Der Monroe ihre dicken Hupen
#1171
Geschrieben 10. März 2008, 15:57
Two Mules for Sister Sara (USA/Mexiko 1970)
Regie: Don Siegel
Irgendwo in Mexiko rettet der drifter Hogan (Clint Eastwood) eine Nonne, Schwester Sara (Shirley MacLaine), vor dem Übergriff dreier Gangster und hat danach eine selbstbewusste und nützliche Begleiterin: Sara kennt sich gut in Chihuahua aus und genau dort soll Hogan den mexikanischen Rebellen im Kampf gegen die französischen Besatzer beistehen und eine Festung erobern. Während das ungleiche Pärchen einige Hindernisse auf dem Weg zu überwinden hat, entdeckt der mürrische Hogan Gefühle für die hübsche Betschwester ...
Könnte man über die Dreharbeiten des Films nicht lesen, dass Shirley MacLaine weder mit Eastwood noch mit Siegel besonders gut zurechtkam, sich im Gegensatz mit beiden hefige Auseinandersetzungen lieferte, man hätte anhand des Films jede Menge Argumente, die oft gegen Siegel vorgebrachten Misogynismus-Vorwürfe abzuschmettern. Hogan – der an Eastwoods Namenlosen aus Leones Dollar-Trilogie angelehnt ist – macht im Verlauf des Films eine Wandlung vom raubeinigen Supermacho zum handzahmen Frauenversteher durch. Seinen noch zu Beginn großmäulig geäußerten Schwur, niemals eine Beziehung zu einer Frau einzugehen, weil dann nicht nur jegliche Freiheit verloren, sondern auch das Geld nur noch die Hälfte wert sei, muss er am Schluss brechen: Die gemeinsame Beute geht für den neuen extravaganten Fummel Saras drauf, während Hogan in denselben abgewetzten Klamotten wie eh und je voran reitet. Damit variiert Siegel geschickt eines seiner Standardthemen: der Held im Wandel der Zeit. Dieser Wandel äußert sich in TWO MULES FOR SISTER SARA in einer Umkehrung des Kräfteverhältnisses der Geschlechter. Zwar glaubt Hogan, die Zügel fest in der Hand zu halten, doch am Ende muss er erkennen, dass dies ein Irrglaube war: Die Nonne Sara ist in Wahrheit eine Hure, die Hogan etwas vorgespielt hat. Grund dafür ist aber nicht etwa die Verschlagenheit des Weibes, sondern die männliche Selbstherrlichkeit: Er wollte die Wahrheit einfach nicht hören. Der von Budd Boetticher mitgescriptete TWO MULES FOR SISTER SARA ist ein eher leichtfüßiger Beitrag zum Revolutionswestern-Subgenre: Morricones Score gehört meines Erachtens zu seinen schönsten und einprägsamsten Western-Arbeiten (wunderbar die musikalische Imitation eines Esels), der mexikanische Kameramann Gabriel Figueroa fängst sein Heimatland in wunderbaren Bildern ein und Siegels Regie ordnet sich dem Spiel seiner Hauptdarsteller unter. Mit Recht: MacLaine und Eastwood geben ein absolutes Traumpaar ab und stacheln sich gegenseitig zu komödiantischen Höchstleistungen an. Der beschwingte Witz ist noch ein Überbleibsel von COOGAN’S BLUFF, der allerdings im direkten Vergleich etwas konzentrierter war. TWO MULES FOR SISTER SARA fasert am Ende etwas aus, kann an das Niveau der famosen ersten Stunde nicht mehr ganz anknüpfen. Das macht nichts, auch dieser Film legt Zeugnis von Siegels Könnerschaft ab und hat mit der berühmten Pfeil-Entfernung eine Szene, die ihren Platz im Kanon großer Filmmomente längst sicher hat.
#1172
Geschrieben 10. März 2008, 17:02
Regie: Alain Corneau
Der cholerische Schwerverbrecher Mickey (Gerard Depardieu) bricht zusammen mit seinem Kumpel Serge (Pierre Forget) aus dem Knast aus. Weil die beiden jedoch vepfiffen wurden, hat Serge wenig später eine Kugel im Kreuz. Die letzte Rettung für die beiden ist der Landsitz von Noel Durieux (Yves Montand), einem ehemaligen Gangsterboss und alten Freund von Serge, der sich nun mit seiner Ehefrau Nicole (Catherine Deneuve) der Pferdezucht widmet und ein bürgerliches, ruhiges Leben führen möchte. Nach dem Eintreffen des unbeherrschten Mickey rückt die Erfüllung dieses Wunsches jedoch in weite Ferne ...
