à la MAGNOLIA, SHORT CUTS oder AMERICAN BEAUTY, nur daß hier endgültig der Mixer angeworfen wurde. Ich fühlte mich etwas an die Art und Weise erinnert, wie die Romane von Kurt Vonnegut erzählt werden: Der nominelle Held, der muskulöse Santeros, ist als Heilsbringer eine drollige Figur, da er eigentlich nur nach dem Flipper-Prinzip von einem Ort zum nächsten gekegelt wird, ohne Herr seines Geschicks zu sein. Er ist Spielball von Umständen, die er selber nicht einmal ansatzweise begreifen kann. Nur soviel: Er wird zu einer der wichtigsten Personen der Menschheitsgeschichte! Wer eine Auflösung à la Sherlock Holmes erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht werden, denn Kelly macht wirklich keine Gefangenen – kein Wunder, daß der Film ein finanzielles Fiasko wurde. Trotzdem fand ich ihn keine Minute langweilig oder uninteressant, sondern im Gegenteil amüsant und spannend, wenngleich ich mir nicht einbilde, ihn hundertprozentig verstanden zu haben. Allen jenen, die Kellys offensichtliche Fixierung auf das Thema Zeit und Zeitreisen, die auch schon DONNIE DARKO ausgezeichnet hat, in SOUTHLAND TALES aufdröseln wollen, wünsche ich jetzt schon einmal viel Spaß, denn der Film wimmelt vor Verweisen, auch in den nebensächlichsten Dialogzeilen... Die Geister werden sich bei SOUTHLAND TALES scheiden, denn er hinterläßt keine Sättigung im Bauch. Wohl aber geht er eine Zeitlang mit einem um. Man denkt eine ganze Menge darüber nach, wenn sich der anfängliche Überwältigungseindruck erst einmal gelegt hat. Eine Mogelpackung ist er auf jeden Fall nicht. Mal sehen, was ich in einer Woche darüber denke...
Bearbeitet von Cjamango, 30. Juli 2008, 14:06.
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#564
Geschrieben 30. Juli 2008, 14:04
Dieser Film sagt so ziemlich alles über Clowns aus, was man wissen sollte.
Victor Sjöström – manche werden ihn als alten Hauptdarsteller von Ingmar Bergmans WILDE ERDBEEREN kennen – war einst Schwedens berühmtester Filmemacher, in seinem Einfluß nur vergleichbar mit Mauritz Stiller, bekannt als Entdecker von Greta Garbo und aus diesem Buch von Wilhelm Busch. Anders als Stiller, dem seine Flucht nach Hollywood nicht gut bekam, schuf „Victor Seastrom“ (wie er dort hieß) einige bedeutende Werke. Am bekanntesten ist vermutlich THE WIND.
1924 machte er HE WHO GETS SLAPPED, basierend auf einem Theaterstück von Leonid Andrejev, dem berühmten Schachweltmeister. Lon Chaney senior spielt einen brillanten Wissenschaftler, Paul Beaumont, der seine Forschungen über den Ursprung des Menschen nur deshalb führen kann, weil er von einem reichen Mäzen, dem Baron Regnard, gesponsert wird. Gleichzeitig hält ihn die Liebe zu seiner Frau, Marie, im Lot. Als ihm endlich der Durchbruch gelingt und er seine Erkenntnisse an der Académie präsentieren will, klaut ihm der Baron die Früchte seines Schaffens, heimst Lob und Ruhm ein und ohrfeigt das wahre Genie vor den gröhlenden Wissenschaftlern. Zu Hause stellt er dann fest, daß auch Marie ihn verraten hat und die Geliebte des Barons ist – der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Beaumont schwört der Menschheit ab und faßt den Entschluß, nur noch über sie zu lachen. Da er jeden Glauben an sich und den Rest der Welt verloren hat, wird er zum Zirkusclown, als „He Who Gets Slapped“. Da die Menschen es immer sehr amüsant finden, wenn andere Menschen Ohrfeigen bekommen und gedemütigt werden, baut er seine Routine auf einer nimmermüden Folge von Watschen, die er kassiert. Er hat großen Erfolg damit und arbeitet seinen Haß auf die Menschheit – was keiner weiß – auf diese sehr ungesunde Weise ab. Seine Schmerzfähigkeit kommt erst wieder zum Vorschein, als in der jungen Aristokratentochter Consuelo (Norma Shearer) ein unschuldiges Geschöpf sein Leben betritt, in das er sich verliebt. Unglücklicherweise hat der geldgeile Vater von Consuelo (verarmter Adel!) die Hand seines Augapfels ausgerechnet dem verruchten Baron versprochen, der Beaumont in den Abgrund geworfen hat. Mit allen Mitteln will Beaumont den Frevel verhindern – mit ALLEN Mitteln...
