Ich habe dir niemals einen Hasenbraten versprochen
#631
Geschrieben 06. Februar 2009, 17:41
Tom Cutler (Samuel L. Jackson) war früher einmal Polizist. Nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau hat er sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und ein Geschäft als „Cleaner“ aufgezogen. „Cleaner“ haben den unappetitlichen Job, Tatorte zu säubern, wenn die Angehörigen keine Lust haben, den ganzen Schmatter selber aufzufeudeln. Eines Tages bekommt er einen Job, der ihn in ein stattliches Anwesen führt, wo Blut und Gewebe dem Wohnzimmer einen unansehnlichen Anstrich verleihen. Dummerweise vergißt er etwas und kehrt am Tage darauf zur Stätte seines Wirkens zurück. Doch die Familie, die dort wohnt, scheint überhaupt keine Ahnung zu haben, um was es geht. Ohne es zu merken, ist Tom mitten in eine üble Mordaffäre hineingeschlittert...
Ein überraschend guter Thriller von Renny Harlin, dessen Trumpfkarte – neben einer überdurchschnittlichen Besetzung – ein ausgesprochen geschickt strukturiertes Drehbuch ist. Harlin gehört zu den typischen Mainstream-Hollywood-Regisseuren, bei denen man immer davon ausgehen kann, daß – egal, womit er arbeitet – das fertige Produkt sauber und attraktiv ausschaut. Eine persönliche Note oder gar Kunst sucht man bei ihm vergebens. CLEANER ist ein typischer „Familienfilm“, in dem die Sünden der Vergangenheit mehrere dysfunktionale Familien zusammenschweißen. Statt eines Familientherapeuten setzt es hier aber Mord und Totschlag, was von Harlin in angemessen zurückgenommener Manier präsentiert wird. Jackson spielt einen Ex-Polizisten, der in seiner aktiven Phase reichlich Dreck am Stecken angesammelt hat, nicht nur durch eigenes Verschulden. In seinem neuen Job versucht er, mit dem Schmutz aufzuräumen und Ordnung zu schaffen, wo keine Ordnung existiert. Dabei übersieht er aber, daß es nicht reicht, einfach wegzukucken – der Morast holt einen irgendwann ein. Es gibt einige korrupte Gesetzeshüter, angeführt vom wie üblich verläßlichen Luis Guzman. Ed Harris spielt Jacksons ehemaligen Partner, der darunter leidet, daß ihn Cutler aus seinem Leben ausgeblendet hat, um die Geister zum Schweigen zu bringen. Eva Mendes ist die geheimnisvolle Frau, die von einer Bluttat weiß, aber möglicherweise mehr, als es zunächst den Anschein hat. Kurzum, kein übermäßig originelles Konzept, aber mit einigen durchaus originellen Zutaten. Insgesamt ein spannender und relativ bescheiden gemachter Film – vielleicht inszenatorisch die beste Leistung, die ich bisher von Harlin gesehen habe. (DIE HARD 2 oder CLIFFHANGER knallen natürlich auch, aber solche Sachen sehe ich eher als hardwarezentrierte Kaputtmachorgien, für die es keinen sensiblen Filmemacher erfordert, sondern eher einen fähigen Raubtierdompteur...)
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#632
Geschrieben 09. Februar 2009, 18:06
Bob Maconel (Christian Slater) ist ein unscheinbarer Mann in einer großen Firma, der von seinen Kollegen gerne als Fußabtreter benutzt wird. In seinem ebenfalls unscheinbaren Eigenheim unterhält er sich mit seinen Zierfischen. Er ist der Durchschnitt, für den sich der Durchschnitt schämt. Was seine Kollegen aber nicht wissen: Bob hat einen Revolver, und er träumt davon, ihn einmal sinnvoll zu benutzen. Jeden Morgen bringt er ihn mit ins Büro und lädt ihn rituell durch. Es gibt kein Haßobjekt, das er nicht schon einmal erschossen hätte. In seinen Gedanken. Das alles ändert sich, als ihm ein besonders nerdiger Kollege zuvorkommt und Massenmord begeht. Bob ist zugegen, aber der Amokläufer läßt ihn leben, weil Bob noch jämmerlicher aussieht als er selber. Bob wird zum Helden wider Willen. Doch seine Probleme sollen damit erst begonnen haben...
Christian Slater habe ich ja schon in einigen Gurkenfilmen gesehen (zuletzt in ALONE IN THE DARK). Umso überraschter war ich von dieser gut geskripteten und einfühlsamen schwarzen Komödie, die man auch als extravagante Liebesgeschichte bezeichnen kann. Slaters Bob ist ein emotional kastrierter und ausgebombter Mann, der den Ansprüchen, die seine korrupte und heuchlerische Umgebung an ihn stellt, nicht gewachsen ist und sich deshalb in einen selbstbezogenen Kokon zurückgezogen hat. Er ist komplett auf sich selbst zurückgeworfen und redet nur mit sich selbst bzw. mit seinem Fisch. Insgeheim verachtet er die Menschen, weil er sich selbst verachtet und als Verlierer bewertet. Slater sieht in diesem Film aus wie Harvey Steinfarfel, hat Stirnglatze, verheerende Zähne und eine häßliche Brille. Würde er nicht so einen verdammt guten Job erledigen, wäre die Rolle in einer typischen Nerd-Karikatur geendet. Tatsächlich schafft er es aber, Bob als tragische Figur fühlbar zu machen, deren Soziopathie die logische Folge eines perversen Systems ist, das hier von der Arbeitswelt symbolisiert wird. Als er die vom Amoklauf querschnittsgelähmte Vanessa (auch gut: Elisha „Kim Bauer“ Cuthbert) kennenlernt, kriegt er eine andere Seite des Lebens mit – wie es nämlich ist, Verantwortung für einen anderen Menschen als sich selbst übernehmen zu müssen. Gerade diese Liebespassagen hätten sentimental und kitschig werden können, aber Regisseur Frank A. Cappello (AMERICAN YAKUZA!) geht allen diesbezüglich Gefahren auf ungewöhnlich geschickte Weise aus dem Wege. AMOK ist – trotz des reißerischen deutschen Titels – keine wohlfeilen Zynismus versprühende Krachklamotte, sondern ein seine Charaktere ernstnehmender Film über das Abfeiern von Sekundärtugenden und was es aus den Menschen macht. Ein grandioser, bescheidener Film. Geheimtip.
Bearbeitet von Cjamango, 09. Februar 2009, 18:07.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#633
Geschrieben 10. Februar 2009, 15:12
Brandi Boski arbeitet in einem Altenheim und steht gerade vor einer Beförderung. Außerdem ist sie hübsch und hat einen lustigen Ethno-Haarschnitt. Man fängt schon an, die junge Dame richtig knuffig zu finden, da schlägt das Schicksal zu: Unter Einfluß einer Ekstasetablette fährt sie Auto und nimmt einen zufällig vorbeischlurfenden Penner (Stephen Rea) voll auf die Motorhaube. Genaugenommen landet er nicht auf der Haube, sondern steckt mitten in ihrer Windschutzscheibe! Da sie immer noch unter Drogeneinfluß steht, traut sie sich nicht, den Schwerverletzten bei der Notaufnahme abzuliefern, sondern nimmt ihn erst einmal schön mit nach Hause, wo sie ihn – immer noch in der Scheibe steckend – in der Garage deponiert. Am nächsten Morgen ist ein neuer Tag, aber der unverwüstliche Arbeitslose steckt immer noch in der Scheibe. Was tun? Am besten den muskelbepackten Gangstarapper Rashid fragen, von dem auch die Drogen kommen. Der gibt doch immer wie ein Sack Mücken damit an, daß er schon unzählige Leute umgelegt habe. Rashid erweist sich aber auch als keine große Hilfe. Und der Mann in der Scheibe stirbt und stirbt nicht...
STUCK macht sich einen bösen Spaß daraus, das Idealbild des gewissenhaften Bürgers in sein Gegenteil zu verkehren. Die Protagonistin, die zunächst noch ganz sympathisch daherkommt und sich sogar um alte Menschen kümmert, die sonst niemanden haben, erweist sich als verantwortungslose, hysterische Schnepfe, die das selbstverschuldete Unheil mit andauerndem Gejammer und Gezeter kommentiert und nichts, aber auch rein gar nichts richtig macht. Sie biegt sich alles hübsch zurecht – Stephen Rea hat natürlich selber Schuld daran, daß sie ihn umgefahren hat. „Wäwäwäwäwä“ als Lebenseinstellung. Man wünscht ihr Menstruation den ganzen Monat lang. Ihr drogenkundiger Big Jim aus dem HipHop-Lager erweist sich als völlige Flachpfeife und fängt fast zu heulen an, als er mit der neuen Kühlerfigur konfrontiert wird. STUCK ist mit Leichtigkeit der beste Film von Stuart Gordon, den ich bisher gesehen habe. Allerdings leidet er wieder einmal unter der Neigung des Regisseurs, pubertäre Geschmacklosigkeiten einzustreuen. Die Szene, in der das Schoßhündchen eines (na klar) schwulen Nachbarn an Stephen Reas offenem Bruch leckt, hätte man sich z.B. verkneifen können, und auch einige andere Splattereinlagen lenken eher von der Geschichte ab. Zugute kommt dem Film – neben der wirklich originellen Storyidee –, daß Gordon das Ungemach des ohnehin ökonomisch gebeutelten Rea in minutiöser Weise schildert. Dies macht die Sache ziemlich spannend, sorgt aber auch für unerquickliche Einzelheiten, die sanfteren Gemütern sauer aufstoßen werden. Ich hätte es vorgezogen, wenn man die Story geradlinig durchgezogen hätte, ohne die schwarzkomödiantischen Akzente, aber auch so handelt es sich immerhin um einen preisgünstig hergestellten Film, der das Interesse des Zuschauers mit seiner packenden Geschichte wachhält. Und daß Rea etwa die Hälfte seiner Rolle in einer Windschutzscheibe festsitzt, ist sicherlich ein Novum in der Filmgeschichte...
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#634
Geschrieben 11. Februar 2009, 14:39
Einer der frühesten mexikanischen Horrorfilme, der sich der Legende der „weinenden Frau“ (la llorona) annimmt. In der Rahmenhandlung geht es um den Arzt Ricardo (ständig lächelnd, dem Kinohelden Gilbert Roland nicht unähnlich), dessen kleiner Sohn Juanito gerade seinen vierten Geburtstag feiert. Schwiegervater Don Fernando ist beunruhigt, da auf seiner Familie ein Fluch lastet, der jeden Erstgeborenen ereilt, wenn er sein fünftes Lebensjahr erreicht hat. Zur Bekräftigung liest er eine Geschichte aus einem alten Buch vor, die als ausgedehnte Rückblende präsentiert wird: Zwei Männer – ein Edelmann und ein Soldat – lernen einander kennen. Der Soldat verliebt sich in die Frau des anderen. Der Konflikt wird gelöst, als sich Don Rodrigo (ein Vorfahre der vermaledeiten Familie) verehelichen will und der Soldat auf der Hochzeit mit Frau und Kind des Bigamisten erscheint. Die unglückliche Gattin ersticht daraufhin das vierjährige Kind und nimmt sich selbst das Leben. Als der Soldat und Don Rodrigo einander duellieren, erscheint auf einmal der Geist der Frau auf dem Balkon, stößt einen langanhaltenden Klagelaut aus und fliegt davon. Eine spätere Rückblende führt sogar noch weiter in die Vergangenheit der Familie zurück, als der Eroberer Cortes einer Indianerin namens La Malincha ihr Kind raubt, um es als spanischen Edelmann aufzuziehen. Dieser Pervertierung der Herkunft ihres Volkes begegnet La Malincha ebenfalls mit Suizid, doch ihr Geist lebt fort...
Die Rahmenhandlung bindet diese Geschichten ein in eine gegenwärtige Wiederholung der Vorgänge, nur daß sich der vermummte Täter als Mensch/Dämon entpuppt, der die Legende der weinenden Frau weiterträgt. Faszinierend an diesem sehr schönen Film ist vor allen Dingen die Einbeziehung der Geschichte des mexianischen Volkes. Während angelsächsische Geisterfilme meistens von den Sünden einer Vergangenheit leben, die auf individuelle Missetaten zurückzuführen sind, ist es hier die Unmenschlichkeit der „Eroberer“, die dem indianischen Volk ihre Identität rauben wollten. Symbolisiert wird das durch den Aztekenring, den sowohl die Frauen in den alten Geschichten tragen als auch der Mörder in der Rahmenhandlung. Die übernatürlichen Elemente beschränken sich auf drei Szenen, die aber alle sehr hübsch realisiert sind, wie man auch insgesamt feststellen muß, daß der Film – abgesehen von den deutlich eingeschränkten Sets – filmtechnisch den Vergleich mit Hollywood nicht zu scheuen braucht. Anders als dort wird die tragische Geschichte zudem mit feierlichem Ernst erzählt, der auch heute noch beeindruckt. Die Legende der „Llorona“ wurde auch von vielen anderen Filmen erzählt, bis zum heutigen Tag.
P.S.: Meine Kopie dieses sehr alten Filmes war leider defekt und ließ Bild- und Tonspur ständig weiter auseinanderdriften, was wohl auf eine unsachgemäße Verwandlung in das DivX-Format zurückzuführen ist. Auch so behielt der Film aber seinen Zauber. Ich hoffe mal, daß bald eine bessere Kopie zur Verfügung steht.
