Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#181
Geschrieben 01. Mai 2005, 13:53
Steven Seagals zehnter Film ist – trotz des Titels – kein Porno. Stattdessen führt er uns mitten ins beschauliche Kentucky, wo die Luft noch rein ist und die Menschen unverdorben. Oder zumindest sollte es so sein, aber der Naturschutzbehörde liegen anderslautende Informationen vor, und so schickt sie ihren besten Mann, Jack Taggert. Und das, liebe Römer und Landsleute, ist Steven Seagal! Wer sich den charmanten Zopfträger als rurale Frohnatur vorstellen kann, hat mehr Fantasie als ich, und doch versuchen Taggerts Bosse, ihn als Gemeindearbeiter des Landpastors unterzubringen. (Mal im Ernst: Selbst genetisch völlig zerüttete Landeier würden da wohl Verdacht schöpfen, wenn der Priester diesen Mann – mit Zopf und schwarzer Lederjacke - als neuen Holzhacker präsentiert!) Sofort macht er sich an die Kinder ran, von denen bereits eines am Tschernobyl-Effekt leidet und immer unglücklich kuckt. Die anderen kucken glücklich, denn wenn sie besonders glücklich kucken, dann bekommen sie mit Beginn der Geschlechtsreife ihre eigene Latzhose. Nach einem kurzen Scharmützel mit übermütigen Dörflern wird ihm auch sofort ein Exemplar der gefürchteten Kentucky-Viper ins Bett gelegt. Diesen ruchlosen Mordanschlag kann der brave Mann noch mühelos vereiteln, aber Oberbösewicht Orin Hanner (Kris Kristofferson) setzt bald die ganze Macht des Mammons ein, um das störende Element zu beseitigen, und für Taggert geht es um Kopf und Kragen...
Öko-Seagal zum Zweiten, und diesmal mitten in DELIVERANCE County! Leider erweist sich der Hüne hier als komplett deplaziert und hat überdies mit einem sehr schwachen Drehbuch zu kämpfen, das zwar alle Klischees der „Fiese Südstaaten“-Tradition zusammenkarrt, damit aber nicht viel Gescheites anzufangen weiß. Umweltsünder sind mies, das ist nichts Neues, und Texaner Kristofferson drückt mächtig auf die Tube, was auf reizvolle Weise mit dem gewohnten Understatement Seagals kontrastiert. Es gibt eine Menge böses Blut in der Stadt (FIRE DOWN BELOW an allen Fronten!), und eine sehr kitschige Geschichte mit einer „verrufenen“ Frau, die angeblich ihren Daddy umgebracht haben soll, wird konstruiert, damit Seagal ein „love interest“ hat. Damit wären wir auch schon bei einem weiteren Punkt, warum der Film unrockbar ist: Seagal ist ein begnadeter Proll und Nahkämpfer, aber als romantischer Held zieht er einem die Schuhe aus! Tatsächlich wird auf die menschlichen Aspekte so viel Gewicht gelegt, daß die wenigen Actionszenen ziemlich aufgesetzt wirken, um es sehr vorsichtig zu formulieren. Nach dem eigentlichen Showdown gibt es noch einen Nachklapp und einen recht überflüssigen Epilog, der es Seagal immerhin noch mal ermöglicht, etwas den Bully raushängen zu lassen und verschiedenen Dickmännern die Nasenbeine zu ramponieren. Insgesamt aber präsentiert der Film seinen Helden unter denkbar ungünstigen Umständen und enthält – gemessen an AUF BRENNENDEM EIS – zu wenige Heuler, um ihn als Trash-Entertainment empfehlen zu können. Am besten gefällt mir noch jene Szene, in der Seagal die Giftmülldeponie entdeckt und im Laufe eines Kampfgetümmels Fässer zerschießt, wodurch einige der Schurken textmarkergrünes Blubberlutsch mit Ätzwirkung über die Visage gespritzt bekommen. Solche überdrehten Momente sind aber Mangelware, und deshalb ist FIRE DOWN BELOW auch vergleichsweise öde.
Ganz am Schluß macht der Film allerdings eine Sache noch mal richtig und präsentiert Harry Dean Stanton (der so eine Art Dorftrottel spielt) über dem Abspann, wie er mit seiner Gitarre auf der Veranda sitzt und eine traurige Ballade trällert – das hat was!
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#182
Geschrieben 02. Mai 2005, 03:40
Der Schiffskoch ist wieder da! Und diesmal will er Ferien machen, zusammen mit seiner Nichte Sarah. Dumm nur, daß der Zug gekidnappt wird von grimmigen Söldnern, die dem wahnsinnigen Wissenschaftler Travis Dane (Eric Bogosian) die Stange halten. Dane – dessen Genie schon lange dem Wahnsinn Platz gemacht hat – fühlt sich von Washington ausgebootet. Einst dafür zuständig, den Kriegstreibern ihre Spielzeuge zu basteln, dreht er nun den Spieß um: Mit einer Satelliten-Störanlage bringt er den von ihm mitentwickelten Weltraumklunker „Grazer One“ in seine Gewalt und verursacht mal eben so – um seine Macht zu demonstrieren – ein Erdbeben in China, das Tausende von Menschenleben kostet! Nach einigen weiteren Spielchen ist klar, daß Washington D.C. dem Erdboden gleichgemacht werden soll. Doch da hat der eitle Eierkopf nicht mit Casey Ryback gerechnet, der wie die Katze sieben Leben besitzt und von jedem einzelnen Gebrauch macht...
UNDER SIEGE war seinerzeit eine Art Kopie des besseren DIE HARD, schenkte Steven Seagal aber eine seiner zweifellos schönsten Rollen als wehrhafter Koch, der dem Rock'n'Roll-Terroristen Tommy Lee Jones die Suppe versalzt. Für die Fortsetzung griffen die Drehbuchautoren tief in die Kiste mit dem Schnickschnack und bastelten eine Menge James-Bond-Elemente hinein, die zwar nicht wirklich Sinn ergeben, aber für die Laufzeit von 95 Minuten angemessen unterhalten, mit viel Buff & Päng. Profitieren tut der Film von der Anwesenheit des Multitalents Eric Bogosian (aus Oliver Stones TALK RADIO), der den durchgeknallten Wissenschaftler auf Rachekurs anlegt als größenwahnsinnigen Popanz, der konsistent wirkt wie ein Viertelkilo Kokain auf Beinen und die eigenen „Großleistungen“ durch ununterbrochenes Geplapper hanswurstig kommentiert. Ebenfalls ein Plus ist Everett McGill (der nette Big Ed aus TWIN PEAKS), der eingegraut als Söldnerchef unbekehrtes Schurkentum verkörpert. Die Regie des Neuseeländers Geoff Murphy ist kompetent und hält das recht wohlfeile Drehbuch im Gleichgewicht, auch wenn gegenüber dem ersten Koch-Inferno einiges aus dem Ruder läuft. Was für Zweifel im Kino auch immer entstanden sein mögen – spätestens von Basil Poledouris´ Musik werden sie komplett weggebürstet, denn wo Poledouris draufsteht, da wird Pomp zur Kunst. Hier zitiert er sattsam den vielleicht bekanntesten amerikanischen Komponisten, Aaron Copland, insbesondere dessen „Fanfare für den gemeinen Mann“. Gemeine Männer gibt es in diesem Film zuhauf, aber wenn Ryback die Hand am Drücker hat (und auch noch Hilfe von einem schwarzen Kellner bekommt!), dann kann eigentlich gar nicht viel schiefgehen...
Auf James-Bond-Basis delektable Unterhaltung, nicht ganz so brutal wie der erste Teil, nicht ganz so hervorragend, aber immer noch sehr unterhaltsam.
P.S.: Erneut die 18er-Fassung angeraten!
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#183
Geschrieben 02. Mai 2005, 04:03
Nachdem ich mich angesichts der jüngeren Walt-Disney-Debakel (DIE SCHÖNE UND DAS BIEST – kotz!) vom Animationsfilm weitgehend ferngehalten hatte, sah ich mir auf Anraten guter Freunde mal ein paar computeranimierte Filme der Pixar-Studios an, die mich durchaus überzeugten. Von FINDET NEMO war ich nachgerade begeistert. (Den Schluß – „Und jetzt?“ – halte ich ungeprahlt für einen der genialsten der Filmgeschichte!) Da Fische mir näher stehen als Superhelden, dauerte es eine gewisse Zeit, bis ich auch dem neuesten Werk aus dem Hause Pixar meine Aufmerksamkeit lieh. Warum nur? Hätte ich mir nicht denken können, daß ich was verpasse?
THE INCREDIBLES ist ein einziges Entzücken, vom Anfang bis zum Ende! Erzählt wird die Geschichte von Mr. Incredible, der zusammen mit diversen anderen Superhelden in Metroville und Umgebung für Ordnung sorgt. Wie in dem schönen australischen Film DIE RÜCKKEHR DES CAPTAIN INVINCIBLE wird auch hier Schimpf & Schande auf die einstigen Wohltäter gehäuft. Die Heroen von einst werden in den unfreiwilligen Ruhestand geschickt, einer langweiligen Bürokratie geopfert. Mr. Incredible und seine Frau Elastigirl bekommen durch eine Art Zeugenschutzprogramm eine neue Identität angepaßt und landen in 08/15-Identitäten. Aber das Böse ruht nicht! Ein böser Geist in einem grotesken Körper strebt danach, die Menschheit mit seinem kranken Genius ins Unglück zu stürzen! Kann das Superheldentum von einst wiederauferstehen?
Ja, darauf könnt Ihr aber mal wetten! Ich mache es kurz: Technisch perfekt wird der Reiz von Superheldenfantasien von einst in die babylonische Werteverwirrung der heutigen Zeit transponiert. Sentiment und Pathos finden statt, fallen aber niemals den Gefahren zum Opfer, vor denen solche Versuche meistens kapitulieren: Kitsch oder ironische Überlegensheitsgeste. Stattdessen wird der Zuschauer konfrontiert mit den alltäglichen Familien- und Selbstverwirklichungsproblemen gestrauchelter Helden, darf Tränen lachen bei den unzähligen wundervollen Einfällen, die auf ihn ausgeschüttet werden. Das Design ist von großem ästhetischem Reiz und erschöpft sich nicht nur in einer Parodie des Einstmaligen, sondern gliedert es sinnreich (wenngleich mit deutlichem Augenzwinkern) in unsere Welt ein. Unterm Strich kommen dabei 110 fulminante Minuten heraus, bei denen sich Filmfans die zahlreichen Anspielungen herauskucken (oh ja, Modemutti Edna ist Hollywoods legendärer Kostümdesignerin Edith Head nachempfunden!) und alle anderen einfach ungetrübten Spaß verleben dürfen. Der optischen Gestaltung steht eine tolle Geräuschkulisse gegenüber, die etwa für eine Verfolgungsjagd mit putzigen Hi-Hat-Raumschiffen die Originalgeräusche der entsprechenden Szene aus THE RETURN OF THE JEDI wiederverwendet und eine Musikkulisse bemüht, die liebevoll schmissige „Kobra, übernehmen Sie“-Rhythmen mit James-Bond-Musik á la John Barry verknüpft. Fische stehen mir noch immer näher als Superhelden, aber wenn das Spektakel so witzig und fantasievoll präsentiert wird, dann bleibt mir nur eins – ich ziehe die Zehn!
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#184
Geschrieben 03. Mai 2005, 15:01
Öko-Seagal zum Dritten: THE PATRIOT wurde von mir bislang immer gemieden, hielt ich ihn doch für Roland Emmerichs Film gleichen Namens mit Mel „Skippy das Känguruh“ Gibson. Dies stellte sich zwar als Trugschluß heraus, aber ob der Film deshalb besser ist...?
Steven Seagal zeigt wieder eine neue Facette seines reichhaltigen Repertoires und spielt den berühmten Immunologen McClaren, der sich – aus Verbitterung über die Praktiken des CIA – aus dem Staatsdienst zurückgezogen hat, um siechen Kälbern von den Weiden Montanas die Knochen einzurenken. Als in seinem unmittelbaren Einzugsbereich ein Neonazi verhaftet wird, der sich mit seiner Gefolgschaft Waco-style in einem Farmhaus verschanzt hat, kommt es zur Katastrophe: Ein teuflischer Virus wird freigesetzt, der eigentlich für die Regierung hergestellt wurde. McClaren hat von jetzt ab alle Hände voll zu tun...
