Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#691
Geschrieben 15. Juni 2009, 01:34
Gina McVey (Lena Headey) arbeitet als Radiologin an einem Londoner Hospital. Ehemann Stefan ist Architekt. Eines Tages erblickt sie im Straßenverkehr eine Frau, die ihr täuschend ähnlich sieht. Wenig später hat sie einen drastischen Autounfall, den sie aber fast schadlos übersteht. Schon bald aber stellen sich Spätfolgen ein – nichts ist mehr, was es zu sein scheint...
Ein britischer Mystery-Thriller, der sich viel Zeit nimmt, um die Figuren zu etablieren. Es werden Hinweise gestreut. Zerbrochene Spiegel scheinen eine wichtige Rolle zu spielen. Obwohl man lange im Dunkeln tappt, wird der Film nie langweilig, zumal er erstaunlich gut inszeniert ist. Die Bildgestaltung ist wirklich exzellent. Ich wußte beim Betrachten trotzdem lange Zeit nicht, wie ich THE BROKEN finden würde, zumal es Neubearbeitungen von INVASION OF THE BODY SNATCHERS wirklich reichlich gegeben hat. Der Film liefert aber eine durchaus intelligente und sehr intime Variation auf das Material, und selbstverständlich ist er um Lichtjahre besser als das lausig geskriptete Hollywood-Remake INVASION mit Craig und der Kidman. THE BROKEN gewinnt schließlich aufgrund seiner angenehmen Wortkargheit, die die eigenartigen Vorgänge in der Schwebe hält und so ein schleichendes Gefühl der Paranoia ermöglicht. Man betrachtet sich danach im Spiegel mit anderen Augen, mit neuen Augen. Wie die Geschichte im letzten Akt dann aufgelöst wird, ist schon sehr elegant. Wer sich einen Partyfilm ausleihen will, kann die Finger von THE BROKEN lassen, denn er ist düster und gänzlich humorfrei, ständig umwabert vom vorzüglichen Soundtrack von Guy Farley. Neben der Headey gibt es ein Wiedersehen mit Richard Jenkins, dem Vater aus SIX FEET UNDER, und Ulrich Thomsen, der den Christian in Vinterbergs DAS FEST gegeben hat. Ich werde jetzt doch noch mal in den Spiegel schauen. Sicher ist sicher.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#692
Geschrieben 15. Juni 2009, 18:36
Auf der Suzuran-Schule geht es anscheinend hauptsächlich darum, wer der „big boss“ wird. Hauptbewerber um das Amt sind der Yakuza-Sohn Genji und der stets traurig dreinblickende Tamao. Beide sehen verflucht gut aus, tun aber alles, um diesen Umstand zu ändern. Nachdem sie sich eine Gefolgschaft erarbeitet und die anderen Gegner aus dem Feld geboxt haben, geht es schließlich Mann gegen Mann. Denn es kann nur einen geben...
Es wird immer schwieriger, sich ein Genre auszudenken, an dem Takashi Miike sich noch nicht probiert hat. Psychothriller, Yakuza-Actioner, Geisterfilm, Musical, Porno, Western, Kindergeschichte... Der Mann ist ein Phänomen. CROWS ZERO bzw. CROWS: EPISODE ZERO ist ein Halbstarkenmelodram, und zwar eher eine japanische Version der amerikanischen „juvenile delinquent“-Filme der 50er, aufgepeppt mit wüsten Schägereien und wildem Rock'n'Roll. Die japanische Vorstellung von Jugendkino unterscheidet sich dramatisch von der unserigen, aber das ist ja nichts Neues. CROWS ZERO (der zweite Teil ist bereits abgedreht) dürfte einer von Miikes kommerziellsten Filmen sein und serviert eine Rock'n'Roll-Fantasie à la STRASSEN IN FLAMMEN, komplett mit edelst aufgezottelten Lederjackenträgern, mit Siegern und Verlierern. Um es mal vorsichtig zu formulieren: Der Film versperrt sich den Klischees dieser Filmgattung nicht gerade, serviert die altbekannte Mahlzeit aber auf so mitreißende Weise, daß man nicht groß zum Nachdenken kommt. Die Teenager-Träume werden mobilisiert und führen zu Rock'n'Roll-Kitsch in Reinkultur und zur vielleicht derbsten Massenschlägerei, die ich jemals gesehen habe. Kurz und gut, mir gefiel der Film prima, und das trotz seiner Laufzeit von über 2 Stunden. Und damit die übliche Sieg/Niederlage-Dramaturgie nicht ganz so banal daherkommt, gibt es am Schluß auch noch einen hübschen Schlenker. Den Kopf muß man bei der ganzen Übung natürlich abschalten, aber Kopf und Rock'n'Roll – das hat sich noch niemals gereimt... Fetzt.
Bearbeitet von Cjamango, 15. Juni 2009, 18:51.
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#693
Geschrieben 16. Juni 2009, 00:47
Der Vater ist Journalist und möchte einen Film über seinen mißhandelten Sohn drehen, damit die Quoten stimmen. Außerdem hat er Sex mit seiner Tochter, die als Prostituierte arbeitet. Der Sohn mißhandelt seinerseits die mit Wunden übersäte Mutter, die Heroin spritzt und ebenfalls auf den Strich geht. Das Leben dieser japanischen Familie ändert sich, als ein geheimnisvoller Besucher in das Haus kommt...
Tja, das ist wohl so etwas wie Takashi Miikes Antwort auf die Waltons! Mit einer Handicam gedreht, einer Schnittmontage, die an Urlaubsvideos erinnert und gelegentlich keck in das Bild ragenden Mikros, erinnert uns der Film in jedem Moment daran, daß die hier gezeigten Vorgänge auch unser Preis sein könnten. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, daß Tritte in die Magengrube zu gewärtigen sind, kann man Miikes scheinbar aus der Hüfte gedrehte Denaturierungsorgie als schwarze Komödie begreifen, in der nichts, aber auch rein gar nichts unangetastet bleibt. Wie drastisch manche Bilder auch sein mögen – der Verzicht auf konventionelle Form und Oberflächenglanz ermöglicht den Blick auf die abgrundtiefe Traurigkeit, die hinter den Vorgängen steckt und rettet den Film davor, nur eine weitere Provokation für ein zunehmend abstumpfendes Publikum darzustellen, das sich an alle Exzesse irgendwann gewöhnt. Die denkbar aufopferungswilligen Schauspieler machen ihre Sache gut. Auch laktiert wird mit Inbrunst. (Ich merkte an dieser Stelle, daß ich diesen natürlichen Vorgang noch niemals live gesehen hatte – unglaublich, was da rauskommt! Naja, die Babys müssen ja auch satt werden...) Der Film endet auf einer scheinbar glücklichen Note, aber in der Essenz sagt er wohl aus, daß nur die völlige Zerstörung der Familienstruktur zu ihrer Gesundung zurückführen kann. Ob das so ist, mögen Psychologen entscheiden. Ich trinke jetzt erstmal ein Glas Milch.
Äh, guter Film übrigens. Aber nichts für schwache Nerven. Der spinnt, der Miike. Ich mag den Mann.
Bearbeitet von Cjamango, 16. Juni 2009, 00:49.
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#694
Geschrieben 16. Juni 2009, 15:51
Der Hongkong-Boxer Bum Zen verliert beim Wettkampf gegen einen fiesen Thai, der mit gezinkten Karten gekämpft hat. Bums Bruder greift ein und wird vom Thai zum Krüppel gehauen. Bum schwört Rache, wird aber vorher in buddhistische Kampfhändel hineingezogen: Dunkle Mächte haben einem Mönch seine Unsterblichkeit geraubt. Um die dunklen Mächte zu besiegen, muß Bum Zen selber Mönch werden und den Magieren den Marsch blasen...
Heidewitzka, Herr Kapitän! Was ist das denn? Die Story dieses phantastischen Filmes kann man getrost in die Tonne kloppen. Es geht in erster Linie um die Darstellung buddhistischen Brauchtumes. Davon gibt es aber viel zu sehen, und das meiste davon fällt in die Kategorie jener Attraktionen, bei denen einem westlichen Betrachter die Kinnlade runterklappt und sich beständig weiter gen Boden neigt. Habt Ihr schon einmal gesehen, wie einem abgetrennten Kopf die Blutgefäße in Fadenform entweichen und einen haarlosen Mönch in einen Kokon einspinnen? Oder gelb-schwarz gepunktete Plüschspinnen, die mit Strohhalmen giftgrünen Seiber vom Boden auflecken, der eine Mischung aus altem Gehirnbrei und Fledermaussud darstellt? Nackte Zauberinnen, die in ein frisch geschlachtetes Krokodil eingenäht werden? Mönche, die in einem riesigen Tonkrug sitzen, umringt von anderen Mönchen, die gleißende Wollfäden in der Hand halten und dem in der Mitte Sitzenden telepathisch buddhistische Weisheiten unter die Haut zwiebeln? Pilze, die mit Honig bestrichen werden und Unbesiegbarkeitsseren absondern? Ich fasse das alles nicht! (Na schön, ich fasse es schon, denn ich habe den Film früher schon einmal gesehen, aber noch niemals in so guter Bildqualität!) Regisseur Kuei Chih-hung (oder Gui Zhihong) gehört zu der alten Garde von Shaw-Brothers-Regisseuren, die sich in fast jedem Genre betätigt haben. Als Paganini der Kamera würde ich ihn nicht bezeichnen, aber was THE BOXER'S OMEN so beeindruckend macht, ist die unglaubliche Energie der Bilderwelt, die einfach verstörend fremdartig ist. Gelegentlich immens eklig, gelegentlich auch niedlich im Stil der Augsburger Puppenkiste, aber immer fesselnd und kraftvoll. „Solche Drogen möchte ich auch mal nehmen!“ ist ein Gedanke unter vielen, die man beim Betrachten des Werkes haben kann. Tierfreunde werden in einzelnen Szenen Probleme haben (die Sache mit dem Krokodil sieht mir nicht nach Spezialeffekten aus, und in China essen sie schließlich auch Hunde), aber man braucht nicht Ekeleien wie in italienischen Kannibalenfilmen zu befürchten, und ich bin eh ein Weichkeks, der sich auch bei Western Sorgen um die Pferde macht... Zu den beeindruckenderen Filmen des Regisseurs gehört auch der unglaublich finstere KILLER SNAKES, der wie ein hongkongesischer Vorläufer von Abel Ferraras DRILLER KILLER anmutet. Die amerikanische DVD ist im übrigen ungeschnitten und erfreut sich – wie bereits angedeutet – einer exzellenten Bildqualität.
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#695
Geschrieben 20. Juni 2009, 17:04
Rickie und J.T. sind zwei Kumpels und halten zueinander wie Pech & Schwefel. Das haben sie auch nötig, denn sie sind nicht gerade die populärsten Kids an ihrer Schule. Bei einem Ausflug in eine stillgelegte Irrenanstalt entdecken sie in einem abgelegenen Trakt eine angekettete und überaus nackte junge Frau, die gerade noch so lebt. Rickie will die Polizei verständigen, aber J.T. hat andere Vorstellungen. Schließlich schauen die Girls, wenn er die Szene betritt, gepflegt in eine andere Richtung. Bei einem Unfall findet er zudem heraus, daß die junge Frau nicht sterben kann. Sie schaut nur debil, grunzt und läßt sich willfährig als Sexspielzeug benutzen. Eine Zeit lang geht das auch ganz gut, obwohl Rickie Gewissensbisse plagen. Doch dann gerät den jungen Herrenmenschen die Situation aus der Hand...
