Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#361
Geschrieben 07. Juli 2006, 14:19
Hurra, der American Nunja ist wieder da – alaaf! Michael Dudikoff, der neue Stern am Firmament des Action-Himmels, wird von seiner Dienststelle auf eine nicht näher benamste Insel geschickt, wo er und sein schwarzer Freund Jackson dem Verschwinden einiger US-Marines nachspüren sollen. Als sie bei ihrer Ankunft von einigen Surfer-Boys empfangen werden, schwant ihnen bereits, daß die Arbeitsmoral hier ziemlich lax ist. Was nicht für die ortsansässigen Ninjas gilt, die sofort akrobatischen Mummenschanz aufführen, gegen Joe Armstrong und Jackson allerdings keine Chance haben. Die vermeintliche „Kampfchoreographie“ outet sich hier bereits als Mischung aus Bewegungslegasthenie sexuell verkorkster Kindergärtner und Augsburger Puppenkiste: Die Ninjas wirbeln wild durch die Gegend und machen den Eindruck, als würden sie andauernd gegen Laternen laufen. Dudikoff macht dem Spuk durch einen gezielten Stöckchenwurf ein Ende. Gemeinsam werden sie daraufhin vor den Chefmarine zitiert, der mit seiner gefärbten 80er-Frisur und kurzem Schnubi einen hervorragenden Lederschwulen abgeben würde. Dudikoff trägt übrigens ebenfalls eine tolle Frisur Marke „Fluffy Karloff“ und wirkt etwa so überzeugend in seiner Rolle, wie Miroslav Klose wirken würde, steckte man ihn in einen Ninja-Dress: „Die kämpfen wie Profis! Der Blonde könnte fast ein Ninja sein!“ Vom Ledermann bekommen sie immerhin eine vielversprechende Spur gesteckt: „Sein Name ist Taylor. Er ist, offen gestanden, ein schräger Vogel. Er hat vor einem Jahr ein einheimisches Mädchen geheiratet. Seitdem geht's mit ihm bergab.“ Taylor – der schon von Anfang an den Eindruck gemacht hat, als habe er schwer was auf dem Kerbholz – erweist sich auch als schräger Otto, wird aber von einem bösen Speer ins Jenseits befördert. Damit der Schwuppenzirkus die beschnäuzerte Videotheken-Kundschaft nicht vergrault, wird noch ein Mädel eingeführt, die sich als Tochter eines Wissenschaftlers erweist. Jener Professor Sanborne wollte einst ein Mittel gegen Krebs erfinden, aber unter dem Druck der Ereignisse ließ er sich von einem Schurken namens „Der Löwe“ dazu überreden, lieber menschliche Kampfmaschinen zu züchten – die „Superninjas“! (Alicia: „Das hat etwas mit Biomechanik zu tun, Joe!“) „Der Löwe“ ist im übrigen eine Paraderolle für Gary Conway, der 30 Jahre zuvor in I WAS A TEENAGE FRANKENSTEIN seine wohl bekannteste Rolle hatte. Hier wirkt er ein wenig wie Howard Vernon mit blonder Schwuppenperücke und Nazi-Appeal – angenazt, sozusagen. Er hat seine schönste Szene, als er eine Ansprache vor möglichen Investoren seines Genprojektes hält: „Wir haben schnell erkannt, daß man in diesem Geschäft nur etwas erreicht, wenn man die Quelle kontrolliert. Deshalb sind wir in den Dschungel gegangen...“ Danach gibt er den Gästen eine kleine Kostprobe seiner Ninjas, was in etwa so aussieht, als würde André Heller den taiwanesischen Staatszirkus präsentieren. Conway schrieb auch das Drehbuch. Ein weiterer Höhepunkt folgt sogleich, als Professor Sanborne die Belegschaft durch sein „Geheimlabor“ führt, in dem nicht nur Männer im Lendenschurz in Vitrinen herumstehen, sondern auch Wackelpeter Himbeere auf kleinen Maschinen herumbibbert. Sein überraschender Kommentar: „Im wesentlichen belassen wir ihnen die menschliche Intelligenz, steigern aber ihr Wissenspotential von Angriff und Überleben um über 100 Prozent. So bekommt dieses intelligente Wesen einen kämpferischen Charakter.“ Dudikoff hat dann noch eine kleine Rückblende, die zeigt, wie er von einem weiteren Pat-Morita-Lookalike zu einem Ninja gemacht wurde. Dann haut er alles in kleine Schnipsel. Der Film ist völlig gaga und kann den richtigen Zuschauern eine Menge Freude bereiten. Den Vogel schießt aber wirklich die Actionregie ab, die einfach sagenhaft schlecht ist. So gibt es z.B. eine Szene, in der ein Ninja unter Dudikoffs Jeep gerät, auf einmal bei voller Fahrt à la MAD MAX 2 auf die Motorhaube krabbelt und sich dann per Salto auf die Ladefläche befördert. Es ist ganz offensichtlich, daß der Wagen voll abbremst, damit der arme Ninja sich beim Aufkommen nicht satt auf die Fresse legt; trotzdem wird so getan, als rausche der Wagen mit unvermindertem Tempo weiter... Auch schön eine Szene, in der Dudikoffs Mädel von einem Ninja mit einem Blasrohr beschossen wird. Dudi legt ihr die Hand vors Gesicht und fängt den Pfeil mit dem Handrücken ab. Vergiftet scheint der Pfeil allerdings nicht gewesen zu sein, da Dudikoff einfach weiter durch die Gegend hüpft. Vielleicht war das ja auch ein Kindergeburtstagspfeil mit Saugnapf – was weiß ich, womit die Ninjas da schießen! Erwähnen möchte ich noch, daß der Spezialeffekteassistent den tollen Namen Laszlo Stumpf trägt.
P.S.: Warum wird André Heller eigentlich niemals als Oberschurke in so einem Film verwendet? Der käme m.E. total prima, könnte dann mit österreichischem Schmäh einige sensible und wichtige Sachen sagen und ansonsten mit verschränkten Armen dastehen und zukucken, wie seine Ninjas Kultursubventionierung einfechten... „Wenn ich groß bin, will ich ein kleiner Junge sein.“ Michael Dudikoff, übernehmen Sie!
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#362
Geschrieben 11. Juli 2006, 18:13
Nikolai (Dolph Lundgren) ist nicht irgendein russischer Geheimdienst-Nafti, sondern als Speznas-Spitzen-As bzw. –Spitznas der Mann fürs Grobe, wenn sich der Kommunismus von westlicher Seite bedroht sieht. So wird er nach Afrika (vermutlich Angola) geschickt, um den Spiritus Rector der dortigen Revolutionsarmee zu exekutieren. Der Mann – ein gewisser Siddharta oder so – ist schwer aufzutreiben und wird ständig von renitenten Schwarzkämpfern abgeschirmt. Um ihn zu erhaschen, zettelt Nikolai in einer sehr lustigen Szene einen Krawall in einer Söldnerkaschemme an und wandert dafür plangemäß ins Loch. Dort begegnet er nicht nur dem abgehalfterten US-Journalisten Ferguson (Paraderolle für Charakterdarsteller M. Emmet Walsh!), sondern auch Siddhartas rechte Hand, den Soldaten Kalunda. Obwohl Nikolai aussieht wie ein brutaler Apfel, erringt er nach erfolgter Flucht das Vertrauen Kalundas, wenngleich Kommunistenfresser Ferguson mißtrauisch bleibt. Als Nikolai schließlich Siddharta begegnet, erweist der sich als eine Art Blaxploitation-Variante von Gandhi. Da er aber in erster Linie Soldat, in zweiter Linie Mensch ist, ficht das Nikolai nicht an. Sein Mordversuch scheitert aber, weshalb man ihn in der Wüste zum Trocknen auslegt. Bevor die Sonne ihm seinen Restverstand herausbrutzeln kann, kommen die Russkis vorbei und foltern ihn so richtig durch. Nikolai gelingt die Flucht, doch ein bissiger Skorpion setzt ihn erneut matt. Was für ein Glück, daß ein geheimnisvoller Buschmann seinen Weg kreuzt, der den 2-Meter-Arier unter seine Fittiche nimmt. Nikolai wird wieder zum Kind und lernt, was ihn die russische Indoktrination hat vergessen lassen – den Respekt vor seinen Mitmenschen und allem, was da kreucht und fleucht. Und dann kriegt er eine Riesenpuste in die Hand und ballert alles in kleine Schnipsel...
Ja, toll – so werden Actionfilme nicht mehr gemacht! RED SCORPION ist ein auf vergnügliche Weise antiquiert wirkendes Relikt aus der Endphase des Kalten Krieges – propagandistisch plump, pathetisch und gänzlich ironiefrei. Als eine Art Dönerbuden-Ausgabe von DIE ROTE FLUT zeigt er die Menschwerdung einer eiskalten Killermaschine, und während Lundgren gegenüber den meisten seiner Kollegen doch Vorzüge hat (niemand kann ein ähnlich fieses Gesicht machen wie er!), so gehen ihm die thespischen Fähigkeiten, die nötig gewesen wären, um aus einer eindimensionalen Konzeption zumindest eine zweidimensionale zu machen, wohl ab. Zum Glück, möchte man sagen, denn Filme dieser Fassong allzu ernst zu nehmen, kann Magendrücken verursachen. Im vorliegenden Falle habe ich mich köstlich amüsiert, zumal RED SCORPION in Gestalt des wirklich absolut knuddeligen Buschmannes Gao noch einen echten Sympathieträger am Start hat, und tatsächlich schafft er es, dem blonden Grimmbock Nicolai ein jungenhaftes Lächeln zu entlocken. Wenn am Schluß die Ochsennatur des russischen Bären durchbricht, erlebt der Zuschauer zudem ein wunderbar sinnfreies, pyrotechnisch aufwendiges und unzusammenhängendes Finale, das kaum Wünsche offenläßt. Die Botschaft des Filmes lautet, grob zusammengefaßt: Bimbos in Ordnung, Russkis Arschnasen, und die Wahrheit läßt sich niemals unterdrücken. In diesem Sinne.
P.S.: Die Folterszene mit den langen Nadeln ist in der mir vorliegenden deutschen DVD-Version fast komplett rausgeschnitten gewesen, aber dem Grundtenor des Filmes tut das keinen Abbruch...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#363
Geschrieben 14. Juli 2006, 12:57
Dieser videogewordene Siebenmeilenstiefel aus Schweden führt den angejahrten Betrachter in jene Periode des Aufbruchs zurück, in der die Videokamera als preiswertes Produktionsmittel entdeckt wurde, mit dem auch in Husum und Benediktbeuren großes Kino hergestellt werden konnte. Zwischen Kuhstall und Atari-Spielkonsole entstanden damals Filme, die nach den Sternen griffen und nicht selten eine handgemachte Vermarktung erfuhren, die mit dem Kassettenlabel-Phänomen der frühen 80er vergleichbar ist. („Ey, wir haben'n Tape aufgenommen, volle Kanne Punk bzw. Elektronik-Avantgarde, echt geil! Das verteilen wir jetzt mal an alle Freunde, die sich das dann einmal beim Bügeln anhören, wenn's hochkommt, und die Jungs vom Plattenladen stellen das bestimmt auch für ein paar Tage auf den Tresen. Ach was, wir gründen ein Label usw.“) Besonders beliebt war das Horrorgenre, denn wo ein Bauernhof ist, da ist auch Schweineblut, und wenn man die Zenzi noch dazu überreden konnte, ihre dicken Titten in die Kamera zu halten, dann war Hollywood in Griffweite. Wenn die Provinz sich Horror traute, hatte das meist auch mit Heavy Metal zu tun. Soziologen mögen da einen Zusammenhang herleiten, aber so war es halt.
DEATH ACADEMY ist einfach nur großartig und beginnt mit einer Präkreditsequenz, die schon vor dem Vorspann klarstellt, wo Bartel den Most holt: Eine sehr dicke Gruftine unterhält sich mit einem ebenfalls beleibten Schirmmützenträger, der mit seiner Wasserflasche gen Himmel deutet. Bestimmt werden da philosophische Einsichten erörtert, aber es flieselt nur billige Synthie-Musik darüber – keine Ahnung, was das soll. Szenenwechsel: Eine kleine dicke Frau mit einem sehr langweiligen Pullover heftet jemandem eine Botschaft beleidigenden Inhalts an den Spind („Svin!“), wozu auf einmal Heavy-Metal-Mucke ertönt. Sie läuft dabei an einem auffällig positionierten Hammer vorbei. Eine Gestalt in einem Anorak mit Fellkapuze nähert sich von hinten, greift sich den Hammer und donnert ihn in ihre Halsschlagader. Miss Malmö liegt auf einmal auf dem Boden, Blut sprudelt in die Kamera, und da sie putzigerweise keinen Pulli mehr anhat, sieht man auch ihre Möpse, die von einem gräßlichen BH nur unzulänglich in Schach gehalten werden. Vorspann! Wir befinden uns an derselben Schule, an der die grause Tat sich zutrug. 10 Jahre später bekommen dort einige Kiddies von einem sehr langweilig aussehenden Lehrer etwas über Serienmörder vertellt. Das hört sich etwa so an: „Na, und welche davon kennt ihr?“ – Handzeichen: „Ted Bondy!“ – „Mmmh, das war der erste richtige Serienmörder! Kennt ihr vielleicht noch einen?“ – Handzeichen: „Jack the Ripper!“ – „Ja, richtig, guuut, Ellen, guuut!“ Dann erzählt er irgendwas von schwedischen Serienmördern, z.B. Thomas Quick (oder so). Eine Schülerin erwähnt den Typen, der vor 10 Jahren an der Schule einige Teenies zerschnetzelt hat, was wohl recht nahe liegt... Spätestens bei der Aussprache des Wortes „Moaden“ wird klar, daß es sich um eine Dialektsynchro handelt, wovon ich schon immer ein großer Fan gewesen bin. Tatsächlich sind die Sprecher vermutlich in irgendeiner Videothek zwischen Bochum und Wuppertal (Raum Ennepetal?) gecastet worden. Sie setzen dem Film Glanzlichter auf, auch wenn sie sich dessen vermutlich nicht bewußt gewesen sind. Wahre Kunst kennt kein Kalkül. Aber weiter!
Die forsche Ellen (Brille und Unterbiß) will als Hausarbeit ein Interview mit besagtem Mörder anleiern, der gerade freigelassen worden ist und früher mit ihrer Schwester liiert war. („Is´ ja ech´ beklopp' Zeit mi'm Knasbruder zu verbring´!“) In einer großartigen Szene trifft sie ihn auf einem Bahnsteig, untermalt von toller Trallala-Balladenrock-Musik, in die der Bahnsteigsprecher so eingearbeitet worden ist, daß er wie ein Bestandteil des Stückes wirkt – drauf achten, klingt toll! Niclas: „Wohea wusses´ du, dassich komme?“ Ellen: „Wia machn middunsam Lehrö eine Zeitung über die Moade von früa an der Schule...“ Niclas: „Wir müssen ihn unbedingt stoppen! Er is ein gefährlischer Mann!“ Ellen: „Wen meinst du?“ Niclas: „Erwähne bitte niemals seinen Namen, hörst du?“ Ellen: „Warum hassuenn nichs währen´ der Verhandlung gesacht?“ Niclas: „Ich has versuch' aber keiner hat mir geglaub' Ich bin ein freier Mann, unn ich vertraue niemanden außer mia selbs'. Ellen: „Konsch (=Komm´ doch) späer zu mia, meine Freunde sinauch da!“ Und so weiter.
Zusammen mit einigen Buddies und dem vermeintlichen Serienmöäda Niclas bricht sie dann nachts in die Schule ein. (Der Bruder des Kollegen mit der „Zero or die“-Kappe fummelt zu diesem Behufe mit einem Universalmesser an einem Sicherheitsschloß rum. Kappenträger: „Ist es zu hart oder was?“ Einbrecher: „Die Tür oder – meinze den hier?“ Packt sich an den Sack. Kappenträger: „Harr harr, sehr witzig, du Pimmel...“) Gemeinsam durchstöbert man das Büro des Rektors, der nicht nur der Verdächtige Nummer Eins ist, sondern auch die beste Synchronstimme abbekommen hat. Natürlich taucht er sofort auf und grunzt wie ein Schwein. Seine Glanzszene ist jene, in der er sich etwa eine Minute lang ein Schnäpperken einflößt und dazu grunzt und stöhnt. Das ist Methodenschauspielerei von hohen Gnaden! Daraufhin entbrennt eine wilde Hatz durch die Schule, in deren Verlauf u.a. ein Marzipankopf von einem Feuerlöscher blutig eingedellt wird, diverse Kehlen durchschnitten werden und Schwefelsäure (und Schwafelsäure) zum Einsatz kommt. Falls der Film jemals im Hinblick auf den Paragraphen 131 untersucht wird, bezweifele ich ernsthaft, daß selbst die Staatsanwälte dem munteren Treiben beiwohnen könnten, ohne ständig vor Lachen unter den Tisch zu rutschen... Der Mörder hat manchmal einen roten, manchmal einen dunkelgrauen Anorak an. Außerdem trägt er eine komplett geschlossene Gesichtsmaske, die er nur abnimmt, wenn er etwas sehen will. In ähnlicher Weise scheint mir Niclas´ Hemd ebenfalls ständig von Knallgrün zu Hellgelb zu transformieren, wobei dies auch an der ungeschickten Ausleuchtung liegen mag. Es gibt unzählige schöne Szenen zu bewundern, u.a. eine in einem Lehrerbüro, in dem nicht nur Dostojewskys „Schuld und Sühne“ ins rechte Bild gerückt wird, sondern auch komplett sinnloserweise die „Slim“-Funktion der Videokamera eingeschaltet wird. Ganz toll auch der Irrenhauswärter, der sich mit einem Magazin namens „Knasen Zits“ vergnügt. (Meine Freundin ist da vor Lachen hinten über gekippt!) Die Hintergrundmusik alterniert zwischen billigen Rhythmusspielchen, wie sie in meinem Yamaha-Keyboard ab Werk enthalten sind, und fröhlichem Billig-Metal, in dem Sachen gegröhlt werden wie: „I only wanna cry/ Gimme peace of mind/ I wanna go blind!“
Man könnte/müßte eigentlich ein ganzes Buch über den Film und seine Synchro schreiben. Eigentlich ungeheuerlich, daß so etwas heute noch auf DVD herausgebracht wird und in der Videothek direkt neben THE DESCENT steht. Ich kann den Film Gleichgesinnten wärmstens empfehlen – eine perfekte Party-DVD!