Die Grundprämisse des Films ist denkbar einfach, der weitere Verlauf des Films scheint anhand der kurzen Zusammenfassung für jeden, der ein paar Gangsterfilme gesehen hat, vorhersagbar zu sein. Doch Alain Corneau weitet diese Prämisse, den Zusammenprall zwischen dem ungebildeten Psychopathen und dem Gentleman-Gangster a. D. zur epischen Tragödie aus, die mit zunehmender Spieldauer eine Komplexität gewinnt, die nur wenige Filme dieser Art für sich beanspruchen können. Nachdem der zentrale Konflikt etabliert ist, verwandelt sich LE CHOIX DES ARMES plötzlich in ein Sozialdrama, das dem Amokläufer Mickey menschliche Konturen verleiht und ihn zum Opfer der äußeren Umstände macht. Der Film begibt sich vom mondänen Landhaus Noels in die tristen, wenig Hoffnung vermittelnden Plattenbausiedlungen am Rande von Paris, in denen Mickey seit seiner Kindheit um Anerkennung gekämpft hat, die ihm jedoch stets versagt blieb. Gleichzeitig zieht die durch seinen Ausbruch augelöste Kettenreaktion immer weitere Kreise, sodass keine der involvierten Personen – neben Mickey und Noel die Polizei, Mickeys Jugendfreund Dany sowie die Gangsterfamilie um Noels ehemaligen Kontrahenten Constantini, die mit Mickey ebenfalls noch ein Hühnchen zu rupfen hat – noch in der Lage ist, den Überblick zu behalten, geschweige denn die Auswirkungen der eigenen Handlung vorhersagen zu können. So wird das gesamte Personengefüge kräftig durcheinandergewirbelt, bis sich am Ende plötzlich der junge Polizist in der Position des ungewollten Übeltäters wiederfindet. Parallel zu dieser hoch dramatischen, niemals vorhersehbaren Geschichte erzählt Corneau – wie der Titel schon andeutet – von Waffen. Einmal sitzt der ältere Polizist vor dem Fernseher und sieht einen Bericht über einen aktuell wütenden Bürgerkrieg. Tenor des Berichts: In einer Welt, in der alle Waffen frei verfügbar sind, werden diese irgendwann auch benutzt. Wer in diesem Gefecht die Oberhand behalten wird, ist auch für die teilnehmenden Kräfte indes nicht mehr vorherzusagen. Auch wenn man es an der Oberfläche nicht sieht: Diese Welt befindet sich im Ausnahmezustand, in einem immer währenden Krieg. Anders ist das Bild nicht zu deuten, in dem wir Mickey mit seiner kleinen Tochter am Strand sehen, nachdenklich aufs Meer hinausblickend, während die Festungsanlagen hinter ihm nicht nur an den D-Day erinnern, sondern auch seine eigene Verfassung widerspiegeln: Man muss sich hart machen, um zu überleben.
Alain Corneau ist ein famoser Crime-Film voller Tiefgang und herausragenden Bildkompositionen gelungen, der immer wieder überrascht, die gewonnenen Eindrücke immer wieder einer Neubewertung unterzieht. Das Sahnehäubchen des Films sind aber die vielen faszinierenden Charaktere: Vor allem Depardieu begeistert mit einer sehr ambivalenten Darstellung des Mickey, der sich vom hassenswerten Klotz zum tragischen Helden und schließlich zur Identifikationsfigur mausert. Zusammen mit Yves Montand, der seinem Altgangster monumentale Würde verleiht, bildet er das emotionale Zentrum dieses Films, für den eine Sichtung bei Weitem nicht aureicht.
#1173
Geschrieben 10. März 2008, 18:42
Regie: René Clément
Der attraktive Tom Ripley (Alain Delon) stammt zwar aus einfachem Haus, hat mit dem Jetsetter Philippe Greenleaf (Maurice Ronet) aber einen äußerst wohlhabenden Freund, mit dem er im besten Dandy-Stil die Metropolen Europas unsicher macht. Doch etwas stimmt nicht mit diesem Tom Ripley: Er will dazugehören zu den oberen Zehntausend und dafür ist ihm nicht nur jedes Mittel Recht, er ist auch bereit seine eigene Identität völlig aufzugeben ...