...aber leider kämpft er nicht! Steven, was soll das? Du BIST kein Immunologe, und du wirst auch niemals einer sein! So leid es mir tut, aber der Film lutscht ohne Ende. Nach einem Anfang mit Peckinpah-Veteran L.Q. Jones (als Seagals Vater), der ausschaut wie der ewige Marlboro-Cowboy, kommt das Gekasper mit den Nazis. Der Chef ist ein dicker Südstaatler im Tarnanzug. Lustig ist immerhin, daß er diverse amerikanische Präsidenten zitiert und somit indirekt eingesteht, daß Mordlust und unbedingter Willen zur Profitmaximierung schon immer am Herzen mächtiger Politiker gelegen hat. Lustig auch, daß der dicke Nazi seinem Richter direkt ins Gesicht rotzt und damit die Seuche startet. (Seine Leute haben alle ein Antitoxin eingenommen, das sich aber als wirkungslos erweist – höhö!) Ab da geht es mächtig den Berg hinab, und in der zweiten Hälfte fängt der Film wieder an mit dem Predigen. Indianische Tugenden werden gepriesen und die Eintracht mit der Natur. Am Schluß werden Blumen aus Armee-Helikoptern geworfen, was immerhin für ein inbrünstiges Jaulen gut sein sollte. An den Film kann man einen Griff dranschweißen, zum Wegschmeißen. Ich hoffe mal, daß der Umstand, daß seine „message pieces“ an den Kinokassen radikal abgestunken sind, Seagal wieder auf den Pfad der Action-Tugend zurückgeführt hat. Darüber demnächst mehr, wenn ich mich den Spätwerken widme. THE PATRIOT ist auf jeden Fall ein Schuß in den Ofen – 35 Millionen Dollar in die Grube geschaufelt...
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#185
Geschrieben 03. Mai 2005, 19:41
Dig this: Detective Orin Boyd (Steven Seagal) rettet dem Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten das Leben, aber dieser säuft fast ab, weil er nicht schwimmen kann! Da dies nur die letzte Entgleisung des ruppigen Polizisten ist, wird er strafversetzt und dazu gezwungen, einer „anger management“-Psychogruppe beizutreten. Als sich herausmendelt, daß verschiedene Kollegen an Rauschgiftgeschäften beteiligt sind, gerät er mächtig unter Druck, aber mit Hilfe eines schwarzen Gangsters (DMX) weiß er sich seiner Haut zu wehren...
Nach dem kolossalen Flop von THE PATRIOT (meine Vermutung!) wurde es drei Jahre lang ruhig um Seagal. In seinem ersten Film nach dieser Pause zeichnet er nicht mehr als Mitproduzent verantwortlich, was vielleicht eine weise Entscheidung war, denn EXIT WOUNDS ist in der Tat der beste Seagal seit längerem. Nach einem blendenden Auftakt (Attentat auf Brücke!) fällt der Film ein klein wenig ab, aber es warten genügend saftige Fightszenen auf den Zuschauer, um die Geduld zu lohnen. Ein mit OUT FOR JUSTICE vergleichbarer Kracher ist EXIT WOUNDS natürlich nicht – dazu ist das Drehbuch zu unfokussiert –, aber nachdem man das alte Kantengesicht in mehreren Filmen erleben mußte, die sein wahres Talent (Arschtreten de luxe!) vernachlässigten, tut diese Rückkehr zur Form wirklich gut. Musiker DMX ist erstaunlich akzeptabel in seiner Rolle eines Drogen-Kingpins, der Überraschungen in petto hat. Isaiah Washington spielt den anderen guten Bullen, während Anthony Anderson als komischer Sidekick von DMX bemerkenswert wenig nervt. Regisseur Andrzej Bartkowiak hat angefangen als Kameramann bei vielen Sidney Lumets und anderen großen Produktionen. Als Regisseur debütierte er mit dem Jet-Li-Vehikel ROMEO MUST DIE. EXIT WOUNDS ist ein deutlicher Schritt aufwärts, auch wenn die gelegentlich auftauchende Neigung, Martial-Arts-Szenen mit CGI-Gewichse „aufzupeppen“, sicherlich ein schlechter Entschluß war. DMX bestreitet den Songteil des Soundtracks, während bei den Fights auch schon mal niederfrequente Techno-Beats hineinbubbern, was aber ganz gut funktioniert. Seagal hat einen klassischen Moment, wenn er als Abschluß einer Verfolgungsjagd einfach über den heranrasenden Wagen hinwegspringt. (Habe mich immer gefragt, ob so was klappt!) Und der Einfall mit der Psychogruppe ist natürlich auch sehr ulkig: „Sehen Sie dieses Gesicht? Das ist das Gesicht eines glücklichen Mannes!“ Produzent Joel Silver hat schon bedeutend bessere Filme zu verantworten gehabt (DIE HARD, 48 HOURS, PREDATOR), aber hier hat er der darbenden Seagal-Fangemeinde endlich mal wieder was zum Knuspern gegeben.
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#186
Geschrieben 05. Mai 2005, 00:02
Freddy vs. Jason, Alien vs. Predator, Bush vs. Saddam – die spinnen, die Amis!
Als ich zum ersten Mal von ALIEN VS. PÄDERATOR hörte, mutmaßte ich, ein traditionelles Monster-Meeting à la FRANKENSTEIN MEETS THE WOLF MAN stünde ins Haus. Später erreichte mich dann die Information, es handele sich um die Verfilmung eines Computerspiels gleichen Namens. (Ein Comic existiert wohl auch.) Rein theoretisch finde ich den Gedanken, ein Computerspiel zur Grundlage eines Kinofilmes zu machen, sehr folgerichtig. Wenn man die technische Expertise und die Kraft der zig Millionen Dollar mal beiseite wischt, machen die meisten größeren Hollywoodfilme den Eindruck, als seien sie am Reißbrett entworfen worden. Das macht irgendwo auch Sinn, denn wie im Fußball, wo immer größere Gagen neue Verpflichtungen gebären, schafft auch der Höhenflug der Budgets eine neue Situation: Flops tun richtig weh! So liegt denn nichts näher, als sich auf erprobte Muster zu verlassen. In dieser Hinsicht gleicht sich Hollywood immer mehr dem Pornogenre an, wo auch der kleinste gemeinsame Nenner den Verkehr regelt. Statt neue Stoffe auszuprobieren, greift man lieber zu Remakes oder amerikanischen Fassungen ausländischer Filme, die in aufgepeppter Form dem herrschenden Geschmack angeglichen werden. Zudem haben immer mehr Computerspiele durchaus ausgefeilte Storylines, die sich mit denen, die den zugekoksten Westküstengehirnen entspringen, nicht nur vergleichen lassen, sondern sie an Originalität sogar noch in den Schatten stellen.
Statt Uwe Boll verpflichtete die Fox den bereits kampferprobten Paul W.S. Anderson, der mit MÖRTEL KOMBAT und PRESIDENT EVIL bereits zwei erfolgreiche Leinwandadaptionen fröhlicherer Zockereien besorgt hatte. Eine qualifizierte Meinung zur Umsetzung des Spiels kann ich nicht abliefern, da ich es nur ca. 15 Minuten auf meinem Rechner hatte. Ob es statthaft ist, den Film im Zusammenhang mit den beiden Serien zu sehen, die da gleichzeitig verwurstet werden, ist diskutabel, denn immerhin werden die meisten Konsumenten dies zweifellos tun. Deshalb die halbherzige Vorwarnung: Wer AVP als Fortsetzung von entweder ALIEN oder PREDATOR (Prädätä, heititei!) betracht, wird mit ziemlicher Sicherheit enttäuscht werden.
Die Story ist relativ leicht umrissen: Eine Expedition begibt sich in die Antarktis, um dort eine ca. 1000 Fuß unter dem Eis liegende Pyramide freizulegen, die Elemente verschiedenster Kulturen in ihrem Baustil vereinigt und somit als „Ur-Pyramide“, als Mutter aller Porzellankisten, angenommen werden darf. Vor Ort findet man einen tiefen Schacht vor, mit dem sich augenscheinlich bereits jemand zum Fund des Jahrtausends vorgebohrt hat. Ein Team von etwa 7 Leuten (inklusive Lance Henriksen) begibt sich nach unten. Das hätte man bleiben lassen sollen, denn es tobt die wilde Schlacht zwischen Rastamann und Gurkenkönig, und die Menschlein haben ihre liebe Not, aus der Schußlinie zu bleiben...
Was für Folgen zeitigt der Umstand, es hier mit einer Computerspieladaption zu tun zu haben? Zuerst einmal fällt auf, daß das Drehbuch sehr mäßig konstruiert ist – der Anfang ist zu lang, der Mittelteil viel zu hektisch, das Finale zieht sich hin. Was im ersten Teil noch eminent spannend war (und hier als bekannt vorausgesetzt werden darf), erschöpft sich in einer plärrenden Folge groben Suspenses, der aber durch verschiedene Faktoren entmachtet wird. Während in einem Videospiel eine ununterbrochene Folge von Sensationen durchaus wünschenswert ist, da sie ja sowieso immer von den „Ruhepausen“ des Spielers unterbrochen wird, stumpft das Tschingderassabumm auf der Leinwand bald ab. John Carpenters großartiger THE THING wurde früher als „Monsterfreß-Abzählreim“ bezeichnet? Was ist dann das hier? Die Charaktere – ein Italiener, ein Schotte, ein Irgendwas – sind einem piepegal und erfüllen nicht einmal die grundsätzlichsten Anforderungen an liebgewonnene Stereotypen. Ob die leben oder sterben, interessiert keine Sau. Dann die Sache mit dem Blut. In den USA wurde der Film auf ein PG-13 hin produziert, was zur Folge hat, daß die Schnetzeleien weitgehend blutfrei stattfinden. In gewisser Weise fühlt man sich wie in einem Pornofilm ohne Höhepunkte. Die Angst, schockiert zu werden, erlischt irgendwann, weil man weiß, daß eh nichts kommt. Nicht im Sinne des Erfinders! Auch der Einfall, daß sich der Schauplatz alle 10 Minuten umwandelt, mag im Spiel funktionieren, aber ein Thriller erfordert halt, daß der Zuschauer gewisse Orientierungspunkte hat. Wenn man überhaupt nicht mehr weiß, was zu erwarten ist, kann die Erwartung auch nicht eingelöst oder vereitelt werden. Da geht der Suspense. In ALIEN hatte man Lastwagenfahrertypen in einem teilweise sehr nach Fabrikhalle aussehenden Raumschiff. In ALIENS hatte man dufte Militärkasper, die durch Korridore wandern. Bei AVP krauchen zu Chiffren degradierte Nullcharaktere durch Gänge, die sich andauernd neu umformen. Das ist ausstatterisch gelegentlich ganz hübsch anzuschauen, aber die Möglichkeit zur Teilnahme bleibt ziemlich unberücksichtigt.
Daß die Grundkonzeptionen der Figuren durcheinandergewirbelt werden, ist eigentlich kein Problem, oder vielmehr wäre keins, wenn es denn funktionieren würde. Bei Ripleys Kämpfen gegen die Alien-Königin und ihre männlichen Vasallen war das immer ein ehrlicher Kampf Frau gegen Frau. Beide hatten Haare auf den Zähnen. Das war schon okay. Die Konstellation ALIEN VS. PREDATOR schildert den Kampf Matriarchat vs. Patriarchat, bei denen die Bitch Goddess gegen den Lattenprinz antritt, der archaische Familienwerte predigt. Was die schwarze Heldin angeht (eines der üblichen unglaubhaften Zierpüppchen, das mitten im Leben steht), so darf ich von den Entwicklungen im Schlußteil leider nichts verraten, aber im Grunde genommen packt man sich an den Kopf...
Statt dieser Mischung aus Lovecraft, Giger, Schwarzenegger und Eurodisney hätte man lieber einen neuen Vergnügungspark öffnen können. So ist ein Haufen Mist entstanden, der mögliche innovative Fortsetzungen zu beiden Serien im Keim erstickt.
P.S.: Lustiger als der Film ist eine Information, die die IMDb zum britischen Regisseur Paul Anderson weiß: Um nicht andauert gefragt zu werden, was denn der Froschregen am Ende von MAGNOLIA zu bedeuten habe, hat er sich, um Verwechslungen vorzubeugen, den Mittelnamen „W.S.“ angeeignet. Dummerweise wird er jetzt immer mit Wes Anderson verwechselt und nach seiner Zusammenarbeit mit Bill Murray gefragt...
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#187
Geschrieben 05. Mai 2005, 21:20
Warum Sidney Lumets Regiedebüt TWELVE ANGRY MEN zu meinen Lieblingsfilmen gehört, durfte ich heute noch einmal nachvollziehen, da MGM ihn als preisgünstige DVD herausgebracht hat – zwar ohne nennenswerte Extras, aber halt geldbeutelschonend...