P.S.: Eine der Darstellerinnen heißt Kicki Backebjörk.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#364
Geschrieben 17. Juli 2006, 02:42
Unter dem Titel EROTIK (sic!) BLUE verbirgt sich ein bunter Reigen dezenter Lustbarkeiten aus einer Zeit, in der Porno und der Klammergriff der Industrie noch nicht den Blick verstellt hatten auf die wahre Natur sinnesfroher Erotika. Diese neue DVD-Veröffentlichung vereint seltene Filmschnipsel aus glücklichen Tagen mit dem zwar kauzigen, nichtsdestotrotz aber informativen Kommentar eines echten Kenners: Herr Weber hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die (aus heutiger Sicht gesehen) vergnüglich unschuldigen Frivolitäten von einst der Vergessenheit zu entreißen und sie dem staunenden Publikum zugänglich zu machen. Mit klammheimlicher Freude an verborgenen Pikanterien und dem Aufzeigen einstiger Schamschwellen präsentiert er uns seine persönlichen Lieblinge. Das Schockpotential, das diese Schnipsel damals besessen haben mögen, ist selbstredend mittlerweile weitgehend abgeflaut, aber das Vergnügen, das sie dem zeitgenössischen Betrachter verursachten, ist auch heute noch ungebrochen. Kaum zu glauben, daß der Striptease (in Webersprech: Schtripptiehs!) der Burleskshows von einst manch einem frommen Menschen den Kamm in Schamesröte erglimmen ließ und nicht selten das Gesetz auf den Plan rief, aber wir alle sind mittlerweile schlauer und abgeklärter in unserer Urteilsfähigkeit. Was damals nur unter der Ladentheke weitergegeben werden durfte, unter Gefahr der Preisgabe der eigenen Unbescholtenheit, hat heute seinen ihm gebührenden Platz auf DVD, restauriert und technisch aufgemoppelt, wie dies der Stand der Technik ermöglicht. Man muß sich beim Betrachten dieser DVD in die Rolle des Spannemaxes vergangener Tage begeben, und es ist von hohem Reiz, sich die Verheerungen und Verwüstungen in den von Repression und heuchlerischer Scheinmoral geknechteten Seelen vorzustellen. Wenn Hausfrauen sich auf mit Flitter und Glitzer geschmückte Bühnen begaben, um ihre Spezialausstattungen zu schwenken und dem weiblichen Geschlecht ein Halleluja darzubieten, dann erfreut nicht der unbändige Wille nach Perfektion, sondern einfach der Mut und die – zumeist budgetbedingte – Reduktion auf das Wesentliche. Gleichsam bieten die Filmchen einen Einblick in die zumeist lamentabel trostlosen Produktionsbedingungen, mit denen Gaukler und Schmalspurproduzenten damals dem Zuschauer den Zinsgroschen aus der Tasche jagen wollten. Aus wenig wurde viel in den Händen gewiefter Geschäftsleute. Cineasten können über die drallen Reize der Teilzeit-Femme-Fatales hinwegschauen und ihr Augenmerk auf den filmischen Improvisationsgeist richten, der damals obwaltete. Auch finden sich in diesen Erzeugnissen einer grundverklemmten Epoche zahlreiche Hinweise auf die Gesellschaft, die ihnen Pate stand. Das Weiterdenken ist hier von Gewinn! Wenn sinistre Flagellantinnen die Papierpeitschen auf ihre üppigen Reize herniedersausen lassen, spricht das Bände von einer ambivalenten Sexualität, die sich höchst sonderbare Wege suchte. Auch Verquickungen mit dem Genrekino (z.B. Science-Fiction) verraten die Camouflagen einer prüden Zeit.
Regisseur Reginald Ginster kommt wohl das große Verdienst zu, die Sammlerleidenschaft des Herrn Weber einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Im Internet ist kaum etwas über den Mann herauszufinden, was wohl daran liegt, daß er in einer Zeit herangewachsen ist, in der das Internet noch keine Bedeutung erlangt hatte. Tatsächlich ist Reginald Ginster – wie sich auf Nachfrage ergeben hat – ein guter Freund Herrn Webers, dessen Babyschritte in der Welt des Kintopps angeblich in der Zeit des großen UFA-Kinos zu verorten sind. Mir ist leider strengstens untersagt worden, genauere Angaben zu seiner wahren Identität preiszugeben, aber ich darf doch verraten, daß seine Filmleidenschaft schon immer geprägt war von einer Hinwendung an den Sexus und seine vielfältigen Spielarten. Während ihn die spätere Entwicklung zum plump Pornographischen kaum zu begeistern vermochte, teilte er Herrn Webers Interesse an der dezenten Enthüllung, dem schamvoll gelüfteten Geheimnis im Herzen der Männerwelt. Das vorliegende Resultat der gemeinschaftlichen Bemühungen profitiert sehr von der zwar humorvollen, aber keinesfalls ironisch distanzierten, sondern vielmehr sehr persönlichen Note, die Herr Weber in seine Ausführungen einflicht. „DIE ALTE IM GARTEN – so lautet tatsächlich der diskriminierende Titel des nun folgenden Filmes“, ist nur eine der zahlreichen Anmerkungen, mit denen er seine Augäpfel versieht. Beizeiten verzettelt er sich dabei etwas in der Übersetzung der Originaltitel – „Le peintre et la nymphomane“ heißt z.B. nicht wirklich „Die Pipette und die Nymphomanin“! –, aber diese Makel sind unbedeutend im Zusammenspiel der liebevollen Archivierungstätigkeit und einer aufrichtigen Hinwendung an das ewig Weibliche, wie Goethe das einst nannte.
Ein ungetrübtes Vergnügen für den Herren – aber auch die Dame! –, und ein vortreffliches Partytape für jedermann. Und wenn ich mich in meiner Rezension etwas von dem unvergleichlichen Sprachduktus des Herrn Weber habe anstecken lassen, so legt das Zeugnis ab von der infektiösen Wirkung des aufrüttelnden Erlebnisses. Ich wünsche mir, daß die Bemühungen des Herrn Weber noch mehr solcher prächtigen Früchte tragen werden!
P.S.: Begleitet werden die 79 Minuten ungezügelter Pracht von tollen Trailern und schönen Kurzfilmen aus der Welt des Sexploitation-Kinos jener Tage. Dem Herrn Weber und seiner Leidenschaft gilt meine aufrichtige Zuneigung!
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#365
Geschrieben 17. Juli 2006, 17:22
Jerry Logan (Andrew McCarthy) ist Las Vegas´ unglücklichster Taxifahrer, denn er hat eine Million Dollar gefunden. Der vorherige Besitzer – ein sehr ängstlicher Fahrgast – wurde vor Jerrys Augen von einem Auto zermalmt. Jetzt sitzt Jerry da mit einer glücklichen Zukunft im Koffer, doch er ahnt bereits, daß die Mafia das Geld höchstwahrscheinlich zurückhaben möchte. Tatsächlich hat man bereits einen Profikiller engagiert, Eckhart (Scott Glenn), der sich des Problems annehmen soll. Eine wilde Hatz entbrennt, die Jerry bis nach Kalifornien führt. Doch Meister Eckhart hat einen eisernen Berufsethos...
Nachdem ich mir vor einigen Tagen bereits das Dolph-Lundgren/Brandon-Lee-Vehikel SHOWDOWN IN LITTLE TOKYO angesehen hatte, erwartete ich einen fluffigen Actionfilm jener Sorte, wie sie Anfang der 90er gut auf Video aufgehoben war. Regisseur Mark L. Lester betätigt sich bereits seit Mitte der siebziger Jahre mit der Produktion anspruchsloser, aber gut zu vermarktender Unterhaltungsware, die selten ein gewisses Niveau überschreitet. Man bekommt bei dem Mann aus Cleveland aber eigentlich immer das, wofür man seinen Obolus entrichtet hat – ein Auto aus zweiter Hand, von einem guten Mechaniker optimal zusammengeklopft. Seine Hochwassermarke war sicherlich DIE KLASSE VON 1984, eine Zirkus-Krone-Version von SAAT DER GEWALT, deren Unterhaltungswert nicht zuletzt vom hohen Unfug-Faktor bestimmt wurde, der da obwaltete. In späteren Werken war es ihm nicht vergönnt, diesen Trick mit ähnlichem Erfolg zu wiederholen, aber wo Lester draufstand, war auch weiterhin Lester drin. Während SHOWDOWN mich etwas abnervte durch das manische Rumgejuxe, das die brutalen Fightsequenzen begleitete, erfreut NIGHT OF THE RUNNING MAN durch seine Ernsthaftigkeit. Zudem hat er mit Scott Glenn einen exzellenten Schauspieler anzubieten, der seinen Profikiller mit Hingabe mimt. In der ersten Hälfte des Filmes ist er noch weitgehend der wahre Profi, der Mann ohne Gesicht und Namen, der seine Gefühle stets unter Kontrolle hat und für den „Patzer“ ein Fremdwort ist. Dann, als er merkt, daß seine Fachkenntnisse ihm im Hinblick auf sein neues Opfer nicht weiterbringen, läßt er so richtig die Sau raus. In der deutschen Fassung kann die Sau allerdings nicht zubeißen, da an einigen Stellen übelst geschnitten wurde. Schade, aber vielleicht gibt es ja eine ungeschnittene DVD-Fassung. In jedem Fall funktioniert der Film ganz ordentlich, wenngleich die Handlungsweise der Figuren gelegentlich an Walt Disney erinnert. Aber wenn man RUNNING MAN nur als Knabbermischung für zwischendurch betrachtet, geht das schon in Ordnung.
P.S.: Seine ultimative Granate lieferte Lester meines Erachtens Jahre später, mit dem Serienmörderthriller WHITMANS RÜCKKEHR - johoho...
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#366
Geschrieben 23. Juli 2006, 01:17
Universitätsprofessor Paul Regis (Michel Piccoli) ist kein romantischer Träumer, sondern glaubt an die unbedingte Verläßlichkeit objektiver Fakten. Dieser Glaube wird auf die Probe gestellt, als er sich dazu bereit erklärt, seinem Schüler Charles Van Horn (Anthony Perkins) zu helfen, als dieser eines Morgens mit einem völligen Filmriß und blutverschmierten Händen in einer billigen Kaschemme aufwacht. Um Klärung zu erlangen, muß er sich auf das palastartige Anwesen von Charles´ Vater begeben, Theo Van Horn (Orson Welles). Sehr rasch findet der Gelehrte heraus, daß hier familiäre Verstrickungen am Walten sind, die eindeutig unnatürlich sind. So hat sich der junge Charles unsterblich in seine Adoptivmama (Marléne Jobert) verliebt, die einst als kleines Aschenputtel vom reichen Patriarchen unter seine Fittiche genommen wurde. Als sie alt genug war, wurde sie dann flugs geehelicht. Sowohl sie als auch Charles beten den Patriarchen an wie einen Gott, was durch die Unvernunft ihrer Leidenschaft etwas kompliziert wird. Ein mysteriöser Erpresser schaltet sich ein, der die verbotene Liebelei publik zu machen droht. Doch was kompliziert begann, entwickelt sich im Sauseschritt zur ausgewachsenen Katastrophe...
DER ZEHNTE TAG ist ein zutiefst eigenartiger Film, der unter Chabrols zumeist sehr klar und analytisch aufgezogenen Kriminaldramen der frühen 70er deutlich hervorsticht. Statt einer detailreichen und nüchternen Schilderung des Milieus, in dem sich die Charaktere bewegen, erwarten den Zuschauer schon zu Beginn bizarre Kameraperspektiven, die die emotionale Schieflage des psychopathischen Charles andeuten. Auch die Figuren, die Amateurdetektiv Paul (= die rationale Instanz in einer irrationalen Umgebung) auf dem Schloß antrifft, scheinen aus einer Parallelwelt zu stammen, die irgendwo zwischen Agatha Christie und den Gebrüdern Grimm anzusiedeln ist. Tatsächlich basiert der Film auf einem Roman des Autorengespanns, das unter dem Pseudonym Ellery Queen zahlreiche Krimis veröffentlichte, und Chabrol macht sich einen Spaß daraus, die Welt der verläßlichen Fakten und der Spurensuche in einen denkbar bizarren Kontext zu verfrachten. Tatsächlich erinnert der Anfangsteil des Filmes sehr an den unglaublich intensiven DER RISS – ebenfalls ein Kuriosum aus dieser Phase Chabrol'schen Schaffens –, doch während jener immer unangenehmer wird, verblüfft DER ZEHNTE TAG durch seinen immer ausgelassener werdenden Umgang mit dem Material. Würde man in einem klassischen Kriminalroman eine mehr oder weniger plausible Auflösung erwarten, so liefert Chabrol eine lustvoll artifizielle und sehr ausgedehnte Geschichte, die es in punkto Glaubwürdigkeit durchaus mit Argentos INFERNO aufnehmen kann! Derrick-Fans werden hier wohl passen müssen, und auch das Gros der damaligen Chabrol-Anhänger scheint mit dieser Extravaganz ihres Meisters nicht konform gegangen zu sein, denn es setzte viele Verrisse. Tatsächlich darf man den Film halt eben nicht zu ernst nehmen. Selbst das Schlußbild (Zigarette!), das den klassischen Detektivroman verulkt, legt das noch nahe. Der Film versieht Orson Welles mit einer seiner besseren späten Rollen, gibt Anthony Perkins Gelegenheit, seinen Norman Bates in den Overdrive zu schalten, und Michel Piccoli – ein Meister des glanzvollen Understatements – darf einen Rationalitätsapostel spielen, der an die Grenzen seiner Überzeugungen getrieben wird. Sicherlich ist DER ZEHNTE TAG weniger eindrucksvoll als etwa DER RISS, doch seine spielerische Attitüde verleiht ihm einen hohen Unterhaltungswert. Pierre Jansens wie üblich hervorragende Musik tut ein übriges und enthält hier auch Kirchenorgelpassagen, die den zirzensischen Charakter des Melodrams noch unterstützen.
Chabrol ist wirklich ein sehr unberechenbarer Patron, und während sich sein Werk zum großen Teil in einigermaßen klar abzugrenzende Phasen gliedern läßt, so war er immer für Überraschungen gut. Einige von diesen Überraschungen waren ausgesprochen lohnend, z.B. DER RISS oder der phantastische ALICE mit Sylvia Kristel, andere eher spektakuläre Fehlgriffe. Aber das macht mir den Mann nicht unsympathischer, ganz und gar nicht. DER ZEHNTE TAG ist jedenfalls eine spielerische Reflexion über den Widerstreit von Religion und Ratio und unterhält ganz famos. Jahve alaaf!
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#367
Geschrieben 25. Juli 2006, 17:44
„Ich habe ihnen nur verkauft, was sie zu kaufen von Geburt an bestimmt waren!“
Als der Film herauskam, hieß er bei mir nur DR. MUMPITZ, da ich ihn völlig banane fand. Die zeitgenössischen Kritiken schienen mir rechtzugeben, da sie Chabrols sehr eklektischen Freigeist nicht honorierten und mit enthusiastischen Verrissen quittierten. So empfand ich eine gewisse Lustangst, als ich mich dem Film aufs Neue näherte. Ich halte ihn auch immer noch für einen Fehlschlag, wenngleich für einen interessanten.
In einem Berlin der nahen Zukunft – immer noch hübsch geteilt – häufen sich Selbstmorde in bedrohlichem Ausmaß. Nicht wenige davon führen zu Katastrophen, so daß von einer gezielten Anschlagserie die Rede ist. Die generelle Meinung vermutet aber eine Art Virus, das die Menschen wahnsinnig werden läßt. Kommissar Hartmann (Jan Niklas) untersucht die grausigen Vorfälle und findet dabei heraus, daß sie irgendwie mit dem Medienkonzern des öligen Dr. Marsfeld (Alan Bates) zusammenhängen. Tatsächlich scheint eine Art subliminale Beeinflussung vorzuliegen, die Marsfeld mit seinem TV-Sender „Mater Media“ über den Äther schickt. Auch steckt das Urlaubsunternehmen „Theratos“ irgendwie mit drin. Aber bevor Hartmann die ganze Wahrheit herausbekommen kann, ist nicht nur sein Leben in Gefahr...