Vor fast zehn Jahren habe ich Anthony Minghellas Neuverfilmung von Patricia Highsmith’ Bestseller ohne Kenntnis dieses Films gesehen und für gut befunden – erinnern kann ich mich dennoch kaum noch an ihn. Die Auffrischung mittels Cléments Film war also durchaus sinnvoll und natürlich ein voller Erfolg. Besser als seinem modernen Nachfolger Matt Damon gelingt es Delon seinem Charakter die teuflische Ader abzuringen: Eigentlich ist PLEIN SOLEIL eine ins Böse gewendete Variation alter Schelmengeschichten, die Clément mit großem Stilwillen zum eiskalten Thriller und zur Parabel auf den materialistischen Amoklauf des Menschen im 20. Jahrhunderts formt. Tom Ripley, der neurotische Mörder mit dem Engelsgesicht, ist unschwer als Vorfahre von Ellis’ Patrick Bateman zu erkennen: Wie dieser ist Ripley ein Mann ohne Eigenschaften, der von Minderwertigkeitskomplexen getrieben zum eiskalten Mörder wird und bald völlig in seiner neuen Rolle als Philippe Greenleaf aufgeht; so sehr, dass er bald gar nicht mehr bemerkt, dass er diese Rolle nur spielt. Statt in angesagten New Yorker Yuppieclubs bewegt er sich spielerisch an den europäischen Tummelplätzen der US-amerikanischen Elite, gibt sich ganz dem Müßiggang hin, ohne sich Gedanken über ein Morgen zu machen. Eine andere Parallele drängt sich gerade aus deutscher Perspektive auf: Christian Krachts „Faserland“ erzählt von einem juvenilen Barbourjacken-Träger, den es innerhalb weniger Tage vom reichen Sylt bis in die Schweiz verschlägt, der dazwischen in den Großstädten der Republik auf den Festen und Partys des Großbürgertums aufschlägt und ansonsten ein vollkommen sinnentleertes Leben führt. Zwar ist Krachts Protagonist letzten Endes viel zu bieder, um selbst zum Mörder zu werden, die Gleichgültigkeit, mit der er den Selbstmord eines Freundes erst passieren lässt und dann regungslos hinnimmt, macht ihn aber zu einem späten Nachfolger Ripleys.
Das größte Kunststück, das PLEIN SOLEIL vollbringt, ist den Zuschauer mit diesem Uncharakter mitfiebern zu lassen: Was ist das für ein grandioser Moment, als sich Ripley in einem Moment der geistigen Abwesenheit gegenüber Philippes Freundin, der von ihm begehrten Marge (Marie Laforêt), auf einen Brief von ihr bezieht, mehr noch, diesen auf sich bezieht, der doch eigentlich an Philippe gerichtet war. Da stürzt man als Zuschauer von einem emotionalen Extrem ins nächste. Überhaupt: Was Cléments Film stilistisch auszeichnet, das ist das Nebeneinander von flirrender Sonnenhitze und erschreckender Gefühlskälte, perfekt eingefangen im Bild des Schüttelfrost verursachenden, heftigen Sonnenbrands, den Ripley zu Beginn erleidet. PLEIN SOLEIL ist ein Film, dessen Methode als dialektisch zu bezeichnen ist: Die Kamera rückt bis zum absoluten Distanzverlust an das makellose Gesicht ihres Protagonisten, „nahe“ kommen wir diesem Ripley dennoch nicht. Er bleibt ein Phantom, ein Monster, dessen Wesen man nicht begreifen kann, weil es sich selbst fremd ist. Eine faszinierende Figur, vielleicht eine der spannendsten Schöpfungen des vergangenen Jahrhunderts, in einem beinahe makellosen Film. Lediglich das das Zuschauerbedürfnis nach einem „gerechten“ Ausgang befriedigende Ende (das es meines Wissens in Minghellas Film nicht gibt) ist ein kleiner Wermutstropfen, der dem Film aber keinen nachhaltigen Schaden zufügen kann.