Obwohl es um einen Mordprozeß geht, unterscheidet sich der Film von herkömmlichen Gerichtsdramen. Das fängt schon damit an, daß der eigentliche Prozeß ausgeklammert wird und dem Zuschauer nur in einer Nachschau nahegebracht. Der Betrachter wird zusammen mit 12 Durchschnittsmenschen in ein kleines Kämmerlein gesperrt, denen es obliegt, den 18-jährigen Angeklagten entweder auf den elektrischen Stuhl zu schicken oder ihn freizusprechen. Zunächst sieht alles sehr eindeutig aus. Nur einer von ihnen (Henry Fonda) plädiert auf „Nicht schuldig“, da er berechtigte Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat. Er muß sich gegen den Zorn der Andersdenkenden auflehnen. Ruhig und bedächtig schildert er seine Zweifel. Die belastenden Zeugenaussagen werden erwogen. Tatvorgänge werden rekapituliert. Was zu einer trockenen Justiznummer hätte werden können, gerät bei Lumet zu einer mordsspannenden Angelegenheit, denn je tiefer die Geschworenen in die Untiefen des Falles eindringen, desto klarer stellt der Film, daß es in Wahrheit nicht um die Gerechtigkeitsfindung geht, sondern um die Privatdefizite, die die einzelnen Charaktere mit sich herumtragen. Da gibt es den eiskalten Rationalisten (E.G. Marshall), den aufbrausenden Kleinunternehmer (Lee J. Cobb), den zynischen Vertreter, der eigentlich nur schnell zu seinem Baseballspiel möchte (Jack Warden), und so weiter. Daß es hier nicht auf eine Vorführung von Klischeefiguren hinausläuft, liegt zum einen am ausgesprochen präzisen Drehbuch, das ein Musterbeispiel an gradueller Charakterentwicklung darstellt – in demselben Maße, wie die Geschworenen einander kennenlernen, lernt auch der Zuschauer sie kennen. (Der Film könnte genausogut DIE 13 GESCHWORENEN heißen!) Das liegt zum anderen daran, daß Lumet vor seiner Filmkarriere langjährige Theatererfahrung besaß und genau wußte, wie man mit Schauspielern zusammenarbeitet. Die Darstellungen des Ensembles sind sehr detailliert, sehr intensiv und realistisch. Man achtet auf jede kleine Nuance, die Neues über einen Charakter verraten könnte. Gleichzeitig verwendet Lumet auf vorbildliche Weise den sehr begrenzten Raum, in dem sich die Handlung abspielt, läßt eine klaustrophobische Atmosphäre entstehen, unter der die harten Schalen der meisten Figuren mehr und mehr aufknacken. Der Umstand, daß die Wahrheitsfindung letztlich das Produkt des Aufeinandertreffens eines solch bunten Grüppchens ist und der merkwürdigen Chemie, die sich aus ihm ergibt, führt zu einer sehr subtilen Infragestellung des ganzen Rechtssystems, meilenweit entfernt von der mehr oder weniger eleganten Polemik, mit der solche Themen meistens abgehandelt werden. Der Film ist keine Sekunde zu kurz, keine Sekunde zu lang. Formal herausragendes, extrem aufregendes Kino – toll!
P.S.: MGM hat auch (nice price!) den konventionelleren, aber gleichfalls brillanten Gerichtsfilm WER DEN WIND SÄT (INHERIT THE WIND) von Stanley Kramer herausgebracht, in dem es um den Prozeß an einem Lehrer geht, der das Verbrechen begangen hat, an einer Schule in den Südstaaten die Evolutionstheorie zu lehren. Spencer Tracy ist der streitbare Verteidiger, Frederic March der "holy roller"-Staatsanwalt. An bigotten christlichen Fundamentalisten herrscht in dem Film kein Mangel. Ebenfalls sehr spannend und hiermit empfohlen!
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#188
Geschrieben 06. Mai 2005, 03:27
Als ein arabischer Top-Terrorist namens Jaffa von den Amis festgesetzt wird, kapert dessen rechte Hand Hassan zusammen mit einigen Klischeegotteskriegern ein voll besetztes Passagierflugzeug. Mittels eines neuentwickelten Superfliegers schafft es eine Spezialeinsatztruppe des Pentagon, einige Männer an Bord zu schleusen. Sie haben nun die undankbare Aufgabe, einerseits die Terroristen auszuschalten, andererseits eine Bombe zu entschärfen, die genug Nervengas enthält, um Washington und weite Teile der Umgebung zu entvölkern. Die Hoffnung der Nation ruht auf einigen tapferen Männern und dem Professor David Grant (Kurt Russell), der da irgendwie mit reingeraten ist...
Eigentlich dachte ich, es handele sich um einen Steven-Seagal-Film. Tatsächlich spielt der Mienenprinz nur eine vergleichsweise kleine Nebenrolle in diesem teuer produzierten Spektakel, dessen Held eindeutig Kantengesicht Russell ist. Die Handlung macht nicht wirklich Sinn, aber auf dem Level von simpler Bond-Action ist der Film durchaus genießbar und recht spannend. Das Drehbuch läßt keine der bekannten Situationen aus, und am Schluß geht wirklich alles querbeet - leicht gemacht wird es den Helden nicht wirklich. Daß Regisseur Stuart Baird von Haus aus Cutter ist, merkt man dem gutaussehenden Film an, denn er ist ausgesprochen sauber montiert. (Selbst bei hoher Schnittfrequenz bleiben die Actionszenen sehr übersichtlich, was spätestens bei schlampertem Murks wie McTiernans ROLLERBALL endgültig nicht mehr der Fall ist...) In einer Nebenrolle als überfordertes Computer-As glänzt Kanadier Oliver Platt, und Halle Berry ist auch da und schaut hübsch aus. Kurt Russell konnte ich früher überhaupt nicht leiden, aber als James-Bond-Ersatz macht er sich wirklich gut, und da er direkt von einem Abendessen weggeholt wird, hat er bei der Mission sogar einen Frack an! (Einem britischen Geheimagenten nimmt man so etwas noch ab, aber bei einem Ami muß man sich schon was einfallen lassen...) Ich habe bei EXECUTIVE DECISION (der sich nicht viele gute Kritiken einheimste) eingestandenermaßen ziemlichen Müll erwartet. Daß er mich letztlich prima unterhalten hat, nehme ich als angenehme Himmelfahrtsüberraschung hin. Ein echtes Himmelfahrtskommando also, angemessen untermalt von einem der besseren Goldsmith-Scores der 90er, mit viel Schmedderetäng - Heroismus rules!
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#189
Geschrieben 07. Mai 2005, 10:39
Trevor Reznik (Christian Bale) ist ein Fabrikarbeiter, den man mit Fug und Recht als Stiefkind des Lebens bezeichnen kann. Er hat keine Freunde, sieht man mal von der Prostituierten Stevie und der Flughafenrestaurantkellnerin Maria ab. An seinem Arbeitsplatz kann ihn keiner leiden, was sich auch nicht ändert, als ein Kollege wegen ihm seinen Arm verliert. Außerdem nimmt er ab. "Du solltest zunehmen, sonst verschwindest du noch ganz!" sagen ihm die einzigen Leute, denen er noch was bedeutet. Sein Leben wäre richtig eklig, wäre da nicht noch der geheimnisvolle Ivan, der ihm nicht von der Seite zu weichen scheint. Der macht es zur Hölle...
Passiert selten, daß ich richtig begeistert bin von einem neuen Film. THE MACHINIST ist eigentlich eine spanische Produktion, deren amerikanischer Regisseur vorher den angeblich kreuzunheimlichen SESSION 9 gemacht hat. In EL MAQUINISTA steht eine Figur im Mittelpunkt, die dem Zuschauer ebenso rätselhaft ist wie den meisten anderen Charakteren des Filmes. Der Grund für Rezniks Gewichtsabnahme ist unbekannt. Man spürt nur, daß da etwas im Busch ist, aber was, deutet das (kluge) Drehbuch nur Stück für Stück an. Der Umstand, daß Christian Bale (Patrick Bateman in AMERICAN PSYCHO) sich für die Rolle quasi zur Magersucht herabgehungert hat, führt dazu, daß man ihn kaum wiedererkennt. Die Szenen, in denen man seinen ausgemergelten Körper bestaunen kann, gehören zum Unangenehmsten, was ich bisher in einem Film gesehen habe. Das gewinnt fast den Charakter einer Freakshow. Der Zuschauer darf sich überlegen, wieviel von dem, was Reznik erlebt, Einbildung ist und wieviel wirklich passiert. Wie einfühlsam man selber auch ist - alle Hinweise, die vorher gestreut werden, wird man kaum aufsammeln können. Da ist der Klebezettel mit dem Galgenmännchen noch das Offensichtlichste. Der Film bewegt sich mit ruhiger Unausweichlichkeit auf einen Schluß zu, den man bereits ahnt, aber der Weg dahin ist wirklich das Ziel.
Ein formal glänzender Film, dessen zentrale schauspielerische Leistung hart an die Grenze des Erträglichen geht - ein totaler Kracher!
Neben REQUIEM FOR A DREAM einer der ganz großen Partyfilme...
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#190
Geschrieben 09. Mai 2005, 16:08
Der Russe Sasha (Steven Seagal!) pflegt ausgezeichneten Kontakt zur osteuropäischen Mafia. Bei einem Scharmützel bekommt er eine Kugel verpaßt und verläßt für einige Momente diese Welt. Sein Überleben qualifiziert ihn für eine wunderschöne Zelle in New Alcatraz, wo gerade ein Bankräuber hingerichtet werden soll. Bevor Old Sparky aber benutzt werden kann, wimmelt The Rock schon vor lauter aufgemoppelten Freizeitterroristen, die an die verborgenen Goldbarren des Delinquenten wollen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, nehmen sie Geiseln...
Tja, der erste Seagal nach EXIT WOUNDS. Man kann es nicht verhehlen, der Mann ist nicht mehr ganz jung. Hier bewegt er sich auf gewohntem Terrain, aber wenn man ihn für seine Erstlinge schätzt, so winkt man wohl müde ab. Der 80er-Jahre-Actionfilm funktionierte ästhetisch wie dramaturgisch nach anderen Gesetzen als die heutigen Materialschlachten. Die Story hatte simpel gestrickt zu sein und wurde im Idealfall geradlinig entwickelt. Heutzutage wird eine Menge unnützer Ballast auf den schwanken Ballon der Handlungsgerüste gehievt, in die die Actionszenen dann eingebettet sind. Das soll oftmals erzählerische Unfertigkeiten überdecken, aber auch Eleganz vorgaukeln, wo keine Eleganz wohnt. HALF PAST DEAD ist nicht richtig schlecht, aber er illustriert sehr anschaulich den Unterschied zwischen Stil und Styling (bzw. zwischen Dress und Dressing, hoho). Viel wirbelt herum, Funken zischen, Gepose allenthalben. Die Terror-Gang hat eine schwarzgewandete Fetischmaus dabei, die Schwatten reißen coole Sprüche, und irgendwo geht es da noch um eine Geiselnahme. Jede Spannung, die die Grundsituation erzeugen könnte, geht unter in den seit MATRIX üblichen Action-Schwenks (mit Geschwindigkeitswechseln) und anderem Larifari. "Aufgemotzt" ist das Wort dafür. Interessanter als der Film selbst ist die Besetzung: Hannes Jaenicke hat einen kleinen Auftritt, da der Film deutsch koproduziert wurde; die karrierefrauliche Richterin, welche gegeiselt wird, wird von Linda Thorson gespielt, der Emma-Peel-Nachfolgerin Tara King; und TV-Serien-Mogul Stephen J. Cannell (Rockford, Magnum, A-Team etc.) spielt einen Senator. Morris Chestnut, der lustige Kellner aus UNDER SIEGE 2, ist zum Hauptbösewicht befördert worden und macht seine Sache anständig. Schade nur, daß das Drehbuch nix hergibt. Viele Szenen schreien geradezu danach, die Situation angemessen zu "melken" (etwa, wenn Chestnut die Richterin psychologisch auseinanderzunehmen versucht), aber alles ist sehr halbherzig und einfach nicht gut genug. Unterm Strich bleibt ein typischer PG-13-Actionfilm, bei dem sogar in den Rapsongs die ganzen bösen Worte zensiert sind. Seagal schaut etwas unglücklich aus und wäre sicherlich lieber in UNDER SIEGE 3. Kuckbar, aber mehr nicht.
P.S.: Trivia am Rande: Die Gefängnisinnenaufnahmen entstanden in einem alten Stasi-Knast...
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#191
Geschrieben 09. Mai 2005, 19:41
Es ist einigermaßen schwer, einen wirklich gelungenen Spionagefilm zu zaubern. Selbst Alfred Hitchcock ist an diesem Ziel gescheitert (mit TOPAS). Warum sollte ein gewisser Michael Oblowitz das besser machen?
Man kann sagen, daß sich das internationale Agentenmiteinander nicht wirklich eignet für die große Leinwand. Wer immer sich daran versucht, hat im Grunde zwei Optionen. Möglichkeit 1: Er dramatisiert die Vorgänge und schafft überlebensgroße Charaktere, die zwar nichts mehr mit dem wirklichen Leben zu tun haben, aber für passable Kinounterhaltung sorgen. Dazu zähle ich auch die zahlreichen Persiflagen im Bond-Stil. Möglichkeit 2: Er bemüht sich um größtmögliche Realitätsnähe, auch gern mit dokumentarischem Einschlag. Im Moment fällt mir kaum ein Film ein, der auf diese Weise wirklich gezündet hätte. In der Regel werden da inflationär Städtenamen eingeblendet, Daten und Uhrzeiten (gerne auch militärisch: "1530 hours"). Einen Spannungsbogen aufzubauen, fällt da meistens flach, und auch die Erschaffung von sympathischen oder doch zumindest interessanten Figuren kommt da nicht selten zu kurz. Was für ein menschliches Drama soll man in vermeintlich authentische Profikiller auch hineindichten? Das sind meistens arme Würste, die ihre soziopathischen Neigungen berufshalber ausleben können. Da wohnt kein Drama.