Ich bin relativ schwer zu schockieren, aber wie dieser Film an seine Freigabe ab 16 gekommen ist, ist mir schleierhaft. Nachdem er etwas gesackt ist, muß ich dennoch feststellen, daß ich ihn originell und gut finde. Die beiden Regisseure gehen meistenteils provokanten Firlefanziaden aus dem Weg, erzählen die Geschichte ruhig und ernsthaft. Dem Film zugute kommt der Umstand, daß alles sehr vage bleibt. Es wird niemals erläutert, woher das Zombiemädchen kommt, ob sie übernatürliche Kräfte hat und so die pubertierenden Jungmänner quasi verhext. Fest steht, daß sie das Schwein aus den Männern herausholt, denn nahezu alle Charaktere handeln grob verantwortungslos und menschenverachtend. Das ist fast schon ein Anti-Porno-Horrorfilm. Die Attitüde seiner Protagonisten ist selbstredend nicht auf die Macher zu übertragen, die einen moralischen Standpunkt einnehmen. Dies tun sie allerdings nicht auf eine plakative, überdeutliche Weise, so daß man den Vorgängen zunächst angewidert, später zunehmend fasziniert folgt. Daß die jungen Schauspieler gute Arbeit leisten, stört absolut nicht. Wäre der Film nach traditioneller Gorebauernmanier geschustert, wäre er schwer zu ertragen, aber er entwickelt seine Geschichte konsequent und – hat man die bizarre Prämisse geschluckt – auch durchaus folgerichtig. Nur, Gesundheitswarnung – keine leichte Kost!
P.S.: Von „Ascot“ kommen in letzter Zeit richtig gute Filme. Habe da noch keinen Rohrkrepierer gesehen. DIE ERPRESSER, SPLINTER, THE SIGNAL, REC, AMOK, SO FINSTER DIE NACHT – alle zumindest gut kuckbar. Lob!
P.P.S.: Nicht mit dem (sehr feinen) DEAD GIRL von Kinowelt zu verwechseln.
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#696
Geschrieben 20. Juni 2009, 19:29
Max, der Bruder von Morgan Sinclair (in der Synchro ausgesprochen: Morgen Singklär!), hat im Bürgerpark eine Dämonenschatulle gefunden und macht die auf. Heraus kommt ein Trumm von Dämon, der aussieht wie der grimmige Sensenmann in MONTY PYTHONS SINN DES LEBENS. Morgen Singklär macht sich auf die Achse und hat Freunde dabei. Keine Ahnung, woher die die ganzen Freunde hat. Möglicherweise haben sie die komplett unmotivierte Duschszene gesehen, in der sie ihre Spezialausstattung kurz zur Schau stellt. In jedem Fall werden ihre Freunde weniger und weniger, denn der grimmige Sensenmann fordert seinen Tribut...
Daß solche Filme noch gemacht werden... RAUBTIERE HÖLLEN GRUFT (im Original einfach HELL'S TOMB) ist so gut, daß er nicht in der IMDb steht, genausowenig wie die drei vorangegangenen Werke des Regisseurs Neil A. Wentworth. Dieses kanadische Multitasking-Genie kann gleichzeitig die Kamera führen, Musik komponieren, schneiden, produzieren und inszenieren, und alles schlecht! Sollte ich irgendwann einmal auf eine Gruftie-Horrorkuck-Party eingeladen werden, ist dies der Film, den ich mitnehme. Gleich zu Beginn sieht man den Dämon (der Heidi heißt oder so ähnlich), wie er vor einer schlecht funktionierenden Nebelmaschine durch den Wald tanzt. Da er in die lustige Todeskitsch-Schatulle verbannt worden ist, braucht es erst einmal einen depperten Archäologen, um ihn nach jahrhundertelangem Schlaf wieder an die Umwelt zu entlassen. Und was den Archäologen sowie sämtliche anderen Schauspieler angeht, so wirken sie wie Kinder, die man in Erwachsenenklamotten gesteckt hat. Auf der Website des Filmes ist zu lesen, daß alle Schauspieler „ortsansässige Talente“ waren (erneut: keiner in der IMDb!) und alle „gelernte Schauspieler“ sind, „vielfach ausgezeichnet“. Daß ausnahmslos jeder aussieht wie eine totale Nulpe, ist die Schuld des Regisseurs, der ungnädig alle Unebenheiten des Schauspieltrainings zutagetreten läßt. Selbst Sir Laurence Olivier wäre abgestunken, hätte Orson Welles´ debiler Bruder die Kamera geführt. Am besten schneidet noch die Prolltussi mit den dicken Titten ab, die denn auch sehr auffällig bei jeder Gelegenheit in das Bild geschoben werden. Das Monster hat mich im übrigen an die alten Ulk-Spardosen erinnert, aus denen ein Skelett herauskommt und mit einer Knochenhand das Geldstück einsackt. (Zumindest war das der Plan. Funktioniert haben die Dinger nämlich nie!) Als Begleitfilm empfehle ich den italienischen Schmonzes DIE MUMIE SCHLÄGT ZURÜCK, denn der hat ein ähnliches Kaliber. Da alle Beteiligten offenbar Preise gewonnen haben, möchte ich ihnen auch einen verleihen: die goldene Leberwurst am Bande!
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#697
Geschrieben 28. Juni 2009, 13:34
Ossi ist die Nichte eines betuchten deutschen Geschäftsmannes. Als solche entspricht sie nicht den in sie gesetzten Erwartungen: Sie raucht, pokert und benimmt sich auch ansonsten sehr burschikos. Dem kleinen Wildfang wird ein Vormund präsentiert, der ihre Entwicklung in wünschenswertere Bahnen lenken soll. Ossi findet das aber nicht gut, läßt sich einen Herrenfrack anpassen und geht auf die Pirsch. In einer Tanzhalle trifft sie dabei auf ihren Vormund...
Zur Entstehungszeit dieses Filmes (1918) war Ernst Lubitsch bereits ein alter Hase im Komödiengeschäft. Pro Jahr präsentierte er etwa fünf Filme, die alle mehr oder weniger den Komödienkonventionen folgten. Dieser Film stellt eine Ausnahme dar, da das „cross-dressing“-Thema bislang allenfalls für Travestiefarcen à la „Charleys Tante“ herhalten durfte, in denen der spielerische Geschlechtswandel meistens der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN zäumt das Pferd von der anderen Seite auf und läßt den damaligen Komödienstar Ossi Oswalda (sehr, sehr knuffig, die Frau!) zu einem Jüngling werden, der „die andere Seite“ einer eingehenden Betrachtung unterzieht. Dabei lebt sie nicht nur ihre rebellische Ader aus, sondern konvertiert obendrein ihren milde bigotten Vormund (Curt Goetz), der im Vollrausch mit einem anderen Mann – der ja keiner ist – rumknutscht und Küßchen gibt. Zwar ist die Moral von der Geschicht nicht wirklich welterschütternd – besser ist's, wie's vorher war –, aber Filme leben eben von ihren Attraktionen, und die bestehen hier eindeutig in dem Spektakel einer hübschen Frau, die sich wie ein Mann kleidet und ordentlich auf den Pudding haut. In den zwanziger Jahren sollte dieser Trend sogar Schule machen, nicht nur in den Amüsierbetrieben des „verruchten“ Berlin, sondern auch auf der großen Leinwand: Stars wie Marlene Dietrich oder Louise Brooks waren wirklich nicht ganz das, was man sich unter einem Weibchen vorstellte. Der Film lebt also von der heimlichen Freude am Regelverstoß, den er mit viel Verspieltheit vorführt. Da Lubitsch schon damals wußte, wie man gute Komödien macht, bleibt der Film trotz seines hohen Alters sehr amüsant und ein interessantes Kuriosum aus der Zeit der Weimarer Republik.
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#698
Geschrieben 30. Juni 2009, 20:18
Siegmund Lachmann de Rawitsch (Ernst Lubitsch) ist ein trüber Gast auf dieser Erde. In aller Tölpelhaftigkeit versucht er sich als Verkäufer in der Herrenkonfektion, wird nach einem scherbenreichen Mißgeschick aber auf die Straße gesetzt. Sein nächster Versuch führt ihn nach Berlin, wo er feststellt, daß auch dort nur mit Wasser gekocht wird. Doch der Weg zum hochbezahlten Posten führt über das Herz einer holden Dame...
Nachdem ich mir die komplette Lubitsch-Stummfilmbox gegeben hatte (incl. guter Doku von Robert Fischer), wollte ich mir auch mal etwas aus seiner Anfangszeit zu Gemüte führen. Zur Entstehungszeit dieses Filmes (1914) arbeitete Lubitsch bereits als Theaterschauspieler bei Max Reinhardt. Es muß ein netter Kontrast gewesen sein, nächtens mit Klassikern auf der Bühne zu stehen und tagsüber in Farcen wie dieser hier den Hanswurst zu machen. Dem Vernehmen nach ist DER STOLZ DER FIRMA ziemlich repräsentativ für die Possenspiele, in denen Lubitsch für die PAGU arbeitete. Von einer eigenen Filmsprache kann man zu diesem frühen Herstellungsdatum natürlich noch nicht reden. Alles wird Tableau für Tableau abgefilmt, als Aufeinanderfolge spaßiger Szenen. Das Outfit Lubitschs erinnert etwas an eine jiddische Version von Charlie Chaplins Tramp, sein Mienenspiel an Mr. Bean auf Speed. Man kann nicht sagen, daß dieser Dreiakter auf die eleganten Gesellschaftskomödien hindeutet, die Lubitsch später einmal schaffen würde. Faszinierend anzukucken sind seine Kaspereien trotzdem, da man halt weiß, was aus ihm werden sollte. Die Botschaft ist im übrigen wesentlich konventioneller als bei Chaplin, so etwas in Richtung „Kleider machen Leute“. Der Schmock vom Anfang wird zu einem Mann von Welt. Schön, wenn es mal klappt!
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#699
Geschrieben 01. Juli 2009, 19:08
Der Baron von Chanterelle will verhindern, daß seine Familie ausstirbt. Zu diesem Behufe verspricht er eine reiche Mitgift, falls sein Sohnematz Lanzelot heiratet. Die Damenwelt der Umgebung gerät in Wallung, was Lanzelot aber in Angst und Schrecken versetzt, da er sich nicht mit Heiratsabsichten trägt. Seine Flucht führt ihn in ein Kloster, wo ihn die bargeldlosen Mönche (zwecks Erlangung der Mitgift) zu einem finsteren Plan überreden: Bei einem genialen Spielzeugmacher soll eine lebensechte mechanische Puppe angefertigt werden, die Lanzelot dann zum Schein heiraten soll. Was Lanzelot aber nicht weiß, ist, daß der Assistent des Spielzeugmachers die Puppe zerstört hat. Die Rolle der Puppe spielt dessen überaus echte Tochter Ossi, was zu Verwicklungen führt...
Ein ungewöhnlicher Vertreter des komödiantischen Dreiakters jener Tage, der vollständig in betont artifiziellen Kulissen spielt. Bevor die Handlung einsetzt, sieht man Regisseur Ernst Lubitsch, wie er Bäume und Menschen auf ein kleines Spielzeugland setzt, das daraufhin zur echten Filmkulisse wird – der Regisseur als Puppenspieler. Auch die Geschichte selber handelt von Charaden und Täuschungen: Der reiche Papi soll getäuscht werden mit einer unechten Frau; der Sohnemann wird getäuscht von einer unechten Puppe. Bis es zum Happy End kommt, vergehen 45 recht vergnügliche Minuten, die sehr profitieren vom komödiantischen Talent Ossi Oswaldas, die das diebische Vergnügen an der doppelten Täuschung, das ihre Figur empfindet, ungeschmälert auf den Zuschauer überträgt. Neben DIE AUSTERNPRINZESSIN und ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN mein ausgesprochener Favorit unter den frühen Lubitschen, wobei ich DIE AUGEN DER MUMIE MA noch nicht gesehen habe. Kommt heute abend dran.
Pola Negri, by the way, is also quite incredible in films such as SUMURUN, DIE BERGKATZE and MADAME DUBARRY. It's not easy to decide who the best Lu-bitch is, womit wir auch diesen dummen Kalauer über die Rampe gezerrt hätten. Hat mir auf den Nägeln gebrannt - sorry. (Uff.)
