bekay sagte am 01.06.2008, 12:41:
nun ist es schon eine weile her, dass ich mikrokosmos das letzte mal gesehen hab - und obwohl der film ziemlich weit oben auf meiner prioritätsliste des wiedersehens steht, bin ich bisher nicht dazugekommen (was auch die gefallens-frage beantworten sollte). also einmal eine einschränkung: ich meinte das sehr allgemein und aus meiner brüchigen erinnerung. wenn ich von einer experimentelleren gestaltung spreche, dann beziehe ich mich sowohl auf mise-en-scène (motivwahl, einstellungsgröße und -winkel) als auch montage und musikuntermalung. als beeindruckende szene in mikrokosmos ist mir beispielsweise der liebestanz der (nackt?)schnecken samt arien-untermalung in erinnerung geblieben. selbstverständlich wird hier auch aus einem bereich menschlicher kunstformen geschöpft, aber unerwarteter, unpopulärer. wenn es in deep blue eine "liebesszene" gegeben hätte (was nicht der fall war), dann wäre die sowohl aufgenommen, als auch montiert als auch mit musik untermalt worden, als ob brad pitt und angelina jolie in 'ner film-schmonzette anbandeln. um mal den knackpunkt zu montieren. und soweit ich mich erinnere, geht es in mikrokosmos grundsätzlich mit so einem überraschenden "darstellungston" voran, während deep blue sich eher in dramaturgischen standardsituationen wiederfindet, und somit nicht ganz den tieren gerecht wird.
Bei mir liegt die Sichtung der DVD ebenfalls schon lange zurück und auch ich will mir den Film mal wieder ansehen. Die Erinnerung an den Film ist sehr positiv, der Film hat mich damals beeindruckt. Spontan fällt mir eine Szene ein, in der Regen einsetzt und eine Ameise von Tropfen getroffen wird. Die Geräusche wurden dabei verfremdet - eine faszinierende Beobachtung. Die Musikauswahl und Geräusche sind meines Erachtens hervorragend gewählt, so dass ich mir nachdem ich den Film gesehen hatte, auch den Soundtrack besorgte.
Deine Umschreibung der Inszenierung von Deep Blue spricht nicht gerade für Innovation, darunter kann ich mir aber in etwa den Unterschied zu "Mikrokosmos" vorstellen.
bekay sagte am 01.06.2008, 12:41:
wie nun eine filmische durchführung einer entfremdung aussehen soll, weiß ich auch nicht so genau. wichtig jedenfalls wäre, dass wir uns nicht ständig in den tieren wiedererkennen, wie es in deep blue passiert, in dem ständig der eindruck erweckt wird, die tiere hätten menschliche emotionen. mikrokosmos kann dem natürlich auch nicht entgehen, geht aber eben überraschendere wege.
Ich habe mir dahingehend gestern etwas vorzustellen versucht und wusste nicht so recht, etwas damit anzufangen. Ich denke, es hängt auch davon ab, was der Film eigentlich bezwecken will. Mit welchen Mitteln er das tut, da stehen ihm dann sicher viele Wege zur Verfügung.
Ich musste in diesem Zusammenhang an Jean-Henri Fabre und das Buch "Ich aber erforsche sie mitten im Leben! Von der Poesie der Insekten" denken. Zu Beginn schreibt er:
"Andere haben mir meine Sprache vorgeworfen, weil ihr die förmliche Würde, oder sagen wir besser: die akademische Nüchternheit fehle. Sie befürchten, daß eine Buchseite, die man ohne Anstrengung liest, niemals imstande sei, die Wahrheit auszudrücken. Wollte ich ihnen Glauben schenken, könnte man nur unter der Bedingung der Unverständlichkeit zu tiefgründigen Einsichten gelangen. Kommt her, ihr alle, die ihr da seid, ihr Stachelträger und ihr mit dem Harnisch eurer Rückenschilder, übernehmt meine Verteidigung und zeugt zu meinen Gunsten. Berichtet, wie vertraut ich mit euch lebe, mit welcher Geduld ich euch beobachte, mit welcher Gewissenhaftigkeit ich euer Tun aufzeichne. Euer Zeugnis wird einstimmig sein: Ja, meine Schriften sind nicht mit starren Formeln und hochgelehrten Hirngespinsten gespickt. Es sind vielmehr exakte Aufzeichnungen beobachteter Vorgänge, nichts mehr und nichts weniger. Solltet ihr nun freilich, meine lieben Insekten, diese braven Leute nicht überzeugen können, weil ihr nicht die Gewichtigkeit dieser Langweiler besitzt, sage ich’s ihnen selber: Ihr schlitzt den Tieren den Bauch auf, und ich – ich aber erforsche sie mitten im Leben. Ihr macht aus ihnen Objekte des Schreckens und des Mitleids, und ich sorge dafür, daß man sie liebt. Ihr arbeitet in einer Folterkammer, in der die Tiere zerstückelt werden, ich beobachte sie unter freiem Himmel, begleitet vom Gesang der Zikaden. Ihr steckt die Zellen und das Protoplasma der Tiere ins Reagenzglas, ich untersuche ihren Instinkt in dessen herausragendsten Ausdrucksformen; ihr erforscht den Tod, ich erforsche das Leben." (Der Ausschnitt ist auch die Leseprobe, die sich auf der Seite des
Verlages findet.)
Ich finde, dieser Ausschnitt zeigt ganz gut, wie unterschiedlich die Herangehensweise sein kann. Das mag jetzt nicht direkt etwas mit dem Thema der Dokumentationen (oder Semi-Dokus oder wie auch immer man den von Dir beschriebenen Film nennen mag) zu tun haben, aber vielleicht mit der Frage, was ich in oder mit einem Film dokumentieren/erklären/vermitteln will.
Spekulationen in Richtung Deep Blue erspare ich mir, da sollte ich lieber den Film ansehen.