Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#571
Geschrieben 10. August 2008, 14:54
Einer der beeindruckendsten und modernsten Stummfilme ist zweifelsohne der dänische HÄXAN, der bei uns früher als HEXEN im TV lief (vor sehr langer Zeit) und in den USA in einer gekürzten Fassung (und mit einem Kommentar von William S. Burroughs!) als WITCHCRAFT THROUGH THE AGES herauskam. Der Film bietet einen Rundgang durch die Jahrhunderte der Hexenverfolgung, der merkwürdigen und häufig entsetzlichen Auswüchse, die der Aberglauben der Menschen verursacht hat. Während der erste Akt des Filmes sich fast ausschließlich den zeitgenössischen Bebilderungen des Hexenwahns widmet, zeigt der Film im weiteren Verlauf viele Beispiele des Irrglaubens, teils kurios, teils grausam, immer grotesk. Die Spielszenen sind sehr pittoresk, erinnern manchmal etwas an die schwankhaften Darstellungen des Mittelalters in Exploitationfilmen der „Dekameron“-Nachfolge, aber was HÄXAN wirklich bemerkenswert und (für seine Entstehungszeit) sogar einzigartig werden läßt, ist die aufklärerische Attitüde, die Regisseur Christensen bei seiner Freakshow einschlägt. Auch wenn der ironische Grundton des Kommentars dem Hexenwahn zunächst das Wort zu reden scheint, wird doch schon bald klar, daß den vermeintlichen Hexen das Herz des Regisseurs gehört. Die zahlreichen humoristischen Einsprengsel verwischen nicht den Eindruck, daß dem Film seine Botschaft sehr ernst ist. Er macht klar, daß diesem bösen Irrglauben Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind. Er weist darauf hin, daß die Ursachen für den Fanatismus in simpler Angst vor dem weiblichen Geschlecht, der Mutterschaft, Sex und anderen Neurotismen begründet waren. Beeindruckend ist auch der Umstand, daß Christensen im Schlußakt eine Analogie zur heutigen Zeit (=von 1921) anstrebt und die Paranoia von einst mit der Unfähigkeit auch des modernen Menschen vergleicht, mit u.U. krankheitsbedingten Zerrformen menschlichen Verhaltens umzugehen. Das „Andere“ ist immer erst einmal der Feind. Die Überwindung dieser Angst vor dem Andersartigen ist ein Lernprozeß, den viele nicht absolvieren. HÄXAN bleibt dabei immens unterhaltsam, prachtvoll ausgestattet, lustig, erschreckend, einfach alles. Wäre ich Lehrer an einer Schule, würde ich meinen Schülern bedenkenlos diesen Film anbieten, denn auch junge Menschen wird die Wucht von Christensens Kunst und Aufklärungseifer beeindrucken. Meine Lieblingsszene ist jene, in der Christensen uns einige Folterinstrumente der Inquisition vorführt. Er bemerkt launig, daß eine seiner Schauspielerinnen darum bat, die Daumenschrauben doch mal anprobieren zu dürfen. (Ist zu sehen.) Dann vermeldet ein Zwischentitel, daß Christensen davon absieht, dem Zuschauer zu verraten, was ihm die Schauspielerin so alles gestanden habe...
Benjamin Christensen war übrigens ursprünglich Theaterschauspieler und Opernsänger. Die Ausübung dieser Tätigkeiten wurde ihm aber durch seine exzessive Neigung zum Lampenfieber unmöglich gemacht. Eine Anekdote berichtet davon, daß er einmal in einem Hotel Tür an Tür mit Enrico Caruso gewohnt habe. Diesem habe Christensens Gesang in der Badewanne so gut gefallen, daß er ihm eine Rolle in seinem nächsten Stück anbot. Christensen wand sich aber heraus, da ihm der Gedanke, vor einem großen Publikum auftreten zu müssen, unerträglich war. Später ging der Däne dann nach Hollywood, wo er zumeist komödiantische Stoffe mit phantastischem Einschlag realisierte, unter anderem den sehr schönen SEVEN FOOTPRINTS TO SATAN.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#572
Geschrieben 12. August 2008, 15:59
Als eine der großen Verhexungen meiner Schulzeit empfand ich es immer, wenn unser Englischlehrer uns etwas Gutes tun wollte und eine dieser 3 Stunden langen BBC-Bearbeitungen von Shakespeare-Stücken hervorkramte, die einem den letzten Nerv töten. Die erste bekannte „King Lear“-Bearbeitung aus dem Jahre 1910 hat gegenüber diesen Dauerbrennern unter den Kinderquälern den großen Vorteil, daß sie nur knapp 15 Minuten dauert und den Barden somit auf ein der jugendlichen Ungeduld angemessenes Maß reduziert.
Das handkolorierte Pixie-Buch-Epos entstammt der zu jener Zeit sehr populären „Film d'art“-Tradition, die das Kino auch einer bildungsbürgerlichen Schicht erschloß. Für die bühnenartig statisch abgefilmten Klassiker holte man des öfteren auch populäre Theatermimen vor die Kamera. Ob der Darsteller des König Lear eine Bühnengröße seiner Zeit war, vermag ich nicht zu sagen, aber er sieht aus wie der alte Zausel, der am Hauptbahnhof immer die Maronen verkauft, und zwar zur Sommerzeit, wenn keiner sie will. Ein glücklicher Umstand war, daß ich die Handlung von „König Lear“ bereits komplett vergessen hatte. Ich weiß nur noch, daß der gute Mann irgendwann wahnsinnig wird, und es endet wohl auch nicht happy, da Tragödie. Nun, König Lear sitzt zu Anfang ungelenk in seinem Thron und grimassiert zum Gottserbarmen. Leider lugt ihm keine Weinbuddel aus dem Umhang, denn dann wäre der Eindruck vollkommen. Der Tünnes vom Kaisereck ärgert sich ganz furchtbar über seine Tochter, und er ärgert sich so, daß er zur zweiten Tochter geht, die Regan heißt, genau wie das Balg aus dem „Exorzisten“. Regan ist sehr häßlich, und so verwundert es nicht, daß der alte Zausel sich weiterärgert und schimpfend abgeht. (Begleitet wird er übrigens von einer violett bewamsten Tucke, die wohl der Herzog von Kent sein soll. Ja, genau.) Lear verleart (hust!) daraufhin seinen Verstand und vergleicht das Herz von Regan mit einem Stein – eine hochdramatische Szene, die ungefähr ein Fünftel der Laufzeit einnimmt und dadurch entschieden aufgelockert wird, daß sich Lear bei seinem Rumgefuchtel an dem Stein böse die Hand stößt – aua, aua. Ein vorläufiger Höhepunkt wird erreicht, als der nunmehr komplett wahnsinnig gewordene Lear eine ganze Szene lang mit einem Reisigbesen herumhantiert, mit dem er offensichtlich vor einer Hütte schön saubermachen will. Zum Entsetzen einiger Edelleute setzt er sich am Schluß auf das Haushaltsgerät und reitet darauf nach links aus dem Bild. (In einer Kritik habe ich gelesen, die Leistung des Schauspielers wäre ergreifend. Ich muß gestehen, ich habe schallend gelacht!) Tochter Nummer Zwei, Cordelia, versöhnt sich daraufhin mit ihrem Vater, der vorübergehend seine Murmeln wiederfindet. Da die böse Tochter Regan aber Cordelia ruchlos ermorden läßt, erleidet er einen bösen Rückfall. Hand an die Kehle, Herumgefuchtel, Grimassen, Spinatmaske. Der Zwischentitel nennt das: „Er haucht vor Gram sein Leben aus.“ Ein Ereignis, so prall wie das Euter der Milka-Kuh. Allen Englischlehrern wärmstens anempfohlen.
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#573
Geschrieben 12. August 2008, 16:12
André Deed war ein französischer Komödiant, der vor fast 100 Jahren zu den bekanntesten Stummfilmspaßmachern seines Heimatlandes zählte. Auch in anderen Ländern war er sehr erfolgreich, zum Beispiel in Italien, wo er als „Cretinetti“ firmierte. L'UOMO MECCANICO ist eines seiner Spätwerke und galt als verschollen, bis man vor kurzem in Brasilien einen Print auffand. Angeblich sollen das etwa 40 Prozent des kompletten Filmes sein, und es sind die letzten 40 Prozent, so daß man mitten in die Handlung hineinpurzelt. Es geht da um eine böse Schurkin namens Mado, die zu Beginn des Torsos in einer Gefängnisklinik liegt, aber durch einen selbstgelegten Brand gelingt ihr die Flucht. Und jetzt wird es lustig, denn sie befehligt einen Riesenroboter, der ein bißchen aussieht wie der Kollege mit dem Drillbohrerpenis aus FLESH GORDON, nur halt größer und weniger sexorientiert. Das Viech haut alles zu Klump und wird von Mado von ihrer Schaltzentrale aus gesteuert. Deed selber spielt den kaspernden Helden, der – seiner Tölpelhaftigkeit zum Trotz – die Rettung bringt und die Frau bekommt. Vorher gibt es aber Action nonstop, die sehr an die alten „Flash Gordon“-Serials erinnert und große Freude bereitet. Tatsächlich mutmaßte ich zuerst, daß es sich um die letzte Folge eines Serials handeln müßte (á la FANTOMAS), aber dem ist wohl nicht so. Sehr spaßig.
Bearbeitet von Cjamango, 12. August 2008, 16:13.
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#574
Geschrieben 12. August 2008, 17:27
Ich komme auf den Geschmack.
Vor CABIRIA (1914), dem ersten großen Epos des Kinos, übten die Italiener bereits und schufen bildgewaltige Umsetzungen klassischer Stoffe. NERONE illustriert den Niedergang des beliebten Kaisers Nero anhand einiger Tableaus, die insgesamt ungefähr 12 Minuten Laufzeit ergeben. Tja, QUO VADIS gespart!
Zu Anfang sieht man Nero bei Hofe, wie er auf einer fast leeren Bühne (lediglich umgeben von zwo Säulen, einem Säulenrudiment und einigen Hofschranzen) wild herumfuchtelt. Die Filmakteure jener Tage verließen sich nämlich (zu unrecht) ganz auf die handelsüblichen Totalen, mit denen das Geschehen damals eingefangen zu werden pflegte. In Nahaufnahmen wird das expressive Spiel, das die Leute auf der Bühne angewendet haben, nämlich ganz schnell zu erheblicher Hanswursterei. In NERONE wird sehr bald klar, daß die Italiener Herr im Hause waren, was den Einsatz von weit ausholenden Armbewegungen anging. Man steht als Zuschauer Todesängste aus und hofft, daß sich die Darsteller nicht gegenseitig erschlagen oder das Gleichgewicht verlieren. Meistens beginnen diese Bewegungen langsam, nehmen aber dann einen brutalen Schwung auf. Das geschieht so ganz nebenbei, denn in der Hauptsache müssen die Leute ja deklamieren. Da kann leicht etwas passieren. Auf den heutigen Betrachter macht das Ganze den Eindruck eines Vorläufers von Jane Fondas Aerobic-Video.
Nero hat einen lustigen Rundumbart, so diese Sorte, die ihren Träger immer wie einen Schiffskapitän aus der viktorianischen Zeit aussehen läßt. Außerdem grimassiert er ganz toll, etwa so wie Helge Schneider, wenn er lüstern aussehen will. Nero ist nämlich auch lüstern, da er Poppea liebt, der er auch sofort an die Titten packt. (Mit einer weit ausholenden Armbewegung.) Ehefrau Octavia ist „out“ und muß gehen. Bei einer romantischen Szene im Grünen (=Originalschauplatz) bezirzt Poppea Nero, daß er Octavia umbringen läßt. (In dieser Szene befürchtet man immer, daß die Darsteller auf ihre Gewänder treten und auf die Schnauze fallen. Nein, ich sage jetzt mal die Wahrheit: Man befürchtet es nicht, man hofft es!) Octavia wird also gemeuchelt, und das Volk von Rom steht auf gegen den Tyrannen. Jener stirbt dann aber nicht den von der Geschichte für ihn vorgesehenen Tod (er schlitzte sich selber die Kehle auf), sondern greift sich seine Leier und verschwindet aus dem Bild. Ende.
Besser hätte ich es natürlich gefunden, wenn er auf einem Besen nach links aus dem Bild geritten wäre.
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#575
Geschrieben 12. August 2008, 18:11
Oh, die Briten konnten das auch ganz gut.
Gar so vergnüglich ist diese alte Version des Historiendramas allerdings nicht, denn "high camp" bleibt - anders als bei den Italienern - aus. Stattdessen haben wir es hier mit der Abfilmung einer Bühnenfassung von Frank Benson zu tun, der die Titelrolle mit großer Inbrunst versah. Folglich beschränken sich die Sets auch auf die Bühnenbauten der Produktion. Das Spiel der Akteure ist deutlich weniger exaltiert als bei den Mittelmeerbewohnern, und die Zwischentitel geben auch ein paar wohlklingende Zitate des Barden aus Winsen an der Luhe zum Besten. Die Handlung des Werkes wird ähnlich filettiert wie die meisten armen Schweine, die Richard im Wege stehen. Szene 1 beginnt gleich mit der Schlacht von Tewkesbury; dann kommt der Mord an König Henry; dann kommt Richards Buhlen um die Gunst seiner Königin; dann ein weiterer Mord usw. Man kann nicht sagen, daß man zuwenig geboten bekäme für sein Geld. Ansonsten gilt, was ich bereits zu KING LEAR gesagt habe - auch diese "Großproduktion" (immerhin 23 Minuten!) ist jeder BBC-Aufführung vorzuziehen. Es zahlt sich allerdings aus, wenn man die vielen Figuren des Stückes noch einigermaßen im Kopf hat, aber so kriegt man die Schüler wenigstens dazu, den Text zu lesen...
Aufgrund der gerafften Handlung bekommt man übrigens auch den Eindruck, die Menschheitsgeschichte sei eine einzige Folge von Gier, Ränkespielen und Mord gewesen. Das trifft, denke ich, den Punkt.
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#576
Geschrieben 13. August 2008, 11:25
Albrecht Froben (Carl Raddatz) hat sein Leben dem Reisen um die Welt gewidmet. Nun kehrt er nach Hause zurück, nach Hamburg, und will seine Octavia ehelichen. Eine Komplikation ergibt sich, als er Äls (Kristina Söderbaum) kennenlernt. Während Octavia edel, hoheitsvoll und gut ist, ganz Ideal, verkörpert Äls die widersprüchlichen Segnungen der Natur. Mit der Wucht einer Dampframme verliebt sich Albrecht in die schöne Ausländerin. Die Sache hat nur einen Haken: Äls ist mit einer überaus fragilen Gesundheit geschlagen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Freund Heiner sie zu sich holt...