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#700
Geschrieben 03. Juli 2009, 12:37
Sir Oliver Tressilian hat sich in die reizende Lady Rosamund vom Schloß gegenüber verliebt und will sie ehelichen. Eigentlich müßte er als gute Partie gelten, zumal ihn die Queen gerade zum Söhr gemacht hat. Doch es hadert zwischen seiner und ihrer Familie, Neid und Mißgunst treiben Keile ins adelige Gebälk. Ganz schlimm wird es, als Olivers Halbbruder Lionel den Bruder von Rosamund erschlägt. Der untadelige Oliver hilft dem Gestrauchelten, doch er soll es bereuen: Aus Angst vor Enttarnung läßt Lionel den Bruder von Galgenstricken entführen und an die Mauren verkaufen. Freigemauert wird Oliver von den feindlichen Spaniern, unter denen er fortan eine Karriere als 1a-Galeerensträfling verfolgt. Dem einstmals hehren Oliver wächst ein eiserner Körper, allein die Seele geht verloren. Als er von Muselmanen befreit wird, schließt er sich ihnen an und bekämpft fortan spanische Schiffe, Jollen, Barkassen, um den Ruhm Allahs zu mehren. Doch als er hört, daß Rosamund ausgerechnet den verräterischen Bruder ehelichen will, wird es ihm zu bunt. Er schmiedet satanische Verse...
Der Stummfilm THE SEA HAWK hat mit dem späteren Errol-Flynn-Klassiker HERR DER SIEBEN MEERE (THE SEA HAWK) nichts zu tun, sondern ist die Verfilmung eines Werkes des durch seine Piratenromane bekannt gewordenen Rafael Sabatini. (Der schrieb u.a. auch die Vorlagen zu CAPTAIN BLOOD – der tatsächlich mit Flynn in der Hauptrolle verfilmt wurde – und THE BLACK SWAN.) Der 1924er SEA HAWK gehört neben THE BLACK PIRATE zu den ersten richtig großen „Swashbucklern“ und war ein für seine Entstehungszeit beeindruckend aufwendiger Film. Regisseur Frank Lloyd schuf in jenen Tagen so einige Großproduktionen, und während er sicherlich nicht zu den Filmpionieren der Griffith-Liga gehört, so zeichnen sich seine Filme durch ein Auge für attraktive Details aus. THE SEA HAWK wird trotz seiner 124 Minuten Laufzeit niemals langweilig, liefert im Anfangsteil saftiges – gelegentlich etwas christelndes – Melodram, das im Mittelteil durch die „Bekehrung“ des renegaten Edelmannes interessante Akzente erhält und auch reichlich Piratenaction liefert – Enterhaken ahoi! Es geht um Verrat, Familienzwist, die tragische Entwicklung eines aufrechten Mannes, Herzeleid und Haue, und damit hat man ja eigentlich alles beisammen, was man von solch einem Film erwartet. Einziges Manko ist, daß Hauptdarsteller Milton Sills zwar okay ist, aber natürlich kein kantiger Charismatiker vom Schlage eines Douglas Fairbanks oder eines Errol Flynn. (Vielleicht hätte er sich noch dazu entwickelt, wenn er nicht mit 38 Jahren beim Tennisspielen umgekippt wäre...) Für Fans von Piratenfilmen stellt der Film eine lohnende Anschaffung dar.
P.S.: Einen weitgehend komödiantischen Auftritt als saufender Galgenstrick hat Wallace Beery, dessen ihm extrem ähnlich sehender Neffe Noah später TV-Ruhm einheimsen sollte als Detektiv Rockfords Vater Rocky.
Bearbeitet von Cjamango, 03. Juli 2009, 12:38.
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#701
Geschrieben 03. Juli 2009, 13:48
Der Urenkel des ehrenwerten Dr. Henry Jekyll arbeitet an der Weiterführung der Studien seines berühmten Vorfahren. Er will ein Serum herstellen, das es ihm ermöglicht, die unterdrückten Aggressionen im Menschen freizusetzen. Sein Ziel ist eine Streitmacht von unbesiegbaren, da völlig hemmungslosen Schlagetots. Gleichzeitig hat er ein blondes Gift gekidnappt, das er sich gefügig machen möchte. Die hübsche Julie hat sich wenig kooperativ gezeigt, so daß er zu harten Drogen greifen muß, um ihr ungestraft an die Möpse zu packen. Und dann ist da natürlich noch der grenzdebile Afroamerikaner Boris mit der Narbe im Gesicht...
Was soll man von einer Jekyll/Hyde-Geschichte halten, die zu etwa einem Drittel aus schlechten Kung-Fu-Szenen besteht? Nichts? Das wäre eine Lösung! Und wohl auch angemessen, denn DUNGEON OF DEATH ist eine filmische Schrotthalde. Schade eigentlich, denn ich wollte das Ding schon lange mal sehen. Der Trashfaktor leidet auch ein wenig unter der Überbetonung des Kung-Fu-Motivs, das ja bekanntlich am Herzen von Stevensons Erzählung lag und hier geradezu monomanisch zu Tode geritten wird. Die Kämpfer sind die Versuchskaninchen, an denen Jekyll sein Serum austestet, und da er nicht nur ein atemberaubend schlechter Schauspieler ist, sondern obendrein ein Pfuscher, kloppen sie sich gefühlte 3 Stunden gegenseitig auf die Omme. (Scheinbar wählt Jekyll seine Testpersonen im Sportstudio um die Ecke aus, denn es handelt sich durchweg um wohldefinierte Männer und Frauen, die offensichtlich eine ausgiebige Ringkampf- bzw. Kung-Fu-Ausbildung genossen haben.) Die Handlung soll sich angeblich im Großbritannien der 1960er Jahre zutragen. Jekyll aber bewohnt ein Haus, das vollgestellt ist mit viktorianischem Zinnober. Außerdem reden alle Charaktere fortwährend gestelzt, der Vater von Jekylls Gefangener in akzentfreiem Britisch, Jekyll und alle anderen Schmierenchargen aber ohne jeden britischen Einschlag. Der Schmierist, der Jekyll mimt, ist ohnehin eine Schau: Abgesehen davon, daß sein Mienenspiel und sein Gehampel bei jeder Schultheateraufführung Buhrufe hervorlocken würden, sieht er aus wie der Pralinenvorkoster des Sultans von Schischkebab. Die Suche nach Drogen liegt bei solch einer verkrachten Existenz nahe, doch sollten es dann doch solche sein, die ins glückseligmachende Nirvana führen. Der Darsteller des Vaters von Julie ist auch eine ziemliche Nulpe, hat aber gelegentlich amüsant pathetischen Dialog aufzusagen, á la: „No, Jekyll, you are a monster, a fiend! I will never participate in this monstrosity! This is madness!“ Die ganze Zeit geht das so. In der IMDb hat ein Rezensent sehr zutreffend geschrieben, daß dies einer jener Filme ist, die man nur in Häppchen von ca. 20 Minuten durchbekomme. Man schaue aber immer weiter, da man wissen will, zu welchen Tiefen das Drehbuch noch absinkt. Er vergleicht das mit einem Bus voller Waisenkinder, dessen Bremsen versagt haben und der den Berg herunterkollert, in den sicheren Tod. Das trifft es eigentlich ganz gut...
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#702
Geschrieben 04. Juli 2009, 16:01
Nachdem Weltraumschiff MR-1 auf dem Mars gelandet ist, gibt es Probleme unbekannter Art. Der Kontakt bricht ab, das Raumschiff wird abgeschrieben. Völlig unerwartet ergeben sich aber Möglichkeiten, den Ausreißer wieder auf die Erde zurückzuholen. Die einzige Überlebende (wie es scheint) erzählt eine haarsträubende Geschichte...
Tja, von allen 50er-Jahre-SF-Trashern gehört THE ANGRY RED PLANET noch zu den genießbarsten, hat man sich erst einmal damit abgefunden, daß man es nicht mit einem ALARM IM WELTALL zu tun hat... Wie hanebüchen das Drehbuch auch sein mag, wie unterirdisch die Schauspielerleistungen und wie grotesk die Spezialeffekte – der Film serviert seine kunterbunten Attraktionen mit großer Schaustellerchuzpe und im wahren Geist des Exploitationkinos. Regisseur Ib Melchior – ein gebürtiger Däne – hatte den klugen Einfall, die schebbigen Kulissen zumindest in den Mars-Sequenzen durch ein speziell entwickeltes Trickverfahren – das großspurig „Cinemagic“ oder so genannt wurde – zu verfremden, so daß auch die teilweise im Marionettenverfahren animierten Monster einigermaßen „spooky“ aussehen. Tatsächlich sind die Marsbewohner recht erinnerungswürdig – die riesige Fledermaus-Spinne schaffte es ja sogar auf das Cover einer „Misfits“-Platte! Es gibt zudem noch einen Killerbaum und einen Riesenoktopus zu bewundern. Das finale Ungetüm ist eine gigantische Amöbe, die vermutlich nicht von ungefähr an handelsübliche Götterspeise erinnert. Der Film präsentiert in exemplarischer Weise bekannte Versatzstücke der damals gängigen Science Fiction. Es gibt natürlich eine, na ja, schöne Frau, die sich in der Männerwelt behaupten muß: Naura Hayden als rothaarige Wissenschaftlerin sieht aus, als könne sie einen Erlenmeyerkolben nicht von einer Gießkanne unterscheiden. Physisch ähnelt sie einer Mischung aus der jungen Alida Valli, Ingrid Bergman und einem Hutständer, wobei sie sich schauspielerisch eher an dem Hutständer orientiert. Ich habe hölzerne Indianer gesehen, die lebendiger wirkten. Als Held fungiert Gerald Mohr, der militärische Tausendsassa, der sich immer hübsch in Positur schmeißt, die Hand an der Hüfte. Die anderen beiden Mannsbilder sind nur dazu da, damit sich die Virilität des Helden so richtig schön erweisen kann. Besonders tragisch ist das im Falle des sogenannten „Sicherheitsoffiziers“ Sammy. Als ich den Film einmal mit Cora kuckte, schenkte sie mir den Begriff „Debiler Kindmann“, der einen Typus bezeichnet, dem man in der Tat in vielen Filmen dieser Art begegnet. Er ist der nette Einfaltspinsel, der niemals die Frau bekommen darf. Tatsächlich kaspert er einige Male klassenclownesk vor dem hölzernen Indianer herum, wobei schon klar ist, daß die Wissenschaftlerin den strammen Militärmax bevorzugt. Der debile Kindmann darf auch von allen anderen angetatscht werden. In einer besonders tollen Szene stützt sich der Held sogar mit seinem Ellenbogen auf dem DK ab, seine Dominanz durch einen infamen Akt stummer Demütigung unterstreichend. Der DK ist eine arme Sau. Der ältere Wissenschaftler, auf der anderen Seite, stellt so etwas wie den impotent gewordenen Helden dar. Ein Wunder, daß er im Raumschiff nicht auch noch eine Pfeife raucht! Kurzum, ein angemessen temporeicher und pittoresker Billig-Schlocker, der gerade im Rahmen einer „Science Fiction Classic Box“ („Über 370 Min. Laufzeit!“) veröffentlicht wurde. Dort heißt er „Abenteuer auf dem Mars“. Ich weiß nicht, ob das so richtig ist, daß der Vorspann fehlt, aber ansonsten war er komplett, die Qualität okay, und für 11 Euro stelle ich keine Fragen, zumal noch zwei japanische SF-Filme plus eine David-Winters-Arschbombe mit Reb Brown, John Phillip Law UND Cameron Mitchell mit drauf waren... Latte bis ans Kinn!
Bearbeitet von Cjamango, 04. Juli 2009, 16:04.
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#703
Geschrieben 04. Juli 2009, 23:29
Irgendwo in Nevada. Zwei verfeindete Klans – der Einfachheit halber in Rot und Weiß gewandet – machen eine Kleinstadt unsicher. Beide suchen nach einem legendären Goldschatz, doch wichtiger als das Gold ist der alltägliche Schrecken, den sie säen. Da kommt ein geheimnisvoller Fremder in die Stadt...