#1174
Geschrieben 11. März 2008, 16:56
The Beguiled (USA 1971)
Regie: Don Siegel
Der Unionssoldat John McBurney (Clint Eastwood) wird während des Bürgerkriegs irgendwo in Louisiana halb verblutet von einem jungen Mädchen gefunden und in ein Mädcheninternat gebracht, das von der undurchsichtigen Martha Farnsworth (Geraldine Page) geleitet wird. Nachdem diese beschlossen hat, den Soldaten gegen jede Vernunft vor den Konföderierten versteckt zu halten und gesund zu pflegen, wird er zum Objekt der aufgrund des Krieges viel zu lange unerwidert gebliebenen sexuellen Begierden der Mädchen – und zum Gefangenen. Als sich die Lehrerin Edwina (Elizabeth Hartmann), die ernste Gefühle zu McBurney entwickelt, von diesem hintergangen fühlt, eskaliert die eh schon aufgeheizte Stimmung im Haus vollkommen ...
Verfolgt man das Schaffen Siegels in chronologischer Reihenfolge, wird erkennbar, wie bestimmte Themen und Diskurse in dessen Werk an die Oberfläche drängen und über mehrere Filme hinweg ausgearbeitet und weiterentwickelt werden. So treten Gemeinsamkeiten zwischen Filmen hervor, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten. THE BEGUILED etwa, der mit seiner ruhigen, der Tradition des american gothic verhafteten Erzählung zwischen den im weitesten Sinne als Actionfilme zu bezeichnenden Werken des Regisseurs eine sehr exponierte Stellung einnimmt, entpuppt sich überraschenderweise als zwar böses, aber dennoch konsequentes companion piece der Westernkomödie TWO MULES FOR SISTER SARA. In beiden Filmen prallen Männer und Frauen aufeinander, in beiden Filmen glaubt sich der Mann in der überlegenen Rolle, in beiden Filmen ist es jedoch das weibliche Geschlecht, das am Ende die Oberhand behält – und in beiden Filmen ist dieser Mann kein anderer als Clint Eastwood, der Prototyp des kernigen Machos, der die ganze Wucht emanzipatorischer Bestrebungen abbekommt.
Dennoch verhält sich THE BEGUILED in vielerlei Hinsicht beinahe antipodisch zu Siegels sonstigen Männerfilmen: McBurney ist über weite Strecken des Films zur Handlungs- und sogar Bewegungsunfähigkeit verdammt und wird so zur idealen Projektionsfläche für die Gelüste der ihn umgebenden Frauen. Sein männlicher Omnipotenzwahn, seine vermeintliche Überlegenheit lassen ihn die Gefahr, in die er mehr und mehr gerät, überhaupt nicht erkennen. Das Dasein als „Hahn im Korb“ gefällt ihm sichtlich: So nimmt er die ihm durch seine Verletzungen aufgezwungene passive Rolle zwar gern an, doch steht für ihn gleichzeitig völlig außer Frage, dass er derjenige ist, der die Fäden in der Hand hält. Wir hingegen wissen: „Hell hath no fury like a woman scorned“ und so wird THE BEGUILED in der zweiten Hälfte für den männlichen Zuschauer fast zur traumatischen Erfahrung, die ihn dem Geschehen mit zunehmend verkrampftem Unterleib beiwohnen lässt. Die zwangsläufige und von langer Hand absehbare Kastration ist letztlich zwar nur symbolisch, aber dennoch unverkennbar und unmissverständlich. Was THE BEGUILED neben der bestechenden Inszenierung, die das alte Südstaatenanwesen mehr und mehr zum psychotopologisch verzeichneten Ort macht und mit ihren psychedelischen Überblendungen und Schnittfolgen den Expressionismus von Siegels THE KILLERS wiederbelebt, zum wirklich bahnbrechenden Erlebnis macht, ist die Integrierung des psychologischen Kammerspiels in einen größeren universellen Rahmen: THE BEGUILED ist ein Antikriegsfilm, der die männlichen Kriegshändel als Eingriff in das biologisch-soziale Gefüge menschlicher Gesellschaft kennzeichnet. Kurz gesagt: Im Krieg rottet sich die potenzielle Vätergeneration gegenseitig aus, werden die Frauen im großen Maßstab ihrer Sexualpartner beraubt. Diese Ent-Männlichung der Gesellschaft – Männer sind rares Gut in THE BEGUILED, immer auf dem Weg in die nächste Schlacht, in der sie ihr Leben aushauchen – hat auch eine Brutalisierung der sexuellen Bedürfnisse zu Folge. Wahrscheinlich ist es das, was ausgesprochene Feministinnen wie Eastwood- und Siegel-Hasserin Pauline Kael so auf die Palme brachte: Die Frauen in THE BEGUILED zerreißen sich förmlich, in der Hoffnung, McBurney auf ihr Lager zerren zu können. Am Ende obsiegt die weibliche Zweckgemeinschaft über den Mann: Wenn der Kampf um das männliche Restmaterial keinen Sieger hervorbringt, ist es der Mann, der verschwinden muss ...