Veit Harlans 1944 herausgekommener Film ist so etwas wie die Apotheose der Todessehnsucht in der deutschen Romantik, erreicht mit den Mitteln des Tränendrüsenbombardements. Den eher morbiden Anteilen der deutschen Romantik stehe ich ja seit ehedem sehr zwiespältig gegenüber, zumal sie uns – neben vielen holden Dichterwerken – eben auch eine Neigung zum Mystischen, Ungreifbaren mitgegeben hat, die in ihrer übelsten Ausprägung auch das Dritte Reich ermöglicht hat. Was bei den Nazis zum Totenkult, zur schmetternden Verehrung des Sterbens für das Vaterland geführt hat, erscheint bei Harlan (und tendenziell in jedem Liebesdrama) als Schicksal. Schicksal, das die Menschen zusammenführt; Schicksal, das sie wieder auseinandergehen läßt. Octavia hat gegen Äls überhaupt keine Chance, da von Anfang an klargestellt wird, daß Äls die Elemente der Natur auf ihrer Seite hat. Schon bei ihrem ersten Auftritt schwimmt sie nackt im Fahrwasser von Raddatz´ Boot, was dem Zuschauer nicht nur Einsichten in die Länge der Brustwarzen von Veit Harlans Gattin gewährt (da habe ich kurz geschluckt; im Hollywoodfilm jener Zeit war das ja nicht eben Usus!), sondern auch nahelegt, daß sie verlockend, körperlich und gänzlich unverstellt ist. Äls weiß gar nicht, was sie in dem Weltensucher Albrecht anrichtet, der ständig auf der Suche war und nun in den sicheren Hafen einer bürgerlichen Existenz flüchten wollte. Vom Bootsfahren verlegt er sich aufs Reiten, und es gibt eine schöne Szene, in der Äls als berittene Amazone Bogenschießen übt und daraufhin ins Meer reitet, ihren finalen Abgang bereits vorwegnehmend. Denn daß es schlimm enden muß, ist klar – wer ausbricht, muß schließlich die Zeche bezahlen. Harlan realisiert das mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, schüttet den Betrachter mit Farbe zu, mit pittoresken Ansichten (Maskenball!) und Symbolismus satt. Der Schluß des Filmes ist nahezu genial, wenn sowohl Raddatz als auch die Söderbaum an Typhus erkranken und sich mit ihnen der Film immer mehr in eine Orgie der Todesromantik hineinsteigert. Das Dritte Reich hat für den Opfergang, den die Menschen hier vor der Natur und der Liebe zelebrieren, bedauerlicherweise eine andere Lösung gewählt, die eben nicht nur für feuchte Taschentücher sorgte. So bleibt der romantische Super-GAU nicht ohne einen sehr bitteren Nachgeschmack. Sehenswert ist der Film aber allemal. Ob nun als Mahnmal bombastischen Kitsches oder als ultimative Schicksalskanonade, muß jeder für sich selbst entscheiden. Ich werde mir jetzt erst einmal Christoph Schlingensiefs Version des Stoffes anschauen, MUTTERS MASKE...
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#577
Geschrieben 04. September 2008, 12:51
Mein lieber Herr Gesangverein.
Und noch eine Gurke gesichtet: Vier junge Leute, die bei einem mysteriösen Raubzug einen flotten Reibach gemacht haben, gelangen auf ihrer Flucht vor der Polizei in die Fänge einer Familie von grenzdebilen Schlampen und Totschlägern, die alle den offenbar überaus fruchtbaren Lenden eines Ex-Nazis namens von Geißler entsprungen sind. Es gibt jede Menge Rabatz, und alle versuchen mannhaft bzw. frauhaft, am Leben zu bleiben. Das gelingt aber nicht allen. Damit die Sache nicht langweilig wird, werden hektoliterweise Kunstblut über die armen Schauspieler ausgegossen, und der Nazi äußert eine Menge Tönjes über Ehre und Rasse und so fort, bei dem man schon mal auf die originale Tonspur ausweichen sollte. Abgesehen davon handelt es sich um sorgsam polierten Mist, der sich allenfalls für den Goldenen Kotzbrocken qualifiziert. Die Franzosen machen sich seit HIGH TENSION ja richtig emsig um die Erzeugung filmischer Schlachtplatten verdient. In Hollywood wären solche Blutstürze zur Zeit wohl kaum denkbar. In Deutschland allerdings auch nicht: Der Film ist reichlich zersäbelt. Dies überrascht, da er auch so bereits den Eindruck einer kolossalen Blutorgie erzeugt. Da hätte die Durchtrennung der Achillessehnen auch nicht mehr viel ausgemacht. Das Ding ist stockbrutal. Leider ohne Sinn und Verstand, denn was dem Zuschauer serviert wird, ist einmal mehr der übliche Backwoods-Schmonzes, nur halt eben mit einer französisch-deutschen TCM-Familie, die die Wurst kreisen läßt. Ärgerlich an dem Mist finde ich vor allem, daß der Anfang suggeriert, es ginge um eine Auseinandersetzung mit der wachsenden sozialen Unrast in Pariser Vororten und den zunehmenden Rechtsdrall in der Politik, was aber kompletter Unfug ist. In erster Linie geht es darum, eine Widerlichkeit an die nächste zu reihen, und bei all dem Radau, den auch dieser Film produziert, ist die Ausbeute an echten Schocks oder Spannungseffekten doch recht mager, denn die Protagonisten sind wenig sympathisch, da sie vom Drehbuch stiefmütterlich behandelt werden. Im Grunde genommen handelt es sich bei ihnen um Verbrecher, die selber keine allzu großen Probleme mit dem Töten von Menschen haben, vor allem, wenn es sich um die bösen Bullen handelt, von wegen Schweinesystem und so. Das hätte man etwas erläutern sollen, aber darum geht es ja auch gar nicht in dem Film. Die inzestuösen Nazis sind auch ein Leckerli, das lediglich in den Film eingeflochten ist, um pittoreskes Beiwerk zu schaffen. Mit Sarkozy hat das rein gar nichts zu tun. Hat sich also was mit einer möglichen Mischung aus LA HAINE und TCM. Was die unterliegende Botschaft bezüglich der Mutterschaft sowohl der Heldin als auch der debilen Zwangsverlobten des dicken Hans angeht, so habe ich keine Ahnung, was das soll. Es bleibt ähnlich vage wie in INSIDE, in dem auch Blutkaskaden jede Sensibilität für unterliegende Themen fortspülen. Bei alledem sollte man anmerken, daß die Schauspieler größtenteils wirklich gute Arbeit leisten, und der Inszenierung von Xavier Gens kann man auch nichts Böses nachsagen. Tatsächlich hat er den Sprung nach Hollywood schon fast geschafft und mit HITMAN eine zwar geistlose, aber sauber aussehende und effektive Actiongranate gebastelt, dessen Budget recht hoch gewesen sein dürfte. Hoffen wir mal, daß ihm bei seinem nächsten Streich ein guter Drehbuchautor zur Seite steht. Das könnte dann was werden.
Da ich in letzter Zeit leider nicht dazu gekommen bin, viel zu schreiben (Computer im Eimer), möchte ich noch schnell zwei Empfehlungen aussprechen, nämlich für CLOVERFIELD und THE SIGNAL. CLOVERFIELD ist ein ab 12 Jahren freigegebener, aber recht spannender Science-Fiction-Film über Aliens, die New York angreifen. Zunächst nervte mich der Film massiv, da der Entschluß, erneut auf einen blairwitchigen Handkamera-Dokumentarstil zurückzugreifen (allmählich eine Unsitte!), für einen unendlich verlaberten Anfang sorgt, in dem alberne Quatschköpfe als Helden eingeführt werden, aber sobald dann etwas passiert, macht der Film fast alles richtig. Besonders beeindruckend fand ich, daß der Anfang den Eindruck eines Studentenprojektes auf Niedrigstbudget macht, dann aber spezialeffektetechnisch ranklotzt, als gäbe es kein Morgen. Hat mir gefallen. Auch gut THE SIGNAL, ein von drei Regisseuren in drei Episoden erzählter Film, der von einem geheimnisvollen (und nicht näher erklärten) Signal handelt, das über den Fernsehschirm verbreitet wird und alle ihm ausgesetzten Menschen zu gemeingefährlichen Geisteskranken werden läßt, die alle vom dringenden Wunsch beseelt sind, wild draufloszuhäckseln. Ob dem Film ein Subtext über Gewalt in den Medien innewohnt, muß jeder für sich selbst entscheiden, aber in erster Linie geht es um die Action, und die ist reizvoll eingefangen, nicht zuletzt durch den sehr unterschiedlichen Grundton, den die drei Episoden anschlagen. Die Geschichte wird halt aus drei Perspektiven erzählt, und zwar in chronologischer Folge. Das ist schon nicht schlecht, auch wenn ich mir in diesem Film etwas weniger Gewalt gewünscht hätte, denn die rückt teilweise störend in den Vordergrund. Trotzdem, eine recht originelle Art, eine Paranoia-Horrorstory zu präsentieren. Hat mir auch gefallen. Soweit erstmal.
P.S.: All jenen, die sich regelmäßig meine TV-Woche anschauen, sei gesagt, daß es in nächster Zeit verstärkt zu Unregelmäßigkeiten kommen wird, zumindest solange, bis mein Rechner wiederhergestellt ist. Ohne komme ich nämlich nicht an meine Programme...
Bearbeitet von Cjamango, 04. September 2008, 12:56.
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#578
Geschrieben 06. September 2008, 13:26
Ein filmisches Genre, das die Italiener quasi im Alleingang begründeten, war das des monumentalen Historienfilmes. Diese häufig mit phantastischen Zutaten versetzten Werke sicherten – wie dies mehrere Jahrzehnte danach wieder der Fall sein sollte – den Italienern einen internationalen Absatzmarkt. Das unübersehbare Vorbild für D.W. Griffiths epischen INTOLERANCE war Giovanni Pastrones CABIRIA von 1914, der bereits den afrikastämmigen Superhelden Maciste einführte. Anders als seine Nachfolger aus den sechziger Jahren war der ursprüngliche Maciste ein kraftstrotzender Vierschrot, dessen Muckis nicht dem kalkulierten Muskelauffbau in einem Sportstudio entsprangen, sondern wirklicher körperlicher Arbeit. Schauspieler Bartolomeo Pagano, der den Helden etwa 15 Jahre lang in Filmen verkörpern sollte, war einst Hafenarbeiter, bevor er die Stufen des Ruhmes erklimmen sollte, und seine Trumpfkarte war nicht sein blendendes Aussehen, sondern eine unüberschaubare Vitalität – definitiv niemand, dem man in der Hafenkneipe auf den Fuß treten möchte! Auch gehörte Feinsinn nicht zu seinen Qualitäten. Mit der Kraft der sieben Bärentatzen erstickte er jeden Widerspruch im Nu. Er wirkte wie eine glaubhaftere Version von Bud Spencer, und hätte es sich um Tonfilme gehalten, wäre eine Rainer-Brandt-Synchro sehr passend gewesen. Guido Brignones MACISTE ALL'INFERNO (1926) war schon einer der letzten Macistes auf lange Zeit, aber in vielerlei Hinsicht ist er für heutige Betrachter einer der lohnendsten, da der Schangel-Faktor wahrlich überbordend ist. Mit Riccardo Fredas 35 Jahre später erfolgten Neubearbeitung hat der Film nur wenig zu tun, aber man bekommt mehr Hölle für sein Geld. Die erste Überraschung tritt ein bei Macistes erstem Auftritt: Herr M. ist ein Schwarzer! Oder vielmehr soll er einer sein, denn der schwarz angepinselte Pagano schaut als nubischer Kaschubiak ungefähr so überzeugend aus wie Benito Mussolini als Siegfried. Statt des feschen Lendenschurzes der Neuverfilmung trägt Maciste hier bequeme Bürgerkleidung, in die er eingeklemmt ist wie eine Wurst in ihre Pelle. Als sich die Hölle dazu entschließt, einige Sendboten auf die Erde zu schicken wg. Eroberung, tragen die „devils in disguise“ aristokratischen Frack samt Zylinder. Soviel zur Kleiderordnung. Als erste Freveltat verstecken sie das Baby von Macistes Freundin Graziella, die darüber nicht mehr aus noch ein weiß vor Gram. Maciste (der eben noch ihren Lover zusammengestaucht hat, der stiften gehen wollte ob des unerwünschten Kindersegens) findet das Baby und legt sich mit Unterteufel Barbariccia an, welcher ihn direktemang in die Hölle verfrachtet. Unser vierschrötiger Dante sieht sich das alles mal so an, und sämtliche Dämoninnen und Lasterdirnen sind selbstredend ganz feucht im Schritt vor so viel Männlichkeit. Dummerweise läßt sich Maciste küssen, worauf ihm ein höllesker Lendenschurz und die Dämonenwürde wachsen. Die Erde ist jetzt ganz weit weg. Zu allem Überfuß brennen auch Proserpina, der Gattin des Höllenfürsten Pluto, und ihrer Tochter Luciferina der Busch bzw. die Büsche, so daß es zu Komplikationen kommt. Bei einer Palastrevolte durch den vergrämten Barbariccia steht Maciste – dessen herkulische Kräfte in der Hölle noch um ein Hundertfaches gewachsen sind – dem Pluto hilfreich zur Seite und erlangt so seine Freilassung. Doch er hat nicht mit der Arglist der Proserpina gerechnet... Die Darstellung der Hölle ist einfach goldig und hat so gar nichts mit der unerfreulichen Version in Nakagawas JIGOKU zu tun, in dem ja Höllengästen mit Meißeln die Zähne rausgebrochen werden und so Scherze. Stattdessen haben alle eine gute Zeit und hüpfen ausgelassen in der Gegend herum. Auch die Gekreuzigten am Boden sehen eher so aus, als würden sie Fünfe gerade sein lassen. Es gibt einige Trickeffekte, die die Anwesenheit des französischen Effektexperten Segundo de Chomon bezeugen, u.a. einen sehr gelungenen Giganten Minos. Wie in der Neuverfilmung hat es Maciste in einer Szene mit einer riesigen Höllenpython zu tun, und auch ein Drache schaut vorbei, der ein Bruder von diesem beschissenen Viech aus DIE UNENDLICHE GESCHICHTE zu sein scheint. Veteran Brignone (der bis in die 50er hinein Filme drehen sollte) legt den Schwerpunkt auf Action, und so wird gekeult und gekesselt, daß es nur so eine Art hat. Maciste zeigt den Teufeln, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Große Kunst wird nicht angestrebt, aber zirzensische Freuden, die dem Film auch heute noch einigen Schauwert sichern. Bene!