Tja, von YOJIMBO zu FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR und wieder zurück... Daß von Takashi Miike keine simple Genrekost zu erwarten wäre, war klar gewesen. Das Ergebnis ist Cilcus Klone bzw. eine Asienshow von André Heller, bei der André Heller beide Eier weggeschossen werden. Eigentlich keine schlechte Sache also. Von der extrem überreizten Anfangsszene mit Quentin Tarantino als Revolvermann Ringo bis zum aufregenden Showdown wirbelt alles wild durcheinander. Normalerweise hätte ich den Film hassen müssen, da mir solche Hochoktanübungen – zudem in nachbearbeitete Knallbuntbilder gehalten – arg zuwider sind. Aus irgendeinem Grund zündete SWD aber bei mir, da er dem Gaststar Tarantino eines glänzend nachmacht – aus völlig disparat scheinenden Elementen etwas Neues formen. Einen Wilden Westen zu konstruieren, der von japanischer Architektur geprägt ist und in dem praktisch nur Asiaten herumlaufen, ist gar nicht so abstrus, wie es klingen mag. Die Italiener hatten einst ihre eigene Konzeption der amerikanischen Pionierzeit feilgeboten, oder, genauer: ihre Version der Hollywood-Abbildung besagter Pioniertage. Takashi Miike mixt nun die Klischees des klassischen Samurai-Epos mit jenen des Spaghettiwesterns. Heraus kommt ein wilder Hybride, der eigentlich sich selbst zum Trotz funktioniert. Als ein wenig störend empfand ich lediglich die spielerische Attitüde, die den Film durchzieht. Manchmal wünsche ich mir doch, Miike würde mal wieder etwas komplett Ironiefreies machen. (Das kann er nämlich auch, siehe GRAVEYARD OF HONOR.) Ich finde das Ergebnis aber deutlich netter als die entsprechenden Post-Tarantino-Werke von Robert Rodriguez, deren chronische Augenzwinkerei immer etwas Besserwisserisches und Großtuerisches an sich hat. Tante Meta und ihre Ebene sind bei Miike noch ein bißchen niedlicher verpackt, trotz all des Blutes. So bedient sich der Anführer der „Roten“ bei Shakespeares „Heinrich VI.“, weil da angeblich alles drin sei. (Hadder ja irgendwo recht!) Seinen Untergebenen befiehlt er bei Todesstrafe, ihn nur noch „Heinrich“ zu nennen... Die japanischen Cowboys sind übrigens genauso generalprimitiv wie ihre italienischen Gegenstücke und verstehen von solchen Geschichten nur Bahnhof. Was gibt's noch? Es gibt einen kleinen Jungen, der seine Sprache verloren hat, als er die Ermordung seines Vaters miterlebte. Es gibt eine rattenscharfe, wenn auch in die Jahre gekommene Revolverheldin, die Schluß macht im Quadrat. Es gibt Anspielungen auf mindestens ein Dutzend bekannter Western. Es gibt Leichen ohne Ende. Und am Schluß ertönt eine japanische Version des berühmten „Django“-Schluchzers von Enriquez Bacalov. Nach anfänglichem Schluckauf, der sich bald legte, habe ich mich prima amüsiert. Kann ich nicht anders sagen...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#704
Geschrieben 06. Juli 2009, 12:18
Gegen Ende der Tokugawa-Periode herrschen soziale Unrast und adelige Willkür. Nach außen hin will das Land sich dem Westen angleichen, aber in Wirklichkeit sucht jeder nur nach seinem eigenen Vorteil. Zusätzlich sorgt ein neues Wehrgesetz für Ungerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund kommt es zu einem abscheulichen Verbrechen. Ein Kind der Rache wird geboren – Yuki Kashima, genannt „Lady Snowblood“. Blutrot ist der Haß in ihrem Herzen, blutrot ist der Schnee, auf dem sie wandelt. Sie wird nicht Ruhe geben, bevor das Unrecht bis zum letzten kosmischen Staubkorn getilgt ist...
Eine weitere Inspiration für Quentin Tarantinos KILL BILL. Anders als die KOSURE OKAMI-Reihe, die stilvoll vor sich hin mäandert, sind die Bahnen, die Lady Snowblood in ihrem Tun lenken, präzise und von der Klarheit eines Bergsees. Ihre ganze Existenz ist ein Gedicht an die Rache, ein Versuch, Sinn zu schaffen, wo kein Sinn herrscht. Vom ersten Moment an, wenn die Schmerzensschreie der Mutter und die Geburtsschreie des Kindes durch das Gefängnis gellen, führt das Schicksal die Feder, unterstützt von einem Chronisten, der die Geschichte der Vergeltung in vier Kapitel einbindet. Der prachtvoll fotografierte Film gehört zu jenen Leinwandwerken, bei denen mir einfach nur noch die Kinnlade herunterklappt, so überwältigt bin ich von der Schönheit des Gezeigten. Ob Schnee sachte herniederrieselt oder sich Menschen in Springbrunnen verwandeln – alles gehört zusammen, fügt sich zusammen, mit der Rächerin als Erfüllungsgehilfin des unaufhaltsamen Ablaufs der Dinge. Die wunderschöne Meiko Kaji war auch in den glänzend gemachten FEMALE PRISONER SCORPION-Filmen zu sehen. Hier spielt sie eine Heldin, die nicht selbst Geschichte schreibt, sondern ein Werkzeug von Mächten ist, die ihren Ursprung wie ihr Ende bedeuten. (Hierzu sei vermerkt, daß sie auch in der gleichfalls schönen Fortsetzung zu sehen war.) Das ist einfach prachtvoll anzuschauen. Bin einmal mehr begeistert!
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#705
Geschrieben 08. Juli 2009, 09:16
Zwei junge Damen befinden sich auf einem Autotrip durch das amerikanische Hinterland, und zwar dort, wo es am hinterlandigsten ist. Ein geborstener Kühler zwingt sie zur Saumseligkeit. Da sie den Film LAST HOUSE ON THE LEFT nicht gesehen haben, reagieren sie enthusiastisch, als sie einer Horde gesellschaftlicher Randexistenzen begegnen. So sind sie auch sehr überrascht, als sie auf einmal als Gratisbeilage eines Hillbilly-Drogendeals herhalten müssen. Sie gehen durch die Hölle, und da es dort sehr heiß ist, haben sie sehr wenig an dabei.
Bei WRONG WAY handelt es sich angeblich um eine Legende aus den frühen Tagen der britischen Videoindustrie, lange bevor es so etwas wie „Video Nasties“ gab. Möchte man den Film genretechnisch einordnen, bietet sich „rape & revenge thriller“ an, nur daß es hier keine Revenge gibt – die bösen Hinterwäldler steigen in einen Wagen und werden nicht mehr gesehen! Statt der vollen Jungfrauenquell-Packung setzt es dann einen überraschenden Nachklapp, in dem die Mädels einer der unspektakuläreren Hippie-Sekten in die Arme laufen, die gerade dabei ist, einen Leichnam zu verscharren. Der Sektenführer hat einen lustigen Umhang an und sieht aus wie der Zauberer Zwackelmann. Auch hier dominiert alternative Freizeitgestaltung, die dann abrupt endet, als das ursprünglich abgedrehte Filmmaterial scheinbar erschöpft war. Statt einer Auflösung lernen wir auf einmal zwei alte Männer kennen, die unglaublich viel Brillantine im Haar haben und eine unter Drogen gesetzte Nymphomanin mit sich führen. Mit jener setzt es dann eine der unappetitlichsten Sexszenen, die ich jemals bezeugen durfte. Ich sage „durfte“, weil das tatsächlich so igittigitt ist, daß ich vorm Fernseher laut lachen mußte. Speziell eine Einstellung, in der das Genital des einen Schmierlappens unterhalb eines faltigen Hinterteils herunterbaumelte, riß mich zu einem Lachkrampf hin. (Zitat Mitkucker: „Ist das sein Dödel oder ist das ein Ei?“ Wohl eher letzteres, aber ich möchte es nicht beschwören...) Die Vergewaltigungsszenen sind ausgewalzt, aufgrund der raffiniert eingestreuten Hippie-Trällereien und der verhascht grinsenden Gesichter der Darsteller aber nicht so anstößig, wie das hier klingt. Die Drogendealer sind übrigens sehr pittoresk: ein schlaksiger Hanswurst und ein dicker Rocker, der für sein Leben gerne Eier aussaugt. Sobald es sich herausmendelt, daß die Ereignisse entgleisen, geben sie auch Fersengeld. Die Filmmusik ist trotz (oder gerade wegen) ihrer grotesken Deplaziertheit sehr eingängig und geht noch lange mit einem um, auch wenn man sich das eigentlich nicht wünscht. Besonders hübsch ist ein Song, in dem ein offensichtlich komplett zugedröhnter Zeitgenosse Profunditäten absondert über die Leere, die in den Menschen rasselt. Wer dieses merkwürdige Machwerk verbrochen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. In den Credits wird wahlweise ein Ray Williams oder ein Ron Kelly angegeben. Da verschiedene der Darsteller für Softsex-Entrepreneur und Ed-Wood-Weggefährte A.C. Stephens (ORGY OF THE DEAD!) gearbeitet haben (René Bond und Ron Darby) und der Film auch von dessen Vertrieb betreut wurde, mutmaße ich, daß Herr Stephens hier vermutlich das Material zu einem nicht fertiggestellten LHOTL-Klon besaß und einige Szenen nachdrehte, u.a. den Epilog mit den beiden Schmiergangstern und ihrer Nymphomanin, die sich ein ganz unglaubliches Feuergefecht mit Provinzpolizisten liefern. Außerdem gibt es einen seinen Dialog hauptsächlich improvisierenden Sheriff, der auch schon gerne mal minutenlang in Büschen herumkraucht und sinnlose Dinge in Funkgeräte spricht. Das Schicksal der Hippies um Zauberer Zwackelmann wird in geraffter Form und ohne Originalton dargestellt, untermalt vom Gesülze des wackeren Gesetzeshüters. Gemessen an der Ekelhaftigkeit und Dummdreistigkeit neuerer LHOTL-Epigonen ist WRONG WAY fast schon niedlich, was aber nicht an der grundhumanistischen Gesinnung seiner Macher liegt, sondern am obwaltenden Dilettantismus, der die abstoßenden Ereignisse in den Bereich des absurden Theaters rückt. Wie Immo sagen würde: „Ich lehne den Film politisch ab.“ Gleichzeitig kann ich aber auch nicht sagen, daß mich die 75 Minuten Lebenszeit, die ich mit ihm verbracht habe, reuen. Und die beiden faltigen Schmierglatzen aus der drangetackerten Zusatzhandlung sind wirklich ganz großes Kino. So möchte wirklich niemand enden, aber wenigstens hatten sie ihren Spaß...
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#706
Geschrieben 08. Juli 2009, 12:33
Jessie, ihr Bruder Alan und Eddy sind drei Proletarier, die dem Pleitegeier ein Schnippchen schlagen wollen. Um dies zu erreichen, entführen sie die junge Candy, von deren Vater – einem Juwelier – sie Geld erpressen wollen. Da es sich zumindest beim Geschwisterpaar um waschechte Soziopathen handelt, gestaltet sich die Durchführung zu einem Inferno an Mißgeschicken. Zudem ist dem Vater gar nicht so sehr daran gelegen, daß seine Tochter wieder auftaucht...
Eine richtig angenehme Überraschung! THE CANDY SNATCHERS ist ein ungewöhnlich spannender Entführungsthriller, der exemplarisch aufzeigt, wie man mit wenig Geld und einigen guten Einfällen aus einer alten Prämisse einen interessanten Film basteln kann. Hauptverantwortlich hierfür ist das Drehbuch, das selbst Nebenfiguren gut motiviert und von einem Pessimismus in bezug auf die Menschheit durchzogen wird, der schon atemberaubend ist. Eine Nebenfigur etwa ist ein kleiner autistischer Junge (gespielt vom Sohnemann des Regisseurs!), der zwar den Ort herausbekommt, wo die Asis ihr Opfer vergraben haben (mit sehr begrenztem Luftvorrat), aber mit der Information nicht viel anfangen kann, da er halt ein besonderes Kind ist. Seine Mutter ist zudem eine selbstmitleidige Hysterikerin, die ihren Jungen mit Downern abfüllt und ihm sogar androht, ihn endgültig ruhigzustellen... Die Darstellerleistungen sind für ein Autokinoprodukt seiner Zeit ungewöhnlich gut. Gekannt habe ich nur Tiffany Bolling, die die Playmate-Soziopathin spielt. Die Musik erinnert stark an TV-Krimiserien der 70er, doch das Drehbuch versieht die durchweg fesselnde Handlung mit einigen TV-inkompatiblen Härten, die aber niemals eine gewisse Grenze überschreiten und den Film auf den Level von Gewalt-Exploitation absacken lassen. Der Schluß ist ein völliger Kracher! Regisseur Guerdon Trueblood verdingte sich später als Drehbuchschreiber für zahlreiche TV-Projekte. THE CANDY SNATCHERS bleibt seine einzige Regiearbeit für die große Leinwand. Die spanische DVD enthält die englische Tonspur und ist von höchstens mittlerer Qualität. Angemerkt sei, daß sie biegsam ist wie ein Bierfilz – so eine DVD habe ich noch niemals in Händen gehalten... Für Fans solcher Filme eine lohnende Anschaffung!
