Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#331
Geschrieben 16. Mai 2006, 02:05
In den Alpträumen der kleinen Sharon Da Silva geht es immer wieder um eine eigenartige Stadt namens Silent Hill. Da die Träume mit einer gefährlichen Neigung zur Schlafwandelei einhergehen, beschließt ihre Mutter Rose, zusammen mit ihr den Ort aufzusuchen, der solch eine mysteriöse Anziehungskraft auf die adoptierte Tochter auszuüben scheint. Doch sobald sie die Stadtgrenze überquert haben, überschlagen sich die Ereignisse: Nach einem Autounfall verschwindet Sharon, Rose wird von der Polizistin Cynthia festgenommen, da jene die Situation gründlich mißdeutet, und fürchterliche Kreaturen erscheinen. Die ganze Stadt scheint sich in einer Art Dämmerzustand zu befinden, der gelegentlich eine Parallelwelt zuläßt, aus der das Grauen kommt...
Endlich mal eine Computerspieladaption, mit deren Vorlage ich bestens vertraut bin! Die mittlerweile vier Geschichten, die sich um das geheimnisvolle Silent Hill ranken, stürzen den Spieler mitten hinein in eine schauderhafte Realität jenseits der unserigen. Es ist schon recht erstaunlich, mit welcher Sorgfalt und Stimmigkeit die Filmemacher den nebelumwitterten Ort und seine unerfreulichen Bewohner auf die Leinwand gebracht haben. Abgesehen davon, daß die eigenartigen „Kameraeinstellungen“ des Spieles (die von den Fortbewegungsmöglichkeiten des jeweiligen Protagonisten diktiert werden) ihre haargenaue Entsprechung in einzelnen Kamerafahrten des Filmes finden, wurden einige Sets (Toilette!) täuschend echt nachgebildet. Auch wurde die hervorragende Musik von Akira Yamaoka von Mychael Dannas Bruder Jeff ausgesprochen gekonnt in den Filmsoundtrack eingearbeitet. Warum mich der Film – trotz unleugbarer Exzellenz in manchen Bereichen – nicht wirklich gekickt hat, kann vielleicht nur der nachempfinden, der sich schon häufig selbst in Silent Hill herumgetrieben hat. Das vorherrschende Gefühl, das den Spieler der japanischen Vorlage beschleicht, ist das völliger Entfremdung. Man wird ohne große Einführung in eine unangenehme Situation hineingewürfelt, in der man sich irgendwie zu behaupten hat. Nur eins ist sicher: Man wäre lieber im Garten auf dem Liegestuhl! Silent Hill ist ein Gegenentwurf sowohl zum drögen Alltag wie zum ersehnten Ideal – eine Kleinstadtkulisse amerikanischer Prägung, von fantasievollen Japanern nachempfunden. Alles ist abstrakt und unkonkret, völlig unerklärbar. Man akzeptiert die vorgefundene Realität, oder man wird von ihr gefressen. Die Imitationswut des Filmes setzt dieses Gefühl zunächst geschickt um. Wo der mit dem Computerspiel nicht vertraute Zuschauer vielleicht verdutzt den Kopf schüttelt und „Huch!“ macht, fühlt sich der SH-gestählte Zocker zu Hause. Man ist komplett desorientiert in einer meistens stummen Alptraumwelt, in der Flocken (Schnee?) vom Himmel rieseln und auf einmal Geräusche und Monster hervorbrechen, die eher Assoziationen zu Bosch, Francis Bacon und Shinya Tsukamoto wecken. Das Problem des Filmes setzt dann ein, wenn traditionelle Horrormotive eingeflochten werden müssen, die in der abstrakten Welt des PC-Spieles unnötig sind. Christophe Gans und sein Drehbuchautor Roger Avary kommen auf einmal mit einer Gruppe religiöser Fanatiker, die unendlichen Blödsinn salbadern, und auch wenn sie offensichtlich nicht das Identifikationsangebot des Filmes darstellen, so nerven sie einfach massivst. Sie holen den Zuschauer aus der kompletten Desorientierung heraus und signalisieren: Das da sind die Bösewichter! Wie brillant auch die Monster nachgestaltet sein mögen (ich sage nur: die Krankenschwester-Zombies, der scharlachrote Henker mit dem Dreieckskopf!), so wird da die vieldeutbare Spielewelt verkürzt auf die gewohnten narrativen Strukturen, die so gar nichts zu tun haben mit der Welt des unwägbaren Irrsinns, in die einen die Spiele stürzen. Ich bin mit drei anderen Leuten im Kino gewesen, von denen zwei Fans der Spiele waren, und der eine meinte nur trocken: „Das ist mal ein Fall, wo der Film dümmer war als das Computerspiel!“ Angesichts der ästhetischen Qualitäten des Filmes würde ich das nicht so harsch ausdrücken, aber ich spüre schon, wo der Arg herkommt. Gemessen an anderen Hollywood-Schrecken beklatsche ich SILENT HILL eindeutig, weil er sich der typischen Gruselstrategien enthält und stattdessen mit viel Geschick eine Welt des Unbehagens und der „weirdness“ erzeugt. Als Umsetzung eines (wie ich finde) genialen Spielesystems versagt der Film, da er die Möglichkeiten, die dem System innewohnen, auf gewöhnliches Holterdipolter reduziert. Der Anfang zeigt, wie es richtig geht. Danach regiert der Schangel. Bunt zwar und eindrucksvoll, aber wenn man schon einige Male höchstselbst durch die Midwich-Grundschule geirrt ist oder sich im Krankenhaus herumgetrieben hat, ist das wirklich kein Vergleich. Eine abschließende Beurteilung kann ich nicht vergeben, denn der Film wird auf jeden Betrachter anders wirken. Interessant ist SILENT HILL auf jeden Fall, und wem die Ästhetik des Filmes zusagt, dem empfehle ich nachdrücklichst, sich mit den Spielen auseinanderzusetzen. Teil 1 ist grafisch noch sehr reduziert, enthält aber bereits den vollen Süchtigmach-Reiz. Teil 2 hat die beste Story und spielt grafisch schon in einer ganz anderen Liga. Teil 3 ist das schwächste der Spiele, enthält aber immer noch genügend kreuzunheimliche Situationen. Und Teil 4 ist für mich einfach nur noch Kunst... What a world!
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#332
Geschrieben 25. Mai 2006, 22:50
Und siehe da, dieses MOH-Doppel ist das erste, das aus zwei Gewinnern besteht, wenngleich einem etwas kompromittierten. Die bessere der beiden Episoden ist jene von Lucky McKee, dessen MAY wohl nicht nur mich angenehm überrascht hat. Erfreulicherweise ist die hervorragende Angela Bettis wieder mit dabei, die hier eine lesbische Käferkundlerin spielt (!), die auch privat von ihren Vorlieben nicht lassen mag. Dafür muß sie aber mit heavy Streicheldefizit leben, denn die in ihrem Schlafzimmer herumstehenden Terrarien und ihre krabbelnden Bewohner haben schon so manche Käferscheue das Weite suchen lassen. So kommt es, daß die schüchterne Ida mehr als begeistert ist, als sie die Bekanntschaft der hübschen Studentin Misty macht, die nicht nur ebenfalls Fraufrau ist, sondern obendrein Käferfan – manchmal klappt's ja! Dumm nur, daß just zu diesem Zeitpunkt ein brasilianischer Bizarrkäfer in Idas Wohnung unterwegs ist, den ihr ein unbekannter Gönner hat zukommen lassen. Besondere Kennzeichen: Der Käfer ist ziemlich groß, hat drachenartige Panzerauswüchse und schleimt herum. Unglücklicherweise wird Misty gebissen und verändert sich sehr zu ihrem Nachteil...
Frauen, die gern Frauen poppen, haben in Horrorfilmen einen schlechten Stand. Das Genre bedient sich traditionell ja eher beliebter Universalängste, und die sind nun mal für gewöhnlich konservativ, nicht rock'n'roll. Zwei sympathische Lesben in einem solchen Genrebeitrag sind etwas, an das ich mich überhaupt nicht entsinnen kann, und wenngleich die Figur der Ida Teeter nicht ohne groteske Züge ist, so ist sie doch die Heldin der Geschichte und muß sich neben ihrer entomologisch bedingten Einsamkeit auch noch mit den Vorurteilen der gruseligen Vermieterin und deren nicht minder grusligen Enkeltochter herumschlagen. Die Horrorelemente der Episode kommen erst spät zum Tragen, aber die Geschichte wird so gut erzählt, daß es niemals langweilig wird. Lucky McKee kann was. Auch bemerkenswert ist die gelungene Musikauswahl, die sich aus verschiedenen Songs zusammensetzt, die ich mir durchaus auf Platte zulegen würde. Neben den zu erwartenden sexualpathologischen Anspielungen setzt es auch noch eine deutlich inzestuöse und familienskeptische Note, der in der tollen Schlußszene die Krone aufgesetzt wird. Hat mir sehr gefallen!
Masters Of Horror: Haeckel's Tale (DVD)
Geschichte 2 stammt von HENRY-Regisseur John McNaughton und basiert auf einer Erzählung von Clive Barker. Ein junger, hochmütiger Medizinstudent namens Haeckel befaßt sich mit der Wiederbelebung von Toten. Seine erste Frankenstein-Vorführung endet in einem gschmackigen Barbecue und trägt ihm den Arg seines Professors ein. Als ein Jahrmarktsgaukler in die Stadt kommt, der von sich behauptet, totenbeschwörerische Fähigkeiten zu besitzen, hält Haeckel dies für Scharlatanerie und fordert den Mann heraus, der den Beweis für seine Behauptung nicht schuldig bleibt. Etwas später befindet sich Haeckel auf der Reise zu seinem Vater, der im Sterben liegt. Als das Wetter umschlägt, sucht er Zuflucht in einem alten Bauernhof, in dem ein alter Mann mit seiner blutjungen und wunderschönen Frau wohnt. Elise – so erzählt der alte Mann – war einst in einen Galan ihres Alters verliebt, den aber der grimmige Sensenmann entführte. Doch was sich auf dem Friedhof abspielt, das muß Haeckel mit eigenen Augen erleben – sehr zu seinem Leidwesen...
Die Episode wird ziemlich umständlich erzählt, wohl wahr, aber nichtsdestotrotz hatte sie meine Aufmerksamkeit von Anfang bis Ende. Vom Umstand, daß McNaughton hier keinen Großstadthorror bemüht, sondern im Kostümfilmambiente von Cormans Poe-Verfilmungen wildert, sollte man sich nicht irreführen lassen – der Schluß der Story ist ein ziemlicher Kracher und hat selbst mich schockiert. Ich sage nur: Manche Menschen lieben ihren Braten kalt, und während Rigor Mortis für Leichenbestatter eher hinderlich ist, kann sie unter anderen Umständen durchaus ihren Platz im Blumengarten der Liebe haben... Mein lieber Scholli! Ich meine, daß am Schluß eine Kleinigkeit geschnitten ist, aber das mildert die unappetitlichen Implikationen der Handlung nicht wirklich ab. Interessant immerhin, daß die Episode bei der Erstausstrahlung im amerikanischen Fernsehen als Ersatz für den wohl wirklich haarsträubenden Beitrag von Takashi Miike herangezogen wurde. Auch McNaughtons Episode dürfte allerdings hiesigen TV-Zensoren Probleme bereiten. Ansonsten: Hübscher Gastauftritt von Jon Polito, der als Totenbeschwörer mit lustiger Perücke ziemlich auf die Pauke hauen darf.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#333
Geschrieben 26. Mai 2006, 01:26
Jamie (Henry Thomas) arbeitet in einem Laboratorium, das sich mit der künstlichen Herstellung von Geschmacksrichtungen für Lebensmittel beschäftigt. In seiner Freizeit hat er das große L auf der Stirn und mit den Nachwirkungen einer fehlgeschlagenen Beziehung zu kämpfen. Er würde gerne neue Frauen kennenlernen, aber das wird nicht einfacher gemacht durch den Umstand, daß er in letzter Zeit von Visionen gebeutelt wird. Es scheint ihm so, als würde er am Leben eines anderen teilnehmen. Daß es sich um eine Blondine handelt, ist nicht tragisch, denn sie ist naturgeil. Leider ist sie auch eine Mörderin...
Tja, schade, daß dieser relativ fehlgeschlagene Beitrag ausgerechnet vom Schöpfer der Serie stammt, Mick Garris, der hier insbesondere drehbuchtechnisch mehr abbeißt, als er schlucken kann. Im Hitchcock-Marmeladetopf zu wühlen, ist schon bei einer Exzellenz wie Brian de Palma danebengegangen (BODY DOUBLE!), und wenn die Story dann auch noch mit televisiver Geradlinigkeit entwickelt wird, stößt vieles sauer auf. Am eklatantesten fand ich das Mysterium, warum Jamie sich in seine Traumfrau verliebt. Schon klar, daß er eine besondere Beziehung zu ihr aufbaut. Schließlich erlebt er aus erster Hand mit, wie sie sich mit einem Duschkopf befriedigt. Schon hier deutet sich an, daß die Situation erhebliches komisches Potential birgt, das ja von SOLO FÜR ZWEI auch solide ausgeschöpft wurde. Die Prämisse, eine „Korsische Brüder“-Situation mal als geschlechtermäßigen Rollentausch durchzuführen, funktioniert lediglich bei der ersten Szene, in der Henry Thomas allein zu Hause im Bette liegt und miterlebt, wie sie/er von einem gutaussehenden Indio mit dicken Muckis gehöckert wird bis zur Besinnungslosigkeit. Unglücklicherweise ist 1.) eine neue Bettbekanntschaft gerade zugegen und 2.) seine Exfrau kommt mit dem gemeinsamen Kind gerade zur Tür herein, als er erregt bibbernd in der Koje liegt und offensichtlich gerade den Vaginalorgasmus seines Lebens hat. Auf 1.) und 2.) macht das einen denkbar ungünstigen Eindruck! Leider ist sich Garris scheinbar der komischen Möglichkeiten nicht bewußt und zieht die Geschichte fast vollständig straight durch, und damit wäre niemand durchgekommen, nicht einmal Orson fucking Welles. Warum, zum Geier, reist er dieser Frau nach, von der er lediglich weiß, daß sie eine Mörderin ist? Der hat literweise Indianerblut durch seine Finger rinnen fühlen, und alles, was er von der Frau zu erwarten hat, ist ein Messer zwischen die Rippen... I don't get it. Die Episode ist kein komplettes Fiasko wie die Arbeiten von Argento und Gordon, aber eine sehr schwer befriedigend aufzulösende Geschichte wird da dargereicht, als handele es sich um den neuen „Tatort“. Das der Story innewohnende Drama ist somit an mir vorbeigegangen. Jamie zur Polizei: „Ich schmeckte einfach ständig die Schokolade eines anderen.“ (Wenn die DEN nicht in die Klapse stecken – wen dann?)