Michael Oblowitz nun nimmt sich das Beste der beiden Welten und fällt auf die Nase. Die Locations wechseln ständig, die Einblendungen überschlagen sich, geballert wird nach besten Kräften, und das recht blutig. Schade nur, daß es niemanden interessiert, denn alle Figuren bleiben blaß und sterben an Unterernährung, bevor noch eine Revolverkugel ihrem irdischen Gastspiel ein Ende bereiten könnte. Die sehr wirr und umständlich erzählte Story dreht sich um den Undercover-Agenten Jonathan Cold (Steven Seagal), der von einem ehemaligen Arbeitgeber den Auftrag bekommt, ein Päckchen nach Deutschland zu schaffen. Viele zwielichtige Gestalten sind ebenfalls hinter dem Päckchen her. Was in dem Päckchen ist, verrate ich nicht, aber die Gebühren zahlt nicht der Empfänger, sondern der Zuschauer. Der Film ist trotz seiner völlig überreizten Actioneffekte lausig öde. Mit den (größtenteils polnischen) Locations weiß der Film kaum etwas anzufangen und langweilt mit den üblichen Hampeleien. Allmählich nervt mich dieses Geschwindigkeits-Gepitche bei Actionszenen. Okay, Peckinpah hat damals gezeigt, daß eingeschobene Zeitlupenbilder Gerangel durchaus attraktiver gestalten können, aber man kann's auch übertreiben. Filmisches Unvermögen am laufenden Meter. Da mag eine Szene als Beispiel genügen: Seagal hat einen über die Brezel bekommen und erwacht gefesselt und benommen. Das Gesicht seines Peinigers wird mit Computer partiell unscharf gemacht, was an sich ein ganz netter Effekt ist. Schade nur, daß Seagal in allen "reaction shots" irgendwo auf den Boden schaut, was den Effekt völlig sinnlos macht... Mumpitz! Mummenschanz! Der mit Abstand schwächste Seagal, den ich bisher gesehen habe.
P.S.: Die ebenfalls gurkige Musik (größtenteils Techno-Genorgel) stammt ungelogen von den Gebrüdern Wurst - nomen est fucking omen...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#192
Geschrieben 10. Mai 2005, 09:54
Mehr Formen, Farben und laute Geräusche von Michael Oblowitz. Ein weiterer Film, mit dem Steven Seagal sich (und uns) keinen großen Gefallen getan hat.
Seagal spielt den Archäologieprofessor Robert Burns, der überrascht feststellen muß, daß in seinen Jadefigürchen Drogen geschmuggelt werden. Da er sich nicht sonderlich geschickt anstellt, legt er sich mit den Jungs vom Drogenkartell an, die seine Frau umbringen. Da haben sie die Rechnung ohne die Blutwurst gemacht...
Andauernd wechselnde Schauplätze – auch OUT FOR A KILL hat viele Städtenamen, und jedesmal, wenn sie eingeblendet werden, kommt das übliche Computergefiepe als akustische Untermalung. Erneut ist Küchenhans der Schmalmeister. Und die Fightszenen sind ziemlich schlecht inszeniert. Gähn.
P.S.: Oblowitz hat bei einigen älteren Sachen von Rosa von Praunheim die Kamera geführt. Kann der Seagal nicht mal an Rosa vermitteln? Das wäre doch mal was...
P.P.S.: Alte Tong-Weisheit: „Krähen sind überall gleich schwarz!“
P.P.P.S.: Neue Nietzsche-Weisheit: „Der schwarze Kranich schreit und zieht schwirren Flugs zur Stadt/ Wohl dem, der jetzt ein gutes Drehbuch hat!“
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#193
Geschrieben 10. Mai 2005, 12:34
Steven Seagal und der Mond haben eines gemeinsam: Sie sind aufgegangen. Der Schiffskoch war nie so rund wie hier, aber das macht gar nichts, denn der Film ist deutlich besser als seine Vorgänger!
Jake Hopper ist ein ehemaliger CIA-Agent, der wieder ins Spiel zurückkommt, als seine Tochter von Terroristen entführt wird. Offiziell zeichnet für das Kidnapping eine islamische Organisation verantwortlich, aber Hopper wittert Unrat, da das zweite Entführungsopfer eine Senatorentochter ist. Mit viel Schmackes schickt er sich an, die wahren Hintergründe aufzudecken...
Ein Lufthauch! Obwohl weit davon entfernt, ein wirklich guter Actioner zu sein – dazu ist das Drehbuch zu beliebig –, hat BELLY OF THE BEAST gegenüber den vorangegangenen Müllhalden den großen Vorteil, in Ching Siu-Tung (A CHINESE GHOST STORY) einen exzellenten Martial-Arts-Regisseur an der Spitze zu haben. Man kann nicht sagen, daß die Story Überraschungen birgt, aber immerhin sieht alles sehr ordentlich aus, die Szenen fließen, anstatt sich fortwährend selbst ein Bein zu stellen, und selbst das Tempo-Gepitche in den Actionszenen hat mich ausnahmsweise mal nicht gestört, da sparsam und effektiv eingesetzt. Einige der Fights sind wirklich gelungen, und das Finale beschert einem ein sattes Gefühl im Bauch. Wenn der nächste Seagal die Schraube noch mehr anzieht, dann darf der Mann auch gerne noch ein paar Pfunde drauflegen!
Famous first: Seagal kämpft gegen einen Transvestiten...
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#194
Geschrieben 10. Mai 2005, 18:03
Wat hammer jelacht! Nein, dies ist nicht wirklich ein Steven-Seagal-Film, auch wenn das Cover es suggeriert. Stattdessen erwartet den Betrachter eine koreanische Produktion, die eine kuriose Mischung aus schwarzer Komödie, Martial Arts, Sozialdrama, Krimi und sentimentalem Tränendrüsendrücker darstellt. Kim ist ein ehemaliger Taekwondo-Weltmeister, der seinen Titel aufgrund von Schiebung verliert. 7 Jahre später ist er ein von Korruption umwitterter Bulle, der als alleinerziehender Papi für seine zahnlose Tochter sorgt, die einen prima Flunsch machen kann und herzzerreißend heult. Quasi aus dem Nichts taucht ihre Mutter auf, der erzählt worden war, ihre Tochter sei tot. Zwei Beziehungen stehen auf dem Spiel. So nebenbei läßt sich Kim auch noch gewöhnungmit skrupellosen Boxsport-Schiebern ein, die ihn in einem illegalen Match auf Leben und Tod gegen den amtierenden Weltmeister Jack Miller (Seagal) antreten lassen wollen. Um zu gewährleisten, daß der Ami auch wirklich siegt, entführen die bösen Menschen Kims Sonnenschein...
Um es kurz zu machen: Seagal taucht so richtig erst nach sage und schreibe 85 Minuten auf. Die Mischung aus kitschigem Sentiment und ziemlich brutalen Kampfszenen ist zwar sehr faszinierend, führt aber zu keinem lobenswerten Ergebnis. Zu Ende gekuckt habe ich den Film schon, aber auch nur, weil ich wissen wollte, wann der dicke Mann endlich singt. Es dauert sehr lange.
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#195
Geschrieben 13. Mai 2005, 16:00
Als in Tokio ein hoher Politiker einem Attentat zum Opfer fällt, ruft die CIA einen ehemaligen Agenten (Steven Seagal) auf den Plan, der dort aufgewachsen ist und die Yakuza kennt wie seine Westentasche. Im Gewirr zwischen japanischen und chinesischen Gangstern muß sich Travis seiner Haut wehren und findet sogar noch Zeit für die Liebe...
...was er hätte bleiben lassen sollen, denn die kleine Techtelei zwischen dem dicken Ami und seiner Kirschblüte ist ziemlich unerheblich und wird vom Drehbuch zum Glück auch bald fallengelassen. Die Pre-Credit-Sequence besitzt einen hohen Trash-Charme: In Burma wollen Seagal & Konsorten einen Drogenhändlerring auffliegen lassen. Als einer der Bösewichte (die alle lustige rote Lätzchen tragen) eine Frau schlägt, kann Seagal nicht an sich halten und riskiert den ganzen Einsatz. Mit wippender Plauze hoppelt er in Kampfklamotten durch den Busch und ballert. Das sollte er heutzutage vielleicht bleiben lassen! Bei dem darauffolgenden Gemengsel wird ein schwarzer Kollege tödlich getroffen, grinst Seagal aber im Hubschrauber noch fröhlich an: „Wer leben kann, muß auch sterben können!“ Fraglos. Nach dem Vorspann entwickelt sich der Film aber zu einem ganz passablen Yakuza-Thriller, kompetent inszeniert von einem britischen Regisseur, der sich den Kampfnamen „mink“ zugelegt hat. Ganz solide Nahkampfszenen und ein reichlich blutrünstiger Showdown. William Atherton (der in Schlesingers DER TAG DER HEUSCHRECKE ganz groß war) wird verheizt als CIA-Boß. Die asiatischen Darsteller scheinen weitestgehend nach ihrem Groteskwert ausgesucht worden zu sein und chargieren lustig in die Welt hinein. Yakuza-Film-Kenner werden wahrscheinlich amüsiert abwinken, aber für mich als vom amerikanischen Kulturimperialismus voll erfaßter Spaßsucher war das eine ganz ordentliche Packung. Der nächste Seagal macht im Trailer einen feschen Eindruck und stammt von Anthony Hickox. Demnächst in diesem Theater.
P.S.: Die charmante Frau mit dem Unterbiß aus KILL BILL Vol. 1 ist leider nur ganz kurz zu sehen – Punktabzug!
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#196
Geschrieben 14. Mai 2005, 01:38
Dieses Kleinod des amerikanischen Actionfilms der 80er habe ich heute im Beisein guter Freunde erneut genossen. Der Umstand, daß meine geistige Zurechnungsfähigkeit kompromittiert war durch die arglistige Einflößung weicher Spirituosen, mag mein Urteilsvermögen etwas getrübt haben, nicht aber mein logisches Denken. Das erwähne ich, da ich von diesem Film – den ich seit etwa 15 Jahren nicht mehr gesehen habe – rein gar nichts verstand!
Chucky Norris die Killerpuppe spielt den ehemaligen Top-Agenten Hunter, der in den floridianischen Everglade-Sümpfen Alligatoren fängt. Genaugenommen fesselt er sie nur und läßt sie danach wohl wieder frei – mehr wird nicht gezeigt. Bei seinem Pirschen assistiert ihm der indianische Restaurantbesitzer John Eagle, der schon bald einem fiesen Attentat zum Opfer fallen wird. Aber nicht so schnell: Woanders in den USA landen Schiffe an amerikanischen Gestaden. Erinnerungen an den Beginn von SAVING PRIVATE RYAN werden wach, doch statt milchgesichtiger GIs springen ungefähr 100 Bodybuilder mit dicken Spielzeugwummen an Land. Bestimmt hat Chucky im „World Gym“ nachgefragt und den dort tätigen Muskelwhoppern ein Elektrolytgetränk ihrer Wahl versprochen. Die Bodybuilder sind Kommunisten und werden angeführt von Richard Lynch, einem beliebten Charakterdarsteller, dessen vernarbtes Gesicht ihn zeitlebens auf Schurkenrollen eingeschworen hat. Woher Richards Narben rühren, ist Legendenstoff, aber in einem Interview las ich, daß er sich einst Benzin über den Kopf gegossen und angezündet hat, aus Protest gegen den Vietnamkrieg. Nun, diesen klassischen Fehler macht er hier wieder gut, denn er spielt Rostov, einen russischen Terroristen, der Chucky einst über den Weg lief und noch heute vom Alp geschüttelt wird, wenn er nächtens von ihm träumt. (Wer Chucks 1a-Märklin-H0-Bart sieht, weiß, woher der Wind weht...) Rostov steht der großen kommunistischen Invasion vor, von der Amerikaner in allen Ländern ganze Jahrzehnte lang geträumt haben. Und was machen die Russen als erstes, als sie im Feindesland einfallen? Sie erschüttern die Demokratie in ihren Grundfesten und verüben Anschläge auf a. ein Kaufhaus, b. eine Vorstadtsiedlung im Weihnachtstaumel und c. eine Latino-Fete. (!) Ich habe keine Ahnung, was für einen Plan die Russkis verfolgen, aber sie bomben einfach mal alles weg! Da sie unglücklicherweise auch in den Everglades auftauchen (warum?), muß auch Chucks Indianerfreund dran glauben. Unzählige Scharmützel und Autocrashs später stehen sich Chucky die Killerpappel und Richard Lynch in einem unerbittlichen Showdown gegenüber und lassen die Wummen sprechen...
