Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#601
Geschrieben 01. November 2008, 14:47
Papa, die Güllepumpe ist explodiert...
Mal ehrlich: Ich habe in letzter Zeit einigen Mist gesehen. Aber diese Rollenspiel-Verfilmung ist wirklich so entwaffnend dumm, daß sie fast schon wieder Spaß macht.
Der Anfang macht gar keinen Spaß – der ist einfach nur öde und lärmend. Im Jahre Zwotausendsiebenhundertnochwas kämpfen die vier Konzerne, die die Welt beherrschen (Bauhaus, Capitol und noch zwo andere), miteinander um den Sieg. Die Regie (der Brite, der vorher den Neo-Slasher THE LIGHTHOUSE gemacht hat) realisiert das anhand eines Rückgriffes auf den Ersten Weltkrieg und einer Überinszenierung, die an 300 erinnert. Es fliegt viel durch die Gegend, überall wummt es nach Herzenslust. Durch ein besonders großes Projektil wird das Siegel zerbrochen, mit dem ein paar Quasi-Tempelritter „nach der großen Eiszeit“ eine Maschine weggeschlossen haben, die die Menschheit versklaven sollte. Auf einmal rennen lauter Mutanten mit riesigen Hummerscheren-Armen durch die Gegend und machen Schluß im Quadrat. Die ganze Hoffnung der Menschheit ruht auf einem Himmelfahrtskommando von Torfköppen, die die Maschine mit so einer Art BFG (= big fucking gun) vernichten sollen. Aber man ahnt, daß nicht alle von ihnen zurückkehren werden...
Nach ungefähr einer halben Stunde hat der Film mir sogar etwas Spaß gemacht. Unfreiwilligen, allerdings, denn der Schwachsinn wird mit feierlichem Ernst vorgetragen, was in Anbetracht der Vorgänge schon eine gewisse Leistung ist. Aber mit Himmelfahrtskommandos betritt jeder Film – mag er auch noch so überinszeniert und mit Schnickschnack zugepölsert sein – das Reich des billigen Genrekinos von einst, überschaubar und nach bekannten Mustern ablaufend. Da schwindet die Hybris, und man spielt mit offenen Karten. Die Italiener haben das ohne ununterbrochenes Computergewichse schon vor 30 Jahren hinbekommen, und natürlich sind Filme wie ENDGAME oder 2020 TEXAS GLADIATORS viel, viel sympathischer als dieser Unfug. Aber man ist ja schon für wenig dankbar, und sei es auch nur für das totale Versagen. Und da wären wir auch schon bei den Schauspielern. Wer spielt denn da mit? John Malkovich hat einen grandiosen Kurzauftritt, mit dem er sich ernsthaft bewirbt um die Rolle des Großvaters bei „South Park“. Ron Perlman (als Chef des Templerordens, der die Welt retten will) sieht aus wie ein Nußknacker aus dem Böhmerwald. Thomas Jane ist der Held des Filmes und macht genau gar nichts. Simon Hunter ist kein Schauspielerregisseur. Die Akteure halten ihre Gesichter hin und reden dummes Zeug. Der Drehbuchautor hat vorher EVENT HORIZON gemacht, der zwar ebenfalls CGI-übersättigt war, aber zumindest noch leidlich spannend. Hier wird wirklich ununterbrochen Mist erzählt, daß sich die Balken biegen. Ach, und Benno Fürmann (als „Leutnant von Steiner, Offizier und Aristokrat“) ist auch dabei und wirkt wie der schwule Nazi, der im Salon Kitty die Käsecracker gereicht hat. Die Aliens können übrigens in einer Szene auch Raumschiffe fliegen. Keine Ahnung, wie die mit ihren Hummerhänden die Instrumente bedienen, aber die Raumschiffe sind bestimmt mitmutiert. Es gibt einige tolle Momente, etwa jene, in der das Himmelfahrtskommando in einer Notkapsel sitzt und sich absprengen muß. Geht nur von außen. Jane will sich opfern, aber ein frommer Schwarzer kommt ihm zuvor, salutiert noch kurz vor der Fensterscheibe und zieht dann den entsprechenden Hebel. Ich habe viel gejault und viel gelacht. „Das Runde muß ins Eckige“, wie das in der Werbung so schön heißt.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#602
Geschrieben 03. November 2008, 20:40
Die ersten 10 Minuten dieses katalanischen Horrorfilms schreckten mich ab. „Nicht noch eine von diesen Vampirstories im Teenagerumfeld!“ dachte ich genervt. Es entwickelte sich aber ganz anders.
ESKALOFRIO handelt von einem Jugendlichen namens Santi, der unter einer seltenen Überempfindlichkeit gegen Licht leidet. Sehr zum Leidwesen der Mutter erzwingt die Krankheit einen Umzug ins nordspanische Hinterland, wo die beiden ein großes Haus bewohnen und sich erst einmal mit der Landbevölkerung anfreunden müssen. Dies erweist sich als ausgesprochen kompliziert, da Landbevölkerung nun einmal Landbevölkerung ist, und in Filmen ist sie dies ja immer in besonderem Maße. Zudem gerät Santi in einen Mordfall hinein – ein ruppiger Pubertätsdelinquent, der ihn herumschubsen wollte, endet tot im Wald. Die dümmeren unter den Landeiern interpretieren die Krankheit des Jungen natürlich in eine bestimmte Richtung, zumal dem Mordopfer das Blut komplett ausgesaugt worden ist nach einem saftigen Kehlenschnitt. Niemand will Santi glauben, daß er etwas im Wald gesehen hat, das wie ein Tier aussah, aber doch keines zu sein schien...
Nachdem ich mir kurz vorher den nicht eben intellektuellen ALIEN VS. PÄDERATOR 2 angesehen hatte, tat der ruhige Spanier so wohl wie eine Suppe an einem frostigen Abend. Sieht man einmal davon ab, daß pubertierende Jungmänner nicht eben zu meinen Leib- und Magenhelden gehören, waren die Charaktere einigermaßen ansprechend gezeichnet, so daß es – anders als beim vorher gekuckten Monsterspektakel – einem nicht völlig egal war, was mit ihnen geschieht. Mit Vampiren hat die Story eigentlich gar nichts zu tun. Tatsächlich ist die Auflösung des Ganzen zwar etwas konstruiert, aber durchaus originell, und einige Szenen waren ziemlich spannend. Insbesondere eine Szene, in der Santi allein zu Haus bleibt und das Ding aus dem Wald sich Zutritt verschafft, fand ich schon beeindruckend unheimlich. Erwartet habe ich bei dem Dingen exakt gar nichts und war somit überaus positiv überrascht. Der Regisseur hat vorher den wesentlich schwächeren SOMNIAC gemacht, den ich nicht empfehlen würde. Aber SHIVER lohnt sich. Beim nächsten Waldspaziergang werde ich bestimmt an den Film denken, besonders nach Einbruch der Dunkelheit...
P.S.: Den Darsteller des jungen Protagonisten kennt man übrigens aus Guillermo del Toros hübschem THE DEVIL'S BACKBONE, wo er das Geisterkind spielte.
Bearbeitet von Cjamango, 03. November 2008, 20:42.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#603
Geschrieben 04. November 2008, 11:13
Auhauerha. An Verfilmungen von Büchern, die ich sehr liebe, gehe ich immer zögerlich ran, da ich Arges befürchte. Im Supermarkt stelle ich mich auch immer dort an, wo es am längsten dauert. Schöne Erinnerungen sind leicht kaputtzukriegen, und der Gedanke, jemand könne mir Heinz Strunk kaputtmachen, ist schier nicht auszuhalten.
Ist nicht passiert. Mit einem gewaltigen Tritt in den Po habe ich mich aufgerafft und FLEISCH IST MEIN GEMÜSE in den Schlitz meines DVD-Players befördert. Film wie Buch legen Zeugnis ab vom Werdegang des Tanzkapellenmusikers Heinz Strunk. Seine persönlichen Fallstricke und Prüfungen werden dabei ebenso berücksichtigt wie die Dinge, mit denen professionelle Mucker sich halt so rumzuschlagen haben. Verköstigung, bandinterne Streitigkeiten und die Einsamkeit nach Toresschluß sind nur einige der Probleme, die vom Film mit großer Eindringlichkeit nachvollzogen werden. Teilweise (Schützenfest!) war das so unangenehm, daß ich von plötzlichem Juckreiz befallen wurde, nicht unähnlich jenem, der einem bei einer Begegnung mit giftigem Sumach blüht. Der TV-Regisseur Christian Görlitz ist auch ein Nordlicht, was man dem Film anmerkt. Die Details sind alle ziemlich gut getroffen. Die einzige Schauspielerin, die ich kannte, war Susanne Lothar als Heinzens Mutter, und daß die Kreise um einen herumspielen kann, war mir schon vorher klar. Aber auch der Rest des Ensembles vermag zu entzücken, allen voran natürlich Maxim Mehmet in der Rolle des gebeutelten Tanzmuggers. Zu Anfang hatte ich noch einen Heidenbammel davor, daß der Film die einfache Route wählen und überpointierten Konsenshumor servieren würde, wie er Strunks leisem und schlauem Werk nicht angemessen gewesen wäre. Dem war dann aber zum Glück nicht so. Pointenjagd blieb aus. Stattdessen kuckt sich der Film die handelnden Figuren einfach mal so an und überläßt die Ausdeutung dem Publikum. Finde ich ganz richtig so. Ich kann mir FLEISCH IST MEIN GEMÜSE recht gut als Doppelprogramm mit SCHULTZE GETS THE BLUES, einem gleichfalls sehr feinen Film, vorstellen. Wer also Schenkelklopfhumor erwartet, soll sich lieber mit dem Fernseher verbünden und die ihm zustehende Packung Frohsinn einfahren. Wer Charme, Wahres und Tröstendes bevorzugt, der halte sich an den Herrn Strunk. Ich habe jetzt auf jeden Fall richtig gute Laune und werde erst einmal meinen Morgenkaffee trinken!
P.S.: Der Herr Schamoni und der Herr Palminger sind auf dem Schützenfest zugegen.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#604
Geschrieben 06. November 2008, 15:25
Holla, die Waldfee...
Im privaten Miteinander bezeichne ich mich gerne mal als cineastischen Katastrophentouristen. Wann immer ein Ozeandampfer des Kinos havariert, stehe ich stumm und staunend am Ufer und bewundere die Allmacht der Natur, die des Menschen Eitelkeit ja doch gelegentlich auf ein erträgliches Maß reduziert. In manchen Fällen sind die Entgleisungen aber auch zu tragisch, als daß mein böses schwarzes Herz daran hämisches Vergnügen empfinden könnte. Die späten Filme Bela Lugosis fallen mir da ein. An HOLLYWOOD BABYLON bewunderte ich vor allem die Chuzpe der Macher, die Kenneth Angers Werk zu einem singulär schmierigen Sexstreifen umformulierten. Das darf man eigentlich nicht machen mit dem armen Ken. Seine Bücher gehören zu den meistgelesenen in meinem Haushalt. Und natürlich hat er die Verantwortlichen danach vor den Kadi gezerrt. Das ist durchaus verständlich, denn nicht nur wurde der populäre Titel seines ersten Holly Babys verwendet, sondern auch ausgedehnte Textpassagen, die von einem markanten Sprecher wie die TV-Werbung für einen Gebrauchtwagenhändler deklamiert werden. Faszinierend ist das Resultat aber doch, wobei auffällt, daß die Produzenten die Nennung von Namen weitgehend vermieden haben. Aber Kenner werden natürlich wissen, wer Rudolph Valentino, wer Marlene Dietrich und wer Clara Bow sein soll...