Masters Of Horror: Cigarette Burns (DVD)
Bizarre Episode. Kirby Sweetman (Norman Reedus, aus DER BLUTIGE PFAD GOTTES) wird von einem reichen Filmsammler (Udo Kier) angeheuert, um einen vermeintlich verschollenen Film zu suchen: „La fin absolué de monde“. Besagtes Werk wurde von einem vermutlich geisteskranken Regisseur gedreht, der der Welt damit nicht nur den Stinkefinger zeigte, sondern einen Vorgeschmack auf die Hölle. Die einzige bekannte Aufführung des Filmes endete in einem Massaker, mit Blutfontänen und verwaisten Rippenbögen. Die Kopie wurde hernach – so wird es überliefert – vernichtet. Kirby hält die ihm gestellte Aufgabe für undurchführbar, hört aber den Lockruf des Geldes. Und so stellt er seine Recherchen an, die ihn bis in die Abgründe der Pariser Cineastenszene führen. Natürlich findet er den Film, aber es gibt Dinge zwischen Projektor und Leinwand, die unangetastet bleiben sollten...
Nach all dem Unfug, den John Carpenter in den letzten 20 Jahren hergestellt hat, ist CIGARETTE BURNS zumindest teilweise versöhnlich. Die Grundidee ist sehr hübsch und ähnelt unglücklicherweise einer Idee, die ich einmal zu einem Horrorroman entwickeln wollte. War er schneller, näch. Das unheilschwangere Geraune vom vermaledeiten Film, der seine Zuschauer in Entsetzen und lallenden Wahnsinn treibt, läßt einen alles erwarten. Es gibt zwei gravierende Schwachpunkte in der Episode. Zum einen hätte Carpenter keine Auszüge des gesuchten Werkes präsentieren sollen, denn die gehen mächtig in die Hose. Wenn man schon einmal DIE 120 TAGE VON SODOM oder VIVA LA MUERTE gesehen hat, wirken die Szenen eher, als hätte Olaf Ittenbach einen Fetischporno gedreht. Das wirkt nicht abseitig und pervers. Njed. Auch hätte Carpenter die klischeetriefende Sequenz mit dem homosexuellen, Snuffvideos drehenden Filmsammler aus Paris lassen sollen, der wie der Dorfdepp der Frankfurter Russenmafia wirkt. Das ist Hokomoko pur. Ansonsten ist CIGARETTE BURNS der verdammt beste Carpenter seit langer Zeit. Norman Reedus (kurz nach seinem überraschenden Kurzauftritt in ANTIKÖRPER) ist eine glückliche Wahl als Protagonist und ähnelt so gar nicht den markanten Nichtskönnern, die Carpenter in begnadeter Geschmacksverirrung häufig einsetzt. (Who the fuck is Roddy Piper?) Udo Kier ist ohnehin ein Goldschatz – der könnte die Mickymaus spielen und wäre immer noch beeindruckend. An wen nun die Figur des devianten Kunstfilmers angelehnt sein könnte, weiß ich nicht. Ich habe die Folge vor einigen Wochen gesehen, aber ich glaube, er hatte einen osteuropäischen Namen. Was mich sehr überrascht hat, war die teilweise wirklich garstige Blutrunst des Filmes, die den deutschen Verleih dazu bewogen hat, an drei Stellen empfindlich zu kürzen. Die Enthauptung und die Augendrangsal schmerzen mich nicht wirklich, aber jene Szene, in der ein Projektionist seine Eingeweide in den Projektor einspannt, um seinen „eigenen Film zu drehen“, ist wirklich so abgehoben und auf groteske Weise horribel, daß ich das schon gerne gesehen hätte. Let's face it – die meisten Mainstream-Hollywood-Filme sehen nicht anders aus! Kurzum: Carpenter hatte einen guten Drehbuchautor mit viel schwarzem Humor, und ich hatte wirklich mein Auskommen bei dieser Warnschrift vor den Gefahren des übertriebenen Filmkonsums. Wenn irgendwann mal LONDON AFTER MIDNIGHT wiedergefunden wird, dann wird das auch Leute in den Wahnsinn treiben. Da bin ich mal sicher!
P.S.: Den Begriff „Cigarette Burns“ kannte ich noch nicht, aber so bezeichnet man wohl die in den Film eingepunzten Zeichen, die dem Projektionisten den opportunen Moment für den Aktwechsel ankündigen.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#334
Geschrieben 26. Mai 2006, 03:02
Ich – das Abenteuer, ein Mann zu sein bzw. Der nächste Van Damme: Chance Boudreaux (V.D.) ist ein Tagelöhner, der in den Bayous der New-Orleans-Region aufgewachsen ist. Jetzt will er als Seemann anheuern. Leider hat er seinem letzten Kapitän den Kiefer gebrochen und ist bei der Gewerkschaft unten durch. Um wieder den Schotmast auf achtern setzen zu können, braucht er Geld, doch woher nehmen? Das Schicksal tritt in sein Leben, und es ist blond: Natasha Binder sucht nach ihrem Daddy, der aus unerfindlichen Gründen den Briefkontakt zu ihr abgebrochen hat. Da Chance ihr bereits bei der Zusammenstauchung einiger Möchtegern-Taschendiebe behilflich war, will sie den strammen Max für die Suche anheuern. Die Recherchen ergeben nicht nur, daß ihr Daddy dem Lumpenproletariat anheimgefallen war, sondern auch, daß eine dubiose Organisation ihn umgebracht hat. Der überaus sinistre Emil Fouchon (Lance Henriksen) richtet nämlich Menschenjagden aus, bei denen perverse reiche Säcke ihre geheimsten Gelüste befriedigen dürfen. Dabei wird besonders Ausschau gehalten nach Zeitgenossen, die durch das soziale Netz gefallen sind und keinen Anhang haben, der eventuell Fragen stellen könnte. Chance Boudreaux ist damit erwartungsgemäß nicht einverstanden und legt Veto ein. Und dann bricht das Grauen los in den Sümpfen...
Völlig großartiger Film! Als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich ausgesprochen unbeeindruckt, zumal mir der laszive Charme des ehrenwerten Belgiers noch nicht aufgedämmert war. Ich sah den Film nur als den ersten Hollywood-Klopper von John Woo, dessen Arschtret-Noir THE KILLER und dessen lustige Geschichtsstunde BULLET IN THE HEAD mir vorher sehr imponiert hatten. HARD TARGET erschien mir damals als vorhersehbar, mehr vom Gewohnten und exzeßsuchend. Mittlerweile bin ich vom Vorhersehbaren, Gewohnten und Exzeßsuchenden dermaßen durchgeschüttelt und abgetörnt worden, daß mir der Film wie ein Labsal des hauseligen Erquickens vorkommt. Zuerst einmal: Die Frisur, die Van Damme in diesem Film zur Schau stellt, geht gar nicht! Der polnische Coiffeur ums Eck, der den Leuten Vokuhilas verpaßt, als gäbe es kein Morgen, ist dagegen ein Held. Van Damme hat das nicht verdient. Davon abgesehen knüppelt sich der Film mit brachialer Unbedenklichkeit ins Mark des Betrachters, daß dieser kaum mehr zum Denken kommt. Und, nun ja – welchen edleren Zweck kann ein solcher Film erlangen als die völlige Besinnungslosigkeit des gaffenden Publikums? Will man sein humanistisches Denkgefüge stählen, liest man den Herrn Kant oder streichelt eine Marmorbüste von Erasmus von Rotterdam. Hier geht es nur um eine comicstrippig reduzierte Form von Gerechtigkeitsideal, die man in der realen Welt wohl kaum jemals erreichen wird. Der Mann mit der komischen Frisur besorgt es dem Mann mit der tiefen Stimme (Henriksen im Original) und seinen düsteren Schergen. Es fordert einen hohen Blutzoll, der Kajal verschmiert, halb Florida geht zuschanden, aber am Schluß kriegt der Belgier die Frau und kommt auf sein Schiff, und darauf kommt es im wirklichen Leben einfach nun mal an! Ich habe in einem früheren Artikel einmal namentlich über einen Rezensenten gelästert, der ein Verbot des Filmes forderte, was mich mittlerweile dauert – nur zweimal ist mir ein solcher Fauxpas passiert, macht man nicht. Die Forderung halte ich immer noch für Kohl, zumal das heutige Actionkino amerikanischer Prägung recht deutlich klarmacht, woher der Wind weht, und zwar aus der braunen Ecke. Damals bekamen die Natzis noch ordentlich einen vors Gebälk, und das war gut so. Manch einen mochte das menschenverachtend dünken, aber ich erfaßte das nur als eine Kasperversion meiner eigenen Männlichkeitsillusionen vom Ritter auf dem hohen Roß. HARD TARGET ist nämlich ein pubertärer Sexfilm reinsten Wassers! Der handelt von frustrierten Wunschvorstellungen und wie sie in einem Bleihagel ihre Erfüllung finden. Selten findet man heutzutage eine dermaßen körperliche Inszenierung von Gewaltsamkeiten – es ist so, als wäre Sam Peckinpah in einen Mähdrescher geraten, der mit Partydrogen angetrieben wird. Ein Klassiker ist etwa jene Szene, in der Van Damme und Arnold Vosloo auf zwei Seiten einer Wand stehen, per „split screen“ säuberlich voneinander getrennt. Beide dürstet es nach der Erfüllung ihrer jeweiligen Lustgedanken. Wenn das Triebleben dann losbricht, machen beide ein großes Gewese davon und fuchteln wild herum, während ringsumher die stählernen Kugeln blitzen. Man fragt sich wirklich, warum hier noch eine ProtagonistIN vonnöten war. Ein Alibi, if there ever was one. Die unterliegende Homophilie des Männerbündisses wurde bereits in früheren Woo-Filmen besungen. Männer sind Männer, wenn sie unter Männern sind. Wer oben liegt, entscheidet sich erst im Schlußakt. Die weibliche Hauptfigur – wer war sie gleich? HARD TARGET ist Männerkino, und Blut, Schweiß und Tränen fließen unaufhörlich. RRH hatte mit seiner Reduzierung des Filmes schon recht, denn er stellt natürlich in gewisser Weise eine Barbarei dar. Hielte man die Menschheit für generaldoof, wären solche Zelluloidbelichtungen sicherlich das letzte Indiz für den Untergang des Honetten und Lebensbejahenden. Fakt ist aber, daß es darauf ankommt, wie man solche Filme rezipiert, und HARD TARGET wanzt sich mit der Wucht der sieben Dampframmen einer ironischen Betrachtungsweise an. Da ist nichts von der menschenverachtenden Attitüde basisferner Politiker, die liberal schwätzen und der unvermeidlichen Folgen des Lobbyismus-Gedankens sehr wohl gewahr sind. Da gibt es einfach nur sehr direkt einen auf die Glocke. Es trifft zum Glück keine netten Menschen. Ich muß in diesem Zusammenhang immer an Thilo Gosejohanns Darstellung des Jackson in OPERATION DANCE SENSATION denken, wenn er sich in der Talkshow mit Bela B gegen die Anfechtungen verteidigt, warum er denn all die Ninjas umgebracht hat: „Ja, aber das sind doch die Bösen!“
HARD TARGET ist für mich eines der großen Actionfilm-Highlights der neunziger Jahre. Der regelt einfach nur massiv!
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#335
Geschrieben 05. Juni 2006, 17:13
Ich wollte mir über Pfingsten eigentlich nur Filme ankucken, ohne über sie zu schreiben, aber so ganz bekomme ich das doch nicht hin...
Vor DOUBLE TEAM habe ich mir drei andere Van Dammes aus den Jahren 1994 – 1996 angesehen, die allesamt zumindest angenehm kuckbar waren. Selbst der vielgeschmähte MAXIMUM RISK entpuppte sich als zwar nicht sonderlich originelle, aber immerhin temporeiche Angelegenheit, in der Van Damme von der Existenz eines Zwillingsbruders erfährt. Jener hat unglücklicherweise gerade das Zeitliche gesegnet, was den Protagonisten dazu bewegt, einen Rollentausch zu unternehmen. Seine Undercover-Tätigkeit führt ihn mit lustigen Russenmafiosi und korrupten FBI-Agenten zusammen, und er darf sich mit Natasha Henstridge vergnügen. Die große Überraschung war für mich, daß ihm mit Jean-Hugues Anglade ein Schauspieler von einigen Gnaden an die Seite gestellt worden ist. Auch Stéphane Audran (als Van Dammes Mama!) kam recht unerwartet...
Davor flimmerte TIMECOP über meinen Fernseher, eine jener netten Zeitreise-Geschichten, die sich zwar in ihren eigenen losen Enden vertakeln, aber recht angenehm unterhalten, wenn man in der richtigen Stimmung ist. Van Damme spielt hier einen „Zeitpolizisten“, der in einer gar nicht so fernen Zukunft dafür sorgen muß, daß keine bösen Elemente die frisch erfundene Möglichkeit der Zeitreisen zum eigenen Gewinn zweckentfremdet, auf daß auch die Welt von übermorgen noch kraftvoll zubeißen kann. Ron Silver hat die dankbare Rolle eines rechtskonservativen Politikers, der die Welt nach eigenem Gusto verändern will und sich dazu der Dienste seines jüngeren Selbst versichert. Verglichen mit OHNE AUSWEG – der anderen Koproduktion mit Sam Raimi und Bob Tapert – der ungleich bessere Film, inszeniert von Veteran Peter Hyams. Jener zeichnete auch verantwortlich für SUDDEN DEATH, dem simpelsten und besten Film des Trios. Van Damme ist hier ein ehemaliger Feuerwehrmann, der sich jetzt um den Brandschutz in einem Eishockeystadion kümmern muß. Alle Lampen flackern rot, als der Vizepräsident vorbeischaut, denn Superterrorist Powers Boothe hat Arges im Sinne und nimmt Geiseln. Zu den Geiseln gehören auch die beiden Kinder von Van Damme, was natürlich ein großer Fehler war, denn das volle DIE HARD-Programm bricht los. Sehr angenehm zu kucken, mit einem lustvoll überzogenen, aber ausgesprochen spannenden Schlußakt, der mich vollauf zufriedengestellt hat. Natürlich ist auch dies einer jener Filme, die zum einen Ohr rein und zum anderen Ohr raus gehen, und wenn man bedenkt, daß Hyams auch schon überdurchschnittliche Filme wie den unterschätzten OUTLAND hinbekommen hat, ist das ein bißchen wenig. Aber als Unterhaltungssuchender wird man fair bedient – kann man nicht anders sagen.