Un-fucking-believable! Auf dem Gagaismus-Meter führt dieser Film nicht nur zum größtmöglichen Ausschlag, sondern zum Zentralkollaps, denn das hier ist nicht mehr Männerkino, sondern ein archetypischer Genrotz-Ausstoß mythischen Ausmaßes! Wann immer Chucky der Kellnerpopel zwei Uzis gleichzeitig zum Donnerstoß erhebt, rieselt der Kalk, und Böse sterben zuhauf. Natürlich müssen bei dieser Ausagierung stielmäuliger Cro-Magnon-Gesinnung auch unzählige „innocent bystanders“ ihr Leben lassen, aber für die Demokratie ist kein Preis zu hoch, und Waschlappen straft im übrigen das Sein. Chucks blondgleißende Märklin-Gesichtsmatratze wischt poliboymäßig alle Zweifel am lauten Tun beiseite und schafft Klarheit, wo vorher Chaos war. Geradlinige Gesinnung kontert den Feind im Hirn aus und spendet Labsal. Toll finde ich, daß Chuck Norris genau einen Gesichtsausdruck drauf hat. Er ist vermutlich der einzige Hollywooddarsteller, der dieses Kunststück beherrscht. Selbst Steven Seagal grimassiert dann und wann. Im Zivilleben wäre Chuck natürlich kein CIA-Agent gewesen. Er hätte womöglich nicht einmal einen elektrischen Rasenmäher steuern können. Statt in einer Hollywoodschaukel landete er aber in Hollywood und entzückte Millionen mit seiner thespischen Beherrschtheit, der unnachahmlichen Kontrolle über sein Mienenspiel. In gewisser Weise steht er damit für den Kindmann in uns allen, der Papa zeigen möchte, wo Bartel den Most holt. Er holt ihn einfach raus und macht Schluß im Quadrat. Sein geradezu monomanisch hervorgebrachtes „Es ist Zeit zu sterben!“ wurde von uns Zuschauern mit fröhlichem Gejohle belohnt. Unterstützt wird der Testosterontaumel von einer sehr eingleisig orientierten Musik, die Feuerstöße mit Fanfaren adelt und keine falsche Scham aufkommen läßt, wenn es um die Freiheit der westlichen Welt geht. Hervorstechen tut aus dem launigen Brei eine sagenhaft eklige Szene mit einer Koksschnupferin (Gastauftritt von Billy Drago, aber nicht als Koksschnupferin!), und auch ein stiller Moment spendet Trost, in dem der Mann mit dem Kartoffelgesicht einen SF-Film mit fliegenden Untertassen im Fernsehen schaut. Ich meinte zwar, es sei EARTH VS. THE FLYING SAUCERS, aber mein Beisitzer vermutete, es handele sich um den streng antikommunistischen INVASION U.S.A. von 1953, was ja schon irgendwie wieder Sinn machen würde! Potenzstörungen auf hohem Niveau, deren Anschaffung auf DVD mich keine Sekunde reut...
P.S.: In der deutschen Fassung scheint Rostov zu einem Hymes oder so geworden zu sein – falsche Scham im Angesicht der dräuenden roten Gefahr?
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#197
Geschrieben 14. Mai 2005, 02:20
Der andere Film des Abends war ein 10 Jahre altes Road-Movie, das ich noch niemals gesehen hatte. Bei der deutschen Kritik hatte der Film nicht gerade abgesahnt, aber meine Freunde mochten ihn. Ich schaute also mal mit. Und auch wenn kein Geniestreich dabei rumkam, der mir bislang entgangen war, aber eine gute Zeit hatte ich trotzdem, und Dummkram war das in keinem Fall.
KALIFORNIA handelt von einem jungen Mann namens Kessler (David AKTE X Duchovny), der ein Serienmörderbuch schreibt und deshalb mit seiner Freundin die Austragungsorte alter Grausamkeiten abklappern will. Ein Aushang führt ihn zu Early Grayce (Brad Pitt), einem Musterbeispiel der Gattung „Poor White Trash“, der zusammen mit seiner Freundin Adele (Juliette Lewis) gerade die Tapeten wechseln will. Unglücklicherweise ist der Weggenosse aber nicht nur ein struppichter Schlumpie, sondern auch ein geisteskranker Psychopath, was besser in den Plan des Akademikerpaares paßt, als es sich wünschen mag...
Zu Anfang mochte ich den Film nicht wirklich, da die Früh-90er-Glattheit der Inszenierung nicht die meine ist. Ästhetik, die selbst Schmutz noch schön und „chic“ erscheinen läßt, finde ich nicht nur dramatisch unwirksam, sondern auch nachgerade scheußlich. Da der ganze Film aber letztlich davon handelt, daß Held Duchovny eigentlich ein lahmer Voyeur ist, der die morbiden Einzelheiten seiner Serienmörder aus zweiter Hand erleben will, macht die Oberflächenverhaftung der Optik schon wieder Sinn, da es letztlich darum geht, daß das Buchthema dem Helden von einer Geisterbahnfahrt zu einer Wesensverwandtschaft wird. Psychopathen nicht als dumme Entschuldigung unbegabter Drehbuchautoren für eigene Grenzüberschreitung zu begreifen, sondern als Schattenseite dessen, was als Norm gilt, steht im Zentrum der Handlung. Duchovny beginnt als langnasiger Schlappschwanz, der sich von seiner dominanten Freundin Carrie (begnadet igitt: Michelle Forbes) leiten läßt, da er selber zu schwach ist. Carrie ist ein brünetter Hardbody, der ebenso wie Kim Basinger Mickey Rourke in 9 ½ WOCHEN die Treppe hätte hochbumsen können. Sie hätte auch das Körperdouble für Jennifer Beals in FLASHDANCE sein können. Sie ist Hollywood. Sie ist eine scheinbefreite Frau, die alles im Griff hat und alle devianten Sachen widerlich findet. Sie erwartet das auch von ihrem Freund und interessiert sich nicht wirklich dafür, was er in seinem Herzen möchte. Trotzdem fotografiert sie den schwitzenden, fetthaarigen, ungewaschenen Early Grayce, wenn er seine Freundin im Auto vögelt. Sie ist scharf auf ihn, sie möchte die Abweichung, traut sich aber nicht, das einzugestehen. Adele (IQ um die 40) ist ein großes Kind, ist von Mistkerlen vergewaltigt worden und will nur noch den starken Mann, der sie beschützt. Ihr Freund ist ein Serienmörder – so fucking what? Sie will ihren Kaktus, denn sie liebt die stacheligen Racker. Sie will ihren Kindertraum bis ins hohe Alter retten. Den Wankelmotor wird sie niemals erfinden, aber das stört nicht, wenn man zufrieden in den Laken einschläft. Und weiterträumt.
KALIFORNIA ist ein optisch sehr glatter Film, très chic allenthalben. Aber er birgt auch einige Schönheit. Juliette Lewis etwa ist völlig grandios. Sie spielt die grenzdebile Lolita-Proletarierin, daß man fast weinen möchte. Wirklich klasse. Wenn ich die in einer Schauspielschule getroffen hätte, wäre sie mir vorgekommen wie die Kids an der Schule, die niemals wirklich pauken müssen, um ihren Stoff zu können. Einfach naturbegabt. Brad Pitt, der alte Model-Schluffi, hat schon einige Male verlautbart, daß er diese Rolle besonders gemocht hat. Kein Wunder, denn er ist überzeugend primitiv, vulgär und eklig. Man mag seinen Charakter gegen Ende des Filmes nicht mehr wirklich, wie subversiv man auch gesinnt sein mag. Ich will den Film keine Sekunde mit einem erhabenen Werk wie BADLANDS vergleichen, aber er versucht auf seine Weise, eine Kerbe in die makellos stimmige Mensch-Interpretation Hollywoods zu treiben, wie wir sie allerorten wahrnehmen, und die so tückisch verlogen ist. Ich kenne die späteren Filme des Regisseurs Dominic Senas nicht, aber KALIFORNIA gefällt mir letzten Endes richtig gut. Er ist nicht hübsch, er beißt, und die Glattheit der Oberfläche wird richtig zersetzt. Da bleibt nicht mehr viel über.
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#198
Geschrieben 21. Mai 2005, 00:24
Vor Betrachten des Filmes habe ich mich immer gefragt, was es mit dem Titel wohl auf sich haben könnte. Unangenehme Assoziationen wurden bei mir geweckt - der arme Hase. Nun habe ich den Film gesehen und habe eine ungefähre Ahnung davon, was der Titel bedeuten könnte. Dumm nur - es interessiert mich nicht mehr!
THE BROWN BUNNY ist einer jener Filme, die man entweder sehr faszinierend oder sehr langweilig findet. Vincent Gallo spielt den Protagonisten Bud Clay, der quer durch die USA fährt, um seinen alten Schwarm wiederzufinden, Daisy. Zumindest kann man das mit zunehmender Deutlichkeit aus dem Film herauspuzzeln, denn Regisseur und Drehbuchautor Gallo üben sich in einer konsequenten Verweigerungshaltung, was die filmischen Konventionen Hollywoods angeht. Es werden viele Bilder nebeneinandergestellt, die nur eins gemeinsam haben: Gallo. Gallo auf dem Motorrad, Gallo im Wagen, Gallo bei der Kontaktaufnahme mit Frauen. Gallo in der Tierhandlung. Gallo bei den Eltern von Daisy. Gallo im Hotelzimmer. Gallo in der Wüste. Gallo ist überall, und die Kamera klebt dicht an ihm dran, vermeidet geradezu penetrant den „Goldenen Schnitt“. Vergleicht man BB mit der manierierten Bildführung von PARIS TEXAS, ist er sympathisch unaufdringlich gemacht, sehr unprätentiös, kuckt mal hier, mal da. Wenn nur die Vereitelung der Konventionen mit zunehmender Laufzeit meine Geduld nicht immer mehr strapaziert hätte. Einstellungen werden einen Tacken zu lang fortgesetzt als nötig, auf Alltäglichem wird kontemplativ ausgeruht. Der Film beginnt mit minutenlangen wackeligen Einstellungen von Motorradgebrause. Erklärt wird gar nichts, denn Erklärungen sind ja nur für die Blöden. Gallo wischt sich durch die Haare, guckt aus dem Fenster, macht mal dies, macht mal jenes. Die „Dittsche“-Kamera hält unnachgiebig drauf. Ironie ist erfreulich abwesend. Leider auch jegliche Spannung, jegliche Notiz von eventuell vorhandenen Zuschauern. Man sieht dem Gallo beim Suchen zu. Man sieht dem Gallo beim Leiden zu. Irgendwann kommt es dann zu dem berüchtigten Blowjob am Schluß, der auch in Gejammere und Geleide endet. Ein recht überraschender Twist läßt das Ganze dann fast noch Sinn machen, aber zu diesem Zeitpunkt war mein Handknöchel vom Weiße-Fahne-Schwenken schon fast ausgeleiert...
Nicht ganz unerheblich beim Betrachten von BB ist, ob man Vincent Gallo mag. Sehr viel Persönliches steckt in dem Film drin, und ich kann mich nicht wirklich lustig machen über ihn, denn ein Scheißfilm ist es mit Sicherheit nicht. Als Schauspieler in anderen Sachen konnte ich den Mann mit der eigenartigen Physiognomie immer ganz gut leiden. So weit, daß ich ihm unbedingt 90 Minuten beim mehr oder weniger stumm Vorsichhinleiden zusehen möchte, geht die Liebe aber nicht. Das war für mich vergleichbar mit „24 Stunden im Leben von Patrick Lindner“ - geht mir auch am Po vorbei. TWO-LANE BLACKTOP ist ein ähnlich sperriger Film, mit dessen Figuren ich aber ungleich mehr anfangen konnte. ELEPHANT von Gus van Sant dürfte viele Leute auch von Herzen langweilen, doch da mochte ich die Figuren; sie interessierten mich. Bei BB saß ich 90 Minuten lang fassungslos vor dem Phänomen, daß ich den Film eigentlich mögen müßte, doch er ging einfach an mir vorbei. Das war - ungelogen - einer der langweiligsten Filme, die ich jemals gesehen habe.
Nachbemerkung 17.03.06: Bin damals vielleicht etwas zu kiebig mit dem Film und seinem Protagonisten gewesen. Ich unterstreiche noch einmal: Schlecht ist er keinesfalls. Ob er mir jetzt besser gefällt - bei geänderter Erwartungshaltung -, werde ich möglicherweise demnächst mal antesten. Er ist ja jetzt auf DVD veröffentlicht worden.
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#199
Geschrieben 25. Mai 2005, 16:11
Nachdem ich diesen Klassiker meiner späten Kindheit (manche nennen es Pubertät!) jetzt zum ersten Mal seit langer Zeit wiedersehen durfte, war ich beglückt, festzustellen, daß er – trotz einiger Defizite – als durchaus effektiver Teenie-Schocker die Zeit gut überdauert hat. Als Grund dafür dürfte hier auszumachen sein, daß Regisseur Wes Craven das Projekt nicht halbherzig angegangen ist, sondern die unterliegenden Themen ernstgenommen und ihnen im Film ungewöhnlich viel Platz eingeräumt hat. Das vergleichsweise geringe Budget von 1,8 Millionen Dollar und kommerzielle Zugeständnisse – etwa das sehr beliebige und nachgerade alberne Ende, das er auf Wunsch des Produzenten einfügte – verhinderten, daß der Film wesentlich mehr wurde als ungewöhnlich fantasievolle Teenie-Unterhaltung, aber wenn man die Popcorn-Maschine im Kopf in Betrieb setzt, kann man mit NIGHTMARE eine ganze Menge Spaß haben. Daß Johnny Depp hier seinen ersten Auftritt hatte, war recht schockierend für mich, aber es war nicht das erste Mal, daß ein Horrorfilm zum Sprungbrett für eine große Karriere wurde. Die gerade erschienene NIGHTMARE-Box von Warner enthält eine dreiviertelstündige Dokumentation, in der die Protagonisten interessante Anekdoten zum Besten geben – ein sehr feines Extra. Wes Craven kommt darin ausgesprochen sympathisch herüber, und er fühlt sich zum Glück nicht bemüßigt, alles schönzubürsten, besonders im Hinblick auf...