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#635
Geschrieben 11. Februar 2009, 17:14
Da ich mir in letzter Zeit eindeutig zu viele amerikanische Filme angeschaut habe, ist etwas Entgiftung vonnöten. Dem Mexikaner folgt ein Indonesier. Beginnt auch schon richtig toll: Allerlei bunter Schangel, da ein junger Mann namens Kohar die Tochter des Dorfhäuptlings heiraten will. Als böse Geister die Feier stören und ein Schamane von bösen Geistern aus dem Westen schwafelt, ist für Kohar der Fall klar: Murni steckt dahinter! Murni, ein unschuldiges Mädchen, hatte ihm einst ihre Unschuld geopfert, da sie auf seine Plüschaugen reinfiel. Flugs stellt Kohar einen fackeltragenden Lynchmob zusammen, der Murnis Muddi abfackelt und die junge Dame den Abhang hinunterwirft. Dort wird sie von einem Kräuterhugo entdeckt, der sie gesundpflegt und ihr schwarze Magie nahelegt, um sich an den Dörflern zu rächen. Gesägt, tun getan – Murni sieht rot und zieht ausgewählten Dörflern die rote Gummiglatze vom Kopf. Nachdem sie auch Kohar gerichtet hat, will sie ablassen vom unfrommen Tun, doch der Kräuterhugo verfolgt eigene Ziele, wurde er doch einst vom Dorf nicht zum Häuptling gewählt. So ist es denn an einem heiligen Mann, der zufällig durch den Dschungel reist, das böse Treiben von Murni und ihrem Hugo zu beenden...
Abgesehen davon, daß ich es toll finde, daß die Heldin Murni heißt (bestimmt ist auch F.W. Murnau von seinen Knäblein so genannt worden!), verströmt der Film den überbordenden Enthusiasmus eines außer Rand und Band geratenen Kindergeburtstages. Murni (die von einer Darstellerin mit dem schönen Namen Suzzanna gegeben wird) kennt keine Gnade und läßt Gegenstände durch die Luft fliegen, Bauern zerplatzen und badet auch schon mal nackt, was freilich mit einem die interessanten Körperteile verdeckenden Nebelschleier einhergeht. Die Splattereffekte sind auf unschuldige Weise explosiv und erinnern etwas an die Wasserbomben meiner Kindheit – das Finale von SCANNERS meets Augsburger Puppenkiste. Einmal mehr fällt auf, daß Hexen im südostasiatischen Bereich gerne herbeigeholt wurden, um die böse Männerwelt zu bestrafen. Das bedient zum einen die Angst vor Frauen, die vielen Männern zu eigen ist, und andererseits läßt es einigen besonders widerwärtigen Exemplaren meines Geschlechtes Recht zukommen, so daß man obendrein das Feigenblatt der Ausgewogenheit vor den Schniedel halten kann. Von einer feministischen Ausrichtung zu sprechen, ginge da fraglos zu weit, aber Filme wie dieser oder LADY TERMINATOR besitzen ihre eigenen Reize. Ein überaus schmackhafter Ingwerkeks mit Sättigungsgarantie, der meines Wissens auch gerade in Amiland als DVD erschienen ist oder es bald tut.
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#636
Geschrieben 11. Februar 2009, 19:47
Dr. Kuzumi begibt sich mit seiner Frau aufs Land, da jene an Tuberkolose leidet. Im Dorf ihrer Kindheit beziehen sie ein altes Haus, das vor Ort als nicht ganz geheuer verschrien ist. Sofort beginnt seine Frau Yoriko, unheimliche Dinge zu erblicken: Eine alte Frau schleicht gebückt um das Anwesen; eine Katze folgt den Städtern auf Schritt und Tritt. Da auch dem Arzt allmählich mulmig wird, konsultiert er einen ortsansässigen Priester, der ihm die Geschichte des Hauses auseinanderlegt. Es ist eine Geschichte voller Blut, Ausbeutung, Unrecht und Rache...
Nobuo Nakagawa gilt als einer der angesehensten Regisseure von „kaidan eiga“, von Geistergeschichten. Daß sich japanische Geistergeschichten sehr von ihren europäischen Kollegen unterscheiden, macht sie aus der hiesigen Sicht sehr faszinierend und sehr pittoresk. Es finden sich viele Verweise auf die Historie des Landes wieder, finsteres Karma führt zur Wiederkehr einstiger Untaten, und es erfordert schon drastische Maßnahmen (z.B. die Auslöschung ganzer Familien), um die unruhigen Geister zu besänftigen. Die moralischen Wurzeln der spezifisch japanischen Art des Geisterfilmes arbeitete Nakagawa in seinem wohl bekanntesten Film aus, dem Höllendrama JIGOKU. Die Visualisierung des geisterhaften Treibens enthält sich weitgehend der Schreckeffekte Hollywoods. Die Gespenster laufen durch die Gegend wie normale Menschen, was ihnen aber eigentümlicherweise nichts an Bedrohlichkeit nimmt – weit gefehlt. Japanische Geister besitzen unerhört viel Stil. Sie erzeugen Schrecken durch vermeintlich unwichtig erscheinende Details. So verbergen sie gerne ihr Gesicht (vgl. Sadako in RINGU) oder bedienen sich ausgesprochen unnatürlicher Bewegungsabläufe (vgl. ebenfalls Sadako oder die Mutter in JU-ON). MANSION OF THE GHOST CAT nun ist ein Vertreter einer Untergattung der „kaidan eiga“, der „bakeneko mono“, die sich mit geisterhaften Katzen beschäftigt. Hier ist es eine Katze, die das Blut (und somit den Haß) einer Frau aufleckt, deren einziger Sohn brutal ermordet wurde. Während der Mittelteil des Filmes den Ursprung des Fluches schildert und in leuchtenden Farben zu sehen ist, findet die Rahmenhandlung in blaugetöntem Schwarzweiß statt. Das Auftauchen der Geisterfrau wird durch das Wissen um den Hintergrund noch unangenehmer. In einer der eindrucksvollsten Szenen wird eine Angestellte des herrschaftlichen Haushaltes Zeuge, wie sich die dämonisierte Mutter des Bösewichtes nach Katzenart die „Pfoten“ ableckt. Da das Mädchen zu Recht um ihr Leben fürchtet, versucht sie, der mittlerweile mit einer langen, weißen Mähne und Katzenohren ausgestatteten Frau zu entkommen, doch der Schattenriß der sich bizarr verrenkenden Greisin zwingt sie zurück in das Haus, selber dabei ballettartige Bewegungen ausführend, einen Tanz in das Verderben. Diese Szene hätte leicht lächerlich wirken können, aber ich saß nur mit offenem Mund da und staunte. Nakagawas Filme sind wirklich allesamt Kunstwerke, die mit ruhiger, teilweise statischer Bildführung Geschichten erzählen, die vom unentrinnbaren Schicksal handeln, in das sich die hektisch agierenden Figuren verheddern, bis sie rettungslos Bestandteil der Geschichte sind. Großes Kino. Die japanischen DVDs sind leider sauteuer, aber sie lohnen sich und sind freundlicherweise sauber untertitelt.
Bearbeitet von Cjamango, 11. Februar 2009, 19:54.
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#637
Geschrieben 13. Februar 2009, 15:06
Ein Schiffbrüchiger namens Parker wird von einem Handelsschiff an Bord genommen, das lebende Fracht zur Insel des Dr. Moreau bringen soll. Dr. Moreau (Charles Laughton) hat einen Ruf wie Donnerhall, soll er sich doch mit widernatürlichen Experimenten befassen. Da Parker mit dem Käpt'n Streit anfängt, schmeißt ihn dieser auf der Insel kurzentschlossen über Bord. Als unfreiwilliger Gast des unorthodoxen Mediziners bekommt Parker schon bald spitz, worum et jeht: Moreau schlägt der Evolution ein Schnippchen und kreuzt Mensch mit Tier, dabei merkwürdige Mischformen erzeugend, die im Wald als Eingeborene gehalten werden und einer von Dr. Moreau implementierten Religion folgen. Doch das Tier läßt sich nicht auf ewig verleugnen...
Ein wahrhaft haarsträubender Film, der auf dem berühmten Roman „Die Insel des Dr. Moreau“ von H.G. Wells beruht. Daß H.G. Wells sich seinerzeit sehr abfällig über ISLAND OF LOST SOULS geäußert haben soll, ist wohl dem Umstand zu verdanken, daß sich Erle C. Kentons Bearbeitung im wesentlichen auf die Horrorelemente konzentriert. In Großbritannien war der Film auch bis 1958 verboten, und selbst für heutige Zuschauer ist die Story starker Tobak. Was sind das eigentlich genau für Experimente, die Dr. Moreau da ausführt? Man möchte das nicht so genau wissen. Die mehr oder weniger fehlgeschlagenen Resultate, die Bestie zu zivilisieren, laufen im Dschungel herum und würden jeder Freakshow zur Ehre gereichen. Im Vergleich zum zur selben Zeit entstandenen FREAKS schlägt ISLAND einen ungleich harscheren Ton an. Zwar wird schon klar, daß die Zivilisation – repräsentiert u.a. durch den dicken Doktor – ihre Schattenseiten besitzt, denn Dr. Moreau ist ein völliger Menschenverächter. Speziell mit Frauen hat er es nicht so. (Hier zahlt sich Laughtons sehr feminine Diktion aus.) Doch die humanistische Gesinnung, die das Rückgrat von FREAKS bildet, fehlt hier fast völlig, so daß ISLAND eher Niedergeschlagenheit und das Gefühl völliger sittlicher Verwahrlosung erzeugt. (Klingt toll, was?) Der Schluß – die grausame Vivisektion Dr. Moreaus durch seine Bestien, die sich am Skalpellschrank verlustiert haben – ist die folgerichtige Entwicklung – man kann das Tier nicht aus dem Menschen herauszivilisieren, wie auch gegensätzliche Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Es gibt zahlreiche großartige Szenen. Bela Lugosi hat einen tollen Auftritt als Verkünder von Dr. Moreaus Gesetz, „The Law“, wenn er den anderen Halbmenschen im besten Devo-Stil skandiert: „Are we not men?“ Laughton ist einfach unbezahlbar, wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Evolutions-Devolutions-Experimenten berichtet. Unter den Tiermenschen befinden sich angeblich auch Randolph Scott, Alan Ladd und Buster „Flash Gordon“ Crabbe. Da es sich um einen sehr frühen Tonfilm handelt, gibt es kaum Hintergrundmusik, was die frösteln machende Qualität des Werkes noch unterstützt. Mit Sicherheit einer der interessantesten und grausamsten Horrorfilme jener Tage, der meines Wissens noch keine adäquate Veröffentlichung auf DVD erfahren hat. Wäre ein prima Doppelprogramm mit GRAF ZAROFF, GENIE DES BÖSEN. („Was ist das Gesetz?“ – „Nicht auf allen Vieren gehen, das ist das Gesetz. Sind wir nicht Menschen?“)
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#638
Geschrieben 13. Februar 2009, 18:08
Cristina, ihr Ehemann Eduardo und der gemeinsame Freund Alfonso unternehmen eine Landpartie, die sie ins Gebirge führt. Dabei verlaufen sie sich, und da es im Gebirge nachts recht kalt wird, suchen sie nach einem Unterschlupf. Ihr Weg führt sie zu einem alten Kloster, in dem die Mönche noch ein Schweigegelübde befolgen. Man gewährt ihnen Unterkunft für die Nacht. Allerdings haben sie sich dabei den Gepflogenheiten des Klosters zu unterwerfen. So muß jeder von ihnen eine separate Zelle bewohnen, was besonders Cristina und Alfonso schwerfällt, zumal beide kurz davor stehen, Eduardo Hörner aufzusetzen. Neben einigen unheimlichen Zwischenfällen irritiert sie besonders die Mönchszelle von Bruder Rodrigo, der einst in sündiger Liebe zur Frau eines Freundes entbrannte. Sein Vergehen ließ ihn auch nach seinem Tode ruhelos umherwandeln. So verschloß man die Zelle mit einem Holzkreuz, das mittlerweile fast völlig verrottet ist. Doch merkwürdige Laute dringen aus dem Raum. Und als Alfonso selbst unschlüssig durch den Korridor schleicht, öffnet sich die Tür...
Eine weitere klassische Geistergeschichte aus Mexiko, die zwar eher im Gewand eines Melodrams daherkommt, dabei aber einige übernatürliche Akzente in die moralische Geschichte hineinwebt. Das Tempo, das der Film dabei anschlägt, ist sehr gemächlich – Schocks und Suspense sind nicht das Ziel des Regisseurs. Stattdessen profitiert der Film von dem Umstand, daß offensichtlich in einem echten alten Kloster gefilmt werden konnte, in das die schweigenden Brüder auch prima hineinpassen. Eigentlich sehen sie aus, als würden sie für den ersten „Reitende Leichen“-Film üben, aber das war ja noch fast 40 Jahre hin. Ein ausgesprochen schön gemachter Film, der erneut beweist, daß die Filmtechnik in Mexiko bereits weit fortgeschritten war. Dies hing wohl auch damit zusammen, daß viele der dort tätigen Fachleute ihr Handwerk in Hollywood gelernt hatten und es in den Dienst einer sehr eigenen, ernsthaften, bisweilen feierlichen Erzählweise stellten. Es wäre interessant gewesen, was Luis Bunuel aus dem Stoff gemacht hätte, aber der dressierte zu jener Zeit ja noch andalusische Hunde... Toll! Würde ich gerne mal untertitelt erleben.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#639
Geschrieben 15. Februar 2009, 18:33
Diese frühe chinesische Version von Gaston Leroux´ „Das Phantom del Opel“ ist ohne Frage die traurigste Fassung, die ich jemals von diesem Werk gesehen habe. Gleichzeitig stieß sie mich dramatisch auf die Grenzen meines Kulturverständnisses, was u.a. daran gelegen haben mag, daß die von mir gesichtete Kopie keine Untertitel besaß und mein Mandarin gewissermaßen etwas eingerostet ist...
SONG AT MIDNIGHT erzählt von einer Theatertruppe, die in einem heruntergekommenen, einstmals großen Theater ein Stück einproben will. Früher war dies die Wirkungsstätte des großen Schauspielers und Sängers Sing Dangping (prchchch...), der unter geheimnisvollen Umständen verschwand. Der junge Sänger Sun kommt mit seinem Part nicht klar, erhält aber Hilfe von einer mysteriösen Stimme, die ihm den Weg zum Starruhm weist. Das Stück wird ein voller Erfolg, und Sun möchte sich bei seinem Gönner bedanken. Jener zeigt sich ihm schließlich, verhüllt von einer Kapuze. Natürlich ist es Sing Dangping, der einst in die Tochter eines skrupellosen Händlers verliebt war und mit ihr durchbrennen wollte. Der Vater und der zukünftige Ehemann des Mädchens lassen Sing fangen (Sing Fangping?) und ordentlich durchpeitschen. Außerdem bekommt er noch Säure in die Visage geschüttet und ist somit gesellschaftlich untragbar. Das Mädchen wird daraufhin wahnsinnig. Pingpong Sack will Rache...