DOUBLE TEAM nun ist dermaßen over-the-top, daß ich ein ums andere Mal schallend gelacht habe. Als ich den Film vor etwa 10 Jahren sah (als einen der wenigen Van Dammes, die ich zu jenem Zeitpunkt kannte), fand ich ihn einfach nur völlig banane. Jetzt, da ich die höheren Weihen des Vandammismus erreicht habe, gefällt er mir deutlich besser, zumal Regisseur Tsui Hark eindeutig der Schalk im Nacken sitzt. Jack Quinn (V.D.) ist ein Superagent, der sich dazu durchgerungen hat, seine Arbeit an den Nagel zu hängen und Familienvater zu sein. Leider akzeptiert er einen letzten Auftrag, da es um den Terrorsöldner Stavros (Mickey Rourke) geht, mit dem er noch eine persönliche Rechnung offen hat. Nach einem Fehlschlag wird Quinn offiziell für tot erklärt und landet in der „Kolonie“, einer idyllischen Aufbewahrungsstätte für stillgelegte Agenten. Obwohl eine Flucht unmöglich erscheint, kriegt der Tausendsassa das hin. Dumm nur, daß Stavros mittlerweile Quinns Schönliebchen eingesackt hat...
Völliger Firlefanz, bei dem jeder falsche Schritt zu mindestens zehn Atompilzen führt! Wie so häufig bei asiatischen Regisseuren wird alles überzeichnet bis zum Gehtnichtmehr, bis die Widerstandsfähigkeit der Protagonisten zu fast schon übernatürlichen Proportionen anschwillt. Mickey Rourke bekommt Gelegenheit, seinen gebuildeten Body vorzuführen in einem sehr spektakulären Finale, das sämtliche Restaurationsarbeiten am römischen Kolosseum zunichte macht. Ein grimmiger Tiger schaut auch vorbei. Es gibt Mönche, die an Multimillionendollar-Computerequipment sitzen, Unterwasserlaser, ehemalige Basketballstars mit lustig eingefärbten Haaren, und Van Damme macht ganze Hundertschaften von Gegnern hin. Das Ganze geht schwer in Richtung James Bond, wobei ich zugeben muß, daß mir DOUBLE TEAM mehr Spaß bereitet hat als die letzten Abenteuer der Doppelnull. Van Damme grimassiert heftigst und hat eine tolle Ich-stähle-mich-Collage, bei der er nicht nur seinen gefürchteten Spagat vorzeigt, sondern mit nackten Mocken einen kiesgefüllten Eimer tritt. Die latent homoerotische Beziehung zwischen Quinn und Stavros ist recht offensichtlich und wird von den beiden als eine Art Spiel für große Jungens betrachtet. Daß es so nebenbei auch um Familien und speziell Kinder geht, verblaßt vor dem Muckizauber der Marke „Größer, länger, härter – ein ganzer Kerl dank Chappi!“ Kurz und gut: Quatsch mit Soße, aber von der sehr drolligen Fraktion...
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#336
Geschrieben 05. Juni 2006, 19:39
Blitzkrieg – irgendwann muß ich die Van-Damme-Dinger ja mal durchbekommen!
Zu KNOCK OFF ist nicht viel zu sagen. Marcus Ray (V.D.) und Tommy Hendricks sind zwei Westentaschen-Geschäftsleute, die in Hongkong für eine Jeans-Export-Firma arbeiten. Dabei werden ihnen nicht nur getürkte Markenklamotten untergejubelt – obendrein sind einige davon auch noch mit lustigen kleinen Nanobömbchen ausgestattet, die viel Wumm machen. Und was soll ich sagen – die beiden legen sich mit Mobstern und korrupten CIA-Leuten an...
Deutlich schwächer als DOUBLE TEAM, da Tsui Hark seine waffenfetischistischen Einlagen hier in den Dienst einer sehr uninteressanten und zudem unübersichtlich erzählten Story stellt. Genervt hat mich das Insistieren auf humorigen Einsprengseln, die nicht zuletzt vom Spaßmacher Rob Schneider getragen werden, der den lustigen Sidekick von Jean-Claude spielt. Zu schlucken, daß dieser Hajupei (mit der Stimme von „Sponge Bob“!) ein CIA-Agent sein soll, gehört noch zu den weniger anspruchsvollen Bewährungsproben des Drehbuches. Paul Sorvino spielt mal wieder das Schwein vom Dienst. Eine hübsche Schwarze (die Gemahlin von Antoine Fuqua) ist auch dabei. Die Musik stammt von den Mael-Brüdern, besser bekannt als The Sparks. Das Finale ist ganz in Ordnung, und Kampfsportfreunde bekommen relativ ausführliche Fights geboten, aber mir ging die ganze Übung weitgehend am Po vorbei. Das Geballere spielt sich vor dem Hintergrund der Feierlichkeiten ab, die die Übergabe Hongkongs an die Chinesen begleiteten. Zur Feier des Tages hat sich V.D. die Haare schwarz gefärbt, aber ein wackerer Mandarin wird dadurch noch nicht aus ihm.
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#337
Geschrieben 06. Juni 2006, 03:05
Fürchterlich. Ich bin entsetzt. Also: Jean-Claude Van Dampframme spielt einen Geheimagenten, der eine Dissidentin aus der Slowakei herausschleusen soll. Als Transportmittel wählt man die Bahn, weil man dort nett lesen kann beim Schleusen. Dummerweise hat die Dissidentin einen tödlichen Killervirus bei sich, der durch Unachtsamkeit ans Freie gelangt. Wird dem wackeren Belgier der Kampf gegen Terroristen und Virus zum Fallstrick?
Aber hallo wird der dem zum Fallstrick! Was war das denn bitte? Abgesehen davon, daß sich sowohl Tomas Arana als auch Laura Herring (Hauptrolle in MULHOLLAND DRIVE!) in diesen Mottenfifi verirrt haben, stimmt nun mal überhaupt gar nichts an diesem Fiasko. Nach einer Stunde war ich geneigt, den Film zu charakterisieren als „ALARMSTUFE ROT 2, wie ihn Bruno Mattei gedreht hätte“. Nach dem unsäglichen Finale bin ich aber fest davon überzeugt, daß Onkel Bruno das besser hingekriegt hätte. Was das Vielschreiber-Gespann Gierasch/Anderson (CROCODILE, MORTUARY) da hingestümpert hat, spottet jeder Beschreibung und sieht selbst gegen die neuesten Seagal-Direct-to-DVD-Schmonzetten alt aus. Die Charaktere sind von der Stange, die auftretenden Zufälle abenteuerlich, die Plotlöcher abgründig. Daß die Story offenbar als großformatiger Actionfilm angedacht war, verleiht dem Werk einen gewissen Ed-Wood-Charme, denn Boaz Davidson macht keine großformatigen Actionfilme. Da der Regisseur selbst mit den simpelsten Dialogszenen überfordert war, überrascht es nicht, daß die Actionchoreographie ebenfalls bodenlos ist. Kurz vorher Samo Hung und Tsui Hark gekuckt – jetzt dieses schlecht montierte Gehampel. Nicht mehr gelacht, sondern ungläubig geglotzt habe ich bei den Zugkatastrophen-Szenen, denn die sind auf schlechtem Märklin-H0-Niveau. Auch ansonsten sind die visuellen Effekte lausig. Toll finde ich eine Szene, in der die Infizierten in einer Quarantänestation untergebracht sind, umgeben von lauter Ärzten in drolligen Schutzanzügen. Van Damme reißt einem der Schurken die Maske runter, ihn somit dem Virus aussetzend, und befiehlt dem anwesenden Militär: „Bringt ihn hinter Schloß und Riegel!“ – „Jawohl!“ bellt der Soldat und führt die Virusschleuder nach draußen. HÄ??? Ansonsten ist noch anzumerken, daß Van Damme noch ein paar Pfund braucht, um zum Zwillingsbruder von Oliver Reed zu werden, während Arana eine deutliche Ähnlichkeit zu John Malkovich aufweist. Ohne Wenn und Aber einer der schlechtesten Actionfilme, die ich jemals gesehen habe – wow! Selten hat ein Titel den Film so akkurat beschrieben - das ist wirklich eine komplette Entgleisung...
P.S.: Was haben Anderson und Gierasch mit Dario Argento zu tun? Kuckt Ihr hier!
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#338
Geschrieben 07. Juni 2006, 19:10
THREE...EXTREMES habe ich immer noch nicht gesehen, aber gestern flatterte mir der mir bislang unbekannte THREE...NIGHTMARES ins Haus, der ebenfalls aus drei ca. 40 Minuten langen Episoden besteht.
Geschichte Nr. 1 stammt vom Südkoreaner Ji-woon Kim (A TALE OF TWO SISTERS) und erzählt von einem Mann, dessen Frau stiften gegangen ist. Oder zumindest denkt er sich das, denn anderswo in der Stadt erwacht die junge Frau und versucht herauszubekommen, was mit ihr geschehen ist. Als sie es schließlich herausfindet, herrscht Heulen & Zähneklappern...
Die zweite Episode (vom Thailänder Nonzee Nimibutr) erzählt von verfluchten Puppen, die einst auf vermutlich unehrenwerte Weise den Besitzer gewechselt haben und nun Tod & Verderben über die Theatergruppe bringen, die sie für ihre Auftritte verwendet...
Und schließlich zeigt der Thailänder Peter Chan, was einem Polizisten passiert, der mit seinem kleinen Sohn in eine neue Wohnung einzieht und dort einem merkwürdigen Pärchen über den Weg läuft, deren Liebe scheinbar alle Fesseln sprengt...
Während ich keine der Geschichten sonderlich unheimlich fand, war ich jedoch von Anfang bis Ende fasziniert, da alle drei Kurzfilme eine völlig eigenständige Erzählweise besitzen, die sie wohltuend von der gewohnten Ware abhebt. Ebenfalls haben sie eine sehr langsame Enthüllung der Ursachen für die rätselhaften Vorgänge gemeinsam, die dem Zuschauer Langmut abverlangt. Am besten gefiel mir die erste Episode, die zwar eine handelsübliche Horrorstory erzählt, dies aber auf ausgeprochen kunstvolle Weise und mit einem Blick für die nicht-horriblen Aspekte, sieht man einmal von einem (allerdings recht effektiven, da völlig rätselhaften) Fingerregen ab. Die Puppen-Geschichte bezieht viel (mutmaße ich als Fremdling mal) von der thailändischen Folklore, denn sie wirkt ausgesprochen fremdartig für westliche Augen, und dies, obwohl sie auch eine eher herkömmliche Schuld-und-Sühne-Motivation bemüht. Erinnerte mich ein wenig an die südostasiatischen Grusler wie MYSTICS IN BALI, in denen teilweise wirklich skurrile Monster ihr Unwesen treiben, die ihre Ursprünge in der dortigen Mythenwelt haben. Die abschließende Episode beginnt dann wie eine typische Geistergeschichte, wird dann aber zur Schilderung einer obsessiven Liebe, die ich – alle Morbidität mal beiseitegeschoben – sehr romantisch fand.
Insgesamt also durchaus lohnend, wenngleich man keinen Horror á la RING oder SHUTTER erwarten sollte.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#339
Geschrieben 07. Juni 2006, 20:45
Der in Rußland lebende Kyle LeBlanc (V.D.) muß miterleben, wie seine Frau von einem gemeinen Schänder umgebracht wird. Da der Schänder reiche Eltern hat, wird er freigesprochen, was Kyle nicht verknusen kann: Er erschießt den Übeltäter noch im Gerichtsgebäude. Zur Belohnung für diesen Akt der Selbstjustiz wandert er in den berüchtigten Krambambuli-Knast nahe Magnitogorsk, gegen den ein Stalag eine Gewerkschaft für straffällig gewordene Wöchnerinnen war. Hier kommen nur jene hin, bei denen der Schlüssel weggeworfen wird, und gemeint ist nicht der Schlüssel zum Klo. Da Amerikaner mit einer arroganten Visage wie der von Van Damme hier besonders beliebt sind, hat er eine schöne Zeit, die ihn aber auch abhärtet. Er wird einer der härtesten Hunde in den Schaukämpfen, die die Wärter zum eigenen Lustgewinn anzetteln. Doch eines Tages lehnt er sich auf...
PAPILLON, DER GEFANGENE VON ALCATRAZ, THE LONGEST YARD, LOCK UP – IN HELL? Nach der Totalkatastrophe DERAILED hätte ich auf diesen Film keinen Pfifferling gewettet, zumal Boaz Davidson erneut zu den Produzenten zählt. Mit Ringo Lam hatte man immerhin einen Regisseur am Start, der diese Bezeichnung auch verdient. Was an IN HELL wirklich überrascht, ist der komplette Imagewechsel des Hauptdarstellers, der einen vergleichsweise normalen Zeitgenossen spielt, und in den ersten 50 Minuten ist Van Damme der lebende Fußabtreter für die Russenmafiosi, mit denen wahrlich nicht gut Kirschen essen ist. Er weint, er schläft in Kot, er probiert Suizid – da ist nicht mehr viel übrig von dem Mann. Zum Glück erscheint eine computeranimierte Motte und macht ihm Mut, weshalb er beschließt, nicht mehr der härteste Molch im Sumpf zu sein, sondern gewaltlosen Widerstand zu proben. Van Damme kommt hier dem Tatbestand des Schauspielens so nahe wie nie zuvor, und auch wenn Robert de Niro nicht wirklich in Gefahr ist, macht er seine Sache (besonders im Schmuddellook, mit Hemingway-Rauschebart) sehr ordentlich. Nach seiner Verwandlung vom Heckenpenner zum Hiphop-Rausschmeißer-Asi sieht er sogar schweinebrutal aus, was ich dem Dressman unter den amerikanischen Actionstars nie zugetraut hätte. Weniger kleidsam ist dann seine Wandlung zum Gandhi des Gefängnisbetriebs, und auch wenn der Film als Ganzes knochenhart ist, riecht das Ende natürlich etwas nach Walt Disney. Für einen „Direct to DVD“-Actioner ist IN HELL aber bemerkenswert gut und funktioniert auf seine nicht ganz ernstzunehmende Weise. Da passen auch kitschige Manki (oder wie die Mehrzahl von „Manko“ lautet) wie die geisterhafte Erscheinung seiner toten Frau oder die Computermotte durchaus ins Bild. Ganz großartig sind auch die inneren Monologe des von allen nur 451 (nach „Fahrenheit 451“) genannten Psycho-Knackis, der zu so einer Art Mentor von Van Damme wird. Was wohl wie Existentialismus klingen soll, wirkt eher wie eine Aneinanderreihung von Trailersprüchen, zumal sie auch von einer sonoren Trailerstimme intoniert werden: „Ist es eine Sünde, wenn man sein Limit erreicht?“
Überraschend der Auftritt von Tony Anthonys Buddy Lloyd Battista, der schon im tollen BLINDMAN mitspielen durfte und hier den Gefängnisdirektor General Hrusckov gibt.