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#200
Geschrieben 25. Mai 2005, 16:14
...Teil 2. Was eigentlich die Fortsetzung eines Alptraums hätte werden sollen, wurde ein Alptraum von einer Fortsetzung. Der Film lutscht so was von... Der Grundfehler, den das stümperhafte Drehbuch begeht, ist die völlige Ignoranz aller Regeln, die Teil 1 in bezug auf den Krueger-Charakter aufgebaut hatte. Nach einer eher lustlosen Aneinanderreihung verschiedener High-School-Klischees kommt es zu einem erstklassigen Fall von Besessenheit: Kruegers Geist fährt in einen sehr langweiligen Jungmann, der daraufhin zum Schnetzler wird. Warum der Drehbuchautor es überhaupt für nötig erachtete, diese Komplikation zur etablierten Prämisse hinzuzufügen, ist mir schleierhaft, denn im Folgenden verheddert sich der Film rettungslos in schwer zu schluckenden Inkonsistenzen. Wo Teil 1 ganz genau klarlegte, an welchem Punkt Charaktere einschlafen und somit Gefahr zu gewärtigen ist, kommt der alte Kinderschreck hier nach Gutdünken in unsere Realität und metzelt herum. Dabei (wie im Falle der Barbecue-Fete) scheint er sich auch magischer Mittel zu befleißigen, denn telekinetischer Mumpitz trägt sich zu und sorgt für schweren Seegang wie für Kopfschütteln beim Zuschauer. Man fragt sich wirklich, was das alles soll: Läuft da jetzt der entmenschte Teenager Jesse herum und metzelt drauflos oder ist Krueger himself in unsere Realität geraten, wie auch immer er das angestellt hat? Es macht einfach keinen Sinn, und diese Ignoranz des Drehbuchs raubt dem Film alles, was er an möglicher Spannung hätte aufbauen können. Während Craven im ersten Teil zudem offenkundiges Vergnügen daran hatte, die verlogene amerikanische Vorstadtwelt zu demontieren (Langenkamps saufende Mutti, Johnny Depps letaler Abgang etc.), wird die Teenie-Norm hier als Identifikationsmodell für den Zuschauer angeboten. Was eigentlich subversiv war, wird somit sehr reaktionär, woran auch der Sadomasotod des schwulen Sportlehrers nicht wirklich etwas ändert. Regisseur Jack Sholder (dessen ALONE IN THE DARK und THE HIDDEN ich sehr mag) wirkt im Making-Of fast so, als wäre ihm der Film rückblickend peinlich. (Interessanterweise erwähnt er, daß der Film für ihn einen homosexuellen Subplot besitze. Mag sein, aber ich bezweifle, daß der Drehbuchautor das beabsichtigte...) Craven sagt recht deutlich, daß er den Film aus gutem Grund abgelehnt habe. Kein Wunder, da NIGHTMARE 2 auf die Themen des ersten Teils regelrecht scheißt. Hätte er stattdessen etwas Neues anzubieten gehabt, hätte das trotzdem etwas werden können, aber so ist das eine der schlechtesten Fortsetzungen, die ich jemals gesehen habe. Murks!
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#201
Geschrieben 26. Mai 2005, 14:04
Ob Orson Welles´ CITIZEN KANE nun der „beste Film aller Zeiten“ ist, als der er gerne apostrophiert ist, wage ich nicht zu beurteilen. Mit Sicherheit ist er von den Meisterwerken der Filmgeschichte eines derjenigen, das die Zeit am besten überdauert hat und auch gegenwärtige Zuschauer noch erstaunt mit seinen innovativen Ideen, seinem künstlerischen Wagemut und seiner ästhetischen Anmut.
Erzählt wird die Geschichte des Zeitungsmagnaten Charles Foster Kane (Orson Welles), der sich kraft seines unbeirrbaren Ehrgeizes aus bescheidensten Verhältnissen emporgearbeitet hat. Nach seinem Ableben stellt ein Journalist (übrigens der spätere Jack-Arnold-Produzent William Alland!) Nachforschungen an, um den Sinn von Kanes letztem gesprochenen Wort – „Rosebud“ – herauszubekommen. Obwohl ihm (und uns) von den ehemaligen Weggefährten des mächtigen Mannes eine Vielzahl an Anekdoten beschieden werden, die einen Überblick über die Erfolge und die Niederlagen Kanes geben, muß er sich schließlich geschlagen geben. Nur dem Filmpublikum wird das Rätsel um „Rosebud“ in der letzten Einstellung enthüllt – ein Coup, der so gelungen ist, daß er mir noch heute das Wasser in die Augen treibt!
CITIZEN KANE ist eigentlich alles – Komödie, Tragödie, Detektivgeschichte, ein Film über Journalismus und amerikanische Zeitgeschichte. Er verbindet mühelos verschiedenste Formate in seiner Erzählung, auch „dokumentarische“ Newsreel-Aufnahmen und Tanzrevue. Charles Foster Kane erscheint als der Prototyp des vom Pioniergeist beseelten amerikanischen Selfmademannes – ehrgeizig, zielstrebig, kreativ. Stets um Überlebensgröße bemüht, donnert er seine Person in die amerikanischen Haushalte hinein und schreibt Geschichte. Bei alledem – das macht der Film deutlich – geht es ihm in erster Linie darum, geliebt zu werden, ohne jedoch selber in der Lage zu sein, Liebe zu geben. Die Menschen, die er zu lieben vorgibt, zerstört er. Die Ideale, für die einzutreten er vorgibt, zerstört er. Im Grunde ist es nur seine Dickschädeligkeit, die ihn davor bewahrt, seine Lebenslüge zu erkennen. Er kann sie nur aufgrund seiner grenzenlosen Brutalität und Vitalität aufrechterhalten. Wer er selber ist, hat er völlig aus den Augen verloren. Zum Geheimnis um „Rosebud“ nur soviel: Es ist – anders als Journalist Alland am Schluß vermutet – ein Wort, das ein Leben formen kann.
Trivia am Rande: Die „Rosenknospe“ soll angeblich ein Insider-Scherz gewesen sein, da das Vorbild für Kane – der Zeitungsmagnat William Randolph Hearst – die Klitoris seines Protegés Marion Davies mit diesem Ausdruck bezeichnete... Unglaublich, wie der gerade einmal 25-jährige Orson Welles solch einen Film zusammenbekommen konnte!
P.S.: Ist eigentlich mal jemandem aufgefallen, daß der 1981 hergestellte BUTTERFLY - ein unglaublich schlechter Neo-Noir, den Pia Zadora von ihrem reichen Gatten "geschenkt" bekommen hat - eigentlich eine ironische Replik auf CITIZEN KANE darstellt? Welles spielt da auch mit...
P.P.S.: Supermethode zum Mädchenaufreißen: „Ich habe ein paar Zeitungen – und was machen Sie?“
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#202
Geschrieben 27. Mai 2005, 15:36
Orson Welles´ zweiter Langfilm befaßt sich mit dem Niedergang einer einstmals reichen Patrizierfamilie, die scheinbar von persönlichen Zwistigkeiten zerrüttet wird, tatsächlich aber vor dem aufkeimenden Industriezeitalter die Waffen strecken muß. Im Mittelpunkt steht die unglückliche Romanze von Isabel und Eugene, die nicht werden darf, weil Freigeist Eugene beim traditionellen Ständchen ein paar Schnäpperken zuviel getrunken hat und im Garten seiner Angebeteten über die Baßgeige stolpert. Isabel mag ihm diesen Fauxpas nicht verzeihen und greift sich stattdessen den blassen Geschäftsmann Mr. Minifer, mit dem sie einen Sohn zeugt, George. George erweist sich als Schrecken der Stadt und walzt in aristokratischem Hochmut alles nieder, was ihm in die Quere kommt. Auch als junger Mann wird er immer noch beherrscht von seiner Verachtung für alles gesellschaftlich Minderwertige. Als Eugene – mittlerweile ein erfolgreicher Industrialist und frischgebackener Witwer – ins Haus derer von Amberson kommt, empfindet George sein Erscheinen als unschicklich. Unglücklicherweise verliebt sich der Feuerkopf in Eugenes Tochter Lucy, was seine Ablehnung des einstigen Paramours der Frau Mama kompliziert. Als die bösen Zungen des Ortes zu tratschen beginnen, fällt die Entscheidung: Der gute Ruf der Familie ist George wichtiger als seine Liebe. Isabel fügt sich dem Diktum ihres Sohnes, und die Tragödie kann beginnen...
THE MAGNIFICENT AMBERSONS (der auf einem Buch von Booth Tarkington basiert) ist ein Film über den Hochmut: Obwohl allenthalben Gefühle und Ideale den Ton anzugeben scheinen, sind es letztlich gekränkte Eitelkeit und mißverstandener Egoismus, die den Figuren zum Fallstrick werden. Auch handelt der Film vom Fortschritt, der keine Romantik und keine Eitelkeit kennt, sondern alles mit stumpfem Pragmatismus niederbricht, was ihm in den Weg kommt. Eugene ist Miterfinder des Automobils, und er ist wenig romantisch, was die Aussichten für die Zukunft angeht: Selbst wenn ihm mit der Erfindung finanzieller Erfolg beschieden sein sollte, wird sie doch die Welt einschneidend verändern, ob zum Besseren oder zum Schlechteren. George ähnelt dem Sprühgeist Eugene auf frappierende Weise, da er den Ehrgeiz hegt, aus dem Kleinstadteinerlei auszubrechen – sein Blick reicht über die beschauliche Umgebung hinaus. Doch er besitzt nicht das Herz Eugenes, der das Pro wie das Kontra des Fortschritts kennt und um die Risiken weiß. George fällt der Verblendung anheim und weiß erst darum, als es schon zu spät ist.
Welles schildert die Veränderungen innerhalb der Familie detailliert, zeigt die Verstrickungen, die die traditionelle Denkungsart den Hauptfiguren auferlegt, verliert aber nie den Blick für die Veränderungen, die sich außerhalb des streng abgegrenzten familiären Mikrokosmos abspielen. Der Niedergang der Ambersons resultiert schließlich daraus, daß sie sich dieser Veränderungen nicht bewußt sind, daß eigentlich überall der Hochmut regiert. Die darstellerischen Leistungen sind blendend, wobei mir besonders die große Agnes Moorehead gefallen hat, deren Fanny ein schauspielerisches Glanzstück darstellt. Die Moorehead hatte meistens Charakterrollen inne, da sie die erforderliche Niedlichkeit im Aussehen nicht mitbrachte, leistete dort aber ohne Unterlaß Großes. Meistens spielte sie exzentrische Charaktere, und ihre Tante Fanny ist eine Frau, die sich davor fürchtet, zur alten Jungfer zu geraten. An und für sich ein tragischer Charakter, neidet sie ihrer Schwester Isabel die Zuneigung von Eugene, und nach einem Leben der Aufopferung für die Familie will sie jetzt endlich auch mal profitieren. Doch ihre Versuche, den Lauf der Dinge zu manipulieren, beschleunigen nur den Ablauf der Ereignisse, deren Unvermeidlichkeit von äußeren Faktoren bestimmt wird.
Ein ganz großartiger Film, fesselnd vom Anfang bis zum Ende. Für gewöhnlich verblassen seine Tugenden etwas hinter dem weithin gerühmten CITIZEN KANE, aber zu Unrecht, denn Welles´ Fähigkeiten als Regisseur scheinen darin ebenso auf wie in dem berühmten Vorgänger. Wie jedes gute Drama geht der Film weit über den begrenzten Horizont seiner Hauptfiguren hinaus und schildert uns stattdessen eine Welt im Umbruch, vor der die Schicksale der Menschen letzten Endes bedeutungslos bleiben. „Der Glanz des Hauses Amberson“ ist nur ein selbsterzeugter Mythos, in dem die Figuren sich behaglich eingenistet haben, doch den harten Gesetzen der Wirklichkeit hält er nicht stand.