Ungefähr 50 Prozent des Filmes bestehen aus Archivaufnahmen. Daß dieses Material wesentlich interessanter anmutet als die Tittenszenen, versteht sich fast von selbst. Man bekommt z.B. zu sehen, wie die Filmgewaltigen Hollywoods die Hand von Zensurpapst Will Hays schütteln, wie Pola Negri gramgebeugt die Beerdigung von Valentino verläßt etc. Die eingestreuten Episoden sind von unterschiedlicher Qualität, wobei mir natürlich jene mit Deutschlandbezug besonders zugesagt haben. Was meint Ihr wohl, wer Marlene Dietrich spielt? Uschi Digart spielt Marlene Dietrich – genial! Wenn Bernd Eichinger vorher dieses Werkes ansichtig geworden wäre – wer weiß, wie sein Marlene-Film ausgesehen hätte? Uschi jedenfalls schwingt ihre gewaltigen Möpse, daß es nur so eine Art hat, und sie hat auch eine sadistische Lesbenszene mit Sandi Carey. Ihr Josef von Sternberg sieht aus wie ein schmieriger Pornoproduzent, der sich selbst auf die Schulter klopft, weil er gerade einem Provinzverleiher BEN HUR 2 angedreht hat. Ganz entzückend ist auch die Stroheim-Episode: „The Dirty Hun“ sieht genau so aus wie auf dem Foto im Anger-Buch, Reitstiefel, Monokel und Reitgerte, und natürlich läuft er in dieser Gewandung am Set herum und legt auch schon mal selbst Hand an, damit die stattfindenden Lustbarkeiten auch richtig flutschen. Die Story mit der Wiener Domina ließen sich die Filmemacher natürlich auch nicht entgehen. Der namenlose Schauspieler, der Erich sein Gesicht leiht, grimassiert hier bis zum Gottserbarmen. Nicht schlecht. Gemacht hat dieses die Unsterblichkeit nur um Spuckweite verfehlende Leinwandspektakel ein gewisser Van Guylder, der auch für den bei uns beschlagnahmten Roughie VIELE GESICHTER HAT DER TOD verantwortlich zeichnete. Mike Weldon identifiziert ihn als Sexfilm-Veteran Ed Forsyth, was stimmen mag oder auch nicht. Als Kuriosität ist HOLLYWOOD BABYLON in jedem Fall bestrickend, wenngleich die Sexanteile sehr zahm ausgefallen sind und der Vergleich mit Anger natürlich Blasphemie darstellt. Aber das Exploitation-Kino ist niemals eine Spielwiese für Feingeister gewesen, eher für Schmierlappen und Abzocker, und in dieser Hinsicht glänzt der Film durch große Direktheit. Jetzt nehme ich erst einmal eine erfrischende Dusche!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#605
Geschrieben 14. November 2008, 15:32
Mark Wahlberg hat im neuesten Film von M. Night Himalaya zahlreiche Momente, in denen er entgeistert und verständnislos in die Welt blickt, wann immer der Wind rauscht. Mir ist es ähnlich gegangen, als ich in der „Internet Movie Database“ nachschlug und feststellen mußte, daß der Film massiv abgestunken ist. Im Falle von LADY IN THE WATER (den ich auch mochte) kann ich das noch nachvollziehen, da jene Arbeit fast schon vorsätzlich an den Bedürfnissen der Kinogänger vorbeiinszeniert war. Bei THE HAPPENING wundert mich das baß, denn der Film ist vergleichsweise geradlinig und zugänglich, verkneift sich auch das Kaninchen aus dem Zylinder, das THE VILLAGE für viele ungangbar machte. M. Night Shyamalan („Wolle Rose kaufe?“) ist im gegenwärtigen Hollywood ein Marsupilami, ein Kuriosum, das kaum vorhersehbar war und trotz seiner eigenwilligen Produkte eine erstaunliche Lebensfähigkeit besitzt. Nennen wir es mal Hartnäckigkeit. Ich finde das gut, denn mir gefallen seine Filme sehr. Sie beharren auf einer Erzählweise, die die staunende Naivität eines Kindes mit einer sehr ausgefeilten Inszenierung verbindet. Zukünftige Filmwissenschaftler könnten sich z.B. mit der sehr interessanten Funktion des Raumes in seinen Werken befassen. Die Schauspieler werden immer auf sehr ausgefallene Weise in den Einstellungen positioniert, wirken wahlweise bedrängt oder verlassen, wie sie da in den Räumen herumstromern oder durch die Natur streifen. Ein Shyamalan-Film verrät genauso in jeder Einstellung seinen Regisseur, wie dies bei Doris Wishman der Fall ist, nur daß bei dem gebürtigen Inder Schuhe, Telefonkabel und dicke Titten keine so gewichtige Rolle spielen. Aber das kann ja noch kommen.
THE HAPPENING erzählt von einem kompletten Zusammenbruch der Zivilisation, der seinen Ausgang im New Yorker Central Park nimmt. Die Spaziergänger benehmen sich auf einmal sehr idiosynkratisch, reden wirres Zeug und begehen dann auf oftmals drastische Weise Selbstmord. Von den Baugerüsten im Umfeld springen reihenweise suizidale Bauarbeiter herunter. („It's raining men, hallelujah...“) Die Ereignisse werden zunächst als terroristische Anschläge etikettiert, aber schon bald deutet sich an, daß nicht Giftgas der Auslöser für die Selbstmordwelle ist, sondern ein unerklärliches Naturphänomen. Der Film konzentriert sich auf die Versuche eines Pärchens (Wahlberg und Zooey Deschanel), der Bedrohung zu entfliehen, aber wo immer sie hinkommen, liegen tote Menschen. Und da man nicht genau weiß, was die Katastrophe verursacht hat – ein Gas? Aliens? fehlgeschlagene Regierungsexperimente? –, kann jede eingeschlagene Richtung den üblen Tod bedeuten...
Wenn man auf eine schlüssige Erklärung Wert legt, läuft man auch bei diesem Film sauber auf, denn es geht natürlich nicht um Logik. Es wird angedeutet, daß die Natur sich gegen ihre Vergewaltigung durch den Menschen wehrt, daß Atomkraftwerke auf bislang ungeahnte Weise den Tod bringen, daß die Regierung Mist gebaut hat. Vielleicht ist es auch einfach nur der Selbstzerstörungstrieb des Menschen, der durch Neurotransmitter in den Overdrive geschickt worden ist. Ist auch völlig egal. Wie immer bei dem netten Inder geht es um Menschen, die den Bezug zueinander verloren haben. Das scheint auf in der gestörten Beziehung von Wahlberg zu seiner Frau; das scheint auf in der Bereitwilligkeit der meisten Menschen, ihre Mitbürger dem sicheren Tod zu überantworten, sobald der eigene Arsch in die Schußlinie gerät. In einer Szene ballert ein verängstigter Hillbilly zwei relativ unnervige Kinder mit einer Schrotflinte über den Haufen, weil „das Giftgas“ nicht in sein Haus gelangen soll. Logiker Wahlberg fahndet die ganze Zeit über nach einer Bedeutung, beruft sich auf Statistiken, mit denen das Phänomen irgendwie in begreifbare Dimensionen gerückt und somit erträglich gemacht werden kann. Doch die Logik hilft immer nur im Moment, wenn es darum geht, in welche Richtung man seine Schritte lenken soll. Die Menschen haben verlernt, sich auf ihre Gefühle zu verlassen, der Irrationalität des Daseins Rechnung zu tragen. In früheren Filmen wirkt das bei Shyamalan fast ein wenig frömmelnd, doch ich denke, daß er der richtigen Sache auf der Spur ist. Der „Stimmungs-Ring“ (ein Scherzartikel, der bei jedem Träger seine Farbe wechselt, was dann immer „etwas“ zu bedeuten hat) ist ein typisch humorvolles, oberflächlich plakatives, aber irgendwie auch ganz listiges Symbol, mit dem der Regisseur die Hilflosigkeit der Menschen andeutet. Und ja, während ich bei SIGNS mit eben diesem Humor noch meine Probleme hatte, gefällt er mir mittlerweile richtig gut. Der macht schon sehr eigenwillige Sachen, der Mann.
Neben THE SIXTH SENSE und vor allem UNBREAKABLE gefällt mir diese Weltuntergangsfantasie bisher am besten unter den Gipfelstürmereien des Herrn Himalaya. Und anders als im Falle des iranischen Ministerpräsidenten kann ich mir inzwischen sogar seinen Namen merken...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#606
Geschrieben 29. November 2008, 14:18
In Alex de la Iglesias erstem auf englisch gedrehten Film spielt Elijah Wood den jungen Amerikaner Martin, der seine überdurchschnittliche Intelligenz in den Dienst der Denkfabrik Oxford stellen will. Zur Unterkunft logiert er sich bei Mrs. Eagleton ein, der Witwe eines berühmten Dechiffrierexperten. Martins großer Wunsch ist es, von dem Philosophieprofessor Seldom (John Hurt) unter die Fittiche genommen zu werden. Und das, obwohl beide höchst unterschiedliche Denkweisen vertreten: Während der junge Mann davon überzeugt ist, daß alles, was im Leben stattfindet, nach logischen Strukturen verläuft und vorherbestimmbar ist, hat Seldom alle diesbezüglichen Flausen fahren lassen und erkennt außerhalb der Mathematik keine allgemeingültigen Wahrheiten mehr an. Bei einer Buchvorstellung führt Martin eine Begegnung mit seinem Idol herbei. Als sie sich wiedertreffen, geschieht dies an der Leiche von Mrs. Eagleton, die mit einem Kissen erstickt worden ist. Zwischen den beiden Männern entsteht eine höchst eigenartige Vater-/Sohn-Beziehung, und damit beide ihre jeweiligen Standpunkte erforschen können, setzt es noch einige Leichen...
Das ausgesprochen gute Drehbuch von THE OXFORD MURDERS (das der Regisseur zusammen mit seinem häufigen Mitverschwörer Jorge Guerricaechevarría geschrieben hat) verwandelt einen simplen Kriminalfall in ein intellektuelles Puzzlespiel, dessen zentrale Figuren beständig an den Gesetzen herumfeilen, die die Welt bestimmen. Der untersuchende Inspektor Petersen ist dabei in seiner Eigenschaft als unterbezahlter Beamter grenzenlos überfordert. Dies galt scheinbar auch für viele Zuschauer, denn die Bewertung in der IMDb ist eher verhalten, was wohl auf die Dialoglastigkeit des Filmes zurückzuführen ist. Die Dialoge sind allerdings wirklich geistreich und machen das Puzzlespiel zwischen Hurt und Wood zu einer sehr genießbaren Angelegenheit. THE OXFORD MURDERS erlaubt sich dabei auch einige schwarzhumorige Schlenker, die dem Thema durchaus angemessen sind, geht es doch um unseren guten alten Freund, die Irrationalität des Menschen. Es setzt einige gehörig artifizielle Wendungen, die allerdings ebenfalls sinnvoll sind im Rahmen der Geschichte, denn die klassische Krimikonstruktion – die Suche nach dem Motiv und der moralischen Bewertbarkeit des Verbrechens – erweist sich zunehmend als Absurdion, das sowohl Tragödie als auch Komödie in seinem Fahrwasser trägt. Am Schluß setzt es dann noch den Gnadenhammer. Bleibt zu klären, warum sich in Wood sofort nach seiner Ankunft gleich zwei schöne Frauen verkucken. Es müssen wohl seine Augen sein...
Samten inszeniert. Schöner Soundtrack. Lohnt sich!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#607
Geschrieben 08. Dezember 2008, 15:10
Ein paar junge Leute auf Südamerikaurlaub lassen sich von einer deutschen Bekanntschaft dazu überreden, an ihrem letzten Reisetag eine der unbekannteren Maya-Ausgrabungsstätten zu besichtigen. Dies soll sich als Fehler herausstellen, denn sie treffen dort einige unleidige Indios, die erst einmal einen von ihnen erschießen. Ein weiteres Mitglied der Reisegruppe wird schwer verletzt. Gemeinsam flieht man auf die Spitze einer Pyramide. Doch die Pyramide hat es in sich...
Eine TURISTAS nicht unähnliche erzkonservative Horror-Fantasie, in der das Böse im Ausland anzusiedeln ist. Zwar versteht man die Beweggründe der Indios, die den jungen Touristen das Leben schwermachen, bei fortschreitender Laufzeit immer besser, aber unterm Strich hat man das Gefühl, daß der Hauptfehler der Protagonisten darin besteht, daß sie sich an einen Ort begeben haben, an dem sie nichts zu suchen haben. Bleibe zu Hause und nähre dich redlich. Das bewerte ich nicht einmal negativ, denn im Horrorgenre geht es schließlich meistens um die Aktivierung von Universalängsten, die ja meistens infantiler Natur sind. Das Konzept des Anderen verstehen und schätzen zu lernen, ist schließlich ein Zeichen von Reife, und was für Horrorfilme will man aus solch einer Reife schon schnitzen? Da der Drehbuchautor vorher Sam Raimis feinen EIN EINFACHER PLAN geskriptet hat, gehe ich mal davon aus, daß ein Dialogsatz wie „Vier Amerikaner können nicht einfach während eines Urlaubes verschwinden!“ (bei dem ich laut gegröhlt habe) wahrscheinlich eher ironisch gemeint ist und eben diese Xenophobie milde vergackeiert. Bei den jungen Leuten handelt es sich im übrigen um 1a-Horrorkino-Kanonenfutter: eine blonde Schickse, eine dicht am Wasser gebaute und ständig herumgreinende Rotbrünette, ein blonder Surfertyp, ein schmallippiger Medizinstudent. Der Deutsche ist noch so ein Extremsport-Hansel, dem ich ein baldiges Ableben gewünscht habe. Allzuviel verraten will ich nicht, aber es geht um dämonische Pflanzen, die eindeutig Florian Fleurops grünen Daumen überfordert hätten. Einige Einfälle des Drehbuchs sind zwar kasperig, haben mir aber trotzdem irgendwie gefallen. So sind die Pflanzen in der Lage, Geräusche nachzuahmen und durch Vibrieren ihrer Blütenstengel einige Verwirrung zu stiften. (Klingelnde Pflanzen? I love it!) Die Freigabe ab 16 wird munter ausgereizt. So bekommen anatomisch Interessierte u.a. eine Beinamputation ohne Betäubung mit anschließender Kauterisierung geboten. Das tut weh, glaube ich, vor allen Dingen, wenn die komplizierte Operation mit einem kleinen Taschenmesser durchgeführt wird... Der Regisseur war vorher Modefotograf, was ich recht niedlich finde. Als Kameramann kann er sich immerhin auf Darius Khondji verlassen, der eine Menge für Jeunet & Caro oder David Fincher gearbeitet hat. Leidlich spannend. Habe schon bedeutend Schlechteres gesehen, aber mehr als einen kleinen Horrorheuler für den Sonntagnachmittag sollte man nicht erwarten.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#608
Geschrieben 10. Dezember 2008, 13:49
In diesem 1914 entstandenen Film spielt Charlie Chaplin einen Bühnenhelfer, der sich mit schweren Koffern abplagt und eine Aufführung in einem Vaudeville-Theater zu einem Fiasko werden läßt.