Ich habe mich blendend unterhalten!
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#340
Geschrieben 08. Juni 2006, 19:42
Der neue Film von Tony Scott. Gerade die Augen gewaschen, kann aber immer noch nicht wieder richtig kucken...
Domino Harvey hat von ihrer Mutter eine prächtige Sozialisation als Beverly-Hills-Tussi erfahren, die aber komplett fehlgeschlagen ist: In ihrer Brust pocht das Herz eines Rebellen. So entschließt sie sich dazu, an einem Kopfgeldjägerseminar teilzunehmen (!), wo sie Kontakt knüpft mit den beiden Bounty-Huntern Ed und Choco, der ein Schild um den Hals tragen sollte: „Bitte nicht Schoko aussprechen!“ Ein erster Auftrag, der leicht in einem Blutbad hätte enden können, wird von Domino mit abgebrühter Dominanz zu einer Lapdance-Vorführung umfunktioniert. Schon bald sind die drei Bounty-Jäger dicke Kumpels. Als Familienbetrieb erledigen sie zahlreiche Aufträge zur vollsten Zufriedenheit. Erst als das Fernsehen seinen verderblichen Einfluß ausübt und eine Reality-TV-Show über die Draufgänger machen will, beginnt der Niedergang. Bei einem an sich unkomplizierten Auftrag legen sich die drei mit der Mafia an, und das sollte man tunlichst vermeiden...
In punkto Werbefilmästhetik hat Tony Scott den Bogen raus, da gibt's kein Vertun! Ähnlich wie bei MAN ON FIRE ging mir das visuelle Gewirbel und Gejuckel zu Anfang mörderisch auf die Nerven, aber dann war ich doch drin in der Geschichte. Über Sinn und Unsinn solch einer formalen Überbetonung läßt sich trefflich streiten. Normalerweise beginnt ja jeder Erzählfilm mit einem Drehbuch, in dem eine Handlung entsprecht formatiert, also auch reduziert wird. Viele Randdetails wandern auf den Boden des Schneideraums. Dem Zuschauer wird der Weg durch den Dschungel der Autorenfantasie gangbar gemacht. Als dann auf einmal die Postmoderne ihr garstig Haupt erhob und alles kräftig durchgeschüttelt und dekonstruiert wurde, sah die Sache natürlich anders aus: Vormals unkomplizierte und unschwer nachvollziehbare Narrativen verwandelten sich in Informations-Supergäue, in denen die Unüberschaubarkeit der modernen Welt sich auch in der verwendeten Form niederschlug – häufig mit niederschlagenden Resultaten. Im Idealfall sah das so aus wie in Martin Scorseses 3-Stunden-Film CASINO, dessen erste halbe Stunde ein buntes Flechtwerk aus Zeiten, Dialogen und dramatischer Handlung darstellt, das Las Vegas an reiner Schillerwucht auf den zweiten Platz verweist. Bei weniger begabten Regisseuren diente diese Überfrachtung mit Informationen natürlich dazu, erzählerische Inkompetenz (oder Inkontinenz!) zu überdecken und den Film bedeutsamer erscheinen zu lassen, als er war. Tony Scott nun und sein Drehbuchautor Richard DONNIE DARKO Kelly sind keine dummen Menschen. Wenn einem bei DOMINO die grellen Formen und Farben nur so um die Ohren fliegen, hat das selbstverständlich Methode, denn es geht in der Story primär um die sehr simplen Träume der Menschen und was sie daraus im Angesicht des Zuviels an allem machen. Dominos Mutter möchte ihre Tochter zu einer Art „Beverly Hills 90210“-Klon machen (= schöne Menschen, groß gedruckt, leicht zu lesen), erleidet damit aber Schiffbruch. Domino selbst handelt aus reinem Rebellentum heraus, muß ihr wirkliches Ziel aber erst noch finden. Ed und Choco sind deswegen so erfolgreiche Kopfgeldjäger, weil sie ihre Träume komplett verdrängt haben. Bei Choco bricht die Fassade irgendwann zusammen, als er sich in Domino verliebt. Nur wenige haben in DOMINO ein festes, realisierbares Ziel, am ehesten vielleicht Lateesha, die ihrer kranken Schwester helfen will und dafür sogar einen folgenschweren Verrat begeht. Der wirklichen Domino Harvey ist es leider sehr schlecht ergangen, denn sie starb kurz nach Beendigung des Filmes an einer Überdosis Schmerzmittel. Sie war die Tochter von Laurence Harvey, und aus einem der berühmtesten Filme ihres Vaters - THE MANCHURIAN CANDIDATE – gibt es wiederholt Ausschnitte zu sehen. Man bekommt in DOMINO ein flächendeckendes Sinnlichkeitsbombardement vor den Latz geknallt. Ob einem das behagt, muß jeder für sich selbst entscheiden. Ich tendiere ja eher zur simplen Form des Erzählkinos, aber faszinierend ist der Film allemal, und in der Disziplin des fast schon terroristischen Einsatzes von Werbefilmbildern ist Tony Scott ein Meister.
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#341
Geschrieben 09. Juni 2006, 16:42
Madeleine Stowe ist Supermama, die mit ihrem mißratenen Töchterlein nächtens durch die Pampa gurkt. Irgendwann wird Töchterlein von merkwürdigen Sektenfifis abgegriffen, zu denen auch Norman Reedus gehört.
Britischer Thriller, der handwerklich ganz ordentlich gemacht ist, ein ruhiges Erzählttempo besitzt und zu Anfang angemessen Spannung produziert. Schade eigentlich, daß er sich dann in einen Riesenhaufen Müll verwandelt, denn der ganze Klickerklacker mit der Sekte ist ein völliges Absurdion – da hilft auch die unablässig bubbernde Unheildräu-Musik von Simon Boswell und Konsorten nicht mehr. Was die Sektenmitglieder eigentlich im Schilde führen, bleibt komplett im Dunkeln, außer, daß sie eben gern Anhalterinnen Blut abnehmen und Pornovideos in einer Autowerkstatt mit lustiger Blinklichtkonsole drehen. Das Ende ist dann der endgültige Gnadenstoß. Der Regisseur hat vorher den Horrorfilm LONG TIME DEAD gedreht und hernach THE MARKSMAN mit Wesley Snipes, die ich mir, glaube ich, aber mal schenken werde.
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#342
Geschrieben 13. Juni 2006, 00:17
Das Remake von John Carpenters Geisterfilm – der der erste Grusler war, den ich jemals im Kino gesehen habe, mit gerade mal 13 Jahren – ist ein solcher Haufen Mist, daß es mir schier den Atem verschlagen hat. Okay, meine Erwartungen waren schon im Vorfeld nicht besonders hoch, wurden vom vorgefundenen Resultat aber mühelos unterboten. Man kann Carpenters Original nicht vorwerfen, übermäßig elegante Erzählkunst zu betreiben. Da wurden einfach mehrere Erzählstränge genommen, die dann in einer alten Kirche zusammenlaufen – im Grunde eine ektoplasmische Neuversion von ASSAULT ON PRECINCT 13. Das funktionierte m.E. aber ganz prima, da die einzelnen Geschichten simpel gestrickt waren, genau wie die Protagonisten. Carpenters Königsdisziplin war schon immer die technische Seite des Filmgeschäfts, und in THE FOG glänzte er durch einen langsamen, aber niemals langweiligen Aufbau, der von einzelnen seiner patentierten Schockeffekte aufgelockert wurde und für heftiges Zusammenzucken im Kinosessel sorgte. Auch gab es den stimmungsvollen Beginn mit der Lagerfeuergeschichte, der gespannt machte auf dem Nebel seinen Inhalt. In der Neuverfilmung wird von Anfang an mit Talmi geschmissen, als gäbe es kein Morgen. Von sorgfältigem Spannungsaufbau ist da nichts zu sehen. Stattdessen werden Figuren eingeführt, die als Identifikationsangebote für die keimende Jugend gedacht sein mögen, tatsächlich aber nur hohle Nullinger sind, die die Klappe nicht halten können. Und die Dialoge sind ziemlich erbärmlich. Hatte man beim Remake von THE HILLS HAVE EYES noch den Eindruck, daß der geschwätzige Anfangsteil durchaus Programm gewesen war, so liefert THE FOG nur hippe Deppen mit lamentablem Musikgeschmack. Die Horroreffekte werden ziemlich in den Sand gesetzt. Man vergleiche etwa die kühle Szene des Originals, in der sich die Leiche des augenlosen Opfers von der Bahre erhebt und dem Helden auflauert, mit dem entsprechenden Moment in der Neuverfilmung – ohne Stimmung, ohne Suspense, ohne Alles. Der Zombie darf dem Blondchen noch „Blut fordert Blut“ oder etwas ähnlich Törichtes ins Ohr rülpsen, bevor er umplumpst. Mein persönlicher Lieblingsmoment kommt, als Selma Blair (als ganz schwacher Barbeau-Ersatz) im Leuchtturm einen Gruselmoment mit allerlei Päng und Zisch erlebt. Da glüht eine Haarbürste, und auf einmal ist die ganze Wand mit Zeichnungen von Waagen übersät. Leider nicht so drollig, wie es sich liest, und überhaupt nicht gruselig. Das (im Original sehr spannende) Finale wird sinnloserweise mit einer Rückblende parallelmontiert, die die Vorgeschichte von Captain Blake zeigt, was die Vorgänge in der Gegenwart komplett ausbremst. Die Schockszenen sind jämmerlich, die Spezialeffekteszenen mit dem Nebel ungleich schlechter als im Original und mit Wisperstimmen und Computerfratzen „aufgepeppt“. Selbst die einzige Neuerung des Drehbuchs – daß die Geister tatsächlich körperlos sind und deshalb telekinetischer Humbug à la FINAL DESTINATION zur Entsorgung der Nebenfiguren bemüht werden muß – wird am Schluß über den Haufen geworfen, aber das ist dann auch egal. Ein ganz schlechtes Remake von Rupert Wainwright, der vorher den immerhin kuckbaren STIGMATA gemacht hat. THE FOG ist einfach nur überflüssig. Man fragt sich wirklich, ob Carpenter es nötig hat, seine frühen Filme jetzt mit solchen Mätzchenanhäufungen in den Orkus zu befördern. DAS ENDE war ja noch ganz okay, aber was soll das jetzt? Selbst Jan de Bonts katastrophales Remake von THE HAUNTING fand ich vergleichsweise brauchbar, und das will was heißen...
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#343
Geschrieben 13. Juni 2006, 14:24
Katie McGovern (Mary Steenburgen) ist eine junge Schauspielerin, die, wenn sie sich nicht mit ihrem eingegipsten Lover Rob keilt, verzweifelt nach einem neuen Engagement Ausschau hält. Als ihr die Möglichkeit angetragen wird, eine ausgefallene Schauspielerin in einem Film zu ersetzen, greift sie somit beherzt zu. Allerdings muß sie erst einmal ein Wochenend-Casting bestehen, das auf einem abgelegenen Landhaus stattfinden soll. Der Produzent ist ein Rollstuhlfahrer namens Dr. Joseph Lewis (kicher!), der einen freundlich paternalistischen Eindruck macht. Sein Butler Murray (Roddy McDowall) soll früher des Doktors Patient gewesen sein, was seine Überfreundlichkeit gelegentlich etwas sinister erscheinen läßt. Schon bald dämmert es Katie aber, daß kein Film gedreht werden soll, nur ein Ding, und ihre Rolle ist die des Mäuschens zwischen den Mühlsteinen...
Ein kleiner, angenehm altmodischer Landhaus-Thriller, der zu einer Zeit herauskam, die für das Horror- und Thrillerkino keine überaus gute gewesen war. Statt bunter Trendhörigkeit und schlimmer Musik setzt DEAD OF WINTER auf ein schneeumtostes Anwesen, deutlich signalisierte Fußangeln und eine Tendenz zur Ironisierung. Letztere ist teilweise etwas drübber und eigentlich der einzige Unterschied zu den lustvoll künstlich konstruierten „Hammer“-Thrillern im PSYCHO-Gefolge, in denen es meistens darum ging, die Protagonistin in den Wahnsinn zu treiben. Auch DEAD OF WINTER enthält einige Momente von beherzter Unglaubhaftigkeit, die mir aber in diesem Zusammenhang rein gar nichts ausgemacht haben. „Suspension of disbelief“ nennt man das wohl – da läßt man gerne Fünfe gerade sein. Die Steenburgen gehört eigentlich zu den auf Leide-Rollen abonnierten Frauen, die ich so rein gar nicht verknusen kann (siehe auch Shelley Duvall, Mia Farrow etc.), aber in dieses Umfeld paßt sie natürlich wie die Faust aufs Auge. Sehr hübsch jene Szene, in der sie aufwacht und feststellt, daß ihr über Nacht ein Finger amputiert worden ist... Für Regisseur Arthur Penn – der mit Filmen wie BONNIE & CLYDE echte Meilensteine des neuen amerikanischen Kinos geschaffen hat – ist das natürlich nur eine Fingerübung, aber eine, die wirklich Spaß macht. Man kann Tage bedeutend schlechter anfangen!