P.S.: Im Schlußakt gibt es einen unglaublichen Anschlußfehler, was aber kaum eine Rolle spielt. War nur lustig...
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#707
Geschrieben 09. Juli 2009, 17:43
Ray und Ken sind zwei irische Profikiller, die nach einem Job von ihrem Auftraggeber nach Brügge geschickt werden. Während sich der junge Ray schwer langweilt und der Meinung ist, daß es in Belgien nur Pommes und Kinderschänder gibt, genießt der etwas erfahrenere Ray die baulichen Schönheiten der verkannten Weltstadt. Es könnte ein wunderschöner Erholungsurlaub für die beiden sein, wäre da nicht ein neuer Auftrag: Ken soll ausgerechnet seinen Kumpel auspusten. Das wird aber reichlich kompliziert...
Da mich bereits das Kinoplakat angesprochen hatte, wagte ich mal einen Blindkauf, und selten habe ich einen so guten Riecher gehabt: IN BRUGES ist ein extrem elegant geskripteter und inszenierter Film, der den Unterschied zwischen hektischer Effekthascherei und wirklichem Stil glänzend aufzeigt. Das eigentümliche Verhältnis der beiden Hauptfiguren – erstklassig gespielt von Colin Farrell und Brendan Gleeson – wird ebenso interessant wie facettenreich entwickelt. Obwohl der Film als sehr schwarze Komödie angelegt ist, nimmt er seine Protagonisten sehr ernst und gibt den Schauspielern einiges, um ihre Qualitäten aufzuzeigen. Die ruhige Stadt Brügge als ebenso pittoresker wie provinzieller Hintergrund ist ein an sich bereits ironischer Kommentar auf die mondänen Schlagetotbemühungen, die man für gewöhnlich in heutigen Gangster- und Agentenfilmen aufgetischt bekommt. Ray und Ken bekommen in der Auszeit ihres Urlaubes mal so richtig Gelegenheit, nach innen zu schauen und nach all den Dingen zu kucken, die sie ihr aufregender und moralisch nicht unkomplizierter Beruf für gewöhnlich ignorieren läßt. Das Resultat ist eine unterhaltsame Schlingerfahrt auf einen sehr aufregenden Showdown zu, den auch noch Ralph Fiennes als reichgewordener Prollgangster mitbestreitet – ebenfalls grandios. Hervorzuheben wäre auch noch die tolle Musik von Carter Burwell. Es gibt rein gar nichts, was an dem Film auszusetzen wäre – ein richtiger Kracher!
Bearbeitet von Cjamango, 09. Juli 2009, 17:46.
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#708
Geschrieben 10. Juli 2009, 17:39
Ben (Robert de Niro) ist Filmproduzent und als solcher Schausteller auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Zumindest auf dem Papier, denn Bens Job beinhaltet immer das Risiko, vom einen Moment auf den anderen zum Schiffsschaukelbremser degradiert zu werden. So muß er sich mit einem deutlich an Abel Ferrara angelehnten Kunstregisseur herumschlagen, der einen hanebüchenen Actionfilm mit Sean Penn fertigstellen muß. Er muß Bruce Willis dazu kriegen, daß er seinen Bart abrasiert, mit dem er aussieht wie der verdammte Weihnachtsmann. Er steht in Verhandlungen über ein undankbares Projekt, in dem Brad Pitt einen Floristen spielen soll. So gesehen ist auch der Job des Zuckerwatteverkäufers eine Option...
INSIDE HOLLYWOOD habe ich mir auch mal auf gut Glück mitgenommen. Bei der Besetzung konnte eigentlich nicht viel schiefgehen. Das angepeilte Ziel – die Robert-Altman-Liga – verfehlt er etwas, und so gut wie Levinsons eigener WAG THE DOG ist er auch nicht, weil er etwas zu sehr in der Gegend herummäandert. (Lustiges Wort, nicht?) Aber er ist geistreich geschrieben, hat das Herz auf dem rechten Fleck und ist durchweg amüsant. Einige Male habe ich schallend gelacht. Erwachsene Männer weinen zu sehen, weil jemand seinen Bart abrasiert oder auch nicht – das gibt es wohl nur in Hollywood! (Und ja, Willis sieht aus wie Friedrich Engels, Karl Marx und Siggi Freud in Personalunion...) Die Botschaft des Filmes ist nicht neu: Um in Hollywood zu bestehen, muß man aufhören, ein Mensch zu sein und Vollprofi werden – ein erfolgreicher Profi, ein erfolgloser Profi, aber eben kein Mensch mehr. Menschliche Züge werden mit dem Ratzefummel ausradiert, und wenn wo was zwackt, hagelt es Amphetamine und andere Leckerli aus Doctor Feelgoods Bauchladen. Robert de Niro beweist erneut, daß er „es“ hat. Der kann 100 Jahre alt werden und wird immer noch beeindruckend aussehen. Selbst als Rumpelstilzchen wäre er noch imposant. Neben Willis und Penn sind auch noch John Turturro und Stanley Tucci dabei. Besonders gut gefiel mit Catherine Keener (die böse Mutter aus AN AMERICAN CRIME) als völlig skrupellose Karrierefrau. INSIDE HOLLYWOOD ist in jeder Beziehung ein Selbstläufer und eine jener kleinen selbstbezogenen Maso-Übungen, die sich Hollywood beizeiten leistet. Ben/de Niro, auf dem Gipfel der lebensanschaulichen Verwirrung: „Im Grunde genommen ist das Leben schön.“
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#709
Geschrieben 11. Juli 2009, 17:45
In einem einsam gelegenen Wachtposten an der Grenze zu Nordkorea kommt es zu einem blutigen Massaker. Wie es scheint, hat ein Offizier seine gesamte Mannschaft umgebracht. Ein weiterer Offizier soll nun herausfinden, was zu der Katastrophe geführt hat. Dabei findet er heraus, daß das Blutbad nur der Auftakt war für eine Entwicklung, die auch ihn mit einschließt...
Nach dem ordentlichen Kriegs-Geisterfilm R-POINT der zweite Grusler des Südkoreaners Kong Su-chang, und trotz einiger Schwächen ist er ihm deutlich besser geraten. Die Stärken des Filmes liegen im geschickten Aufbau einer paranoiden und klaustrophobischen Atmosphäre. Während es draußen in Strömen gießt, greift in den grauen, schmuddeligen Korridoren des Militärbaus der Wahnsinn um sich. Man weiß nicht, wen es als nächsten erwischt. Die Story ist schwerlich neu, aber sie funktioniert ziemlich gut, zumal die Zusammenballung männlicher Neurosen, die bei einem Militärschauplatz nun mal naheliegt, ein fruchtbarer Nährboden ist für latente Aggressivität und rote Sturzbäche, wenn diese schließlich ausbricht. Allerdings wäre ich in diesem einen Fall durchaus dankbar für eine amerikanische Neuverfilmung, zumal es mir zunehmend schwer fiel, die Figuren auseinanderzuhalten. Das liegt wohl teilweise an meinen westlichen Kuckgewohnheiten, die mich sehr abhängig machen von besonders ins Auge stechenden Unterschieden in Physiognomie oder Kleidung. Aber teilweise war es auch die etwas verwirrende Rückblendentechnik des Filmes, die mir den Zugang erschwert hat. Auch so fand ich THE GUARD POST aber rattenspannend. Nach dem spanischen [REC] ein weiterer nervenstrapazierender Klaustrophobieschocker, und daß die Sabberköpfe hier bis an die Zähne bewaffnet sind, macht sie nicht eben ungefährlicher...
Bearbeitet von Cjamango, 11. Juli 2009, 17:47.
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#710
Geschrieben 15. Juli 2009, 14:38
Roy Earle (Humphrey Bogart) hat 8 Jahre wegen Banküberfalls eingesessen. Nach seiner Entlassung hat er sofort wieder ein heißes Eisen im Feuer: Ein Hotel in einem schwerreichen Kurort soll um den Inhalt seines Safes erleichtert werden. Schon die Vorbereitungen erweisen sich als kompliziert, da nicht alle Mitstreiter so professionell sind wie Earle. Außerdem ist da noch die schöne Marie (Ida Lupino), an der sich die Gemüter erhitzen. Bei der Durchführung des Plans klappt auch nicht alles so, wie sich die Gangster das gewünscht hätten. Doch die wahre Feuertaufe erfolgt erst, als die Polizei Earle aufspürt. Sein Fluchtweg führt ihn ins Gebirge, in die Sierras...
HIGH SIERRA stellt so etwas wie ein Verbindungsglied zwischen dem ruppigen Gangsterfilm der 30er Jahre und der „Film Noir“-Tradition des darauffolgenden Jahrzehnts dar. Der rauhe Glanz, den Schauspieler wie James Cagney oder George Raft ihren Ganoven verliehen, wich spürbar einer psychologischen Betrachtungsweise, die sich nicht so sehr am von der Wirtschaftskrise angeknacksten Wunschdenken der amerikanischen Zuschauer orientierte, sondern an der Einsicht in die irrationale Natur des Menschen, die sich gerade im Zweiten Weltkrieg austobte. Die Figuren des Filmes sind Leute, deren Wunderland ein für allemal abgebrannt ist, die nur noch raus wollen aus ihren beklemmenden Verhältnissen. Das erstklassige Drehbuch von John Huston handelt fast nur von solchen Menschen: Roy Earle ist ein professioneller Krimineller, der fast gar keine Eigenschaften hat, die ihn rehabilitieren könnten. Man bekommt aber zunehmend mit, wie sehr er sich im Grunde nach einem Ausweg sehnt. Als er die verkrüppelte Farmerstochter Velma kennenlernt, spendiert er ihr die Operation, die ihr wieder ein unbeschwertes Leben ermöglicht. Sein Hintergedanke dabei ist natürlich, daß er sie heiraten und sich zur Ruhe setzen möchte – ein Stück Unschuld in einem Leben voller Mist. Doch ist dieser Wunsch zum Scheitern verurteilt. Sein Schicksal ist Marie, die ihrerseits eine miese Vergangenheit hatte und sich jetzt freistrampeln will. Man merkt ihrem Charakter an, daß sie es durchaus ehrlich meint – innerhalb gewisser Grenzen. Sie ist loyal, aber sie greift natürlich nach jedem Strohhalm. Auch ihr Traum ist ein unrealistisches Konstrukt, das im aufwühlenden Finale in sich zusammenbrechen muß. (Stichwort: Hund des Todes!) Sieht man einmal von Willie Bests üblichem Spaßauftritt als Neger vom Dienst ab (der dem Zeitgeschmack entsprach), ist HIGH SIERRA bemerkenswert gut gealtert und reißt auch heute noch jeden Schneemann vom Schlitten. Einer der ganz großen Filme Raoul Walshs, der als Spezialist für actionzentrierte Filme über Männer in widrigen Umständen galt. Außerdem der Film, der Humphrey Bogart die Rollen schenkte, für die man sich an ihn bis zum heutigen Tag erinnert. Ein Meisterwerk!
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#711
Geschrieben 16. Juli 2009, 13:15
Louise Howell (Joan Crawford) ist eine ebenso leidenschaftliche wie leidensfähige Frau. Beruflich arbeitet sie als Privatkrankenschwester und kümmert sich um die gemütskranke Frau von Dean Graham (Raymond Massey). Privat aber hat sie sich mit Haut und Haaren in den jungen Architekten David Sutton (Van Heflin) verliebt. Diese Liebesbeziehung hat sich zu einer Form von Hörigkeit entwickelt: Je mehr der egozentrische Lebemann sich von ihr abgrenzt, umso mehr klammert sie sich an ihn und scheut keine Demütigung. Daß David diese Situation sogar zu genießen scheint, ist ungünstig, vor allem, nachdem Grahams Frau scheinbar Selbstmord begangen hat und Louise aus Verzweiflung den älteren Mann heiratet. Und schon bald wird auf dem Triangel der Trauermarsch gespielt...