Der fast zwei Stunden lange Film enthält zahlreiche Gesangsszenen, die für hiesige Geschmäcker etwas verwirrend anmuten und die Handlung zudem solide ausbremsen. (Vgl. auch die entsprechenden Darbietungen in indischen Horrorfilmen.) Die diversen Arien klingen zudem alle etwas wie Knödel-Schlager à la „Volare“. Das Lied, das Sing Dangping für seine Angebetete geschrieben hat, ähnelt dem berühmten Gassenhauer „Ich bin der japanische Sandmann“. Außerdem irritiert, daß die Männer alle ganz hohe Stimmen haben, etwa wie europäische Frauen, während die Frauen mit Mickymausstimmen herumpiepsen (etwa wie Beaker aus der „Muppet-Show“!), was ihre erotische Ausstrahlung – zumindest für mich – deutlich schmälert. Neben den Arien verwendet Regisseur Maxu Weibang einige klassische Musikstücke (z.B. Mussorgskys „Nacht auf dem kahlen Berge“ und „Bilder einer Ausstellung“, sowie George Gershwins „Rhapsodie In Blue“, merkwürdigerweise aber meistens in doppelter Geschwindigkeit!) Das ist schon recht wild. Der traurige Sänger Sing Dangping hat es wirklich nicht gut getroffen, denn er sieht aus, als wäre er in die Moulinette geraten. Der Weg zu seiner Liebsten ist ihm für immer versperrt, was ihn in einigen Szenen zu ausgedehntem Leiden veranlaßt. Zwar ist der Film offensichtlich als Gruselfilm nach westlichem Vorbild angelegt (es gibt sogar fackelschwingende Dörfler à la Universal), doch hat mir das „Phantom“ in erster Linie leid getan. Wenn ich die Dialoge verstanden hätte, wären meine Augen bestimmt feucht geworden. Auch so war die Sichtung aber sehr eindrucksvoll, wenngleich ich mich häufig gefragt habe, was das eigentlich für Menschen sind, die Chinesen. Aber man muß ja nicht alles verstehen. In seinem Heimatland führte SONG AT MIDNIGHT jedenfalls zu einer direkten Fortsetzung und diversen Neubearbeitungen.
Der japanische Sandmann (trad.):
Riesele so vor mich hin
Das Rieseln ist mein Hauptgewinn
Bin leichter als die Wolke
Und weißer als die Molke
Ich bin der japanische Sandmann
Und hege keinen Arg
Wer sich mir in den Weg stellt,
Den packe ich in den Sarg
Segenspendend klingt mein Lied
Formvollendet schwingt mein Glied
Harmlos, leidlos, Schwerenot
Der Morgen kommt, und du bist tot
Ich bin der japanische Sandmann
Und meine es nur gut
Bestelle meine Felder
Ernähre mich von Blut
So preiset mich nach Kräften
Und legt euch für mich hin
Bereitet mir die Lagestatt
Und lutscht an meinem Pinn
Ich bin der japanische Sandmann
Die Nacht ist längst vorbei
Mein Vater hieß Heinz-Jürgen
Und hatte nur ein Ei
(Aus dem Chinesischen von Inge Müller-Kampe)
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#640
Geschrieben 24. Februar 2009, 23:32
Kim Basinger spielt eine Mutter und Hausfrau, die von ihrem aggressiven Börsen-Arschloch-Ehemann diskriminiert wird. Nach einer weihnachtlichen Auseinandersetzung fährt sie zum Einkaufszentrum, wo sie auf äußerst dumme (und unwahrscheinliche) Weise mit einer Jugendgang (besser gesagt: Spätzwanziger-Gang!) aneinandergerät. Ein Wachmann interveniert und kassiert eine Kugel in den Kopf. Nun sind die Spätzwanziger hinter Kim her und wollen sie killen.
Wo ist er nur, der einsamste Ort, an den man sich zusammen mit den entmenschten Asozialen verziehen kann? Dies ist nun mal wirklich der dümmste Film, den ich seit langer Zeit gesehen habe. Schade eigentlich, denn handwerklich kann man ihm nichts Schlechtes nachsagen. Inhaltlich aber biegen sich die Balken. Spätestens ab jenem Zeitpunkt, an dem sich Frau Basinger – mit einem annehmbaren Vorsprung auf der Habenseite – vor dem fiesen Jungvolk verdrückt und sich dafür ausgerechnet eine abgelegene Baustelle (am letzten Weihnachtseinkaufstag!) aussucht, war ich nur noch am Jaulen. Der Film ist zwar von einer Frau inszeniert worden, aber sie scheint Frauen nicht sonderlich zu mögen. Frau Basinger benimmt sich närrisch hoch zehn. Die ist so blond, daß sie sogar geduldig auf das Eintreffen der eiskalten Killer wartet und nicht etwa die Beine in die Hand nimmt, als ihr Auto abkrekelt. Meine erste Reaktion wäre: verpissen, verstecken, Waffe organisieren. Sie fummelt erst einmal stundenlang am Motor rum und haut dann, als die Schurken fast schon vor ihr stehen, mit einem roten Werkzeugkasten ab. Groß, leuchtend, unhandlich. Topp, die Watte quillt! Sie jammert und ramentert, macht auf jede denkbare Weise auf sich aufmerksam und entwickelt dann, wenn's drauf ankommt, völlig unerwartete Killerinstinkte. Dann wird wieder gejammert. Au Mann. Ein Wunder, daß Jodie Foster nicht mitspielt, denn nach FLIGHTPLAN und DIE FREMDE IN MIR hat jene sich immer mehr zur Spezialistin für dümmlich geskriptete Hochglanzware entwickelt. WHILE SHE WAS OUT ist leider nur ein mittelmäßig spannender, völlig unlogischer, erzkonservativer Murks, der eine Gruppe von ethnisch bedenklichen Außenseitern (Poor White Trash, Schwarzer, Latino und Vietnamese) als Bürgerschrecks anbietet, damit sie dann abgemetzelt werden können. Das Ganze versteckt sich dann (=Ehegeschichte Basinger) auch noch hinter jämmerlichen pseudopsychologischen Mätzchen. PARTY DES GRAUENS z.B. war schmierig, schmierig, schmierig, und das ist wenigstens ehrlich. Dieser Film hier hat fast gar nichts, verbockt das wenige, das er hat, und tut sich auch noch groß damit. Ein Gnadenpunkt für die Verwendung von Roxy Musics „In Every Dream Home A Heartache“ im Abspann, aber selbst der Song bekommt noch einen unangenehmen Beigeschmack. Murks!
P.S.: Vor einiger Zeit gesichtet, aber ungleich besser: die Parkhaus-Nervenmühle P2. Der hatte zwar inhaltlich auch nicht viel auf Lager, leistete sich aber eine Heldin, die sich in der Stunde der Not wenigstens mal einigermaßen smart verhält. Man möchte die Menschen ja bewundern. Und einen Schockeffekt hatte der in petto, den ich heute noch nicht verwunden habe...
Bearbeitet von Cjamango, 24. Februar 2009, 23:40.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#641
Geschrieben 05. März 2009, 16:12
Am BAADER-MEINHOF-KOMPLEX habe ich mich bisher vorbeigemogelt, da ich nach dem ONTERGANG Finsteres erwartete. In meiner Generation gibt es bemerkenswert viele Leute, die dem Phänomen RAF mit einer gewissen Sympathie gegenüberstehen – zu Studentenzeiten noch unverhohlen, jetzt – mit einem gutbürgerlichen Job und Familienpuschen im Handgepäck – eher verklausuliert und abwägend. Das führt zu so manchem belustigendem Widerspruch, da man versuchen möchte, Unvereinbares (Herz und Hirn?) miteinander zu versöhnen. Für mich war das niemals ein Problem, da ich der RAF gegenüber schon immer uneingeschränkte Abneigung empfand. Ebenso, wie bei mir jedesmal Untertitel mitlaufen, wenn ich einen Politiker im Fernsehen lügen sehe, empfinde ich solche Hanswursten als sogar noch widerwärtiger als Nazis und Nazis im Geiste, da jene ihre niederen Absichten wenigstens nicht mit einem Heiligenschein umkränzen und keine grundsätzlich unterstützenswerte Anliegen diskreditieren. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß zu meiner Studentenzeit nur noch ein anachronistischer Nachklapp namens „Marxistische Gruppe“ herumgurkte, der dann irgendwann stumm entschlief. Die Lücke, die sie hinterließ, ersetzte sie vollkommen. Ich erwartete also Arges und machte mich darauf gefaßt, die ganze Zeit über die Stirn zu runzeln und „Ich zünde meine Nase an und nenn´ es Widerstand...“ zu singen.
So kam es aber nicht. Nicht ganz. Tatsächlich fand ich den Film sogar recht interessant, wenngleich zumindest zwiespältig. Beginnen wir mal mit der "Ästhetik des Widerstands“. Am Anfang von BMK steht der Schah-Besuch und die Geschichte mit Ohnesorg und Kurras. Uli Edel verwendet ein am gegenwärtigen Hollywood-Kino orientiertes Actionformat, das ein wenig an EIN MANN SIEHT ROT erinnert, nur mit knüppelnden Bullen anstelle von asozialen ethnischen Randgruppen mit Vergewaltigungswunsch. Das wirkt fast wie ein leidenschaftlicher Aufruf zur Gegengewalt. Dieser Ästhetik bleibt der Film auch im weiteren Verlauf treu, somit den Heldenmythos RAF solide unterfütternd mit aufpeitschenden Spannungsszenen, in denen man Baader, Ensslin und Konsorten fast schon die Daumen drückt. („Vorsicht, Kasper, das Krokodil bzw. die Mehlmützen!“) Die „behind the scenes“-Footage der RAF fällt allerdings schon bedeutend ernüchternder aus, da sich die zu Anfang noch idealistischen Widerständler mehr und mehr in einem aufgesetzt wirkenden, gläubischen Politphrasen-Kauderwelsch verstricken, der deutlich im Widerspruch steht zu ihren gruppendynamischen Schwierigkeiten. Der innere RAF-Kader wird als eine hochgradig patriarchalisch strukturierte Hackordnung dargestellt, wie sie auch meinen eigenen Erfahrungen im Zusammenhang mit sich selbst als unabhängig und rebellisch empfindenden Gruppierungen entspricht. Baader dröhnt andauernd „Fotze“ durch die Gegend, die Mädels stören sich nicht daran, und man darf dann seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen. Besonders gefallen hat mir der Ausflug ins PLO-Ausbildungslager, wo Baader und Konsorten sich aufführen wie ein Kindergarten und sich glücklich schätzen dürfen, von den Islamisten nicht einfach umgelegt zu werden. (Gudrun E.: „Fucking and shooting are the same!“)
BMK serviert einen großzügig budgetierten und brillant inszenierten Reigen an Klischees, deren Holzschnittartigkeit durchaus dem revolutionären Impetus der dargestellten Herr- und Damschaften entspricht. Die Staatsmacht (Polizisten, Politiker, Bürgerschweine) werden weitgehend als Steigbügelhalter des herrschenden Systems dargestellt, ohne sie weiter zu vertiefen. In gewisser Weise ist BMK also der Film zum Mythos, der sich aber selbst entblättert und zur „self-fulfilling prophecy“ wird. Ob einem die Herangehensweise von Edels/Eichingers Film schmeckt, ist sicherlich Ansichtssache, aber ich finde sie faszinierend, zumal sie es dem Zuschauer recht leicht macht, sich diffamiert vorzukommen, egal welchem Lager man auch angehört. Vergleicht man BMK mit Christopher Roths ziemlich gutem BAADER, so fällt auf, daß Edels Film sich eher mit dem Mythos als mit den Menschen und ihren Motivationen auseinandersetzt. Roth spendiert Baader ja den kitschigen Heldentod, den sich dieser in seinen Macho-Fantasien gewünscht haben mag. (Wo bleibt eine Hollywood-RAF-Bearbeitung mit Billy Zane als Baader? Oder gleich Chuck Norris?) Edel präsentiert den „Befreiungskampf“ als ungemein hübsch anzusehenden und exzellent ausgestatteten Reißer, als Gefühlskino sozusagen, das den Widerstandskitsch von einst mit den Mitteln der gegenwärtigen Ästhetik darstellt – des Kaisers neue Kleider. Damit zeigt er die Wohlfeilheit von politischer Ästhetik ebenso auf wie die Analogie von alter und neuer Heldenverehrung, welche immer dort ihre Löcher aufweist, wo sie mit menschlichen Wesen zu tun hat. Dieses Bekenntnis zum publikumswirksamen Spektakel führt leider auch dazu, daß neben (beträchtlicher) Spannung auch eine Menge Tönjes produziert wird. Stellvertretend dafür erwähne ich mal die Sache mit dem Hungerstreik: Holger Meins wird zu Jesus, bekommt eine letzte Zigarette, die Polizisten grinsen nur schmallippig und höhnisch, der Anwalt weint – weia. BMK ist manipulatives Kino der Meisterklasse, dem man – trotz der öffentlichen Kontroverse – nicht wirklich vorwerfen kann, den Standpunkt der Terroristen einzunehmen, auch wenn er damit kokettiert. Er nimmt eigentlich gar keinen Standpunkt ein, sondern dokumentiert die damalige Zeit. Und als Zeitdokument kann man ihn aufgrund seines hohen Schangelfaktors nicht wirklich ernstnehmen. So bleibt denn allenfalls die Sekundärtugend der Unterhaltsamkeit. Für Kino reicht das, aber dem Thema angemessen ist es nicht wirklich.
Wie schreit Baader so schön: „Stadtguerilla operiert in dem Riß zwischen Staat und Masse!“ Den Riß gibt es sicherlich auch heute noch, aber der Film kippt Zuckerguß hinein. Wie bereits erwähnt: Zwiespältig.