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#203
Geschrieben 30. Mai 2005, 21:03
Das beherrschende Motiv in Shakespeares Tragödie ist das Blut, das vergossen wird aus Machtgier und Verblendung. Es ist das Blut, auf dem unsere Zivilisation aufgebaut wurde – eine nimmermüde Folge von Grausamkeiten Einzelner, die dem Volk zu dienen vorgeben, aber in Wahrheit nur ihrem eigenen Nutzen verpflichtet sind. Im frühen Schottland wird dem Kriegsherrn Macbeth von drei Hexen geweissagt, er werde König von Schottland werden. Ist des verdienten Recken stählerne Brust auch durchzaust von feigem Zweifel, so wird dieser davongeblasen von seiner Frau: Lady Macbeth treibt den Gemahl zum Königsmord. Und da Blut bekanntlich Blut fordert, müssen auch alle, die zwischen ihm und der Macht stehen, beseitigt werden. Es heißt, daß nur jemand, der nicht von einem Weib geboren wurde, dem Tyrannen gefährlich werden könne, und auch nur dann, wenn der Wald sich gegen Schloß Dunsinane erheben würde. Macbeth sieht die Zeichen, deutet sie falsch und läutet damit seinen Untergang ein...
Vergleicht man Welles´ Version mit Roman Polanskis Splatter-Bearbeitung des Stoffes, so fällt zum einen auf, daß sie zwar geraffter ist, trotzdem aber wesentlich düsterer. Wo Polanski sich um historisch akkurates Detail bemüht hat und naturalistische Abbildung, setzt Welles auf Stilisierung, was den Film optisch fast in die Nähe des vom deutschen Expressionismus beatmeten frühen Horrorkino Hollywoods rückt. Furchtverzerrte Gesichter ragen in den Bildvordergrund, während der Hintergrund bestimmt wird von – der Zeit, in der das Stück spielt, durchaus angemessenen – rohen Steinbauten, die nebelumwallt in eine endlose Nacht hineinragen. Sein Macbeth ist ein überlebensgroßer Herrschertyp, der von seinem Schicksal auf eine Bahn gezwungen wurde, die er, nachdem er den Weg eingeschlagen hat, nicht wieder verlassen kann. Nachdem er seinen Rebellenstatus erkannt hat, nimmt er ihn an und stellt sich wider besseren Wissens gegen die Vorsehung, der er vorher zu seinem eigenen Gewinn gefolgt ist. Die Nächte und die schummrigen Tage, während derer sich die Vorgänge zutragen, entsprechen dem Chaos in den Köpfen der Figuren, die sich über den Ursprung ihrer Handlungen selber nicht im Klaren sind. Welles´ Fassung ist im Grunde die veritable Horror-Fassung des Stoffes. Sie zusammen mit Kurosawas gleichfalls prachtvollem DAS SCHLOSS IM SPINNWEBWALD zu sehen, muß ein Erlebnis sein.
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#204
Geschrieben 31. Mai 2005, 03:50
Ich habe den großen Fehler begangen, mir diesen Film für 6 Euro zu kaufen. Der deutsche Titel trifft den Nagel auf den Kopf. Tom Hanks spielt einen Anwalt, der sich unklugerweise dazu entschließt, ein Eigenheim zu erwerben. Shelley Long ist seine Frau. Das Haus erweist sich als Bruchbude und Groschengrab, da der Muffwurm in allen Bohlen haust.
Das Grundgerüst der Story hätte eine flotte Komödie ergeben können. Tatsächlich hat es sogar mal eine flotte Komödie ergeben, nämlich mit dem süßen MR. BLANDINGS BUILDS A DREAM HOUSE (NUR MEINER FRAU ZULIEBE), in dem Cary Grant dieselben Torturen durchläuft wie Hanks hier. Leider handelt es sich um eine 80er-Komödie, und Steven Spielberg ist der Produzent. Das ist wohl so eine Art Todesurteil. Der Film lutscht no fucking end. Ich hatte von früher noch einige nette Situationen in Erinnerung, etwa jene, in der die Badewanne durch die Decke kracht und Hanks wie ein Geisteskranker zu lachen beginnt. Leider sind die seltenen Beispiele von gutem Comedy-Timing sehr selten und eingetaucht in eine Sauce aus völlig überreizten „Späßen“, die aufgrund ihrer Überbetonung komplett unkomisch werden, sowie einer konservativen „Alles wird gut“-Moral, die ebenso verlogen wie unoriginell ist. Erster Fehler: Hanks verschuldet sich ohne Ende, um ein völlig marodes Gemäuer von einem südamerikanischen Ex-Nazi zu erwerben. Der ist schön blöd, wenn er das macht. Zweiter Fehler: Er vertraut seiner extrem dull aussehenden Frau, wenn er in dem heftig angeschwulten Alexander Godunov (=ein Super-Bösewicht in DIE HARD!) einen Nebenbuhler hat. Dritter Fehler: Er vertraut Handwerkern, denen – so der „subversive“ Gehalt dieses Filmes – einfach nicht zu trauen ist. Am Schluß steht die komplette Katastrophe, die aber natürlich unter süffisantem Synthiegepoppe (=späte 80er) abgewendet wird. Im wirklichen Leben würde alles komplett anders verlaufen, aber das ist hier wohl egal. Regisseur Richard Benjamin ist ein Mann der alten Schule und kann es durchaus, hat er doch den charmanten MY FAVORITE YEAR (EIN DRAUFGÄNGER IN NEW YORK – stöhn!) gemacht, in dem Peter O'Toole ein altes Mantel-und-Degen-Schlachtroß spielt, das für eine Live-Fernsehübertragung aus dem Alkoholdunst wiederbelebt werden soll. Als Schauspieler kennt man Benjamin vielleicht als Helden aus WESTWORLD, wo er von Yul Brynner durch die Gegend gejagt wird, oder aus anderen guten Filmen. In THE MONEY PIT ist aber ziemlich Feierabend, da jeder Effekt maßlos überbetont wird und modischer Schangel bemüht wird, wo die hysterische Gestaltung allein nicht schon ausreichend dünkte. Die Figuren sind Klischee hoch Zehn und als Klischee auch nicht sonderlich überzeugend. Der mögliche Sprengstoff der Komödie – sozialer Horror durch Überschuldung und die Fährnisse des Geschicks – wird vollkommen verschenkt angesichts der oberflächlichen und dümmlichen Behandlung des Themas, was auch im poppigen Soundtrack aufscheint. Wenn man den eleganten alten Film kennt, wird die Katastrophe völlig deutlich. Dies ist einer jener Filme, wo alles irgendwie so hingebürstet wird, daß es einem vermeintlichen Harmoniewunsch der Massen genügt. Das Ergebnis ist aber einfach nur banal. Mit Neil Simons NIE WIEDER NEW YORK habe ich gerade eine wirklich gelungene Paranoia-Komödie gesehen, die dieser Film auch hätte werden sollen. Stattdessen setzt es zwei, drei gelungene Gags, ein ordentliches (aber unterforderndes) Spiel von Hanks und eine Menge Gehampel ohne Biß. Das ist in etwa so, wie wenn man sich Laurel & Hardy ohne ihren speziellen Charme vorstellt. Slapstick setzt eben auch immer eine Portion von Ernst & Verzweiflung voraus, ohne den er komplett sinnlos ist. Wenn stattdessen nur dulle Versatzstücke angeboten werden, kommt so ein seelenloser Clown-Murks wie THE MONEY PIT heraus. Eine DVD, die bei mir direkt in die Mülltonne wandern wird. Dem Film wünsche ich ein Doppelprogramm mit Michael J. Foxens DAS GEHEIMNIS MEINES ERFOLGES, und wer jene Packung gesehen hat, weiß ungefähr, was ihn erwartet...
Hollywood konnte mal richtig formidable Komödien machen. Gelegentlich gibt es die auch heute noch. THE MONEY PIT ist aber völlig mißraten und verschwendet gutes Potential. Ein Hot Dog für die Massen, von denen offensichtlich erwartet wird, daß sie jeden Happen Frohsinn willig schlucken. Spielberg ist ein Nerd. Schade eigentlich, denn DUEL und JAWS fand ich noch richtig gut. Aber selbst die Indiana-Jones-Filme verlieren an Format, wenn ich mir den treugläubischen Mist anschaue, den er danach auf die Zuschauerschaft gekippt hat. Vielleicht belehrt mich sein Remake von WAR OF THE WORLDS ja eines Besseren, aber ich erwarte es nicht wirklich.
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#205
Geschrieben 02. Juni 2005, 13:18
Frisch auf DVD herausgekommen ist der hübsche Piratenfilm ANNE OF THE INDIES, der zu den insgesamt erfreulicheren Filmen Jacques Tourneurs gehört, und auch wenn er insgesamt Klassikern wie THE CRIMSON PIRATE oder THE BLACK SWAN nicht ganz das Fahrwasser reichen kann, so handelt es sich doch um ein überdurchschnittliches Exemplar seines Genres.
Anne Providence (Jean Peters, die spätere Mrs. Howard Hughes) ist ein wahrer Satansbraten und macht mit ihrer „Sheba Queen“ die Weltmeere unsicher. Als sie ein englisches Kriegsschiff kapert und die Besatzung über die Planke wandern läßt, findet sie einen gefesselten Franzosen, Pierre (Louis Jourdan). Pierre ist ein ziemlicher Schönling und erweicht auch das ruppige Herz der Korsarenkönigin. Das führt nicht nur zu einem Zwist mit der Besatzung ihres Schiffes, sondern verdirbt auch ihre Freundschaft mit Captain Teach, auch bekannt als „Blackbeard“: Der berühmte Pirat rät ihr, die Weiten des Ozeans zwischen sie beide zu legen, sonst ginge es ihr an den Kragen. Doch wo die Liebe hinfällt, da wächst bald kein Gras mehr – der hübsche Bube spielt falsch! Und wo Liebe wuchs, wächst jetzt der Haß...
Tja, was mir ungewöhnlich gut an diesem eindrucksvoll ausgestatteten Kaperdrama gefällt, ist der Umstand, daß der männliche „Held“ im Grunde genommen kein solcher ist, denn er verrät nicht nur die schöne Piratin, sondern stiftet auch ansonsten so manchen Schmuh. Jean Peters ist toll anzusehen, und man ist auch geneigt, ihr Killerpotential zuzutrauen, was bei vielen Schönliebchen Hollywoods sicherlich nicht der Fall gewesen wäre. Ihre Rolle ist wohl der authentischen Piratin Anne Bonney nachempfunden, deren Leben allerdings etwas anders verlief. Bei Tourneur geht es mehr um die Entdeckung der Romantik, die die Protagonistin durchläuft und schon bald bereuen lernt. Dabei wird Kitsch weitgehend vermieden, und auch die ausstatterischen Details sind durchaus eindrucksvoller, als man das aus jenen Tagen gewohnt war, als der Piratenfilm ja schon weitgehend zum B-Film-Entertainment abgesackt war. Die DVD-Firma präsentiert das prächtige Technicolor des Filmes in sehr ansprechender Qualität. Extras sind nicht viele dabei, aber dafür ist der Silberling auch einigermaßen preisgünstig. Wer gerne mit rauhen Männern (und hier auch Frauen) in See sticht, sollte also beherzt zugreifen!
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#206
Geschrieben 03. Juni 2005, 14:02
Au Mann, ich werde allmählich zu alt für so 'nen Kram...
10 Jahre nach seinem Entstehen habe ich jetzt endlich einmal Stuart Gordons CASTLE FREAK gesehen, und während er sicherlich gewisse Vorzüge gegenüber vergleichbaren B-Horrorproduktionen aus Amiland genießt (z.B. konsequenter Verzicht auf Humor, zumindest auf freiwilligen!), so zeigt er erneut, daß sich mit dem klassischen Horrorfilm nur jene befassen sollten, die ihn respektieren. Falls Gordon das alte Horrorkino liebt, so macht er es im besten Wilde'schen Sinne zuschanden. Sollte es sein Anliegen gewesen sein, Horror-Trash zu basteln, kann man ihm einen gewissen Erfolg bescheinigen, aber als ernstzunehmender Horror ist das alles ein Schwelgen in simpler Geschmacklosigkeit.
Gordon-Veteranen Jeffrey Combs und Barbara Crampton spielen ein junges Pärchen, dessen Flitterwochen eindeutig vorbei sind. Combs – früher ein Alkoholiker – hat einen Autounfall verursacht, bei dem der kleine Sohn ums Leben kam und das Teenager-Töchterlein erblindete. Babs kann ihm das nicht verzeihen, begleitet ihn aber aus unerfindlichen Gründen nach Italien, als er dort ein Schloß erbt. Wie sich herausstellt, hatte sein Papa etwas mit einer dort ansässigen Duchessa, und als Papa die schwangere Angetraute im Stich ließ, verlor sie den Verstand. Der gemeinsame Sprößling Giorgio wurde daraufhin von ihr im Keller gehalten, wo er sittlich verwahrloste. Die Tatsache, daß unten im Keller ein böser Zottelmaxe haust, ist der amerikanischen Familie natürlich nicht bekannt, aber allein die Umstände, unter denen die Erbschaft zustande kam, sollten – im Verbund mit dem nächtlichen Greinen in den Korridoren und anderen bedrohlichen Ereignissen – dafür ausreichen, die Familie rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Jeffrey ist nicht so schlau und wartet so lange, bis ihm seine Frau endgültig den Laufpaß gibt. Daraufhin handelt der Tropf so, wie ein echter Mann eben verfährt: Er läßt sich vollaufen und schleppt eine Nutte ab, die dann auch schön von Giorgio verhackstückt wird. Als er von der Polizei verhaftet wird, ist seine Familie schutzlos im Schloß eingesperrt und wartet auf den Seiberonkel...