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#579
Geschrieben 06. September 2008, 17:45
Herman Yau ist wieder da! Der Feingeist hinter Filmen wie THE EBOLA SYNDROME oder THE UNTOLD STORY präsentiert mit GONG TAU eine Story aus dem Bereich der schwarzen Magie, die stark an ältere asiatische Filme des Genres erinnert. Gleichzeitig geht er keiner Ekelei aus dem Wege und hat offensichtlich großes Vergnügen daran, in Tabuzonen zu stromern. Die Story dreht sich um einen Polizisten mit dem tollen Namen Rockman Cheung, dessen Familienverhältnisse entschieden umgekrempelt werden, als sein Baby stirbt. Es scheint so, als habe jemand einen Groll auf den wackeren Gesetzeshüter und wolle ihn dadurch treffen, daß er sich erst einmal an die quiekende Gattin und das krähende Kind hält. Dazu bedient sich besagter Jemand eines südostasiatischen Fluches namens Kung Pao, äh, Gong Tau, und auch einen Polizisten ereilt der Fluch. Zunächst gerät ein schwarzmagisch bewanderter Ex-Knacki unter Verdacht, dem Rockman einst übel mitgespielt hat, aber tatsächlich steckt jemand ganz anderes dahinter... Ja, Yau macht keine Gefangenen! Schon die Todesszene des Babys ist wirklich ganz entzückend und wäre in Hollywood sicherlich anders gelöst worden. Als Verbeugung vor den Shaw Horrors der 70er setzt es eklige Tausendfüßler (und zwar so 10 cm lange Kawennsmänner!), die u.a. in einer genüßlich vorgeführten Autopsieszene aus den Innereien des Leichnams kriechen. Auch gibt es ein klassisches „penanggalan“-Monster, wie die Viecher in Südostasien heißen: eine Hexe, deren Kopf sich vom Körper trennt, die schlackernden Eingeweide lustig daran herabbaumelnd, und durch die Gegend fliegt, um Blut zu saugen... Zu den Zutaten, die man für die schwarzmagischen Rituale braucht, gehört auch Sperma, so daß wir in den Genuß eines wichsenden Hexers kommen. Die Gewinnung von Leichenfett macht den Film dann endgültig ungeeignet für das Nachmittagsprogramm des Bayerischen Rundfunks. Abgesehen von den Ekeleien hat der Film nicht allzuviel zu bieten, denn die Charaktere sind sehr unsympathisch, allen voran Rockman Cheung, der seine Ehefrau mies behandelt, in der Behandlung von Verdächtigen eine große Unbedenklichkeit an den Tag legt und insgesamt ein ziemlicher Vollasi ist. Die Frau quiekt andauernd und ist zwar nicht Schuld an ihrem Elend, aber wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Zur Erreichung einer Schmier-Apotheose, die mit den bereits genannten Filmen vergleichbar wäre, fehlt zudem eine verläßliche Fachkraft wie Anthony Wong. So fällt PAN TAU, äh, GONG TAU allenfalls durch seine liebevolle Einbeziehung von Sleaze-Elementen aus dem Rahmen des deutschen DVD-Programmes, aber ein genießbares Ganzes entsteht dadurch nicht.
Bearbeitet von Cjamango, 06. September 2008, 17:46.
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#580
Geschrieben 06. September 2008, 19:31
Der gerade mal vierte Film von Fritz Lang war HARAKIRI (1919), unter dessen Titel ich mir natürlich wer weiß was vorgestellt habe. Tatsächlich handelt es sich um eine frühe Bearbeitung von „Madame Butterfly“, und zwar des Theaterstückes von David Belasco, das der Oper von Puccini zur Vorlage gereichte. Madame Butterfly ist eine schöne junge Frau aus gutem Hause (Lil Dagover), die dem Buddha zur Priesterin geweiht werden soll. Bevor das geschehen kann, begibt sich aber ein europäischer Haudrauf namens Olaf Pedersen in den verbotenen Bereich des Mikado, wo er es in Rekordzeit schafft, das Herz der Maid zu umgarnen. Es setzt dann einigen Hokomoko mit den Schergen des Mikado, aber das junge Glück setzt sich durch – zunächst, denn Olaf ist ein Luftikus, der zurück nach Europa fährt, ein Versprechen auf baldige Rückkehr auf den Lippen. Madame Butterfly schmachtet jahrelang vergeblich und weint sich die angeschminkten Mandelaugen aus, am Schürzenzipfel ein blondes Kind, das ihren Lenden entsprang. Als Olaf von einem Auftrag zurück nach Japan geführt wird, erfährt er vom Kind und will es abholen. Für Madame Butterfly ist das Maß damit voll, und die scharfe Klinge, die einst ihren Vater fällte, macht auch ihrem Leben ein Ende.
Ich erlaube mir mal, die Geschichte komplett zu erzählen, denn sie ist ja hinreichend bekannt, und der Film ist so rar, daß ihn wohl kaum jemand sehen wird. Ich selber habe meine Fassung von einem fremdländisch aussehenden Mann auf dem Marktplatz zugesteckt bekommen. Viel zu erwähnen gibt es tatsächlich nicht, abgesehen von der Verwendung von Hagenbecks Tierpark als pittoresker Kulisse. Damals scheinen gerade keine Rassenschauen stattgefunden zu haben. Auch heute noch gibt es dort ja hübsche japanische Brückchen zu bewundern, wenngleich ich einen täglichen Live-Harakiri bevorzugen würde, aber das ist wohl Geschmackssache. Fritz Lang bewies in einigen Filmen ein starkes Interesse an dem asiatischen Kulturkreis, am interessantesten vielleicht in DER MÜDE TOD, wo Frau Dagover dem Sensenmann das Leben ihres Liebsten abzutrotzen versucht. Auch der Indiana-Jones-Vorläufer DIE SPINNEN enthält viel Tsching-Tschang-Tschung. Die Figur der Madame Butterfly fand ich immer stark, weil sie eine Frau ist, die zwar eine Menge leidet, aber niemals zur Jammerläppin verkommt, sondern großen Stolz bewahrt und große Integrität. Erwähnt sei noch, daß es einen Fürsten Matahari gibt, was mir gleichfalls sehr gefallen hat.
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#581
Geschrieben 08. September 2008, 18:29
Unterdrückung der Juden trat er 1931 in die NSDAP ein und verfaßte u.a. die Vorlage zu dem Propagandafilm HANS WESTMAR, der „Biographie“ Horst Wessels. Die Nazis waren von seinen Künsten so beeindruckt, daß sie ihn 1934 mit einem Schreibverbot belegten. „Alraune“ wurde erstmals 1918 verfilmt, und zwar gleich zweimal. Regisseur Henrik Galeen hatte bereits mit Paul Wegener mindestens einen GOLEM auf die Reise geschickt und zeichnete ebenso verantwortlich für die Neuverfilmung des STUDENT VON PRAG. Im 1913 gedrehten Original spielte Wegener den ältesten Studenten der Welt. In ALRAUNE ist er Professor Ten Brinken, ein genialer Wissenschaftler, der sich mit Genexperimenten befaßt, die aus heutiger Sicht verwirrend aktuell anmuten, aber auf ausgefallene Weise erreicht werden: Sein Kunstwesen wird gezeugt durch unmittelbaren Alrauneneinfluß. Alraunenwurzeln, die unter den Beinen von frisch Gehängten ausgegraben werden, sagt man ja bereits seit dem Mittelalter magische Fähigkeiten nach. Der Film schweigt sich leider darüber aus, wie man mit solch einer Wurzel eine Frau (noch dazu eine Prostituierte) schwängern kann, aber vielleicht ist das auch ganz gut so. Aus der unheiligen Union entsteht auf jeden Fall Alraune (Brigitte Helm), die in der Klosterschule großgezogen wird und schon dort Sinn für Bosheiten beweist. (Sie setzt u.a. der Mutter Oberin einen Hirschhornkäfer in den Nacken – uiiii!) Sehr bald mendelt sich heraus, daß das problematische Erbgut zu einer problematischen Sozialisation führt, denn Alraunchen ist Männern nicht abgeneigt – der Apfel fällt nicht weit von der Stammzelle. Die kesse Deern verdreht einigen Männern den Kopf. Als sie schließlich das Geheimnis ihrer Abkunft herausbekommt, beschließt sie, auch ihren Adoptivvater in den Abgrund zu führen... Von den Verfilmungen dieser wilden Mär kenne ich bislang nur Rabenalts recht biedere Version von 1952, mit der Knef und Erich von Stroheim. Bei Galeen wirkt Alraune wie eine von den Fesseln ihrer Abstammung befreite Naturkraft, prachtvoll dargestellt von der schönen Brigitte Helm, deren Gesicht sich ebenso für die Unschuld vom Lande wie auch abgründige Niedertracht anbot. Ihre „Alraune“ ist natürlich verwandt mit Wedekinds „Lulu“, doch statt der unverstellten Kindfrau, die die Sau im moralgesättigten Bürger der Weimarer Republik weckte und die ihm innewohnenden Selbstzerstörungskräfte freisetzte, ist es bei Alraune fatalerweise ihre Abstammung, die ihr den schwarzen Peter zujubelt. Mama war 'ne Hure? Tja, dumm gelaufen – schon verloren. Da kann ja nur ein Früchtchen bei rauskommen. Was eigentlich eine entlarvende, subversive Erzählung über die Verlogenheit der spießbürgerlichen Fassade hätte sein können, bleibt so doch nur eine reaktionäre Angelegenheit, die zeigt, daß es doch meistens so ist, wie es scheint. Angesichts der ungesunden Ideen, die unter den Nazis diesbezüglich favorisiert wurden, erstaunt es, daß Ewers zur „persona non grata“ wurde. Die Konfrontation zwischen der Ratio der Wissenschaft und den emotionalen Untiefen des Aberglaubens führt bei diesem Film nur zu einem Alraunen im Walde, düster homunkelnd vom angeborenen Bösen im Menschen. Ich sage dazu: Wenn eine Frau so toll ausschaut wie die Helm, dann kann die im Reagenzglas geboren sein, im Waldorf-Kindergarten oder im Tal bei den Trollen – die ist einfach fesch. Und gute Mädchen kommen bekanntlich in den Himmel, die bösen aber überallhin!
P.S.: Das Wiedersehen war sehr faszinierend, zumal ich mich daran erinnern kann, den Film im Rahmen der lange dahingegangenen Sendung „ZDF-Matinee“ (immer sonntagmorgens) gesehen zu haben. In meiner kindlichen Faszination hatte sich das Bild des Bauern festgesaugt, der unter dem Galgen herumgräbt...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#582
Geschrieben 08. September 2008, 18:32
Diese frühe Version (von Carl Laemmle für Universal produziert) ist eigentlich nur deshalb von Interesse, weil Kapitän Nemo hier aussieht wie ein dünner Weihnachtsmann aus Afrika. Das Gesicht ist eingeschwarzt, und der weiße Rauschebart sorgt für einen stimmungsvollen Kontrast zu den irrlichternden Augen. Dramaturgisch ist der Film wenig inspiriert, was teilweise daran liegt, daß die Unterwasserfotografie wohl damals die Hauptattraktion gewesen sein muß, weshalb es ellenlange Szenen gibt, in denen wir die Schönheiten des maritimen Lebens vorgeführt bekommen. Für die Trash-Fans gibt es eine lustige Szene mit einem Gummikraken, der einen zufällig vorbeischauenden Eingeborenen verspeisen will. Kapitän Nemo ist zwar ähnlich grimmig wie in der tollen Version mit James Mason, aber da kann er natürlich nicht untätig zuschauen, wirft sich in einen Taucheranzug und haut dem dummen Kraken mit einer Axt auf den Kopf. Es gibt eine sehr langweilige Jagdszene, bei der Nemo und seine Gäste mit Unterwasser-Schießgewehren Wildbret erlegen. Der richtige Kracher kommt aber am Schluß. Da erfahren wir nämlich „das Geheimnis Kapitän Nemos, das Jules Verne niemals erzählte“ (Frechheit!): Nemo war einst ein indischer Prinz, dessen Herzallerliebste von einem britischen Abenteurer geschändet werden sollte und den Freitod vorzog. So war das also. Das hat der Jules Verne alles für sich behalten...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#583
Geschrieben 08. September 2008, 21:40
In einer Zeit, in der 12-jährige Pipimädchen sich gegenseitig als „Schlampe“ titulieren und das auch noch toll finden, tut eine Rückbesinnung auf den guten alten Typus der Femme Fatale gut, oder seine spezielle Hollywood-Ausprägung: den Vamp. Mit Vamp sind Frauen gemeint, die Männer durch ihre mysteriöse Anziehungskraft in ihren Bann ziehen und in den Ruin führen, ihnen quasi die Lebenskräfte aussaugen. Als Ur-Vamp kann man getrost Theda Bara annehmen, von der gerade mal eine Handvoll von Filmen erhalten geblieben ist. Zum Glück ist auch A FOOL THERE WAS dabei, ein knalliges Melodram, das ihren Ruhm begründete und ihr Rollenbild ein für allemal festlegte. (Nach ihrer Abkehr vom Filmgeschäft lebte sie übrigens bis zu ihrem Tode als treusorgende Ehefrau. Da man sie aber mit ihren Rollen identifizierte, wurde ihr von Verkäuferinnen des öfteren die Bedienung verweigert, da man sie für ein Rabenaas hielt...) Der Vorspann des Filmes bezeichnet sie nur als „The Vampire“. Die Handlung ist sehr simpel und befaßt sich mit ihren Versuchen, den neuen amerikanischen Botschafter zu London in ihre Fänge zu lotsen. Das gelingt ihr auch ganz prima, und er macht dann dieselbe Verwandlung durch, die auch Al Bundy ereilt in der Folge, in der er und Peg unbedingt ein Kind zeugen müssen, um in den Besitz eines erklecklichen Vermögens zu kommen. Am Schluß sitzt Al – als Folge des ungewohnten Hochleistungs-Geschlechtsverkehrs – im Rollstuhl und hat schlohweißes Haar. Nun, genauso ergeht es dem Botschafter, und zusätzlich fällt er der gesellschaftlichen Ächtung anheim. Der ist so weg, der steht kurz davor, nackt in der Fußgängerzone zu tanzen und mit Schokoladenkringeln zu jonglieren! Während fatale Frauen aus Europa häufig naheliegende Ziele verfolgen (z.B. gesellschaftlichen Aufstieg, sexuelle Freiheit, ein Ausbruch aus den Fesseln der Konvention), werden Theda Baras Handlungen nur von einem bestimmt – der aufrichtigen Freude an der restlosen Vernichtung von Männern! Sie genießt es, wenn ihr Zersetzungswerk die ersten Früchte trägt. Sie weidet sich am impotenten Toben der Trottel. Als sich ein junger Mann, der sich von ihr zum Hanswurst hat machen lassen, vor ihren Augen das Gehirn rausschießt, lacht sie nur höhnisch. Der Vamp der Theda-Bara-Schule ist – betrachtet man ihn analytisch – eigentlich eine Bebilderung männlicher Angstfantasien, eine ins Diabolische gedrehte Verzerrung der selbstbestimmten Frau, die sich ihre Männer nach eigenem Gutdünken aussucht und einen Dreck auf Moral und Konventionen gibt. Das Interessante daran ist aber, daß der Vamp auch einen sexuellen Reiz auf die Männerwelt hatte. Frau Bara hat bestimmt des einen oder anderen männlichen Kinogängers Tag- und auch Nachtträume beflügelt. Mir persönlich ist das wurst – ich stehe eher auf Louise Brooks. Aber das Vernichtungswerk der Bara ist einfach sehr hübsch anzuschauen, und wenn die Trottel sich alle so vorführen lassen, sind die eigentlich selber schuld. Insofern bedauere ich es nachdrücklich, daß die Zeit der Nitratkopien so wenige Beispiele für die diesbezüglichen Bemühungen der Frau Bara übriggelassen hat...