Die Grundidee dieser Wiederbelebung Dr. Mabuses ist sehr interessant und führt direkt zu DR. MABUSE DER SPIELER zurück, in dem Fritz Lang die Weimarer Republik als einen Hort des Lebensüberdrusses und der Dekadenz schilderte. Wer es sich leisten kann, flüchtet sich in Drogenexzesse und Spielsucht, das allgemeine Chaos vor den Türen tapfer ignorierend. Dr. Mabuse, der geniale Superverbrecher, bedient sich der selbstzerstörerischen Tendenzen seiner Opfer und wirkt eigentlich nur als eine Art Katalysator, um Innewohnendes an die Oberfläche zu kehren. DR. M ist 1989 gedreht worden, tut aber so, als sei die Mauer niemals gefallen. West und Ost sind einander in treuer Haßliebe zugetan und funktionieren ganz prächtig, denn die Menschen sind mittlerweile überall, scheint's, in brauchbarem Maße gleichgeschaltet. Die Medien übernehmen dabei die Rolle der Soma-Verteiler und glätten die Falten im Gewebe. Die Selbstmorde erscheinen hier eher als die letzte Flucht aus einem System, das Dr. Marsfeld ebenso repräsentiert wie unterläuft. Seine Motive sind teilweise Menschenverachtung, teilweise aber auch Ausdruck seiner eigenen Todessehnsucht, da er wie eine Art vampirischer Zombie an einer Lebenserhaltungsmaschine hängt. Daß der Film so fulminant abstank, liegt nicht nur an seinen diversen Unzulänglichkeiten, sondern vor allem an der Erwartungshaltung des Publikums. Chabrol-Fans erwarteten möglicherweise wieder mehr vom selben, vergaßen dabei aber völlig z.B. die Agentenfilme, die er in den sechziger Jahren herausbrachte. Daß Chabrol Triviales liebt, ist kein Geheimnis. Das Problem von DR. M liegt daran, daß er sich nicht entscheiden kann zwischen saftigem Trivialkino „mit was extra“ und Wichtigwichtig-Kunstkino. Für den normalen Betrachter, der mit den knalligen Mabuse-Verfilmungen der 60er (die eher den Geist der Wallace-Filme atmeten) großgeworden war, mußte DR. M schwerfällig und zäh erscheinen, da er zwar Attraktionen bietet, sie aber mit einem Zuviel an Stil und gestelzten Dialogen garniert. Diese merkwürdige Unentschlossenheit in der Herangehensweise spiegelt sich auch in der Uneinheitlichkeit der darstellerischen Leistungen – sämtliche Schauspieler scheinen in einem unterschiedlichen Film zu agieren! Alan Bates gibt seinen Dr. M als einen schön schmierigen Schurken und drückt dabei mächtig auf die Tube, was okay gewesen wäre, wenn sein Charakter dem von Wolfgang Preiss in den alten Filmen geähnelt hätte, was hier aber nicht der Fall ist. Die ironische Konzeption wird besonders deutlich in seinen Auftritten als Sektenguru, bei denen er komplett über Bord geht. Jennifer Beals (grauenhafte Fehlbesetzung!) weiß scheinbar überhaupt nicht, was sie hier macht und gibt einfach eine leidende Heroine Hollywood'scher Prägung. Jan Niklas gibt seinen Kommissar Hartmann als gebrochenen Noir-Bullen mit trüber Vergangenheit und zieht sich damit noch ganz gut aus der Affäre, wenngleich man sich kaum sicher sein kann, ob das nun ernstgemeint ist vom Regisseur oder ironisch. Man hätte meines Erachtens den ganzen Schangel mit der nicht stattgefundenen Wiedervereinigung am besten komplett herauslassen sollen, denn die unterliegende Selbstzerstörungswut der heutigen Gesellschaft und die daraus folgende Dekadenz gäbe weiß Gott genügend Stoff her. Bei Chabrol führt sie hier leider nur zu einer Abziehbild-Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten des modernen Lebens, mit Leben und Tod, Ost und West, Eros und Thanatos, Dick und Doof, und die Mauer sitzt irgendwo dazwischen. Das wirkt unnötig plump und zu offensichtlich. Auch die Einlagen der Punkband Mekong Delta wirken da reichlich deplaziert, obwohl sie immerhin eine der besseren Szenen des Filmes (Bates wird vom Chef des DDR-Fernsehens, Hanns Zischler, interviewt) mit einer gruseligen Slam-Dance-Version von Mussorgsky versorgt, die da ganz gut paßt. Wie schon gesagt, ein Fehlschlag, aber immerhin ein nicht uninteressanter. Hätte man nur bedeutend mehr draus machen können.
P.S.: Wolfgang Preiss hat einen Gastauftritt, als Polizeipräsident Kessler! Sein Ost-Pendant wird gespielt vom lieben William Berger.
P.P.S.: Ich wollte eigentlich noch einen verbrecherischen Kalauer unterbringen und von einem „Chabrol-Mäuschen“ sprechen, aber das ist mir leider nicht gelungen...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#368
Geschrieben 26. Juli 2006, 16:06
Polnische Filme haben mich immer sehr fasziniert. Im Unterschied zu vielen russischen Filmen, die ich kenne, fand ich sie auch immer angenehm leicht zu konsumieren, da sie ihren häufig politischen Gehalt in auch für Ausländer leicht nachfühlbare menschliche Geschichten einwoben. Da ist nur sehr wenig vom staubigen, sich kämpferisch gebenden „Wir halten zusammen“-Rudelmief, wie man ihn von Parteiveranstaltungen oder Schulbesetzungen her kennt. Auch hermetisches Kunsthandwerk findet man da kaum. Während die meisten bekannteren polnischen Regisseure irgendwann zu Expatriaten wurden, blieb doch immer eine tiefe Verbundenheit zur Heimat vorhanden. Wenn man etwa die polnischen Filme von Kieslowski mit seinen französischen vergleicht, so fällt auf, daß die Fixierungen stets dieselben bleiben, angereichert vom neuerworbenen Kulturkreis.
PRZYPADEK (=Zufall) erzählt an der Oberfläche eine streng politische Geschichte. Witek ist ein junger Medizinstudent, der nach dem Tod seines Vaters (der unter den Altkommunisten in den Knast gewandert ist) die Schule schmeißt. Er will etwas für sein Land tun und bei der Gelegenheit seinen eigenen Weg finden, der – so empfindet er – nicht im Wälzen von Büchern und alltäglichem Kleinklein liegt. Er tritt in Die Partei ein und merkt schon bald, daß sich ihm Türen mit bemerkenswerter Leichtigkeit öffnen. Als Jungpolitiker wird er gerne zu unpopulären Jobs geschickt und darf sich mit Drogensüchtigen, Hippies und anderen Subversiven herumschlagen. Dabei freundet er sich mit einigen von ihnen an. Als die Leute auf einmal „verschwinden“, merkt er aber, daß er systematisch zum Lockvogel erzogen worden ist und schmeißt den Kram erneut hin. Was nun? Die Aktivität im Untergrund beflügelt ihn zunächst, aber schon bald muß er feststellen, daß es mit der wahren Freundschaft (die er eigentlich sucht) dort auch Essig ist. Vielleicht ist das behütete Leben als kritischer Mitläufer doch eher sein Ding. Aber da ist die Sache mit den Zügen...
Dies ist der Film, in dem der Protagonist ständig versucht, irgendwelche Züge zu erreichen. Manche davon erwischt er; andere verpaßt er. Dabei laufen ihm viele Leute in den Weg, Leute, denen er bereits begegnet ist. Aus diesen „zufälligen“ Begegnungen ergeben sich immer wieder neue Weichenstellungen für sein Leben. Er fragt sich, ob hier möglicherweise eine höhere Macht die Hände im Spiel haben könnte. Versuchshalber wird er deshalb Christ und läßt sich taufen. Wenig später leugnet er den Glauben aber schon wieder ab. Möglicherweise handelt es sich auch um unausweichliche Gesetzmäßigkeiten, die sich ereignen – wenn nicht heute dem einen, dann morgen dem anderen. Witek verliert den Überblick, wechselt seine Freunde, seine Geliebten, die Städte.
Kieslowski realisiert das alles ohne jeden offenen Humor, sehr unspektakulär, so daß einem diese Bezüge auffallen mögen oder auch nicht. Daß er hier einen Film über ein zerfallendes Land gemacht hat, in dem selbst die strammen Parteigänger den Überblick verloren haben und sich an ein völlig selbstzweckhaftes Regelwerk klammern, das letzten Endes nur ihre eigene kleine Stellung im Leben sichern soll, ist recht offensichtlich. Im Internet habe ich dazu die Meinung eines Polen gefunden, der den Film exzellent findet, gleichzeitig mutmaßt, daß ihn Nicht-Polen wohl nur schwer werden verstehen können. Mir selber ist es in der Tat so gegangen, daß die ganzen Parteisachen aufgrund meiner eigenen mangelhaften Kenntnisse in bezug auf die polnische Nachkriegsgeschichte etwas an mir vorbeigegangen sind. Langweilig oder banal fand ich an diesem Film aber keine Sekunde. Man spürt die ganze Zeit über, daß Kieslowski haargenau wußte, was er da macht, und daß ihn das Geschick seines Landes sehr beschäftigte. Die Geschichte des Protagonisten steht dabei im Vordergrund, und ob man in seinen persönlichen Irrläufen nun den Weg des Landes sehen mag oder nicht, spielt eigentlich keine große Rolle für das Gelingen des Filmes. Sehr sensibel gemacht, sehr aufmerksam beobachtet. Die Kleinigkeiten spielen die Hauptrolle. Die Partei war vom Film übrigens wenig amüsiert und legte ihn nach seiner Fertigstellung erst einmal für 6 Jahre auf Eis. Und dann kamen schon bald die DEKALOG-Filme...
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#369
Geschrieben 27. Juli 2006, 19:50
Zum Glück hat sich Regisseur Bennett Miller bei seiner Capote-Biographie auf die Zeit der Herstellung von Capotes Roman „In Cold Blood“ beschränkt – ich befürchtete schon eine lebensumfassende Behandlung, mit dem Schriftsteller in kurzen Hosen...
Tja, Philip Seymour Hoffman leistet Großes, und dies in einer Rolle, die leicht zu zwerchfellerschütternden Resultaten hätte führen können. Statt manieristischen Kunststückchen gibt es aber eine sehr lebendige und spannende Darstellung zu bewundern. Capotes Gestalt wird auch nicht wirklich verklärt, sondern zu einer Reflexion über die Verflechtung von Künstlerbiographie und Werkgegenstand genutzt bzw. über die nicht immer nur unterschwellig exploitative Natur großer Kunst. Die deutsche Synchro ist reichlich geschmäht worden, und natürlich sollte man sich den Film nach Möglichkeit in der Originalfassung zuführen, aber ich wüßte wirklich nicht, wie man dies angemessen hätte bewerkstelligen können. Capote sprach nun einmal so wie der Steuermann der Piratengruppe „The Swishbucklers“, und auch Hoffman hätte da übelst mit auf die Nase fallen können.
Vielleicht bewerbe ich mich für die Fortsetzung: „Philip Seymour Hoffman stand leider für CAPOTE 2: ZWEI LEICHEN ZUM DESSERT nicht mehr zur Verfügung, da er nach eigenem Bekunden auf solchen Tuntenkram keine Lust mehr hat. An seine Stelle tritt eine aufregende Neuentdeckung, der bisher noch nicht näher in Erscheinung getretene Christian Kessler aus Germany, der der im besten Wortsinne ausgelutschten Figur des Schriftstellers neue Akzente abgewinnen möchte. Sehr gewagt zum Beispiel eine Szene, in der Capote in Nazi-Uniform über den Hollywood Boulevard marschiert. Tatsächlich sind die Bezugnahmen auf EIN KÄFIG VOLLER NARREN wohl eher redundant, aber, so Keßler: `Wir wollten mal ordentlich auf die Kacke hauen, und wenn wir schon Tennessee Williams mit einbauen, dann wollen wir den beiden Schwuppen auch ein paar deftige Kalauer mit auf den Weg geben, hähä!´ Roger Ebert und Leonard Maltin ziehen die 10.“
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#370
Geschrieben 10. August 2006, 23:12
Bruno ist wieder da! Und Bruno macht wieder alles besser! Als wir gestern abend beschlossen, eine Bruno-Mattei-Nacht einzulegen und dabei u.a. seinen jüngst bei uns veröffentlichten SNUFF TRAP zu sichten, erwartete ich eingestandenermaßen nicht viel. Sein LAND OF DEATH stellte zwar einen auf verwirrende Weise anachronistischen Ausflug in die Gefilde des klassischen Kannibalenfilms dar. Aufgrund des verwendeten HD-Video-Formats sprang der Funken aber nur sehr bedingt über. Um es kurz zu machen: Der Olymp des Sleaze, der von DIE HÖLLE DER LEBENDEN TOTEN einst erklommen wurde, bleibt auch von SCHNUFF TRAP unangetastet, aber trotzdem waren wir sehr beeindruckt und zündeten für den Meister eine Kerze an...
Das Vorbild, dem sich Bruno bei seinem „neuesten“ Streich verschrieben hat, ist Joel Schumachers 8MM. Wir erinnern uns: Nicolas Cage spielt einen religiös angeknacksten Privatdetektiv mit Eheproblemen, der einem jungen Mädchen nachspüren soll, das für einen perversen reichen Sack im Rahmen eines jener berüchtigten (raun, tuschel!) Snuff-Pornos umgebracht worden ist. Bei seinen Nachforschungen dringt er tief in die Abgründe der Pornoindustrie ein und findet nicht nur zu seinem inneren Schweinehund, sondern auch zu seiner Ehe zurück. 8MM wirkte wie Paul Schraders HARDCORE auf Drogen und zeichnete ein Bild der Ferkelfilmszene, das irgendwo zwischen Dantes Inferno und den lustigen Filmen über Hobbysatanisten liegt, die RTL und andere Kabelsender so gerne ausstrahlen. Der besondere Charme des Filmes lag dabei in seiner völligen Ernsthaftigkeit und Verkniffenheit, die wohl auf den Drehbuchautoren zurückzuführen war, der ja auch für Finchers hervorragenden SEVEN verantwortlich zeichnete.
Bei Bruno ist Mattei wieder am Ersten. Gleich in der ersten Szene gibt's voll auf die Omme: Ein Muskelmann mit Reißverschlußmaske hat zwei blonde Tussen in einen stark reduzierten Fetisch-Keller eingeladen (Plastiktotenkopf mit künstlichen Spinnweben!) und vergnügt sich mit ihnen. Der einen zieht er das Messer durch die Kehle, und somit wäre das Terrain auf behutsame Weise abgesteckt. Dann kommt der Vorspann, und mit ihm einer jener nur scheinbar völlig taktlosen Szenenwechsel, die wohl eines der Markenzeichen Matteis sind: Akkordeongedudel, ein schmieriger Chanson („Lalalala...“), leider kein Ulrich Wickert, der mit Baskenmütze und einem Baguette unterm Arm durchs Bild läuft - wir sind in Paris! Die Heldin, Michelle, ist nämlich die amerikanische Gattin eines hochrangigen Politikers, der ganz nach oben will. Zuerst einmal macht sie das, was reiche Touristinnen für gewöhnlich machen - sie kauft ein, bei „fnac“, bei „Fouquet's“. (Okay, Bruno, Paris, schon klar!) Dann trifft sie ihre Tochter Lauren, die sich sofort nach dem Vorspann ohne jeden Grund halbnackt vor dem Spiegel räkelt und sagt: „Du weißt, daß ich mich jedesmal wie ein Stück Fleisch fühle, wenn du mit diesen alten Fossilien rumhängst!“ Spricht's, und knöpft ihren Büstenhalter zu. In der vorzüglichen Synchro (remember DEATH ACADEMY?) spricht jeder völlig akzentfrei, nur das Dienstmädchen hat rätselhafterweise einen franßösischen Aksong. Sowohl Lauren als auch ihr Papa erzielen hohe Werte auf dem Lund-O-Meter, jener Meßeinrichtung für chronisches Überchargieren, das benannt ist nach Christine Lundé, die in RIPTIDE ja Unglaubliches leistet. Lauren geht erst einmal in die Disco und wird von einem Proll angebaggert, der einen Haarschnitt trägt, den sich bitte wirklich nur der unvergleichliche Rod von den Ärzten leisten darf und niemand sonst! Er kommt wenigstens schnell zur Sache: „Wir könnten ein bißchen in meinem Auto rummachen...“ Bevor er allerdings ihre Hühnertittchen begrabbeln kann, wird er durch die Windschutzscheibe erschossen und Lauren das Opfer weißer Sklavenhändler. Mama ist entsetzt ob des Verschwindens ihrer Tochter, doch Papa ist an einem Einschalten der Polizei nicht gelegen - Skandal! Deshalb engagiert Michelle einen Privatdetektiv, der sofort anfängt, von weißen Sklavenhändlern zu reden und diesen fürchterlichen Snuff-Filmern, bei denen es sich aber nur um einen Mythos handele, aber gefährlich würde es natürlich in jedem Fall. Michelle bietet ihm daraufhin eine Million Euro (!) an. Wir werden diesen Detektiv (ohne Erklärung, versteht sich) für den Rest des Filmes nicht wiedersehen. Vermutlich treibt er sich in Acapulco rum und verjuxt die Kohle, haha... Schön an dieser Szene ist, daß der Detektiv das Treiben der Snuff-Filmer zwar für eine Legende hält, seiner Klientin 30 Sekunden vorher aber noch genau erklärt, was diese Leute so alles tun: „Alles, was mit Pornographie zu tun hat: Sadomasochismus, Bestialitäten (=damit ist vermutlich Tierpornographie gemeint, A.d.A.), Folter ist großgeschrieben, Pädophilie, Snuff-Filme...“ - „Was, zum Teufel, sind Snuff-Filme?“ - „Sie fangen wie ein gewöhnlicher Pornofilm an, banal, werden dann aber zu einer Orgie des Blutes und der Gewalt...“
Michelle begibt sich dann in den Pornosumpf. Zu diesem Behufe mietet sie sich in ein schabbeliges Hotelzimmer und kauft sich Unmengen an Pornoheften, die sie durchblättert für den Fall, daß ihre Tochter darin auftaucht. (Stöhn!) Eines dieser Hefte ist merkwürdigerweise Schwulenpornographie, aber das nur nebenbei. In einem Sexshop lernt sie den auf ölige Weise galanten Jean Louis kennen, mit dem sie sofort in ein Café geht und ein sehr lustiges Gespräch hat. Als ihr Fremdenführer in den Pornosumpf („Geben Sie dem Teufel den kleinen Finger, so nimmt er die ganze Hand!“) geleitet er sie in einen Keller, in dem lauter sinistre Gestalten rumhängen: „Was Sie da in den Händen halten, ist die Spitze des Eisbergs, der reinste Saustall: Sadomaso, Kamasutra, Pädophilie, harte Foltermethoden...“ Diese Dialoge hören gar nicht mehr auf. Wir haben am Boden gelegen vor Lachen. Dann kommt der nächste Höllenkreis, in blau ausgeleuchtet: „Da sind sie, die Porno-Zombies, die Sexbesessenen...“ Das ist wirklich viel besser als in 8MM! Ich bin mir übrigens nicht ganz sicher, aber der alte Mann, der in einer Einstellung in einem Sexheft blättert, könnte Bruno sein... Dann bläst sie einem Obersleazer den Prengel und hat eine heiße Spur, die nach Amsterdam führt.