In letzter Zeit habe ich einige Stummfilme gesichtet, auch Werke von Murnau und anderen gebenedeiten Meistern ihres Fachs. Am meisten hat mich allerdings HE WHO GETS SLAPPED ergriffen, der auf melodramatischen Tamtam weitestgehend verzichtet und eine menschliche Talfahrt schildert, die jene von Professor Unrat fast wie eine milde Pechsträhne aussehen läßt. Lon Chaney zieht in seiner Darstellung dieser Verwandlung vom Geistesmenschen zum Hanswurst wirklich alle Register seines Könnens. Selbst Conrad Veidts erschütternde Leistung als Gwynplaine in THE MAN WHO LAUGHS ist leichter zu verdauen als dieser gräßliche Abgrund der Selbst- und Menschenverachtung, der schließlich zur Tragödie führt. Während andere Hollywoodsachen jener Tage gerne noch eine relativierende Botschaft einflochten, um das Publikum nicht zu sehr zu verstören, gibt Sjöström den Vorgängen eine entschieden europäische Drastik mit auf den Weg. Das pervertierte Lachen von Beaumont dem Clown vergißt man nicht so schnell. Ich habe mich übrigens durch eine lausige englische Videokopie gequält, nur um festzustellen, daß ich noch eine alte TV-Aufnahme davon besaß. Tja, egal – auch so ein Erlebnis!
Bearbeitet von Cjamango, 30. Juli 2008, 14:11.
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#565
Geschrieben 30. Juli 2008, 16:40
Liebe Großmutter,
heute habe ich mich fast wie ein echter Filmstudent gefühlt! Ich habe nämlich den 90 Jahre alten Film HILDE WARREN UND DER TOD gekuckt, und das war eine ganz wilde Kopie, ohne Ton, ohne Zwischentitel, nur mit so „flash titles“, die für ein Bild dazwischengeschnitten sind. Außerdem war die Geschwindigkeit etwas zu hoch, so 24 Bilder pro Sekunde (oder Minute, das weiß ich nicht so genau). Der Regisseur war ein gewisser Joe May, der später nach Hollywood gegangen ist und dort DIE RÜCKKEHR DES DR. X gedreht hat. Der unsichtbare Mann ist bei ihm auch mal zurückgekehrt. Seine eigene Frau spielte Hilde Warren, eine gefeierte Bühnenschauspielerin, der bei einer Aufführung der Tod erscheint, und zwar als weiße, durchscheinende Gestalt, die immer ein grimmiges Gesicht macht, so wie Max von Sydow, wenn er Zahnschmerzen hat. In manchen Nachschlagewerken steht, daß Fritz Lang den Tod spielt, aber das ist eine Ente, denn er hat nur das Drehbuch verfaßt. Der hat zu jener Zeit ja einige Drehbücher über den Tod verfaßt. Hilde Warren verliebt sich in einen Choleriker, der sich als Krimineller entpuppt und von der Polizei erschossen wird. Da hat die Warren ihn aber leider schon geheiratet, und ein Kind ist auch unterwegs. Das Kind wächst dann so vor sich hin. Wegen der fehlenden Zwischentitel kriegt man das gar nicht so genau mit. Später wird die Warren von einem halbseiden aussehenden Jüngling umtänzelt, der einen dunklen Teint hat. Neger spielen übrigens auch mit in dem Film, aber sie sind nur Kammerdiener und Kaschemmengäste und so, wie das halt eben so üblich war zu der Zeit. Ein Freund von mir war ja neulich auch mal in einem Spesenhotel, wo ebenfalls nur schwarze Diener in Livrees herumstanden. Er