Ein menschenverachtendes Machwerk, das sich oberflächlich mit menschlichen Konflikten befaßt, die anhand des sozialen Brennpunktes Theater aufgezeigt werden, tatsächlich aber eine Orgie der Zerstörung und Niedertracht anbietet. Im Zentrum der „Spielhandlung“ (die diesen Namen nicht verdient!) steht einzig und allein die Entwürdigung eines älteren Mitarbeiters, die dieser durch den ungebremsten Sadisten Chaplin über sich ergehen lassen muß. So muß sich der Greis ungezählte Male ins Gesicht treten lassen, offensichtlich zum Gaudium des angestrebten Zielpublikums. Der Film entstand während Chaplins Anfangsphase bei Mack Sennett, der auch einen kleinen Gastauftritt als indignierter Theaterbesucher absolviert. Den späteren humanistischen Bestrebungen des vermeintlichen „Genies“ Chaplin spricht dieser Absud Hohn und entlarvt die Essenz der sogenannten Chaplinaden als Sichsuhlen in abstoßender Kraftmeierei von unangenehm sozialdarwinistischem Charakter. In beispielhafter Form werden die Ursprünge der Gewalt aufgezeigt, die als Resultat sozialer Deklassierung (=Chaplins Katzbuckelei vor seinem dicken Chef) und sexueller Frustration (=Chaplins Bemühungen um eine schöne Hupfdohle) erscheint. Diese Einsichten werden aber nicht zu einem reifen Lernprozeß geführt, sondern münden in schnöder Regression und brutalen Kampfhändeln. Besonders auf den Alten und Gebrechlichen wird diese Hackordnung formuliert, im wahrsten Sinne des Wortes auf deren Rücken, wie das Beispiel des gebeutelten Greises zeigt. So gibt es eine Sequenz, in der Chaplin dem Alten eine viel zu schwere Kiste aufnötigt, genüßlich dabei zusieht, wie dieser unter der Last zusammenbricht und sich dann noch oben auf die Kiste setzt, um seinen miesen Triumph weidlich auszukosten. Zusätzlich traktiert er das Gesicht des Senioren mit derben Tritten. Die widerwärtige Konsequenz ist die völlige Demütigung des Menschen zum Lustgewinn des kindlich aggressiven Sadisten, dessen infantile Allmachtsfantasien ein zynisches Zerrbild der Realität anbieten. THE PROPERTY MAN ist ein ekelerregendes Schauspiel von mieser Gesinnung, das Gewalt als Problemlösung aufdrängt und in seiner aus allen anderen Lebensbezügen herausgelösten Fixierung auf dumpfe Instinkte gerade auf die heranreifende Jugend zutiefst verrohend und sozialethisch desorientierend wirken kann. Ich fordere daher eine sofortige Beschlagnahme dieser Abscheulichkeit!
Bearbeitet von Cjamango, 10. Dezember 2008, 13:50.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#609
Geschrieben 12. Dezember 2008, 14:21
Einer der ersten Filme, die Charles Chaplin für Mack Sennett machte. Aus heutiger Sicht enorm faszinierend zu betrachten, zumal man Chaplin ja meistens mit seinem später zunehmend sentimental konnotierten Tramp-Charakter verbindet. Als Kind hatte ich – als eingeschworener Laurel-und-Hardy-Fan – gegen Chaplin eine ähnlich intuitive Abneigung wie gegen Micky Maus. Letztere ist mir, im Gegensatz zu den freundlichen Enten, als unangenehm altklug erschienen und als aufgeblasener Erfolgsmensch – ein kleiner Klugscheißer, mit anderen Worten. Das empfinde ich noch immer so. Anders verhält sich das mit Chaplin: Bei den jüngst erfolgten Sichtungen fast des Gesamtwerkes des Herrn C. durfte ich feststellen, daß die meisten Filme intelligent, ungemein gekonnt und tatsächlich ziemlich komisch sind. Zudem sind die Wurzeln des Tramp-Charakters ausgesprochen interessant, da Chaplin in seinen frühen Sachen meistens ein versoffenes, asoziales Wrack von Mensch spielt, der seinen Mitmenschen mit viel kindlicher Aggression nur Böses wünscht und tut. Er wirkt dabei wie ein befreiender Kastenteufel, der sich gegen verstaubte Konventionen wehrt und der Vorstellung vom Menschen als der „Krone der Schöpfung“ zuleibe rückt. Dabei tritt er halt eben auch Frauen, Kinder und Krüppel, aber das liegt halt in seiner Natur. Ziemlich brutal, übrigens, diese frühen Chaplinaden. Das würde man heutzutage anders lösen.
KID AUTO RACES AT VENICE ist ein hübsches Beispiel für die Arbeitsweise von Sennetts „Keystone Company“: Wann immer ein Häuserbrand oder ein anderes Großereignis anstand, packte man schnell die Kameras und Schauspieler ein und improvisierte Spaßiges vor Ort, somit Produktionswerte vortäuschend, die die Filme nicht besaßen. In diesem Fall geht es um ein Autorennen für Kinder (so 'ne Art Seifenkistenrennen), das als pittoresker Hintergrund herhalten muß. Eine Handlung gibt es nicht, nur eine Situation: Chaplin (bereits in seinem Tramp-Kostüm, aber extrem verlottert wirkend) ist ein aufgeblasener Hajupei, der immer versucht, sich vor die Kameras der anwesenden Sennett-Leute zu schieben. Das ist wirklich alles, was in dem Film zu sehen ist. Mit immer neuen Tricks versucht er, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das hat in seiner Reduziertheit und Pointenlosigkeit etwas von Helge Schneider. Toll daran ist, daß Chaplin so komplett unsympathisch rüberkommt. Er ist einfach nur ein arroganter Hanswurst, der grimmig schaut und offensichtlich nichts Spektakuläres an sich hat – er will nur „groß rauskommen“. Dafür kassiert er einige Arschtritte, versucht es aber immer wieder. Natürlich versaut er den Kameramännern des Sennett-Teams alle Aufnahmen, wird aber auch übel vermöbelt. Der Film dauert leider nur 8 Minuten (oder so), aber das hätte ich mir stundenlang ansehen können – großartig! Chaplin muß ich echt Abbitte leisten...
Bearbeitet von Cjamango, 12. Dezember 2008, 14:22.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#610
Geschrieben 28. Dezember 2008, 14:23
THE PLAGUE (auch hochstaplerisch als CLIVE BARKER'S THE PLAGUE angepriesen, obwohl Clive hier lediglich produziert und mit der Story gar nichts zu schaffen hatte) geht von einer ungewöhnlich guten Prämisse aus: Überall auf der Welt fallen die Kinder unter einem gewissen Alter simultan in ein Koma, das nur dann & wann von Schüttelkrämpfen unterbrochen wird. Da nur wenige Junioren aus unbekannten Gründen dieser Erscheinung entkommen sind, muß man sich um den Fortbestand der Menschheit ernsthafte Sorgen machen. Dies umso mehr, als die Komapatienten nach zehn Jahren aus dem Koma erwachen und deutliche Anzeichen ungehemmter Aggression an den Tag legen. Eine kleine Gruppe von Erwachsenen setzt sich gegen die juvenilen Unholde zur Wehr...
VILLAGE bzw. vor allem CHILDREN OF THE DAMNED fallen einem da ein. Auch der spanische TÖDLICHE STRAHLEN AUS DEM WELTALL kommt in den Sinn. THE PLAGUE entwickelt die Story durchaus akzeptabel im Stile eines modernen Zombiefilmes „mit was extra“, wobei auf Blutstürze weitgegend verzichtet wurde. (Der Film war ursprünglich für das Fernsehen gedacht.) Die Charakterisierungen liegen eindeutig über dem Durchschnitt: Bei dem Helden etwa handelt es sich um einen ehemaligen Knacki, der einen folgenschweren Fehler begangen und jetzt mit den Folgen seiner Schuld zu kämpfen hat. Die Dialoge sind einigermaßen ernstnehmbar, wie auch der ganze Film durch wohltuenden Verzicht auf Flapsigkeit auffällt. Die Darsteller sind okay, die Inszenierung simpel, aber effektiv, die Story spannend entwickelt. Als irregleitet erweist sich einmal mehr das Ende, das zwar gut gemeint ist und dem Zuschauer einiges an Nachdenken abverlangt, aber man fragt sich wirklich, wie viele Zuschauer in der Lage sind, Parallelen zwischen einem Böse-Kinder-Schocker und John Steinbecks „Früchte des Zorns“ herzuleiten. Ich kann niemandem böse sein, der es vorgezogen hätte, wenn die ganze Brut von der Army weggeballert worden wäre. Es kommt jedoch anders, und zwar so unterannonciert, daß es so manchen in der Luft hängenlassen wird. (Tip: Es ist nicht ganz unbedeutend, daß die Kinder alles simultan lernen. Wenn also eines etwas lernt, dann wissen es alle. Bettina meinte nur, so etwas würde sie sich für ihre Schulklassen wünschen...) Ich halte die Bewertung in der IMDb trotzdem für zu niedrig. Gemessen an dem Gullyglibber, den ich in letzter Zeit zu sehen bekommen habe, fand ich THE PLAGUE zumindest sehr erfreulich und unterhaltsam. Seine Ambitionen in letzter Minute grenzen an Größenwahn und riechen auch etwas nach religiösem Kitsch, aber damit konnte zumindest ich gut leben.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#611
Geschrieben 28. Dezember 2008, 14:27
Uffa. Die Ausgangssituation erinnert mehr als nur ein klein wenig an SAW: Einige Menschen werden gekidnappt und finden sich in einem Keller wieder, wo ihnen lustige Super-8-Filme vorgespielt werden, die mit ihren jeweiligen Sündenfällen zusammenhängen. Eine junge Polizeibeamtin wird in die Sache mit hineingezogen und muß erkennen, daß sie tief in die Angelegenheit verstrickt ist. Und zu guter Letzt geht es auch noch um einen Dämon namens Baalbereth, der sich für seine gegenwärtige Inkarnation den Körper eines lustig überchargierenden Hausmeisters ausgewählt hat...
Kanadischer Grusler, der seine grundsätzlich simple Geschichte um Schuld und Sühne ziemlich umständlich erzählt. Ein Hauptmerkmal von Mystery-Thrillern ist es seit jeher, den Zuschauer über längere Strecken im Dunkeln tappen zu lassen. Diese Form von Erzählstruktur erfordert aber unbedingt, daß man – entweder durch Attraktionen jedwelcher Art oder interessante Situationen – „bei der Stange gehalten“ wird. Ansonsten setzen sehr bald Frustration und Ungeduld ein, welche ein für den Filmgenuß überaus unbekömmliches Geschwisterpaar bilden. Während THE ENTRANCE für sein niedriges Budget recht akzeptabel inszeniert ist, vertraut das Drehbuch zu Unrecht auf „atmosphärische“ Szenen, die das Werk aber eher in Richtung „Krauchkino“ befördern, wie ich das immer nenne. Da der Film wortkarg ist, fehlen zumindest Sprüche wie „Ich mache das verdammte Spiel nicht mehr mit!“ etc. Zudem begeht der Film am Schluß noch die Kardinalssünde, den Betrachter mit einem verwirrenden und vieldeutigen Ende zu entlassen, eben von jener Art, wie sie lediglich wirklich interessanten und überzeugenden Arbeiten zuzugestehen ist. Ansonsten fühlt man sich einfach nur behumst und macht seiner Enttäuschung Luft, etwa durch Lippenfürze, wegwerfende Handbewegungen oder einfach nur „Hä? Das war's?“
Kurzum: Kann man sich schenken. Nicht ganz schlecht, aber schwachbrüstig.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#612
Geschrieben 28. Dezember 2008, 14:29
Und dieser Film ist richtig schlecht!
Worum geht's? Eine junge Frau, die vielleicht zwei Jahre von der Partizipation an der Sexseite „Suicide Girls“ entfernt scheint, arbeitet als Reinigungskraft in einem Beerdigungsinstitut mit angeschlossener Pathologie. In der Nacht auf ihren Geburtstag geht's da zu wie auf dem Kölner Hauptbahnhof zur Stoßzeit: Zuerst trabt eine dreiköpfige Familie mit äußerst unsympathischem Papa an und danach noch zwei Hooligans, von denen der eine am Verbluten ist. Gruftie Margo muß allen Leuten helfen, was aber entschieden kompliziert wird durch das Auftauchen eines unheimlichen Mörders mit Kapuze. Hierbei scheint es sich um den Geist eines gewissen Horace zu handeln, der in eben jenem Institut vor Jahren grausigen Selbstmord begangen hat. Die Nacht wird sehr lang...