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#584
Geschrieben 23. September 2008, 14:56
Eine noch sehr junge Hildegard Knef spielt Susanne, die einige Jahre in einem Konzentrationslager verbracht hat und jetzt durch die Ruinen Berlins stapft, um ihre ehemalige Wohnung aufzusuchen. Sie stellt überrascht fest, daß dort mittlerweile ein anderer Mieter eingezogen ist, der ehemalige Arzt Dr. Mertens. Mertens hat im Krieg einen schweren Knacks abbekommen und ist zum verbitterten Trinker degeneriert. Zunächst reagiert er brüsk auf den Eindringling, aber er erklärt sich dazu bereit, mit der jungen Frau (die ihm nicht sagt, wo sie die letzten Jahre verbracht hat) zusammenzuwohnen. Im Laufe der folgenden Zeit verliebt sich Susanne in Mertens und möchte seine eisenharte Rüstung durchbrechen. Doch Mertens wird vom Gedanken an ein Massaker verfolgt. Und dieser Gedanke erhält neue Nahrung, als er den Urheber des Gemetzels wiederfindet. Der ist jetzt Besitzer einer florierenden Firma und glücklicher Familienvater...
Diese frühe DEFA-Produktion gehört zu den besten deutschen Nachkriegsfilmen, die ich bislang gesehen habe. Besonders beeindruckt hat mich die völlige Abwesenheit von Weinerlichkeit und moralischer Polemik, wie man sie bei einem solchen Thema vielleicht hätte befürchten können. Stattdessen zeigt der Film Menschen, denen jeglicher Gedanke an Ablenkung abhanden gekommen ist. Was für sie zählt, ist nur das Naheliegende: überleben, die Liebsten in Sicherheit bringen. Susanne hat eine grauenhafte Zeit in Gefangenschaft verbracht und wurde in eine Welt entlassen, die nur noch aus Trümmern und Kummer besteht. Die Knef hat hier schon ihren seelenvollen Blick, der immer gefährlich in Maria-Schell-Nähe gerät, hier aber seine Funktion erfüllt. (In späteren Jahren hat mich dieser seelenvolle Blick sehr genervt, wenn es darum ging, Gefühle aus zweiter Hand zu verhökern. In DIE MÖRDER ist gar nichts aus zweiter Hand.) Ihre Susanne hat den Idealismus allen Fährnissen zum Trotz nicht verloren und will den Menschen helfen. Ein naheliegendes Ziel ist der abgefallene Arzt, der großartig verkörpert wird von Wilhelm Borchert. Borchert werden die meisten als Synchronsprecher kennen, denn er war die deutsche Stimme von Max von Sydow und Charlton Heston. Einer seiner letzten Jobs war Obi-Wan Kenobi in den alten STAR WARS-Filmen. Als Schauspieler ist er exzellent in seiner Darstellung von Mertens, der den Glauben an die Menschheit verloren hat angesichts der Unmenschlichkeit, die er hat bezeugen müssen. Als er feststellt, daß es den Menschenschindern von einst ganz prachtvoll geht, ist das für ihn unerträglich. Er ist nur noch vom Wunsch beseelt, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, und sei es auf dem Wege der Selbstjustiz. (Der fragliche Nazi wird übrigens gespielt von Arno Paulsen, der alten Stimme von Oliver Hardy.) Daß Wolfgang Staudte in der unmittelbaren Nachkriegszeit einen solch harschen Film gedreht hat, der prophetisch war in seiner Voraussage, daß viele einflußreiche Nazis in den Chefetagen des deutschen Wirtschafts- und Politikermilieus landen würden, ist nicht ganz unpikant, zumal Staudte als Kleindarsteller an so einigen Propagandafilmen mitgewirkt hatte, etwa JÜD SÜSS oder D III 38. Dieser Umstand ändert aber nichts daran, daß DIE MÖRDER SIND UNTER UNS sowohl als Drama wie auch als Aufbereitung der Nazizeit vorbildlich ist. Leider hat das Beispiel kaum Schule gemacht, denn allzuviele deutsche Filmemacher haben sich damals nicht mit der unmittelbaren Vergangenheit beschäftigt. Der Blick richtete sich eher auf grüne Wälder und zarte Liebeshändel, auf das neblige London und die Weiten des amerikanischen Westens, wie Karl May ihn imaginierte. DIE MÖRDER ist ein nüchterner, ungemein kraftvoller Film, in dem keine Lüge enthalten ist. Er macht Mut, indem er einfach die Tatsachen festhält, ohne Heuchelei und ohne falsche Hoffnungsträger. Seine Botschaft ist, daß der Mensch aus sich heraus gesunden muß, und mit ihm der Staat. Das klappt entweder oder endet in einem Scherbenhaufen. Großartiges Kino.
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#585
Geschrieben 23. September 2008, 18:20
Fabrikant Adam Schmidt beschäftigt sich mit der Herstellung von Apfelsaft („Adams Apfelsaft“, ahem!), und während sein Betrieb floriert, defloriert sein Triebleben: Frau Lily hat's mit einem andern. Geliebte Eva ist ihm zwar treu ergeben, aber er ist hin- und hergerissen zwischen Himmel und Hölle. So kommt es, daß er zu Dr. Petri in eine Harmonieklinik geht, in der dem Nachkriegsdeutschen die Seele wieder zusammengeschmolzen werden soll. „Wird der Mensch erst entgiftet, wird auch die Zeit wieder keimfrei werden“ meint der weise Arzt. Zur Behandlung muß Adam einen Apfel auf sein Zimmer nehmen, den er aber – einzige Auflage – nicht anrühren darf, widrigenfalls ihm die Vertreibung aus der Klinik droht. Vor lauter innerem Zwiespalt träumt sich Adam einen Himmel zusammen, in dem er als erster Mensch fungiert – ein Prototyp, noch nicht ganz ausgereift und ziemlich lächerlich anzuschauen. Ihm soll es obliegen, einst die neu geschaffene Erde zu bevölkern, doch Petrus und Luzifer (= der Arzt respektive der Liebhaber von Lily) pfuschen einander in die Karten. So wird Adam mit Rippengeburt Evchen zusammengetan, aber auch Lilith samt Schlange schaut vorbei, und so wird es denn noch recht turbulent.
Helmut Käutner kam eigentlich vom Cabaret. Einer seiner ersten großen Filme, GROSSE FREIHEIT NR. 7, wurde von Goebbels sogleich verboten, da zu zersetzend. DER APFEL IST AB knüpft an die Tradition der deutschen Revuefilme an, die auch in der Nazizeit sehr populär waren. Statt aber staatstragende Propaganda zu transportieren, ist Käutners Film dem Tingeltangel und dem Kabarett verpflichtet und somit eher auf der linken Seite anzusiedeln. Tatsächlich erinnert der Film ein wenig an die seltenen kabarettistischen Ausflüge des Wirtschaftswunder-Kintopps, etwa den deutlich späteren WIR KELLERKINDER oder Rolf Thieles feinen MORAL 63. DER APFEL IST AB beginnt gleich mit einem Selbstmordversuch, denn Adam hat von dieser Welt die Nase voll und will stiften gehen, aber ein Dackel hindert ihn daran. Wie witzig und geistreich geschrieben aber schon der Anfang ist, so startet der Film bei den Traumszenen richtig durch, denn für jene (die den Großteil der restlichen Laufzeit bestreiten) haben sich die Designer überaus bizarre Sachen einfallen lassen, irgendwo zwischen DIE 5000 FINGER DES DR. T und Wenzel Storch. Als Adam und Eva Luzifer einen Besuch in dessen Stammkneipe abstatten, tut der alles, um das fleischliche Wohl seiner Gäste zu befriedigen. So bietet er den beiden eine kleine Revue menschlicher Zerstreuungen, zu denen auch marschierende Soldaten gehören. (Wer genau hinkuckt, kann sogar ein Hakenkreuz entdecken!) Er versucht wirklich alles, um die beiden zu versauen. Erst Lilith ist da erfolgreicher und packt den Wurm in den Apfel. Anders als viele andere deutsche Komödien aus jenen Tagen ist DER APFEL IST AB überhaupt nicht bieder und wirklich komisch, enthält originelle Dialoge (Petrus: „Sind Sie des Teufels, Luzifer?“) und wird hinreißend gespielt: Hauptdarsteller Bobby Todd kommt vermutlich vom Cabaret, sieht ein bißchen wie eine schüchterne Version von William Powell aus und tapert schimmerlos durch die weltlichen wie die himmlischen Gefilde; seine Eva, Bettina Moissi, trägt im Himmel ein bezauberndes Nichts, bei dem mir schleierhaft ist, wie die das durch die Zensur bekommen haben; und Käutner himself spielt Petri/Petrus mit kompetent eingegrautem Rauschebart und dauernden Sorgenfalten. Bin kein Musicalfan, aber dieser Film war einfach grandios!
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#586
Geschrieben 24. September 2008, 11:51
Luis Trenker war für mich, als ich die Volljährigkeit noch nicht erreicht hatte, ein rotes Tuch, symbolisierte er für mich doch all das, was ich an Heimatfilmen schon immer als Panoptikum des Grauens empfand. Tatsächlich ist Sulz wie WETTERLEUCHTEN UM MARIA nach wie vor eine harte Packung und enthält so gar nichts, was meinen Kopf zu beifälligem Nicken bewegen könnte. Anders verhält es sich da mit seinen Frühwerken, die die Handschrift eines eigenständigen Künstlers verraten. Tatsächlich erwähnte Roberto Rossellini einmal seinen Film DER VERLORENE SOHN als einflußreich für die neorealistische Bewegung. Häufig wird Trenker auch mit den Nazis in Zusammenhang gebracht, nicht ohne Grund. Während Filme wie DER REBELL bei Hitler und Goebbels auf Begeisterung stießen, wurde Trenker ob seiner rustikalen Direktheit aber schon bald zur „persona non grata“, vielfach denunziert und mit Berufsverbot belegt. Versuche, sich bei den Machthabern anzubiedern, waren nur kurzfristig erfolgreich. An den politischen Zielen des NS-Regimes war Trenker wohl recht wenig gelegen. Immerhin konnte er von sich behaupten, daß sich gleich zwei faschistische Diktatoren um seine Gunst bemühten, denn auch Mussolini wollte den Südtiroler für sich vereinnahmen.
Betrachtet man die frühen Filme von Trenker, so weichen sie auf interessante Weise vom Werk Arnold Fancks ab, sehr im Gegensatz zu Leni Riefenstahl, die ihre Ästhetik dem Pionier des Bergfilmes verdankt. Vor kurzem habe ich gerade Fancks Stummfilm DER HEILIGE BERG gesehen und war ziemlich baff. Fanck folgte einer Vorstellung von Poesie, die ihr Ziel in der Erhöhung von vermeintlich Verherrlichenswertem sieht, das Morbide und Düstere ausklammernd. Bei Fanck gehen die Blicke der Akteure immer steil nach oben. Genaugenommen sieht man Trenker & Co. in den Einstellungen, die ich immer als Fanck-Einstellungen bezeichne, wie sie im Halbprofil 45 Grad in die Höhe schauen, dicht an der Kamera vorbei, so als ob dem Kabelträger gerade der Schwanz aus der Hose gerutscht ist. Dieser Blick ins göttliche Nichts findet seine Entsprechung in der Bezwingung der Naturgewalten durch den Menschen, wie sie etwa der Anfang von DER HEILIGE BERG demonstriert: Leni Riefenstahl führt einige Minuten lang einen Ausdruckstanz vor, bei dem sie der sprühenden Gischt des Meeres „gebietet“. Während Frau Riefenstahl diese Tendenz zur Überhöhung (und Hybris) kultivierte und u.a. auf marschierende Nazis und Eingeborene mit dicken Dödeln anwendete, so findet sich bei Trenker diese Ästhetik am ehesten noch in den alpinen Szenen wieder, wenn man z.B. Skifahrer einen raffiniert ausgeleuchteten Steilhang runterbrettern sieht. Die Schauspieler hingegen erfahren eine andere Behandlung: Die von ihnen dargestellten Figuren benehmen sich hochgradig realistisch, häufig ohne musikalischen Kommentar. Trenker erweist sich hier als Feind des Faxentums. BERGE IN FLAMMEN war einer seiner ersten Filme als Regisseur und dokumentiert die Aktivität von Tiroler „Kaiserjägern“, die sich während des Ersten Weltkrieges (nach dem Beitritt Italiens zum Kampf gegen die Mittelmächte) auf den Gipfeln Galiziens verschanzten. Diese historische Nachstellung ist autobiographisch, zumal Trenker das selbst miterlebt hatte, und so hat man es entweder mit den Fakten oder aber mit einer nachträglichen Verklärung zu tun. In jedem Fall arrangiert der Regisseur die Szenen sehr glaubhaft, fast schon mit den Mitteln des Dokumentarkinos. Die Situation der eingekesselten Soldaten wird nicht beschönigt – trotz des sie umgebenden Schnees stecken alle im Dreck. Als die Soldaten sich darüber beklagen, daß sie keine Post von daheim bekommen, meint Trenker: „Ihr macht's eure Rechnung ohne die Zensur! Schreiben unsere Leut', daß es ihnen schlecht geht, dann verbrennen die Italiener die Post. Schreiben sie, daß es ihnen guat geht, dann verbrennt unser Zensor die Brief'. Wir werden nie a Post kriegen von dahoam, solang der Saukrieg dauert...“ Das klingt doch etwas anders als Harlan... Die milden dramatischen Beigaben bestehen in erster Linie aus der heroischen Einzelleistung Trenkers, der die feindlichen Linien durchbricht, um wichtige Informationen abzustauben. Insgesamt beeindruckt BERGE IN FLAMMEN gerade durch seine ausgesprochene Nüchternheit, die auch Trenkers folgende Filme prägen sollte. Sein Amerika-Drama DER VERLORENE SOHN wurde nach dem Krieg übrigens in Westdeutschland zunächst verboten, da man ihn für antiamerikanisch hielt, während er in Ostdeutschland verboten wurde, da man ihn als Werbung für den „American way of life“ empfand.
Anmerkung zu Komponist Giuseppe Becce, der einer der ersten bekannten italienischen Filmmusikschöpfer war und seit den Zehner Jahren unzählige Filme musikalisch kommentierte: In dem 1913 gedrehten RICHARD WAGNER kann man ihn sogar vor der Kamera erleben, als Wagner höchstselbst.
Bearbeitet von Cjamango, 24. September 2008, 11:55.
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#587
Geschrieben 26. September 2008, 15:41
Die Polizei von Dünkirchen befaßt sich mit dem Mord an einem kleinen Mädchen, der scheinbar aus einer Entführung erwachsen ist. Die Untersuchung leitet Inspektor Moreno, aber er verläßt sich auf die junge Polizistin Lucie, die eine rätselhafte Affinität zu diesem Fall aufweist. Gleichzeitig haben sich zwei Männer in den Fall verstrickt, da sie bei einer betrunkenen Autofahrt ausgerechnet den Opfervater mit dem Lösegeld über den Haufen gebrettert haben. Da sich der Mörder ihre Autonummer gemerkt hat, ist ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert. Doch der Fall läuft dann doch in ganz andere Bahnen...