Bearbeitet von Cjamango, 05. März 2009, 16:15.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#642
Geschrieben 09. März 2009, 22:21
Ein Mann erwacht in einer schlammigen Höhle. Er weiß nicht, wer er ist oder wo er ist. Eine Aufzeichnung, die ihn am Ende der Höhle erwartet, klärt ihn darüber auf, daß er sich im vierten Untergeschoß einer Installation namens „Eden Log“ befindet, die der krisengeschüttelten Menschheit der Zukunft alternative Lebensmöglichkeiten anzubieten scheint. Der Weg zur Oberfläche erweist sich als steinig: Nur wenige Menschen kreuzen seinen Weg, dafür umso mehr bestialische Mutanten. Das Geheimnis seiner Existenz erwartet ihn am Schluß...
EDEN LOG ist ein ziemlich bizarres Ding, das wie ein Rückfall in die 70er-Jahre-Intellektuellen-Science Fiction á la ZARDOZ, PHASE 4 etc. anmutet, allerdings erzählt mit der grotesken Bilderwelt von Jeunet und Caro. Zu Anfang dachte ich noch, ich würde den Film nicht durchhalten, aber dann gefiel er mir immer besser, zumal Regisseur Franck Vestiel seine Marschroute bis zum Schluß konsequent beibehält. Wer sich ironisch gebrochene Mainstream-Action erhofft, ist bei EDEN LOG denkbar fehl am Platze, da die sehr pessimistische und düstere Endzeitgeschichte mit feierlichem Ernst erzählt wird. Zudem muß Vestiel ein Budget zur Verfügung gehabt haben, daß jenes von Wenzel Storchs Filmen nur unwesentlich überstiegen haben wird. Gemessen an den geringen Mitteln ist es schon erstaunlich, was Vestiel und seine Bühnenbildner da zusammengebastelt haben. Wenn man mit den ersten 20 Minuten des Filmes etwas anfangen kann, wird einem der Rest auch munden. Ist definitiv nicht für jeden Zuschauer geeignet, aber ich bin schon sehr dankbar, wenn ich von Filmen überrascht werde und nicht immer alles schon vorausahne, weil der Regisseur den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist. EDEN LOG ist keine leichte Kost, zeigt aber, wie man mit wenig Geld gutes Kino zaubern kann. Hat mir gefallen.
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#643
Geschrieben 13. März 2009, 20:11
Eines der wenigen echten Meisterwerke des Horrorkinos stellt I WALKED WITH A ZOMBIE dar, der wohl beste der kleinen Reihe von billig produzierten Horrorfilmen, die Produzent Val Lewton für die R.K.O. drehte. In ihm geht es um die Krankenschwester Betsy, deren neuer Arbeitsplatz auf einer westindischen Insel gelegen ist, San Sebastian. Dort soll sie auf Jessica Holland aufpassen, die eine mysteriöse Krankheit zu einem willenlos herumwandelnden Geschöpf gemacht hat. Ihre Arbeit wird nicht gerade erleichtert durch den Ingrimm, der zwischen den Brüdern Paul – Ehemann von Jessica – und Wesley herrscht. Schon bald hat sich Betsy an das schwüle Arbeitsklima gewöhnt und entwickelt zudem tiefe Gefühle für Paul, einen zynischen Melancholiker. Er scheint von einem Geheimnis umwittert zu sein, und je mehr sich Betsy ihm und seiner Familiengeschichte nähert, umso angstvoller zieht er sich vor ihr zurück. Betsy muß feststellen, daß der Aberglauben der Eingeborenen eine Grundlage besitzt, die sie ihre medizinische Schulweisheit nicht hätte träumen lassen...
Jacques Tourneur, Sohn des berühmten Stummfilmregisseurs Maurice Tourneur, hatte mit CAT PEOPLE bereits den ersten Film der kleinen Reihe inszeniert. Seine ungemein subtile Regie – elegant, aber niemals die Aufmerksamkeit auf sich lenkend – paßte wie angegossen zum intelligenten Drehbuch, das auf eine für diese frühe Hollywood-Periode durchaus reife Weise Psychoanalyse und Aberglauben zusammenführte. (Man vergleiche etwa den pittoresken, aber doch ziemlich absurden Ansatz, den der 3 Jahre später erschienene SPELLBOUND von Alfred Hitchcock wählte: Ich Freud – du Jane bzw. Dali klick.) Die Möglichkeit einer psychologischen Erklärung macht auch den Reiz von I WALKED WITH A ZOMBIE aus, dessen Handlung Spuren von Charlotte Brontes Debütwerk „Jane Eyre“ und Hitchcocks REBECCA aufweist, unter deutlicher Beeinflussung der damals populären Film-Noir-Ästhetik. Der düstere Romantizismus von Hitchcocks Meisterwerk findet seine Entsprechung in der verhängnisvollen Zuneigung, die sich zwischen Betsy und ihrem neuen Arbeitgeber entwickelt. Paul wird getrieben von immensen Schuldgefühlen, die für ihn ein Schicksal konstruieren, dem er sich nicht entziehen kann (oder auch möchte). Er ist so etwas wie ein Erbe des Kolonialismus, dessen Lebensform sich überholt hat und jetzt von Neurosen und der Vitalität der einstmaligen Sklaven dahingerafft wird. Und was die Eingeborenen angeht, so fällt auf, daß sie deutlich mehr sind als die bösen Uga-Uga-Neger aus vergleichbaren Filmen jener Zeit. Auch wenn ihre Rituale durchaus erschreckend erscheinen, so sind es doch die Schwarzen, die am ehesten mit Leben konnotiert werden. Die Neurosen, die Zombiefizierung als Resultat einer kaputten Ehe, gehören den Herrenmenschen von einst. Während ehrbare Rollen für afroamerikanische Schauspieler in jenen Tagen noch eine Seltenheit darstellten, so besitzen sie hier eine gewisse Art von Würde, z.B. in Gestalt der überaus sympathischen Hausangestellten Alma, dargestellt von Theresa Harris, welche bereits in CAT PEOPLE eine einnehmende Gastrolle hatte. Man vergleiche etwa diesen Film mit dem 20 Jahre später hergestellten CURSE OF THE VOODOO, der sich wirklich in dummen Rassismen ergeht und die Schwatten als exotische, sinnliche, aber eben auch grausame und unheilbringende Naturwesen darstellt. I WALKED WITH A ZOMBIE hingegen ist ein intelligent konstruierter, poetischer und trotz seiner Zurückhaltung spannender Film, bei dem mein Horrorfanherz einfach nur gejuchzt hat – wegen solchen tollen Werken bin ich dem Genre seit all den Jahren zugetan! In den Staaten sind alle Val-Lewton-Filme in einer hervorragenden DVD-Box herausgekommen. Ich bezweifele, daß eine deutsche Veröffentlichung zu erwarten ist. Wenn man zumindest den einen oder anderen der Filme herausbringen möchte, so hoffe ich, daß dieses makellose Juwel dazugehört.
Bearbeitet von Cjamango, 13. März 2009, 20:14.
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#644
Geschrieben 16. März 2009, 16:40
Brand Hauser (John Cusack) ist, wie sein Name bereits andeutet, eine Marke: Ehemals CIA-Agent, hat er sich nunmehr in den Dienst der freien Marktwirtschaft gestellt und vertritt die Interessen des Großkonzerns Tamerlane im Ausland. Sein neuester Job führt ihn in das kriegsgeschüttelte Turakistan, wo windige Geschäftemacher versuchen, eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu errichten. Heraus kommt dabei vorerst nur eine große Absahne, aber immerhin funktioniert sie vorzüglich. Zumindest solange, bis Hauser seine Moral wiederentdeckt...
Ein eigenartiger Film, ein bißchen wie Robert Altman auf Speed. War Ben Stillers TROPICAL THUNDER so etwas wie eine Genreparodie auf Brüllwitzniveau (allerdings eine gute), so ist WAR, INC. ein extrem bösartiger Abstecher Hollywoods in den Bereich der Satire – normalerweise nicht gerade das starke Gewand Tinseltowns, wo institutionalisierte Selbstironie mittlerweile fast auf Knopfdruck funktioniert. Der vormalige Dokumentarfilmer Joshua Seftel präsentiert eine Welt, in der fast alle Menschen zu professionellen Menschendarstellern geworden sind. Was verlangt wird, wird gesagt, manchmal sogar gemacht. Persönliche Moral wird entweder umgebogen oder komplett weggesperrt. Gefühle werden kanalisiert, ausgebeutet und die Reste als Dünger verwendet für noch mehr Wachstum. Trotz des Staraufgebotes ist WAR, INC. alles andere als ein massenkompatibler Film, auch wenn es zahlreiche Kalauer im Handgepäck gibt. (Z.B. die sich auf eine Enthauptung vorbereitenden Gotteskrieger, die gerade ein Steven-Seagal-Video kucken und bemerken, daß Steven ziemlich fett geworden ist...) Sympathieträger gibt es eigentlich keine, sieht man einmal davon ab, daß man John Cusack eigentlich immer mögen muß, selbst wenn er Iwan den Schrecklichen spielt. Schwester Joan ist auch dabei und sieht mittlerweile ziemlich wie Desiree Nick aus. Hilary Duff glänzt als hohlköpfiger Popstar der Region, die „Britney Spears des Nahen Ostens“, die sich längst damit zufriedengegeben hat, nur eine Profithure zu sein, deren Marktwert sich nach ihrer Tauglichkeit als Sexobjekt richtet – das hat sie der echten Britney voraus. In gewisser Weise erinnert mich der Film etwas an meinen Lieblingsschriftsteller Kurt Vonnegut, nur halt auf den neuesten Stand gebracht. Wenn man eine Haha-Komödie kucken will, ist der Film sicherlich nicht die richtige Wahl, aber als kolossaler Arschtritt funktioniert er prächtig. In das „E-Z-Launch Pimp-Me-Up“-Raketenleitsystem, das auf der turakischen Expo angeboten wird, habe ich mich richtig verliebt...
Hauser, als er die im TV übertragene Hinrichtung eines Sittlichkeitsverbrechers organisieren soll: „Marsha, holen Sie mir Katie Couric, Al Jazeera und zweitausend Liter Schafscheiße!“
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#645
Geschrieben 17. März 2009, 00:06
Jenny und Steve sind ein junges Pärchen aus Großbritannien, das einen kleinen Campingtrip an einem gefluteten Steinbruch machen möchte. Der Eden Lake erweist sich als idyllisch, aber schon die ersten Eindrücke werden empfindlich getrübt von einer Bande jugendlicher Unholde, die sich denselben Platz zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit ausgesucht haben. Eine Kette von unerfreulichen Umständen führt dann dazu, daß der Trip für Jenny und Steve zu einem Urlaub in der Hölle wird...
Kotztüten mitbringen! EDEN LAKE beginnt einigermaßen verhalten, entwickelt sich dann aber schon bald zu einem Magenhammer, der den Vergleich mit LAST HOUSE ON THE LEFT nicht zu scheuen braucht. Die deutsche Fassung scheint sogar ungeschnitten zu sein – die Wunder werden nicht alle. Während die Killer aus LAST HOUSE aber lustvoll überzeichnete Butzemänner sind, die mit echten Straftätern etwa so viel zu tun haben wie Lex Luthor, wird der schwere Seegang in EDEN LAKE von einer Horde cockneyquatschender Minderjähriger bereitet, die recht glaubhaft gezeichnet und gut gespielt sind. Aus irgendeinem Grund hat mir das aber den Spaß am Film geraubt, denn das schmierige Vergnügen, das mir Backwoods-Slasher seit jeher bereitet haben, hat eben auch mit der Überzeichnung zu tun, die aus den puritanischen Reinigungs-Riten von Jason & Co. einen launigen Zirkus gemacht haben. EDEN LAKE hingegen serviert erzkonservative Angstfantasien, die die englische Unterschicht offensichtlich mit sadistischen Hooligans gleichsetzen soll, die vor absolut gar nichts zurückschrecken. (Bumsende sadistische Hooligans sogar: Die Swinger-Party am Schluß – ach du liiiebe Güte...) Dem Film gelingt es aufgrund seines guten Handwerks durchaus, Angst & Schrecken zu erzeugen. Eventuelle Vorbehalte, einem Kind den Schädel zu spalten, werden kompetent beseitigt. Die Drangsal der beiden Helden wird in allen Einzelheiten geschildert, wobei das Bemühen des Drehbuchautors (MY LITTLE EYE, GONE), alles so widerwärtig wie möglich geraten zu lassen, jederzeit spürbar ist. Der Film macht wirklich keine Gefangenen. Zunge mit Universalmesser zerschneiden tut weh. Der Schluß ist eine echte Überraschung. Davon abgesehen bringt der Film aber wirklich nicht viel mehr zustande als 90 Minuten Hochoktan-Generve, das alle Klischees über mißratene Kinder und die Unterschicht zusammensucht, und zwar nicht in subversiver Absicht, sondern zur Bestätigung einer „moralischen Mehrheit“, der zumindest ich nicht angehören möchte. Ich fand den Film hochgradig unsympathisch, möchte aber einräumen, daß andere Zuschauer das anders empfinden werden. Soll sich also jeder sein Urteil selber bilden. You have been warned. Für mich ist EDEN LAKE gut gemachter Mist.
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#646
Geschrieben 17. März 2009, 22:00
Ray Pye ist ein Muster ohne Wert, und fast jeder in dem Kleinstadtmilieu, in dem er aufwächst, weiß das. Obwohl er Schlag bei Frauen hat, hängt er meistens mit seiner Schnalle Jennifer und Kumpel Tim ab. Eines Abends kommt es zur Katastrophe, als Ray aus heiterem Himmel auf die Idee kommt, zwei Frauen umzubringen, die ihnen an einem See über den Weg laufen. Nach erfolgter Tat verwischt Ray die Spuren, und tatsächlich kommen die „Thrill Killer“ ungeschoren davon. Doch vier Jahre später zeigt es sich, daß Ray noch viel mehr auf dem Kasten hat...