Und damit wären wir auch schon beim einzigen Pluspunkt des Filmes, den er sich mit den meisten Horrorschnellschüssen teilen kann, die den DVD-Markt überschwemmen: Er ist schön kurz. War die Storyführung von THE ENTRANCE bereits konfus, so erweist sich der Drehbuchautor von THE MORGUE als restlos überfordert. Es reicht nicht, erst spät im Film vorangegangene Szenenkomplexe, die scheinbar sinnlos den Handlungsfluß unterbrachen, aufzudröseln, wenn man als Zuschauer bereits bodenlos gelangweilt in den Seilen hängt. Das ist einfach Murks. Sowohl die beiden (brasilianischen) Regisseure als auch die Autoren haben sich eindeutig mehr abgebissen, als sie schlucken konnten. Die eigentlich ganz interessante Grundstruktur hätte man zu einem akzeptablen Horror-Kammerspiel in morbider Umgebung formen können. Was herauskommt, ist ein nerviges Herumgehampel unsympathischer Figuren, die sich zudem fortwährend benehmen wie die Narren. Warum beispielsweise kaum jemand das Naheliegendste in dieser lebensbedrohenden Lage in Erwägung zieht – sich nämlich zu bewaffnen! –, das verstehe, wer will. Die Gruftiemieze sieht schniek aus und spielt zumindest akzeptabel, während die restlichen Darsteller irgendwo zwischen Mittelmaß und Amateurstümperei rangieren. Ein besonderes Ärgernis ist wieder einmal das Ende, da die ganze Mär auf eine in den letzten Jahren deutlich überstrapazierte Wendung hinausläuft, die ich zwei oder drei Filmen durchaus zugestehen möchte, aber irgendwann ist auch gut. Wenn sie zum x-ten Male aus dem Hut gezaubert wird wie das Ei des Kolumbus, so wirkt das einfach nur noch hanebüchen.
Nulpenparade.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#613
Geschrieben 28. Dezember 2008, 18:09
Es ist nicht das Jahr der jungen Koreanerin Ka-in. Sie trägt sozusagen das Ka-inszeichen auf der Stirn. (Hrrrchchch...) Der Ärger nimmt seinen Anfang, als eine ihrer Tanten ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag von einem Balkon gestoßen wird. Daraufhin wird besagte Tante auch noch von einer anderen Tante fachgerecht im Krankenhaus tranchiert. Wie es scheint, ist dies nicht der erste gewaltsame Zwischenfall zwischen Mitgliedern von Ka-ins Familie. Ein Fluch soll dafür verantwortlich sein. Auch der jungen Frau gegenüber werden Freunde und Bekannte zunehmend aggressiver, bis sie schließlich sogar das Ziel einiger Mordversuche wird – was einst lieb und vertraut war, fletscht auf einmal die Zähne und entwickelt Schaum vor dem Mund. Auf der Suche nach der Ursache des Fluches findet Ka-in heraus, daß die Wut lange zurückreicht...
Eindeutig einer der besseren asiatischen Horrorfilme der letzten Jahre, der mich zu einer Zeit erwischte, als ich das dortige Thrillerkino schon fast abgeschrieben hatte. Neben herausragenden Arbeiten wie RING, JU-ON, SHUTTER oder A TALE OF TWO SISTERS gab es dann eben doch eine große Flut an trittbrettfahrendem Schmonzes, dessen klingelnde Handys, gutturale Lautäußerungen und in weiße Kleider gehüllte Geistermädchen mit langen schwarzen Haaren nur selten mehr Schauder erzeugen wollten. Manche der Filme waren nett oder zumindest hinreichend geschmacklos (GONG TAU, TODESLAGER S-11), aber im Regelfall herrschte Ernüchterung vor. SOMEONE BEHIND YOU nun ist ein visuell ungewöhnlich eleganter Film, der sich im wesentlichen mit Schuld & Sühne beschäftigt und inwieweit dieses Thema einem irgendwann karmisch um die Ohren klatscht. Die Universalangst, derer sich der Film bedient, ist eine alte, wenngleich vom modernen Horrorkino leider etwas vernachlässigte – daß sich alles, was da gesichert, vertraut, geliebt scheint, ratzfatz zusammenbricht und sich in eine Horrorfratze verwandelt. Und während der Film sicherlich auch seinen Teil an oberflächlichem Horrortrara bemüht, so entsteht die Spannung doch sehr aus der immer enger werdenden Situation der Heldin, die in komplette Desorientierung getrieben wird – jeder kann auf einmal ausrasten. Ist sie selbst es, die Unglück und Tod über die Leute bringt, gerade solche, die sie sehr liebt? Oder wohnt der Butzemann auch woanders und gebiert Unheil? SOMEONE BEHIND YOU ist vielleicht kein Meisterwerk, aber definitiv besser als die 4.9 Punkte, die ihm derzeit von der IMDb zugeschanzt werden. Hat mir sehr gefallen.
Bearbeitet von Cjamango, 28. Dezember 2008, 18:11.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#614
Geschrieben 28. Dezember 2008, 20:33
Die Story ist nicht ganz unbekannt: Vier „happy camper“ begeben sich in gefährlich abgasfreie Landluft, um im finsteren Tann ein Naturerlebnis einzufahren. Das geschieht denn auch, aber anders als geplant: Eine Anhalterin, dicke Hillbillys, Schrotflinten, Stacheldraht, Schmutz, Blut und Nahkampfmesser der eher unangenehmen Sorte versauen die Ferientour nachhaltig...
Eine norwegische Hardcore-Version von DELIVERANCE. Hat das die Welt gebraucht? Warum nicht? Es gibt mittlerweile Klobrillen, die Musik spielen. Den Turbonegern hat der Film bestimmt gefallen, und ich gestehe – mir auch. Abgesehen davon, daß kein Backwoods-Klischee unberührt bleibt, präsentiert der Film seine Versatzstücke mit heiligem Ernst, so, als sei das Genre gerade erst erfunden worden. Im Gegensatz zu amerikanischen Filmen sind die handelnden Personen keine dummschwätzenden Nullen, sondern glaubhafte Menschen, die auch in ihrer Gruppe bereits über interne Spannungen verfügen. Spannungen, die aber schon recht bald in den Hintergrund getreten werden, wenn eben die dicken Hillbillys kommen. Im Original muß es sich um ein ziemliches Blutbad gehandelt haben. Der Film wird im Netz als zweifellos härtester norwegischer Film aller Zeiten gehandelt. Die deutsche Fassung läßt darüber nur noch Spekulationen zu, wenngleich ich zugeben muß, daß mir nur zwei Schnitte aufgefallen sind. Die anderen sind wohl recht geschickt ausgeführt worden. Auch zensieren will halt gelernt sein. Die dreieinhalb Minuten kürzere Fassung, die hierzulande erhältlich ist (zumindest die Verleih-DVD; die Kauf-DVD wird noch mehr gekürzt sein) ist immer noch knüppelhart, was aber nicht an den – weitgehend zurückgenommenen – Blutstürzen liegt, sondern an der ungemein realistischen Atmosphäre, die minutiös Minuten im Leben einiger norwegischer Twens schildert, die zweifellos nicht zu ihren schönsten zählen. Ich weiß nicht, ob die Macher dem semiprofessionellen Lager zuzuordnen sind, aber ROVDYR ist exzellent gemacht, und auch die Schauspieler liefern durchweg ordentliche Leistungen ab. Möglicherweise hätte mir ein Mehr an Blutrunst auch den Film verdorben, ich weiß nicht. Am schockierendsten fand ich persönlich eine Szene, in der eine der Protagonistinnen jeden Edelmut über Bord wirft und sich eigentlich völlig hinterletzt benimmt. Der Glaubwürdigkeit des Filmes ist das aber durchaus zuträglich, denn wenn die Panik regiert, wird der Kapitän häufig zum Schiffsjungen. Die Musik stammt von Simon Boswell, der Fans von Italoploitation-Filmen der 80er ein Begriff sein sollte.
Ich bin übrigens einmal in Norwegen gewesen und habe dort keine dicken Hillbillys gesehen. Es dominierten die Fjorde und die majestätischen Elche. Oder haben die Nordmänner mir was verschwiegen? Hmmh...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#615
Geschrieben 01. Januar 2009, 21:20
Der Präsident der Vereinigten Staaten soll in Salamanca eine Rede halten, die die Bereitschaft sowohl westlicher als auch arabischer Staatsoberhäupter zum gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus fördern und eine neue Ausrichtung der Terrorbekämpfung einleiten soll. Bevor er seine Rede halten kann, wird er von einem Attentäter mit Schüssen niedergestreckt. Einige Bomben explodieren. Helle Aufregung allenthalben. Der nervlich angeschlagene Geheimdienstmann Barnes will die Täter zur Strecke bringen und erlebt eine aufregende Stunde...
Ein Hochglanz-Gimmick-Thriller, in dem man mit Stars nur so zugepölsert wird: Dennis Quaid als Barnes, William Hurt als Präsident, Forest Whitaker als Tourist, Sigourney Weaver (weitgehend verschenkt) als TV-Regisseurin... Das erzählerische Konzept ist zu gleichen Teilen dem japanischen Film RASHOMON entlehnt als auch der Serie „24“: In minutiöser Weise werden die Ereignisse rund um den Anschlag aus 8 verschiedenen Erzählperspektiven geschildert, die dem relativ klar und simpel erscheinenden Attentat immer neue Dimensionen der Kompliziertheit hinzufügen. Wie in Hollywoodfilmen üblich, wird diese Kompliziertheit durch hochkalibrige Actionszenen, die eindeutig James-Bond-Territorium betreten, klangvoll beseitigt. Mit einem intelligenten Politthriller hat man es hier beim besten Willen nicht zu tun. Dazu wimmelt es zu sehr vor Klischees und erzählerischen Kunstgriffen, die die Gutgläubigkeit des Zuschauers strapazieren. Da der gerade mal 80 Minuten lange Film aber fast durchgehend rattenspannend ist und die „Cliffhanger“ vor den jeweiligen Perspektivwechseln den Vergleich zu ihren Kollegen aus „24“ nicht zu scheuen brauchen, war mir das bei VANTAGE POINT ziemlich wurscht. Zudem ist die Konstruktion des Ganzen erzählerisch recht geschickt bewerkstelligt, so daß man einen Kessel Buntes für sein Geld bekommt, und dies in höchst ansprechender technischer Gewandung. Ob das Gimmick des Perspektivwechsels dafür jetzt zwingend notwendig gewesen wäre, möchte ich dahingestellt sein lassen. War aber wirklich spannende Unterhaltung, vergleichbar etwa mit OPERATION KINGDOM, nur wesentlich gewaltärmer.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#616
Geschrieben 09. Januar 2009, 16:57
Manchmal trifft man auf Filme, denen man beim besten Willen nicht nachsagen kann, sie wären gut gemacht, aber aus irgendeinem Grund schließt man sie sofort ins Herz. THE CRIME OF DR. CRESPI ist solch ein Film!
Die Story bedient sich eines ähnlichen Aufhängers wie Universals im selben Jahre hergestellter THE RAVEN: Als ein namhafter Arzt bei einem schlimmen Autounfall schwer verletzt wird, bittet dessen Frau den Chefchirurgen André Crespi (Erich von Stroheim) um seine Mithilfe, da nur er ihren Gemahl retten kann. Crespi ziert sich ein wenig, da ihm der verunglückte Dr. Ross einst die Geliebte stahl, bevor er schließlich einwilligt. Tatsächlich trägt der nach außen hin gutherzige Crespi einen finsteren Plan in seinem Busen: Er injiziert Ross eine jener in Horrorfilmen dieser Art so populären Wunderdrogen, die den gehaßten Konkurrenten in einen todesähnlichen Zustand versetzt. Wie er dem stocksteifen Ross in einer wundervollen Szene diabolisch gackernd mitteilt, wird dieser seine eigene Beerdigung miterleben und schließlich im Sarg die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangen. Aber nicht alles läuft wie geplant...