Ordentlicher französischer Krimi, bei dem ich von Titel wie Cover zu der Annahme verleitet wurde, es handele sich um einen Geisterfilm, aber auch so vermochte er meine Aufmerksamkeit durchaus zu fesseln, zumal die Vorgänge unprätentiös und spannend erzählt werden. Die Schauspieler waren mir größtenteils unbekannt, machen ihre Sache aber gut. Problematisch wird allenfalls das letzte Drittel, da der Drehbuchautor dann doch in einen entschiedenen Hokomoko-Rausch verfallen ist und grelle Wendungen einführt, die dem strammen „Tatort“-Zuschauer arg zu schaffen machen werden. Wem aber DIE PURPURNEN FLÜSSE gut gefallen hat, wird daran vermutlich keinen Anstoß nehmen, und spannend ist die Sache allemal. Fans von Tierpräparation, sadomasochistischen Zoowärtern und berühmten Anatomen des Mittelalters werden auf ihre Kosten kommen. Gefiel mir deutlich besser als die blutrünstigen Horrorfilme im HIGH TENSION-Fahrwasser, die seit neuestem in Frankreich den Ton anzugeben scheinen.
Bonus-Hinweis: Der von Alexandre Aja produzierte Ami-Parkhaus-Schocker P2 ist eine angenehm nervenzerrende Angelegenheit, die an keiner Stelle mehr sein möchte als ein simpler Reißer und dies sehr statthaft über die Runden bekommt. Größtenteils auf Psychoterror angelegt, aber in zwei oder drei Szenen sind dem Regisseur splattertechnisch ziemlich die Gäule durchgegangen, hihi. Positiv vermerkt sei auch, daß sich die Protagonistin ungewöhnlich schlau verhält für eine gebeutelte Horrorfilmschönheit.
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#588
Geschrieben 27. September 2008, 12:05
Den heutigen Tag ernenne ich zum schwulen Samstag und werde mich mit Nachdruck dem Phänomen der Homosexualität widmen.
Als ersten Film habe ich mir ANDERS ALS DIE ANDEREN angesehen, den vielleicht ältesten deutschen Beitrag zum Thema „Gleichgeschlechtliche Liebe“. Er erzählt die aufrüttelnde Geschichte des Violinisten Paul Körner, der durch seine tragische Veranlagung Opfer eines abgefeimten Erpressers wird und schließlich der gesellschaftlichen Ächtung anheimfällt. In der Hauptrolle leistet Conrad Veidt erneut Grandioses. Aus heutiger Sicht könnte sein flotter Geiger in ungnädigem Amüsemang resultieren, aber tatsächlich schafft er es, den gequälten Individualisten mit Pathos und Hypersensibilität zu versehen, die ihn tatsächlich als unschuldiges Opfer einer überkommenen Sexualmoral erscheinen lassen, und das trotz der höchst vergnüglichen Zwischentitel, deren Gestelztheit das damals heikle Thema mit Seriösität auszustatten versuchte. Veidt war ein vorzüglicher Darsteller, dessen Intensität ein klein wenig an Udo Kier erinnert, den man auch als Hänschen Klein auf die Bühne schicken kann, ohne ihn in seiner Qualität zu mindern. (Ein Freund von mir hat mal ein Interview mit dem Herrn Kier geführt. Die ganze Zeit über hatte er dessen Hand auf seinem Knie und die stechenden Augen vor sich. Das hätte auch mich aus dem Konzept gebracht...) Unerwartete Schützenhilfe bekommt Körner/Veidt von dem angesehenen Sexualwissenschaftler Dr. Magnus Hirschfeld, auf dessen Untersuchungen das Drehbuch basiert. Mit großem Verständnis sagt er Veidt so schöne Dinge wie: „Sie können auch als Homosexueller der Menschheit wertvolle Dienste leisten!“ Als Erpresser brilliert Reinhold Schünzel, der eine ähnlich groteske Frisur zur Schau trägt wie Veidt und sehr stark an Joe Pesci erinnert. Ölig umgarnt er den arglosen Geiger, bis er dann Pinke-Pinke sehen will – die Gans wird gerupft. Homosexuelle sind vogelfrei – schlimm ist das, wie uns auch die lustvoll moralisierenden Zwischentitel ein ums andere Mal versichern.
Zu den „ernsthaften“ Absichten des Werkes sollte man anmerken, daß Regisseur Richard Oswald im Bearbeiten von sensationalistischen Stoffen ein alter Hase war. Ich zitiere einige Titel aus seiner Filmographie: DÄMON UND MENSCH, NÄCHTE DES GRAUENS, DIE RACHE DER TOTEN, FREITAG DER 13. – DAS UNHEIMLICHE HAUS TEIL 2, TAGEBUCH EINER VERLORENEN, PROSTITUTION 1 – DAS GELBE HAUS, DIE SICH VERKAUFEN, DÜRFEN WIR SCHWEIGEN?, GEHETZTE FRAUEN a.k.a. LEBENDE WARE, EHEN ZU DRITT und SEXUALKATASTROPHE. Kurzum, man möchte jeden einzelnen Film des Regisseurs unbedingt sehen, aber die meisten davon sind leider unrettbar verschollen, nicht zuletzt aufgrund des Zensurwahns der Weimarer Republik. Es gibt viel Elend auf der Welt. Seiner Inszenierung (und natürlich den Darstellern) ist es zu verdanken, daß ANDERS ALS DIE ANDEREN mehr ist als nur ein REEFER MADNESS-Fiasko. Bemerkenswert ist allerdings, daß der Film – bei allem von den Zwischentiteln postulierten Freigeist – Homosexualität als „Verirrung“ und vererbte „tragische Veranlagung“ definiert. Die Sexualwissenschaft steckte damals halt eben noch in den Kinderschuhen. Max Goldt bezeichnete Homosexualität mal als „kleinen, unterhaltsamen Defekt“, was mir schon wesentlich besser mundet. Übrigens drehte Oswald im selben Jahre den sehr viel ernsthafteren und sehr gelungenen Horror-Episodenfilm UNHEIMLICHE GESCHICHTEN, ebenfalls mit Veidt, Schünzel und der glorreichen, wenn auch sehr unglücklichen Anita Berber.
Die deutsche DVD von ANDERS ALS DIE ANDEREN ist in derselben Edition herausgekommen wie Veit Harlans fast 40 Jahre später gedrehte Neubearbeitung ANDERS ALS DU UND ICH und präsentiert die bestmöglich restaurierte Fassung des Filmes. Einige Passagen sind nur noch als Standfotos erhalten. Fast die gesamte Berber-Rolle etwa befindet sich im Nitrat-Nirvana. Schade, schade, aber besser so als gar nicht. Als Extra enthalten ist die 8 Jahre später erstellte Kurzfassung, die Hirschfeld für seinen Film GESETZE DER LIEBE – AUS DER MAPPE EINES SEXUALFORSCHERS als Schlußepisode verwendete und die vermutlich als Grundlage für die Restauration des Oswald-Filmes diente. Außerdem liefert eine kurze Featurette erhellende Informationen zur „Skandalgeschichte“ des Werkes. Hirschfeld – selbst Homosexueller – mußte erleben, wie sein Institut für Sexualwissenschaft von den Nazis geschlossen wurde und starb im Exil. Der Jude Richard Oswald verließ nach seinen vielleicht bekanntesten Filmen – DREYFUS und der Urfassung vom HAUPTMANN VON KÖPENICK – das Land. Sein Sohn Gerd sollte in den USA später das Familienzepter forttragen und drehte einige gute B-Filme (EIN KUSS VOR DEM TODE) und zahlreiche TV-Programme, darunter mehrere Folgen von „Raumschiff Enterprise“. (Einen beziehungsreichen Schlenker zu dem merkwürdigen Verhältnis von Captain Kirk zu Mr. Spock verkneife ich mir mal jetzt!)
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#589
Geschrieben 27. September 2008, 14:31
Eine sehr viel ernsthaftere (und behutsamere) Behandlung erfuhr das Thema in Carl Theodor Dreyers MICHAEL. Der Film basiert auf einer Novelle des dänischen Autors Hermann Bang, welche einige Jahre vorher schon einmal von Mauritz Stiller bearbeitet worden war. Da die zensoriellen Maßstäbe in Schweden zu jener Zeit sehr rigide waren, fiel der homosexuelle Subtext dem Vernehmen nach weitgehend unter den Tisch. In Dreyers in Deutschland produzierter Verfilmung geht es um einen alternden Maler, Zoret, der von einer rätselhaften Zuneigung zu seinem Lieblingsmodell, dem hüschen Michael, befallen ist. Diese Zuneigung ist ihm Antrieb für seine Schaffenskraft, Inspiration und Energiequelle zugleich. Das Unglück zieht ein in sein Haus, als die Gräfin Zamikoff vom Meister gemalt werden möchte. Die Arbeit an dem Gemälde erweist sich für Zoret als überaus schwierig. Besonders an den Augen werkelt er lange herum und ist doch nicht zufrieden. Der wesentlich unbegabtere Michael versucht sich daran und trifft sofort ins Schwarze. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der junge Mann hat sich in die Gräfin verkuckt. Fortan bleibt er dem Hause des Malers fern, der immer mehr der Einsamkeit verfällt. Auch sein Werk wird nun vom Gedanken an Düsteres und Tod beherrscht. Der Weg in den Abgrund ist eingeschlagen...
Man müßte schon enorm begriffsstutzig sein, um nicht zu begreifen, daß Michael und seinen Meister mehr verbindet als gemeinsame Schöngeisterei. Der alte Mann (blendend gespielt vom sonstigen Regisseur Benjamin Christensen) ist wie vernarrt in den Jungen, der entdeckt, daß ihn auch die Reize der deutlich älteren Gräfin erreichen. Während Michaels Handeln zu Anfang noch arglos ist – halt ein junger Mann, der nach seiner Identität sucht –, so wird es doch zunehmend bestimmt von Eifersucht und kleinen Machtdemonstrationen. Er will sich von seinem Mentor abgrenzen, ihm – dem Adoptivvater – zeigen, daß er ihn noch allemal in die Tasche steckt. Dazu muß er nicht viel machen, denn ohne Michael ist Zoret hilflos. Ihm fehlt ein Teil seiner selbst, und ohne den ist er völlig aufgeschmissen, allen Anfechtungen des Alltags preisgegeben. Michael (gespielt vom damals noch sehr schlanken Walter Slezak, der in Hollywood einige Pfunde zulegen sollte) kann man zu Beginn kaum böse sein. Im Schlußdrittel möchte man die blöde Husche nur noch gegen die Wand kloppen, so dreist sind seine undankbaren Grausamkeiten. Dreyer behandelt das Thema Zuneigung von Mann zu Mann nicht als eine primär sexuelle Attraktion, sondern als eine das ganze Leben einbindende Identitätsstiftung. Der „Meister“ kann ohne seinen Schüler nicht leben, denn ihm wird alles genommen, was ihm Sinn gibt. Die Vertrauensbrüche Michaels sind nur noch bitterer Hohn, den Zoret fast genüßlich entgegennimmt. Inszeniert ist das grandios, völlig auf die erstklassigen Schauspielerleistungen zugeschnitten, die die Gefühlsregungen der Figuren jenseits der Zwischentitel eindrücklich vermitteln. Die Bauten sind exzellent. So wirkt etwa die Villa des „Meisters“ in ihrer dekorativen Pracht irgendwann auch nur noch wie Spott, da ihm das alles rein gar nichts bedeutet. Nur noch die Gesten zählen, und die sind gegen ihn gerichtet und töten ihn langsam. Großes, bewegendes Kino. Bin geplättet.
P.S.: Der berühmte Kameramann Karl Freund (der zusammen mit Rudolph Maté MICHAEL abgelichtet hat), hat einen schönen Kurzauftritt als fröhlicher, dicker Kunsthändler.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#590
Geschrieben 30. September 2008, 11:51
In gewisser Weise handelt es sich hier um Jess Francos Version von „Eckermanns Gespräche mit Goethe“.
Baron Frankenstein hat – nach langen Jahren des Leichenzerschnippelns und Grabschändens – endlich sein Meisterwerk vollbracht: ein mit Silberbronze angemalter Ringkämpfer, der so ausschaut, als würde er in seiner Freizeit Statuen aus Kot basteln. Das Monster erweckt das Interesse von Graf Cagliostro, der es flugs klauen und den Baron ins Jenseits befördern läßt. Warum er das tut? Ganz klar – er will zusammen mit seinem privaten Teufelsanbeterorden den schwarzen Gott Pantos (Pan Tau?) erwecken, der der Menschheit den Garaus machen soll. Doch Dr. Seward hat etwas dagegen...
Hmmh. Ein rätselhafter Film. Es passiert eigentlich sehr wenig, und was passiert, ergibt keinen Sinn. Franco drehte dieses Werk zur selben Zeit wie DIE NACHT DER OFFENEN SÄRGE, und ähnlich wie jener vermittelt auch FRANKENSTEIN den Eindruck eines augenzwinkernden Spiels mit kitschigen Horrorzutaten aus dem gotischen Ramschladen. Für einen unbeleckten Betrachter, der sich die DVD ausgeliehen hat, um sich einen echten Horrorschocker angedeihen zu lassen, wirkt der Film freilich so, als wäre der Mann mit den Erdnußtütchen in den Orchestergraben gefallen. Der Titel der deutschen Fassung schielt auf den früher entstandenen EINE JUNGFRAU IN DEN KRALLEN VON ZOMBIES, in dem Franco ebenfalls klassische Horrormotive mit verspielter Lust am Exzeß präsentierte. Ich erinnere da nur an die großartige Szene, in der eine Leiche aufgebahrt ist (sie sitzt aufrecht in einem Stuhl und kuckt gequält an die Decke!), während im Vordergrund Britt Nichols ihre Fußnägel lackiert, Howard Vernon mit Fluppe im Mundwinkel einen Choral singt und Orgel spielt und Franco selbst als sabbernder Butler im Hintergrund steht und brabbelt. ZOMBIES enthielt auch einige recht gelungene ernsthafte Zutaten, wie etwa Paul Mullers Kurzauftritt als toter Papa mit Henkersseil um den Hals. Die Wirkung des Resultats kann man entweder als hypnotisch, als amüsant oder als bodenlos langweilig empfinden. Nun, ob FRANKENSTEIN tatsächlich komisch gemeint war, ist ungewiß. Gewiß ist, daß Howard Vernon als Graf Cagliostro einen Kinnbart hat, der aussieht wie eine deplazierte Achselbehaarung. Weil er mit so einem Gesichtsmanko keine Frau abbekommt, hat er sich in Gestalt der reizenden Melissa (Anne Libert) eine Vogelfrau herangezüchtet, entstanden aus einem Ei und menschlichem Samen. (Melissa hat zwei aus einer Federboa zurechtgestanzte Handschuhe und kreischt gelegentlich in Vogelsprech.) Sein „Orden“ ist eine abgerissene Truppe von Randexistenzen, teilweise mit Totenkopfmasken, die meistens in Bettlaken gehüllt durch den Wald stolpern und auch sonst den Eindruck machen, als hätten sie nicht viel zu tun. Als Frankenstein steht einmal mehr der aufgedunsene Brite Dennis Price zur Verfügung, der 25 Jahre zuvor in der eleganten Komödie ADEL VERPFLICHTET den Helden gegeben hatte. Hier wirkt er wie ein tschechischer Vizeersatzhausmeister, der seine Whiskybuddel nicht mehr finden kann. Anders als in DIE NACHT DER OFFENEN SÄRGE ist er über den Großteil der Laufzeit hinweg tot, wird aber in regelmäßigen Abständen von seiner Nichte Vera Frankenstein wiederbelebt, damit er lustig herumzucken und komplett unwichtige Informationen von sich geben kann. Spätestens an dieser Stelle muß die hervorragende deutsche Synchro Erwähnung finden, die sich dem Geschehen aufs Trefflichste anpaßt. In einer Szene, in der eine deliriöse Patientin auf ihrem Krankenbett von schrecklichen Dingen faselt, bemerkt Dr. Seward: „Was ist dieser Frau nur zugestoßen? Sie ist völlig inkontinent!“ (Ich nehme an, im Original stand irgendwas von „incoherent“...) Eingenäßt habe ich mich an so manchen Stellen, etwa jener, in der Seward von einem Unhold angegriffen und gewürgt wird. Der ihn aus unerfindlichen Gründen begleitende Inspektor (gespielt von Francos Hofkomponist Daniel White) bespritzt den Schurken mit Schwefelsäure, woraufhin er sich in eine kopflose Vogelscheuche verwandelt und zu Boden sinkt. (Seward hat noch eine abgetrennte Gummihand am Hals hängen!)