hat mir geschworen, da niemals mehr hinzugehen, und das finde ich gut. Der Jüngling entpuppt sich dann aber auch als ihr Sohn, und der ist in schlechte Gesellschaft geraten. Da erschießt sie ihn, nachdem ihr der Tod noch einige Male erschienen ist, einmal sogar auf einer Felsklippe am Meer. Im Gefängnis erscheint ihr dann der Tod zum letzten Mal, und sie läßt sich von ihm umarmen, und der Film ist aus. Ich habe ja gedacht, es handele sich um eine weitere „Der Tod und die Jungfrau“-Geschichte, so Richtung FÄHRMANN MARIA, aber tatsächlich war es nur ein Vorläufer der Art von Horrorfilmen, in denen sich kriminelle Tendenzen von einer Generation in die andere vererben. War aber nicht schlecht. Den sollte mal jemand restaurieren. Vielleicht hat aber auch ein Akt gefehlt. Das weiß ich nicht so genau.
Alles Liebe von Deinem Lieblingsenkel
Christian
Bearbeitet von Cjamango, 30. Juli 2008, 16:40.
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#566
Geschrieben 31. Juli 2008, 10:55
Einem Maler träumt von einer geheimnisvollen Frau, Genuine. Einst Hohepriesterin eines Eingeborenenstammes, wurde sie von einem feindlichen Stamm entführt und auf dem Sklavenmarkt (feat. barbusige Frauen) feilgeboten. Ein alter Sabbersack käuft sie und sperrt sie in ein unterirdisches Verließ, das fortan ihre Welt ist. Ein wöchentlich vorbeikommender Friseur schickt eines Tages seinen Neffen Florian vorbei, der einen schlimmen Fall von Frisur auf dem Kopf trägt. Der sieht aus wie der Tambourmajor in der Cruising-Polonaise! (Oder wie die Mautstelle am Hershey Highway.) Flori schneidet dem Lord die Gurgel durch, denn er ist ihr verfallen. So wie ihm ergeht es noch anderen, denn Genuine hat es faustdick hinter den Ohren...
Abgesehen davon, daß ich nicht weiß, wie die Bezeichnung „es faustdick hinter den Ohren haben“ zustande kommt – GENUINE war Robert Wienes Nachfolgefilm zu DAS CABINET DES DR. CALIGARI. Gemäß Internet ist die vollständige Fassung nur noch im Münchener Filmmuseum einsehbar. Der Rest der Welt muß mit einer auf 43 Minuten eingedampften Version vorlieb nehmen, die als Extra auf der CALIGARI-DVD von „Kino“ beigegeben ist und wohl einen recht guten Eindruck vom Film liefert. Natürlich geizt der Film nicht mit expressionistischen Sets, die sowohl Genuines unterirdische Welt als auch den exotischen Fantasiestaat, in dem der Rest der Handlung spielt, kennzeichnen. Anders als in CALIGARI – in dem die stilisierten Bauten eine erzählerische Funktion innehatten und die Weimarer Republik als völlig desolates, gefährliches Konstrukt charakterisierten – erscheinen die expressionistischen Beigaben als dekorativer Schangel, der einer gewöhnlichen „femme fatale“-Story künstlerischen Pfeffer verleihen soll. Aussehen tut das Ganze natürlich ziemlich gut, aber es wird schon deutlich, daß Robert Wiene von Haus aus ein eher biederer Regisseur war, der seine Kunst auch in den Dienst von Operettenverfilmungen stellte. Vergleicht man GENUINE mit dem „Lulu“-Stoff von Frank Wedekind – eine unverstellte Kindfrau treibt