Diese Verfilmung von Jack Ketchums gleichnamigem Roman ist mehr oder weniger das gemeinsame Kind von Lucky McKee (MAY, THE WOODS) und seinem Freund Chris Sivertson. Sehr ausführlich schildern sie das Privatleben eines gerade erwachsen gewordenen Psychopathen, seine Versuche, die gewalttätigen Impulse unter Kontrolle zu halten und sein letztendliches Scheitern. Der relativ preisgünstig produzierte Film profitiert von den guten Schauspielern, allen voran Marc Senter, der Ray Pye als einen gemeingefährlichen Kasper anlegt. Ray ist jugendlicher Narzißmus pur. In seiner schwarzen Lederkluft und seinen zurückgegelten Haaren wirkt er wie ein drolliger Anachronismus, eine Art 50er-Jahre-„Juvenile Delinquent“, nur daß der Halbstarke längst vergessen hat, wo seine selbstgewählte Rolle enden muß. Obwohl das Publikum dank des grausamen Anfangs weiß, wozu Ray fähig ist, wird der Film eine ganze Zeit lang entwickelt wie ein handelsüblicher Jugendfilm: Man bekommt sein ziemlich lächerliches, aber bemerkenswert erfolgreiches Balzverhalten mit (na ja, Kleinstadt!), seine Probleme mit den Kumpels, sein eigenwilliges Verhältnis zur Mutter, einer Hotelbesitzerin. Es gibt Drogenparties, renitente Polizisten und Herzeleid. Ray schnupft reichlich Koks und benimmt sich entsprechend überdreht und dummdreist. Wann immer seine Masche nicht verfängt, reagiert er hektisch, fast panisch, wie ein Kind, das nicht bekommt, was es haben will. Seine Sexualität ist mindestens ambivalent, aber Frauen dienen ihm eben dazu, sein Ego zu streicheln, und gewalttätige Ausbrüche sind niemals weit weg. Ich habe Ketchums Vorlage nicht gelesen, aber was ich gelesen habe, läßt vermuten, daß die psychologische Gestaltung des Protagonisten wohl auch im Zentrum des Romans gestanden haben wird. Sivertson schildert die Vorgänge einigermaßen zurückhaltend, läßt die Schauspieler in langen Einstellungen ganz einfach mal machen, immer eine Ahnung von schwarzer Komödie im Handgepäck. So richtig über Bord geht diese Tendenz am Schluß, als sich Ray sein ganz persönliches Heldenfinale bastelt, halt gesehen durch die Augen eines unter Drogen stehenden Psychopathen. Da wird grimassiert bis zum Abwinken, aber da der Schluß richtig biestig grausam wird, hat man nicht mehr wirklich Gelegenheit dazu, sich über ihn lustig zu machen. Ray Pye besitzt keine wie auch immer geartete tragische Dimension, keinen erzieherischen Nährwert – er ist einfach nur ein gemeines Stück Dreck, eine deformierte Kreatur ohne Herz, ein amoralischer Kasper, der sich seiner eigenen Lächerlichkeit vage bewußt ist, aber umso maßloser reagiert, wenn er sich angegriffen wähnt. Ein böses Kind. THE LOST ist verstörend, aber durchweg intelligent gemacht und ansprechend gespielt. Zudem ist die Soundtrackmusik exzellent ausgewählt. Ein Film, der beißt.
Bearbeitet von Cjamango, 17. März 2009, 22:02.
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#647
Geschrieben 18. März 2009, 01:14
Und gleich noch eine Jack-Ketchum-Verfilmung hinterhergeschoben...
Avery Ludlow (Brian Cox), Witwer und Kriegsveteran, lebt allein mit seinem Hund Red auf einer kleinen Farm in Maryland. Als er eines Tages angeln geht, tauchen ein paar Jüngelchen auf und fangen ein Gespräch mit ihm an. Wie sich zeigt, legen sie es darauf an, ihn auszurauben. Da Avery kein Geld dabei hat, erschießen sie aus Jux seinen Hund. Der alte Mann ist am Boden zerstört, findet aber heraus, daß der Anführer der Bande der Sohn eines reichen Fabrikbesitzers aus der Gegend ist. Als er dort auftaucht, nimmt man ihn nicht für voll – er wird vom Vater des Jungen auf die Straße gesetzt. Auch rechtliche Schritte scheinen nichts zu fruchten. Doch Avery denkt gar nicht daran, klein beizugeben, und hartnäckig macht er sich daran, den Tod seines Hundes zu vergelten...
Huch? Nach dem doch recht brutalen und düsteren THE LOST auf einmal ein Film über einen alten Mann und seinen Hund? Die Vorlage erschien kurz nach „The Lost“, und leider kenne ich auch sie nicht. Die Geschichte hätte verschiedene Pfade beschreiten können. Beispiel 1: Avery kauft sich eine Kalaschnikow und metzelt Tom Sizemore und seine mißratene Brut blutig nieder. (Hundebesitzer werden diese Variante favorisieren.) Beispiel 2: Avery kommt immer wieder zurück und holt sich eine um die andere Demütigung ab. (Eine Komödie um einen kauzigen alten Knaben mit dem Herz aus Gold.) Beispiel 3: Avery schleicht sich – als Hund verkleidet – in Tom Sizemores Villa ein, vergewaltigt die ganze Sippschaft und wird Damenimitator in Las Vegas. (Mein Favorit.) Es ist nicht zuletzt der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Brian Cox zu verdanken, daß keine der genannten Optionen zutrifft. Stattdessen entwickelt sich der Film zu einem Drama über Sinn und Unsinn von Rache. Avery Ludlow ist nämlich ein Mann, der an all die schönen Dinge glaubt, die unten an der Freiheitsstatue stehen und der einfach nur den Sieg der Wahrheit erleben will. Wenn die Wahrheit sich ziert, hilft er eben etwas nach. Avery hat alles verloren, was ihm nach dem Krieg an Leben geblieben war. Mit dem Hund hat man ihm jetzt auch seine letzte Orientierungshilfe genommen. Er will nicht wahrhaben, daß das alles sein soll. Mit aller Kraft klammert er sich an den Gedanken, daß man die Menschen bessern kann, wenn man nur will. Deshalb tut er alles, was in seiner bescheidenen Macht steht, um bei den Übeltätern Zerknirschung zu erreichen. Das führt schließlich auch zu Mord & Totschlag, aber nicht in der Weise, die ich bei Jack Ketchum erwartet hätte, dessen Bücher man ja meistens mit sehr abgründigen Psychopathologiestudien und sehr grausamen Details verbindet. Hier zeigt sich eher der Moralist Ketchum, der seinen Protagonisten – der eigentlich am Nullpunkt angelangt ist – nicht klein beigeben lassen möchte. Als Regisseur zeichnet einmal mehr Lucky McKee verantwortlich, der hier mit dem Dänen Trygve Allister Diesen zusammengearbeitet hat. Das Resultat ist ein hübscher, bescheidener Film, der leicht zu einer seichten Seifenoper oder einem simplen Brutalo-Quatsch hätte geraten können, aber er macht es richtig. Man erwarte nur halt nichts in Richtung EVIL oder so. Sympathischer Film für Hundefreunde.
Bearbeitet von Cjamango, 18. März 2009, 01:17.
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#648
Geschrieben 18. März 2009, 01:47
Jack Bauer, äh, Ben Carson (Kiefer Sutherland) war mal verdeckter Ermittler und hat durch einen fürchterlichen Fehler seinen Job verloren. Nun muß er sehen, wie er sich und seine von ihm getrennt lebende Familie über Wasser hält. Eine Anstellung als Nachtwächter in einem bei einer Feuersbrunst ausgekokelten Kaufhaus verspricht Hilfe. Schon nach einer Nacht weiß Ben aber, daß er sich mit diesem Job eine waschechte Zitrone an Land gezogen hat, denn es spukt, es spukt gewaltig. Wie es scheint, wohnen in den großzügig in der Ruine verteilten Spiegeln Geister oder Dämonen, die Ben fortan das Leben schwer machen. So ist er denn gezwungen, der Historie des Gebäudes nachzuspüren, um sich und seine Familie zu retten...
Von Alexandre Aja erwarte ich nach HIGH TENSION ja eine ganze Menge. Tatsächlich sieht MIRRORS optisch verflucht gut aus. Das Kaufhaus etwa ist erste Sahne. Zwar erscheint es ein wenig unglaubhaft, daß selbst die geschmacklosen Amerikaner ein solchermaßen barock zugekitschtes Monstrum als Konsumtempel akzeptiert hätten, aber mit Spinnweben und rostigen SILENT HILL-Türen überall sieht das schon ganz proper aus. Leider, leider, leider hat diese Neuverfilmung eines koreanischen Originals (das ich nicht kenne) einige Schwierigkeiten. Schwierigkeit Nummer Eins liegt auf der Hand: Kiefer Sutherland IST Jack Bauer. Fans der Serie „24“ (zu denen ich mich zähle) werden darüber nicht hinwegsehen können. Man wartet immer darauf, daß der Mann sein Handy rausholt und „Ich geh´ jetzt rein!“ hineinbrummelt. Man vergleicht halt doch immer. Der müßte jetzt schon einen einbeinigen Eskimo-Transvestiten spielen, um da wieder rauszukommen. Daß er in der deutschen Fassung die prägnante Spitzenstimme von Tobias Meister hat, hilft da nicht wirklich. Das ist der Bauer, da gibt's kein Vertun. Problem Nummer 2: Das Drehbuch strapaziert die Glaubwürdigkeit des Zuschauers arg. Warum, zum Beispiel, rücken die Krankenhausmokel einem trunksüchtigen Ex-Cop sofort Patientenakten und Videoaufzeichnungen raus, ohne groß Fragen zu stellen? (Ohne Rückfrage bei der C.T.U.?) Im wirklichen Leben wäre der nicht einmal beim Pförtner vorbeigekommen. Problem Nummer 3: Die eigentlich attraktive Grundidee, die Dämonen in Spiegelbildern und dann irgendwie auch im realen Leben tätig werden zu lassen, sorgt für zuviel Verwirrung: Können die jetzt immer im selben Raum killen, oder in einem Radius von 5 Metern, oder wie oder was? Problem 4: Der Schangel-Faktor. Spätestens bei den computergenerierten Flammenopfern habe ich gejault. Und mit CGI wird man leider zugekübelt. Ganz schlimm ist die dämonische Nonne am Schluß geraten. Die sieht aus wie ein Butzemann, der bei RESIDENT EVIL rausgeflogen ist. Auf der Haben-Seite gibt es neben dem tollen Kaufhaus-Set eine auf originelle Weise blutrünstige Szene mit Unterkieferbezug und ein recht effektives Ende, aber unterm Strich war ich sehr enttäuscht. Definitiv keiner für die Galerie.
Wer hingegen einen guten Film mit Kiefer Sutherland kucken möchte, kann sich mal das Gefängnisdrama LAST LIGHT ausleihen, das zwar frisch auf DVD rausgekommen ist, tatsächlich aber von 1993 stammt und Sutherlands erste Regiearbeit darstellt. Da spielt er einen völlig derangierten Killer im Todestrakt, der im „Poor White Trash“-Milieu aufgewachsen ist und jetzt auf den elektrischen Stuhl soll. Forest Whitaker ist sein Wärter. Eine Art Vorstudie zu DEAD MAN WALKING, aber nicht minder effektiv. Ein Beleg dafür, daß gut gemachte TV-Filme manchmal über deutlich gescheitere Drehbücher verfügen als so mancher groß produzierte Kinofilm. Den würde ich mal flugs in einer Reihe mit Farrah Fawcetts TV-Ehedrama DAS BRENNENDE BETT nennen. Ziemlich gut.
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#649
Geschrieben 20. März 2009, 13:18
In der näheren Zukunft: Ein Virus ist außer Kontrolle geraten und verwandelt alle Menschen in blutdürstige Zombies. Eine Gruppe junger Menschen verschanzt sich in einem Krankenhaus, das aber vor Zombies nur so wimmelt, also kein wirklich guter Ort zum Verschanzen ist. Vielleicht helfen ihnen ja die „Jäger“, eine Gruppe von furchtlosen Ex-Soldaten, die sich jetzt durch die Ruinen der Zivilisation bewegt, um alles zu „säubern“, wie sie das nennen...
El Plauzo ist wieder da: Steven Seagal betritt eine aufregende neue Phase seiner Karriere und kämpft gegen Zombies! Un-glaub-lich! Wie schlecht der Film auch ist, aber die Prämisse ist einfach unwiderstehlich. Nach den zumindest kuckbaren Actionern URBAN JUSTICE und PISTOL WHIPPED (grammatisch abenteuerlicher deutscher Titel: DEATHLY WEAPON!) und einem von mir noch nicht gesichteten Grübelwerk namens KILL SWITCH switched der Mime in den Overdrive und gibt uns einen drittklassigen Horrorschlocker, der über fast keine Handlung verfügt, aber über jede Menge blutiges Gebolze. Ungewollte Unterstützung erhält der freundliche runde Mann aus Michigan dabei von einem Drehbuch, das die unlogischen und schwer überschaubaren Vorgänge mit Nicht-Dialogen versieht, die den Bereich des Dadaistischen streifen und in ihrer undurchschaubaren Sinnlosigkeit an 80er-Jahre-Perlen wie THE RIFFS 3 erinnern. Die Zombies sind einigermaßen brauchbar designed und – gemessen an ihren italienischen Vorfahren – sogar relativ listig. Sie sind einigermaßen leicht zu entsorgen und ähnlich verletzlich wie normale Menschen, so daß sich die gewohnten Kopfschüsse erübrigen. (Was soll man mit Kopfschüssen in einem Steven-Seagal-Film auch schon ausrichten?) Seagal selber nennt sich hier Tao (hust!) und trägt anstelle der aus seinen jüngeren Werken gewohnten langen, nicht in die Hose gesteckten Hemden einen feschen schwarzen Ledermantel. Da das Blut der Zombies hochgradig infektiös ist, verwundert es etwas, daß die „Jäger“ Katana-Schwerter und andere Schnetzelwaffen benutzen, um die Zombies in den Orkus zu jagen, aber was soll man auch von einem Horrorfilm erwarten, der uns Hubertus Heil (SPD) als Helden in einer BLADE-Kopie serviert? Im „Making Of“ sprechen die Verantwortlichen (u.a. der Regisseur mit dem tollen Namen Richard Crudo!) von den großen ästhetischen Herausforderungen, die in die Herstellung des Filmes einflossen. So bemühte man sich um eine Farbkomposition, die den Bildern eine braune Textur verleiht. Eine braune Textur paßt in der Tat ganz hervorragend. Ein weiterer Produktionshansel vermutet nicht ganz zu unrecht, daß Seagal-Fans wohl erstaunt sein werden über diesen Genre-Seitensprung ihres Helden, aber vielleicht werde dem Schauspieler damit ein neues Betätigungsfeld erschlossen. Und tatsächlich – ich kann mir Seagal jetzt überall vorstellen: Western, Musicals, Space Operas, Blaxploitation, Bollywood, Pornos – die Zukunft ist grenzenlos und leuchtet verheißungsvoll. Lassen wir uns überraschen...