In Frankreich hieß der Film „Die erotischen Abenteuer von Frankenstein“, was etwas verwirrt, da weder der dicke Price noch sein silbernes Ungetüm an irgendeiner Stelle Sex haben oder auch nur spannen dürfen. Am Schluß soll das Monster zwar Britt Nichols höckern, aber bevor das geschehen kann, trifft schon die Kavallerie ein und beendet das Kuddelmuddel. Erwähnt sei noch, daß Francos zukünftige Gattin Lina Romay hier ihren ersten Auftritt hat, und zwar als Zigeunertochter Esmeralda, die an einem Bächlein wirres Zeug stammelt. Sie redet gelegentlich mit ihrer Mutter Gudrun, einer steinalten Greisin, die sie bekommen haben muß, als sie 60 oder 70 war. Dafür ist die Esmeralda eigentlich gut gelungen – Chapeau! Ansonsten – das sollte aus dieser kurzen Annäherung klargeworden sein – erreicht Franco nicht ganz die intellektuelle Tiefe der Vorlage. Goethe auf die Leinwand zu bringen, ist ja auch nicht ganz einfach.
Bearbeitet von Cjamango, 30. September 2008, 11:54.
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#591
Geschrieben 08. Oktober 2008, 13:39
Einen weiteren Blick in die Zeit, als die Bilder laufen lernten, offeriert dieses launige Melodram von 1913, das von zwei ungleichen Freunden handelt, Dirk und Pieter. Dirk hat ein Schönliebchen (das aussieht wie ein Kartoffelsack), ist dafür aber arm. Pieter hingegen ist reich, kriegt wegen seines strengen Körpergeruchs (vermute ich) keine Frau ab. Gemeinsam fahren sie zum Fischen. Pieter hat einen diabolischen Plan ausgeheckt: Er schneidet ein Seil durch und schippert mit dem Zweitboot davon. Dirk ist deshalb aus irgendeinem Grunde „den Wellen preisgegeben“, wie uns ein Zwischentitel informiert. (Die See ist spiegelglatt.) Der böse Freund schippert zurück ins Fischerdorf und läßt sich dort an Land spülen, als vermeintliches Opfer einer Katastrophe. Da Dirk als verschollen gilt, muß Pieter den Kartoffelsack heiraten. Tatsächlich hat sich Dirk auf eine Insel gerettet, wo er eine einsame Zeit verlebt, nur begleitet von seiner treuen Pfeife und einem enervierend fröhlichen Hund, den ich beim Betrachten „Hans-Olaf Henkel“ getauft habe. Die Hardcoreszenen, die ich mir jetzt eigentlich erhofft hatte (ein Triangel mit Pfeife und Hund), blieben leider aus. Stattdessen wird Dirk gerettet, und den als „besten Freund“ annoncierten Hans-Olaf lassen die grimmigen Fischer auf der Insel zurück. (Hähä!) Dirk gerät in die Fremde und wird dort ein Schiffskapitän. Nach langen Jahren kehrt er ins Fischerdorf zurück. Die Gewissensqualen haben Pieter zum Trinker gemacht. Ausgelassen tanzt er auf einer Veranda – ein erschütterndes Schauspiel. Irgendwie gelingt es dem Trunkenbold, sich auf seinem Fischerboot selber anzuzünden, was eine Spontanrettung durch Dirk erfordert. Trotzdem stirbt der Wicht, und „die wahre Liebe triumphiert“.
Leider taucht der Geist von Hans-Olaf nicht mehr auf. Auch so handelt es sich aber um ein repräsentatives Frühwerk der deutschen Kinematographie, noch sehr statisch gefilmt, jede Einstellung immer eine Kameraposition. Gerade deshalb schreit das Werk nach einer Neuverfilmung. Es gibt zahlreiche schlimmere Dinge, die man mit seinem Leben machen kann, als es in den Dienst eines solchen Projektes zu stellen. Til Schweiger als Dirk, Moritz Bleibtreu als Pieter und Hans-Olaf Henkel als Hund. Und Dirk Bach als Kartoffelsack. Toll übrigens, daß sämtliche Frauen aussehen wie Transvestiten, was an den holländischen Trachten liegt, denn der Film spielt in Holland. Vielleicht war das eine Anspielung auf das elisabethanische Theater, wo ja auch alle Frauenrollen von Männern gespielt wurden. Vielleicht sind die Frauen aber auch nur sehr häßlich. In der avisierten Neuverfilmung würde ich das gerne beibehalten. Allerdings würde ich Hans-Olaf etwas mehr in den Mittelpunkt rücken. Die Insel könnte ja das Bikini-Atoll sein, und er mutiert dann zu einem Industriemanager mit kulturellen Ambitionen oder so. Auch die Pfeife hätte eine tragende Rolle. Man darf gespannt sein.
Regisseur Joseph Delmont stammte aus Österreich-Ungarn und machte zahlreiche Sachen in dieser Richtung, die ich alle gerne sehen würde, aber sie dürften mehrheitlich ein Opfer des Nitrats geworden sein. Die Frau, die den Kartoffelsack spielt, war auch in Filmen wie DIE SCHWARZE KUGEL ODER DIE GEHEIMNISVOLLEN SCHWESTERN, DAS LIEBESBAROMETER und NETTE PFLANZEN. Das waren noch Titel!
Bearbeitet von Cjamango, 08. Oktober 2008, 13:39.
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#592
Geschrieben 09. Oktober 2008, 21:50
Der Titel lautet übersetzt „Maciste und die Gefräßigen“, woraus man vielleicht besser ein „Maciste und die Leckermäulchen“ machen sollte. (Oder wie wäre „Maciste und die Süßzähne“?) Süßzähne und Leckermäulchen indes sollten vom Betrachten des Filmes Abstand nehmen. Wer hingegen deftige Katastrophen aus dem Reich der Kinematographie zu schätzen weiß, sollte mal reinschauen. LES GLOUTONNES ist einer von zwei Maciste-Filmen, die Jess Franco anno 1973 für den französischen Produzenten Robert de Nesle drehte. Der Vollkornhüne aus den alten Sandalenschinken wird bei Franco zu einem eher schmächtigen Hanselmann mit Pluderhosen, die der Renaissance zu entstammen scheinen. So ganz sicher sein kann man sich aber nicht, da Schauspieler Robert Woods tolle Tattoos zur Schau trägt, die entweder auf einen langjährigen Knastaufenthalt schließen lassen, eine Karriere bei der Handelsmarine oder Mitgliedschaft in einer Straßengang. Im ersten Film müssen Maciste (gespielt von dem bekannten Playboy Waldemar Wohlfahrt, einem Vorläufer von Rolf Eden und Jürgen Drews!) und sein Kumpel Robert Woods zu den Amazonen, denen sie ihren Schatz mopsen wollen. Dabei wird viel gehöckert, denn die Amazonen schauen alle recht fesch aus. Der zweite Film führt die beiden zu den Nachkommen der Atlantiden, womit die Handlung bereits erschöpft wäre. Man kann nicht behaupten, der Film ginge unter wie einstmals der Kontinent Atlantis, denn das würde implizieren, er würde sich an irgendeiner Stelle über Wasser befinden. Tatsächlich hat LES GLOUTONNES es sich unter Wasser gemütlich gemacht. Fehlt nur noch Kermit der Frosch, der seine Version von „Octopus's Garden“ trällert...
Nein, wirklich: LES GLOUTONNES besitzt keine Handlung und wirkt so, als wäre er komplett aus Outtakes des ersten Filmes zusammengetackert! Ich gehe jede Wette ein, daß weder Wohlfahrt noch Woods geahnt haben, daß sie da eigentlich in zwei Filmen mitspielen – die Bezugnahmen auf Atlantis müssen nachsynchronisiert worden sein. Beide tragen wieder ihre lustigen Pluderhosen, nur daß Woods diesmal den Bösewicht markiert. (Ich habe das bis zum Schluß gar nicht gemerkt, weil er die ganze Zeit über in der Gegend steht wie ein hölzerner Indianer!) 1974 wurde in Frankreich die Pornographie freigegeben, was andeutet, daß LES GLOUTONNES erst ein Jahr später herausgekommen sein wird. Zu behaupten, es bögen sich in dem Film die Balken, wäre allerdings geprahlt. Vielmehr wirkt der Film wie ein Porno, der sich nicht traut. Eine zelluloidgewordene Erektionsstörung. Zusammengehalten werden die gewagt gemeinten Szenen vom Grafen Cagliostro (Howard Vernon in einer Jakob-Fugger-Gedächtnismütze), der fortwährend mit seinem Krug spricht, der ihm auch antwortet. Neben dem Krug befindet sich eine magische Kugel, die ihm Fickszenen präsentiert. Der Krug ist also so etwas wie Pay-TV für mittelalterliche Zauberer und hat das eindeutig schärfere Programm. Daß ich bei den sogenannten Pornoszenen schallend gelacht habe, liegt daran, daß wirklich nichts hinhaut. Zu Anfang sieht man Alice Arno als Königin der Atlantiden, wie sie in einem Kerkerverließ (?) einem schäbigen Wurzelsepp an der Nülle nagt. Es tut sich rein gar nichts, was den deformierten Herrn aber nicht daran hindert, sie in späteren Krug/Kugel-Szenen zu penetrieren bis zur Besinnungslosigkeit. Daß sich Alice aber nicht im Wunderland befindet, merkt man ihrer komplett desinteressierten Miene an, die sie auch aufsetzt, als sie sich etwas später die Labia knetet. Keine Ahnung, ob diese Szenen animieren sollen – sie wirken eher wie absurdes Theater! Der Wurzelsepp hat im übrigen einen entzündeten After, der eingehend zu bewundern ist, was ich aber begrüßt habe, denn ansonsten wäre eventuell sein Gesicht zu sehen gewesen. Der Lover soll übrigens Maciste sein. Waldemar Wohlfahrt wurde somit ein Penis untergeschoben, der zudem im schlaffen Zustand außerhalb des Bildes eine Frau beglückt. Wohlfahrt hatte auch sonst einiges Pech: Im Jahre 1966 wurde er verdächtigt, der berüchtigte „Autobahn-Mörder“ zu sein und von der BILD-Zeitung als solcher gebrandmarkt, wofür er sich später mit einem saftigen Gerichtsprozeß revanchierte – recht so! (Nachzulesen: hier!) Ansonsten erfreut der Film sein Publikum mit gänzlich unpassender Fahrstuhlmusik, u.a. einem ganz exquisiten Stöhnstück. Da der Film nicht lang genug war, versucht Kali Hansa (tolles Pseudonym!) am Schluß, Alice Arno (immerhin ihre Königin) zu opfern, in Begleitung einiger auf einmal vorbeitrollenden Hanswursten, die sich in Bettlaken eingewickelt haben. Waldemar und Woods liefern sich einen Faustkampf, gänzlich ohne Stunts. (Kurz vorher klettert Waldemar eine sehr hohe Mauer hinauf und stürzt dabei fast ab – das hätte ich nicht einmal für Steven Spielberg gemacht!) Dann klettert Waldi/Maciste auf den Gipfel des Steinbruchs, in dem das stattfindet, und schmeißt, eindrucksvolle Grimassen schneidend, mit mittelgroßen Felsen. Diese sollen wohl eine Steinlawine auslösen. Man sieht aber nur kleine Kiesel und Steinstaub herunterrieseln, aber das reicht vollkommen aus – die ganze Bagage an Knallchargen wird begraben!
Abschließend sollte angemerkt werden, daß Franco im selben Jahr auch den ordentlichen De-Sade-Film PLAISIR A TROIS gemacht hat sowie einige andere brauchbare Filme. Auch der Vampirfilm LA COMTESSE NOIRE – eines seiner besten Werke – entstand in diesem Jahr. Gelacht habe ich aber am meisten bei LES GLOUTONNES. Das ist so, als hätte ein stellenloser Dadaist einen Porno gedreht, der dann von der Zensur auseinandergenommen worden ist. Godard meinte ja mal, daß ein Film einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben solle. LES GLOUTONNES leistet das, und zwar gleichzeitig! Ganz großes Scherbenkino.
Bearbeitet von Cjamango, 09. Oktober 2008, 21:51.
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#593
Geschrieben 11. Oktober 2008, 00:07
Was ist da denn jetzt wieder passiert?
Ich hoffe mal, daß ich nicht unter dem Verdacht stehe, mich auf Argento eingeschossen zu haben. Seine alten Filme liebe ich. THE STENDHAL SYNDROME finde ich noch große Klasse. DAS PHANTOM DER OPER habe ich beim Rattenwagen abgebrochen. Mit seinen TV-Arbeiten und THE CARD PLAYER hat er sich als Regisseur für deutsche Krimiserien im Vorabendprogramm beworben, aber bitte schön. „Der Bulle von Tölz“, inszeniert von Dario Argento? Why not. Bin tabu- und finanzinteressenlos. Aber LA TERZA MADRE...
Jahrelang hat er sich auf diesen Film vorbereitet. Man dachte immer, jetzt kommt er wieder, aber es kam immer nur Tönjes. Jetzt hat er seinen Tanz in den Abgrund mit einem gewaltigen Paukenknall vollendet und in der Tat eine unfreiwillige Selbstparodie seiner Werke geschaffen. MOTHER OF TEARS ist schrecklich. Er ist wirklich ganz schrecklich. Er vergreift sich am Herzstück seines Oeuvres – SUSPIRIA und INFERNO –, und anstatt das Drehbuch zumindest den leidlich fähigen Händen von Franco Ferrini zu überlassen, übergab er es amerikanischen Luschen, die vorher u.a. Tobe Hoopers MORTUARY und Jean-Claude Van Dammes DERAILED gedrechselt hatten. Das ist so, als würde man ein Feinschmeckerrestaurant eröffnen und das Catering von McDonald's besorgen lassen...