lauter biedere Bürgermänner in den Abgrund allein kraft ihrer Natürlichkeit, weil diese den Selbstzerstörungsdrang im heuchlerischen System aktiviert –, so wirkt Genuine, die exotische, wilde Frau, voller urwüchsiger Kraft und Sexualität, wie eine rechte Sau, der es großen Spaß macht, Männer zu ruinieren. Ergo hat man es eher mit einer Bebilderung männlicher Angstvorstellungen von der weiblichen Sexualität zu tun, die hier vorliegt. Wie bei CALIGARI wird die Haupthandlung in einen erzählerischen Rahmen gepackt. Möglicherweise gibt es am Schluß der ungekürzten Fassung ein Wiedererwachen des träumenden Malers zu gewärtigen. Bei CALIGARI war diese nachträglich eingefügte Rahmenhandlung die Senfhaube auf einem ansonsten überaus mutigen Film, da sie die Aussage des Filmes als Hirngespinst eines Wahnsinnigen diffamierte und somit ihrer Spitze beraubte. Bei GENUINE wäre das eigentlich egal, denn gesellschaftlicher Sprengstoff wohnt dem Film nicht inne. Wohl aber ist er natürlich eine überaus attraktive Ergänzung zum CALIGARI-Kanon und illustriert den Einfluß, den die visuellen Eigenschaften des Filmes besaßen, wenngleich sie häufig nur als dekoratives Zierat eingesetzt wurden.
Genuine wird übrigens gespielt von einer Amerikanerin namens Fern Andra, die nicht nur Fliegerin und Schauspielerin war, sondern – nach der IMDb – auch während des Ersten Weltkrieges eine Spionin für die Alliierten. Dies scheint damals aber noch nicht bekannt gewesen zu sein, denn sie genoß bis 1930 in Deutschland eine Filmkarriere.
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#567
Geschrieben 04. August 2008, 01:03
Hui, demnächst gründe ich vielleicht noch einen Victor-Sjöström-Fanclub, mal gugge...
KÖRKARLEN, obschon bereits 1921 gedreht, muß wohl so ungefähr der 38. Film des Regisseurs gewesen sein. Er erzählt die Geschichte von Menschen in einem schwedischen Dorf, die in der hohen Kunst der Daseinsbewältigung mehr oder weniger großes Geschick an den Tag legen. Ein besonderes Augenmerk wird darauf gelenkt, inwieweit man es vermeiden kann, seinen Mitmenschen das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin bereits ist. Man nehme Schwester Edit, eine Heilsarmistin. Gleich ihr erster „Kunde“ in der neueröffneten Mission ist ein Herumtreiber namens David Holm, dem sie nicht nur Unterkunft für die Nacht gewährt, sondern ihm auch seine abgewetzte Jacke repariert. Als Dank wird sie am nächsten Tag von ihm hübsch verspottet, denn Selbst- oder Fremdachtung besitzt der Patron nicht mehr. Einige Rückblenden schlüsseln auf, wie David Holm so auf die schiefe Bahn geraten konnte. Die Rückblenden werden ihm im wesentlichen vom Tod erzählt, der ihm dabei so im Vorbeilaufen noch unter die Nase reibt, daß er verschiedene Leben komplett zerstört hat. Der Tod ist nämlich unterwegs in der Silvesternacht und will den Holm holen. Auch für Schwester Edit ist er unterwegs. Und was Holm jetzt nicht weiß: Wer als letztes in einem Jahr stirbt, muß die nächsten 12 Monate den Totenkarren fahren. Und das ist kein leichter Job...