Das erste Drittel von THE CRIME OF DR. CRESPI spielt fast vollständig in Crespis Büro. Später dann kommen noch einige Studiokorridore und diverse angedeutete Fahrstühle etc. dazu. Der Film hätte um meinethalben aber auch vollständig an der Wirkungsstätte des brillanten Mediziners spielen können, denn was Erich von Stroheim hier abzieht, ist schlicht unbegreiflich! Der bedeutende Regisseur wird seine Rolle kaum ernstgenommen haben, denn was ist schon ein „poverty row“-Schmalspurhorror im Vergleich zu seinen eigenen kastrierten Meisterwerken wie GREED oder QUEEN KELLY? Während der Großteil von DR. CRESPI sich irgendwie selbst inszeniert zu haben scheint – es gibt genau zwei ordentlich gestaltete Sequenzen, nämlich Crespis höhnische Ansprache an die „Leiche“ und später die Beerdigung –, so muß Regisseur Auer bei den Sequenzen mit seinem Star das Studio verlassen haben, um sich eine Stulle zu schmieren, denn Regieanweisungen wird „Von“ keine erhalten haben. Während sich Bela Lugosis bevorzugte Form des Schmierens meistens in süffisant ausgekosteten Dialogzeilen darstellte, gelingt es von Stroheim mit einer geradezu an Bill Murray erinnernden Genialität, selbst dialogfreie Passagen zu Sternstunden des Kinos zu machen. Unterstützt wird er dabei von einem sagenhaft bizarren Timing, das nicht nur ihn, sondern auch seine Nebendarsteller gelegentlich völlig im Raum hängen und völlig sinnfreie Sachen erledigen läßt, die auch vom völligen Verzicht des Filmes auf eine Hintergrundmusik in ihrer Merkwürdigkeit noch verstärkt werden. So erhält Crespi einen alarmierenden Anruf in bezug auf Dr. Ross, was Erich dazu veranlaßt, sich erst einmal ausgiebig an der Nase rumzufummeln. (Macht er öfter!) Mit großartiger Geste zündet er sich ausführlichst eine der vielen Zigaretten an, die er in dem Film raucht. Dann grimassiert er ein wenig und schreibt eine halbe Minute lang irgendwas auf ein Blatt Papier. Ich habe heulend und winselnd vor dem Fernseher gekniet – großartig! Auch hat Dr. Crespi den guten Geschmack, als Dekoration ein Baby- oder Zwergenskelett auf einem Schrank aufzubewahren, das häufig ins Bild gerückt und in einer besonders hübschen Einstellung von Crespi jovial angestupst wird. Von Stroheims Diktion ist – anders als bei Lugosi – extrem zurückgenommen und ruhig, was seine gelegentlichen cholerischen Anfälle noch brachialer erscheinen läßt. In einer Szene drischt er dem unglücklichen Dwight Frye voll eine ins Gesicht, was ziemlich echt ausschaut. Seine Augen blicken meist traurig drein wie ein Bassett, der seinen Gummiknochen verloren hat. Mit kleinsten Bewegungen sorgt der Mann für Panik, wenn er zum Beispiel väterlich der Krankenschwester seine Hand auf die Schulter legt. Eine unglaublich intensive Darstellung. So etwa muß es sich anfühlen, wenn einem Udo Kier die Hand aufs Knie legt und einem direkt in die Augen schaut. (Ist einem Freund von mir passiert!) Kurzum, der Film steht und fällt mit Erich von Stroheim, der demonstriert, was passieren kann, wenn man einen Schauspieler einfach mal so machen läßt. Ich finde den Film großartig!
Bearbeitet von Cjamango, 09. Januar 2009, 17:01.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#617
Geschrieben 12. Januar 2009, 21:00
Und wieder was über Kino gelernt...
Im Londoner Limehouse-Distrikt lebt ein Chinese („The Yellow Man“, wie ihn der Untertitel nennt), der ein bescheidenes Dasein fristet als Krämer. Fern von der Heimat, kennt er fast niemanden und führt ein liebloses Leben zwischen Kaufmannsladen und Opiumhöhle. Als eines Tages die junge Lucy bei ihm völlig entkräftet auf der Türschwelle zusammenbricht, nimmt er sie auf und pflegt sie gesund. Er ist nämlich schon seit längerem stumm in das arme Mädchen verliebt, die ihr ganzes Leben lang nur herumgeschubst wurde. Ihr Vater, Battling Burrows, ist Boxer und ein Untier von Mann, der sie regelmäßig verdrischt und hält wie ein Tier. Beim Chinamann wird Lucy zum ersten Mal Zärtlichkeit und Wärme zuteil, während sie für Cheng Huan eine weiße Blüte der Schönheit in einem trostlosen Leben darstellt. Doch was schön ist, muß enden: Boxer Burrows bekommt spitz, wo seine Tochter steckt, und die Weichen zur Katastrophe sind gestellt...
BROKEN BLOSSOMS gehört zu den wichtigsten Werken des Kinopioniers David Wark Griffith, der in den Jahren von 1908 bis 1914 buchstäblich Hunderte von Ein- und Zweiaktern drehte und im Laufe der Jahre zahlreiche bis zum heutigen Tag gültige Filmtechniken entwickelte. Seine Filmsprache brachte er ein in seine beiden Epen THE BIRTH OF A NATION und INTOLERANCE, die beide gerade in vorzüglichen Fassungen auf DVD veröffentlicht worden sind und einen guten Eindruck vermitteln von den lichten wie den düsteren Seiten des Genies. Griffith war nämlich ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, der seine sehr eigene Sicht der Dinge ungefiltert auf die Leinwand brachte. So stellte THE BIRTH OF A NATION eine Darstellung des Amerikanischen Bürgerkrieges dar, die Historikern bis heute Kopfzerbrechen bereit, gerade was die Rolle der Sklavenhaltung angeht. Betrachtet man den Film aus heutiger Sicht, so sorgt etwa die Präsentation des Ku-Klux-Klans als heldenhafte Rebellengruppe für einen ziemlichen Schluckauf, wie auch das Miteinander von glücklichen Sklaven und mörderischen Vergewaltigern mit Migrationshintergrund (hust!) recht gschmackig anmutet. INTOLERANCE kübelt den Betrachter mit bibelfester Sittlichkeit zu. Moral gibt es bei Griffith immer fingerdick, und auch dem Kitsch ging der Mann nicht aus dem Wege. Im Falle des Chinesendramas BROKEN BLOSSOMS ist anzumerken, daß die Darstellung des Protagonisten ungewöhnlich mitfühlend ist, wenngleich man den Eindruck nicht los wird, daß Südstaatler Griffith zwar ein Herz für fremde Kulturen hatte und durchaus gegen Rassismus war, jedoch eine sehr paternalistische und somit herablassende Attitüde gegenüber den „Fremdarbeitern“ besaß. Na ja, in BROKEN BLOSSOMS ist der „Chink“ auf jeden Fall der Nette, schüchtern, sensibel und ehrlich verliebt. Richard Barthelmess (der damals das neue Griffith-Protegé war) spielt ihn auch wirklich anrührend, während Lillian Gish wie gewohnt die geknickte Unschuld unter widrigen Umständen gibt. Die Zwischentitel dürften einem heutigen Publikum nicht selten zur Erheiterung gereichen, da gekitscht wird, bis der Arzt kommt. Auch sind die mimischen Verrenkungen des verdienten Charakterdarstellers Donald Crisp (in sehr jungen Jahren) als böser Unmensch ebenfalls sehr unmißverständlich. Gelernt habe ich beim Betrachten des Filmes aber (wieder einmal), daß Kino eine Parallelwelt entstehen läßt. Man kann diese Parallelwelt von außen betrachten und sich über die zeitbezogenen Unterschiede in Stil und Wertebild mokieren oder erheitern oder aber sich für die Dauer des Spektakels mal so richtig satt hineinsacken lassen. Bei BROKEN BLOSSOMS gelang mir das ganz gut. Ein 1919er Publikum ist ohne Frage aus dem Schneuzen nicht mehr herausgekommen. Der Schluß gibt in sentimentaler Hinsicht so Vollgas, daß die Zuschauer ohne Zweifel auf einer Woge aus Tränen aus dem Kinosaal geschwappt sind. Und auch ich habe einige Male recht herzlich geschnieft. Ist ja auch irgendwie traurig! Der arme Chinese...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#618
Geschrieben 12. Januar 2009, 21:05
Lange Zeit als verschollen galt diese Thrillerkomödie von Roland West, die als Prototyp für dieses in den späten 20ern/30ern ausgesprochen beliebte Subgenre angenommen wurde. Das Ton-Remake, das West höchstselbst 4 Jahre später drehte (THE BAT WHISPERS), liegt auf DVD vor, und das 1959er Remake mit Vincent Price wird dieser Tage bei uns auf DVD erscheinen – sogar mit der alten Synchro!
Wie immer kommen verschiedene Exzentriker in einem alten Gruselhaus zusammen, wie immer setzt es ruchlose Morde, wehende Vorhänge und quietschende Türen. Im Mittelpunkt stehen diesmal die Raubzüge eines genialen Verbrechers namens „The Bat“, der zu jenen Langfingern gehört, die über eine Menge Stil verfügen. So gehören akrobatische Einlagen ebenso zu seinen Markenzeichen wie eine lustige Fledermaus-Verkleidung, fledermausförmige Schatten, die mit Scheinwerfern an Wände projiziert werden, und derlei fröhlicher Kram. Um an das Geld zu gelangen, das gerade aus der Oakdale-Bank entwendet worden ist, begibt er sich zum Anwesen des verstorbenen Bankchefs. Hier residiert derzeit eine alte Dame namens Cornelia Van Gorder, die sich mit ihrer Nichte und der überdrehten Dienstmagd Lizzie eine ruhige Zeit verspricht. Daß diese Ruhe nicht eintritt, versteht sich von selbst, und schon bald laufen dort mehr Leute herum als am Kölner Hauptbahnhof zur Stoßzeit...
THE BAT hat die Zeit ungewöhnlich gut überstanden und serviert seine Story mit viel Stil und Aufwand. Die weitläufigen Sets (sehr im Gegensatz zur klaustrophobischen Enge von Kollegen wie THE CAT AND THE CANARY oder THE LAST WARNING) haben einen faszinierend modernistischen Anstrich. Designer William Cameron Menzies sollte später als Regisseur einige Science-Fiction-Filme machen, z.B. die H.G.-Wells-Bearbeitung THINGS TO COME oder den deutlich preisgünstigeren Reißer INVADERS FROM MARS. Der „Comic Relief“ ist etwas weniger störend, als dies bei anderen Thrillerkomödien jener Tage der Fall zu sein pflegt, was daran liegt, daß die damals sehr populäre Louise Fazenda (als Hausmädchen Lizzie) in ihrer ausgedehnten Willie-Best-Rolle eine ziemlich gute Show abzieht. Einen trotteligen Privatdetektiv gibt es auch, der aber weniger nervt als etwa die Ritz Brothers in dem ähnlich gelagerten THE GORILLA. Der Großteil des Filmes wird angenehm geradlinig und ernsthaft absolviert, so daß es auch einige milde gruselige Szenen zu bestaunen gibt. Keine Ahnung, wo auf einmal das Filmmaterial hergekommen ist, aber schön, daß der Film wieder zur Verfügung steht!
P.S.: Einziger Wermutstropfen ist wieder einmal die lausige Synthie-Musikbegleitung, die mich heute auch schon bei dem 1926er DER STUDENT VON PRAG genervt hatte. Langweiliges Gepfriemel, das sich eigentlich eher wie ein milde variierter Endlos-Loop anhört. Eine bessere Begleitung hätte ich furzen können. Schade, daß man sich manchmal so wenig Mühe mit der Veredelung alter Schätzchen gibt...
Bearbeitet von Cjamango, 12. Januar 2009, 21:07.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#619
Geschrieben 13. Januar 2009, 11:47
Britischer Episodengrusler der Ealing Studios, die in erster Linie für ihre eleganten Gesellschaftskomödien geschätzt wurden, von denen die hierzulande bekannteste sicherlich der schwarzhumorige ADEL VERPFLICHTET ist. DEAD OF NIGHT entstand zu einer Zeit, als der Horrorfilm als Mainstream-Ware weitgehend ausgedient hatte und sein Dasein in den Niederungen des Billigkinos fristete. Die wenigen Ausnahmen – etwa Lewis Allens vorzüglicher THE UNINVITED (DER UNGEBETENE GAST) – fielen umso mehr ins Auge. DEAD OF NIGHT gilt bis zum heutigen Tage als einer der raffiniertesten Horrorfilme aller Zeiten, und tatsächlich ist er überaus gekonnt realisiert, wenngleich ich ihn in erster Linie als einen Triumph der Eleganz bezeichnen würde. Verglichen mit den zirzensischen Episodenfilmen, die Amicus zwei Jahrzehnte später herstellte, besticht DEAD OF NIGHT durch seine exquisiten Dialoge, die den Film als Widerstreit zwischen Aberglauben und psychologischer Exegese anlegen. Unter den Gästen, die sich im Anwesen der Rahmenhandlung einfinden, befindet sich mit dem Psychologen ein waschechter Skeptiker, der alle Erscheinungen, von denen die Geschichten handeln, wegzurationalisieren versucht. Die Episoden besitzen alle ihre Reize. Von den Nachschlagewerken wird gemeinhin die Spiegel-Episode als beste angenommen: Ein junges Pärchen, das kurz vor der Hochzeit steht, erwirbt einen alten Spiegel, in dem der Mann ein altes Zimmer zu erblicken meint. Wie sich herausstellt, hat der Spiegel eine mörderische Historie, die den Mann mehr und mehr zu ihrem Bestandteil macht. Am besten die Zeit überdauert hat aber für mein Empfinden die abschließende Erzählung, die von einem Bauchredner handelt, der eine sehr unnatürliche Beziehung zu seiner Puppe Hugo pflegt. Während die meisten Geschichten eher sanften Grusel vermitteln, betritt diese Episode eindeutig das Reich des Unangenehmen, was vor allem der exzellenten schauspielerischen Leistung von Michael Redgrave zu verdanken ist. William Goldmans „Magic“ arbeitete die Grundsituation später zu einem Bestseller um, der dann mit Anthony Hopkins als Bauchredner recht ordentlich verfilmt wurde. Trotz größerer Neigung zur Hysterie geht dem neuen Film aber die unangenehme Wirkung der kurzen Episode von DEAD OF NIGHT ab, was möglicherweise auch am Zusammenspiel der einzelnen Geschichten und ihren unterschiedlichen „Temperamenten“ liegt. Ich war überaus froh, festzustellen, daß der Film jetzt auf DVD vorliegt. Die deutsche Tonspur ist neu (die alte Kinosynchro dürfte verloren sein), entspricht dem Charakter des Filmes aber in sehr befriedigender Weise. Wer den Film noch nicht kennt, sollte zuschlagen. Und wer ihn kennt, wird ihn sich sowieso holen. Das Ende übrigens war damals ein echter Erstling und wurde später häufig kopiert.