Die ersten 5 Minuten sind wirklich in Ordnung. Da wird ein Sarg mit einer an ihm befestigten Urne ausgegraben. Letztere wird in ein Museum geschickt, wo sich Asia Argento und eine Kollegin an ihr zu schaffen machen. Die Öffnung der Urne bedeutet gleichzeitig die Öffnung der Büchse der Pandora – der Film hangelt sich von einer Hanswurstiade zur nächsten. Zu Anfang erscheinen einige Ghulen – abgerissene Penner, die ein mitleidiger Geist grau angemalt hat – und drangsalieren die Kollegin von Asia vollkommen sinnfrei mit einer mittelalterlichen Mundbirne. Dann geschieht irgendwas mit ihren Eingeweiden, was man in der deutschen Fassung aber kaum noch erkennen kann. Als Leihgabe aus PHENOMENA turnt noch ein diabolischer Affe herum, der wohl so etwas wie das Maskottchen der Ghulen darstellt. Der Affe ist ungelogen der mit Abstand beste Schauspieler des Filmes. Argento war niemals ein begnadeter Schauspielerregisseur, aber was sich die Chargen hier zusammenhampeln, hat uns zu Lachstürmen hingerissen. Asia, um mit ihr anzufangen, ist grottenschlecht. Sie hat den Job, über den größten Teil des Filmes hinweg leidend herumzutaumeln, und selbst das geht in die Hose. Der männliche Hauptdarsteller ist eine Gurke. Daria Nicolodi hat einen überaus vergnüglichen Kurzauftritt als Mutter Argento und sieht aus wie Schwester Waltraud im Teigmantel. Udo Kiers Gastrolle als Pater Johannes erinnert ein wenig an Maximilian Schells glorioses Cameo in VAMPIRES und ist einfach sehr unglücklich. Philippe Leroy als greiser Professor chargiert zum ersten Mal in seinem Leben über, während er normalerweise eher unterchargiert. Sowohl Kier als auch Leroy haben ihre Rollen lediglich zu dem Zweck, einen unsubtilen Brückenschlag zu den ersten beiden Teilen zu ermöglichen.
Das größte Problem ist allerdings Argentos Entscheidung, den gesamten Film in einem „realistischen“ Stil zu präsentieren, also ohne die kunstvolle Überhöhung, die in SUSPIRIA wie INFERNO eine andersweltliche Atmosphäre erschaffen hat. Das vermittelt hier den Eindruck einer mäßig geglückten Fernsehserie, in der eine Menge Unfug geredet wird und geschieht. Ganz besonders fatal sind die Teufelsanbeter, die wohl der Vorstellung entsprechen wird, die sich Spießbürger von der bösen, bösen Gothic-Szene machen. Hysterisch rumwibbelnd pöbeln sie harmlose Passanten an und sorgen schließlich für eine Erweckung der „Mater Lacrimarum“, die aus sinnlosen Blutrünstigkeiten, nackten Titten und albernem Schangel besteht. Den ganzen Film über wird ein Hauch von Apokalypse angestrebt – immer mehr römische Bürger fallen auf offener Straße übereinander her. Das sind selten mehr als zwei oder drei Kanonen auf einmal, während die restlichen Passanten vergnüglicherweise herumlaufen, als wäre alles ganz normal. Es wirkt rein gar nichts überzeugend. Jedes Schlesiertreffen ist gruseliger als dieser bemühte Versuch, eine Atmosphäre heraufzubeschwören, wo einfach keine entstehen will. Auch die zahlreichen Selbstzitate untergraben jede Möglichkeit, die der Film unter anderen Umständen vielleicht gehabt hätte. Ein Fiasko. Luigi Cozzis Versuch eines dritten Teils der Mutter-Trilogie, DEAD EYES, wirkt im Vergleich gar nicht mal mehr peinlich...
Bearbeitet von Cjamango, 11. Oktober 2008, 00:10.
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#594
Geschrieben 17. Oktober 2008, 12:26
Diesem frühen Vorläufer von Bill Lustigs MANIAC darf jeder Fan von sleazigen 70er-Jahre-Schockern ein Auge leihen. Fragt sich nur, ob er es wiederbekommt, denn Protagonist Arthur Malcolm sammelt Augen, spätestens seit jenem unglückseligen Vorfall, bei dem ihm mit einem Löffel (!) 50 Prozent der Sehkraft geraubt wurden. Seine ohnehin bereits labile Psyche (er ist bildender Künstler, hrchchch!) gerät daraufhin komplett aus den Fugen und läßt ihn unaussprechliche Mordtaten begehen, die New York City in Angst und Schrecken versetzen. Holzauge, sei wachsam...
New York wird ja gerne als „Big Apple“ bezeichnet. Hier erscheint die Stadt eher als „Big Eye Apple“, denn überall lauern die Kuckerchen, die den sensiblen Künstler so sehr faszinieren wie auch ängstigen. Der schwedische Schauspieler Bo Brundin – der aussieht wie der freundliche Chefgroupie einer frühen Metalformation – dreht ziemlich auf, was sehr leicht in groteskem Gehampel hätte resultieren können. Hier funktioniert es ganz gut und liegt irgendwo zwischen glaubhafter Charakterstudie und launigem Augengerolle im besten „Grand Guignol“-Stil. Und tatsächlich gibt Regisseur Kent Bateman (Vater der weitgehend auf Familienunterhaltung festgelegten Schauspieler Justine und Jason Bateman) dem Affen mächtig Zucker. Schon in der Anfangsszene, in der Malcolm das Auge rausgelöffelt wird, schaut die Kamera nicht wirklich weg, wenn der Mime mit expressivem Armgefuchtel auf die Straße wankt, ständig „My eye! My eye!“ tremolierend. Der Film besitzt dabei eine eigentümliche Feierlichkeit, fast so, als sei es den Beteiligten darum gegangen, Kunst zu produzieren. Es gibt eine Szene, in der Malcolm von einer früheren Liebschaft besucht wird, die ihm nachgespürt hat. Nicht nur an dieser Stelle bemüht sich der Film um Charaktervertiefung. Es gibt eine sehr gelungene Passage, in der nach einem Mord die Anwohner des Opfers von einem TV-Journalisten befragt werden. Die Macher haben sich augenscheinlich ziemlich Mühe gegeben, und dies mit einem Budget, das lächerlich niedrig gewesen sein muß. Ebenfalls ein Pluspunkt ist die nervenstrapazierende Musik, die mit schrägen E-Gitarren und so einer Art frühem Moog-Synthesizer arbeitet. Die sorgt für viele aufreibende Augenblicke. Lustig ist der Film ganz und gar nicht, als Partyware denkbar ungeeignet. In seiner verschrobenen Ernsthaftigkeit paßt der Film eher zu „bösen“ Filmen wie DIE TOLLWÜTIGEN, THRILLER: A CRUEL PICTURE, FORCED ENTRY oder eben MANIAC. Wer so etwas interessant findet, kann ja mal kucken. Die Ställe des Augias werden in jedem Fall gut ausgemistet...
Bearbeitet von Cjamango, 17. Oktober 2008, 12:28.
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#595
Geschrieben 20. Oktober 2008, 15:34
Zu den seltener aufgeführten Filmen Luis Trenkers gehört der 1932 gedrehte DER REBELL, eine stark fiktionalisierte Version der Geschichte des Südtiroler Freiheitskämpfers Andreas Hofer. Daß DER REBELL vom Fernsehen weitgehend gemieden wird, liegt vermutlich an dem außerordentlich hohen Beliebtheitsgrad, den er bei den Nazis besaß. Goebbels war von dem Film begeistert und bemühte sich nachdrücklich, Trenker zu einem Vorzeige-Filmschaffenden zu machen, was allerdings klangvoll mißlang.
Trenkers Held heißt Severin Anderlan und kehrt nach dem Studium in sein Heimatdorf zurück. Dort muß er erst einmal feststellen, daß der Hof seiner Eltern abgefackelt und Mutter wie Schwester ermordet worden sind. Anderlan erschießt daraufhin einige bayerische Offiziere und flüchtet in die Berge, wo er eine Gefolgschaft von anderen Aufmüpfigen um sich sammelt. Gemeinsam streiten sie gegen den übermächtigen Feind aus dem Westen...
Wie die meisten frühen Trenker-Filme gefällt DER REBELL durch eine exzellente Fotografie, für die er sich erneut ausgiebig bei seinem früheren Mentor Arnold Fanck bedient hat. Die Heimatfilmakzente des Anfangs (und ja, Trenkers breites Grinsen erinnert schon ein wenig an seinen steiermärkischen Kollegen Arnold Schwarzenegger!) weichen alsbald dem Abenteuerkino. Das familiäre Rachemotiv (das beim echten Hofer nicht vorlag) ist natürlich Westernterrain, und so stehen die aktionsbetonten Sequenzen im Vordergrund, insbesondere die prächtige Episode, in der Trenker nebst Ko-Rebellen eine gesamte französische Kompanie angreift und mittels geschickt eingesetzter Steinschlagfallen den Gegner beeindruckend dezimiert. Was den Film aus der heutigen Perspektive etwas heikel macht, sind natürlich jene Elemente, die den Nazis so prima gefallen haben und das damalige Publikum ansprachen. Film ist halt eben immer politisch, nicht zuletzt wegen des kommerziellen Motivs, das seiner Produktion zugrundeliegt. Zu den Elementen, die man eindeutig dem Zeitgeist jener Tage zuschreiben muß, gehört die schäumende Anti-Franzosen-Haltung, die der Film einnimmt. Frankreich hatte zu Zeiten Hofers den Sieg errungen, und so mußte Österreich den Bayern – die als Mitglied des „Rheinbundes“ mit Frankreich verbündet waren – Tirol abtreten, was dort zu starken Repressionen führte. Als Folge des Ersten Weltkrieges waren die Franzosen in der ohnehin krisengeschüttelten deutschen Bevölkerung alles andere als beliebt. So mußte das Deutsche Reich infolge des Versailler Vertrages große Gebiete abtreten. Um Reparationszahlungen zu erzwingen, marschierten die Franzosen 1923 in das Ruhrgebiet ein. Große Teile des Rheinlandes sollten besetzt bleiben. DER REBELL handelt davon, die „miesen“ Ausländer zu vertreiben, die in Deutschland nichts zu suchen haben. So vertritt Anderlan in dem Film – entgegen vieler seiner Gefolgsleute – die Ansicht, man müsse zusammen mit den Bayern gegen den gemeinsamen Feind antreten. (Später sollten die Animositäten gegen Franzosen, Briten und Polen in zahlreichen Nazi-Filmen noch wesentlich ausgeprägter und unangenehmer in den Vordergrund rücken, etwa in dem unsäglichen Kolonialismus-Epos CARL PETERS, der das wohl schillerndste Skelett im Schrank von Hans Albers darstellt...) Der Schluß von DER REBELL greift dann endgültig in die Kiste mit den Klunkern und serviert Todeskult und Heroenkitsch, der den Nazis Wasser auf die Mühlen gewesen sein muß. (Parallelen zu Machwerken wie HANS WESTMAR bieten sich an.)
Mit seinem nächsten Film, DER VERLORENE SOHN, demonstrierte Trenker aber, daß er wirklich einiges auf dem Kasten hatte. Die Abbildung der Vereinigten Staaten von Amerika, die jener Film betreibt, widerspricht auf eindrucksvolle Weise den damaligen Hollywood-Produkten und zeigt die Opfer der Weltwirtschaftskrise auf eine so ungeschönte Weise, daß selbst Roberto Rossellini den Film als einflußreich für das neorealistische Kino bezeichnete. Dem REBELL kann man das wirklich nicht nachsagen. Er offeriert eindrucksvoll gefertigtes Abenteuerkino, dessen politische Beigaben allerdings einiges Hintergrundwissen erfordern.
Ko-Regisseur des Filmes war übrigens Kurt Bernhardt, der später in die USA ging und dort als „Curtis Bernhardt“ zahlreiche gute Filme machte.
Bearbeitet von Cjamango, 20. Oktober 2008, 15:41.
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#596
Geschrieben 24. Oktober 2008, 12:27
In dem hübschen Film KLEINE MORDE spielt Elliott Gould einen begabten Fotografen, der sein Geld damit verdient, daß er Hundehaufen fotografiert. Hollywoods Wiederkäuer machen es genauso: Halbverdautes rauswürgen, ins Backförmchen hinein – fertig! Warum ich allen Ernstes erwartet habe, PROM NIGHT könne möglicherweise kuckbar sein, ist mir schleierhaft. Wenn es tatsächlich so sein sollte, wie Verkaufsgenie P.T. Barnum das einst verkündete – daß nämlich jede Minute ein Trottel geboren werde –, haben diese Filme wohl ihre Daseinsberechtigung, und sei es auch nur als Dokumentation eines Irrweges. In gewisser Weise bin ich dem Film dankbar, denn er hat mir Lebenszeit geschenkt. Länger als 20 Minuten habe ich die Grütze nämlich nicht ausgehalten.
Von der Story des Originals – einer der unspektakuläreren HALLOWEEN-Klone – ist nichts übriggeblieben. Die Protagonistin ist eine Blondine, deren Stimme im Original etwas an den Liliputaner aus FREAKS erinnert. Da würde ich mindestens drei Schachteln Rauchwerk pro Tag verordnen. Dann klingt das vielleicht etwas weniger peinsam. Blinde sind bei diesem Film erneut eindeutig im Vorteil, denn es herrscht Kanonenstadl. Alle Darsteller streiten sich darum, wer die Deppenparade anführen darf. Als Tambourmajor schlage ich den Psychopathen vor, der der Gewinner im Vincent-Gallo-Ähnlichkeitswettbewerb gewesen sein muß und die Familie der Protagonistin niedergemetzelt hat. Rechtzeitig zum Schulabschlußball ist er wieder da und hat sich sogar den Bart abrasiert. In die Morde habe ich kurz mal reingezappt. Was soll man dazu sagen? Eine PG13-Freigabe – kein Arsch, kein Tittchen, wie Schneewittchen. Ob der ganze Quatsch ernst gemeint ist oder sich als augenzwinkernde Parodie versteht, ist bei diesem selbstreferentiellen Tinnef (= Notausgang für die ganz und gar Armseligen) nicht mehr feststellbar. Alles nur noch eine einzige charakterlose Suppe. Da ist mir jeder FREITAG DER 13. entschieden lieber, denn die zelebrierten ihre Stumpfheit wenigstens mit einer gewissen Freude am Regelverstoß. Aber was beklage ich mich? Das war ein Bauchklatscher mit Ansage...
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#597
Geschrieben 26. Oktober 2008, 16:26
Benjamin Christensens Regiedebüt (übersetzt: Das geheimnisvolle X) ist ein saftiges Melodrama, in dem der Regisseur höchstselbst den honorigen und stocksteifen Leutnant Van Hauen spielt. Da sich das Land kurz vor einem großen Krieg befindet (gedreht wurde der Film 1913!), ist seine Anwesenheit bei den kämpfenden Truppen erforderlich. Der böse Graf Spinelli (eine Art Schmierbart-Version von Adolphe Menjou) will die Gunst der Stunde nutzen, um Van Hauens Gattin zu bezirzen. Gleichzeitig verfolgt er dubiose politische Interessen, denn er ist ein Landesverräter und verschachert dem Feind wichtige Informationen, die er per Brieftaube von einer abgelegenen Mühle aus entsendet, unter Mithilfe zweier Nebenschurken. Zum Leidwesen des strammen Leutnants gerät Graf Spinelli in den Besitz eines geheimen Angriffsplans, den er taubenflugs auf Reisen schickt. Allerdings wird die Taube abgeschossen, und Van Hauen wird nun des Hochverrats verdächtigt. Schmach und Erschießungskommando winken, doch Van Hauen hat ja noch seine tapfere Frau und seinen tapferen kleinen Sohn...