Wie viele skandinavische Filme beschreibt auch KÖRKARLEN das Leben als einen beschwerlichen Weg durch ein Jammertal, in dem an jeder Ecke Fußangeln warten. Es gibt Menschen, die sich um Glück und Selbstlosigkeit bemühen, aber die fromme Absicht ist kein Garant für den Hauptgewinn. Wenn der Mist kommt, dann kommt er halt, und in der Regel kommt er reichlich. David Holm (gespielt von Regisseur Sjöström selbst, der etwas an den Bergman-Veteran Gunnar Björnstrand erinnert) hatte einst eine Familie und ein Heim, doch Ungunst des Geschicks und Selbstmitleid haben ihn in die Ackerfurche gezogen, auf der nur bitteres Unkraut wächst, und im Jäten erweist er sich nicht als Meister. Der einzige Meister in dieser Hinsicht ist und bleibt der Sensenmann, und vergleicht man ihn mit seinem Kollegen in dem im selben Jahr erschienenen DER MÜDE TOD, so muß man feststellen, daß der Lang'sche Freund Heiner eigentlich gut dran ist und hochmotiviert. Sjöströms Totenkarrenmann hat kaum ein größeres Interesse an den Menschen, als David Holm dies in seinen Jammerjahren demonstriert hat. Zwar hat ihm die zwangsweise Beschäftigung mit dem mißlichen Geschick der anderen eine gehörige Portion Demut eingebleut, aber das ständige Miterleben vom Leiden, von Seelenqualen und dem letztlichen Scheitern hat ihn stumpf und wortkarg gemacht. So karg wie die Lektion des Todes sind auch die Bilder, mit denen die Geschichte eingefangen wird. Sehr schlicht, sehr unverstellt und geradlinig, sehr humorlos. Die Beschäftigung mit der Schuld, in die sich der Mensch verstrickt, mag manchem frömmelnd erscheinen, aber dem Film geht jede falsche Sentimentalität ab, jeder Kitsch, der fraglos in einem amerikanischen Produkt jener Tage aufgetaucht wäre. (INTOLERANCE? Johoho...) Die Religiosität dieser Filme – die eine sehr persönliche und am täglichen Leben orientierte ist – leuchtet mir sehr ein, da es hier hauptsächlich um moralische Fragen geht. Warum man seine Mitmenschen nicht wie Dreck behandeln soll, zum Beispiel, oder warum das sich Suhlen in Jammern und Selbstmitleid eine ausgesprochene Verliererübung ist, die einsam macht. Sjöström fällt – anders als der Tod – nicht mit der Tür ins Haus. Sein Film ist kontemplativ, eindringlich und wirkt auch nach 85 Jahren noch immens eindrucksvoll. Taschentücher sollte man allerdings bereithalten.
Bearbeitet von Cjamango, 04. August 2008, 02:26.
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#568
Geschrieben 04. August 2008, 01:04
Den dänischen Regisseur Carl Theodor Dreyer werden die meisten durch seinen Horrorfilm VAMPYR – DER TRAUM DES ALLAN GREY kennen, der für mich bis zum heutigen Tag einer der unheimlichsten Filme überhaupt ist. Ursprünglich entstammt er einer Phase in der Entwicklung des Kinos, in der die dänische Filmproduktion tonangebend war, was nicht zuletzt an den wirtschaftlichen Veränderungen durch den Ersten Weltkrieg lag. Nachdem er einige Jahre als Drehbuchautor gearbeitet hatte, drehte er 1919 seinen ersten Film. Als die Verhältnisse in Dänemark immer undankbarer für Filmemacher wurden, machte er Filme für deutsche, französische und norwegische Produzenten. VAMPYR etwa wurde weitgehend von seinem Hauptdarsteller finanziert, der ein reicher Mäzen war. So etwas gibt es heutzutage ja kaum noch, leider.