P.S.: Ich fände es toll, wenn auch THE UNINVITED mal herausgebracht werden würde und winke diesbezüglich mit dem Zaunpfahl.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#620
Geschrieben 19. Januar 2009, 16:27
In diesem verwirrenden, aber auf rätselhafte Weise faszinierenden Grusler geht es um einen gewissen Dr. Mirakel (Bela Lugosi), der auf einem Pariser Rummelplatz seine bahnbrechenden Evolutionstheorien veräußert. Als publikumswirksames Element hat er auch noch Erik dabei, einen Gorilla. Medizinstudent Pierre argwöhnt, der theatralische Doktor könne etwas mit den Frauenleichen zu tun haben, die aus der Seine gefischt worden sind. Und tatsächlich führt Dr. Mirakel widernatürliche Experimente durch, bei denen er Sexbomben Affenblut injiziert, warum auch immer. Sind immer Sexbomben, auch gerne Prostituierte. Alte Vetteln funktionieren nicht. Als Pierres Verlobte Camille in die Fänge des Affen gerät, wird ihm die Sache zu bunt...
Vor kurzem ist ja bei uns eine vorzügliche Karloff-Lugosi-Box erschienen, die rundum empfehlenswert ist. Leider hat man bei der deutschen Ausgabe auf zwei Filme verzichtet. Um THE CLIMAX ist es wohl nicht wirklich schade, aber MURDERS IN THE RUE MORGUE hätte man doch hinüberretten können, zumal es sich um einen von Universals bizarrsten Horrorfilmen überhaupt handelt, vergleichbar höchstens noch mit Edgar G. Ulmers abenteuerlichem THE BLACK CAT. Und während ich etwas davor zurückscheue, MURDERS als einen guten Film zu bezeichnen, so hält er das Interesse des Publikums doch bis zum finalen Affentanz aufrecht. Für Regisseur Robert Florey war der Film angeblich so etwas wie ein „Sorry“, weil FRANKENSTEIN schließlich dem Briten Whale zugeteilt wurde. Florey war vorher Autor einiger surrealer Kurzfilme, von denen ich nur den vergnüglichen THE LIFE AND DEATH OF 9413, A HOLLYWOOD EXTRA kenne. Während sein späterer THE BEAST WITH FIVE FINGERS eher konventionelle Pfade beschreitet, ist diese (sehr freie) Poe-Adaption eigentümlich von Anfang bis Ende. Lugosis Dr. Mirakel rangiert irgendwo zwischen popanzig und bedrohlich. In einer relativ grausamen Szene unterhält er sich mit einer an ein Kreuz gefesselten, halbnackten Schönheit, der er etwas Haut abschabt. Die ungewöhnlich schönen Sets sind sehr deutlich vom deutschen Expressionismus beeinflußt und passen exzellent zur abstrusen Storyline und zum artifiziellen Grundton des Filmes. Eine fröhliche Gesangsszene und eine amüsante komische Einlage mit einem Deutschen, einem Italiener und einem Dänen tragen nur noch mehr dazu bei, daß man aus dem faszinierten Kopfschütteln nicht mehr raus kommt. Ein eindrucksvoller Film, der nicht jedem gefallen wird, aber eine Kuriosität darstellt im Kanon des klassischen Horrorkinos.
P.S.: An den Dialogen arbeitete John Huston mit - einer seiner ersten Jobs in Hollywood!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#621
Geschrieben 20. Januar 2009, 16:02
Eigentlich wollte ich mir ja den Film GANGBANG AUDITIONS 2 anschauen, aber ich konnte die Kassette nicht finden. Als Ersatz diente mir Oliver Stones neueste Interpretation der jüngeren amerikanischen Geschichte.
W. erzählt die Geschichte des kleinen George, der gerne Präsident werden möchte, da er das Gefühl hat, sein Vater liebe Bruder Jeb mehr als ihn. Nach einer langen Odyssee des Irrens, Suchens und Saufens findet er seine Heimat bei den wiedergeborenen Christen und schließlich im Weißen Haus. Er schreibt eine Operette mit dem Titel „Weapons Of Mass Destruction“, findet aber keinen geeigneten Interpreten für die Hauptrolle. Schließlich wendet er sich resigniert dem Baseball zu, doch wo ist der Ball?
Nachdem mir Stones 9/11-Film ziemlich mißfallen hatte, fühlte ich mich bei W. doch wieder wohl. Interessant fand ich, daß Stone für seinen Film über den heute scheidenden US-Präsidenten das Format einer Satire wählte. Nach dem zwar lustigen, aber irgendwann auch ermüdenden BEING W. nun schon die zweite Bush-Satire. Im TV gab es auch mal so eine Serie, wenn ich mich recht entsinne. Anscheinend fehlt der Geschichte des George Walker Bush jr. jegliche Tauglichkeit zum Drama oder gar zur Tragödie. Im Falle von Oliver Stone führe ich das auch darauf zurück, daß Kennedy und Nixon Ikonen aus Stones eigener Jugend gewesen sind, im Guten wie im Bösen. Die Aktivitäten des Dubya verfolgte Stone als gereifter Mann. Es dringt einiges an Kopfschütteln aus dem Film, auch das Verstehenwollen eines sprachlich nicht übermäßig begabten Präsidenten, der sein Amt auch deshalb erreichte, weil er den Wunschvorstellungen vieler Amerikaner entsprach. Der Film zeichnet ihn als einen Bauchmenschen, der die Strategie gerne den Intellektuellen in seinem Generalstab überläßt. Er selbst muß die eingeschlagene Richtung der Weltöffentlichkeit verkaufen, was sich nicht immer als einfach erweist. Ich bin mir nicht sicher, ob viele Amerikaner den Film als Satire auffassen werden, aber tatsächlich wird fast jede Szene mit dramatischem Potential ironisch kommentiert, sei es durch die Wahl der Hintergrundmusik oder durch den Einsatz entlarvender Kamerapositionen. Es gibt einige hervorragende Szenen ohne jede Ironie (z.B. der Herzanfall beim Joggen), aber sie sind rar gesät. Was mich an W. am meisten beeindruckt hat, ist in der Tat der fühlbare Wunsch von Stone, seinen Ex-Präsidenten zu verstehen, aber es endet nur in Entgeisterung. Ich bin gespannt, wie ich über den Film in ein paar Jahren denke. Im Moment muß ich ihn erst einmal sacken lassen. Am Freitag läuft er übrigens im Fernsehen.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#622
Geschrieben 20. Januar 2009, 21:15
GANGBANG AUDITIONS 2 immer noch nicht entdeckt.
Jack Black und Mos Def spielen Jerry und Mike, die in der Abwesenheit von Danny Glover auf dessen hoffnungslos veralteten Videoladen aufpassen sollen. Als Jerry bei einem mißglückten Sabotageakt auf ein E-Werk einen kleinen Unfall hat und zum lebenden Hochleistungsmagneten wird, geschieht das Unfaßbare: Sämtliche Videobänder aus Glovers Laden werden gelöscht! Not macht aber erfinderisch, und so beschließen die beiden, die gelöschten Filme einfach selber nachzudrehen. Allerdings entwickelt sich die neue Technik des „Schwedens“ von bekannten Filmen (wie sie das nennen) zum unerwarteten Renner, so daß sie mit der Lieferung kaum hinterherkommen...
Was ist das denn für ein fertiger Film? Zu Anfang saß ich völlig ratlos vor dem Werk und dachte mir, daß hier wohl einmal nicht Koks, sondern eher Hasch (und zwar kistenweise!) bei der Erstellung des Drehbuches mitgeholfen hat. Die Einfälle sind lieb, aber kaum komödienkompatibel. Schon bald wird aber deutlich, daß Michel Gondry BE KIND REWIND als eine Art Hollywoodfilm gegen Hollywoodfilme konzipiert hat. Sobald nämlich die Gemeinschaft Feuer fängt für den besonderen Charme der mit fröhlichem Dilettantismus hergestellten Kleinkunstwerke (2001: A SPACE ODYSSEY – kreisch!), können die teuer produzierten, aber charmelosen Big-Budget-Schinken einpacken. Wenn man sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hat, daß man es hier nicht mit einer simplen Brüllwitz-Hochleistungskanonade zu tun hat, sondern mit einem sehr gutherzigen Märchen mit ein wenig eingestreuter Capra-Sozialromantik, wird der Film sogar richtig anrührend. Die Drehtermine von Jerry und Mikes Guerilla-Filmereien sind echte Heuler – ich habe vor dem Fernseher gekniet! Also: Sicherlich nicht für jeden Zuschauer geeignet, aber ich finde BE KIND REWIND hat das Herz auf dem rechten Fleck und macht eigentlich alles richtig. Man muß ihm nur erst einmal eine Chance geben. Den „geschwedeten“ RUSH HOUR 2 würde ich mir auch sofort ausleihen...
Bearbeitet von Cjamango, 20. Januar 2009, 21:17.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#623
Geschrieben 22. Januar 2009, 16:21
HINTERTREPPE ist ein wenig bekanntes Stummfilmdrama, das die einzige Kinoarbeit des legendären Theaterregisseur Leopold Jessner darstellt. Inoffiziell assistierte ihm dabei der einschlägig bekannte Paul Leni, welcher auch für die Bauten verantwortlich zeichnete. Der Film steht in der Tradition der „Straßenfilme“. In den 20er Jahren gab es nämlich neben den phantastisch akzentuierten expressionistischen Werken auch solche, die die Zeit der Weimarer Republik und die ihr unterliegenden menschlichen Konflikte abzubilden versuchten. Diese sehr sachlichen Arbeiten befaßten sich stets mit Ereignissen im Leben von vermeintlich unbedeutenden Menschen, z.B. Arbeitern oder bestenfalls Kleinbürgern. Es sind die kleinen Dinge des Alltages, die in diesen Filmen in den Mittelpunkt gerückt werden und durch die sich das Leben der Protagonisten definiert. Das Leben erscheint als auferlegt, von fremden Einflüssen gesteuert, gegen die sich aufzulehnen in der Regel vergebliche Liebesmüh ist. Zwischentitel sind in diesen Werken rar gesät und beschränken sich auf die elementarsten Informationen. DER LETZTE MANN von Murnau wäre ein schönes Beispiel. Worte bedeuten ohnehin sehr wenig im Leben der Figuren, da sie selten mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden sind und sich eher über körperliche Reaktionen ausdrücken.
Der gerade mal 40 Minuten lange Film (50, wenn er in der richtigen Geschwindigkeit abgespielt wird, nämlich 18 Bilder pro Minute, äh, Sekunde!) handelt von einem Stubenmädchen (Stummfilmstar Henny Porten), das in einen jungen Mann verliebt ist. Als jener ausbleibt, gestalten sich ihre Tage zunehmend peinvoller. Ängstlich fiebert sie alltäglich dem Postboten entgegen, der vielleicht ja ein neues Briefchen für die schlichte Dame bereithält. Jener Postbote aber (Fritz Kortner!) ist seinerseits in Henny verliebt, aber zu schüchtern ihr seine Liebe zu gestehen. Als er es doch tut, steuert die Geschichte auf eine Tragödie zu...
Fritze Kortner kennt man ja eigentlich eher als Schauspieler, der zu überlebensgroßen, leidenschaftlichen Charakteren neigt. Hier spielt er einen einsamen Mann, der so schüchtern ist, daß er es kaum schafft, seiner Angebeteten ins Gesicht zu schauen. Er wendet sich ab, versteckt schamhaft seine mißgestaltete Hand, blickt stumm zu Boden. Henny Porten (die erste bekannte Filmschauspielerin Deutschlands) spielt ein sehr unspektakuläres Persönchen, unscheinbar und brav, ganz Spielball ihrer romantischen Gefühle, die der einzige Ausweg für sie sind aus dem Diensteinerlei. Sie ist gerührt, als sie von der Zuneigung des Postboten erfährt, und ist sogar geneigt dazu, sie zu erwidern, da sie vor allem nicht allein in der Welt stehen möchte. All dies erfährt man nicht aus Zwischentiteln, sondern aus dem expressiven Spiel der Darsteller, die aus dem kleinen Inferno, das in den Hauptfiguren tobt, fast ein Ballett machen. Wo keine Worte sind, da bricht's aus dem Körper heraus, und das nicht selten explosiv. Vielen Zuschauern wird HINTERTREPPE zu ereignisarm sein, doch mir gehen gerade solche schlichten Geschichten sehr ans Herz. Der schön gestaltete Film sagt eigentlich alles aus, was es zum Thema „Unglückliche Liebe“ zu sagen gibt. Und er endet mit einem Paukenschlag, der so sicherlich nicht zu erwarten gewesen wäre...