Es war an dieser Stelle, daß meine Mitkucker den Film zu lieben begannen, denn sie sind Amsterdam-Fans der ersten Stunde! Zufälligerweise scheint Bruno mit seiner Crew im gleichen Hotel abgestiegen zu sein wie die beiden, denn der Großteil der Amsterdamer Außenaufnahmen wurden in seiner Nähe abgedreht, und es ist auch in einer Szene zu sehen. Auch die Innenaufnahmen haben es in sich: Zwei Maskierte quälen Frauen. Der eine hält seinem Opfer eine Riesenzange an den Po, der andere träufelt Wachs an ihrem Körper vorbei. Auf einmal erscheint ein böser Zwerg. Dann muß sich Michelle erst einmal durchpempeln lassen, was den Nachteil hat, daß man sie nackt sieht. Michelle sieht übrigens aus wie eine Mischung aus Veronica Ferres und Claudia Roth. Erstaunlich. Noch erstaunlicher ist, daß die nächste Spur nach Hamburg führt. Dort trifft sie auf die Snuff-Filmerin Dr. Hades, und ich schwöre, daß das Chesty Morgan ist! Kein Vertun! Die Brüste sind sehr viel kleiner, aber Überbiß und Mimik hauen komplett hin, und die Sprecherin befleißigt sich sogar eines dezent polnischen Akzentes. („Hiäh bittä...“)
Was ab hier passiert, verrate ich nicht. Es taucht noch ein toller Schmierlapp auf, der aussieht wie eine Mischung aus David Hess und Pierre Brice und den schönsten Dialogsatz hat: „Ich leide nicht an Kindheitstraumen!“ Eine wohl besonders widerlich intendierte Szene zeigt eine halbnackte Frau, die an gespreizten Armen und Beinen in der Luft hängt und von „Folterknechten“ mit Peitschen bearbeitet wird, sprich: lustlos gepatscht. Bei dieser seltenen Szene legt die Heldin einen entsetzten Gesichtsausdruck auf, während die blondierte HipHop-Schwuppe, die neben ihr steht, unglaublich grimassiert. Am Schluß, wenn alles aufgeklärt ist, sollte man auf den deutschen Polizeiwagen achten, denn es handelt sich allen Ernstes um ein weißes Auto, dem man grüne Folie übergeklebt hat, was man an den nicht so übersehenden Lufttaschen sehen kann, die sich gebildet haben...
Die größte Trash-Granate, die ich seit langem gesehen habe. Ich ziehe die 10!
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#371
Geschrieben 15. August 2006, 01:19
Also, das ist jetzt mal wirklich ein Film, der so überflüssig ist wie ein drittes Nasenloch...
Eine Familie von armen weißen Texas-Trashern betreibt eine Farm, für deren Erhalt Herumtreiber und Tagelöhner aufgelesen werden. Die solchermaßen Gedungenen dürfen sich gratulieren, denn statt Geld bekommen sie die Knute und dienen obendrein als Projektionsfläche für die sadistischen Gelüste der heruntergekommenen Debilos. Ach ja, det Janze basiert auf einer wahren Geschichte - johoho!
Ich gebe zu, daß mich die Namen auf dem Cover zur Sichtung verleitet haben: Dennis Hopper, Michael Madsen, Bob Carradine. Klingt sehr schillernd für einen Amateurfilm, nicht wahr? Und doch ist HOBOKEN HOLLOW nicht weit von einem solchen entfernt. Daß der Regisseur früher Drehbücher geschrieben hat, wundert mich sehr, denn dramaturgisch ist sein Film eine absolute Katastrophe. Zuerst werden einige uninteressante Charaktere mehr schlecht als recht eingeführt, und Dennis Hopper (als Sheriff) darf mal kurz seine Nase aus dem Auto strecken. Es werden einige deutliche Hinweise gesetzt, daß es auf der Farm der Brodericks nicht mit rechten Dingen zugeht. So überrascht es niemanden, der schon einige dieser Evil-Südstaaten-Filme gesehen hat, daß daraufhin die Kacke meterweit spritzt. Es gehört aber wirklich mehr dazu, um einen brauchbaren Horrorfilm zu machen, als eine potentiell unerfreuliche Situation an die nächste zu reihen. Als „Held“ wird einem Jason Connery angeboten, der einen berühmteren Vater hat, hier aber eher aussieht wie der junge George Bush jr. Seine Figur bekommt am Anfang einen klobigen Einleitungs-Erzählertext, der eine gänzlich bezuglose Episode aus dem Irakkrieg schildert, ihn somit als Veteranen auszeichnet, aber er hätte auch die Mickymaus aus dem Disneyland sein können – für den Film völlig unerheblich. Dennis Hopper hat schätzungsweise einen Drehtag gehabt, 1000 Mille eingesackt und sich über die lustigen Männer mit den Videokameras beömmelt. Michael Madsen sieht aus wie zwei Öltanks und spielt einen Cowboy, der eine Autobahnraststätte kaufen will. Das ist alles. Bezug zur Handlung – null, nada, niente! Bob Carradine hat berühmtere Brüder und etwa zwei oder drei egale Szenen als Hoppers Deputy. So, wer noch? C. Thomas Howell (das Boyface aus DIE ROTE FLUT und THE HITCHER) hat eine Zahnspange angeschminkt bekommen und sieht mit seiner Baseballkappe aus wie der Mann, der im „Blue Moon“-Saloon die Spucknäpfe leert. Die beiden anderen Familienmitglieder haben ebenfalls künstliche Zahnreihen in den Mund bekommen, mit denen sie bestimmt prima „La Paloma“ pfeifen können. Bruder Junior hat eine besonders hübsche Szene, in der er eine Magd prügeln, mit einem Elektrostab foltern und danach vergewaltigen darf. Der debile Sohn des Familienoberhaupts ist ein gewaltiger Schmerbauch, der in dem Kabel-TV-Drama GACY (recht gut) den gleichnamigen Serienmörder spielen durfte. Hier haut er Leuten Stechahlen in die Beine und sammelt ihr Blut in Einmachgläsern. „Name-dropping“ gefällig? Dedee Pfeiffer, die eine berühmtere Schwester hat, wird in der „Was wurde aus ihnen“-Collage am Ende des Filmes – nach dem Finale! – noch schnell eingebaut. Bleibt einem die Spucke weg bei so viel Chuzpe. Oh, und der Sohn von Aaron Spelling ist auch noch dabei, als einer der Herumtreiber. Neben der erwähnten Vergewaltigung gibt es diverse abgehackte Gliedmaßen aus Gummi, einen lächerlichen Augapfel an einem Scheibenwischer und eine Szene, in der eine arme Sau mit einem Elektrostab verunstaltet und danach angepinkelt wird. Juchhei! Finde ja toll, daß ein hervorragender Film wie TCM (der explizite Gewalt größtenteils bewußt ausspart) bei uns beschlagnahmt wird, während Gullymurks wie dieser Kotzbrocken in den Videotheken reüssiert, aber jedes Land hat ja die Kultur, die es verdient. Bei allem Krach und allem Krawall ist HOBOKEN HOLLOW tödlich langweilig, da haargenau das passiert, was man erwartet. Die Schauspieler scheinen vom Regisseur keine Anweisungen erhalten zu haben, denn sie haben ja anderswo gezeigt, daß sie's können. Hier machen sie sich zum Vollpfosten und tragen darüber hinaus teilweise unsäglich lächerliche Make-Up-Unfälle zur Schau. Warum machen die das? Demnächst in diesem Theater: Dennis Hopper in SNUFF TRAP 2... Mal im Ernst, die haben doch mit Sicherheit einiges an Kohle gebunkert. Wenn Tom Sizemore Geld für den nächsten Schuß braucht und seine Hollywood-Karriere in den Orkus bläst, indem er billige Pornovideos macht, ist das sicherlich seine Sache, aber es tut mir irgendwie halb so weh, als wenn ich gestandene Ikonen wie Hopper in solch einem Mulch sehen muß... Selbst der hochgradig widerwärtige Serienmörderfilm SCRAPBOOK (neulich gerade gekuckt) war vergleichsweise gut, da er sich den bekannten Konventionen verweigerte, und auch wenn das Resultat zu ziellosem Nihilismus führte, fand ich das dennoch bemerkenswerter als diesen hanebüchenen Mist.
P.S.: Das nächste Drehbuch-Projekt des Regisseurs ist ein Animationsfilm für Kinder. Was das wohl werden mag – WALLACE & VOMIT IM NATURSEKTLAND?
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#372
Geschrieben 15. August 2006, 03:16
Wenn Jürgen Domian seine verdienstvolle Tätigkeit versieht, hat er immer irgendwelche Psychologen im Hintergrund, die dann einschreiten, wenn der Leidensdruck der Anrufer zu arg scheint. Das finde ich sehr wohllöblich, da es so einige TV-Hanseln gibt, die sich einen feuchten Kehricht um das zu scheren scheinen, was sie mit ihren fiesen Programmen anrichten. Wie sehr ich den Herrn Freud und seine Spätfolgen auch schätze, so sehr bedauere ich Zeitgenossen, die meinen, mit den Lehren des berühmten Österreichers wäre eigentlich alles über den Menschen gesagt. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile, und wenngleich ich dem Gläubischsein auch abhold bin, so erkenne ich doch an, daß sich nicht alles in einem auch noch so wohlgefaßten Satz sagen läßt. Meine juvenilen Liebesgedichte (größtenteils vernichtet) sprechen da eine sehr beredte Sprache. Der Mensch, die kleine Narrenwelt, hält sich gerne für ein Ganzes, und so neigt der geschulte Freudianer doch dazu, das irrationale Gewaber, aus dem sich die Gefühlswelt der Menschen zusammensetzt, in allzu enge Begrifflichkeiten zu kleiden. Ein Knopfdruck, und der Hund wedelt mit der Schnauze. Das klappt nicht immer.
In Komödien – die ja immer von der Irrationalität des Menschen zehren – erleben Psycho-Docs für gewöhnlich schweren Seegang. In der Regel erschöpft sich das in den üblichen Gemeinplätzen, denen zufolge der Therapeut ein größerer Klapsmühlenaspirant ist als sein Patient – leicht durchschaubares, von Wunschdenken geprägtes Gequoddel. Fakt ist aber, liebe Freunde und Nachbarn, daß auch Seelenklempner Menschen sind wie Du und ich. Mami und Papi haben sich häufig suboptimal (G. Schröder) verhalten und der Muttermilch damit den nötigen Nährwert entzogen. Der Abnabelungsprozeß und das damit verbundene Rebellentum haben wie bei allen anderen Menschen tiefe Narben hinterlassen. Und mit der Analdressur hat es auch nicht geklappt. Trotzdem müssen Therapeuten – Lenker ihres Geschicks und Meister der Lebensbewältigung – stets die Vater- oder Mutterfigur herauskehren. Dafür gebührt ihnen mein Mitgefühl. Nicht das der Komödienschöpfer freilich, denn die sind häufig übelmeinend und gnadenlos. Nehmen wir Frank Oz. Dieser Gentleman hat einst ein Schwein verkörpert, das geil auf einen Frosch war. Auch der vom Erfolg nicht übermäßig verwöhnte Schmierenhumorist Fozzie Bear (beliebtes Angriffsziel der geriatrischen Abteilung des Muppet-Theaters) wurde von ihm gegeben. Was für Narben mag das hinterlassen haben? WAS IST MIT BOB geht dem nach. Eine meiner Lieblingskomödien. Ich habe den Film schon seit längerem nicht mehr gesehen, aber ich wollte schon immer etwas über ihn schreiben. So sei es.
Bob Wiley (Bill Murray) ist ein Hyperphobiker. Der Mann ist ein völliges Wrack und kann kaum seinen Fuß in einen Strumpf stecken. Es kostet ihn große Überwindung, in den Flur zu gehen, denn er könnte ja die Treppe herunterfallen. Der Fahrstuhl könnte steckenbleiben. Das Haus zu verlassen, ist für ihn ein Disaster, denn er könnte ja überfallen werden. Von Keimen. Oder Räubern. Der Mann ist ein völliges Wrack. Trotzdem schleift er seinen gemarterten Leib regelmäßig zum Psychologen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als jener genug hat. Dann ist Dr. Marvin an der Reihe. Dr. Leo Marvin (Richard Dreyfuss) hat mit seiner krisengeschüttelten Kundschaft sehr solide Erfolge eingeheimst, und sein neues Buch, „Baby Steps“, scheint zum Bestseller zu avancieren. Er denkt sich nichts Böses dabei, als Bob Wiley sein Büro betritt. Schon, als sich der frischgebackene Patient vor dem Schreibtisch röchelnd und japsend zu Boden fallen läßt, um einen Herzanfall zu simulieren (den er dann ja nicht mehr bekommen könne!), denkt er sich sein Teil, aber er rechnet mit nichts, was den Rahmen seines beruflichen Alltages sprengen könnte.
Aber das ist ein Fehler, denn Bob Wiley ist ein Genie! Er ist ein Neurotiker mit einem fast unheimlichen Gespür für die zarten Verästelungen, die die hohe Kunst des Klammerns ausmachen. Hast du einmal Bob Wiley, hast du immer Bob Wiley. Unabwendbar. Dr. Marvin will nämlich gerade mit seiner Familie in Urlaub fahren, an einen idyllischen See. Bob kann die Vorstellung nicht ertragen, alleingelassen zu werden mit seiner Pein, und auch die Ausgabe von „Baby Steps“, die ihm Leo Marvin noch schnell aufschwatzt, kann den Tumult in seiner Seele nicht lindern. Mit viel Geschick beschafft er sich die Urlaubsanschrift von Dr. Marvin und kreuzt dort auf. Doch das ist erst der Anfang eines Dramas, das sich schon bald zu einer Tragödie griechischen Ausmaßes auszuweiten droht, mit Mord und Totschlag im Schlepptau...
WAS IST MIT BOB ist eine völlig großartige schwarze Komödie, die es trotz eines hohen Vorkommens an echten Gröhlern irgendwie fertigbringt, weder psychisch Kranke zu diffamieren noch Psychotherapeutik an sich in den Schmutz zu ziehen. Oder, naja, er diffamiert eben beide Seiten der Medaille, aber so würde ich das jetzt nicht sehen, denn unterm Strich wirkt der Film sehr menschheitsliebend. Bob Wiley hat eine vollkommene Superschacke. Der Mann spinnt. Auch wenn Dr. Marvin zu Anfang schon etwas zu glatt und ölig wirkt, besitzt er dennoch die Sympathie des Zuschauers, da ihn die Nervensäge einfach ziemlich abnervt. Allein jene Szene, in der Bill Murray (der großartig spielt) mit dem Greyhound-Bus im Urlaubsdorf des Arztes eintrudelt, dann nicht mehr weiter weiß und sich einfach auf den Hauptplatz stellt und unabläßlich „Dr. Marvin? Dr. Leo Marvin?“ krakeelt, flößt einem echtes Mitgefühl ein für den gewidmeten Mediziner. Da Bob zwar auf seine Weise ein Soziopath ist, aber eben ein brillanter, hat er schon bald Zutritt zum Haus der Marvins, und was das Gemeine daran ist – Frau Marvin und Sohn und Tochter lieben Bob! Bob ist bald der Hausfreund, der Dr. Marvin Pickel auf das Gesicht treibt. Je mehr Bob sich der wütenden Distanzierungsversuche seines Therapeuten erwehrt, umso lieber haben ihn dessen Anverwandten. Und gemäß dem guten alten Prinzip, daß all das, dessen man sich zu erwehren versucht, umso unausweichlicher eintritt, je mehr man sich dagegen sträubt, werden all die kleinen Unzulänglichkeiten offenbar, die Dr. Marvin bislang in seiner eigenen Familie mit einem strahlenden Lächeln übertüncht hat. Wo immer Leo etwa bei der Kindeserziehung versagt hat, den Bettelheim im Schlepptau – bei Bobs zwar neurotischer, aber sehr direkter Zuneigung öffnen sich die Herzen. Dr. Marvin wird fast wahnsinnig vor Eifersucht. Zudem steht „USA Today“ morgen vor der Tür, um ein extrem karriereförderndes Interview mit dem Arzt zu führen. Wird Bob bei dem Interview anwesend sein? Aber da könnt Ihr drauf wetten! Und das Interview wird ein Knaller, da rolle ich auch beim wiederholten Anschauen über den Teppich! Bill Murray zieht alle Register, aber nicht nur er – was Richard Dreyfuss in diesem Film abzieht, ist Komödiantentum vom Feinsten. Er spielt seinen Dr. Marvin überwiegend geradlinig und ernsthaft, wie sich das für eine solche Rolle auch geziemt. In den Momenten seiner größten Pein hat er Nahaufnahmen, bei denen sich mir auch in der Nachbetrachtung noch die Fingernägel querstellen, so großartig ist das. Man hätte aus WHAT ABOUT BOB auch einen wunderbaren Splatterfilm machen können, aber so, wie er Frank Oz geraten ist, handelt es sich nicht nur um seinen (für mich) besten Film, sondern um eine intelligente Abrechnung mit dem Wahn, man könne sich das Leben durch Einhaltung gewisser Spielregeln so einfach und sicher machen wie eben möglich. Bob ist ein neurotischer Wirbelsturm, aber er zeigt die Löcher auf, mit denen jeder einigermaßen empfindsame Mensch irgendwann zu kämpfen hat. Er zeigt Lug und Trug, und auch, wenn die Auswirkungen seines Tuns die einschlagende Wirkung eines flächendeckenden Bombardements haben – sie führen zum Guten! Bob Wiley Superstar! Ich könnte mir diesen Film mindestens einmal pro Monat anschauen...
