Die rote Flut (DVD)
Bei den meisten Hollywood-Actionfilmen jüngeren Datums tropft die Dummheit aus dem Projektor. Bei RED DAWN haben sie wirklich den Rasensprenger angestellt...
Wo beginnen? Am besten bei der Handlung: Irgendwo in Everytown, U.S.A., lauschen ein paar Jugendliche ihrem Lehrer, der von Dschingis Khan und der "Blutlust der Mongolen" berichtet. Ehe er seinen leidenschaftlichen Vortrag beenden kann, fliegen russische und kubanische Fallschirmspringer am Fenster vorbei. Der Lehrer sieht nach dem Rechten und wird sofort von Kugeln durchsiebt. Anstatt sich darüber zu freuen, daß in ihrem Kuhkaff mal was passiert, rennen die Kiddies wild durcheinander und lassen sich ebenfalls abknallen. Ein kleiner Klüngel verschworener Football-Asse schlägt sich durch bis ins Gebirge. Zunächst erfahren sie dort die Freuden des Überlebenstrainings. Nachdem sie einen Erkundungsgang zurück zur Stadt gemacht haben (unbehelligt) und dort festgestellt, daß im Kino nur noch "Alexander Newsky" läuft (kreiiisch!) und man ihre Väter ins Umerziehungslager gesteckt hat, das im ehemaligen Autokino untergebracht ist, steht ihr Entschluß fest: Sie werden Partisamen! Äh, Verzeihung: Partisanen... Gemeinsam ist man stark und zeigt den Russkis, wo Uncle Sam den Most holt. Was ein richtiger Pfadfinderverein ist, braucht natürlich auch einen schmissigen Namen, und so nennen sie sich nicht Wehrsportgruppe Fieselschweif, sondern die "Wolverines"!
Jau, und wer es schlucken kann, daß eine Handvoll Kinder alle möglichen Totmachwerkzeuge aus dem Effeff beherrscht und genügend strategisches Geschick an den Tag legen kann, um professionelle Soldaten ein ums andere Mal auszutricksen, der heißt entweder John Milius oder ist der ideale Zuschauer für diesen unglaublichen Film! War DELTA FARCE noch ein Film, der dramaturgisch dermaßen hilflos gestaltet war, daß er sich dem Label "Unfreiwillige Komödie" geradezu anwanzte, so tut sich RED DAWN in dieser Hinsicht etwas schwerer. Milius ist kein schlechter Regisseur - er ist nur dumm wie Brot! Der Film ist recht spannend, temporeich und besitzt mehr Menschenverachtung als ein ganzes Rudel sächsischer Glatzen mit Eisenstäben. Unglaublich, daß der Film in den USA ein "PG-13" bekommen hat, während etwa THE BLUES BROTHERS nicht ohne R-Rating davonkam, weil einige Male das Wort "fuck" (as in Muckefuck) erwähnt wird...
Patriotismus wird in diesem Film großgeschrieben. Sofort wird uns ein Kriegerdenkmal mit einem Teddy-Roosevelt-Zitat präsentiert, Basil Poledouris´ heroische Klänge wirken wie eine Mischung aus Aaron Copland und Wagner und auch ansonsten ertönen andauernd Melodien wie "Battle Hymn of the Republic" oder "America the Beautiful". Interessant ist also erst mal, was für Amerikaner hier mit dem Honigseim der Zusammengehörigkeit beträufelt werden. Nach Milius´ Einschätzung (der sich gerne mit Wummen fotografieren läßt und sich als "Zen-Faschist" bezeichnet) sind das die Bullies aus dem Football-Team, die gerne so hart wären wie ihre Papis. Eine bemerkenswerte Szene ist da jene mit Harry Dean Stanton als Vater von Patrick Swayze (kreiiisch!), wo Sohnemann ihn beim Umerziehungslager besucht. Stanton bedauert durch den Zaun, daß er seinen Söhnen so viel Gelegenheit dazu gegeben habe, ihn zu hassen. Offensichtlich hat er sie geprügelt. Jetzt, so Daddy, könnten sie aber sehen, warum er dies getan habe. Dann folgt ein rührseliger Monolog darüber, daß er sich wieder daran erinnert habe, wie er sie im Park auf die Schaukel gesetzt hat. (Uääärrrchz!) Dann weinen alle ein bißchen, und Daddy kommt mit seinem letzten glorreichen Ratschlag: "Ihr dürft nie wieder weinen!" Ja, genau, Papi, das hast du gut gemacht... Man bekommt eine recht deutliche Vorstellung von John Milius´ Kindheit.