BLÄTTER AUS DEM BUCHE SATANS ist einer seiner frühesten Filme und orientiert sich in seiner Struktur an Griffiths INTOLERANCE: Vier Geschichten werden erzählt, die die Aktivitäten des „gefallenen Engels“ dokumentieren, der in menschlicher Gestalt ausgewählten Erdenbewohnern erscheint, um sie zu korrumpieren. Wenn jemand seiner Versuchung standhält, so bekommt Satan 1000 Jahre seiner Strafe erlassen. Das ist aber ein schlechtes Geschäft, denn die meisten fallen voll drauf rein. Dumm gelaufen. Episode 1 erzählt von Jesus und der Sache mit dem Judaskuß. Das geht daneben. Dann kommt die spanische Inquisition, und auch hier sorgen Geilheit, irregeleiteter Glauben und verletzte Eitelkeit für lange Gesichter. Die französische Revolution ist der nächste Spielplatz für Satan, und in den Jakobinern findet er aufrechte Spießgesellen. Schließlich muß er auch noch im Finnland der Gegenwart (na ja, 1918 halt!) auftauchen, wo die russischen Nachbarn gerade eine Vormachtstellung einfordern. Hier erlebt Satan eine kleine Überraschung, hollahe.
Man erwarte keinen Klassiker à la VAMPYR oder TAG DER RACHE – DIES IRAE. Dreyer arbeitet hier bereits reichhaltig mit analytischen Großaufnahmen, die Gesichter vor kargen weißen Wänden zeigen. Der Film ist für seine Entstehungszeit recht aufwendig und erzählerisch recht anspruchsvoll. Auch schneidet er für mich im direkten Vergleich mit D.W. Griffith schon deshalb gut ab, weil er ganz einfach kürzer ist, und, na ja, die christliche Moral wird hier auch nicht direkt mit einer rosa Schleife um den Kopf serviert. Der alte Südstaatler brennt da ja ein ziemliches Feuerwerk ab. Dreyer zeigt seinen Satan nicht als Bösewicht, sondern eben als gefallenen Engel, der jetzt Gottes Ratschluß umsetzt, indem er die Menschen in Versuchung führt, quasi die Schmutzarbeit erledigt. Daß die Arbeit auch ihre Meriten hat, kommt dann in der letzten Episode zum Ausdruck. Ich bin wirklich ein großer Fan dieser skandinavischen Filme und werde mir da wohl noch eine ganze Menge besorgen...
Bearbeitet von Cjamango, 04. August 2008, 02:28.
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#569
Geschrieben 04. August 2008, 01:06
Der viel zu früh verstorbene Deutsche Paul Leni (1929, Blutvergiftung) kam über den Weg der „Art Direction“ ins Filmgeschäft, was man seinen Werken auch ansieht. In den USA drehte er mit dem schönen Gruselthriller THE CAT AND THE CANARY und der Hugo-Verfilmung THE MAN WHO LAUGHS zwei kleine Klassiker. Der einzige deutsche Film von ihm, der mir bekannt ist, ist DAS WACHSFIGURENKABINETT, der sich weitgehend an den expressionistisch eingefärbten Filmen der CALIGARI-Nachfolge orientiert, aber einen unverbindlicheren, mehr an oberflächlicher Unterhaltsamkeit orientierten Grundton anschlägt. Das wird ihm bei mir nicht zum Fallstrick, denn...
...der Film ist richtig fein! Wilhelm Dieterle (später als William Dieterle ein berühmer Hollywoodregisseur, der u.a. Charles Laughton den Buckel aufsetzte) verkörpert einen jungen Dichter, der sein Haushaltssalär etwas aufbessern will und in einem Panoptikum auf dem Jahrmarkt anheuert. Er soll einigen der berühmten Persönlichkeiten nachgestalteten Wachsfiguren werbewirksame Geschichten andichten. Die erste Episode führt ihn in das Reich Harun Al Raschids, welcher dick war, lüstern, launisch, und somit von Emil Jannings verkörpert wird. Da die Geschichte eher burlesk erzählt wird, darf sich der Emil so richtig schmierig durch die Visage lecken und wilde Grimassen schneiden, was mir das eine oder andere Entzücken entlockt hat. Bei manchen ist es Schmierenkomödie – bei manchen ist es Kunst. Ist halt so. Der Jannings kann's. Dieterle ist ein armer Bäcker, der mit seiner Frau ein kärglich Dasein fristet vor dem ständig qualmenden Ofen. Da der Qualm den Kalifen beim Schachspiel stört, weist er seinen Großwesir an, ihm den Kopf des Bäckers zu bringen. Der Wesir – der um die libidinösen Gewohnheiten seines feisten Brötchengebers weiß – empfiehlt ihm stattdessen, nächtens die Frau aufzusuchen und sie nach Strich und Faden zu höckern, denn sie ist sehr schön. Das Balzgehabe des Jannings zu beobachten, ist eine wahre Wonne. Das wird dann noch recht turbulent, zumal Dieterle ja beschreiben will, wie der Kalif seine Hand verloren hat...