Wenn man gerade einige Stunden lang das Computerspiel LEFT 4 DEAD gedaddelt hat, erscheint AGAINST THE DARK als sinnvoller Abschluß des Tages – wieder einen rumgekriegt!
Bearbeitet von Cjamango, 20. März 2009, 13:22.
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#650
Geschrieben 26. März 2009, 13:23
Dieses schillernde Schmankerl aus dem Reich der geöffneten Schenkel und wippenden Dauerlatten stellt eine der seltenen Porno-Dokumentationen dar, die das Genre des Schmuddelkinos „transparent“ gestalten sollten (wie Politiker das heute nennen). Eine Journalistin namens Pascale will eine Reportage über die Sexfilmindustrie schreiben und gerät dabei an Gérard Kikoine, der gerade seinen Film PARTIES FINES dreht. (Übrigens einer der besten P-Filme mit Brigitte Lahaie!) In der Dokumentation wird das klassisch gelöst und mit einem Hauch von Überhöhung ausgestattet: Die subjektive Kamera (=Novizin Pascale) schwebt durch einen leicht nuttig aussehenden Perlenvorhang und betritt Pornutopia: Alban Ceray, Cyril Val, Brigitte Lahaie, Cathy Stewart und andere sind da gewaltig am Orgeln. Daß die Journalistin am Schluß ihre (ohnehin unterbezahlte) Schreibkladde an den Nagel hängt und ihre Wiedergeburt als Pornostar feiert, versteht sich bei dieser Art von Produktion von selbst. Da Kikoine aber kein Stümper ist und später mit sogar mit Schauspielern wie Anthony Perkins und Oliver Reed zusammenarbeiten durfte, sieht das Ganze ausgesprochen proper aus und enthält einige ganz nette Interviews mit der Lahaie, Guy Royer und Jacques Watteau. Während sich der ursprüngliche Film alle Mühe zu geben scheint, die Pornoindustrie in einem anheimelnden Licht zu präsentieren, arbeitet die Hamburger Synchro von Alan Vydra (ob das der Reiner Brönneke war?) diesem Bestreben munter entgegen und zotet nach Leibeskräften. So hört man die deutschen Stimmen von Kermit dem Frosch oder Oskar aus der Mülltonne so sensible Sachen äußern wie „Leck sie! Los!“ oder „Verdammt, jetzt hat der wieder an ihrem Gesicht vorbeigespritzt!“ Ich bezweifele stark, daß der Film das Gefallen von Alice Schwarzer gefunden hätte, aber Amokläufe wird er mit Sicherheit keine produzieren. (Was man von den Filmen Leni Riefenstahls – die ja mal von Frau S. sauber bebauchpinselt worden ist – nicht sagen kann, aber das nur so nebenbei...) Insgesamt handelt es sich bei dem Werk (das auch unter dem Titel LA VITRINE DU PLAISIR veröffentlicht wurde) um eine mittlerweile schon nostalgisch anmutende Seltenheit aus der Ferkelecke, deren dokumentarischer Wert allerdings stramm gegen Null geht.
Bearbeitet von Cjamango, 26. März 2009, 13:23.
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"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
#651
Geschrieben 31. März 2009, 13:49
Ein Bus rasselt in einen Strommast. Viele sterben, nur einer überlebt: Dan McCormick (Lon Chaney jr.), der aufgrund seiner Jahrmarktsauftritte mit Elektrizität offenbar eine ungewöhnliche Resistenz entwickelt hat. Der junge Mann ist kerngesund, gerät aber unglücklicherweise in die Hände zweier Wissenschaftler. Der eine, Dr. Lawrence, ist gut, rechtschaffen und erhofft sich von seinem neuen Patienten wertvolle physikalische Einsichten. Doch der andere, Dr. Rigas, wird von Lionel Atwill gespielt, und das bedeutet, daß hier kein Segen wohnt. In der Folge pölsert Atwill Chaney mit mehr und mehr Elektrizität zu, bis jener völlig abhängig geworden ist vom britzelnden Strom. Durch einen von Atwill verschuldeten Umstand kommt Lawrence ums Leben. Chaney wird zum Tode verurteilt – auf dem elektrischen Stuhl...
Und dann geht die Party richtig los! Dieser relativ seltene B-Horrorfilm der Universal Studios gehört zu den kleinen Juwelen, die man als Fan klassischer Gruseleien manchmal am Wegesrand erhascht. Die absurde Prämisse ist immerhin originell und ermöglicht Lon Chaney jr. einen seiner wenigen erinnerungswürdigen Auftritte als tragischer Held, der zum Monster gemacht wird. Chaney war zu diesem Zeitpunkt noch kräftig und gutaussehend. Alkoholmißbrauch ließ ihn in nur zehn Jahren komplett auseinandergehen, bis er aussah wie ein tschechischer Vizeersatzhausmeister. Hier erstrahlt er noch in vollem Saft und darf im Schlußakt mit im Wortsinne leuchtendem Gesicht die Heldin über den Acker tragen, vollgepumpt mit Volt. Dazu trägt er ein lustiges Fetischkostüm, das entgegenkommenderweise im Laboratorium des verrückten Wissenschaftlers deponiert worden war. Lionel Atwill leuchtet auch in seiner Rolle des bösen Dr. Rigas, und zwar ganz ohne Strom. Sicher, seine Finsterlinge aus Filmen wie DR. X und DAS GEHEIMNIS DES WACHSFIGURENKABINETTS waren fraglos subtiler angelegt und enthielten auch charakterliche Schattierungen, aber was dieser Mann mit seiner prachtvollen Stimme anfangen konnte – vor allem, wenn sein Gesicht obendrein „böse“ angeleuchtet wurde –, war schon toll. Es handelt sich um einen der beiden bekannten Horrorfilme von George Waggner, der Chaney im Jahr zuvor mit dem großzügiger budgetierten THE WOLF MAN zum Horrorstar gemacht hatte. MAN MADE MONSTER verfährt mit seiner Handlung sicherlich eindimensionaler als sein Vorläufer, tut dies aber mit einer solchen Verve, daß die 58 Minuten Laufzeit vollgestopft sind mit Aktion und Remmidemmi. Da beginnt auch das Gesicht des Zuschauers unweigerlich zu leuchten! Ich würde mir sehr wünschen, den Film irgendwann einmal in einer angenehm kuckbaren Fassung zu besitzen. Der Film ist eindeutig rockbar.
Bearbeitet von Cjamango, 31. März 2009, 13:52.
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#652
Geschrieben 01. April 2009, 11:43
Noch so ein schöner alter Grusler! Boris Karloff spielt einen an seiner Universität überaus beliebten alten Zausel wissenschaftlicher Ausrichtung, der sich mit der Herstellung von Trockenhauben beschäftigt, mit denen man Gehirnwellen aufzeichnen kann. Die Graphen, die diese Maschinen ausspucken, sind von Mensch zu Mensch völlig verschieden, wie Fingerabdrücke. Als bei einem Verkehrsunfall seine Frau Helen ums Leben kommt, ist Karloff gramgebeugt. Durch einen Unfall erfährt er aber, daß sie nicht zur Gänze verschwunden ist, denn seine fabelhafte Maschine spuckt ihren Graphen aus, obwohl niemand angeschlossen ist. Karloff vergräbt sich nun in seiner Arbeit, zieht in eine andere Stadt, und versichert sich auch der Dienste eines Mediums. Doch die Dinge geraten aus dem Ruder, als die Einwohner seiner neuen Wirkungsstätte anfangen, sich Gedanken zu machen über die sich häufenden Leichendiebstähle...
Seit der Lektüre von William K. Eversons Buch wollte ich diesen Film sehen! Von dem Gros der zu jener Zeit hergestellten Grusler – denen ihr Status als B-Kino meistens unschwer anzusehen war – setzt sich dieses Frühwerk von Edward Dmytryk ab durch eine sorgfältige Inszenierung, die auch alltägliche Szenen mit der Ahnung finsterer Machenschaften ausstattet. Das Drehbuch bemüht die hübsch bizarre Idee, daß man Menschen als Antennen für eine Verbindung zum Totenreich benutzen kann, wie in einer Seance halt, nur daß die abergläubischen Konnotationen hier mit wissenschaftlichen Mitteln ausgedeutet werden. Macht aber gar nichts, denn diese Art von Wissenschaft ist genauso unheimlich wie übernatürliches Wirken! Es ist bezeichnend, daß der Film seine Rationalisierung geheimnisvoller Zusammenhänge zu einer Zeit betrieb, als die echten Kriegsgreuel altmodischen Spukgeistern leider das Wasser abgegraben hatten. Verglichen mit aktuelleren parapsychologischen Thrillern wie THE ENTITY oder AUDREY ROSE ist THE DEVIL COMMANDS deutlich morbider und wirklich beachtlich gruselig. Toll sind die „Anrufungsszenen“, in denen Karloff mehrere Leichname im Kreis auf Stühle gesetzt hat: Bei Betätigung seiner Maschine läßt er einen merkwürdigen Energiewirbel entstehen, wodurch die Leichen ihre Köpfe vorbeugen, wie Magier bei einem archaischen Ratschluß. Diese Szenen funktionieren noch heute ganz prima, zumal sie klarstellen, daß das Mysterium des Todes allen Rationalisierungsversuchen zum Trotz immer noch Unbehagen erzeugt. Der Regisseur, Edward Dmytryk, hatte wenige Jahre später aufgrund seiner einstigen Verbindungen zu kommunistischen Zirkeln große Probleme. Er landete für mehrere Monate im Knast und wurde nach seiner Entlassung quasi mit einem Berufsverbot belegt, dessen er sich entledigte, indem er plauderte und „Namen nannte“. Dieses Einknicken führte dazu, daß er wieder Filme machen durfte, z.B. DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL, doch bei vielen seiner Kollegen war er unten durch und begab sich schließlich nach Europa, wo er ausschließlich Schlonz drehte. Sein bester Film ist für mich der hervorragende Psychothriller DIE 27. ETAGE mit Gregory Peck. In THE DEVIL COMMANDS brilliert neben Karloff auch die Theaterschauspielerin Anne Revere (als frösteln machendes Medium), die ebenfalls den Kommunistenjägern in die Hände fiel, allerdings keine Namen nannte und deshalb für Hollywood weitgehend gestorben war. Da lobe ich mir den großartigen Teddybär Lionel Stander, der dem Komitee verkündete: " I know of a group of fanatics who are desperately trying to undermine the Constitution of the United States by depriving artists and others of Life, Liberty, and the Pursuit of Happiness without due process of law.... I can tell names and cite instances and I am one of the first victims of it.... [This is] a group of ex-Fascists and America-Firsters and anti-Semites, people who hate everybody including Negroes, minority groups and most likely themselves.... [T]hese people are engaged in a conspiracy outside all the legal processes to undermine the very fundamental American concepts upon which our entire system of democracy exists.“ Damit meinte er das Komitee, empfahl sich und ging nach Europa, wo er eine lange, erfolgreiche Karriere hatte...
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#653
Geschrieben 02. April 2009, 09:12
MARTYRS beginnt mit einem Intro, das Heimfilmaufnahmen eines jungen Mädchens zeigt, Lucy, das aus seiner ganz persönlichen Hölle entflohen ist. In einem abbruchreifen Gebäude wurde sie von unbekannten Tätern über einen langen Zeitraum hinweg übelst mißhandelt. Ärzte versuchen, den Scherbenhaufen, der aus der Seele des Kindes geworden ist, wieder zu kitten. Eine weitere Patientin, Anna, wird ihre beste Freundin. 15 Jahre später will Lucy die Unholde finden, die ihr Leben zerstört haben. Doch was nach einer simplen Lösung aussieht, erweist sich als Auftakt zu einem beispiellosen Grauen...