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#344
Geschrieben 14. Juni 2006, 12:52
Martin Q. Blank (John Cusack) ist kein Mann wie jeder andere. Genaugenommen ist er auch kein Profikiller wie jeder andere, denn tief in ihm bubbert moralisches Empfinden, das ihn z.B. davon abhält, einen Greenpeace-Aktivisten umzulegen. Ist er darum ein netter Mensch? Er weiß es selber nicht, hat aber Gelegenheit, es herauszufinden, denn ihm ist eine Einladung zum Klassentreffen in seiner Heimatstadt Grosse Pointe zugeflattert, wo er Gelegenheit bekommt, seine Vergangenheit Revue passieren zu lassen. Da ist vor allen Dingen Debbie (Minnie Driver), sein Highschool-Sweetheart, die er einst auf Anraten seines Psychiaters hat sitzenlassen. Zur Strafe träumt er von ihr – seit 10 Jahren. Sie begegnen sich wieder, und nach Anlaufschwierigkeiten funkt es so richtig. Doch – hat die große Liebe eine Chance im Schatten von Martins Beruf und diverser Profikiller, die jetzt auf IHN angesetzt sind?
Passiert mir selten, daß ich mich in einem Film so uneingeschränkt wohlfühle wie in GROSSE POINTE BLANK! Das liegt zuallererst einmal am Drehbuch, das schwarze Komödie, Actionkrimi und Philosophie mit einer solchen Leichtigkeit mixt, das man sich wundert, daß Filme wie dieser nicht andauernd herauskommen. Ungewöhnlich ist mit Sicherheit die Intelligenz, mit der der Film angegangen wird und allen heutigen auf cool getrimmten Tarantino-Epigonen das Wasser abgräbt. Martin Blank ist eigentlich ein typischer „Screwball Comedy“-Held, der seinen Platz im Leben noch nicht richtig gefunden hat, da ihm das moralische Bewußtsein abgeht. Genaugenommen ist das moralische Bewußtsein sogar dramatisch abwesend, denn für gewöhnlich erschießen die Protagonisten solcher Komödien keine Mitmenschen. Er selber hat niemals gelernt, etwas für „die anderen“ zu empfinden, da er aus einer lausigen Familie kommt. (Das wird – in einem typisch dezenten Touch – angedeutet in einer Szene, in der er seine geisteskranke Mutter im Sanatorium besucht und einer weiteren, in der er kommentarlos seinem Daddy Whiskey auf das Grab schüttet.) Die Karriere als Profikiller hat er mehr zufällig begonnen, da ihm nach einer Ausbildung beim CIA – die ihm ein Schul-Karrieretest eingebracht hat – einfach nichts Besseres eingefallen ist. Als er in seine Heimatstadt zurückkommt, fühlt er auf einmal, daß die Welt nicht nur aus Tätern und Opfern besteht und versucht, aus diesem Gesinnungswandel seine Konsequenzen zu ziehen. Das wird ihm aber erschwert durch seinen Kollegen Grocer (Dan Aykroyd in einer selten guten Rolle), der solche moralischen Vorbehalte nicht kennt und ihn abservieren will. Zwei korrupte Regierungsbeamte sollen dabei mithelfen. Der Film schnurrt wie ein wohlfunktionierendes Uhrwerk, ist angefüllt mit intelligenten Dialogaustäuschen und brillanten Gags. Ich liebe etwa die Szene, wo Martin seinen eingeschüchterten Psychiater Alan Arkin aufsucht und seinem Appell an die Arztethik des Mannes noch aus alter Gewohnheit ein „...und ich weiß, wo Sie wohnen!“ hintanschickt... John Cusacks Schwester Joan hat eine schöne Nebenrolle als seine knallharte Sekretärin, die sich beim En-gros-Ankauf von Stahlmantelgeschossen nicht über den Tisch ziehen läßt. Die Driver ist süß wie immer. Und Jeremy Piven (aus „Ellen“) spielt einen Buddy von Martin, der umständehalber dazu gezwungen ist, die Leiche eines baskischen Revolutionärs zu entsorgen, der Martin ständig mit zwei Uzis befächelt. Es gibt viel zu kucken in GROSSE POINTE BLANK, und damit es auch viel zu hören gibt, hat Joe Strummer auch noch einen goldenen 80er-Jahre-Soundtrack zusammengestellt, in dem natürlich The Clash ebensowenig fehlen dürfen wie die Specials oder die Violent Femmes. Regisseur George Armitage hat sein Handwerk bei Roger Corman gelernt und später den ebenfalls sehr netten MIAMI BLUES mit Fred Ward gedreht. GROSSE POINTE BLANK kriegt bei mir 10 von 10 Punkten – ein Kracher!
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#345
Geschrieben 14. Juni 2006, 22:42
Gerade in mein Notizbuch geschrieben: Mehr Stummfilme kucken! Da ich endlich einmal den berühmten THE MAN WHO LAUGHS vorbeibekommen habe (nach dem mir seit der Lektüre des Everson-Buches die Lefzen hängen), sind meine Sinne wieder für die Frühgeschichte der Kinematographie geschärft worden. Und so früh war die Geschichte 1928 ja schon nicht mehr, und mit einem Künstler wie dem Exildeutschen Paul Leni an Bord war das Risiko auch wahrlich nicht groß.
Die Verfilmung von Victor Hugos Vorlage spielt im 17. Jahrhundert, als König James der ganz Eklige mit dem Rebellen Lord Clansellerie (oder so) kurzen Prozeß macht und ihn in die „Eiserne Jungfrau“ stecken läßt. Für den Knaben des Lords hat er sich eine richtige Sauerei ausgedacht: Er läßt ihm von Zigeunern (die leider nicht genauer benamst werden; man verzeihe mir also bitte die Wortwahl!) ein ewiges Grinsen ins Gesicht schnitzen. Die Knabe entkommt aber und wird – zusammen mit einem Findelkind, das er am Wegesrand aufgelesen hat – von einem herumziehenden Jahrmarktsgaukler an Kindes Statt angenommen. Viele Jahre später ist Gwynplaine (Conrad Veidt) die unangefochtene Hauptattraktion der Gauklertruppe und schwer verliebt in das Findelkind von einst, die blinde Dea. Da der böse Hofnarr des mittlerweile dahingeschlichenen Königs zu einem angesehenen Höfling der Queen Anne aufgestiegen ist, fällt es ihm, als er Wind von der Existenz Gwynplaines bekommt, nicht schwer, Ränke zu schmieden. So kommt dann alles ganz dramatisch: Die Liebenden werden getrennt, Gwynplaine eingekerkert und allen sein Tod verkündet. Doch wer zuletzt lacht, lacht am letzten...
Vergleicht man den Film mit Erzeugnissen, die noch ein Jahrzehnt vorher in den USA hergestellt worden waren, kann man nur feststellen, daß die Entwicklung zum dramatischen Erzählkino einen dramatischen Sprung vollzogen hatte. Dies lag natürlich daran, daß das europäische Kino in dieser Hinsicht schon wesentlich weiter ausgeprägt war und nicht wenige Exilanten vor und hinter der Kamera einen bleibenden Eindruck hinterließen. Paul Leni hatte im Jahr zuvor bereits den großartigen Landhaus-Grusler THE CAT AND THE CANARY gemacht, der die Meßlatte für zuckende Blitze und wehende Vorhänge weit nach oben schob. In THE MAN WHO LAUGHS verbindet er das Reich des Schauerromans mit saftigem Melodram, wobei ich aufgrund von Unkenntnis der Vorlage nicht weiß, ob er Hugos Victor hier gerecht wird. Wohl aber weiß ich, daß mich der Film mitgerissen hat, und das trotz der ungewöhnlichen Länge von über 110 Minuten. Dabei empfand ich die Anfangspassagen noch als am effektivsten, da die Hanswurstiaden des grenzdebilen Königs und seines intriganten Narren mit der extrem grausam eingefangenen Wirklichkeit vor den Palasttoren konfrontiert wird. Das Menschheitsbild, das der Film entwirft, ist reichlich desillusionierend. Die degenerierten Palastschranzen finden ihre Entsprechung in einem rohen und vergnügungssüchtigen Pöbel, der sich am Elend des häufig unter Tränen grinsenden Gwynplaine verlustiert. Sehr effektiv übrigens, daß das Gesicht Gwynplaines eine ganze Weile zurückgehalten wird, so daß die bizarre Fratze dann fast wie ein Schock kommt. Daß einem das Geschick des armen Mannes Tränen in die Augen treibt, liegt aber am großartigen Spiel Conrad Veidts: Was bei einem mindertalentierten Mimen leicht zu albernem Gehampel hätte werden können, ist eine der düstersten Darstellungen menschlichen Elends, die ich jemals gesehen habe. Zu erdulden, dabei aber immer das verschreckte Zähneblecken eines Affen zur Schau tragen zu müssen – eine garstige Vorstellung. Im späteren Verlauf des Filmes wird die Handlung dann etwas holterdipolter und geht dem Kitsch nicht ganz aus dem Wege. Insgesamt aber ein mächtig beeindruckender Film.
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#346
Geschrieben 15. Juni 2006, 01:14
Unser Golem – der gute Ton in allen Lebenslagen!
Tja, Christians lustige Stummfilmstunde, Teil 2. Vor einiger Zeit hatte ich schon einmal das große Vergnügen, zusammen mit meiner Freundin den großen Paul Wegener in der ersten Version von DER STUDENT VON PRAG zu bewundern. Vielleicht lag es an unserer gehobenen Stimmung, aber aus Schmunzeln wurde doch alsbald lautes Gelächter. Einem 1913 gedrehten Film sollte man sich wohl streng filmwissenschaftlich nähern, aber Paul Wegener als ältesten Studenten Prags zu sehen, wie er einer offensichtlich steinalten Trulla den Hof macht, die super überchargiert, machte es uns leider unmöglich, die sittliche Reife zu bewahren. Beim zwei Jahre später gedrehten GOLEM nun befürchtete ich ein ähnliches Lachfest. Man muß dazu wissen, daß Wegeners Urfassung vom GOLEM (die nicht mit der 1920er Fassung verwechselt werden sollte) noch vor nicht allzu langer Zeit als verschollen galt. Mittlerweile hat man eine Kopie ausfindig gemacht, die eine Bewertung zuläßt. Daß ich den Film leider nicht direkt mit der neueren Fassung vergleichen kann, liegt daran, daß ich jene vor etwa 20 Jahren zum letzten Mal gesehen habe.
Rabbi Loew erfährt aus einer besonderen Sternenkonstellation, daß den Juden Prags Unheil droht. Und tatsächlich plant der Herrscher, die Juden aus der Stadt zu vertreiben. Glücklicherweise hat der Rabbi aber einige Tricks auf Lager. So knetet er einen riesigen Tonbatzen so lange zurecht, bis er aussieht wie Paul Wegener mit seinem einzigen Gesichtsausdruck. In einer (allerdings recht beeindruckenden) Szene beschwört er Astaroth, auf daß dieser ihm das magische Wort verrate, das den Golem zum Leben erweckt. (Das Wort heißt „Mehmet“ oder so. Konnte man nicht richtig erkennen; Film ist ja schon alt.) Zunächst klappt die Sache auch ganz prima. Golem darf Holzhacken und wird mit einem Bastkorb zum Einkaufen geschickt. (Kommt ein Golem an die Wursttheke und verlangt mit dröhnender Stimme: „Ein Pfund Gehacktes, aber pronto!“ Da würde ich lieber selber gehen...) Als Rabbi Loew dem Monarchen seinen neuen Freund vorstellen will, kommt es zum Eklat, aber der Golem rettet den Tag, vorausgesetzt, die Juden werden nicht länger geschurigelt. Leider – LEIDER! – hat sich Ritter Florian in die hübsche Tochter des Rabbiners verkuckt. Ritter Florian ist wirklich ein Sonderfall und sieht aus wie eine blondperückte Tucke mit Zahnlücke und Beppelhut. Merkwürdigerweise wird er im Ghetto nicht ausgelacht, und Tochter Loew läßt sich von ihm sogar an die Brüste grabschen. (Hier gibt es Mienenspiel von jener Art zu bewundern, die mir bei STUDENT so viel Freude bereitet hat!) Als der Rabbi aber aus dem Haus ist, tanzt die Muschi, denn Florian sieht zwar schwul aus, hat's aber voll drauf. Alles könnte im Reinen sein, käme da nicht der sinistre Famulus des Rabbis zur Unzeit nach Hause, und da er gleichfalls ein Auge aufs Töchterlein geworfen hat, reagiert er verschnupft und aktiviert den Tonmeister. Jener aber – so will es die Legende – darf nicht zum Leben erweckt werden, wenn Urinus im Haus ist, widrigenfalls Astaroth seine Kreatur zurückverlangt...
Und dann jehtet drunter und drüber. Um es kurz zu machen: Der wiederaufgefundene ORLACS HÄNDE von Robert Wiene hatte mich damals deutlich mehr in seinem Bann. DER GOLEM besitzt einige faszinierende Elemente, die zumeist visueller Natur sind. Die Bauten etwa sind noch nicht so expressionistisch wie in der 20er-Version, stellen in ihrer Artifizialität aber einen deutlichen Kontrast zu den frühen amerikanischen Filmen dar. Auch gibt es kleine Leckerbissen wie eine komplett sinnfreie, aber immerhin überraschende Golem-Kamera, die einige Szenen des Finales in dreieckige Bildausschnitte einteilt. Paul Wegener ist eh ein Fall für sich. In Deutschland gab es zu jener Zeit ja eine ausgesprochene Vorliebe für dröhnende, übergewichtige Männer, die überlebensgroße Charaktere spielen. Emil Jannings fällt einem da ein, Heinrich George... tja, und Paul Wegener! Während mir der Charme der anderen beiden Schauspieler durchaus einleuchten mag, kann ich den Ruhm Wegeners nicht wirklich nachvollziehen. Ob im STUDENT, THE MAGICIAN oder Oswalds UNHEIMLICHE GESCHICHTEN – immer schmiert der Mann bis zum Gottserbarmen! Der bringt es fertig, mit einem einzigen Gesichtsausdruck zu schmieren, was wirklich eine Leistung ist... Bela Lugosi selig hatte eine ähnliche Begabung, wirkte dabei aber sympathisch und knuddelig, was Wegeners Leichenbittermiene gänzlich abgeht. Unterm Strich kann ich nicht sagen, daß mich DER GOLEM enttäuscht hätte, aber einen frühen Klassiker des Horrorkinos sollte man vielleicht besser nicht erwarten. Ich denke ja auch, daß, sollte LONDON AFTER MIDNIGHT jemals wieder aufgefunden werden, das Resultat eine Ernüchterung von noch ganz anderen Gnaden werden wird.