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#373
Geschrieben 17. August 2006, 03:02
Gelegentlich schaue ich mir gerne Filme an, bei denen es einigermaßen sicher ist, daß ich irgendwann losplärre. Ein solcher Fall ist Milos Formans MAN ON THE MOON. Er erzählt die Geschichte des Anarcho-Komikers Andy Kaufman. Hierzulande kennt niemand Andy Kaufman, sogar noch weniger Leute als Lenny Bruce. Tatsächlich ist Kaufman in seinem Leben nur in drei Kinofilmen gelandet, und nur in einem davon spielte er eine substanzielle Rolle. (Der Film floppte.) In den USA hingegen wurde er bekannt durch die Sitcom „Taxi“, die auch Danny de Vito als Karrieresprungbrett diente. Kaufman, der diese seichte Serie mehr als eine Möglichkeit betrachtete, seine besondere Art von Humor einem größeren Publikum anzudienen, setzte alle Hoffnung auf ein „Andy Kaufman Special“, das dann aber wegen seiner enervierenden und auf Zuschauerirritation ausgerichteten Qualität vom Sender abgelehnt wurde. Trotz seiner sehr populären Teilnahme an der erfolgreichsten Comedy-Show überhaupt, „Saturday Night Live“, schuf er sich zahlreiche Feinde mit seinen spektakulären Streichen und Stunts. So zettelte er etwa einen Ringkampf-Act an, bei dem er jeder Frau, die ihn auf die Matte zwingen konnte, 500 Dollar bot. Das gelang natürlich niemandem, und die Feministinnen haßten ihn wegen seiner frauenfeindlichen Schmähungen. Buhrufe und Haßreaktionen waren ihm aber mitnichten ein Greuel, sondern stachelten ihn an, bedeuteten sie doch, daß seine Provokationen nicht ins Leere gingen. Bei einem besonders dramatischen Ringkampf mit einem Profi-Wrestler zog er sich (angeblich) eine schwere Halsverletzung zu, die ihn für mehrere Monate ins Krankenhaus schickte. Doch in demselben Maße, wie er scheinbare Realitäten schuf, ging ihm eine Einzelheit verschütt – daß man die Schraube nur bis zu einem gewissen Grade anziehen kann, dann ist Schluß...
Filme über die selbstzerstörerischen Impulse von Künstlern gibt es zuhauf, und die meisten davon sind ziemlich lausig. Zwei der gelungeneren Beispiele sind Bob Fosses ALL THAT JAZZ und sein früherer LENNY, letzterer über den Stand-Up-Komiker Lenny Bruce. Zu behaupten, Andy Kaufman sei von einem unterliegenden Selbstzerstörungsdrang getrieben, wäre eigentlich falsch, da seine Art von Komödie bei aller Freude daran, dem Publikum in den Arsch zu treten und dafür die Quittung zu erhalten, in DER MONDMANN als eine bewußt kalkulierte und sorgsam eingefädelte Methode erscheint, dem Publikum stets einen Schritt voraus zu sein. Es ist dabei kein Masochismus oder Menschenhaß, der ihn antreibt. Er hat den persönlichen Ehrgeiz, seinen Zuschauern etwas zu bieten, was sie anderswo nicht bekommen können. Auch äußert er mehrfach den Wunsch, ganz nach oben zu kommen, am Firmament zu landen. Sein Leben auf der Bühne eines Tingeltangelschuppens zu beenden, ist nicht sein Begehr. Trotzdem zeigt er sich kompromißlos im Umgang mit den Vorgesetzten, die ihn auf passendes Gardemaß zurechtstutzen wollen. Was nicht einfach ist, denn Andy mißachtet so ziemlich alle ungeschriebenen Gesetze, die man als Komiker alter Schule berücksichtigen sollte. Statt auf die Illusion von Harmonie setzt er auf heftigsten Zusammenprall und riskiert sogar, daß man ihn dafür haßt. Hier endet auch der Eindruck von Kalkül, denn man hat nicht den Eindruck, daß Kaufman in der Lage war, aus den von ihn erschaffenen Realitäten auszusteigen. War er einst der Leiter seines Geschicks, so gibt er das Ruder schließlich aus der Hand. Es ist in etwa so, als wäre Helge Schneider auch privat nicht mehr in der Lage, seine bizarren Bühnenpersonen außen vorzulassen, und gegen Andy Kaufman wirkt Helge wie der Mann von der Hamburg-Mannheimer! Einer von Kaufmans berühmtesten Sketchen ist zu Beginn des Filmes zu sehen: In einen lächerlichen weißen Anzug gekleidet, betritt er linkisch die Varieté-Bühne, ist offenbar zu schüchtern, etwas zu sagen. Einige beginnen zu lachen, unbarmherzig oder peinlich berührt. Die Stille wird richtig ungemütlich. Dann fängt er an, mit einer Fistelstimme herumzudrucksen, erzählt Witze, die überhaupt nicht komisch sind und wirkt wie der leibhaftige Bühnentod. Dann kündet er an, seine Elvis-Presley-Imitation vom Stapel zu lassen. Böses Gelächter ringsum, die Bühnenarbeiter fassen sich an den Kopf. Er dreht sich um, schält sich aus dem Anzug heraus, hängt sich eine Gitarre um und bringt die beste, coolste Elvis-Darstellung, die man sich wünschen kann. Das Publikum ist begeistert. Am Schluß verabschiedet sich Kaufman brav mit fisteliger Deppenstimme: „Dangechön!“ Wortloser Abgang. Eigentlich sei er gar kein Komiker, bescheidet Kaufman seinem Agenten Danny de Vito, nur ein „song-and-dance man“. Und so unrecht hat er nicht damit, denn er verweigert Pointen, bietet bizarre Schönheit. Während ich bei den meisten Komikern ein Programm erkennen kann, das sich einigermaßen klar definieren läßt, denke ich bei Kaufman immer nur: „Was zum Geier MACHT der da?“ Mein persönlicher Favorit ist ein Auftritt vor einem Studentenpublikum, das ihn schon sehr bald den „Katzeklo“-Effekt spüren läßt – alle wollen nur eine Impersonation seiner Kasper-Figur aus „Taxi“ haben. Kaufman reagiert, indem er das Buch „The Great Gatsby“ zückt und beginnt, mit britischem Tonfall daraus vorzulesen. Buhrufe. Kaufman fragt, ob sie lieber eine Platte hören möchten. Menge ruft: „Ja!“ Kaufman schaltet einen Plattenspieler ein, von dem „The Great Gatsby“ ertönt, mit derselben Stimme vorgelesen. Schließlich liest er selber wieder weiter, und zwar so lange, bis das Buch durch ist. Bis zum nächsten Morgen...
Zu Jim Carreys Darstellung kann ich eigentlich nicht viel sagen. Es muß ätzend schwierig sein, als Komödiant in den Stil eines anderen Komikers hineinzusteigen. Ihm gelingt es brillant, und es empfiehlt sich hier, die originale Tonspur mit Untertiteln einzuschalten. Kaum ein Unterschied feststellbar. Courtney Love hat einen ausgedehnten Gastauftritt als Kaufmans Freundin Lynne Margulies, und Frau Margulies´ Bruder Johnny Legend spielt Kaufmans TM-Guru. Wer Andy Kaufman in der IMDb nachschlägt, weiß, warum der Film sehr traurig endet.
Meisterwerk.
Auf YouTube gibt es ein paar schöne Kaufman-Originale:
Eine etwas spätere Durchführung des Elvis-Auftritts
Das Intro zum "Andy Kaufman Special" (Schlechte Quali)
Kaufman weint auf der Bühne (unglaublich!)
Kaufman, Rotkäppchen und Handpuppen (aus dem Special)
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#374
Geschrieben 26. August 2006, 13:38
Hitler spielen ist sicherlich besser als Hitler sein. Oder nein, so fange ich das besser nicht an. Besser so: Ich habe den Film mit meiner Freundin zusammen gesehen und fand ihn langweilig. Die ersten 20 Minuten haben wir schallend gelacht, wann immer der Führer im Bild erschien, mit der Hand hinter dem Rücken wackelte und lustige Sachen sagte. Irgendwann gewöhnte man sich dran. Da wurde er ein Mensch wie du und ich, mit Problemen und privaten Verhexungen. Ich kann es Bruno Ganz nicht einmal anlasten, daß er wurstig rüberkommt, denn aus dem von unzähligen Kabarettisten und anderen Spaßmachern erzeugten Abziehbild eine lebende, nachvollziehbare Figur zu machen, ist vermutlich unmöglich. Der Film macht es Ganz aber auch sehr schwer, da er melodramatische Mätzchen mit der Auflistung historischer Fakten verbindet und so zwischen Geschichtsunterricht und „Lindenstraße“ changiert, ohne auch nur im mindesten klarzumachen, was er eigentlich will. Ich würde es normalerweise sehr unterstützen, wenn Hitlers Persönlichkeit auch jenseits der gußeisernen Oberfläche der Wochenschau-Repräsentationen begreiflich gemacht würde, da sie wohl stellvertretend war für die Neurosen, die im deutschen Folg schlummerten. Ihn im Rahmen eines Unterhaltungsfilmes aber zu behandeln wie einen Filmhelden, wenn auch einen bösen, geht nicht so recht auf. Was soll das? Mit Sicherheit wollten weder Regie noch die beteiligten Künstler Hitler verniedlichen oder gar Verständnis erwecken für die Sorgen und Nöte eines Diktators. Dann fragt man sich aber auch: Was wollten sie dann? Was der Film vermissen läßt, ist eine wie auch immer geartete Aussage, eine Zielsetzung. Man sieht den Himmler, man sieht den Göring, und auch die Eva ist dabei. Alle haben sie Probleme. Die Nazis ergehen sich alle in diesem befremdlichen Tourette-Gezucke mit den Armen und flüstern oder schreien dazu. In DER UNTERGANG wird entweder geflüstert oder geschrien. Der Führer steht meistens mit verschränkten Armen in der Gegend herum oder brüllt seinen Generalstab an. Die Maske von Bruno Ganz ist erstaunlich gut geraten, aber im Grunde ist er nur dazu da, um Kunststückchen abzuliefern. Es gibt einige ruhige Szenen, die das menschliche Miteinander beleuchten sollen, dann gibt es zur Auflockerung wieder einen alliierten Bombenangriff, mit sorgfältig komponierten Einschlägen und Soldaten, die auf der Straße herumkugeln und Schmerzensschreie ausstoßen. Dann kommt wieder der Führer und redet entweder Kasperkram oder hin und wieder einen „Aufwecker“ über die Juden. Nach spätestens anderthalb Stunden ist man dessen aber schon etwas müde. Als Zuschauer bekommt man schon mit, daß der Führer eigentlich eine arme Wurst war und es in seinem Generalstab zuging wie in den besseren Folgen von „Dallas“ – überall Verrat und Intrigen. Mit den Frauen hatte es der Hitler auch nicht so, schon recht, das weiß man ja mittlerweile auch. Ich kenne allerdings auch andere Leute, denen es nicht so gut geht, und Erfolg bei Frauen haben die auch nicht so, aber die werden keine Diktatoren und marschieren auch nicht in Polen ein. Der Versuch, eine einigermaßen realistische Schilderung der damaligen Vorgänge zu liefern, endet für mein Empfinden bei Bruno Ganz´ Make-Up. Das ist anders auch kaum vorstellbar, zumal eine filmische Bearbeitung dieser Geschichte sich automatisch der erzählerischen Konventionen bedienen muß, die man gewohnt ist. Wenn dann der Herr Schickelgruber wieder einen seiner Ausbrüche bekommt und Sachen sagt wie „Himmler! Himmler! Das ist der grrrößte Verrrrat!“ oder „Milliooonen wärden mich verflochen!“, dann wirkt das leider komisch, da man den Führer nun mal nicht als Figur innerhalb solch einer narrativen Konvention annehmen kann und darf. Er war halt da und hat eine Menge Unheil angerichtet. Die absichtliche Reduktion zum Suppenkasper, wie sie Chaplin, Mel Brooks und Walter Moers vollzogen haben, finde ich da sehr viel nutzbringender und – putzigerweise – auch erhellender im Hinblick auf das, was damals abgelaufen ist. Den Hitler zu einer dramatischen Figur zu machen, funktioniert einfach nicht, nicht nur wegen seiner komischen Aussprache. Fakt ist, der Bursch hat mit seinen Schergen fürchterliches Unheil und Leid über Menschen gebracht, von denen man in diesem Film rein gar nichts erfährt. Man sieht die Perversion, wenn Magda ihren Kindern das Gift verabreicht, und wie sie und ihr Jockel sich danach die Kugel geben. Dazwischen wird auch mal etwas Visconti eingestreut, wenn dekadente Feste gefeiert werden und Eva auf dem Tisch tanzt. Was für eine Abartigkeit das Dritte Reich darstellte, bleibt aber unangetastet. Man hätte vielleicht davon absehen sollen, Hitler zur zentralen Figur zu machen, und stattdessen der Sekretärin den Vortritt lassen. (Deren reale Interviewzitate am Anfang und am Schluß sind bewegender und erhellender als der ganze Rest des Werkes.) Die klügere Alternative jenseits des konsequenten Dokumentarfilmes wäre vielleicht eine völlige Verfremdung gewesen, die dann aber auch ein deutlich erkennbares Ziel verfolgt hätte. Das Beharren von DER UNTERGANG auf eine „realistische“ Schilderung dreht ihm selbst den Strick. Meine Freundin war sogar richtig verärgert, empfand sie DER UNTERGANG doch als eine unzulässige Banalisierung der Periode und der historischen Figuren, die nicht nur interessante Randaspekte ausklammert (vgl. Der Führer & die Drogen), sondern auch statt der verheerenden Auswirkungen des Schaffens dieser kaputten Idioten ihr Alltagstamtam in den Mittelpunkt rückt. Jemand anders sprach der von der „Veronkelung“ des Führers, und während ich den Beteiligten an diesem Film ihre lauteren Absichten nicht absprechen will, so paßt DER UNTERGANG doch unbestreitbar zum Lebensgefühl jener, denen keine Entschuldigung zu billig ist, um die Verbrechen des Dritten Reiches zu relativieren. Der Führer und seine Wehwehchen interessieren mich einen Scheiß angesichts des Leides, das dieses Regime erzeugt hat. Andere Regimes tun das noch heute, und auch da sollte man die Leute an ihren Taten messen, nicht an ihren Motivationen. Würde ich einen Hitler-Film drehen, trüge Hitler seinen Schnurrbart auf der Stirn. Auch gelungen ist seine Repräsentation in dem Celentano-Film ONKEL ADDI, der aus irgendeinem Grunde sehr selten bei uns zu sehen ist und zudem mit einem vorsichtig abschwächenden Prolog der Berliner „Wühlmäuse“ versehen wurde. Ansonsten bleibe ich bei Walter Moers.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#375
Geschrieben 29. August 2006, 22:52
„Prachtobjekt: Im Sinne des um seiner selbst willen Schillernden beeindruckendes Dingsda, das recht häufig angekuckt, bestaunt und gestreichelt werden möchte. Wird gerne subjektiv empfunden, aber die Verneiner haben in der Regel einfach keine Ahnung, sind deshalb zu ignorieren, weswegen man weiter kucken, streicheln und staunen sollte.“ (Wikipedia)
Die vor kurzer Zeit erfolgte DVD-Veröffentlichung von THE MOST DANGEROUS GAME (1932) ist ein solches Prachtobjekt und verträgt sich gut mit anderen Erzeugnissen aus dem Hause Anolis. Da der Film recht selten im Fernsehen zu sehen ist (ich sah ihn zum letzten Mal im Rahmen des „Gruselkabinetts“ anno 1981), schließt der nicht unteure Silberling auch eine filmhistorische Lücke, handelt es sich bei GRAF ZAROFF doch um den Urahnen des Menschenjagd-Motivs im Kino, wie es seitdem von zahllosen Exploitation-Streifen dankend aufgegriffen wurde.