Mit den immens blutrünstigen Horrorfilmen, die im Gefolge von Alexandre Ajas HIGH TENSION aus Frankreich kamen, habe ich bisher meistens Probleme gehabt. Sachen wie FRONTIER(S) oder INSIDE konnte man handwerklich nichts Schlechtes nachsagen. Sie waren darstellerisch überzeugend und begannen durchaus vielversprechend. Jedoch versandeten die Themen, die ihren Stories als Aufhänger dienten (Gewaltbereitschaft im französischen Hinterland bzw. die ambivalenten Gefühle einer werdenden Mutter), in beiden Fällen in unklug gesetzten Exploitation-Elementen, die die eigentlich Sensibilität erfordernde Materie mit einem trashigen Hangeln nach dem immer größeren Exzeß förmlich totdroschen. Bei MARTYRS wünscht man sich manchmal fast, er wäre ebenso verfahren, denn ich kann mich an keine Filmsichtung in der jüngeren Zeit erinnern, die mir dermaßen viel abverlangt hätte. Zuerst einmal: Der Film ist grandios gemacht. Ich kann leider nicht intensiver auf inhaltliche Aspekte eingehen, da man dann diverse Twists verraten und somit die verstörende Wirkung des Filmes beeinträchtigen würde. Man kann den Film generell in drei Partien aufgliedern: Teil 1 handelt von Mißhandlung – Mißhandlung von Kindern und was diese in deren Seelen anrichtet. Teil 2 zeigt dann einen ebensolchen Zerstörungsprozeß, ausgespielt bis an die Grenze des Ankuckbaren. Der Schluß „erklärt“ dann in gewisser Weise die Motive für diese Zerstörung, die aber so fremdartig und grauenerregend sind, daß sie den Zuschauer nicht wirklich erlösen, sondern in einer Welt zurücklassen, die aus endlosem Schmerz und Isolation besteht, aus der Hoffnung auf eine Erlösung, die aber erst nach einer Transformation erfolgen kann. Es wird viel mit der fleischlichen Hülle des Menschen angestellt, Themen wie Sadomasochismus und Body Modification werden angeschnitten. Regisseur Pascal Laugier entscheidet sich für die minutiöse und kraß naturalistische Darstellung eines grundsätzlich religiösen Grundgedankens, ohne sich am Schluß (der vieldeutig ist) für eine Richtung zu entscheiden. Man wird als Zuschauer alleingelassen, verstört und trostlos. MARTYRS gehört zu den wenigen Filmen, die so grauenhaft waren, daß sie mir an manchen Stellen Tränen des Entsetzens in die Augen getrieben haben. CANNIBAL HOLOCAUST und DIE 120 TAGE VON SODOM fallen mir da noch ein. Ich empfand seinen Umgang mit dem Thema aber als gänzlich unzynisch, als sehr integer. Er zeigt eben die Verheerungen, die in schreienden Seelen herrschen. Vermutlich wird man ihn hierzulande häufig in Relation zu den sogenannten „torture porn“-Idiotien setzen, was aber völlig in die falsche Richtung zielt. Mir ist hier erst aufgefallen, was für ein unreifer Kasperkram HOSTEL tatsächlich ist. Überraschend, daß der Film es scheinbar ohne zensorielle Eingriffe auf DVD geschafft hat, aber vielleicht rechnete man ihm tatsächlich seine Herangehensweise an, die sich nicht in einem „Höher, härter, weiter“ erschöpft, sondern die Figuren ernstnimmt. Ich möchte für MARTYRS aber eine deutliche Gesundheitswarnung aussprechen: Wer sich nicht bis ins Mark verstören lassen möchte, sollte vom Betrachten des Filmes absehen. Auch Zuschauer mit einer ausgeprägten autoaggressiven Historie sollten sich den Film besser nicht anschauen. Spaß macht MARTYRS keine Sekunde. Er ist aber wirklich erstklassig gemacht. Bin beeindruckt.
P.S.: Laugier soll demnächst HELLRAISER neuverfilmen. Das wird immerhin mal interessant...
Bearbeitet von Cjamango, 02. April 2009, 09:15.
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#654
Geschrieben 02. April 2009, 11:46
Einige Filmschulbratzen drehen einen billigen Horrorfilm und werden während der Dreharbeiten davon überrascht, daß die Toten wiederauferstehen und sich an den Lebenden vergehen, äh, sie essen, will sagen. Gemeinsam ist man stark und boxt sich quer durch das zunehmend entvölkerte Hinterland.
George A. Romero habe ich niemals für einen überragenden Künstler gehalten, aber für einen grundsympathischen Mann, der Filme macht, die ich mir bis zum Ende anschaue. (Dario Argento z.B. halte ich für einen großen Künstler, dessen Filme ich mir aber nicht alle bis zum Ende ansehe, vgl. etwa DAS PHANTOM DER OPER - da war beim Rattenwagen Schluß!) Angesichts der bösen Verrisse, die DIARY OF THE DEAD gesammelt hat, war ich auf einiges gefaßt, muß aber feststellen, daß ich auch diesen Film brav durchgekuckt habe, und zwar durchaus wohlwollend. Bei aller Sympathie für Romero muß man allerdings anmerken, daß er vielleicht mal wieder etwas anderes machen sollte als Zombiefilme. Gut, gemessen an den anderen Zombie-Schlockern, die derzeit inflationär über die DVD-Konsumenten ausgekübelt werden, ist DIARY sogar recht ordentlich. Er führt die internationale Apokalypse von DAY OF THE DEAD wieder zurück auf den Überlebenskampf einer überschaubaren Gruppe von Normalos, die sich mit den mittlerweile sattsam gewohnten Problemen herumschlagen muß. Romeros neuester Werbefilm für die Schönheiten von Pittsburgh und Umgebung führt als Neuerung die Einbeziehung von Webblogs, YouTube und so fort in den Kanon ein. Zu diesem Behufe bedient er sich des mittlerweile auch schon recht ausgelutschten BLAIR WITCH-Formates mit den „dokumentarischen“ Handkameraaufnahmen. Dabei schneidet er immer noch deutlich besser ab als der ähnlich gelagerte britische Zombiefilm, den ich neulich gelangweilt abgebrochen habe, aber man wird trotzdem den Eindruck nicht los, daß ein in die Jahre gekommener Regisseur mit neuen Formaten herumspielt, die wohl nur ihm kraftvoll und neu erschienen sind. Es ergeben sich zwangsläufig die üblichen Probleme: Warum, zum Geier, gibt es immer einen Clown, der sich die Kamera vor die Visage hält, während um ihn herum die Menschen sterben? Wenn schon jemand das Material nachbearbeitet hat, warum hat dieser Jemand die ganzen Stellen dringelassen, an denen der Akku alle war? Und was soll das mit der nachträglich eingefügten Musik? Das alles sind Logikmosereien, die letztlich etwas am Punkt vorbeizielen. Spaß gemacht hat mir der Film durchaus, und es sind viele Romero-typische Einfälle zu bewundern. (Mein Favorit ist wohl der kurze Auftritt der Nationalgarde. Der war schon recht trocken.) Nett ist das Resultat allemal, aber man erwartet gerade bei George A. Romero doch leider zwangsläufig etwas mehr. Die Apokalypse von DAWN war 1978 noch wirklich neu und hatte entsprechende Sprengkraft. DIARY nimmt sich aus wie ein relativ kurzweiliger Epigone des einstigen Glanzes, und man kann ihn kucken, wenn man nicht zuviel erwartet. Aber ich wünsche dem netten Biffbaff für die Zukunft originellere Drehbücher. Trotzdem, bleibe dabei, die Argento-Route befährt Romero noch nicht. Er liebäugelt lediglich mit der Abfahrt und fummelt mit dem Straßenatlas herum.
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#655
Geschrieben 05. April 2009, 11:54
Als ich 12 Jahre alt war, lief im noaddeutschen dritten Programm eine Reihe, die sich „Das Gruselkabinett“ nannte. (Kenner werden sich noch an den hübschen Vorspann erinnern: „Mumien... Monstren... Mutationen!“ Dann quietschte immer eine Tür.) Durch diese Sendung hatte ich damals Gelegenheit, bereits im vorpubertären Alter Bekanntschaft mit einigen Horrorfilmen zu schließen. Da lief z.B. DR. X in einer untertitelten Fassung, da lief Dreyers VAMPYR, aber auch HOLLYWOOD BOULEVARD von Dante & Arkush. Ein Film, den ich verpaßte, war diese Stummfilmbearbeitung von Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“, gedreht vom Filmtheoretiker und Gelegenheitsregisseur Jean Epstein, an der auch Salvador Dali mitwirkte. Die Legende will es, daß Dali sich vom Projekt lossagte, als ihm aufging, daß Epstein nicht daran gelegen war, die Vorlage Poes buchstabengetreu zu transponieren, sondern recht frei mit der Erzählung umging. So wird aus Roderick Usher und seiner Madeleine Mann und Frau, was den dezent inzestuösen Charakter der Vorlage entfernt. Im Mittelpunkt von Epsteins Interpretation steht die künstlerische Identität des hypersensiblen Roderick, der zusammen mit seiner hochgradig fragilen Frau in einem maroden Anwesen wohnt, das von nicht minder maroder Landschaft umgeben ist. Seinem angereisten Besucher Allan verkündet er mit leuchtenden Augen, daß Madeleine sein einziges Modell gewesen ist, das er in immer neuen Variationen auf die Leinwand gebannt hat. Dort – in den Bildern – sei es, wo Madeleine wirklich lebt. Besonders konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf ein Gemälde, das von einem Rahmen umgeben ist, der es fast wie einen Spiegel aussehen läßt. Und tatsächlich verbirgt sich hinter der Konzentration des Künstlers auf seine geliebte Muse eine narzißtische Fixierung auf die eigene Deutung der Umwelt, die sich völlig von den realen Gegebenheiten losgelöst hat. Jean Debucourt spielt Roderick als einen zwar nervösen, aber tief in sich ruhenden Soziopathen, dessen Welt ins Wanken gerät, als Madeleine stirbt. Danach wartet er, ungeduldig und leidend. Als Madeleine schließlich aus ihrer Gruft „aufersteht“, leuchten seine Augen, und während der in seinem Wahn bestätigte Hausbesitzer der in ein Brautkleid gehüllten Schönen entgegenwankt, flieht der entsetzte Gast Allan. Ob auch der Betrachter des Filmes flieht, liegt sehr an seiner Bereitschaft, sich mit dem schwergängigen Werk auseinanderzusetzen. Anders als etwa Dreyers VAMPYR, der seine Traumwelt sehr gegenständlich und nachvollziehbar gestaltet, löst LA CHUTE DE LA MAISON USHER das Traumgespinst auf in eine Vielzahl von häufig scheinbar beziehungslosen Einzelmotiven, deren impressionistischer Charakter sich um eine Nachbildung von Gefühlen bemüht, nicht unähnlich der Arbeitsweise Poes. Die Bilder, deren sich Epstein bedient, sind dabei häufig von beachtlicher Schönheit, gerade wenn es um die das Haus umgebende Natur geht. Er scheut dabei auch nicht vor surrealen Überblendungen zurück, etwa im Fall der Beerdigung Madeleines, wo aus den Bäumen, die den Weg des Sargganges säumen, brennende Kerzen werden. Diese recht einzigartige Form von impressionistischem Experimentalkino mag manchem heutigen Betrachter als zu akademisch erscheinen, aber wenn man sich auf sie einläßt, ist der Film doch sehr lohnend, wenngleich er kaum zu den offenen Mündern führen wird, die bei Dreyers Meisterwerk (einer meiner absoluten Lieblingsfilme!) zu erwarten sind. Die US-DVD präsentiert den Film in guter Qualität, wenngleich mir die Musik irgendwann mörderisch auf den Zeiger gegangen ist. Auch arbeitet die (immerhin von Jean-Pierre Aumont) gesprochene Übersetzung der Titelkarten etwas gegen ein müheloses „Reinsacken“ in die Welt von Epsteins Usher-Version. Als ungewöhnliche Herangehensweise an das Genre des „Gothic Horror“ wird der Film einschlägig vorbelastete Cineasten aber in jedem Fall faszinieren. 16-Jährigen hingegen, die im Begriff stehen, auf eine Goa-Party zu gehen, ist vom Betrachten des Filmes abzuraten. Die haben aber eh Sex und Drogen und brauchen nicht die Tröstungen stummen Traumkinos... *kicher*
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#656
Geschrieben 07. April 2009, 19:58
Nach seinem vielleicht berühmtesten Werk, HEXEN, drehte der Däne Benjamin Christensen vor Schreck erst einmal zwei Filme in Deutschland, bevor er nach Hollywood aufbrach. Die dort entstandenen Werke – sechs an der Zahl – sind entweder verschollen oder verdammt schwer aufzutreiben. Gesehen habe ich davon nur das Lon-Chaney-Melodram MOCKERY und SEVEN FOOTPRINTS TO SATAN, welcher in der Tradition der Gruselkomödien um THE BAT und THE CAT AND THE CANARY steht. Von dieser Gruppe ist er mit Abstand das exzentrischste Beispiel und erzählt die Erlebnisse eines Pärchens, das in schlechte Gesellschaft gelangt.
Hauptfigur ist ein reicher Erbe namens James, der ein wenig wie der Stummfilmkomiker Harry Langdon ausschaut, also reichlich unbedarft. Wenn es nach ihm ginge, würde er im dunkelsten Afrika herumturnen und sich als Forscher und Abenteurer bewähren. Vorher aber gerät der junge Mann auf eine Abendgesellschaft, auf der der Vater seiner Verlobten Eva seine Juwelen herumzeigen will. (Nicht anzüglich gemeint.) Wie sich herausstellt, sind Betrüger anwesend, Schüsse fallen, und James und sein Evchen werden gekidnappt. Ziel der Verschleppung ist ein altes Haus, und dort laufen nur ausgesprochen eigentümliche Gestalten herum: ein Zwerg (Angelo Rossitto aus FREAKS!), eine Schrumpfkopf-Lady, ein werwölfiger Professor namens Moriarty, eine fesche Sexhexe mit heißem Ausschnitt, ein Fu-Manchu-Verschnitt und ein krückenbewehrter Verbrecher, den alle nur „Die Spinne“ nennen. Zu allem Überfuß ist auch noch ein Riesenaffe ausgerissen – „Satans Gorilla“, wie dem mittlerweile stark desorientierten James erklärt wird. Der Grund für all dies liegt auf der Hand: Satan ist der Hausherr, und dem Pärchen dräut Arges...
SEVEN FOOTPRINTS ist eine ausgelassene Angelegenheit und wirkt fast so, als habe man die dekorativen Spannungsfilme Fritz Langs (DR. MABUSE, SPIONE, DIE SPINNEN) durch den Kakao ziehen wollen. Auch bietet sich ein Vergleich mit dem deutlich späteren HELLZAPOPPIN´ an, der die vertraute Ordnung der Gesellschaftskomödien in ein heilloses Durcheinander stürzte. Die Horroranteile sind zwar überdreht, werden aber angenehm „straight“ serviert, dürften also damals für einige schreiende Publikumsbestandteile gesorgt haben. Christensen spielt mit den Mitteln des expressionistischen deutschen Stummfilms, arbeitet viel mit Schatten. In einer hübschen Szene schleicht der schlotternde Nerd-Held einen Korridor entlang, nur daß der Schatten an der Wand nicht ihm, sondern dem zotteligen Gorilla gehört, der ihm auf flauschigen Pfoten folgt. Worauf sich der Titel bezieht, mag ich nicht verraten, aber er hat mit dem gleichsam extravaganten Finale zu tun. Heldin Thelma Todd – ein lecker Meisje – wurde wenige Jahre später leider Opfer eines als Selbstmord getarnten Verbrechens, das im Zusammenhang mit ihrem Lebensgefährten, dem Regisseur Roland THE BAT West stand. Christensen selber begab sich bald darauf zurück nach Dänemark. SEVEN FOOTPRINTS TO SATAN ist eine sehr lustige Geschichte, steht aber noch nicht in einer wirklich befriedigenden Fassung zur Verfügung. Hoffen wir mal, daß sich „Kino“ oder „Criterion“ seiner erbarmen. Verdient hätte er es!