Jetzt liste ich mal weitere bemerkenswerte Szenen auf.
Szene 1: Das Wasser im Jeep-Kühler ist alle. Patrick Swayze fordert einen jüngeren Mitstreiter dazu auf, in den Kühler zu urinieren. "Wenn man älter ist, dann weiß man, daß so was funktioniert. Und jetzt piß´ in den Kühler, Danny!"
Szene 2: Derselbe Danny wird bei seiner ersten Jagd dazu gezwungen, Blut zu saufen: "Das ist dein erster Bock? Dann mußt du sein Blut trinken!" Gesagt, getan: "Das war gar nicht so übel..."
Szene 3: Drei Russkis im Arapahoe National Forest schießen Fotos von sich vor einer Gedenktafel, auf der süßlicher Schmonzes über "virgin timber" und so vermerkt ist. Einer der Russen übersetzt das dann sinnentstellend - eine Horde Indianer sei hier von imperialistischen Truppen füsiliert worden. Bis hierhin eine lustige Szene. Dann kommen die Kiddies und blasen die Touri-Russkis weg. Einer schaut noch flehentlich in die Kamera, bittet Gott um Hilfe und heischt um Mitleid. Ra-womms wird er weggeballert. Milius ist kein Weichei und macht keine Gefangenen - daß das mal klar ist!
Szene 4: Die beiden Miezis in der Truppe nehmen Anstoß daran, daß Charlie Sheen (gulp!) sie als "Pussy" bezeichnet. In einem Aufwallen von Frauenstolz hält eine der Pussies (mit dem zu jener Zeit üblichen Madonna-"Fick'mich"-Hairdo und "Ich wär´ so gern ein Cheerleader"-Klamotten) eine quasi-feministische Rede ("Wir lassen uns nicht Pussy nennen!"), mit der Milius Frauen einen - zähneknirsch! - gleichberechtigten Platz neben den männlichen Mongoloiden zugesteht, solange sie ihr Frausein verleugnen. Cool.
Das sind nur vier Szenen, wegen denen man diesen Scheißfilm mal gesehen haben sollte. Als er während meiner Jugend im Kino lief, gab es ein gigantisches Geschiß um die Gefährlichkeit dieses Machwerks. Wenn man es ernstnimmt, handelt es sich in der Tat um einen der übelsten Propagandafilme, die während des Kalten-Krieg-Revivals unter Reagan herausgekommen sind. Aber man lernt in der Tat sehr viel über die Psyche der Amerikaner anhand dieses Zeitdokuments, gerade im Hinblick auf den derzeit tobenden "Krieg gegen den Terror". Zuerst einmal: Ich liebe Amerika! Ich habe nicht umsonst Amerikanistik studiert - ich bin mit der Kultur aufgewachsen und von ihr in demselben Maße geprägt wie von der deutschen. Ich bin ein großer Fan von den Idealen, die dieser Nation zugrundeliegen, und bei meinem Besuch dort habe ich festgestellt, daß es kaum freundlichere Menschen gibt.