POSSESSED ist ein gut gemachtes Produkt jener Tage, in denen die Psychoanalyse Einzug in das Hollywoodkino hielt. Neben deutlichen Anklägen an Hitchcocks REBECCA ist es vor allem SPELLBOUND, dessen sehr pittoreske Auslegung von Freuds Lehren sich in der Gefühlssuppe wiederfindet, in der die Protagonisten hier waten. Der Gefahr, zu einer kitschigen Seifenoper zu degenerieren, entgeht POSSESSED durch die sehr präzise Regie des in Worms geborenen Curtis Bernhardt, den das Nazi-Regime aus seinem Heimatland vertrieb. (Tatsächlich war Bernhardt bereits von der Gestapo verhaftet worden. Es gelang ihm aber die Flucht.) Im Mittelpunkt seiner Inszenierung stehen die Schauspielerleistungen, die eingerahmt werden von sorgsam ausgeleuchteten Noir-Bildern, von Innenräumen, an deren Wänden sich die Seelenbewegungen der Figuren widerspiegeln. Joan Crawford muß ihre Rolle sehr genossen haben, denn sie spielt Louise mit furchterregender Intensität. Man kann sich sehr gut vorstellen, daß es nicht ratsam war, sich mit der Schauspielerin anzulegen. Van Heflin ist ein gewissenloser Hajupei, dem man zu Anfang noch zugutehalten kann, daß er einfach andere Bedürfnisse hat als seine Geliebte, aber sein Verhalten riecht dann doch zunehmend nach Vorsatz – er genießt die Abhängigkeit der Frau und ihr langsames Stromern in die Psychose. Raymond Massey – ein vorzüglicher Schauspieler – hat den sympathischsten, wenngleich traurigsten Part, da er einsam ist und eigentlich nur einen Menschen an seiner Seite möchte, und das ist sowohl bei der Tochter wie bei der alten wie der neuen Gattin nicht vom Glück bestrahlt. Insgesamt solide, wenngleich der Schwerpunkt eher auf gotischem Psychodrama als auf Thriller liegt.
P.S.: Die alte TV-Sychro entzückte mich mit dem Satz „Das sind die Pläne einer neuen Crack-Anlage, die Mr. Sutton für mich baut!“ Nein, Crack möchte man Louise nicht auch noch geben... Ich baue nur sehr ungern Fotos in meine Reviews ein, aber hier kann ich nicht anders:
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#712
Geschrieben 16. Juli 2009, 20:13
Jeff Warren (Glenn Ford) ist gerade aus dem Koreakrieg zurückgekommen und tritt in seiner Heimatstadt den alten Job als Eisenbahner wieder an. Ein Zufall führt ihn Vicki Buckley in die Arme, die gerade Ärger mit ihrem Ehemann Carl hat. Carl ist auch bei der Eisenbahn, aber im Gegensatz zu Jeff ist er alt, fett und Alkoholiker. Außerdem ist er rasend eifersüchtig und hat gerade einen Liebhaber von Vicki umgebracht. Ein belastender Brief kettet Vicki nun an ihren ekligen Gemahl. Da kommt Jeff gerade recht, der zu ihr in stürmischer Liebe entbrennt. Immer mehr jedoch gewinnt er den Eindruck, sie wolle ihn benutzen, und zu was, sollte bei dieser Sorte von Film klar sein...
HUMAN DESIRE basiert auf Zolas „La bête humaine“ und entstand kurz nach HEISSES EISEN und GARDENIA, zwei exzellenten Noir-Filmen von Fritz Lang. Ich bin um dümmliche Wortspiele ja niemals verlegen und würde am liebsten sagen, der Film wäre nur zolala, aber mal halb Lang. Daß der Film was reißt, liegt schon mal an der Besetzung: Glenn Ford war nach HEISSES EISEN und Premingers GILDA auf Noir-Filme abonniert, was sicherlich auch an seinem samtenen Dackelblick liegt. Man nimmt ihm den gutaussehenden Everyman, der sich in eine mysteriöse „femme fatale“ verliebt, nur zu gern ab. Gloria Grahame hingegen war genau die Art von spröder Schönheit, der man die kompromittierte Heldin abnimmt. Und natürlich ist sie manipulativ bis zum Gottserbarmen, wenngleich man sich niemals ganz sicher ist, ob sie das auch so sieht. Es entspricht ihrem Naturell, nach jedem Strohhalm zu greifen, und sie zieht wahrlich alle Register. Man füge noch Broderick Crawford als simpel gestrickten Brutalo hinzu, lasse das Ganze kurz aufkochen, dann hat man eine nicht überragende, recht schlichte, aber zwingend konstruierte Noir-Mordstory im Fahrwasser von FRAU OHNE GEWISSEN und all den anderen Thrillern der Periode, in denen Dackelblickbesitzer auf gefährliche Frauen reinfallen. Was soll ich sagen – so was gefällt mir besser als DER TIGER VON ESCHNAPUR...
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#713
Geschrieben 16. Juli 2009, 23:11
Meine z.Zt. 176 Myspace-Freunde können froh sein, diesen Film nicht in meiner Gesellschaft gekuckt zu haben, denn dann wären sie von einer ununterbrochenen Flut von böswilligen Kommentaren genervt worden. Ich habe mich gefragt, wie man eine schwachbrüstige Vorlage wie FRIDAY THE 13TH verhunzen kann. Das ist gar nicht so leicht. Bei Lichte besehen war auch Sean S. Cunninghams Film bereits sehr langweilig, da er eine komplette Reduktion auf Hampelmänner und Hampelfrauen darstellte, die durch den dunklen Tann laufen, um dort fachgerecht zerhäckselt zu werden. Abgesehen davon, daß der alte Film bei mir einen gewissen Nostalgiebonus besitzt, hat er die Finesse einer Abrißbirne und zwischen den Schlachtungen immens viel Leerlauf. Von Nispels Remake habe ich nun erwartet, daß statt der unartigen Pfadfinder des Originals eine ganze Horde von Daytona-Beach-Asis aufläuft, die die ganze Zeit über völligen Tönjes reden und dazwischen kiffen, saufen und poppen. Das faßt das Remake tatsächlich recht gut zusammen, wenn man mal davon absieht, daß es auch hier eine Menge Leerlauf gibt, vor allem zum Anfang hin. Nach einem etwa 20-minütigen Aufwärmer wird Frischfleisch herangekarrt, und dann passiert erst einmal gar nichts. Bei einem Drehbuch mit richtigen Charakteren könnte man von einer verzögerten Exposition reden. Hier aber hat man es eher mit klassischer Langeweile zu tun, trotz all des Radaus und Nispelgeknispels. Am Regisseur liegt es nicht wirklich. Nispel – gelernter Musikvideoregisseur – versteht sein Handwerk. Technisch ist an dem Werk nichts auszusetzen. Woran es fehlt, ist eine Seele. FRIDAY THE 13TH wirkt einfach wie ein alter FRIDAY, nur mit draufgekübelten Millionen im Budgetköfferlein. Der Reiz der alten Freitage lag an ihrer atemberaubenden Schäbigkeit. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mir beim dritten Teil im Kino immer die 3-D-Brille vor die Nase gehalten habe. Das hatte noch einen gewissen subversiven Schmiercharme, so als würde man bei einer Party im Armenhaus mit Zylinder und Monokel antanzen. Ich fragte mich auch, warum mich Carpenters HALLOWEEN – dessen inhaltliche Originalität ja auch eher fragwürdig ist – mich so über alle Maßen verjagt hatte, während mich der neue Freitag völlig kalt ließ. Ich mutmaße, daß es gerade die aus Geldmangel geborene Stilisiertheit war, die den Schockeffekten ihre Wirkung verlieh. Wenn in einer Michael-Bay-Produktion Leute an die Wand genagelt werden, wirkt das fast wie ein Antiklimax zum andauernden Hardware-Getöse, zum „Höher, schneller, weiter“ der Hochleistungsoptik, inklusive wummerndem Soundtrack (der sich reichhaltig bei HALLOWEEN 2 bedient). Die Flitzpiepen aus dem Carpenter oder meinetwegen den alten Freitagen boten sich eher zur Identifikation an als die ebenso schalen Nullen des neuen Freitags, die von der Bacardi-Werbung-Ästhetik zusätzlich umschmeichelt werden wie Paris Hiltons Teddybär. Was die gegenwärtigen Neuverfilmungen meines Erachtens auch killt, ist ihre Neigung zu völlig unwesentlichen Erweiterungen der Originale. Das hatte mich bereits an Scorseses CAPE FEAR-Neuverfilmung genervt. Und bei FREITAG... Wen interessiert es, wo Jason wohnt? Wen interessieren die genauen familiären Verästelungen der TEXAS CHAINSAW-Brut? Die archetypische Qualität, die solche Alptraumszenarien haben, leidet unter solchen Details. Hört Ihr die Qualität schreien? Ich höre sie schreien! Unterm Strich ist FREITAG nur ein weiterer Neo-Slasher, und selbst WRONG TURN 2 hat mir mehr Spaß gemacht, da dort wenigstens der olle Henry Rollins herumgurkt. Für das nächste Bay-produzierte Remake empfehle ich Bruno Matteis THE RIFFS 3 – DIE RATTEN VON MANHATTAN, denn da krauchen die Figuren auch die ganze Zeit über in der Pampa herum und labern Tünselkram...
Bearbeitet von Cjamango, 16. Juli 2009, 23:12.
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#714
Geschrieben 22. Juli 2009, 16:56
Drei Schwestern begeben sich nach New York, um der Testamentseröffnung ihres Vaters beizuwohnen. Im Anwesen ihrer Familie finden sie einige Exzentriker vor, mit Buckel und ohne.