Großwildjäger Bob Rainsford (Joel McCrea) gehört zu den unglücklichen Passagieren eines Schiffes, das von falschen Leuchtfeuern angelockt wird und das Seemannslos erleidet. Als einziger Überlebender erreicht er die Insel des russischen Grafen Zaroff, der gerne mit falschen Leuchtfeuern spielt und sich so Gäste einlädt. Nicht der Wunsch nach Geselligkeit ist aber des Aristokraten Antrieb, sondern die Befriedigung seiner abartigen Gelüste: Er ist der Jagd auf Tiere müde geworden – der Mensch, die gefährlichste aller Bestien, ist sein bevorzugtes Jagdobjekt geworden. Mit Rainsford glaubt Zaroff einen ebenbürtigen Gegner gefunden zu haben, und damit das Jagdglück auch besonders verheißungsvoll glänzt, hat er sich als Zusatzbeute die schöne Eve (Fay Wray) „eingeladen“. Waidmanns Heil, Waidsmanns Dank! Und so wird denn zum letzten Hallali für Bob und Eve geblasen...
GRAF ZAROFF ist ein hübsches Beispiel für das ruppige Hollywood-Kino der frühen 30er, bevor die Zensurschrauben deutlich angezogen wurden. In Ernest B. Schoedsacks nächstem Film, KING KONG, kam man mit Szenen davon, in denen nette Eingeborene von dem Affen zerstampft werden und sich Fay Wray von dicken Fingern entkleiden läßt. In TARZAN THE APE MAN gab es ähnlich freizügige Szenen. Rouben Mamoulians DR. JEKYLL & MR. HYDE offerierte einen sehr notgeilen Mr. Hyde und eine rückwärtig entblößte Miriam Hopkins. Und die Grausamkeit von ISLAND OF LOST SOULS war auch etwas, das man einige Jahre später so wohl nicht mehr hätte drehen können. Analog zum harten Gangsterdrama à la SCARFACE hatten die Fährnisse der Weltwirtschaftskrise auch im Horrorfilm zur Folge, daß man die Zügel locker ließ. GRAF ZAROFF, GENIE DES BÖSEN nun ist vielleicht der sadistischste Hollywoodfilm jener Tage und liefert uns einen bösen Russki, der Sex und Sadismus auf eine gänzlich unbekömmliche Weise miteinander verbindet. Der recht kurze Film funktioniert blendend als Abenteuerdrama, denn Strahleheld Joel McCrea darf seine Herzdame quer durch die tropische Flora von Zaroffs Insel schleifen und Fallen für ihre Häscher bauen. Der Horrorfilmmode jener Tage wurde ebenfalls an einigen Stellen entsprochen, unter anderem in dem grausigen „Trophäenraum“ Zaroffs, in dem er abgetrennte Köpfe zur Schau stellt. Die fröhlichen Rassismen, die sich mit ein wenig bösem Willen auch in KING KONG wiederfinden lassen, paaren sich hier mit einer sexualpathologischen Fantasie, die für die damalige Zeit sicherlich sehr gewagt ist. Kurzum: GRAF ZAROFF ist einer jener Filme, die ich immer mal wiedersehen wollte, und meinem Langen wurde mit der DVD in vorbildlicher Weise entsprochen. Abgerundet wird der Spaß von einem fachkundigen Audiokommentar, auf dem Rolf Giesen sehr viel Interessantes über die Dreharbeiten zu berichten weiß, darunter manches, das mir noch völlig unbekannt war. Was lange währt, wird endlich sehr gut!
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#376
Geschrieben 29. August 2006, 22:53
Michel Delassalle (Paul Meurisse) ist Schuldirektor und regiert seine Lernanstalt mit eiserner Hand. Daß nicht nur strikter Ordnungswille, sondern auch eine zutiefst sadistische Persönlichkeit für sein Handeln verantwortlich ist, weiß seine Frau Christina (Vera Clouzot) nur zu gut, muß sie die Schläge und Demütigungen des Gatten doch schon seit langem ertragen. Auch wurmt es sie, daß die Mätresse ihres Mannes, Nicole (Simone Signoret), ebenfalls Lehrerin an der Schule ist. Jener ist die Schuftigkeit Delassalles aber auch schon aufgefallen, und da sie sich mit der Gattin ihres Geliebten angefreundet hat, schließen die beiden mißhandelten Frauen einen Pakt – das Biest muß sterben! Gemeinsam planen sie den letalen Abgang des Direktors, doch je näher der Tag X rückt, desto nervöser und unentschlossener wird die tiefreligiöse Christina. Gesägt, tun getan: Die Leiche wird produziert und fachgerecht entsorgt. Mit Spannung erwartet man die Auffindung des Körpers, den man – zwecks Vortäuschung eines Unfalles – im Swimming-Pool versenkt hat. Doch als der Pool geleert wird, ist die Leiche verschwunden...
Großer Klassiker des französischen Thriller-Kinos! Henri-Georges Clouzot hatte kurz zuvor mit LOHN DER ANGST einen der spannendsten Filme gedreht, die ich jemals gesehen habe. LES DIABOLIQUES ist sein Beitrag zum Psychothriller Hitchcock'scher Prägung, und tatsächlich soll er seinen britischen Kollegen im Streit um die Rechte zur Verfilmung des Boileau-/Narcejac-Krimis nur um Stunden geschlagen haben. Sir Alfred hätte es aber wohl kaum besser hinbekommen, denn Clouzot macht schon bald klar, daß die geschundenen Frauen Arges im Busen tragen. Dabei sind beide sehr unterschiedliche Charaktere – Nicole die wettergegerbte und nüchterne Natur, Christina die kränkelnde und fragile. Immer wieder muß Nicole die zaudernde Gefährtin antreiben, und obwohl die beiden etwas zutiefst Unmoralisches vorhaben, drückt man ihnen bei der Durchführung die Daumen. („Trink´ endlich den vergifteten Whisky, du Schwein, trink´ schon!“) Dieser erste Teil ist an Spannung kaum zu überbieten. Im zweiten Teil des Filmes geht es dann mehr um die moralische Komponente (oder vielmehr das Ausbleiben einer solchen!), wenn Christina nämlich vor Angst und Unsicherheit fast den Verstand verliert. Auch Nicole muß erkennen, daß sie mehr abgebissen hat, als sie kauen kann. Außerdem erscheint noch Charles Vanels vorzüglicher Kommissar Fichet, der mehr als nur ein wenig an Inspektor Columbo erinnert und mit väterlicher Kauzigkeit stets dann eine scheinbar harmlose Bemerkung fallenläßt, wenn Christina vor innerer Anspannung fast zerplatzt. Der Schluß ist dann nackter Horror und braucht einen Vergleich mit den Höhepunkten von Hitchcocks PSYCHO nicht zu scheuen. Die Darstellerin der Christina war im Privatleben die Gattin des Regisseurs und starb bald darauf tragischerweise an einem Herzschlag.
P.S.: Ich hatte ungefähr nach einer Stunde spitz, wie der Hase läuft. Es ist ein Zeugnis für die vorzügliche Machart des Filmes, daß das eigentlich völlig egal war – es war trotzdem immens spannend!
Christina: „Gott liebt keine Ungeheuer!“
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#377
Geschrieben 30. August 2006, 16:15
Scott James (Chuck Norris) ist Kampfsportlehrer, auch wenn man ihn niemals bei seiner Beschäftigung sieht. In der Regel bewegt er sich von links nach rechts durch das Bild, manchmal von rechts nach links. Manchmal verharrt er und sagt Sachen wie: „Weißt du, mir kommt das alles ziemlich dünn vor!“ Über eine jüngst verwitwete Verlegerin mit vielen Feinden und Feuer im Schritt gerät er in Streithändel mit Terroristen, die von einer geheimen Organisation ausgebildet werden, der ausgerechnet Scotts ehemaliger Blutsbruder Seikura vorsteht. Jener gehört zu den wenigen Menschen auf der Welt, die „Ninja können“. Und tatsächlich hoppeln auch bald lauter schwarz vermummte Sonderlinge durch das Bild und schlagen alles platt. Doch sie haben die Rechnung ohne den hehren Recken gemacht, der ihnen Paroli bietet...
Chucky war damals noch in seiner hellblonden Phase. Ein Achteck habe ich in dem Film vergeblich gesucht, weshalb mir nicht ganz klar ist, wie es zu dem Titel kommt. Vermutlich heißt die Organisation so. Vielleicht hat auch Chucks Schnäuzer acht Ecken – ich habe nicht nachgezählt. THE OCTAGON entstand kurz vor Chucks erstem wirklich großen Werk, LONE WOLF MCQUADE. Mit Eric Karson hat OCTAGON nicht wirklich einen brauchbaren Regisseur, wenngleich er bei dem lausigen Van-Damme-Vehikel RED EAGLE später noch demonstrieren sollte, daß er es sogar wesentlich schlechter kann. OCTAGON leidet unter einem miserablen Drehbuch, das es nicht fertigbringt, den steinernen Götzen des Karate mit einem Modikum an Eignung zur Identifikationsfigur auszustatten. Auch geizt der Film mit Action, wenngleich er zahlreiche Synchro-Klunkern serviert à la „Euer Körper darf schlafen, aber euer Geist muß immer wach sein!“ (Der Ninja-Meister), „Ich bin früher sehr oberflächlich gewesen...“ (Das blonde Gift), „Sie halten mich sicher für asozial!“ (Das blonde Gift) und „Warum sind Sie so unpersönlich, Scott?“ (ebenfalls Das blonde Gift) Die einzelnen Handlungssegmente sind vergnüglich unmotiviert. In einer Szene z.B. offenbart sich eine abgesprungene Terroristin unter Lebensgefahr dem Schnauzträger, verliert aber nach 30 Sekunden die Geduld und will wieder abhauen. Bevor sie das tun kann, kommt Das blonde Gift hinzu und will Chuck zur Hilfe überreden, haut dann aber sofort selber wieder ab. Das ist ein Kommen und Gehen wie im Hauptbahnhof! Lee van Cleef schaut kurz vorbei als väterlicher Freund und deutet an, wie ein richtiger Schauspieler aussieht. Ansonsten klötert alles mehr schlecht als recht dem wackligen Finale entgegen. Felsenfeste Norris-Fans werden sich den Spaß trotzdem nicht entgehen lassen wollen, aber sie sollten dann nicht zur gerade veröffentlichten „2 on 1“-Fassung greifen, denn die ist völlig zersäbelt und besitzt mittlere Videoqualität. Der zweite Film auf dem Silberling ist der deutlich bessere B-Krimi DER BULLDOZER (A FORCE OF ONE), in dem ein zwei Jahre jüngerer Norris gegen Drogenhändler antreten muß. Die Qualität jenes Streifens ist endgültig nicht mehr ankuckbar. Beim nächtlichen Showdown ist es etwa sehr hilfreich, daß man sich an der Tonspur orientieren kann...
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#378
Geschrieben 31. August 2006, 15:12
Wenn ich mich nach Betrachten eines Filmes dabei ertappe, daß ich Dinge tue, ohne es überhaupt wahrzunehmen, dann heißt das in der Regel, daß ich schwer beeindruckt bin. Eben habe ich wohl wie im Tran meinen Aschenbecher in die Küche gebracht, denn als ich gerade eine rauchen wollte, war er nicht mehr am Platz. Mal sehen, wo ich meinen Hausschlüssel abgelegt habe...
Hiroshi ist ein Medizinstudent, der bei einem fremdverschuldeten Verkehrsunfall sein Gedächtnis verliert. Er beschließt, sein Studium fortzusetzen, versieht seinen Alltag aber mit der Miene eines Roboters, da er jeden Bezug zu sich und seiner Umwelt verloren zu haben scheint. In einem Pathologieseminar gerät ihm die Leiche einer jungen Frau unter das Messer, von der er zu träumen beginnt. Tatsächlich stellt sich heraus, daß es sich um seine frühere Freundin Ryoko handelt, die bei dem Unfall schwer verletzt wurde und später an den Folgen starb. Hiroshi erfährt mehr über seine Vergangenheit, und in demselben Ausmaß, wie verschüttete Erinnerungen wieder aufleben, verschwindet er in einer Traumwelt...
Shinya Tsukamotos Filme haben sich schon immer mit dem Verbund von Körper und Geist/Seele beschäftigt. Seine früheren Ausflüge in Cronenberg-Country waren dabei häufig von sehr anarchistischer Gestaltung und knallten wilde Emotionen direkt auf die Leinwand/auf den Videoschirm. TETSUO etwa erschien mir immer etwas wie sein persönlicher VIVA LA MUERTE, da in ihm die künstliche Separierung von Körper und Gefühl und ihre Wiederzusammenführung als ein ungemein schmerzhafter Prozeß dargestellt wird, der Monster gebiert. Am Schluß von TETSUO hat sich der zivilisierte Mensch in ein mangahaftes biohumanoides Ungetüm verwandelt, das durch die Straßen der Großstadt rast und nach Krieg schreit. So schrecklich dieses Ende auch anmutet, so befreiend wirkt es doch auch, denn es scheint, als wären die Fesseln der Denaturierung aufgesprengt worden.
VITAL nun erzählt eine sehr klare und simple Geschichte, die man wunderbar zu 1a-Hollywood-Kitsch verwursten könnte. Zwar gibt es viele verwirrende Einzeleinstellungen, doch wird sehr bald klar, was vorgeht. (Im Unterschied etwa zu Tsukamotos GEMINI, kicher...) Für zarte Gemüter sind die Szenen in der Pathologie sicherlich recht grausig, wobei es dem Regisseur in keiner Szene um den Schockeffekt geht. Die Leichen (und ich mutmaße, daß es sich hier NICHT um echte Leichen handelt) wirken eher wie Bioplastiken, mit denen dann eben verfahren wird. Für mich hat es immer ein besonderes Grauen dargestellt, daß man im Tod zu einer Sache wird, die in einer Kühlkammer deponiert wird. Der Gedanke, daß man Menschen nach ihrem Tod zu medizinischen Zwecken auseinanderzuppelt, leuchtet mir schon ein, war für mich aber immer sehr unerquicklich. Tsukamoto nun füllt diese Verdinglichung des Menschen mit der Geschichte, die den Forschungsobjekten innewohnt. Im Falle Hiroshis (der sich selbst immer mit einem Roboter vom Mars vergleicht, in den Gefühle hineingekippt worden sind) wird ein eigentlich abgestorbener Mensch über seine Traumwelt, über seine Erinnerungen wieder mit seiner Gefühlswelt zusammengeschweißt. In seinen Träumen erlebt er sehr real das Beisammensein mit der ihm eigentlich unbekannt gewordenen Ryoko – sehr zum Leidwesem seiner „realen“ neuen Freundin –, und es sind schöne Momente wie auch solche, in denen sich Ryoko wieder von ihm zu entfernen scheint. Er nimmt Kontakt zu ihren Eltern auf, die ihm immer noch die Schuld geben am Tod ihrer Tochter, hatte er bei dem Unfall doch am Steuer gesessen. Er wird im Seziersaal zu Ryokos persönlichem Schutzhund, der darüber wacht, daß mit ihrem Körper respektvoll verfahren wird.
Ich empfand VITAL als einen sehr tröstlichen Film, der nicht vorgibt, Patentrezepte für den Verlust geliebter Menschen zu haben und mit Sicherheit keinen religiösen Kitsch auffährt. Das Wissen darum, daß der Mensch eben mehr ist als Blut, Fleisch und Knochen, wird von dem Film auf sehr schöne und intensive Weise bebildert. Der Schluß ist ausgesprochen traurig, weist aber auf die Schönheit der Erinnerung hin, die sehr viel realer, wahrer sein kann als die häufig ja banale Wirklichkeit. Er plädiert für ein Miteinander von Erinnerung und Jetzt, von Leben und Tod, von Geist und Körper – alles andere macht den Menschen unglücklich. Von den Körper-Szenen in der Pathologie sollte man sich daher nicht abschrecken lassen – VITAL ist ein sehr respektvoller und schöner Film, der für mich ohne Frage bisher Tsukamotos bester und sicherlich auch zugänglichster ist.
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#379
Geschrieben 11. September 2006, 21:55
Einige sehr merkwürdige Gestalten feiern ihre jeweiligen Neurosen ab, verlieben sich ineinander oder machen Musik.
Wie man darauf kommen konnte, Pedro Almodóvar das Label „Spanischer Fassbinder“ anzuheften, ist mir komplett schleierhaft. Mit gleichem Fug & Recht hätte man ihn auch den „Spanischen Hitchcock“ nennen können, wobei Hitchcock natürlich nicht schwul war, dafür aber dick. Was dieses Frühwerk des Mannes ganz wohltuend vom modernen Beziehungskomödien-Einerlei abhebt, ist sein völliger Verzicht auf Prätention. Es geht tatsächlich nur darum, die Figuren ihre Irrungen & Wirrungen durchlaufen zu lassen. Dabei ist manches sehr amüsant, manches auf seine grelle Weise etwas überholt, aber insgesamt ganz sympathisch. Es gibt einen frühen Auftritt von Antonio Banderas zu besichtigen, der einen homosexuellen Moslem mit übersteigertem Geruchssinn spielt. Helga Liné – Star zahlreicher spanischer Horrorfilme – spielt die verruchte Ex-Frau des Kaisers von Tiran, Toraya, dessen Sohn Riza sie einst in die Freuden der Liebe eingeführt hat. Und Pedro selbst hat ein nettes Cameo als Sänger einer tuntigen New-Wave-Punk-Kapelle, die die Liebe der Kloake beträllert. Der Humor ist angenehm unaufdringlich und arbeitet nicht nach dem Pointenprinzip amerikanischer Filme. Ob man zum gelegentlich sehr nervigen Verhalten der Akteure einen Bezug hat, muß jeder für sich selbst entdecken. Am Schluß laufen die Erzählfäden jedenfalls im Stile der „screwball comedy“ zusammen, und jedes Teilchen fällt an seinen Platz. LABYRINTH erinnerte mich an den hochgelobten FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS, mit dem Almodóvar damals international durchstartete. Keine Zigarre, aber nett. Am besten fand ich rückblickend doch den MATADOR, aber ich werde mir in den nächsten Tagen ohnehin mal einige der Dinger wieder ansehen.