P.S.: Die Musikuntermalung ist völlig überemphatisch, klingt schwer nach John Williams und plündert sinnloserweise Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.
P.P.S.: UNHEIMLICHE GESCHICHTEN (1932) ist übrigens auch kein völliger Knaller, mit Ausnahme der zweiten Episode, in der der Jude Richard Oswald ganz eindeutig die Dekadenz und das Heuchlertum der auslaufenden Weimarer Republik karikiert hat, in einer gänzlich abgefahrenen Irrenanstalt...
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#347
Geschrieben 15. Juni 2006, 02:07
Mit dem ZAUBERER VON OZ von 1939 verbinden mich Kindheitserinnerungen der wilden Art. Zumeist haben sie zu tun mit Alpträumen, und während ich später nie wieder von filmbezogenen Nachtmahren gebeutelt werden sollte, setzten sie mir in der glücklichen Zeit der Präpubertät arg zu. Ich träumte von einem jungen Mädchen, das mit einigen Freunden singend in eine grüne Pracht hineintanzte. Auch war da eine grüngesichtige Hexe, die häufig hinter meiner Schlafzimmertür auftauchte. Später dann sah ich den ZAUBERER VON OZ wieder und wußte Bescheid. Ein bißchen ist das, wie Alpträume von Meister Proper zu haben, was einem Freund von mir tatsächlich widerfahren ist. Als der Film – die berühmte Version – dann auf DVD veröffentlicht wurde, riskierte ich wieder einen Blick, und jetzt war mir der Fall endgültig klar – kein Wunder, daß ich damals um meinen Schlaf gebracht wurde! Sicher, der Film ist auf seine Weise absolut toll, aber die Fantasie, die bei ihm Pate stand, war völlig derangiert. Allein die Tanzeinlagen mit den lustigen Zwergen gehören zum fucking Gruseligsten, was ich jemals gesehen habe! Dann noch die fürchterlichen Freunde der Dorothy – der feige Löwe, der zu exakt jenen Kreaturen gehört, die dabeistehen, wenn Unholde einen Einzelnen zusammenkloppen oder für Fernsehteams Asylantenheime abfackeln; der blöde Zinnmann, der gefallsüchtig ist wie nur was und eigentlich seine Lebensaufgabe im Maul eines Löwen von Siegfried & Roy finden müßte; und die Vogelscheuche, die noch weniger die Klappe halten kann als sämtliche Infotainmentmuschis des Kabelfernsehens... („If I only had a brain...“) Eine gruselige Menagerie. Die gute Fee war auch richtig übel und gehört mal so richtig satt gefistet. Rockbitch-Kanonenfutter, möchte ich mal sagen. Die böse Hexe war richtig nett, wurde aber – wenn ich mich recht entsinne – unter irgendeinem riesigen Ding begraben, so daß nur noch ihre Füße hervorkuckten. Toto, Dorothys kleiner Wuffi, hatte immer diesen „Bitte erschieß´ mich!“-Blick drauf. Judy Garland kam dem nicht nach, sondern leistete dem Vorschlag später selber Folge. (Ich habe noch eine Aufnahme von einer ihrer Lesungen, bei der sie offensichtlich vollkommen zugedröhnt war – furchtbar!)
Die Uralt-Filmversion von 1910 gefällt mir eigentlich besser. Damals beschränkte man sich bei der filmischen Umsetzung auf einzelne Momentaufnahmen („set pieces“), die von Zwischentiteln charakterisiert wurden. Dorothy vorher, Dorothy nachher, der Wirbelsturm, die Hexe (hier Momba geheißen), der doofe Zauberer, Toto wird in einen Löwen verwandelt etc. Die Begleiter sind noch genauso unerträglich, aber – siehe! – der Film währt kürzer! Statt einer professionellen Inszenierung des Jahres 1939 kommt man hier mit einigen stilisierten Sets aus, die an Meliès erinnern und eigentlich eher den Geist des Burlesktheaters widerspiegeln. Die Hauptrolle wird von einer gerade einmal 9 Jahre alten Bebe Daniels gespielt, die damals ein rechtes Pißblag war und später in eine Hollywood-Karriere durchstartete. Mit 13 Jahren spielte sie bereits Hauptrollen bei Harold Lloyd, was übersetzt bedeutet, daß sie schon verschiedene fette Produzenten auf der Besetzungscouch durchgebügelt haben werden. Das fand ich ja ohnehin immer sehr fesch, daß diese kleinen Mary-Pickford-Nettchen in Wirklichkeit mit allen Abwässern gewaschen waren, da es anders damals wohl kaum ging. Da lobe ich mir Louise Brooks – das war mal 'ne richtig coole Braut! Ansonsten erinnert das Ganze stark an die Filme von Wenzel Storch, dem ich den Film bestimmt mal zukommen lassen werde.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#348
Geschrieben 15. Juni 2006, 02:56
J. Searle Dawleys Version der berühmten Geschichte besteht aus ausgewählten Episoden, die – wie es damals Sitte war – in jeweils einer Kameraeinstellung präsentiert wurden, gleich der Perspektive eines Theaterbesuchers. Die Erschaffung des Frankenstein-Monsters findet statt in einem riesigen Kessel, in den der sehr tuckige Frankenstein mit viel Bohei eine Schöpfkelle Leipziger Allerlei hineinwirbelt. Danach sieht man Nahaufnahmen des Kesselrandes, über dem sich (rückwärts) ein Skelett langsam mit Fleisch besetzt. Der erste Teil des Filmes besteht aus sehr drolligen Impressionen der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und speziell des genannten tuckigen Frankensteins, der mit gestischer Hingabe Geistesblitze auf Papier zwingt und sich offenbar fortwährend selbst bejubelt. Er kriegt das Ausmaß seiner Hybris aber zu spüren, als das Monster anders gelingt als hoffentlich zunächst geplant. Charles Ogle (der ungefähr 300 Stummfilme gemacht hat) trägt eine Krisselhaarperücke, Catweazle-Outfit und ca. 50 cm lange Latschen an den Füßen. Er bekommt sofort spitz, daß Frankenstein in Wahrheit seine Trulla liebt. Rasende Eifersucht ist die Folge. Am Schluß erblickt sich das Monster im Spiegel und „fällt hinein“. Frankenstein – ein Rabenvater – freut sich darob einen Ast und ist befreit vom sündigen Sohn.
Filmisch bewerten kann man das kaum, aber die Geschichte des Pioniers Dawley ist schon ganz faszinierend und kann in einer sehr ausführlichen und kenntnisreichen Biographie bei IMDb nachempfunden werden.
P.S.: Wer ganz wagemutig ist, sollte sich mal die 1920er Version von DR. JEKYLL & MR. HYDE besorgen, in der John Barrymore den mit Abstand sexuellsten Hyde der Filmgeschichte gibt! Das hätte Will Hays später unter Garantie so nicht mehr durchgehen lassen...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#349
Geschrieben 18. Juni 2006, 16:10
Ein Film für den Sonntagnachmittag.
Everett Stone (Dermot Mulroney) stammt aus einer liberalen Familie, deren Eltern (Diane Keaton, Craig T. Nelson) ihre Kinder so freizügig und weltoffen aufgezogen haben, wie ihnen das gerade möglich war. Das schöne Familienbild wird auf eine harte Probe gestellt, als Everett mit seiner Verlobten über Weihnachten zu Besuch kommt, denn Meredith (Sarah Jessica Parker) ist eine stockkonservative Karrierefrau, die ohne Handy fast Entzugserscheinungen an den Tag legt. Sie wird mit offenen Armen empfangen, aber schon bald wird klar, daß hier unvereinbare Gegensätze aufeinanderprallen, und war der erste Tag schon ein Fiasko – es wird schlimmer...
Regisseur Thomas Bezucha ist als Quereinsteiger nach Hollywood geraten und stammt eigentlich aus der Modebranche. Mit THE FAMILY STONE hat er einen netten Familienfilm gemacht, dessen Skript lustvoll die Klischees dieser Art von Kino aufribbelt. Irgendwo zwischen MEET THE PARENTS und THE ROYAL TENENBAUMS, wird er allerdings niemals so bösartig wie der erste oder so narrativ vertrackt (um nicht zu sagen: selbstverliebt) wie der zweite. Er schildert die gewohnten Heucheleien und Hecheleien des Familienbetriebes, nur daß heutzutage halt nicht mehr die Konservativen das Hauptziel abgeben, sondern die „erwachsen“ gewordenen Ex-Hippies, wie es vermutlich weite Teile Hollywoods widerspiegeln dürfte. Angenehmerweise läßt das Drehbuch einige Intelligenz walten und den Zuschauer bei den turbulenten Entwicklungen mitdenken, formuliert nicht alles buchstäblich aus, so daß man schon dazu kommt, die Vorgänge selber ein bißchen mit den eigenen Erfahrungen zu vergleichen. THE FAMILY STONE ist ein vergleichsweise harmloser Film, der die beruhigende These vertritt, daß sich alles im Leben irgendwie aufklärt, wie festgefahren die Situation auch scheint. Alles passiert im Rahmen des Unterhaltungskinos, und unterhalten habe ich mich sehr angemessen. Dabei vermeidet der Film Banalität und geizt nicht mit guten Beobachtungen, was auch viele vergnügliche Stellen beschert. Man sollte allerdings anfügen, daß es durchaus Sinn macht, ein Päckchen Taschentücher bereitzulegen. Ich habe sie gebraucht...
P.S.: Den deutschen Untertitel - VERLOBEN VERBOTEN! - hat der Film nicht verdient. *stöhn*
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#350
Geschrieben 19. Juni 2006, 17:57
Was haben wir denn da? THE UNNAMABLE ist eine sehr atypische Veröffentlichung für das honorige Warner-Label, zumal es sich um einen jener Früh-90er-Horror-Schlocker handelt, wie sie heute bedauerlicherweise nicht mehr gemacht werden. Tatsächlich handelt es sich um THE UNNAMABLE 2, dessen erster Teil bei uns einst als „H.P. Lovecrafts“ THE WHITE MONSTER auf Video herauskam. An jenen habe ich nur noch rhombenförmige Erinnerungen. Er gehört zu Filmen von damals wie THE UNHOLY, DREAM DEMON oder DIE RÜCKKEHR DES UNBEGREIFLICHEN, die für mich alle etwas Besonderes darstellten, da es nicht Usus war, daß 10 Horrorfilme pro Woche neu in den Regalen stehen. Damals (so ab Mitte der 80er) habe ich diese Filme immer sehnlichst erwartet, und wenn sie dann nicht ganz so toll waren, war das irgendwie auch in Ordnung.
Im Winthrop-Haus zu Arkham war der Bär los: Vier Studenten fanden den Tod, nur Howard und der nerdige Carter konnten der rätselhaften Bestie entkommen. Als nächtens die Leichen abtransportiert werden, spielt sich zwischen dem Sheriff und einem seiner Schergen folgender leuchtender Dialog ab:
„Es sieht ganz so aus, als hätten wir wieder einen von diesen Vorfällen.“ – „Sie erzählen mir da was sehr Unangenehmes, Evan.“ – „Solche Wunden könnte nie ein Wolf oder Hund anrichten.“ – „Verdammte Stadt!“ – „So was wie die Dunwich-Sache. Die Übereinstimmung ist für mich offenkundig.“ – „Oh bitte, nicht nochmal, das halte ich nicht aus!“ – „Ich kann nur sagen, was ich sehe.“ – „Der Vorfall hier muß so lange wie möglich geheim bleiben!“ – „Dann müssen Sie aber die Verantwortung übernehmen, wenn dieses Etwas nochmal zuschlägt! Und niemand wurde gewarnt...“ (geht ab) – Sheriff (leise zu sich selbst): „Ja, ich weiß... Gott steh´ uns bei!“
Carter, der Herbert West dieses Filmes, will der Sache auf den Grund gehen, da er eine Ausgabe des berüchtigten „Necronomicon“ des verrückten Arabers Abdul „al Hazrak“ im Haus gefunden hat. Als er eine Formel aus dem Buch an die Tafel schreibt, kommen zwei Studienkollegen herein, ein Chippendale-Tänzer und ein Asiate. Der Asiate erkennt sofort, daß es sich um Quantenphysik handelt, wenn auch einen radikalen Ansatz. Carter latscht zu Rektor David Warner (der war damals in jedem zweiten dieser Filme!), bekommt aber eine ängstliche Abfuhr. Aufgeschlossener ist da Professor John Rhys-Davies (Gimli aus HERR DER RINGE!), der den jungen Schmierenchargen unterstützen will in seinem Tun. Gemeinsam begibt man sich unter Tage und findet in einem Geheimgang ein von Baumwurzeln gefangenes Monster mit Flügeln und Titten. Da Professor Gimli Cthulhu-Sprache beherrscht, zaubert er das Wesen frei, nicht bevor man es durch eine Insulin-Injektion (!) in eine 300 Jahre alte Frau verwandelt hat. Und dann beginnen die Probleme...
„Etwas durch einen Menschen zu rammen, das ist ziemlich leicht möglich, aber es wieder rauszuziehen – dazu gehören übermenschliche Kräfte! Der immense innere Sog des zerfetzten Fleisches plus die nicht zu unterschätzenden Hafteigenschaften des Blutes sind, äh, wie soll ich sagen...?" Mono- und Dialoge von derart schillernder Pracht sind keineswegs Mangelware in einem Film, der dem Werk H.P. Lovecrafts nicht wirklich gerecht wird. Tatsächlich ist viel beabsichtigte Kasperei in dem Film, was man mit Lovecraft nun eigentlich nicht machen sollte. Ich habe mich aber prächtig amüsiert über die gesamte Laufzeit, und wenn man die Knallchargen und die vergnüglich schlechte Synchronisation hinzunimmt, hat man ein prima Partytape! Und zum Schluß noch einmal ein Dialogsatz: „Der gesunde Menschenverstand schläft, wenn die Gelehrteneitelkeit erwacht!“ Das könnte ich mir eigentlich auf die Visitenkarte schreiben...
P.S.: Die zugrundeliegende Kurzgeschichte von Lovecraft ist eine kleine, ganz gewitzte narrative Spielerei und hat inhaltlich natürlich rein gar nichts mit den Filmen zu tun.