Andy Milligan besaß ein Kleidungsgeschäft in Staten Island, aber seine wahre Liebe gehörte dem Kintopp. Mit dem Mut des Verzweifelten und einer 16mm-Kamera drehte er eine Vielzahl von Filmen, die für Autokinos oder die Schrabbelbuden der weniger betuchten Bezirke New Yorks gedacht waren. THE GHASTLY ONES ist ein ausgesprochen repräsentatives Werk und verbindet Enthusiasmus, Improvisationskunst und Chuzpe auf eine Art, die einen schon sehr an die Werke eines Ed Wood erinnert. Normalen Kinogängern und speziell Horrorfilmfans müssen Milligans Erzeugnisse vorkommen wie Kasperletheater: Die Hampeleien der Schauspieler decken alle Farben des Hysteriespektrums ab, die Kamera kurbelt wie besessen in der Gegend herum, und zu allem nudelt verbissen das musikalische Archivmaterial. Da Milligan sich auf Kleider verstand, gestaltete er seine Filme häufig als „period pieces“, als Kostümschinken also. THE GHASTLY ONES zum Beispiel enthält aufwendig kostümierte Knallchargen, deren Gewandung irgendwo zwischen spätviktorianischem Kindergeburtstag und Trümmertuntenball liegt. Milligan war nicht nur Armeeveteran, sondern obendrein knackeschwul, was auch für viele der Darsteller gilt, die sich in seinen Leinwandwundern die Türklinke und noch ganz andere Sachen in die Hand gaben. Zu den Akteuren gehören persönliche Freunde des Regisseurs, aber auch Briefträger, Türsteher und Strichjungen waren nicht selten in Chez Milligan zu Gast. Im Zentrum von THE GHASTLY ONES stehen allerdings die drei oder vier soliden Splattermomente, die in ihrer Arglosig- und Planschwütigkeit sehr an die Tradition des Grand-Guignol-Theaters erinnern. In der Pre-Credit-Sequenz beispielsweise sieht man ein junges Pärchen, das mit einem grotesken Riesenschirm durch die Heide latscht und romantischen Tönjes quatscht. Auf einmal kommt ein debiler Buckliger mit Hasenzähnen aus dem Busch gesprungen und reißt dem Burschen ein Auge heraus bzw. ein hartgekochtes Hühnerei! (Im Hintergund hört man die Regieanweisungen Milligans: „Cutting away, pull!“) Der jungen Dame wird die Gummihand abgehackt, bevor der Bucklige dann wie ein Besengter auf die Beine einer Schaufensterpuppe einschnetzelt... Das Meisterstück allerdings ist sicherlich die Szene, in der einer der Helden auf einen Tisch geschnallt wird: Der Mörder hackt erst auf eine Bauchprothese ein und fängt dann an, mit einer Handsäge den Bauch aufzusägen! (Auf dem launigen Audiokommentar, der von Frank Henenlotter und dem Darsteller des Buckligen bestritten wird, erfährt man, daß der Bauchprothesenträger einen mörderischen Schwanz hatte, der stets aus seinen Shorts herauslugte, was ihm bei seiner Tätigkeit als Callboy auch zugutekam...) Das kostbare Stück Zelluloid läuft auf der DVD 72 Minuten und wird ergänzt von einem der vielen anderen Filme, die Milligan zu jener Zeit machte – dem bislang verschollen geglaubten SEEDS OF EVIL. Ich finde den Film toll! Man sollte allerdings keine allzu hohen Ansprüche an Audio- und Bildqualität stellen, zumal die Filme für den Kinoeinsatz von 16mm auf 35mm Millimeter aufgeblasen wurden, so daß sie schließlich nicht viel glorreicher als Super-8-Produktionen aussahen. Eine angemessene Restaurierung der Schätzchen hat niemand angestrebt. (Was kostet nochmal eine Schachtel Streichhölzer?) Wer aber die Filme von Doris Wishman schätzt, sollte auch bei Milligans Kabinettstückchen sein Auskommen haben. Die Effekte sind im übrigen blutig wie Sau, wirken aber wegen ihrer entschiedenen Low-Budget-Beschaffenheit nicht wesentlich anstößiger als die Augsburger Puppenkiste. Andere Meisterwerke Milligans sind die Grand-Guignol-Schocker BLOODTHIRSTY BUTCHERS (Sweeney Todd!) und TORTURE DUNGEON, die erneut in der viktorianischen bzw. der elisabethanischen Zeit spielen. Habe ich von der Szene erzählt, in der der bucklige Depp einem lebenden weißen Hasen in den Bauch beißt?
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#715
Geschrieben 24. Juli 2009, 22:12
Boah, ich habe besseren Film auf Zähnen gesehen...
Ich bin ja ein großer Fan der „Something Weird“-Doppelprogramme, die auf DVD in der Regel noch mit viel sehenswerten Leckereien angefüllt sind. Gestern habe ich mir Leonard Kirtmans CARNIVAL OF BLOOD angesehen, der zwar rabenschlecht gemacht ist, aber viele kleine Details hat, die das Ansehen lohnen. Da wäre zum einen der frühe Auftritt des später sehr bekannt gewordenen Charakterdarstellers Burt Young, dessen geistig zurückgebliebener Buckliger schon was fürs Schatzkästchen ist. Dann wäre da ein fröhlich drauflosimprovisierender Schauspieler, der zu Anfang einen unter dem Pantoffel stehenden Ehemann gibt. Es gibt viele hübsche Szenen vom Jahrmarkt in Coney Island. Eine unglaublich unangenehme Rummelplatz-Schreckschraube läuft herum, die Al Bundy in den lallenden Wahnsinn getrieben hätte. Ein Teddybär, der mit Eingeweiden gefüllt ist, sorgt für Irritation. Und einige Splattermorde gibt es auch.
Den Regisseur des Werkes, Leonard Kirtman, kenne ich eigentlich als Sexfilm- und Pornoproduzenten, zuerst in New York, später auch an der Westküste. Er firmierte unter Pseudonymen wie „Leo the Lion“ oder „Leon Gucci“. Irgendwann Anfang bis Mitte der 70er ging er nach Los Angeles, weil er „richtige“ Filme produzieren wollte. Ein Projekt von ihm hatte etwas mit einem Wunderpudel zu tun (oder so). Schon bald machte er aber wieder Filme mit Titten und Schwänzen, und die waren alle, alle besser als CURSE OF THE HEADLESS HORSEMAN, der den zweiten Film des Doppelprogramms stellt!
Der Film handelt von einem Hippie namens Mark, der zusammen mit Freundin Brenda und seinen Hippie-/Beatnik-Freunden eine Ranch besucht, die er von einem Onkel geerbt hat. Er soll die Ranch auf Vordermann bringen, sonst erbt er nüschte – so will es das Testament. Ein grotesk verunstalteter Cowboy mit eingegrauten Haaren (der aussieht, als habe man ihm Pferdescheiße ins Gesicht geschmiert!) taucht auf und salbadert von einem kopflosen Reiter, der angeblich herumreiten soll und Rache nehmen für irgendwas. Der alte Furz ist schwer zu verstehen. Und dann beißen einige der Hippies ins Gras. Aber nicht annähernd genug...
Dies könnte einer der dilettantischsten Horrorfilme sein, die ich jemals gesehen habe – un-glaub-lich! Der dezente Underground-Ansatz, den CARNIVAL OF BLOOD aufwies, verwandelt sich hier in absolute Formlosigkeit. Die Hippies machen Unfug, kratzen sich am Bart, rauchen, essen und labern dumm rum. Zwischendurch gibt es mal eine völlig unlustige und unmotivierte Komikerszene auf der Saloon-Bühne, und ein alter Cowboy singt sein Lied, das Lied der verdienten Einsamkeit. Der erste Mord geschieht nach ungefähr 50 Minuten (!), und es sind lange Minuten, von denen hier die Rede ist. Das Warhol-Protegé Ultra Violet kommt mal kurz vorbei und macht sich zum Vollhorst. (Immerhin stellt sie sich mit ihrem richtigen Namen vor!) Dinge geschehen. Mal ist es Tag, mal ist es Nacht. Man kann das meistens gar nicht unterscheiden, zumal der entsprechende Filter gelegentlich einfach vergessen wird. Faustregel: Wenn die Zikaden zirpen, ist es Nacht! Unerträgliche Hippiemusik nudelt herum und macht jede Atmosphäre zunichte. Wenn es spannend werden soll, ertönt auf einmal elektronisches Gefiepe. Der Showdown ist an Absurdität kaum zu übertreffen. In einer tollen Rückblende, die die wohl undynamischste Schießerei aller Zeiten zeigt, sieht man in mehreren Einstellungen deutlich die Drähte, mit denen die Blutpäckchen der Cowboys verkabelt sind, lustig im Winde flattern. Da stimmt wirklich gar nichts...
Ich habe von dem Mann sogar noch einen Schwulenporno herumfliegen, der heißt THE ADVENTURES OF SURELICK HOLMES! Den habe ich noch nicht gesehen, aber er ist mit Sicherheit besser als diese Stümperei.
Bearbeitet von Cjamango, 24. Juli 2009, 22:16.
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#716
Geschrieben 27. Juli 2009, 17:40
Ein junger Nachwuchsregisseur hat gerade einen Horrorschocker abgedreht und setzt sich mit seinen Crewmitgliedern und Schauspielern zusammen, um die Rohfassung zu begutachten. Dabei fällt den Kuckern auf, daß Szenen kommen, die niemals gedreht worden sein können. Und was noch schlimmer ist – wenn auf dem Bildschirm jemand stirbt, so geschieht dies auch in der Realität...
Was kann man von einem Film erwarten, dessen Produktionsfirma „Rostock Films“ heißt, dessen ausführender Produzent ein gewisser Diego Sandmann ist und dessen Regisseur auf den schönen Namen Findling hört? Bei argentinischen Filmen werde ich in nächster Zeit ein wenig vorsichtiger sein, denn die für diesen Mist zuständigen Nullen waren auch schon an dem lausigen DEATH KNOWS NO NAME beteiligt. DIRECTOR'S CUT besitzt eine mäßig begeisternde „Twilight Zone“-Grundidee, die dann hübsch zu Tode geritten wird. Am Schluß unterhalten sich die in Not geratenen Schauspieler mit ihren Leinwand- bzw. Bildschirm-Entsprechungen, was auch noch zumindest nett ist. Man hätte vielleicht etwas daraus machen können, handelte es sich bei den Machern nicht um absolut unbegabte Flitzpiepen, die jede noch so simple Szene vergurken. Größter Wermutstropfen dabei ist der Umstand, daß die Bilder des „Film im Film“ manchmal als grob gerasterte Fernsehbilder, manchmal als Realbilder zu sehen sind, was die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion sehr anstrengend macht. Das ist schon recht verwirrend. Die Inszenierung erinnert an deutsche Amateurfilme, die Goreeffekte sind lausig, die darstellerischen Leistungen erbärmlich, die Synchro paßt sich der Qualität des Werkes an. Ach ja: Die Erklärung, die für den Spuk angeboten wird, ist hanebüchen. Dies ist einer jener Filme, bei denen man nach spätestens 5 Minuten weiß, daß hier kein Blumentopf zu gewinnen ist. Trottel wie mich, die sich den Schlonz bis zum bitteren Ende anschauen, bestraft das Leben.
Bemerkenswerterweise scheint der Film übrigens auf Englisch gedreht worden zu sein, da man wohl auf eine internationale Vermarktung Wert legte. Wenn es auf der Welt mit rechten Dingen zugehen würde, käme solch ein Murks nicht mal aus Castrop-Rauxel heraus. Zuviele Konjunktive für einen einzigen Film!
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#717
Geschrieben 27. Juli 2009, 21:33
Jacques Renard (Christophe Lambert) war Beamter bei der französischen Polizei gewesen, bis ihn eine persönliche Tragödie zum Selbstmordkandidaten machte. Nach seiner Suspendierung hängt er immer noch gerne bei seinen Kollegen von einst rum, auch wenn ihn einige für einen Verrückten halten, der Gespenster sieht. Als ihn eine hinreißend schöne Frau, Lucie (Sophie Marceau), aufsucht, wird er Bestandteil eines aktuellen Falls: Ein wohlhabender Hotelier (Robert Hossein) ist spurlos verschwunden. Eine vor vielen Jahren bei einem Unfall verstorbene Schauspielerin hat mit der Sache zu tun. Bei seinen Privatermittlungen wandelt Jacques auf dem schmalen Grad zwischen intuitiver Kriminalistik und Klapsmühle...
Ein recht gut gemachter französischer Krimi von Sophie Marceau, der gerade mal die zweite abendfüllende Regiearbeit der Schauspielerin darstellt und definitiv zu jenen Filmen gehört, deren Bewertung in der IMDb zu niedrig ausgefallen ist. ZIMMER 401 erzählt die Geschichte von mehreren kaputten Familien, und erneut spiegelt sich die Tragik im Leben des ermittelnden Polizisten in einem Kriminalfall, der tief in den Schoß der Bourgeoisie führt und dunkle Sünden und eine waschechte „amour fou“ verbirgt. Es geht um verzehrende Leidenschaft, die den Tod überdauert; es geht um die Unfähigkeit, loslassen zu können; und es geht um die Verfolgung des Weges, den der Bauch vorgibt, wenngleich der Kopf etwas anderes sagt. Jacques ist ein impulsiver Polizist, der die Arbeit mit seiner persönlichen Befindlichkeit verknüpft. Das kommt nicht überall gut an, und all jenen, die ihn für einen Vollirren halten, gibt er durch exzentrisches Betragen stets neue Nahrung. Während ich früher mit Christophe Lambert nicht zuletzt aufgrund seines patentierten Rehkitzblickes meine Probleme hatte, muß ich zugeben, daß ihm das Älterwerden gut bekommt. Sein neurotischer Lieutenant ist wohl die beste Rolle, in der ich ihn bislang gesehen habe. Der Film hat auch ein paar Unebenheiten, ist nicht so gelungen wie Claude Millers großartiger DAS AUGE mit Michel Serrault, an den er mich zuweilen erinnert hat – abzüglich der ironischen Brechungen –, aber er ist wesentlich besser gewesen, als ich das erwartet hätte. Ich werde ihn wohl in meiner DVD-Sammlung willkommenheißen...