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#380
Geschrieben 12. September 2006, 01:29
Wieder so ein toller deutscher Titel, „Im Kloster ist der Teufel los“, jaja...
ENTRE TINIEBLAS, Finsternis 1: Sängerin Yolanda hat nicht nur ein Drogenproblem, sondern auch noch einen abhängigen Freund, der sich den goldenen Schuß setzt. Da sie kein Licht am Ende des Tunnels sieht, tritt sie einem Nonnenorden bei, dessen Äbtissin sie einst kennengelernt hat. Hier finden gefallene Mädchen und Frauen ein neues Zuhause und Finsternis 2. Denn der Orden wird selbstredend erschüttert von libidinösen Lendenbeben. So verliebt sich die Mutter Oberin in Yolanda, wenngleich ihr die gestrengen Regeln des Ordens maximale Keuschheit auflasten. Irritierenderweise haben die Regeln aber scheinbar nichts gegen den Konsum harter Rauschdrogen einzuwenden, denn es wird gedrückt, daß die Vene qualmt...
Tja, das war ein richtiger Uppsala-Effekt, denn nach zwanzig Minuten ernsthaften Melodrams holt eine Nonne auf einmal das Spritzbesteck hervor und macht den frommen Abflug. Und wenngleich ich den Film letzten Endes auch nicht umwerfend fand, so muß man Almodóvar doch zubilligen, daß er davon abgesehen hat, dem deutschen Titel genüge zu tun. ENTRE TINIEBLAS wurde von einem IMDb-Leser unter der Überschrift „Very funny, very Almodóvar“ abgehandelt, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, denn lustig ist der Film beim besten Willen nicht. Stattdessen würde ich ihn eher als ein antiklerikales Melodram mit bizarren Einlagen bezeichnen. Die Bunuel-Route bereist er trotz des hübschen (und sehr lapidar und kommentarlos präsentierten) Drogeneinfalls nicht weiter, wenngleich mir der zahme Ordenstiger namens Eros sehr gefallen hat. Wer die grellen Einfälle späterer Almodóvars erwartet, dürfte enttäuscht werden, denn ENTRE TINIEBLAS ist ein vergleichsweise ruhiger Film, der seine Blasphemien rar sät. Für den Regisseur selbst vielleicht eher zu rar, denn Almodóvar soll sich später davon distanziert haben, mußte er der Produktionsgesellschaft doch zu viele Zugeständnisse machen. Trotzdem handelt es sich um einen ebenfalls nett zu kuckenden Film, in dem neben Carmen Maura und Genrefilm-Urgestein Manuel Zarzo auch mit Chus Lampreave eine meiner Lieblingsdarstellerinnen aus den Almodóvar-Filmen debütierte. (Die mit dem Gesicht, nicht die mit der Nase!)
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#381
Geschrieben 15. September 2006, 16:11
Ja, der Dolph. In diesem 1996er Psychothriller spielt er einen Profikellner, äh, Profikiller, dessen Zielsicherheit von seinen Vorgesetzten in Frage gestellt wird. Gleich im ersten „set piece“ des Filmes erleben wir eine von moralischen Skrupeln zunichte gemachte Mordaktion, bei der das anvisierte Ziel sehr lebendig von dannen spaziert. Der Rest von SILENT TRIGGER spielt dann in einem Bürohochhaus, in dem Dolph und seine Partnerin Clegg – die für ihn den Späher machen soll – mit zwei Wachleuten herumalbern.
Für den herkömmlichen Videothekenkunden muß der Film damals eine ziemliche Enttäuschung gewesen sein, zumal er eher als Psycho-Kammerspiel aufgebaut ist und mit lediglich vier Hauptfiguren auskommt. Da die Produzenten ihrer eigenen Courage wohl nicht ganz getraut haben, setzt es auch noch einige weitgehend irrelevante (und verwirrende) Rückblenden, die für einen Wechsel der Lokalität sorgen und für einen dramaturgischen Schluckauf. Im Rahmen dieses Werkes kann man aber auch nur sagen: „Macht nix!“ Um eine Story wie diese legal über die Rampe zu tragen, müßte man über ein erstklassiges Drehbuch verfügen (David Koepp?) und eine entsprechende Inszenierung. Das Drehbuch stammt aber nur vom Italiener Sergio Altieri, der zwar prima mit Versatzstücken aus der Film-Noir-Kiste herumhantieren kann, aber zum Funktionieren kriegt er die Was-passiert-dann-Maschine nicht wirklich. Regisseur Russell Mulcahy gehörte mal zu den populärsten australischen Rockvideo-Machern und gelangte mit dem Hit HIGHLANDER auch in obere Kinokassenregionen. Danach pömpelte seine Karriere aber stetig in Richtung B-Genrefilm, manchmal mit bekannten Schauspielern (z.B. Denzel Washington), manchmal ohne. In SILENT TRIGGER hat er es mit Dolph Lundgren zu tun, der sicherlich nicht in der Washington-Liga mitschwimmt und auf der Grundlage seiner mimischen Ausdrucksfähigkeit keinen Film trägt. Tatsächlich versucht Mulcahy sein Bestes, um das Drehbuch nach allen Regeln der Kunst in den Rang des Bedeutsamen „hochzuinszenieren“ und Farbfilter und Kameramätzchen einzufügen, um aus nichts etwas mehr oder sogar viel zu machen. Tatsächlich hätte man sich für die vorliegende Story besser am nüchternen Stil französischer Noir-Filme orientiert und mal in Richtung Melville oder Clément geschielt, statt die volle Rockvideo-Power abzuziehen. Im Inszenieren von Gebäuden beweist Mulcahy großes Geschick, aber das reicht eben nicht, wenn reduzierte Gefühlsregungen dargeboten werden, unter deren Oberfläche Leidenschaften bubbern sollen. Das geht unter den obwaltenden Umständen mächtig in die Hose, denn das Drehbuch gestattet solche Anmutungen nicht und liefert stattdessen Dialogklunkern wie: „Haben sie denn keine Namen, die Menschen, die wir töten?“ Auch wird Carlos Castagnetta zitiert, der berühmte Flamencotänzer mit der wiederholten Vergangenheit. Boah, was diese Profikiller alles kennen! Stefano Mainetti (ZOMBI 3) liefert einen hyperbolischen Score, der mit synthetischen Chören und viel Humtata vergnüglich überemphatisch ist, die angestrebten existentialistischen Qualitäten aber klangvoll verfehlt. Unterm Strich ist SILENT TRIGGER ein aufgeblasener Actioner, der mal was anderes bieten will, das aber nicht hinbekommt und so zwischen die Stühle fällt. Gibt wirklich weitaus schlechtere Filme, von Lundgren wie von seinen Kollegen, aber hier wird eindeutig mehr abgebissen, als irgendeiner der am Film Beteiligten schlucken kann.
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#382
Geschrieben 16. September 2006, 01:22
Ich habe neulich eine ganze Reihe von älteren Actionvideos abgestaubt, und das für 99 Cent das Stück.
Bei RED ZONE (Original: THE PEACEKEEPER) handelt es sich um einen Bond-Klon der B-Liga, der trotz zahlreichen Unfugs ganz angemessen unterhält. Dolph Lundgren ist der unangepaßte Army-Major Frank Cross, der ohne Wissen seiner Vorgesetzten Reis über Kurdistan abwirft (!) und sich dafür einen Rüffel einfängt. Statt des Kriegsgerichts erwartet ihn aber eine Versetzung: Als offizieller Militärberater des Präsidenten (Roy Scheider!) soll er nun mit einem schwarzen Köfferlein hinter dem Landesvater herlaufen, falls dieser Lust auf einen nuklearen Gegenschlag hat. Selbstverständlich gibt es bereits an Dolphs erstem Arbeitstag große Komplikationen, da böse Menschen ihm das Köfferlein rauben, was in einer für einen Film dieser Größenordnung ganz ordentlichen Autoverfolgungsjagd über Häuserdächer resultiert. Dolph ist natürlich unkaputtbar, aber das Köfferlein wandert in die Hände des ehemaligen Offiziers Murphy, der ein Hühnchen mit dem Präsidenten zu rupfen hat. Und da er ein verflucht nachtragender Fucker ist, pulverisiert er mit den Atomraketen erst einmal das Mount-Rushmore-Monument und kündigt an, daß Washington DC das nächste Ziel ist...
Es versteht sich von selbst, daß diese amerikanisch-kanadische Koproduktion den Bond-Filmen produktionstechnisch nicht wirklich das Wasser reichen kann, aber nach der ersten Hälfte verwandelt sich RED ZONE zu einem mehr als akzeptablen Zeitplattbügler. Michael Sarrazin (dessen großer Moment sicherlich die Hauptrolle im erschütternden NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS war) spielt einen Kampfexperten, der vom Präsidenten im ersten Golfkrieg schön über den Löffel balbiert worden ist und jetzt deutlich psychopathische Züge trägt. Wenn es am Schluß hart auf hart kommt und Lundgren sich direkt unter einer startenden Rakete mit dem kanadisch-norwegischen Bäddie Christoph Heyerdahl balgen muß, schneidet er sich selbst in die Arme und murmelt, daß er lange schon zu bluten aufgehört habe. Ihn interessiert kein Geld, ihn interessiert kein Ruhm – er will nur Rache! Dolph bekommt noch einen schwarzen Sidekick an die Seite gestellt, der aber wenigstens nicht blöde schwätzt. Die Anzahl der smarten Dialogzeilen nach Bond-Vorbild hält sich in Grenzen, und das Finale fand ich dann doch recht aufregend. Gemessen an dem Schrott, mit dem sich Leute wie Steven Seagal in den letzten Jahren abgeben mußten, ist RED ZONE sehr anständig, wenngleich der Trash-Zenit von Meisterwerken wie RED SCORPION natürlich unangetastet bleibt. B-Liga, aber nicht abstiegsgefährdet.
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#383
Geschrieben 23. September 2006, 00:26
Schwacher Lundgren-Film, der den schwedischen Hünen mit so etwas wie einer Charakterrolle versieht und einen schottischen Kriminalroman als Vorlage hat.
Der Ex-Polizist Matt Sorenson (Dolph) kehrt nach Boston zurück, wo er einstmals für Recht und Ordnung zuständig war. Sein Bruder ist nämlich gerade umgebracht worden, und zwar auf äußerst blutige Art. Zudem war er in Sadomaso-Geschirr eingeschnürt und machte so ganz den Eindruck, als habe er wenigstens noch etwas Spaß gehabt. Sorensons Bruder war den Interessen eines Bauspekulanten im Wege, und so rückt Matt dem ekligen Kapitalisten auf den Pelz. Wie sich zeigt, hat die Mordtat aber ganz andere Gründe gehabt: Die Spur führt zurück zum Mord an einer Prostituierten vor 20 Jahren...
Tja, gähn. JILL RIPS fängt etwas dröge an und verbockt seine Exposition vollständig. Da Lundgren zwar ein Profi ist, aber beim allerbesten Willen kein Schauspieler in der Al-Pacino-Liga, wäre es geschickt gewesen, seinen gebrochenen Charakter (Matt hat die Polizei einst aus einer Glaubenskrise heraus verlassen und danach sauber abgeloost) etwas sorgsamer einzuführen. Stattdessen werden wenig originelle Versatzstücke präsentiert, die dann mit zwei, drei Prügeleien und einigen blutigen Leichen auf dem Obduktionstisch gestreckt werden. Erst als das Sadomaso-Ledermilieu in den Mittelpunkt rückt, blüht Hickox´ Regie auf – da leuchten die Augen. Als Höhepunkt des Filmes würde ich jenen Moment erachten, in dem Lundgren kopfüber von der Decke baumelt und einer stark an Catwoman erinnernden Ledersau die roten Stiefeletten leckt! Was seine Schauwerte angeht, liegt der Film in der direkten Nachbarschaft von CRUISING und 8MM, ohne aber den Unterhaltungswert des einen und den kruden Zynismus des anderen zu erreichen. JILL RIPS funktioniert da ganz als konservatives Schauermärchen, für das die bunten Perversen vor die Kamera gezogen werden, damit man hübsch abglotzen kann. Es wird noch eine wohlfeile Mißbrauchsgeschichte eingebaut, mit der aber auch Schindluder getrieben wird. Das Finale zieht dann spannungsmäßig überraschenderweise doch noch etwas an, aber in letzter Instanz läuft es darauf hinaus, daß die perversen Schlampen zwar gut zum Begaffen sind, aber halt eben doch sterben müssen. Wo kämen wir denn sonst hin? Kurzum: JILL RIPS ist nur ein weiterer Serienmörderfilm, dessen exploitative Grundhaltung durch die spießige Präsentation etwas unappetitlich wird. Für die Titelrolle war ursprünglich Tom Berenger vorgesehen, aber ich bezweifele, daß das Resultat erquicklicher gewesen wäre.
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#384
Geschrieben 23. September 2006, 11:29
Um einen lieben Filmforen-Kumpel zu zitieren: „Ich lehne diesen Film politisch ab.“
Als ich Dolph Lundgren einst zum ersten Mal in einer Hauptrolle erblickte, spielte er den Ex-Polizisten Frank Castle, der seine Familie bei einem ruchlosen Mordanschlag einbüßt. Zum Rachemännlein mutiert, bringt er Zores eimerweise über die Häupter des organisierten Verbrechens. Die Medien haben gut Knackens an den spektakulären „Vollstreckungen“, die er absolviert. Ich fand den Film damals recht lustig, auch wenn mir schon damals klar war, daß Humanisten hier in ein Daueraufstoßen verfallen würden.
Die Marvel-Comic-Vorlage von THE PUNISHER ist mir nicht bekannt. Die Neuverfilmung habe ich ja schon andernorts besprochen, und während die Thomas-Jane-Version die Vorgänge zu hoher Pulp-Kunst emporfährt, beschränkt sich Mark Goldblatts alte Bearbeitung auf das alte Rein-Raus-Spiel: Kugeln rein in die Waffe, Kugeln raus aus der Waffe, Kugeln rein in den Bösewicht, Bösewicht raus aus dem Film. Die Motivation für die Metamorphose des „sauberen“ Cops Frank Castle (mit so einer Art blauem Wollsakko, das ihn etwas wie einen Götz-Alsmann-Rock'n'Roller der straighten Schule aussehen läßt) in den schwarz eingelederten Motorcycle Boy From Hell (Jimmy Dean mit Muckis und Fangzähnen) wird fast komplett ausgespart. Zu Beginn des Filmes ist Castle bereits der Punisher und räumt auf nach Leibeskräften. Der Bodycount erreicht schon sehr bald schwindelerregende Höhen. „Kaltschnäuzig“ ist das Wort dafür. Daß mir THE PUNISHER aber so großen Spaß gemacht hat und mir tatsächlich besser gefallen hat als die wesentlich teurere und ästhetisch ausgefeiltere Neuversion, ist zwar ein schuldiges Vergnügen, aber ein Vergnügen, denn in seinem Bestreben, knallharte Non-Stop-Action vom Schmierigsten zu bieten, ist THE PUNISHER kaum zu übertreffen und gehört fraglos zu den besten Macho-Kloppern der achtziger Jahre. Regisseur Mark Goldblatt ist eigentlich gelernter Cutter und hat sich nach seinen Anfängen im Roger-Corman-Umfeld ratzfatz zu einem von Hollywoods großen Montage-Künstlern hochgearbeitet. Daß THE PUNISHER neben dem bescheidenen, aber drolligen DEAD HEAT seine einzige Filmregie darstellt, finde ich schade, denn der Film schaut exzellent aus und ist in der Tat ungemein temporeich geschnitten. Der „Workprint“ – der der DVD als Extra beigefügt ist – ist aufschlußreich und liefert dem Interessenten eine Anfangsviertelstunde, in der die Vorgeschichte aufgedräuselt wird. Daß dieser Prolog komplett herausgenommen wurde, empfinde ich aber eher als Plus, da psychologische Glaubwürdigkeit und Charaktertiefe nicht die Hauptanliegen des Filmes darstellen. Stattdessen rockt und rollt er von Minute Eins an unaufhörlich seinem Ende entgegen, das seinem einsamen Rächer wahrlich keinen Schlaf gewährt. Dem Zuschauer aber auch nicht, und wenn man sich in der glücklichen Situation befindet, solche konservativen Dummklopp-Werke nicht ernstnehmen zu müssen, wohnt eine Menge Spaß in dem Streifen. Wenn ich ehrlich bin, stören mich die reaktionären Untertöne in „normalen“ Filmen wie dem gerade erwähnten JILL RIPS wesentlich mehr als bei solch einer zirzensisch orientierten Dauerkanonade. Es wäre mein Traum, THE PUNISHER einmal als ungeschnittenen und erstklassig erhaltenen Print im Kino sehen zu können. Die DVD ist von überaus mauer Bildqualität, leider, aber hier greift wieder das Diktum „Besser so als gar nicht“, und ankuckbar ist das Ganze allemal. Die alte Videofassung war völlig zersäbelt. Beim Einfügen der fehlenden Szenen hat man größtenteils gute Arbeit geleistet. Ich war auf jeden Fall zufrieden, wenngleich natürlich immer der Wunsch nach einer besseren Fassung bleibt.