Die mir vorliegende Fassung war leider lausig und basiert vermutlich auf einer amerikanischen 16mm-Kopie. Den hätte ich gerne restauriert und mit einer zünftigen Klavierbegleitung. Da leidet es sich doch gleich doppelt so anmutig!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#624
Geschrieben 22. Januar 2009, 16:22
Wade Porter (Stephen Dorff) hat sich als Ergebnis jahrelanger Arbeit eine eigene Baufirma zusammengespart, mit der er seine kleine Familie (Frau & Kind) über Wasser halten möchte. Eines Nachts steigt ein Einbrecher in die Wohnung der Eheleute ein. Wade dreht durch und zieht dem Eindringling einen Baseballschläger über den Schädel. Da der Einbrecher bedauerlicherweise bereits das Haus verlassen hatte, wird dies Wade als fahrlässige Tötung ausgelegt, und so muß die anstehende Hochzeit erst einmal um drei Jahre verschoben werden. Wade spekuliert darauf, wegen guter Führung die Hälfte der Strafe erlassen zu bekommen. Daß Luftschlösser manchmal Luftschlösser bleiben, findet er auf die harte Tour heraus: Er wird in eine „Hinrichtung“ unter Knackis hineingezogen und landet auf einmal im Hochsicherheitstrakt. Und die Grütze, in der er sich befindet, steigt ihm sehr bald über den Hals...
Ric Roman Waugh (früher Stuntman) liefert mit FELON einen solide gezimmerten Vertreter des von mir sehr geschätzten Genres des Gefängnisfilms. Wie immer wird der zivilisierten Gesellschaft ein drastischer Gegenentwurf präsentiert, in dem die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen komplett außer Kraft gesetzt sind. Wade bekommt sehr bald spitz, daß er sich „Beschützer“ wird suchen müssen, und da bieten sich die „Arier“ durchaus an, die den weißen Klüngel innerhalb des ethnischen Mixes anführen. Sämtliche Klischees dieses Genres werden angetastet: Es gibt die aufsehenerregenden Schaukämpfe im Innenhof; es gibt die Problematik, die auf sich gestellte Familie „draußen“ vor dem Untergang zu bewahren; und es gibt sadistische Wärter, die sich einen Spaß daraus machen, Gefangene zu schikanieren und ihre eigenen familiären Probleme auf gewaltsame, aber legale Weise zu kompensieren. Die Verrohung, die Wade dabei zwangsläufig mitmacht, entspricht voll und ganz der Verrohung der Wärter, die ebenso außerhalb der Gesellschaft stehen wie ihre „Schützlinge“, für deren Wohlergehen sich niemand interessiert. Obwohl das Ende etwas nach Walt Disney riecht, macht sich FELON durchaus die Mühe, die Reduzierung des Menschen auf Primatenstatus konsequent durchzuziehen. Es gibt kaum Trost in dieser Welt, eine Resozialisierung wird gar nicht erst angestrebt – die zwangsläufige Folge eines Systems, das sich damit begnügt, straffällig gewordene Menschen einfach wegzusperren. Grundsätzlich nur ein gut gemachtes (und trotz seiner 16er-Freigabe knochenhartes) Actiondrama, verfügt FELON über gute schauspielerische Leistungen: Dorff; ein nicht wiederzuerkennender Val Kilmer, der einen intelligenten, aber auf tragische Weise gescheiterten Lebenslänglichen spielt; und Harold Perrineau als Wades schwarze Nemesis an der Wärterfront. Wer solche Filme mag, wird bestens bedient.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#625
Geschrieben 23. Januar 2009, 11:50
Sie betreten jetzt James Ellroy County. Das ist ein Land, in dem Männer böse Dinge mit Männern tun, weil sie es tun müssen. Sie haben keine Wahl. Aber sie haben Handfeuerwaffen. Und Stichwaffen. Und Schaufeln.
Detective Tom Ludlow (Reeves) hat vor einiger Zeit seine Frau verloren und wird von riesigen Schuldgefühlen geplagt. Im Rahmen seiner langjährigen Polizeiarbeit hat er auch einige Male saftig das Gesetz übertreten. Nun wollen böse Menschen von der Dienstaufsicht an seiner Pension sägen, und sein ehemaliger Partner Washington will ihnen dabei helfen. Als Ludlow ihm deshalb die Schnauze polieren will, rasselt er in einen Raubüberfall mit Todesfolge hinein. Der Ladenbesitzer wird von Geschoßgarben zersägt; Washington endet als Schweizer Käse. Ludlows Anwesenheit ist natürlich extrem ungünstig, aber sein Chef (Forest Whitaker) will das wieder hinbiegen. Doch mehr und mehr weist darauf hin, daß die Auftraggeber für den Überfall/Mord im Department zu suchen sind. Seinem toten Ex-Partner und seiner toten Frau ist Ludlow schuldig, daß er am Ball bleibt. Doch beißt er sich dabei mehr ab, als ein einzelner Mann schlucken kann...
Ellroy verfaßte den ersten Entwurf des Drehbuches Mitte der 90er, unter dem Einfluß des O.J.-Simpson-Prozesses. Bevor Regisseur David Ayer fast 15 Jahre später mit dem Resultat rüberkam, wurde das Drehbuch noch von mehreren Leuten überarbeitet, darunter EQUILIBRIUMs Kurt Wimmer. Möglicherweise hat Ellroy genausowenig Ahnung vom Slang afroamerikanischer Drogenhändler wie ich, und ich werde meinem Bekanntenkreis keine afroamerikanischen Drogenhändler hinzufügen, um überprüfen zu können, ob die neuen Drehbuchautoren diesbezüglich über Insiderkenntnisse verfügen. Fest steht, daß die Handlungsmotive von STREET KINGS reinster Ellroy sind. Es geht um Schuld und vergebliche Versuche, diese zu tilgen. Es geht um Gesetzeshüter, deren Vorstellung von Gerechtigkeit sich vornehmlich an ihren eigenen Bedürfnissen orientiert und somit sehr flexibel ist. Die Unterschiede zu den Gangstern sind weitgehend sozialer oder ethnischer Natur. Tom Ludlow zum Beispiel hat jede Schönheit in seinem Leben verloren und zwingt sich nun auf Autopilot durch jeden Tag. Als Wegmarkierungen dienen ihm dabei allenfalls gewisse Standardwerte (z.B. man verpfeift keine Kollegen) und all das, was ihm hilft, durch den Tag zu kommen. Als sein Partner umgelegt wird, verändert sich das aber: Er gewinnt eine Vorstellung von Gerechtigkeit zurück, die er nicht nur an sich selbst festmacht, sondern auch an den Bedürfnissen anderer. Dabei spielt das Strafgesetzbuch immer noch keine große Rolle, sondern eher der Gerechtigkeitsethos eines Mike Hammer, und wie auch jener Heros des „hardboiled“-Krimis drischt Ludlow mit dem Schädel durch jede Wand, die sich ihm in den Weg stellt. In DARK BLUE wurden die typischen Ellroy-Fallstudien bereits in Gegenwartsnähe gerückt (Rodney King!) In STREET KINGS sind seine kompromittierten Mannsbilder endgültig in der Jetztzeit angekommen. Das tut der Story nicht immer gut, zumal sich das Format weitgehend an gängigen Actionkloppern orientiert und die schicke Oberfläche den pessimistischen Gehalt bisweilen dominiert, aber vielleicht bringt diese Herangehensweise Ellroy auch mal jener Zuschauerschaft nahe, die von den nostalgischen Jugendträumen des Schriftstellers eher unberührt blieben. Keanu Reeves gefiel mir in dieser Rolle mal ziemlich gut, und Forest Whitaker als sein dubioser Boß ist auch eine ziemliche Marke. (Hier empfiehlt sich der Originalton.) Aufgrund seines hohen Gewaltpegels ist STREET KINGS für Kindergeburtstage der herkömmlichen Art denkbar ungeeignet.
Jetzt müßte ich eigentlich GANGBANG AUDITIONS 2 kucken...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#626
Geschrieben 23. Januar 2009, 11:56
Ben Stiller ist Tugg Speadman, ein ehemals hochdotierter Actionstar, der mittlerweile als Kassengift gilt und sich sein eigenes Grab geschaufelt hat mit dem Tränendrüsendrücker „Simple Jack“, in dem er einen geistig Zurückgebliebenen spielt. Nun kann er seine Karriere wiederbeleben, und zwar mit einem großen Vietnamdrama. Bedauerlicherweise handelt es sich bei dem Regisseur um einen britischen Arthouse-Fuzzy, der von echten Männerfilmen keine Ahnung hat. Als letzte Rettung werden alle Hauptdarsteller in den Dschungel von Myanmar geschickt, um dort unter realistischen Bedingungen nachzudrehen. Dabei geraten sie mit überaus echten Drogenbanditen aneinander...
In den ersten Minuten dieser Farce, die von Ben Stiller höchstselbst inszeniert wurde, befürchtete ich schon, es könne sich um ein echtes Disaster handeln, aber tatsächlich wird der Film ziemlich komisch. Furzkomisch sogar, wenn man sich in der richtigen Laune befindet. Habe ich vor kurzem noch eine Hasch-Komödie gesehen, handelt es sich hier zweifellos um eine Koks-Komödie, was dazu führt, daß viele der Gags etwas eigentümlich anmuten, aber mit großem Enthusiasmus vorgetragen werden. Nicht alles haut hin, aber was hinhaut, ist wirklich super. So werden selbstredend alle Klischees zum Thema „Vietnamkrieg im Kino“ von starken Männerarmen geliebkost, und auch Hollywood wird mit Knüffen & Püffen bedacht, daß es nur so eine Art hat. Besonders derb trifft es Stillers eigenen Job als Schauspieler: Tugg Speadman will eigentlich ernsthafte Rollen spielen, ist dafür aber einfach nicht gut genug. Am Schluß verwandelt er sich in Colonel Kurtz aus APOCALYPSE NOW - die Stanislawski-Variante. Robert Downey jr. hat seine beste Rolle seit langem als australischer Schmierentragöde, der sich sogar die Haut hat umpigmentieren lassen, um einen möglichst authentischen Neger darzustellen. Die echten schwarzen Crewmitglieder treibt er mit seinem Bimbogetue auf die Palme, aber heulen kann er gut. Jack Black ist ein drogensüchtiger Pausenclown, der schmalen Ruhm mit unterirdischen Furzkomödien erlangt hat und eigentlich nur Drogen und noch mehr Drogen möchte. Und was, ahem, Tom Cruise angeht, so trägt er als schebbiger Hollywood-Minimogul eine unglaubliche Maske, in der man ihn nicht mehr erkennt, und er bekommt einige der schmutzigsten Dialogzeilen seit SCARFACE verpaßt! Habe sehr gelacht. Perfekter Partyfilm.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#627
Geschrieben 25. Januar 2009, 17:43
Stuart Whitman, Edmund Purdom und Woody Strode in einem Film – kann das gutgehen? Das aufwühlende Experiment, das dieser Frage nachgeht, nennt sich SÖLDNER DES TODES und ist ein Frühwerk des britischen Filmemachers Alan Birkinshaw.
Ein sehr geschwätziger Erzähler unterrichtet uns darüber, daß im Jahre 1945 japanische Soldaten während der Besetzung der Philippinen einen Goldschatz transportiert haben. Da auf einmal von allen Seiten blutdürstige Eingeborene über die armen Faschisten herfallen, muß der Schatz zurückgelassen werden. 36 Jahre später (!) kommt man auf einmal auf den Einfall, den Schatz zu bergen. Verantwortlich hierfür ist Larsen, ein echter C-Wolf (wuhaha!), der nacheinander alle drei Überlebenden des Transportes aufsucht. Nummer Eins weigert sich und wird erschossen; Nummer 2 weigert sich auch und begeht (warum auch immer) Harakiri mit einer Art Machete; Nummer 3 ist Harold Sakata, der dicke Koreaner aus GOLDFINGER, und kommt sofort mit. Als Geldgeber fungiert eine Flitzpiepe namens Jefferson. Der Darsteller sieht aus wie eine Parodie auf George Sanders und schmiert nach Kräften. Mit in den Dschungel kommt Jeffersons Tochter Janice: blond, kulleräugig, grenzdebil. Jefferson stellt Larsen eine Bedingung: Die Expedition muß geleitet werden von Larsens Todfeind, dem Abenteurer Mark Forrester (Stuart Whitman). Warum Jefferson darauf besteht, ist komplett unklar, zumal Forrester ein versoffenes Wrack ist. Halt der einzige Mann, der das Kind schaukeln kann. Dann geht's in den Dschungel, der auch schon mal besser ausgesehen hat. Ich tippe auf den Safaripark Hodenhagen. Und die grüne Hölle fordert einen hohen Blutzoll...