Episode 2 führt uns in das Reich Ivans des Schrecklichen. Mit Conrad Veidt hat Leni einige Male zusammengearbeitet, und was der Mann hier abzieht, ist einfach ganz großes Kino. Ivan macht seinem Beinamen nämlich alle Ehre, ist halb wahnsinnig und foltert für sein Leben gern. Bei einer Hochzeit (Dieterle und erneut die Maid seines Herzens) bringt Veidt den toten Vater der Braut als Gastgeschenk mit, zwingt die weinende Festgesellschaft zum Gruppentanz (ein Veidtstanz?) und klaut am Schluß die Braut. Dieterle wird hübsch gefoltert, weil dem Ivan das frommt, aber das böse Tun fordert seinen Tribut, und aus halbem Wahnsinn wird der volle Wahnsinn – der geht gut ab, der Veidt. In den letzten 10 Minuten setzt es dann noch eine Begegnung mit Jack the Ripper, der Werner Krauss einen Auftritt sichert. Krauss war ein vorzüglicher Schauspieler, den die meisten als Dr. Caligari kennen werden, in dem er sich älter schminken ließ. In G.W. Pabsts drolligem Psychologiedrama GEHEIMNISSE EINER SEELE – das ich mir vor ein paar Tagen angesehen habe – spielt er einen Bürgersmann, der vom unfrommen Wunsch gequält wird, seine Frau zu tranchieren, und das nur, weil ihm mal als Kind eine Puppe nicht geschenkt worden ist. Da war er dann zu alt für die Rolle, aber na ja. Schließlich spielte er – leider – noch in einem Film eines anderen Veit mit und sah dann ganz alt aus. Im WACHSFIGURENKABINETT des Dr. Leni hat er leider nur einen kurzen Auftritt. Insgesamt ein sehr dekorativer, sehr hübscher Film, den man nicht als Horrorfilm sehen sollte, sondern als charmante Extravaganz. Die qualitativ wie üblich herausragende „Kino“-DVD (ein US-Label, das sich um verkannte Semi-Klassiker aller Arten verdient gemacht hat) liefert auch noch einen experimentellen Kurzfilm Lenis im Beiprogramm, REBUS NR. 1 (1925), der ein Kreuzworträtsel fürs Kino liefert und erneut belegt, daß der Mann Humor gehabt hat. So, erstmal.
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#570
Geschrieben 05. August 2008, 10:01
Erich von Stroheim hatte sich mit Irving Thalberg verkracht, nachdem es bei der Produktion von MERRY-GO-ROUND zu großen Schwierigkeiten gekommen war. Der handzahmere Rupert Julian wurde eingesetzt, um den Film zu vollenden, und „The Dirty Hun“ Stroheim von der Weihnachtskartenliste der Thalbergs gestrichen. Daraufhin begab er sich an die Aufgabe, den Roman „McTeague“ von Frank Norris zu verfilmen, und zwar für Louis B. Mayer. Während der Dreharbeiten fusionierte Mayer, woraus sich „Metro-Goldwyn-Mayer“ bildete, und Erichs neuer Chef hieß – Irving Thalberg!