Bearbeitet von Cjamango, 27. Juli 2009, 21:33.
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#718
Geschrieben 03. August 2009, 18:27
Glaubt man der medialen Darstellung der 80er Jahre, sind damals nur Hardbodybesitzer mit textmarkerfarbenen Schweißbändern und lustigen Langhaarfrisuren durch die Gegend gelaufen. Und was soll ich sagen – das war auch so! Der ansonsten völlig unbemerkenswerte Slasher AEROBICIDE erhält seine Qualitäten als Zeitdokument durch die schonungslose Offenlegung eines grausigen Irrtums.
In Rhondas Work-Out-Schuppen geht der Schrecken um: Immer mehr Hupfdohlen und Steroidhansel treten den endgültigen Rechtsweg an, ermordet von einer überdimensionalen Sicherheitsnadel! Der bullige Bulle Morgan untersucht den Fall und stößt auf Abgründe menschlicher Niedertracht. Und nicht zuletzt die Abgründe seiner eigenen Seele sind es, in die die Reise ihn führt...
Der ehemalige Tänzer und Meisterproduzent David Winters (LOVE TO KILL) legte mit diesem Meierwerk den wohl ultimativen Kommentar zum grassierenden Schönheitswahn vor. Abgesehen davon, daß mir dieser als Thriller völlig langweilige und absurde Film erneut vor Augen führte, wie unsagbar häßlich die damalige Kleider- und Frisurenmode war, teilen sich alle Figuren zusammen ein Gehirn, und es ist nicht sonderlich klug, dieses Gehirn. Sämtliche Darstellerinnen sind sonnengebräunte Prollmöpse mit überdimensionalen Spezialausstattungen, die wohl nur teilweise aufgemoppelt sind. Als Held steht neben dem vorzüglichen Polizisten – der Absolvent der Steven-Seagal-Schule für entfesselte Mimik ist – der Bruder des Regisseurs zur Seite, Ted Prior. Mit Buder David sollte Ted eine Vielzahl von Videopremieren schaffen, in denen er als schmächtiger Protagonist tonnenweise Russen und sonstige Bösewichte in ihre Schranken verwies. An spezielle Titel kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sie hießen alle so ähnlich wie KICKBOX-ARSCHBOMBE 23. Es gibt eine unglaublich dicke Muskelbulette, die von Beginn an als Verdächtiger aufgebaut wird und genausogut ein Schild um den Hals tragen könnte, auf dem steht: „Ich bin nicht der Mörder, ich bin nur verdächtig!“ Oder auch: „Ich bin blöd, bitte hau´ mich!“ Abgesehen vom tatsächlich überraschenden Ende folgt das Drehbuch gnadenlos allen Klischees, die man von diesen Filmen so gewohnt ist und verkorkst auf durchaus bemerkenswerte Weise einfachste Szenen. Splatterfreaks werden nicht auf ihre Kosten kommen, doch der unwiderstehliche Zeitkolorit sichert dem Film einen gewissen Unterhaltungswert. Wer abscheulichen 80er-Jahre-Discorock mag (Synthesizer, hochgejubelte E-Gitarren und jammernde Sänger), wird ebenfalls sein Auskommen haben. Was bin ich froh, in den Nullern zu leben!
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#719
Geschrieben 03. August 2009, 23:33
Judith Fontaine (Regina Carrol), eine tingelnde und tangelnde Sängerin, sucht ihre Schwester Jodie, die unter unbekannten Umständen versumpft ist. Wie es scheint, hat sie sich mit langhaarigen Hippies herumgetrieben, und da sich Jodie – wie ein Althippie Judith steckt – rätselhafterweise selber für eine „Mißgeburt“ hielt, trieb sie sich mit besonderer Vorliebe im Abnormitätenkabinett auf dem Rummel rum. Da es sich bei Dr. Duryea (J. Carrol Naish) um einen Nachfahren von Frankenstein handelt, hat dieser nicht nur Jodie gekidnappt, sondern bastelt auch an unheiligen Experimenten herum, die niemand so recht erklären kann, am wenigsten der Drehbuchautor! Immerhin erfährt man, daß bei den Experimenten immerhin schon der grimmige Zwerg Grazbo und der debile Riese Groton entstanden sind. Als dann auch noch Graf Dracula vorbeischaut, laufen die Ereignisse richtig aus dem Ruder...
Vergeßt CITIZEN KANE: Dies ist Al Adamsons mit Abstand unterhaltsamster Film. Ihn als seinen besten zu bezeichnen, wäre vielleicht etwas dicke, denn DRACULA VS. FRANKENSTEIN (auch der deutsche DVD-Titel!) ist fraglos ein zelluloidgewordener Schrotthaufen. Auch Gerümpel hat für manche aber einen rätselhaften Charme, solange er einem nicht auf den Kopf fällt. Neben den üblichen Adamson-Weggefährten gibt es diesmal den verdienten Hollywood-Charaktermimen J. Carrol Naish zu besichtigen, der mir am besten in dem tollen alten WHISTLER-Film gefallen hat (sogar von William Castle, meine ich), in dem er einen Profikiller mit Todesphobie spielt. DRACULAS BLUTHOCHZEIT hätte er sich eigentlich nicht mehr antun sollen, denn bei seinem im Rollstuhl sitzenden Mummelschurken fragt man sich die ganze Zeit über nur, ob ihm seine dritten Zähne nicht doch noch herausfallen. Seine Monologe sind auch etwas für die Schraubenfabrik. Lon Chaney jr. absolviert hier die letzte Rolle, die ihm jemals zugetragen wurde, und auch er hat schon würdevollere Termine erlebt: Als hünenhafter Spaddel hat er keine Dialoge, aber ein liebes Hündchen, an dem er andauernd herumknetet. Er wirkt wie ein alkoholischer Teddybär. (Chaney, nicht der Hund.) Graf Dracula sieht aus wie ein Rummelplatzstecher bzw. Schiffsschaukelbremser, war im tatsächlichen Leben aber Börsenmakler. Damit das nicht so auffällt, verpaßte ihm Horrorfan Nummer Eins, der große Forrest J. Ackerman, das Pseudonym „Zandor Vorkov“. („Zander Jerkoff“ hätte besser gepaßt...) Der grimmige Zwerg wird von Angelo Rossitto gespielt, der mit seiner 60-jährigen Hollywoodkarriere der vermutlich ausdauerndste, Achtung, Kleindarsteller gewesen ist, der sich jemals eine Nische in Hollywood geschaffen hat. (Es war eine sehr kleine Nische!) Wer ist noch dabei? Anthony Eisley, bestens bekannt aus THE MIGHTY GORGA, ist der Althippie und trägt eine lustige Zahnkette zur Schau. Die hochtoupierte Heldin ist das blonde Gift Regina Carrol, Tänzerin und Ehefrau des Regisseurs, der sich höchstselbst ihren Bühnenauftritt zu Anfang des Filmes ankuckt. Greydon Clark – der später so schöne Filme inszenierte wie BLACK SHAMPOO, DAS GEHEIMNIS DER FLIEGENDEN TEUFEL und DIE VIDIOTEN – taucht auf als Hippie mit albernem Poncho. Das Ackermonster hat einen Gastauftritt als Doktor, der vom Frankenstein-Ungetüm zersetzt wird. Und als Polizist wollte man eigentlich Broderick Crawford, bekam aber nur Jim Davis, der wenige Jahre darauf als Jock Ewing zu einem beliebten Fernseh-Patriarchen heranreifen sollte. Oh, und Russ Tamblyn spielt einen Biker, da ihm seine Rolle in Adamsons DIE SADISTEN SATANS offenbar Spaß gemacht hat! (Wem nicht?) Das Frankenstein-Monster sieht übrigens aus wie der Tippelbruder, der ein Wespennest auf den Kopf bekommen hat und sich zur Linderung der Schmerzen ranzig gewordenen Gurkenmus ins Gesicht geschmiert hat. Das Positivste, was ich über DRACULAS BLUTHOCHZEIT MIT FRANKENSTEIN sagen kann, ist, daß er seinem Titel vollauf gerecht wird. Und das ist doch was! Die DVD habe ich für 3 Euro bekommen, und mehr war sie auch nicht wert, denn die Bildqualität ist lausig. Auch der deutsche Ton besticht durch intensives Geknackse, während der Originalton durch Abwesenheit glänzt. Verwirrenderweise wurde der Audiokommentar von Produzent Sam Sherman draufbehalten, wie auch das nette Intro, in dem er einiges zum Film erzählt. Also, für wenig Geld ist der Film eine Pflichtanschaffung für Trashfans, denn solch eine Gurkenparade wird einem nicht alle Tage geboten. Und, na ja, eigentlich paßt die ranzige Quali auch ganz gut zum Film... Wow!
Bearbeitet von Cjamango, 03. August 2009, 23:39.
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#720
Geschrieben 05. August 2009, 14:01
In einer amerikanischen Kleinstadt kriecht das Grauen um: Kleine, schwarze, würstchenförmige Gesellen üben den Aufstand und verwandeln vormals gesunde Mitbürger in blutbesudelte Biologieskelette! Nur ein einsamer Kämpfer vom Hygieneamt ahnt von der Bedrohung und stellt sich ihr mit aller Kraft entgegen. Doch der Widerstand, den er auf dem Wege zur Rettung der Menschheit überwinden muß, ist massiv und gibt ihm manch harte Nuß zu knacken...
Auf einen Tierhorrorfilm, in dem die Bedrohung von Nacktmullen gestellt wird, muß die Menschheit leider noch warten, aber Nacktschnecken werden schon einmal von SLUGS (aka SLUGS – THE MOVIE) abgedeckt! Der Spanier Juan Piquer Simón - dessen größter internationaler Hit der auf vergnügliche Weise absurde Splatterfilm PIECES war – orientiert sich formal an den Monsterfilmen der 50er Jahre, und während gegenwärtige Übungen auf diesem Gebiet (z.B. der ungleich teurere SLITHER) ihr Heil meistens in der Verwendung von Computeranimationen suchen, ist SLUGS noch der wahre Jakob: Echte Schleimerzeuger und ihre Plastikdoubles sind die Hauptdarsteller dieses zwar ekligen, aber liebenswerten Filmes! Die DVD enthält unter den Extras ein etwa halbstündiges TV-Special, in dem sich eine Fernsehmoderatorin mit dem sympathischen Regisseur unterhält. Piquer Simón weiß muntere Schnurren über die Dreharbeiten in einer amerikanischen Kleinstadt zu berichten, aber auch zoologische Beobachtungen über Nacktschnecken finden ihren Platz. So muß es wohl immens kompliziert gewesen sein, die kleinen Lieblinge zu transportieren, zumal sie sich in den Kisten massenweise gegenseitig vergifteten mit ätzendem Schleim. Eines ist sicher: In der Schneckenpopulation ist Piquer Simón ein rotes Tuch! Das Drehbuch von SLUGS quillt über vor tumben Figuren, die rätselhafte Dinge tun, was im Rahmen eines solchen Partyfilmes aber eher zum generellen Kuckspaß beiträgt. Für einen Tierhorrfilm ist SLUGS zudem ungewöhnlich eklig und schlägt in dieser Hinsicht noch Jeff Liebermans besser gemachten SQUIRM. Eine Szene, in der Jess-Franco-Veteran Emilio Linder ein unschönes Erlebnis in einem italienischen Restaurant hat, schlägt in dieser Hinsicht dem Faß die Krone ins Gesicht! Die Szene des Films ist aber fraglos der kostbare Moment mit der Schnecke, die „Haps!“ macht – jeder, der den Film kennt, weiß, welche Szene ich meine. Ich halte SLUGS für ungleich unterhaltsamer als PIECES und mit Sicherheit für gelungener als Piquer Simóns nachfolgenden CTHULHU MANSION. Die DVD sollte mittlerweile auch für wenig Geld zu haben sein, und wenn man sich für solche Werke begeistern kann, führt da eigentlich kein Weg dran vorbei. Um es mit den Worten der Schnecke, auf die ich neulich getreten bin, zu sagen: „Smotsch!“
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