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#351
Geschrieben 22. Juni 2006, 18:06
Hokus, Pokus, Lokus.
Ein paar junge Mädchen haben Schwierigkeiten mit ihren Handys, die weit über leere Akkus hinausgehen: Geheimnisvolle Anrufe scheinen ihren Tod vorherzusagen, der dann auch eintritt. Die hübsche Yumi soll die nächste im Bunde sein, doch fügt sie sich nicht in ihr Schicksal, sondern versucht, hinter den Grund für die schrecklichen Vorfälle zu kommen. Der hat eine Menge mit Kindesmißhandlung zu tun...
Abgesehen davon, daß ich finde, daß man verzauberte Handys und Kindesmißhandlung nicht unbedingt miteinander zusammenwürfeln sollte, handelt es sich hier um einen weiteren RING-Ableger aus Japan. Als Regisseur fungierte Takashi Miike, dessen ungeheurer Ausstoß an Filmen – etwa 70 in gerade einmal 15 Jahren! – darauf zurückzuführen ist, daß er viele unpersönliche Auftragsarbeiten annimmt, um dann „seine“ Filmprojekte realisieren zu können. Das ist eine ungewöhnlich realistische Arbeitsweise, die aber nicht dazu angetan ist, in seinem Werk nach dem roten Faden suchen zu lassen, nach der Handschrift des Autoren. ONE MISSED CALL gehört vermutlich eher zu den Auftragsarbeiten, zumal die Story dem gewohnten „Geistermädchen mit langen Haaren“-Kanon keine wesentlichen Neuerungen hinzufügt. Zudem gibt es zahlreiche Momente, wo man schon mal gepflegt die Stirn runzelt ob des merkwürdigen Verhaltens der Protagonisten. Warum werfen die ihre Handys nicht einfach weg? Die klingeln doch eh nur, wenn man gerade auf dem Klo sitzt oder über eine neue Gesundheitsreform nachbrütet! Große Überraschungen liefert das Drehbuch auch nicht gerade, und selbst die Wendungen des Schlußaktes sind nicht die große Überraschung des Theatersommers. Daß Miike sein Handwerk versteht, sieht man schon daran, daß einige Spannungsszenen trotz ihres Beharrens auf Unlogik oder oberflächlichen Firlefanz ganz anständig funktionieren, aber ansonsten hätte man die Story wirklich auf einem Bierfilz festhalten können. Unterm Strich gehört ONE MISSED CALL weder zu Miikes beeindruckenderen Filmen – dazu würde ich z.B. sein Remake von GRAVEYARD OF HONOR zählen – noch zu den empfehlenswerteren japanischen Geisterfilmen. Viel eher hat man es mit einem überlangen und unoriginellen Grusler zu tun, dessen doofe Prämisse das gute Handwerk nicht herausreißen kann. Das einzige Element, das mir wirklich gefallen hat, war die Sache mit den Bonbons, und der bizarre Schluß (blauer Himmel!) hat auch was. Schade, daß die Amis ausgerechnet diesen Miike-Film zur Neuverfilmung ausgekuckt haben, denn das wird ziemlicher Sicherheit ein Schuß in den Ofen.
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#352
Geschrieben 23. Juni 2006, 01:13
Ein eminent gewalttätiges Gangsterdrama, in dem der Polizist Kiriyu versucht, seinen Bruder Yoshihito aus den Klauen der Triaden herauszuboxen. Jener hat nämlich Jura studiert und dummerweise mit dem taiwanesischen Gangster Wang angebandelt, welcher geisteskrank, homosexuell und mordsgefährlich ist...
Takeshi Miikes erster Kinofilm, in dem er die japanische Gangsterszene als einen schwer überschaubaren Schmelztiegel von Finsterlingen aus allen möglichen Nationen schildert. Selbst der untersuchende Polizist stammt eigentlich aus China, hat aber eine japanische Identität angenommen. Nicht nur die Herkunft ist verwirrt, auch die sexuelle Ausrichtung streunt gerne abseits: Während Homosexualität für die Unterweltler nicht nur akzeptabel, sondern sogar eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, ist Analverkehr auch für die japanische Polizei ein probates Mittel zur Erlangung wichtiger Auskünfte. Damit alles, aber auch wirklich alles in der Welt des Filmes richtig schön schmuddelig aussieht, richtet Miike seine Kamera (16mm, nehme ich an) bevorzugt auf die weniger mondänen Ecken der Großstadt, wobei Körperflüssigkeiten aller Arten eine prominente Rolle spielen. SHINJUKU KILLERS hat mir wesentlich besser gefallen als der optisch gefälligere ONE MISSED CALL, wenngleich seine Freude am Exzeß bei fortschreitender Laufzeit eher ermüdet, als daß sie schockiert. Wenn in einer der ersten Szenen der fröhlichen Hure Lonely Jelly vom übelgelaunten Helden mit einem Stuhl das Nasenbein zertrümmert wird, ist das noch recht effektiv, da unerwartet und nicht wirklich heldengemäß. Irgendwann ist es aber klar, daß alle Figuren in diesem Mikrokosmos an Altlasten zu tragen haben, die man adäquat nur noch mit flächendeckendem Bombardement bereinigen könnte. Originell fand ich immerhin, daß Bösewicht Wang eine Begegnung mit einem Yakuzaboß dadurch würzt, daß er den versammelten Schurken am Schluß in perfekter Exhibitionistenmanier stolz seinen Dödel präsentiert! Insgesamt ist SHINJUKU KILLERS etwas zu fixiert auf sein Dauerfeuerwerk von Traditionsbrüchen, aber trotz seiner Schwächen wirkt der Film sehr energisch, sehr wütend und besitzt einen fürwahr beunruhigenden Sinn für Humor, der sich auch in einigen sehr bizarr getimeten Szenen widerspiegelt. Den Abgang des Chefschurken werde ich vermutlich nie vergessen... Jetzt eine Dusche!
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#353
Geschrieben 23. Juni 2006, 11:09
Die Geschichte zweier Brüder, die in China geboren und in Japan aufgewachsen sind. In ihrer Jugend fortwährend ausgegrenzt und als Bastarde behandelt, suchen sie zusammen mit dem Freund Chan und der Prostituierten Anita ihr Glück in den Randbereichen der Verbrecherwelt Osakas. Ihrem Traum, nach Brasilien auszuwandern, kommen sie immer näher, aber um einen hohen Preis...
Jetzt bin ich doch mal richtig beeindruckt. Hielt ich Takashi Miike bisher für einen technisch begabten Streuner unter Japans Cineasten, der sich stets bedeckt hält und hinter ironischen Posen verschanzt, so sehe ich ihn jetzt ganz anders. LEY LINES ist ein anrührendes Drama, das mit großer Leichtigkeit die sehr melancholische Geschichte einiger Heimatloser erzählt, die sich in einer Welt scheinbar ohne moralische Konstanten zurechtfinden müssen. Im Grunde ist LEY LINES ein „road movie“, in dem die zentralen Figuren nach ihrem Ziel suchen, das immer am Horizont zu verschwinden scheint. Miike verwendet auch hier zahlreiche „alienation effects“, die aber im Kontext des Filmes überhaupt nicht selbstzweckhaft wirken, sondern ganz konkret die moralische Verwirrung und Verlorenheit seiner Welt widerspiegelt. Die beiden Brüder und ihre Weggefährten sind weder gut noch böse, sondern sie sind einfach, und es obliegt sowohl ihren teilweise rührend naiven Aktionen als auch dem guten Onkel Zufall, sie in ihre jeweilige Richtung zu schubsen. Teilweise ist das erneut brutal und unerfreulich, doch folgen die lauten Momente des ansonsten sehr ruhigen Filmes logisch aus den Konstellationen, die sich zwischen den Figuren ergeben. Am Anfang singt einer der beiden Brüder ein Lied, das von Gleisen handelt, die irgendwohin führen. Das Lied hört man auch am Ende des Filmes, diesmal von jemand anders mitgesungen. Und obwohl man in der Schlußeinstellung Gleise nicht wirklich erkennen kann, handelt es sich doch um einen ungewöhnlich optimistischen Schluß – zumindest habe ich ihn so für mich gedeutet. In seinen besten Momenten erreicht der Film die stoischen Qualitäten der Filme Takeshi Kitanos und liefert statt der genreüblichen Posen richtige Poesie. Vielleicht liegt es daran, daß Miike eine ähnliche Heimatlosigkeit in sich fühlt, wie er des öfteren in Interviews angedeutet hat. Das Osaka seiner Jugend hat er so manches Mal in Filmen besucht, und ich habe große Lust, dem nachzuspüren. Ganz hervorragend.
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#354
Geschrieben 23. Juni 2006, 15:51
Nach etwa 30 Minuten von BIRD PEOPLE fragte ich mich, warum Hollywood sich von Takashi Miike ausgerechnet ONE MISSED CALL gegriffen hat und nicht diesen schönen Film? Als der Film dann vorbei war, dachte ich nur: „Och, ist eigentlich schon ganz gut so.“
Zwei ungewöhnliche Reisende begeben sich auf eine gemeinsame Pilgerfahrt ins chinesische Hinterland: Wada ist ein professioneller Geschäftsmann, der von seinen Bossen losgeschickt worden ist, um eine wertvolle Jademine klarzumachen; Ujiie ist ein Yakuza, der die Interessen von „Geschäftspartnern“ wahren soll, die von Wadas Gesellschaft aufs Kreuz gelegt zu werden drohen. Der Hinweg gestaltet sich als schwierig, da sich die weltgegerbte Ruppigkeit des Gangsters mit der angelernten Gelassenheit des sortierten Bruders nicht gut verträgt. Zudem verliert ihr chinesischer Führer (eine selten gute Rolle für den bekannten japanischen Schauspieler Mako) bei einem Sturz sein Gedächtnis, so daß sie auf einmal gefangen sind, hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen. Doch dort draußen finden sie heraus, daß der Weg zu ihrem ganz privaten Shangri-La gar nicht so weit ist...
Wer einen weiteren Yakuza-Film von Miike erwartet, bekommt die volle Packung. Abgesehen von einer kurzen Alptraumsequenz Ujiies gibt es keine Schußwechsel, und Miikes gewohntes Denaturierungskarussell kommt in dieser Verfilmung einer Vorlage von Makoto Shiina völlig zum Stillstand. Anstatt jetzt aber versöhnlichen Kitsch aus dem Hut zu zaubern und den Gutmenschenpfad zu bereisen, verläßt sich der Regisseur ganz auf die Kraft seiner Bilder und der umwerfenden Natur, die von ihnen eingefangen wird. Es reicht völlig, die unterschiedlichen Großstadtfräcke mit den ursprünglichen Menschen zusammenzuwürfeln, die da leben; da muß nichts erklärt werden, kein edler Wilder auf den Sockel gestellt. Auch FITZCARRALDOsches Hochleistungsgeprotze fehlt da völlig. THE BIRD PEOPLE OF CHINA befaßt sich erneut mit dem Thema der Heimatlosigkeit, bettet es aber ein in eine Reflexion über das Wesen der Erkenntnis und wie es den Menschen verändern kann – zum Besseren wie zum Schlechteren. Vor einer Hollywood-Bearbeitung würde mir grausen, denn dort fänden sich unter Garantie zahlreiche humanistisch gesonnene Dialogsätze und vielleicht auch noch eine Erzählerstimme, die klarstellt, was nicht klargestellt werden muß. Klarstellen muß ich aber, daß man definitiv Taschentücher bereithalten sollte. Wer Miike nur durch seinen ICHI THE KILLER kennt, sollte sich den Spaß mal erlauben. Ich habe es den Vogelmenschen nachgemacht und bin einfach nur weggeflogen...
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#355
Geschrieben 24. Juni 2006, 02:53
Wow!
Zur ersten Episode dieser Sammlung von mittellangen Horrorgeschichten habe ich bereits einen Text verfaßt, da es sich um eine um etwa die Hälfte geraffte Version des exzellenten DUMPLINGS aus Hongkong handelt. Abgesehen von einem abgeänderten Schluß ist der Inhalt weitgehend identisch, sieht man einmal von der Auslassung einiger Nebenhandlungsstränge ab. Funktioniert mit Sicherheit auch in dieser Version gut, wenngleich ich die längere Fassung vorziehe, die die Hauptfiguren mit mehr Motivation und somit auch Schattierungen ausstattet.
Die zweite Episode stammt von Park Chan-wook, dem Regisseur von OLDBOY. In „Cut“ erzählt er eine lustvoll autoreflexive Geschichte, in der ein junger und erfolgreicher Regisseur von Horrorfilmen von einem geisteskranken Statisten terrorisiert wird. Jener beweist ein feines Gespür für Theatralik und hat die als Pianistin tätige Ehefrau des Filmemachers mit Draht an den Tasten ihres Klaviers festgeschweißt. Er droht damit, ihr einen Finger nach dem anderen abzuhacken, wenn ihr Ehemann sich weigert, ein kleines Mädchen zu erdrosseln. Und was soll man sagen – es sind noch einige Finger da, und der Abend ist lang... Mit Abstand die blutrünstigste Episode, deren fröhlicher Sadismus allerdings durch die Artifizialität der Darbietung sehr viel „bekömmlicher“ gestaltet wird, so diese Formulierung genehm. Der originelle Dreh der Geschichte befindet sich in der Charakterisierung von Opfer und Täter: Während es sich beim abartigen Schurken um einen gebeutelten Proletarier handelt, der nun mal wirklich keine für ihn sprechenden Merkmale aufzuweisen hat, ist der Regisseur reich, erfolgverwöhnt, gutaussehend, gebildet und obendrein auch noch nett! Hat sich was mit dem feisten Produzenten mit Mercedes und Zigarre im Maul... Regisseur Chan-wook hat eine Menge Spaß mit dieser verbogenen Grundkonstellation und brennt ein ziemliches Feuerwerk an knalligen Regieeinfällen ab. Da der Darsteller des Psychos im Original einen unglaublichen Singsang abliefert, lohnt es sich hier definitiv, auf die koreanische Tonspur mit Untertiteln auszuweichen. Ziemlich igitt, wie schon angedeutet, aber ob seines spielerischen Grundtenors einigermaßen leicht zu verdauen. Leichter als...