GREED erzählt die aufrüttelnde Geschichte von McTeague, einem ruppigen, aber gutherzigen Tunichtgut, der lange Jahre damit verbracht hat, Gold zu schürfen. Um seiner Mama einen Gefallen zu tun, lernt er „was Richtiges“ und wird Zahnarzt. In dieser Funktion lernt er die holde Trina kennen, die mit seinem besten Freund Marcus verlobt ist. Mac verliebt sich, und da Marcus eine edle Natur besitzt, tritt er zurück vom Liebesreigen und läßt seinem Freund freie Bahn. Mac und Trina heiraten. Da Trina aber kurz vor der Eheschließung einen namhaften Lottogewinn erzielt, steht die Ehe unter keinem guten Stern: Sie wird zu einem rechten Knauser, läßt ihren Mann schuften von früh bis spät und erfreut sich am Glitzern ihrer Goldmünzen. Marcus derweil verliert seine edle Natur und verrät den Ämtern, daß Mac keine Zulassung besitzt, so daß Mac Arbeitsverbot bekommt. Obwohl das Geld der Eheleute ratzfatz zur Neige geht, hält die mittlerweile fast wahnsinnige Trina ihren Mammon versteckt, während Männe stempeln geht. Auch Macs Verstand geht angesichts der großen Not schließlich über Bord, was zu Mord und Totschlag führt und zu einem Western-Finale im Death Valley...
Diese Mär über die Triebstruktur der Menschen und den schädlichen Einfluß des Geldes steht in krassem Widerspruch zum christlichen Erlösungsgedanken, der den Hollywoodfilmen jener Tage meistens zugrundelag. Statt göttlicher Intervention oder eines externen „Schicksals“ regieren hier eher die bereits im Menschen selbst angelegten Fallstricke, die ihm eine Kutschfahrt in den Morast sichern. Vergleichbar ist GREED am ehesten mit den „Triebfilmen“, wie sie Anfang der 20er in Deutschland populär waren und so manchen Weg in den Ruin bebilderten. GREED war denn auch bei seinem Erscheinen nicht besonders populär und wurde von vielen Kritikern verrissen, was allerdings auch an seiner kompromittierten Erscheinung liegen mochte. Stroheims Rohschnitt lief nämlich schlanke 9 Stunden, und auch nach einer eingehenden Überprüfung des Materials kamen immer noch fünfeinhalb Stunden dabei heraus. Da mittlerweile – wie bereits angedeutet – Irving Thalberg das Zepter schwang und dieser nicht gerade ein Intimfreund Stroheims war, wurde letzterem das Material aus den Händen genommen und auf die kommerzielle Länge von zweieinviertel Stunden zusammengekürzt. Das Resultat ist immer noch beeindruckend, aber man merkt doch, daß die vorliegende Fassung entbeint worden ist. Den McTeague gibt der britische Schauspieler Gibson Gowland, ein Teddybär von Mann, dessen anfängliche Gutmütigkeit ihm mehr und mehr ausgetrieben wird. Für die Trina leistete man sich den sensationellen und mutigen Besetzungscoup, die Komödiantin Zasu Pitts zu engagieren, deren Leinwanddarstellungen u.a. zum Vorbild für Popeyes „Olive Oyl“ wurden. Ihre Trina ist eine furchtsame und devote Erscheinung, die die „Macht des Opfers“ aber zunehmend zu offener Feindseligkeit und Grausamkeit werden läßt. Macht die Pitts ziemlich klasse. Die ungekürzte Fassung von GREED ist angeblich nur ein einziges Mal zur Aufführung gekommen, und das auch nur in privatem Rahmen. Immerhin hat man eine vierstündige Fassung rekonstruiert, doch ob die irgendwo rausgekommen ist, ist mir nicht bekannt. Stroheim jedenfalls bedurfte noch eines weiteren Nackenschlages (QUEEN KELLY), um ein für allemal die Lust am Inszenieren zu verlieren. In seinen letzten Jahrzehnten war er nurmehr als Schauspieler tätig, z.B. als Gloria Swansons Butler/Regisseur in Billy Wilders umwerfendem BOULEVARD DER DÄMMERUNG.
Bearbeitet von Cjamango, 05. August 2008, 10:02.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
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