...der übrigens – wie es damals Sitte war – in einen ganz allerliebsten Matrosenanzug gepreßt ist und aussieht wie ein besonders trauriges Mitglied der Familie Duck! Was an diesem sehr alten Film vor allem auffällt, ist der beachtliche Stilwillen des Regisseurs, dem einige sehr schöne Bildkompositionen gelingen. So gibt es etwa schöne Gegenlichtaufnahmen der Mühle, die etwas an Bergman erinnern. Dieser Stilwillen unterscheidet den Film von zeitgenössischen amerikanischen Produktionen, denen es immer mehr um die narrativen Elemente und den daraus zu beziehenden „drive“ ging. Im selben Jahr entstand auch in Deutschland die erste Version von DER STUDENT VON PRAG, die im Vergleich zu Christensens Werk sehr theaterlastig und staubig anmutet. Die Patina, die der Film angesetzt hat, reizt gelegentlich zum Schmunzeln, nicht nur in Gestalt des drolligen Matrosenanzugs. Wenn sich im Schlußakt die Gattin des kompromittierten Offiziers hinter die feindlichen Linien schlägt und wiederholt mitten im wildesten Kampfgetümmel von links nach rechts durch das Bild huscht, ist das schon irgendwie niedlich. Aber das ändert nichts daran, daß der Film durchaus beeindruckend ist. Die Fassung, die ich gesehen habe, befindet sich auf einer vortrefflichen dänischen DVD, die neben dem angesprochenen Werk auch noch Christensens Zweitling enthält, HAEVNENS NAT. (Heißt das vielleicht „Hafennutte“? Am Schluß steht bei diesen skandinavischen Filmen ja auch immer „Slut“...) Bemerkenswert fand ich an der DVD, daß man mit Hilfe der Untertitel-Funktion der Fernbedienung nicht nur englische Untertitel bekommt, sondern sogar englische Zwischentitel ins Bild gezaubert werden. Das ist mir so bislang nicht vorgekommen. Ich werde dem Herrn, von dem ich die DVD ausgeliehen habe, vielleicht einfach sagen, sie sei irgendwo verlorengegangen. Trau, schau, wem!
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#598
Geschrieben 26. Oktober 2008, 16:30
Nach THE UNKNOWN eine weitere bemerkenswert grausame Geschichte von Tod Browning. Diesmal spielt Lon Chaney einen Zauberkünstler namens Phroso, dessen Gattin ihm mit seinem Kollegen Crane (Lionel Barrymore) durchbrennen will. Als Crane ihm hohnlachend die frohe Botschaft übermittelt, kommt es zu einem Handgemenge, bei dem Phroso unglücklich stürzt und sich das Rückgrat bricht. Einige Zeit später kehrt die Frau zurück und hat ein kleines Mädchen dabei. Als der gelähmte Phroso sie in einer Kirche aufsuchen will, muß er feststellen, daß sie sich das Leben genommen hat. Das kleine Kind ist auch dabei, und da Phroso richtig die Haßkarre schiebt, bringt er es in einer der übelsten Spelunken des Kongo unter, wo er sein neues Quartier aufgeschlagen hat, immer in der Nähe des bösen Crane, der hier mit Elfenbein handelt. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (à la QUEEN KELLY) holen Phrosos Gangster die Holde in ihr Verbrecherlager, wo Phroso sie zur schweren Alkoholikerin macht. Die Szene, in der Chaney Barrymore zu sich holt, um ihm nicht nur zu sagen, daß er ihm Unmengen an Elfenbein geklaut hat, sondern seine leibliche Tochter zur völlig degenerierten Bordsteinschwalbe gemacht hat, ist wirklich was für das Schatzkästlein. Chaney weidet sich an der Pein seines Feindes und rutscht vor Entzücken fast aus dem Rollstuhl. Auf einmal beginnt Barrymore ganz fürchterlich zu lachen und macht Chaney eine Eröffnung, die diesem die Freude aus dem Gesicht wischt...
WEST OF ZANZIBAR ist ein lustvoll überhitztes gotisches Melodram voller böser Menschen. Crane ist von Anfang an ein Rabenaas, aber Phroso war einst ein liebender Ehemann, den das Unglück an den Rand des Wahnsinns getrieben hat. Chaneys afrikanische Inkarnation ist kahlrasiert, unsagbar schmierig und wirkt wie ein lüsterner Satan auf Rädern. Häufig robbt er auch über den Fußboden, was ein klein wenig an Brownings Meisterwerk FREAKS erinnert. Chaney war für diese exzentrischen Bösewichte einfach wie gemacht, und mit großem Einsatz und beeindruckender Intensität spielt er Haß, Demütigung, Angst und finsteren Genuß, daß es nur so eine Art hat. Auch seine Gangsterkollegen erinnern stark an spätere Noir-Thriller à la KEY LARGO. Der nominelle Held des Filmes ist zum Beispiel ein heruntergekommener Doktor, der sich um Chaneys Rückenleiden kümmern soll und den Großteil der Laufzeit im Suff herumtorkelt und mit Säufertremor kämpft. Und die beiden anderen Spießgesellen sind dick, haarig und schwitzend. Diesem munteren Männerquartett stehen zahllose Eingeborene gegenüber, die aus heutiger Sicht vielleicht etwas rassistisch anmuten, aber dafür verbrennen sie auch für ihr Leben gern Frauen. Bei diesen exotischen Begräbnisriten darf Chaney den obersten Geisteraustreiber markieren und mit einer Dämonenmaske auf dem Kopf über den Dschungelboden kriechen! Kurzum, ein toller Film! Bemerkenswert eigentlich, daß ausgerechnet jener Film, für den man Browning heutzutage am ehesten kennt, nämlich DRACULA, mir am wenigsten gefällt. (Die ersten 15 Minuten sind toll, aber dann kommt endloses Blabla...) WEST OF ZANZIBAR ist ein echter Fund, der mit seinen gerade mal 60 Minuten Laufzeit auch keine Sekunde langweilt. Die Fassung, die ich gekuckt habe, enthielt leider keine Musikuntermalung, weshalb ich einfach Bartoks Klavierkonzerte drüber gedudelt habe. Das paßte ganz vorzüglich.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#599
Geschrieben 27. Oktober 2008, 10:59
Ein ungewöhnlich guter Softsex-Film, der sich um die Erlebnisse eines 16-jährigen Backfisches namens Debbie dreht. Debbie stammt aus einem frommen Haushalt, was ihr die sexuelle Bewußtwerdung erschwert. Ihr ist klar: Vor der Hochzeit bleibt der Lachs im Futteral. Necking und Petting – wenn's denn sein muß. Ihr Freund Bobbie leidet Höllenqualen, läßt sich aber hinhalten. Und sowieso muß er erst einmal für drei Monate nach Guatemala, um dort mit dem „Peace Corps“ für Ordnung zu sorgen. Debbie nutzt die Zeit seiner Abwesenheit sinnvoll, indem sie erste zaghafte Experimente unternimmt. So „kuriert“ sie einen scheuen Jungmann aus der Nachbarschaft und befaßt sich obendrein mit dessen Eltern. Als Bobbie wieder zurückkehrt, findet er eine völlig neue Debbie vor, was ihn zwar zunächst freut, aber ihr innerer Monolog läßt bereits vermuten, daß die geöffnete Büchse der Pandora alle Möglichkeiten der Promiskuität ergründen wird...
Verglichen mit den meisten obskuren (und häufig schmierigen) Sexploitation-Werken, die von „Something Weird“ ans Licht des Tages gezerrt worden sind, nimmt sich THE ALL-AMERICAN GIRL wie ein Musterbeispiel für gelungene Erotika aus: Die Charaktere sind leidlich glaubhaft und ansprechend, die Schauspieler scheinen bei der Erzeugung des Produktes Spaß gehabt zu haben und auch den einen oder anderen Joint konsumiert, und die Sexszenen sind, obwohl vergleichsweise dezent, sehr anregend. Der Film profitiert von der jungen Hauptdarstellerin, Peggy Church, die das forschende Wesen Debbies durch die Natürlichkeit ihrer Darstellung zu einer überaus erfreulichen Angelegenheit werden läßt. Der Umstand, daß die von ihr gespielte Figur noch minderjährig ist, wird dadurch etwas abgefedert, daß die meisten ihrer „Testpersonen“ ebenfalls noch nicht wissen, wo Bartel den Most holt. Es resultiert auf jeden Fall nicht in unappetitlichem Altherrengesabber um knospende Weiblichkeit, eher in appetitlichem Jungherrengesabber um weibliche Knospen. Der Film ist ausdrücklich Joe Sarno gewidmet, der zu den wenigen wirklich brauchbaren und ernstzunehmenden Sexfilmern gehört hat, dessen Arbeiten sich stets intensiv mit den unterliegenden Motiven der Protagonisten befaßt haben. Sex an sich sieht ja eher putzig aus, und es erfordert schon ein gewisses Raffinement, den Zuschauer in die Story „hineinzulocken“ und die auf der Leinwand gezeigten Attraktionen mit den eigenen Erfahrungen und Fantasien kollidieren zu lassen. THE ALL-AMERICAN GIRL gelingt dieser Akt. Über Regisseur Mark Haggard habe ich nur wenig herausbekommen, sieht man einmal davon ab, daß er wohl schon tot ist. Er ging zur Entstehungszeit des Filmes vermutlich noch auf die Filmschule, wo er auch Kameramann Douglas Knapp kennenlernte, der u.a. die ersten beiden John-Carpenter-Filme fotografierte. Die DARK STAR-Connection trug auch später Früchte, als Haggard Dan O'Bannon und Ronald Shusetts Skript zu ALIEN an Walter Hill und David Giler vermittelte. Am bekanntesten ist wahrscheinlich seine Ko-Regie zu THE FIRST NUDIE MUSICAL, den ich noch sehen muß. Ansonsten drehte er noch den leicht angehardcoreten THE LOVE GARDEN und später THE ALL-AMERICAN WOMAN, der leider auf die Teilnahme von Peggy Church verzichten mußte. Während mich Softsexer im Moment eher langweilen, habe ich diesen hier mit großem Vergnügen bis zum Ende durchgekuckt. Fein!
P.S.: In der BRD soll der Film unter dem Titel DANISH FLOWERS gelaufen sein (!) Eine entsprechende Videokassette wäre mir aber nicht bekannt.
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#600
Geschrieben 29. Oktober 2008, 16:39
Sidney Lumets Filme befassen sich meistens mit moralischen Problemen – warum ein Mensch sich so oder so entwickelt, warum die einen die Guten und die anderen die Bösen sind. Daß sie dies im Gewand von Unterhaltungsfilmen bewerkstelligen, macht die Sorgfalt, mit der Lumet seine Protagonisten in Szene setzt, nur noch bemerkenswerter. Ob es sich um Copdramen, Psychothriller oder politische Fiktion à la FAIL SAFE geht – immer geht es um die Unterscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen und was die öffentliche Meinung daraus macht. Dabei bedient er sich auch des öfteren der schwarzen Komödie. HUNDSTAGE fällt einem da ein, NETWORK auch, und sein vorletzter Film, FIND ME GUILTY, verhohnepiepelt das amerikanische Justizsystem anhand eines authentischen Falles. (Übrigens mit einer umwerfenden schauspielerischen Leistung von Vin Diesel – da war ich wirklich baff!)
Sein neuester Film heißt im Original BEFORE THE DEVIL KNOWS YOU'RE DEAD und gehört ganz entschieden nicht zu seinen Komödien. Als ich mir den Film entlieh, erwartete ich einen Krimi, und tatsächlich beginnt er auch wie einer: Zwei maskierte Gangster überfallen ein Juweliergeschäft. Der Überfall mißlingt, ein Gangster wird erschossen, eine alte Frau schwer verletzt. Dann beschäftigt sich der Film aber mit der Vorgeschichte des Verbrechens. Es geht um zwei Brüder, Andy (Philip Seymour Hoffman) und Hank (Ethan Hawke). Beide stecken in Schwierigkeiten bis zum Hals – wie sehr, erfährt man erst später. Der Film rollt das sehr geschickt auf, erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, springt in der Zeit hin und her. Dabei wird er niemals unübersichtlich. Das Drehbuch stammt von einem langjährigen Theaterautor, Kelly Masterson, der früher einmal Priester werden wollte, sich dann aber für die Bretter entschied, die bekanntlich die Welt bedeuten. Der ganze Dreh- und Angelpunkt des geschickt konstruierten Drehbuches besteht in dieser gebrochenen Erzählweise, denn häufig werden bestimmte Momente repetiert, der vorherige Eindruck dabei korrigiert. Schwingt häufig in solchen „moralischen“ Filmen immer eine vage, kitschige Ahnung von Schicksal und Vorherbestimmung mit, so macht der Film sonnenklar, daß die vermeintliche Vorherbestimmung eine präzise Folge von Ursachen und ihren Wirkungen ist. Das scheint auch in vielen nebensächlich erscheinenden Details auf. So kommt Hawke an einer Stelle zu seiner Wohnung, um erst einmal festzustellen, daß jemand das Glas im Klingelkasten zerschlagen hat. Etwa 15 Minuten später im Film sieht man dann, wie das tatsächlich passiert ist und was alles zu diesem Moment geführt hat. Der deutsche Titel ist gar nicht mal dumm, denn es geht um die moralischen Entscheidungen, die die Menschen fortwährend treffen müssen. Was den Film gut macht, ist aber der Umstand, daß diese Entscheidungen nicht nach herkömmlichen Vorstellungen zu bewerten sind als gut oder böse, als berechtigt oder unberechtigt, sondern häufig intuitiv oder als Folge von unvorhersehbaren Zwischenfällen entstehen, als Reaktion auf eine andere Ursache-Wirkung-Kette sozusagen. Die Schauspieler machen ihre Sache – wie meistens bei Lumet – hervorragend. Das merkt man für mein Empfinden schon daran, daß nicht nur die Exzesse, die Kunststückchen, zu beeindrucken vermögen, sondern auch die Momente, an denen oberflächlich rein gar nichts passiert. Die Figuren werden einem einfach so vertraut, daß man fast körperlich spürt, wie es in den Leuten brodeln muß. Das betrifft nicht nur die Hauptdarsteller (Hoffman, Hawke und Albert Finney), sondern auch die zahlreichen Nebenfiguren. Erstklassige Arbeit. TÖDLICHE ENTSCHEIDUNG ist nicht das Werk eines 84-jährigen Greises, sondern eines lebenserfahrenen, klugen Mannes. Einer der besten Lumets seit langer, langer Zeit. Und ja, mit 20 hätte ich dem Film wohl wesentlich weniger abgewinnen können als jetzt mit 40...
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