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#385
Geschrieben 24. September 2006, 15:58
Nach dem ungemein düsteren und brutalen PUNISHER hatte sich Dolph eine Auszeit verdient. Sein nächster Film ist dieser fluffige, knuffige Polizeithriller, in dem Außerirdische tödliche CDs verschießen und auch sonst ein Kessel Buntes passiert...
Jack Caine (Lundgren) hat gerade bei einer fehlgeschlagenen Polizeiaktion seinen Partner eingebüßt und ist nun stocksauer. Ihn dürstet nach Rache. Leider hat sich der Hauptschuldige, ein gewisser Manning, nach Rio abgesetzt und nur seine Schergen zurückgelassen, einen Haufen schwerbewaffneter Yuppie-Gangster in Maßanzügen. Mit diesen könnte Caine nun Schlitten fahren, wäre da nicht ein 2 Meter großer Spaceman, der Menschen Heroin injiziert, um die freigesetzten Endorphine zu sammeln und sie in Phiolen abgepackt auf seinen Planeten zu verbringen! Tja, auf so etwas müssen Drehbuchautoren erst einmal kommen...
Ist aber okay, denn der Film ist – wie ich in solchen Fällen immer zu sagen pflege – „eine faire Packung“. Wie schon bei seinem Erstlingswerk, dem begnadet durchgeknallten Parade-Actioner ACTION JACKSON mit Carl Weathers, bewegt sich der ehemalige Stuntprofi Craig R. Baxley mit seinem Produkt auf dem Niveau professioneller TV-Ware – alles schaut gut aus, britzelt vor Effizienz, keine Experimente, wie das halt einem solchen Film angemessen ist. Verglichen mit dem PUNISHER muß man hier freilich etwas kleinere Brötchen backen, denn während Dolph in jenem Film mit Louis Gossett jr. und Jeroen Krabbé zwei erstklassige Partner an der Seite hatte, bekommt er hier nur einen spießigen FBI-Mann als lustigen Sidekick, der aber nicht übermäßig nervt, was für lustige Sidekicks schon einem Adelsschlag gleichkommt. Das böse Alien wird gemimt vom deutschen Bodybuilder Matthias Hues, der mich mimisch bizarrerweise an Tony Anthony erinnert hat und hier eine weißgefärbte Langhaarfrisur trägt. Verfolgt wird er von einem guten Alien, das ebenfalls eine denkwürdige Frisur aufweist und mit seiner schweren Artillerie wild durch die Gegend ballert. Negativ bleibt nur anzumerken, daß die sehr beliebige Synthie-Mucke von Jan Hammer wohl schon damals ziemlich überholt geklungen haben muß, aber sie wird mühelos in den Schatten gestellt durch die wahrhaft grausigen Spät-80er-Rocksongs, die den Soundtrack bevölkern. Davon abgesehen genau das Richtige für einen lauen Sonntagnachmittag.
P.S.: Die DVD von MGM hat eine ordentliche Bildqualität, sieht man davon ab, daß alle Leute orangefarbene Lippen haben. Aber vielleicht war das ja auch Absicht.
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#386
Geschrieben 24. September 2006, 16:19
Takashi Miikes Episode der Serie war bekanntermaßen die einzige, die damals kurz vor ihrer TV-Ausstrahlung aus dem Programm genommen wurde. Das mag ich gerne glauben. Während die deutsche DVD-Leihversion um einige Minuten gekürzt war, habe ich mir bei meinem neulich erfolgten Amsterdam-Besuch eine vollständige Fassung mitgenommen.
Hollywood-B-Action-Bösewicht Billy Drago spielt einen abgerissen aussehenden Yankee, der in Japan nach seiner Geliebten fahndet, die er in einem Bordell wähnt. Auf seiner Suche gerät er an eine schwer entstellte Geisha, die ihm aber Näheres über den Verbleib seiner Komomo zu berichten weiß: Böse Kolleginnen haben sie nach Leibeskräften gefoltert, worauf sie sich, scheint's, das Leben genommen hat. Doch die Wahrheit ist noch viel grausiger. Und noch grausiger. Und NOCH grausiger...
Was ich schon immer gedacht habe, wird hier erneut bewiesen: Takashi Miike spinnt! Der Mann ist vollkommen wahnsinnig, oder er besitzt zumindest einen sehr ausgefallenen und für seine Geldgeber sehr kostspieligen Sinn für Humor, denn solch eine Story für das amerikanische Fernsehen zu produzieren, ist der blanke Wahnwitz. Ich stelle mir gerade vor, wie sich die Produzenten zum ersten Mal das fertige Werk angesehen haben. Zu Anfang werden sie noch ganz ruhig dagesessen haben, na ja, ein bißchen langsam für amerikanische Sehgewohnheiten, aber ist ja japanisch, ist ja Kunst, da darf man das. Dann die Folterszene. Weit aufgerissene Augen, ungläubiges Staunen, totales Entsetzen. Die Szene ist im Original ungefähr 5 Minuten lang und kaum ansehbar. Dann sexueller Mißbrauch. Dann Inzest. Verwachsene Menschen. Föten, die in den Fluß geworfen werden wie Abfall. Und am Schluß ein bizarres Ende, das unter anderen Umständen vielleicht komisch gewirkt hätte, wäre man nicht bereits über alle Maßen schockiert. Alter Schwede. Man mißverstehe mich nicht: Der Film ist einer der besten der Serie, vielleicht sogar DER beste, aber was da abgeht, stellt für mich selbst ICHI THE KILLER in den Schatten, denn jener war wenigstens eine schwarze Komödie, während das hier eine Tragödie ist, und da Miike sein Handwerk versteht, geht einem das dargebotene Schicksal der Freudenmädchen auch wirklich an die Nieren. Optisch orientiert sich Miike hier an den klassischen japanischen Geisterfilmen und meidet den verwestlichten Stil der RING-Nachzügler. Die Bilder sind bunt, die Bildführung statisch und gemächlich, die Ideen sehr abgedreht. Insgesamt ein sehr schöner Film, aber selbst Hartgesottene werden entsetzt sein. Und nein, ich bezweifele mal stark, daß Miike bei der neuen Staffel berücksichtigt werden wird...
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#387
Geschrieben 24. September 2006, 23:24
Nur kurz angerissen: Ein etwas glanzloser, aber immerhin recht solider Actionthriller der B-Liga, der sich darum bemüht, Trash zu vermeiden. Lundgren spielt einen amerikanischen Journalisten, der sich nach Israel begibt, als ein vermeintliches Terrorkommando in einen dort gelegenen US-Stützpunkt eindringt und ein mysteriöses Fläschchen stiehlt. In dem Fläschchen befindet sich eine ziemliche Sauerei, und deshalb muß Lundgren nicht nur gegen die Verschwörer kämpfen, sondern auch gegen den CIA-Mann Louis Gossett jr. Auch hat Dolph Probleme mit seiner Frau, die es ihm immer noch verargt, daß er sich mal wie ein blöder Pisser verhalten hat. Schließlich muß Dolph dann halb Israel retten, aber das ist für den Mann natürlich ein Kinderspiel. Am Schluß ziehen dann alle in einen Kibbuz und führen dort chassidische Freudentänze auf.
Okay, den Schluß habe ich mir ausgedacht. In Wirklichkeit üben sie dort ANATEVKA ein, mit Lundgren als Tewje, der fröhliche Milchmann! Regisseur Manny Coto hat sich in der Zwischenzeit zu einem hohen Tier beim Fernsehen gemausert und produziert da so Sachen wie die Serie „24“ oder die neuen STAR TREK-Geschichten. Hier leistet er ordentliche Arbeit unter nahöstlicher Sonne, und auch wenn COVER UP in keiner Hinsicht besonders heraussticht, so ist er doch gut wegkuckbar. Die DVD ist zudem hübsch billig und serviert den Film in ordentlicher Qualität, wenngleich die Untertitel sich bei den wiedereingefügten Szenen (der Film war auf Video wohl arg gekürzt) gut was zusammenfantasieren. Beispiel gefällig? Der Satz „That'll be twenty bucks!“ wird an einer Stelle übersetzt als: „Ich hätte gerne ein Bud!“, und das ist nur einer von mehreren Klopfern... Na ja, wenn man mal 6 Euro dafür übrig hat, kann man ruhig zugreifen.
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#388
Geschrieben 24. September 2006, 23:25
Ein überraschend guter Film. Hätte ich jetzt gar nicht gedacht. Nick Gunar (Dolph Lundgren) ist über einen langen Zeitraum hinweg Söldner aus Überzeugung gewesen und hat sich als Schlagetot einige Lorbeeren verdient. Als ihn zwei windige Yuppie-Spekulanten anhauen, er möge doch einen Job im südchinesischen Meer übernehmen, lehnt er zunächst ab, doch als er feststellt, daß hinter dem Job sein ehemaliger „Ziehvater“ und Ausbilder Colonel Merrick steht, sucht er sich eine Killertruppe zusammen, die sich gewaschen hat, und zwar das letzte Mal vor mindestens 5 Jahren! Abgefeimte Himmelhunde und Teufelskerle, menschliche Kampfmaschinen alle. Zu diesem Zeitpunkt wunderte ich mich doch sehr über die anachronistische Natur des Streifens, denn ich fühlte mich wie in einem Söldnerfilm der frühen 80er, JÄGER DER APOKALYPSE etwa. Die „Helden“ von MEN OF WAR haben den Auftrag, die Eingeborenenbevölkerung einer schwer mit Bodenschätzen zugepflasterten Insel zur Zusammenarbeit zu „überreden“, sprich: ihnen ein bißchen Angst zu machen, Hütten abzufackeln und die Einwohner notfalls kaltblütig zu massakrieren. Als die Söldner aber auf der Insel landen, stellen sie fest, daß sie den Insulanern mit ihren Macho-Manieren und Drohgebärden überhaupt nicht imponieren können, da jene ein völlig anderer Menschenschlag sind. Und hier kommt John Sayles mit ins Spiel, der am Drehbuch mitgearbeitet hat und mit Regisseur Perry Lang und einigen der Darsteller schon in anderen Filmen zu tun hatte. Sayles, dessen Drehbucharbeiten sehr häufig auf dem Genrefilmsektor stattfanden (vgl. etwa DER HORROR-ALLIGATOR, Joe Dantes DAS TIER u.ä.), hat sich in seinen selbstinszenierten Filmen auffallend häufig mit der Rolle von Außenseitern in der amerikanischen Gesellschaft beschäftigt. Dazu gehörten mexikanische Einwanderer ebenso wie Lesben und Aliens. In MEN OF WAR geht es jetzt um großmäulige Yankee-Ärsche, die in eine idyllische Kulisse eindringen und ein grundpazifistisches Volk versklaven wollen, das sich aber leider nicht versklaven läßt, da es nicht in diesen Kategorien denkt. Wenn einer der Söldner etwa eine Salve über die Köpfe der Eingeborenen abfeuert, um den Untermenschen Respekt einzubleuen, erntet er dafür begeisterten Applaus von den Insulanern, die dies für eine Showeinlage halten. Sehr hübsch auch die kleinen Kinder, die alle den Begrüßungssatz gelernt haben: „Hallo, G.I., hast'n Bubble-Gum?“ Wie dem auch sei, es kommt dann naturgemäß zum Konflikt in der Söldnergruppe, und nachdem sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, dreht der Film in den letzten 20 Minuten noch einmal komplett um und liefert derbes Gemetzel, mit dem Sayles dann bestimmt nicht mehr viel zu tun hatte. In einer Major-Trautman-Rolle schaut auch Kevin Tighe vorbei, nur daß es sich hier um einen Major Trautman mit Vampirzähnen handelt. Einer der beiden Yuppie-Ärsche ist Regisseur Lang. Und als ekligster Söldner überhaupt brilliert der britische Boxer Trevor Goddard, der eine koksnasige Muskeltucke gibt, nach der man den Begriff „Koksnasige Muskeltucke“ neu definieren muß – toll! Mit dem in der Gefängnisdusche hat man sicherlich eine Menge Spaß... Kurzum: Harte Männerunterhaltung vom Feinsten, deren kritische Ansätze man nicht überbewerten sollte, aber sie verleihen dem Film zusätzlichen Reiz. Hach, das Abenteuer, ein Mann zu sein! Männer unter Männern, die sich wie Männer benehmen, echte männliche Männer... Mannomann!
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#389
Geschrieben 25. September 2006, 13:41
Unser schwedischer Freund spielt hier den U.S. Marshal Michael Dane, dessen Job es ist, Verbrecher einzufangen, die auf amerikanischem Boden ein Verbrechen begangen haben und jetzt irgendwo in der Weltgeschichte herumgondeln. Sein neuester Auftrag ist die ehemalige Profikillerin Simone Rosset (Maruschka Detmers!), die sich jetzt in Prag rumtreibt und ein neues Leben begonnen zu haben scheint. Man vermutet, sie habe in Manhattan einen Anschlag auf den kubanischen Botschafter verübt und ist jetzt im Interesse der politischen Beziehungen sehr daran interessiert, die Frau einzusacken. Natürlich läuft die Sache ganz anders als geplant, denn der Geheimdienst spielt falsch, und sowohl Dane als auch seine Schutzbefohlene müssen sich ihrer Haut erwehren...
Gemessen daran, daß man mit dem Kanadier Ted Kotcheff einen ziemlich erfahrenen Regisseur am Start hatte, ist THE SHOOTER eine massive Enttäuschung, denn dem Drehbuch gelingt es in keinem Moment, Interesse für die sehr seltsame (und nicht sonderlich vorteilhafte) Verbindung Lundgren – Detmers zu erzeugen. Ganz nett immerhin zieht sich Dan O'Herlihys Sohn Gavan aus der Affäre, der als Lundgrens fieser Boß schön spöttische Gesichter schneiden darf. Letzten Endes ist es hochgradig fragwürdig, wenn amerikanische Agenten im Ausland nach eigenem Gutdünken verfahren dürfen – das sollte nicht erst seit der al-Masri-Affäre klar geworden sein. Sollte man mal umgekehrt ausprobieren und in den Vereinigten Staaten einen amerikanischen Staatsbürger verhaften – johoho, das gäbe was! Zudem stellt sich Michael Dane bei seinen Ermittlungen dermaßen unprofessionell und töricht an, daß man schon bald die Geduld verliert. Dieser Tolpatsch dürfte James Bond nicht einmal den Martini schütteln! Insgesamt ein Stelldichein der Unglaubhaftigkeiten, dem durch die Actionsequenzen (Dolph turnt auf einem Zug herum, hangelt an einer Häuserfassade entlang etc.) ein bescheidener Unterhaltungswert zukommt, aber insgesamt läßt das Geschehen kalt. Da kann auch Stefano Mainettis grob überemphatische Musik nichts dran ändern.
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#390
Geschrieben 25. September 2006, 13:45
BLACKJACK ist ein TV-Film, mit dem sich John Woo damals wohl einige Fans vergrault haben dürfte. Lund Dolphgren spielt einen Sicherheitsspezialisten, der eine Phobie vor der Farbe Weiß besitzt und deswegen gelegentlich einen Rappel bekommt. Als ein befreundetes Pärchen ins Gras beißt, beschließt er, sich um dessen hochintelligentes und schnippisches Töchterlein zu kümmern. Da sein Kumpel Fred Williamson bei einem Auftrag eine Kugel abkriegt, will Dolph dessen Auftrag vollenden. Es geht darum, ein blondes Profimodel vor einem psychopathischen Verehrer zu schützen, der ihr ans Leder will...
Tja, und bei jenem handelt es sich um einen erfolglosen Ex-Schauspieler, der uns an einer Stelle auch ausführlich schildert, wie das damals so war, auf der Bühne zu stehen und ausgepfiffen zu werden. Ich kann nur sagen, daß ich das Publikum gut verstehen kann, denn was sich diese Knallcharge hier zusammenspielt, eignet sich maximal fürs Kasperletheater. John Woo hat ja so einige Männerfilme gemacht, und auch so mancher kompromittierte Superheld kommt darin vor, aber wie man darauf kommen kann, einen Helden zu entwerfen, der sich vor der Farbe Weiß (z.B. Milch) fürchtet und das dann in solch ein schludriges Drehbuch einzubinden, das nichts, aber auch gar nichts nur entfernt glaubhaft erscheinen läßt, ist mir ein Rätsel. Der Bösewicht etwa ist ein selbstständig agierender seelischer Napfkuchen, der auch nicht zu arbeiten scheint. Auch Hartz IV scheint da kaum in Frage zu kommen. Trotzdem besitzt er teures technisches Equipment und eine Reihe edelster Präzisionsfeuerwaffen und schafft es wiederholt, sich trotz intensivster Sicherheitsvorkehrungen in Sperrbereiche einzuschleichen. Dieser Hanswurst wäre selbst damit überfordert, Wolfgang Schäuble oder Monica Seles bei einer Benefizveranstaltung eine fettige Bratwurst an den Kopf zu hauen. In einer Szene durchbricht das Drehbuch die Grenze von der Schlichtheit zum kompletten Unfug: Da erscheinen auf einmal aus dem Nichts mehrere bewaffnete Motocross-Fahrer, die Lundgren ans Leben wollen. Wird nicht weiter erläutert. Im Groben und Ganzen ging es wohl auch nur darum, eine bestimmte Anzahl von spektakulären „set pieces“ aneinanderzureihen, und auch die sind für Woo-Verhältnisse eher dürftig. Ich würde den Film als eine kolossale Gurke bezeichnen – da stimmt nicht viel.
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