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#657
Geschrieben 10. April 2009, 10:12
Lionel Barrymore spielt einen alten Zausel namens Mathias, der mit Frau und Tochter in einem kleinen europäischen Dorf ein Wirtshaus betreibt. Außerdem gehört ihm noch eine Mühle, aber die ist egal. Viel wichtiger ist die Schuldmühle, in der Mathias sitzt, und alleine für dieses Wortspiel sollte man mich steinigen. Na ja, ist Karfreitag heut. Mathias hat also Schulden, und zwar beim groben Frantz, der von Gustav von Seyffertitz gegeben wird. Besagten Gustav von Seyffertitz (prächtiger Name!) habe ich gerade in Mary Pickfords vergnüglich frommen Südstaaten-Waisen-Melodram SPARROWS gesehen, wo er gleichsam den Schubiak verkörperte. Um die grimmige Last von sich abzustreifen, braucht Mathias also Geld. Da kommt Baruch Kowalski, „der polnische Jude“ (wie die Zwischentitel ihn nennen), in das Wirtshaus und wedelt unklug mit seinem Geldgürtel herum. Mathias erkennt einen Trottel, wenn er einen sieht, und macht ihn drauß im Walde platt mit seiner Axt. Im Todeskampf wedelt Kowalski nicht mit seinem Gürtel, sondern mit einem Schellenring – halt einer jener törichten Einfälle, die man als Sterbender so hat. Der Klang der Glöckchen soll aber Mathias auf seinem weiteren Lebensweg begleiten, denn auch wenn er jetzt reich ist und zum Bürgermeister gewählt wird – das rächende Gewissen läßt ihn nicht aus seinen Klauen...
Dieser sehr altmodische Theaterstandard wurde in der Stummfilmzeit einige Male auf die Leinwand gebracht. James Youngs Version von 1926 ist die bekannteste. Ursprünglich basiert die Story auf einem Gedicht von Poe, welches dann zuerst von Franzosen, dann von Briten adaptiert wurde für die Bretter, die die Welt bedeuten. Man kann fast froh sein, daß Lionel Barrymore für seine Darstellung eine theatralische Herangehensweise gewählt hat, denn diese sichert dem Film immerhin noch einige Lacher. Nach europäischem Empfinden muß THE BELLS schon damals in seiner frömmelnden Verbeugung vor der alten Maxime „Wohltun trägt Zinsen und Schlechttun trägt Pansen“ sehr staubig gewirkt haben. Was die Logik angeht – nu ja, da wird ein Mann mit einer Axt erschlagen, offensichtlich aus Habgier. WER hat gerade eine Erbschaft gemacht und kann sich damit aller Schulden entledigen? Rätsel, Rätsel, Popätsel. Selbst der Gendarm der Ortschaft, der den schönen Namen Christian trägt, ist nicht in der Lage, diese schwere Nuß zu knacken. Schade eigentlich, daß nicht Barrymores Bruder John die Rolle übernehmen konnte, denn jenen mußte man zu diesem Zeitpunkt angeblich bereits auf der Bühne festbinden, damit er spielen konnte, von wegen Alkoholismus. Was die „gruseligen“ Anteile des Filmes angeht, so halten diese sich in Grenzen. Die mit Überblendungen erreichten Auftritte des „Geistes“ (bei dem ich immer an Tewje den Milchmann denken mußte!) sind nicht furchterregend, auch wenn Lionel sich windet und krümmt vor Seelenpein. Der Schluß des Werkes ist allerdings eine ziemliche Überraschung, aber so was verrate ich ja grundsätzlich nicht. Die DVD ist von ordentlicher Qualität, sieht man einmal von der lausigen Synthetik-Mucke ab, die mal wirklich für'n Poe ist...
Bearbeitet von Cjamango, 10. April 2009, 10:13.
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#658
Geschrieben 11. April 2009, 10:09
Vampalarm!!!
Tiger Haynes (Lon Chaney) ist ein Jäger und Abenteurer, der seine Zelte in China aufgeschlagen hat. Das einzige, was er mehr liebt als seinen freien Lebensstil, ist seine Tochter Toyo (Lupe Velez). Als sie ihm berichtet, daß sie sich in den jungen Bobby verliebt hat, ist er zuerst sehr skeptisch, lernt den jungen Mann dann aber schätzen und akzeptiert ihn als Schwiegersohn. Das Leben könnte so schön sein, wenn nicht eine geheimnisvolle Frau in Bobbys Leben treten würde – Madame de Sylva (Estelle Taylor). Bobby weiß noch nicht, daß sie in Wahrheit Toyos leibliche Mutter ist, und so verfällt er ihren (beträchtlichen) Reizen mit Mann und Muschi. Tiger Haynes weiß aber um die Verruchtheit seiner ehemaligen Gespielin, und so tut er alles, um das Glück seiner Tochter zu retten...
Nicht zu glauben, daß man Tod Browning heutzutage in erster Linie wegen seines DRACULA kennt und schätzt, ist dieser doch eher einer seiner schwächsten Filme. WHERE EAST IS EAST beginnt verhalten, entwickelt sich dann aber zu einem knalligen Melodram, das zwar nicht ganz so pervers ist wie WEST OF ZANZIBAR, aber ähnlich unterhaltsam und mitreißend. Trotz Lon Chaneys wie üblich hervorragender Leistung – hier unterstützt von einem tollen Narben-Makeup – ist es die „femme fatale“, die im Mittelpunkt steht. Estelle Taylor brilliert als Frau ohne Gewissen, die ihre Energie aus dem Unglück bezieht, das sie anderen Menschen zufügt. Daß Toyo ihre Tochter ist, stört sie nicht im Geringsten, sondern ist ein zusätzlicher „Kick“. Ihre Tochter dient ihr als Instrument, um sich an dem Mann zu rächen, der sie einst verschmähte aufgrund ihrer offensichtlichen Charakterschwächen. Auffällig wird erneut der Unterschied zwischen der deutschen und der angelsächsischen Ausprägung des Vamp-Typus: Während der deutsche Vamp (z.B. Wedekinds „Lulu“) seine Naturkräfte arglos entfesselt und unbewußt zum Katalysator für die Selbstzerstörung des gutbürgerlichen Mannes wird, genießt die puritanische Variante ihr Zerstörungswerk in vollen Zügen. Madame de Sylva etwa definiert sich über die Macht, die sie über Männer hat – ihrer Tochter den Bobby auszuspannen und beide damit zu vernichten, ist ihr ein innerer Vorbeimarsch und läßt ihr Herz juchzen im Busen. Die Konzeption des Vamps hat einen zweischneidigen Charakter: Einerseits ist sie die Verkörperung der Angst vor Frauen, die man als Mann so hegen mag; andererseits stellen die „femme fatales“ die Frau als starkes Wesen dar, das sich in einer patriarchalisch kontrollierten Gesellschaft behauptet. Anders ausgedrückt: Sie haben mehr Saft in den Eiern als die Männer, die ihren Reizen verfallen und mit dem Kopf gegen die Wand donnern. Neulich ist ja eine Taube durch die Scheibe meines Küchenfensters gedonnert. Es hat fast eine halbe Stunde gedauert, bis ich das arme Tier wieder rausbugsiert hatte, denn es ratterte partout immer wieder panisch gegen Hindernisse. Das war bestimmt ein Täuberich.
P.S.: Estelle Taylor war übrigens die letzte Frau, die Lupe Velez lebend gesehen hat. Jene beging nämlich – wie bei Kenneth Anger nachzulesen – auf äußerst jämmerliche Weise Selbstmord, als ihre Blüte brach. Vamp und Opfer wurden nämlich im wirklichen Leben gute Freundinnen. Das finde ich hübsch.
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#659
Geschrieben 12. April 2009, 10:22
Die Geschichte des Lehmmannes, der den Juden bei ihrer mißlichen Situation im Prager Ghetto zur Hand geht, in einer von mir lange gesuchten Version aus Frankreich, die vom französischen Routinier Julien Duvivier (DON CAMILLO UND PEPPONE) stammt. Die Erwartungen, die durch das einsame Foto in William Eversons „Klassiker des Horrorfilms“ in mir genährt wurden, erwiesen sich als trügerisch: Duvivier inszeniert die Geschichte als großformatiges Unterhaltungskino, in dem auch schwankhafte Elemente ihren Platz haben. Der Großteil des Filmes illustriert das Leben am Hofe des Kaiser Rudolf II., der von Harry Baur als cholerischer und trunksüchtiger Popanz gegeben wird. Ein wenig habe ich mich an den prachtvollen Helmut Qualtinger erinnert gefühlt. Umgeben von eitlen Hofschranzen, hält er sich ein ganzes Nest von Alchimisten, die seine okkulten Interessen verfolgen. Auch am Geheimnis des Golem ist er dran, doch der Lehmmann hält sein Schweigen. Erst, als der Wind zuungunsten der Juden umschlägt, kommt der Befreier in die Puschen und kloppt alles kaputt. Rabbi Loew war zum Zeitpunkt der Geschichte bereits unter der Erde, weshalb für ihn ein Rabbi Jacob einspringen muß, was mir das eine oder andere Schmunzeln ins Gesicht zauberte. LE GOLEM ist gestalterisch sehr eindrucksvoll inszeniert und verwendet für das Prager Ghetto Bauten, deren expressionistischer Charakter noch sehr viel direkter mit dem deutschen Stummfilm verbunden ist, als das etwa bei den frühen „Universal“-Horrorfilmen (u.a. FRANKENSTEIN) der Fall gewesen war. Wer einen Gruselfilm erwartet, wird enttäuscht werden, denn der Golem – der aussieht wie ein fiktiver ostdeutscher Kabarettist mit Magenbeschwerden – kommt erst in der Schlußviertelstunde zum Einsatz. Trotzdem fand ich den Film recht faszinierend. Wenn jemals Paul Wegeners DER GOLEM UND DIE TÄNZERIN wieder auftauchen sollte, ist wohl Ähnliches zu erwarten.
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#660
Geschrieben 13. April 2009, 15:30
Lon Chaney...
Der Prolog zeigt zwei Ärzte, von denen der jüngere gerade die irrtümliche Beinamputation eines kleinen Jungen verschuldet hat. Dieser beispiellose Pfusch soll vertuscht werden. Zwar hört der kleine Junge im Halbschlaf die beiden Ärzte miteinander reden, aber niemand will ihm glauben. 15 Jahre später: Aus dem kleinen Mr. No-Legs ist jetzt Blizzard geworden, ein ruchloser Verbrecher, der mit beispielloser Grausamkeit und diamantenem Verstand ein Netzwerk des Grauens errichtet hat, das sich anschickt, ganz San Francisco zu unterjochen. Die Bundesbehörde schickt die hübsche Rose als Undercover-Agentin in Blizzards Lasterhöhle. Jener plant einen großen Coup. Zuerst aber will er die Tochter des Arztes vernichten, der seine Beine auf dem Gewissen hat...
Ein großartiger Stummfilm, der Lon Chaney mit einer seiner besten Rollen versah. Tatsächlich mußte der Mime den ganzen Film über mit peinsam zurückgebundenen Beinen herumstalksen, was ihm nur für kurze Zeit am Stück möglich war, so sehr schmerzte die Tortur. Sein Blizzard ist ein völlig heruntergekommener Bösewicht, dem vom Schicksal üble Karten verteilt worden sind. Trotz seiner schändlichen Taten wird überdeutlich, daß es das Verschulden anderer war, das ihn auf die krumme Bahn gehievt hat. Der (etwas weit hergeholte) Schluß macht das endgültig klar. Moralische Fragen werden in dieser Sorte von gotischem Melodram, in dem Chaney so brillierte, freilich nur angeschnitten. Viel eher delektiert sich der vor Ehrfurcht gleichfalls stumme Betrachter an dem aufreibenden Kraftakt, den der Schauspieler absolviert, an den kleinen Nuancen ebenso wie an den Exzessen. Großartig zum Beispiel die Szene, in der er sich einer Frau, in die er verliebt ist, offenbart und sie erschrocken über ihn lacht. Da verliert der Mann dermaßen die Contenance, daß man richtig Angst vor ihm bekommt! Auch schön seine ausgedehnten Stunden am Klavier – er ist Musikliebhaber –, bei denen ausgewählte Tanzmädchen vor ihm kriechen und die Pedale bedienen müssen... Woah, was für ein Kracher! Statt des eigentlich für diese Sorte Film prädestinierten Tod Browning stand hier Wallace Worsley zur Verfügung, der drei Jahre später DER GLÖCKNER VON NOTRE-DAME machen sollte, in dem Chaney zwar ebenfalls groß auftrumpft, aber der Wille zum Ornament etwas zu überbordend geraten ist. (Die 1939er Version mit Charles Laughton ist deutlich besser.) THE PENALTY überrascht schließlich auch noch mit seinem Soundtrack, der klingt, als hätten Industrial-Jünger einen Score von Michael Nyman in die Hand bekommen und sogar Techno-Anklänge hineingemixt, incl. eigentümlicher Samplings. Während ich normalerweise solche anachronistischen Bearbeitungen von Stummfilmen ablehne, funktioniert der Score im Zusammenspiel mit den leidenschaftlichen Vorgängen auf der Leinwand aber tatsächlich ziemlich gut. Was zum Mitschnipsen... Lon Chaney – Fußballgott, auch ohne Beine!
Kommentare zum Tagebuch? Aber ja!!!
"Kreativität kommen allein von Nerven in Nacken hinten!" (Chinesischer Doktor in Woody Allens ALICE)
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