Problematisch wird es aber dann, wenn man vergißt, daß der Staatsmann Patrick Henry zum Zeitpunkt seines berühmten Ausspruches "Give me liberty or death!" 65 Sklaven besessen hat. Es zahlt sich aus, zu wissen, daß der Südstaatengeneral Robert E. Lee seine Sklaven freiließ, bevor der Nordstaatler Ulysses Grant dies tat. (Jello Biafra - genau!) Mein Lieblingsschriftsteller Kurt Vonnegut wies einst darauf hin, daß in den amerikanischen Schulen immer noch der Unfug gelehrt würde, daß Amerika 1492 entdeckt wurde. 1492 war lediglich das Jahr, wo Piraten aus Übersee kamen und perfekt entwickelte Kulturen, die dort bereits existierten, zerstörten und ausplünderten. Auf solche traurigen Absurditäten der Geschichtsrezeption hinzuweisen, ist nicht unamerikanisch - es ist fucking überlebensnotwendig!
John Milius glaubt an das Überleben des Stärkeren in einer erbarmungslosen Natur, wo man keine Schwäche zeigen darf. Dabei übersieht der feiste Sozialdarwinist allerdings, daß es dann auch völlig okay wäre, wenn die verdammten Russkis das machten, was sie in RED DAWN so gut machen - die verweichlichte USA unterjochen! Um sich nicht auf seinen Sack treten zu lassen (bzw. den seines Vaters), zeichnet er die Russen so debil wie die Nazis in amerikanischen Propagandafilmen – die kommen aus eigenem Antrieb kaum über die Straße! Wäre es nicht toll, wenn die Nazis und die Nazis im Geiste immer so wären? Bei Milius hat der Sheytan seine klar definierte Rolle und Gestalt. Das ist die eines bösen, zu eigenen Gedanken und Gefühlen nicht fähigen Clowns. Die guten unter den Amerikanern sind wendig, allen Sätteln gerecht und leisten Schmutzarbeit im Akkordtakt.
Das kann man auch über die meisten der Schauspieler sagen, die hier wirken: Patrick Swayze (laaange vor DONNIE DARKO!), C. Thomas Howell, Charlie Sheen, Jennifer DIRTY DANCING Grey und die anderen sind geradezu grotesk schlecht. Es tut weh, Harry Dean Stanton und „Superfly“ Ron O'Neal in solch würdelosen Rollen zu sehen, aber auch Schauspieler müssen arbeiten.
Also: DIE ROTE FLUT ist auf gewisse Weise eindrucksvoll. Es ist kein unschuldiges Trash-Kino, das hier geleistet wird, sondern dummdreiste Übereugungstat. Aber es zeigt auch recht anschaulich, was aus Idealen wird, wenn man sich selbst und seine Mitmenschen ernstnimmt. Es gab heute gerade diese interessanten Folterbilder aus dem Irak, bei denen amerikanische G.I.s bei Aktivitäten zu sehen waren, die Pasolinis DIE 120 TAGE VON SODOM hundertprozentig recht geben: Krieg ist Sex, Krieg ist die Rache der Verklemmten für die ihnen auferlegten Qualen. Bei RED DAWN wird alles Menschliche abgespalten, wird lediglich in platten Phrasen behauptet. George W. Bush sagt zu den üblen Vorgängen: „I am not happy“, was ich gerne glaube. Für John Milius wird Bush jr. mindestens zwei Ligen zu waschweibig sein. Männer müssen hart sein. Männer müssen stark sein. Männer tragen ihr Land auf den Schultern. Männer sind humorlos, und Männer müssen stinken. Stinken nach Schweiß und nach Blut und nach Eins-sein-mit-sich-selbst-in-der-Natur.
Benjamin Franklin war Amerikaner, und er würde den Film hassen. Mark Twain würde den Film hassen. Ich hasse den Film nicht, sondern finde ihn sehr erhellend. Trash-Faktor 100. Sehr viel interessanter als die üblichen weichgespülten Patriotismus-Kamellen. Ich sage über Franz Josef Strauß gerne, daß der Mann wenigstens zum Feind getaugt hat, weil er auf professionelles Gehabe nicht allzuviel Wert legte. Ähnliches läßt sich von John Milius behaupten. Und von seinem Vater, nehme ich an.
Noch ein Zitat von Kurt Vonnegut, aus seinem Theaterstück „Happy Birthday, Wanda June!“: „You're a clown. You're a clown who kills – but you're a clown.“