„Von den nahen Ufern wehte der Atem der Jahrtausende. Verwesung, süßlicher Modergeruch. Kloake der Natur.“ Mit solchen und ähnlichen Weisheiten erfreut uns der von Klaus Kindler (=Clint Eastwood) gesprochene Erzählertext, dessen inflationäre Verwendung von Adjektiven und Adverbien ein wenig an Poesieversuche von minderbegabten Zehnjährigen erinnert. Bunt schillert der Urwald, und mitten in der Unermeßlichkeit des Dschungels lauern „unsichtbare Eingeborene“. (Cool, unsichtbare Eingeborene. Wundert mich nicht, daß man die noch nicht entdeckt hat. Sind ja unsichtbar.) Zu Anfang nervt der Erzähler einfach nur, aber je länger der Film dauert, umso mehr gewinnt man ihn lieb, da Birkinshaw als Regisseur eine völlige Niete ist und das Ausbleiben von interessanten Aktionen stets aufgeblasen wird von erzählerischer Hyperbole. („Dann wuchs der Dschungel von beiden Seiten zusammen und bildete ein festes Dach.“) Manchmal werden auch Sachen erzählt, die gar nicht stimmen. Toll etwa die Szene, in der ein Träger von einem Archivkrokodil vernascht wird. Birkinshaw verwendet für den Überfall völlig unmotiviert wirres Super-8-Material, dem dann eine lange Halbtotale folgt, in der man Forrester und Jefferson einfach nur dumm rumstehen sieht. Jefferson meint, völlig gelangweilt: „Oh, mein Gott. Das Wasser ist rot von Blut.“ Wovon natürlich keine Rede sein kann. Lediglich der Hut liegt am Ufer rum. Ansonsten ist gar nichts zu sehen. Das Zelt der Expedition sieht übrigens aus wie das, in dem der Zirkus Roncalli seine Wahrsagerin untergebracht hat. Als Blickfang hat man Laura Gemser eingebaut (der Film ist italienisch koproduziert), die Whitmans Ex-Geliebte spielt und zusammen mit dem kulleräugigen Bimbo dem alten Säufer den Hof macht. („Wir lebten zusammen, wie Mann und Frau zusammen leben...“) Daß Whitman übrigens so aussieht, als hätte er die ganze Zeit über eine halbleere Flasche Jack Daniels in der Tasche, muß wohl nicht erwähnt werden. Er erwischt es aber noch relativ gut verglichen mit Edmund Purdom (als Larsen), der aussieht wie seine eigene Wachsfigur. Tatsache, der könnte gleich morgen bei Madame Tussaud's anfangen! Bzw. das kann er natürlich nicht, denn er ist ja vor kurzem verstorben, obwohl dieser Film eigentlich nahelegt, daß er schon wesentlich früher verstorben sein muß, so Ende der 70er. Er sieht aus wie Gregory Pecks Leiche mit Magersucht – schlimm. Woody Strode rundet die Rentnergarde ab. Alle könnten mühelos in der beliebten TV-Serie "Reich ins Heim" den zurückgebliebenen Hausmeister mimen. Die deutsche Billig-DVD ist ganz manierlich und scheint trotz einer 16er-Freigabe die ungeschnittene Fassung zu enthalten, so daß es noch ein paar schlechte Splattereffekte als Dreingabe gibt. Ein unglaublicher Schmodder - toll!
Bearbeitet von Cjamango, 25. Januar 2009, 17:45.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#628
Geschrieben 26. Januar 2009, 12:19
Cristina Galbó spielt eine junge Frau, die jahrelang von ihrem grausamen Gatten drangsaliert worden ist. Nun hat er herausgefunden, wohin sie geflohen ist und will sie wiederholen. Doch auf dem Wege dorthin hat er einen tödlichen Autounfall. Das Leben könnte so schön sein, zumal Cristina sich einen neuen Galan angelacht hat, der jünger ist, besser aussieht und noch nicht tot ist. Aber da sie hat die Rechnung ohne die Schattenwelt gemacht, die auf einmal mit skelettierten Fingern nach ihr greift...
So etwas wie der übernatürliche Schwanengesang von Eugenio Martin, der innerhalb des spanischen Unterhaltungskinos etwa drei Jahrzehnte lang ordentliche Filme gemacht hat. Einen richtigen Rohrkrepierer findet man darunter eigentlich nicht. Sein bester Film bleibt wohl der zwar kuriose, aber fantasievolle und unterhaltsame HORROR EXPRESS. SOBRENATURAL erzählt eine simple Geistergeschichte, die sich stark von THE ENTITY und ähnlichen parapsychologischen Schockern beeinflußt zeigt. Erneut scheut Martin keine Absurditäten und bastelt Kirlian-Fotografie, Schrödinger und Heisenberg in die Geschichte hinein. Alle Verweise auf Quantenphysik und Antimaterie ändern freilich nichts daran, daß man es unterm Strich mit drolligen Unsichtbarer-Mann-Effekten („Ich wette, du hast nicht nie ein Hemd telefonieren sehen, huhuuuh...“) und ähnlichem Schmonzes zu tun hat, und wenn am Schluß auch noch Dr. Mumie herumläuft, wird das schon dem einen oder anderen ein Lächeln entlocken. Trotzdem, ich mag so etwas irgendwie. Heutzutage würde man eine solche Geschichte mit viel neunmalkluger Ironie präsentieren. Das hier ist noch die alte Garde von Gruselgeschichtenerzählern, feierlich und ohne Furcht vor Fettnäpfchen. Naiv, aber nett. Und die optischen Britzel- und Sprotzel-Effekte sind auch niedlich.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#629
Geschrieben 26. Januar 2009, 22:04
Nachdem ich mir heute bereits Al Adamsons THE FEMALE BUNCH angesehen hatte (=recht ordentlicher Fetisch-Actioner mit dämonischen Frauen und den Überresten von Lon Chaney jr.), kam als nächstes BRAIN OF BLOOD an die Reihe. Handwerklich gesehen ist dieses Elaborat selbst für Al Adamsons Verhältnisse eher sehr schlecht, aber vielleicht kann man wenigstens nett drüber schreiben. Ich versuch's mal.
Also: Amir, der Chef und Hoffnungsträger eines arabischen Staates namens Khalid, liegt im Sterben. Da ihm sein Leben lieb ist und er zudem befürchtet, sein Tod könne Khalid in Krieg und Terror stürzen, beauftragt er einen gewissen Dr. Trenton damit, sein Gehirn in einen neuen Körper zu verpflanzen. Das ist ja nun keine Operation, die man mal zwischen Tür und Angel macht, und die Krankenkasse zahlt das meines Wissens auch nicht. Aber Dr. Trenton ist auch kein gewöhnlicher Arzt, sondern ein wegen seiner unorthodoxen Experimentiermethoden geschaßter Mediziner, der obendrein aussieht wie ein abgehalfterter Semi-Star, wie sie Al Adamson gerne verpflichtete. (Kent Taylor war mal in den 40ern eine mittelgroße Nummer.) Ihm zur Seite steht nicht nur Al Adamsons blondmähnige Ehefrau Regina (die früher Schönheitstänzerin war und sicherlich einen gewissen Hottehüh-Effekt auf die Intimregionen von Zuschauern ausüben dürfte, die sich immer diese Hardrock-Kalender kaufen, in denen sich nackte Frauen auf Harleys herumräkeln), sondern auch Grant Williams, dessen eine große Rolle in THE INCREDIBLE SHRINKING MAN stattfand. (Das war auch schon wieder 14 Jahre und unzählige Whiskeybuddeln her.) Das Laboratorium sieht aus wie eine Küche der Heilsarmee, in der man diverse sinnfreie Schalttafeln mit Blinkelementen angebracht hat. Auch ein Tonbandgerät steht da rum. (Etwas irritierend allerdings sind die Zwinger mit Ratten, die sich direkt neben dem Operationstisch befinden. Also, mein Tätowierer ist da hygienebewußter!) Wie jeder gute Mediziner verfügt Dr. Trenton noch über einen Zwerg (Angelo Rossitto, seit FREAKS Hollywoods Lieblingszwerg), der die im Keller angeketteten halbnackten Frauen gelegentlich hämisch quält, wenn er ihnen nicht gerade Blut absaugt. Und dann ist da auch noch Gor, ein geistig zurückgebliebener Zweimetermann, dem böse Menschen einst die Säure einer Autobatterie über das Gesicht geschüttet haben. Gors Makeup ist einfach spitze: Von der Seite sieht das so aus, als habe man ihm eine halbe Melone auf den Kopf gesetzt und eine Gummiglatze drübergezogen! Den Rest erledigt roter Glibber im Gesicht. Wenn Dick Smith gerade nicht zur Hand ist, muß man sich halt anders behelfen... Sei's drum: Die Operation (blutig) ist ein voller Erfolg. Da Gor dem intendierten Wirtskörper für Amirs Gehirn leider alle Knochen gebrochen hat, wird der Bregen kurzerhand in seinen eigenen denkbar unansehnlichen Schädel hineingedübelt. Ganz klar – ein geisteskranker Riese ist eine ideale Wahl. (Theoretisch hätte man Amirs Gehirn ja auch in den ca. 60 cm großen Zwerg umtopfen können. Das wäre mal eine Überraschung für sein Volk geworden!) Es kommt, wie es kommen muß: Der Gigant dreht durch, haut einigen Leuten die Holzwolle raus und flüchtet in die kalifornischen Berge. Bis zum verblüffenden Finale vergeht viel Zeit, die Adamson in bester Krauchfilm-Manier mit endlosen Szenen füllt, in denen Menschen auf immer neue Weise durch die Gegend latschen. Bemerkenswert, wie man so viel Langeweile in so wenig Film bekommt! Insgesamt ist der Film deutlich schwächer als der zur selben Zeit gedrehte DRACULAS BLUTHOCHZEIT MIT FRANKENSTEIN (keuch!), und wißt Ihr, was? Den sehe ich mir jetzt auch noch an! Drei Adamsons an einem Tag – danach habe ich bestimmt Dünnpfiff...
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#630
Geschrieben 27. Januar 2009, 16:43
Au Mann, was ist nur passiert?
Das Regiedebüt von Paul W.S. Anderson, der später nach Hollywood ging, um Computerspiele zu verfilmen. Ein sehr junger Jude Law spielt den jugendlichen Raufbold Billy, der gerade aus dem Knast kommt und es gar nicht abwarten kann, sich sofort wieder in die Sülze zu setzen. Autoklauen und das Leben an der Grenze sind für ihn alles. Ohne den schnellen Glanz kann er nicht existieren. Daß er sich mit seinem Lebensstil um den Job des Schaffners im Zug nach Nirgendwo bewirbt, bleibt auch seiner Freundin Jo (Sadie Frost, Laws Ehegattin für einige Jahre) nicht verborgen. Als sich Billy mit seinem Konkurrenten Tommy (Sean Pertwee) anlegt, weiß er nicht, was er sich da eingebrockt hat...
Eine Art Jugenddrama aus dem britischen Arbeiterklassemilieu, angereichert mit einer Menge „punk chic“ und Action. Um was für eine Stadt es sich handelt, habe ich nicht herausbekommen, aber der Schauplatz steht wohl eher allegorisch für das britische Subproletariat, das unter Thatcher und Major ziemlich an die Kante gefahren worden ist. Die jungen Leute (einige sind noch nicht einmal 15) sind absolute Profis in allem, was gefährlich und illegal ist. Respekt vor dem Eigentum oder der Unversehrtheit anderer existiert praktisch nicht. Kommissar Jonathan Pryce steht dem wilden Treiben gleichzeitig wütend als auch traurig gegenüber. Die Kids stammen alle aus desolaten Elternhäusern, verfügen über wenig bis gar keine Schulbildung und sind das Horrorbild einer jeden Gesellschaft, die sich nur um jene kümmert, um die man sich nicht zu kümmern braucht. Für den Durchschnittsbürger – das wissen sie sehr genau – sind sie der letzte Dreck, und deshalb zählt für sie einzig und allein, innerhalb „der Gruppe“ etwas zu bedeuten. Anderson setzt das um, indem er Schmutz zu Gold werden läßt in einer sehr artifiziellen Inszenierung, die etwas an die französischen Neonsachen der 80er erinnert: nasse Straßen in der Nacht, Scherben, grellbunte Beleuchtung, zerborstenes Metall. Das paßt exzellent, zumal es exakt dieser trügerische Glanz ist, der die unausweichliche Niederlage der Protagonisten ummantelt und den einzigen Antrieb für ihr Leben darstellt. Dabei läßt Anderson der Gewalt (meistens gegen Dinge, manchmal gegen Menschen) eine gewisse Attraktivität à la UHRWERK ORANGE angedeihen, was in Großbritannien auch zu Kontroversen führte. Tatsächlich lebt der Film aber auch von dem alten Rebellentraum, statt ein Leben in Bedeutungslosigkeit zu führen, zumindest für eine kurze Zeit als Held dazustehen, als König für einen Tag. Dieses Sternschnuppendasein führt freilich zur Ernüchterung, und so umweht den Film etwa ab der Hälfte der Hauch des Verhängnisses. Es gibt einige sehr lustige Szenen, etwa jene, in der Billy und Jo sich eine Autobahntunnel-Verfolgungsjagd mit der Polizei liefern (in einem geklauten BMW) und ihre Verfolger mit Dire-Straits- und Billy-Joel-Kassetten beschmeißen. (Uäärrrchz!) SHOPPING ist exzellent inszeniert und besitzt einen tollen Showdown. Ein ähnlich fulminantes Debüt wie Neil Jordans ANGEL. Kaum zu glauben, daß der Regisseur später Sondermüll wie RESIDENT EVIL oder ALIEN VS. PREDATOR drehte. Dieser Film hatte noch richtig Charakter. Da hat er vermutlich genau das gemacht, was er machen wollte, ohne ein Konsortium an Produzenten und Drehbuchautoren an den Hacken. Bin beeindruckt. Wäre ein prima Doppelprogramm mit Verhoevens SPETTERS.
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
Besucher die dieses Thema lesen: 18
Mitglieder: 0, Gäste: 18, unsichtbare Mitglieder: 0