Nominell basiert CASTLE FREAK auf der Erzählung „Der Außenseiter“ von H.P. Lovecraft. Das ist schon mal eine komplette Dreistigkeit, denn Lovecrafts wirklich unheimliche Erzählung (die mich seit meiner Kinderzeit begleitet hat!) gibt inhaltlich nicht wirklich viel her, was man zum Grundstoff eines Filmes machen könnte. Tatsächlich gibt es eine jämmerliche Spiegelszene, die die einzige Bezugnahme auf Lovecraft darstellt – ansonsten könnte der Film auch auf Walt Disneys „Lustigem Taschenbuch“ Bd. 44 („Phantomias auf Abwegen“) basieren.
Der Anfang des Filmes geht noch einigermaßen in Ordnung. (Obwohl es Lovecraft nicht gerade gerecht wird, eine alte Schabracke zu zeigen, die einen geistig Zurückgebliebenen mit dem Neunschwänzer bearbeitet, aber jo mei.) Es gibt den Versuch, die „klassische“ Familientragödie mit einer neuzeitlichen Familientragödie zu kontrastieren. Könnte auch klappen, wenn die Figuren nicht so unsympathisch wären. Zudem – so leid es mir tut – chargiert Combs wieder über bis zum Gottserbarmen, und die Crampton wäre eindeutig besser in einer Folge des „TV-Shop“ aufgehoben. Die italienischen Schauspieler schneiden im Vergleich deutlich besser ab. Und nein, es reicht nicht, den Zauber der „alten Welt“ einzufangen, indem man seine US-Crew in ein Flugzeug packt und denselben Schmodder an italienischen Original-Sets dreht. Gordons Fähigkeiten, was die Erschaffung von schauerromantischer Atmosphäre angeht, erschöpfen sich in wüsten Gewittern, andauerndem Geknirsche und Gequietsche im Hintergrund und Richard Bands erneut komplett nervigen Synthie-Streichern. (Immerhin hat er sich diesmal nicht direkt bei Filmkomponisten bedient, die diesen Titel auch verdienen, etwa Herrmann oder Goldsmith...) Da Gordon aber der Patina alter Filme nicht vertraut, haut er auch noch Splatter rein, daß es spritzt in der guten Stube: Das Monster kommt frei, indem es sich erst einmal einen Fingernagel ausreißt, dann den Daumen bricht und ihn mit der eisernen Handfessel einfach abtrennt! Was ist noch zu sehen? Einer Frau wird der Nippel abgebissen; danach mundwerkelt das Monster in ihrem blutverschmierten Schoß rum. Einem Polizisten wird ein Auge rausgesaugt. Und so geht das dann weiter. Absoluter Tiefpunkt war für mich die Szene, in der die zum Tode erschrockene Prostituierte an dem Monster herumgrabbelt, um sich die Freiheit mit sexuellen Gefälligkeiten zu erkaufen, dabei aber feststellt, daß es keinen Pillemann mehr hat! Tja, das ist Lovecraft, wie er leibt und lebt, oder eigentlich ja keine Lovecraft... (Hust!) Das einzige, was mir an diesem Murks gefallen hat, ist, daß es sich hier vermutlich um das einzige Hollywood-Monster handelt, das während des Finales permanent seinen Hodensack in die Kamera baumeln läßt! Das ist sicherlich ein „famous first“, aber was den ganzen Rest angeht, so heulen die Ghulen auf dem Nachtwind...
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#207
Geschrieben 04. Juni 2005, 01:28
Die junge Frau Tomie (spricht sich „Tomi-jeh“ aus, nicht wie die gleichnamige Mayonnaise!) hat den schlechten Einfall, einem unbegabten Maler namens Hideo Modell zu stehen. Als sie ein Porträt von sich zerkratzt, reagiert er über und schlitzt sie auf. Die beiden Freunde Takumi und Shunichi helfen ihm dabei, den Leichnam im Wald zu verscharren. Doch die Tote kommt zurück, tötet Hideo und stiftet nachhaltigen Unfrieden im Leben der beiden Helfershelfer und ihrer Lieben...
Dieser dritte Film einer mir ansonsten nicht näher bekannten Serie (die auf einem Manga basiert) braucht sehr lange, um einigermaßen in Fahrt zu kommen. Auch danach serviert er nur einige mäßig aufregende Effekte (z.B. einen abgetrennten Kopf, der um die Ecke biegt), die die von ominösem Synthie-Genudel umwaberten Vorgänge interpunktieren. Angesehen habe ich mir das Werk hauptsächlich, weil es vom mittlerweile durch seine JU-ON-Filme zu Ruhm & Ehren geratenen Takashi Shimizu stammt. Während ich die beiden JU-ON-Videos wie auch den ersten der beiden Kinofilme für extrem unheimlich halte (und der zweite zumindest einige sehr gelungene Effekte enthält), regierte für mich bei REBIRTH die Langeweile, leider. Ich fand die Charaktere uninteressant bis aktiv nervend, das langsame Tempo (das in den JU-ONs sehr zum Vorteil der kriechenden Spannung eingesetzt wird, die die Filme erzeugen) einschläfernd und die verwirrende Narrative ebenfalls kaum dazu angetan, den Zuschauer in die Handlung hineinzusaugen. Schade, davon habe ich mir wirklich mehr versprochen...
P.S.: Ach ja, die Bildquali der DVD ist eindeutig nix für den Gabentisch und die Synchro noch schlechter als jene des ersten JU-ON. Fazit: Spinatmaske!
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#208
Geschrieben 04. Juni 2005, 14:21
Ray Liotta spielt einen gewalttätigen Schwerstkriminellen, der zum Tode verurteilt worden ist. Nach seiner „Hinrichtung“ erwartet ihn die Überraschung seines Lebens: Er soll Testperson in einer ungewöhnlichen Versuchsreihe werden, die die Wirksamkeit eines aggressionshemmenden Medikaments belegen soll. Willem Dafoe leitet das Experiment. Obwohl es zunächst so scheint, als werde der Saulus tatsächlich zum Paulus, sind da noch zahlreiche lose Enden aus der Vergangenheit des Killers, die aufgerollt werden wollen...
Tim Hunter hat mal den hervorragenden Jugendfilm DAS MESSER AM UFER gemacht. Danach war er meist für das Fernsehen tätig, wo er diverse Folgen von TWIN PEAKS drehte, aber auch reichlich Schangel. CONTROL gehört eher zur letzteren Gruppe, da das Drehbuch seine ungewöhnliche Prämisse sehr halbgar entwickelt und die interessanten moralischen Fragen, die aus ihr entstehen, nicht wirklich verfolgt. Immerhin wird angedeutet, daß Doktor Dafoe selber über einen unausgeglichen Aggressionshaushalt verfügt, und der Figur des Killers Liotta werden einige durchaus sympathische Merkmale mit auf den Weg gegeben. In letzter Instanz läuft aber alles auf einen streng melodramatisch akzentuierten Thriller hinaus, der diverse völlig unwesentliche Elemente einfügt, die alle vom Hauptstrang der Story abweichen. Den Russenmafiakiller, der Liotta verfolgt, weil jener aus Versehen den Neffen eines bösen Ivans plattgemacht hat, hätte man etwa ersatzlos streichen können. Langweilig oder schlecht gemacht ist der Film ganz und gar nicht, aber ich hätte mir sowohl im Hinblick auf die Prämisse als auch auf den Regisseur einfach mehr gewünscht. Unterm Strich bleibt Nettie-Unterhaltung, die qualitativ deutlich über dem sonstigen Pegel der Produzenten Boaz Davidson und Avi Lerner liegt. Hochkarätig besetzt ist das Ganze auch. Nur nimmt man nicht wirklich etwas mit nach Hause, und das wäre bei dieser Story – denke ich – wünschenswert gewesen.
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#209
Geschrieben 05. Juni 2005, 01:06
Einige junge Leute kacheln mit einem Wohnwagen durch die Südstaaten der USA. In dem kleinen Örtchen Lovelock stoßen sie auf zahlreiche pittoreske Individuen, die zu blutdürstigen Zombies werden, als das Siegel von einer chinesischen Zauberbox entfernt wird...
Für relativ wenig Geld gedreht, und dafür gar nicht mal schlecht. Hey, das ist deutlich besser als REDNECK ZOMBIES! Die Splatterkomödie DEAD & BREAKFAST braucht ein bißchen lang, um durchzustarten, aber wenn sie erst einmal loslegt, dürften zumindest die Gorehounds einiges zwischen die Lefzen bekommen. Habe den Streifen zusammen mit Gleichgesinnten gesehen, was durchaus hilft. Der Humor schielt ein wenig nach Peter Jackson, ist teilweise eindeutig zu pubertär (z.B. der abgeschlagene Kopf als Handpuppe – hallo, INTRUDER!), aber zwischen den ganzen Kalauern gibt es auch einige gelungene Gags. Ach, und was die „Ab 16“-Freigabe angeht – johoho! Der Film ist eher noch blutrünstiger als der gleichermaßen ab 16 freigegebene SHAUN OF THE DEAD, läßt allerdings dessen konzeptuellen Feinsinn weitgehend vermissen. (Toll an SHAUN fand ich z.B., daß den Protagonisten die vereinzelt herumtorkelnden Zombies zu Beginn überhaupt nicht auffallen, da sie perfekt ins gewohnte Straßenbild passen, und sich im übrigen sowieso niemand für den anderen interessiert!) Insgesamt aber fanden wir den Film recht spaßig, wenngleich man sein Gehirn vor Einlegen der DVD am besten rausschrauben sollte...
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#210
Geschrieben 05. Juni 2005, 01:28
Billy Bob Thornton spielt Willie, einen heruntergekommenen Ganoven, der mit seinem kleinwüchsigen Partner Marcus in Supermärkten den Weihnachtskasper mimt. Kinder kann er nicht leiden, Geld umso mehr. Außerdem schläft er gerne mit dicken Frauen. Wann immer ihn der Blues überkommt, raubt er den jeweiligen Supermarkt einfach aus und setzt sich ab nach Florida, bis wieder die Weihnachtsglocken läuten. Alles könnte prima laufen, wenn er sich als neues Domizil nicht ausgerechnet das Haus eines reichen, dicken, extrem unattraktiven Jungen ausgesucht hätte, der bei seiner dementen Oma wohnt...
Wieviel Input die Coen-Brüder bei diesem Film gehabt haben, ist mir nicht bekannt. Offiziell fungieren sie „nur noch“ als ausführende Produzenten. Die Lust, mit der hier in „heiligen“ Traditionen herumgesaut wird, erinnert streckenweise an das Tourette-Syndrom: Wenn der schmuddelige und in der Regel völlig betrunkene Santa Willie die Rotzbälger auf den vollgepißten Schoß hievt, dann weiß man, daß er Kinder noch mehr haßt als W.C. Fields. (Der sagte ja mal, daß jemand, der Hunde und kleine Kinder hasse, kein ganz schlechter Mensch sein könne!) Willie ist eigentlich richtig kaputt, hat sich im besten Schmarotzersinne in den Lügen des Kapitalismus eingenistet und lebt von der allgegenwärtigen Heuchelei und der Dummheit der Mitmenschen. Eigentlich ist er ganz okay, wenn er auch ruhig etwas besser auf sich aufpassen könnte. Thornton spielt den schmierigen Weihnachtsmann absolut grandios. Der Mann ist eine coole Sau. Ich fühlte mich etwas erinnert an Gerhard Polts tränentreibende Darstellung eines von Betriebsfest zu Betriebsfest torkelnden Faschingsprinzen, aber Thornton ist irgendwie noch extremer. Immerhin kriegt er trotz seines exorbitanten Alkoholkonsums ständig einen hoch. Wir haben gejohlt und gewiehert bei dem Film. Vergleicht man ihn mit THE BIG LEBOWSKI (dem er in punkto Humor teilweise wirklich das Wasser reichen kann), so muß man einschränkend anmerken, daß er nicht das satte Gefühl im Bauch vermittelt, das LEBOWSKI erzeugt hat. Am Schluß muß eben doch noch etwas Moral hineingepackt werden. Dies passiert aber nicht auf so aufdringliche Weise, daß es mich ernsthaft gestört hätte. BAD SANTA ist bitteres, zersetzendes und sehr, sehr komisches Kino, das den Kitsch als seinen Todfeind auserkoren hat. Daß er eben jenem Kitsch letzten Endes nicht ganz entkommen kann, mag stören, wen es will. Ich werde mir den Film auf DVD holen – soviel ist mal sicher! Die Coen-Brüder mögen Frank Capra. Das hier ist eine Art Capra-Geschichte, nur halt erzählt aus der Sicht eines stinkenden, herumvögelnden, vollgepißten Weihnachtsmannes. Und das finde ich gut!
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