...Episode 3, "Box", für die Takashi Miike verantwortlich zeichnet. Kyoko ist eine junge Schriftstellerin, die in einem abgelegenen Landhaus an ihrem neuen Buch arbeitet. Dabei wird sie von Alpträumen geplagt, die viel mit ihrer Kindheit zu tun haben. Wie es scheint, war sie einst mit ihrem Papa und ihrer Zwillingsschwester Shoko in einem Zirkus tätig, bis ein fürchterliches Unglück dem ungesunden Familienidyll ein Ende setzte. Die Geschichte wird sehr gemächlich entwickelt und verwendet viel vertrackte Symbolik. Zunächst mutmaßte ich, es handele sich um eine der typischen Rache/Geist-Geschichten, zwar erlesen inszeniert, aber grundsätzlich unoriginell, aber was dann am Schluß als Auflösung angeboten wird, ist dermaßen abgründig und unerwartet, daß sich ein Ausharren mit Sicherheit lohnt. Ich möchte sie wirkungsmäßig vergleichen mit der Schulterangelegenheit aus SHUTTER... Ughhh! Nein, ich sollte mir solche Filme definitiv nicht vor dem Schlafengehen anschauen, und jetzt lese ich erst einmal „Clever & Smart“!
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#356
Geschrieben 25. Juni 2006, 14:48
Das einzig lustige an dieser Gurke ist, daß Jean-Claude Van Damme allen Ernstes den Rollennamen Rudi Kaffmeyer trägt und sich in einer Szene als Rabbi verkleidet. Ansonsten handelt es sich um typischen Boaz-Davidson-Schmalspurzauber, der wieder einmal eine Story auffährt, für die wesentlich mehr Geld und Talent vonnöten gewesen wären. VD ist ein Gentleman-Einbrecher (gähn!), dessen Vater entführt wird, weil er das verschollene letzte Kapitel eines religiösen Traktats entdeckt hat. Zahllose Verfolgungsjagden und Rangeleien im (allerdings sehr attraktiven) Tel Aviv sind die Folge. Die Mumie von Charlton Heston hat einen Kurzauftritt und wird in die Plauze geschossen. Ben Cross spielt einen korrupten Israeli und fragt sich vermutlich immer noch, was seit DIE STUNDE DES SIEGERS mit seiner Karriere passiert ist. Und der Zuschauer wundert sich, mit was für lahmen Drehbüchern man im Jahre 2001 Filme machen konnte. Nein, den kann man wahrlich knicken.
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#357
Geschrieben 03. Juli 2006, 02:03
Drei Geschichten aus Thailand. Story 1: Eine verzauberte Trommel entführt den Zuschauer in eine „Schöne und das Biest“-Geschichte aus alter Zeit, in der die Tochter eines angesehenen Musiklehrers von einem verwachsenen Diener namens Gnot (leider nicht „Gnorf“!) angebetet wird. Als sie sich in einen gutaussehenden, talentierten und auch noch netten Musiker verkuckt, kommt es zum Eklat, der vom Jahr 1918 bis in die Jetztzeit andauert... Eine klassische Geistergeschichte, die leider sehr umständlich erzählt wird und deshalb – abgesehen von einigem Gerangel am Schluß und einer beherzt ekligen Szene mit einem appen Arm aus Gummi – ihr Potential größtenteils verschleudert. Das ist aber noch gar nichts gegen Story 2, deren Inhalt ich gar nicht wiederzugeben vermag. Es geht um eine junge Frau, die sich einen Cowboy als Mann wünscht und sich dafür ein Aphrodisiakum zubereiten läßt. Das hat aber irgendwas mit Leichen zu tun, und so gibt es einiges Tamtam mit Toten, darunter einen axtschwingenden Killer-Zombie. Viel Sinn ist nicht drin. Am besten schneidet Story 3 ab, in der ein junger Polizist private Nachforschungen anstellt, als eine junge Frau erhängt aufgefunden wird. Er glaubt nicht an einen Suizid und nimmt deshalb ihren brutalen Ehemann und ihren ehemaligen Liebhaber unter die Lupe. Und ihr Geist ist auch noch mit von der Partie... BANGKOK HAUNTED ist nicht direkt schlecht, eignet sich aber keinesfalls für Fans von schockzentrierten Gruslern à la JU-ON oder SHUTTER. Viel eher erinnern die Geschichten an klassische asiatische Geistermärchen, bei deren Realisierung man es sich aber leider nicht hat nehmen lassen, viel modernen Schangel einzubauen, z.B. Discos, schmierigen Sex, unpassende (und nicht sonderlich gelungene) Werbefilmästhetik und irregeleitete Kameramätzchen. Außerdem irritiert das Beharren auf unnötig morbiden Einzelheiten, wie z.B. den Leichen in der Pathologie, die hoffentlich nicht echt sind. Das liebevolle Verwenden von igitten Körperflüssigkeiten erinnert auch etwas an 70er-Jahre-Asien-Horror, in denen viel mit Eiter und Verwesungsmulch herumhantiert wurde, nur daß dort ein wesentlich schmissigeres Erzähltempo angeschlagen wurde. Insgesamt durchwabert gerade die unzusammenhängende zwote und die dritte Episode eine dezidiert unappetitliche Note, die aber kaum als Ersatz für Spannung dienen mag. Wenn schon bizarren Asien-Horror, dann doch bitte lieber MYSTICS IN BALI, THE BOXER'S OMEN und ähnliche Knallschoten mit Mystik-Zirkus satt. BANGKOK HAUNTED ist trotz einzelner interessanter Stellen eine ziemlich langatmige und schwergängige Angelegenheit, die jeden Nicht-Asien-Crack überfordern dürfte. Einer der beiden Regisseure war übrigens Oxide Pang, der im Jahr darauf mit seinem Bruder den wesentlich netteren THE EYE machen sollte.
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#358
Geschrieben 03. Juli 2006, 19:38
Hahaaaaha, Fassenacht, Jecke alaaf...
1. Story: Eine dünne Frau, die man mit viel gutem Willen als Afroamerikanerin durchgehen lassen kann, arbeitet für einen Kosmetikkonzern, der von einer misogynen Tucke geleitet wird, die wiederum mit einer qualvoll langsam alternden Blondine verheiratet ist. Das neueste Produkt der Firma macht mit der Haut der Kunden das, was die meisten Fußballkommentatoren dieser WM mit dem machen, was an Stil, Intelligenz und Charme in der Zuhörerschaft noch übriggeblieben ist – BLITZKRIEG! Kein Wunder, daß man um Vertuschung bemüht ist. Da die dünne Frau aber vom Schmuh erfährt, wird sie gejagt und durch ein überdimensionales Abflußrohr gejagt. Eine computeranimierte Katze gähnt sie an und führt sie zu einer Lesbe, die mit lauter anderen Katzen zusammenlebt. Die dünne Frau hat daraufhin ihr Coming-Out, zieht sich eine original Lederschlampenkluft an und ein Mützchen, das an Lächerlichkeit einer Schlumpfkappe in nichts nachsteht.
2. Die dünne Frau ist Halle Berry, und ich wünsche ihr mindestens 10 Fortsetzungen. Mann, ich scheine diese Frau wirklich zu hassen! Jedenfalls macht sie sich gründlich zum Horst, kann nix und grimassiert zum Gottserbarmen. Wer meint, sie sei in GOTHIKA schlecht gewesen, sollte hier mal reinschauen. Keanu Reeves, übernehmen Sie!
3. Der frühere Jeunet/Caro-Mitstreiter Pitof (VIDOCQ) hat sich mit diesem Hollywood-Einstieg keinen Gefallen getan.
4. Die Kampfszenen dieser zu langen Sheba-Reklame sind lausig choreographiert und die Spezialeffekte völlig unrealistisch. Zeichentrick wäre vorzuziehen gewesen.
5. CATWOMAN hat SPAWN als schlechteste Comic-Verfilmung in meiner persönlichen Wertschätzung überholt. Mann, ist der schlecht...
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#359
Geschrieben 04. Juli 2006, 15:43
Masuoka (Shinya Tsukamoto) arbeitet als Freelancer für TV-Sender. Sein Spezialgebiet ist die Kameraarbeit bei Reportagen. Tatsächlich quält ihn aber die Existenz von einer verborgenen Realität unter der offensichtlichen. Er läuft in seiner Freizeit durch Tokio und filmt Menschen und Häuser, in der Hoffnung, aus der Wirklichkeit der reinen Abbildung herauszupurzeln. Dabei fasziniert ihn besonders der Schrecken, den Menschen im Augenblick ihres Todes empfinden. Als er einem Suizid nachspürt, begibt er sich in unterirdische Gänge, die das U-Bahn-System von Tokio mit Lovecraft'schen Regionen verbindet, in die sich selten mal ein Mensch verirrt. Von seinem Erkundungsgang holt er sich ein merkwürdiges Wesen mit nach Hause: eine hübsche junge Frau, die sich zu einer Art vampirischem Kaspar Hauser entwickelt. Und während Masuoka seine eigene Realität immer mehr jener seines Gastes unterordnen muß, nähert er sich dem ultimativen Schrecken, den er so sehnlich sucht...
Ein eigenartiger Film, mit dem Takashi Shimizu Regionen erforscht, die von seinen JU-ON-Filmen noch in sehr genretypischer Weise eingefaßt wurden. Tatsächlich bildet die Story nur ein dünnes und überaus unverläßliches Gerüst für den Erforschungsgang des Protagonisten, welcher geisteskrank sein mag oder ein Mensch, der Außergewöhnliches erlebt. Eine reine Auflistung des Inhaltes würde den Film reduzieren, denn er lebt von seiner bedrückenden Bilderwelt, seinen dunklen Gängen, die tief in den Menschen hineinführen. Tatsächlich erinnerte mich der Film stark an die Arbeiten von Shinya Tsukamoto (TETSUO), der den Masuoka als einen Menschen gibt, der verzweifelt versucht, Geheimnisse, die dem Auge verborgen bleiben, per Video festzuhalten und einer neuen Betrachtung zuzuführen. Dabei erreicht ihn die mutmaßliche „Wahrheit“ immer nur als Schatten, der schon aus dem Blickfeld gehuscht ist, wenn er ihn gerade fokussiert zu haben glaubt. Falls es sich um einen Film über Wahnsinn handeln sollte, so handelt es sich um einen der besten, den ich je gesehen habe. Das Fernsehen – der Arbeitgeber Masuokas – begnügt sich mit dem schönen Schein und weicht dem Bösen aus, auch wenn es den „Wahnsinn“ zuweilen inszeniert. Masuoka will voll draufhalten. Dabei wird angedeutet, daß seine ganz private Vampirgeschichte eventuell nur eine komplette Selbstbespiegelung sein könnte, in welchem Falle er einfach ein simpler Massenmörder wäre. Wer einen Gruselfilm á la JU-ON oder RING erwartet, wird vermutlich enttäuscht. MAREBITO ist ein sehr bedrückendes und „weirdes“ Psychodrama, dabei aber so kunstvoll inszeniert, daß ich ihn mir mit Sicherheit noch einige Male anschauen werde.
P.S.: Sehr interessantes Interview mit Shimizu auf der DVD. Sympathischer Mann!
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#360
Geschrieben 05. Juli 2006, 17:18
Jack Benteen (Nick Nolte) ist Texas Ranger, und wenn er Mexikanern oder „Poor White Trash“ in den Arsch treten muß, so schmerzt ihn das, weil er weiß, daß sich diese Leute häufig mit legalen Methoden kaum über der Armutsgrenze halten können. Trotzdem glaubt er an das System, an die klare Grenze zwischen Recht und Unrecht, und er will das Chaos in seinen Schranken halten. Schwierig wird es, als er seinem Jugendfreund Cash Bailey (Powers Boothe) wiederbegegnet, denn jener ist zum örtlichen Drogen-Kingpin aufgestiegen und hält sich jenseits der mexikanischen Grenze seine eigene Pancho-Villa-Privatarmee. Als alte Streitigkeiten aufbrechen, bringt das Blut die Grenzen zum Verschwimmen, die moralische wie die geographische...
Walter Hill hat früher mit Sam Peckinpah zusammengearbeitet, und neben den technischen Fähigkeiten verbindet ihn mit seinem einstigen Lehrmeister die Freude am Geschichtenerzählen. Hills Filme sind aktionzentriert, direkt und unprätentiös. (Wenn ich jetzt noch „schnörkellos“ hinzufüge, ist das Floskelquartett komplett...) EXTREME PREJUDICE gehört mit Sicherheit nicht zu seinen besten Filmen, aber er liefert eine faire Packung, und was das Beste ist: Ironie ist angenehmerweise komplett abwesend. Hill liebt diese Harter-Mann-Geschichten, und es liegt ihm fern, sie mit Schlaumeiereien abzusichern gegen die Anfechtungen der akademischen Filmkritik. Wenn der Finalfight stark an Peckinpahs THE WILD BUNCH erinnert, so hat man das bei Hill als liebevolle Hommage zu werten, die man entweder wahrnehmen oder einfach ignorieren kann. Im Mittelpunkt steht das Dreiecksgespann der einstigen Freunde und ihrer gemeinsamen Herzensdame. Sarita (Maria Conchita Alonso) ist einstmals die Freundin von Cash gewesen, hat sich dann aber für Jack entschieden. Die Zeit hat die beiden Männer entzweit und auf die entgegengesetzten Seiten der moralischen Trennlinie gestellt. Von den beiden ist der Bösewicht (Boothe wie üblich glänzend) der farbigere und lebendigere Charakter, da sich für ihn die Frage mit der Moral komplett erledigt hat. Noltes weitgehend versteinerter Jack muß sich andauernd mit den Unwägbarkeiten herumschlagen, die sich aus der gewaltsamen Einteilung in Gut und Böse ergeben. Das führt auch dazu, daß er sich im Grunde als ziemlicher Egoist präsentiert, der die Bedürfnisse seiner Sarita ignoriert bzw. sie überhaupt nicht wahrnimmt. Wenn sie ihn in einer Szene gehörig auf den Topf setzt, steht er nur völlig verständnislos daneben und will sich augenscheinlich lieber wieder in seine wichtige Arbeit vergraben. Für beide Männer ist sie eigentlich eine Identifikationskrücke – für den einen ein Tupfer Unschuld in einem ansonsten rettungslos vermurksten Leben, für den anderen das Symbol von Reinheit und Unschuld, für die er verzweifelt kämpft. Harte Männer mit Kerben in Gesicht und Revolverlauf – hübsches Noir-Western-Comicstrip-Material, das Walter Hill hier wie immer mit handwerklichem Glanz präsentiert. Solche Filme habe ich gerne im Regal stehen!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
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