#1175
Geschrieben 12. März 2008, 10:53
Regie: David Slade
Die Kleinstadt Barrow in Alaska bereitet sich auf einen Monat ohne Sonne und damit einen Monat vollkommener Isolation vor: Viele Bürger fliehen vor der deprimierenden Dunkelheit in südlichere Gefilde und müssen sich von zurückbleibenden Familienmitgliedern verabschieden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit trifft ein Fremder in Barrow ein, der sogleich auf Konfrontationskurs mit dem Sheriff, Eben Oleson (Josh Hartnett), geht. Doch dieser Fremde ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was mit der Dunkelheit Einzug hält: eine Bande blutgieriger Vampire, vor denen es in der langen Nacht kein Entkommen zu geben scheint ...
30 DAYS OF NIGHT ist die Geschichte einer Belagerung, absoluter Isolation und eines aussichtslosen Kampfes. Barrow, für einen Monat lang sprichwörtlich am Ende der Welt gelegen, wird zum Austragungsort eines fast biblisch anmutenden Konflikts zwischen Gut und Böse. Die Bewohner Barrows, allen voran Sheriff Oleson, sind nicht weniger als Auserwählte: „We live here for a reason: Because nobody else can“ , fasst Oleson die Rolle der Überlebenden prägnant zusammen. Sie sind – eine klassische Konstellation – Menschen des „Dazwischen“. Den zahlreichen Opfern haben sie voraus, sich in der Dunkelheit ähnlich zu Hause zu fühlen wie ihre Gegner. So ist es nur die logische Zuspitzung dieser Konstellation, dass Oleson am Ende die Seiten wechseln muss, um den Kampf zugunsten der Menschen zu entscheiden. Es schleicht sich durchaus ein resignativer existenzialistischer Ton in diesen Konflikt, in dem die Menschen lediglich die Aufgabe annehmen, die ihnen zugewiesen wurde. Es gibt keine Euphorie, keinen Überschwang der Emotionen, nur die Einsicht in das Unausweichliche. So wird 30 DAYS OF NIGHT dann auch zu einer sehr bleichen, kargen Angelegenheit, die wie Blei auf das gemüt drückt: Slade baut seine Film ruhig und geduldig auf, hält ihn dann konstant auf einem Level, lässt das Geschehen mit größter Zwangsläufigkeit seinen vorgezeichneten Weg nehmen. Es sind die deftigen Gewaltszenen, die allein den beständigen Fluss immer wieder aufwirbeln und erkennen lassen, dass die Menschen dieser beinahe ewig währenden Nacht einen hohen Tribut zu zollen haben, auch wenn sie die Sonne dann doch wieder erblicken dürfen: Keiner kommt hier lebend raus.
David Slade (dessen kontrovers diskutierten HARD CANDY ich immer noch nicht gesehen habe) macht mit der Verfilmung der (mir ebenfalls unbekannten Graphic Novel) fast alles richtig: Die irgendwo zwischen Carpenters THE THING und dem schönen PITCH BLACK liegende Prämisse des Films bringt die nötige Suspense in das Horrorszenario, statt quietschbuntem Firlefanz regieren Ernst, Monotonie und Tristesse, die formale Gestaltung mit ihren von Grau und Schwarz dominierten kalten Bildern und dem unheilvollen Score lädt das Geschehen mit einer Atmosphäre von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit auf, die Vampire, deren Zeichnung sie genau zwischen den Polen „hoch intelligent“ und „vertiert“ verortet, ist zum einen effektiv, hält zum anderen aber auch das Interesse an diesen Kreaturen lang genug wach, ohne sie je vollkommen zu entmystifizieren. Die größte Leistung des Films ist sicherlich seine "Sparsamkeit": Slade vertraut dem Stoff und begnügt sich damit, diesen so wirkungsvoll wie möglich auf die Leinwand zu bringen, ohne allzugroße Rücksicht auf die Bedürfnisse des Durchschnittspublikums zu legen. Die ärgerlichen Klischees, die schon so manchen viel versprechenden Film in den Morast des biederen Durchschnitts heruntergezogen haben, sind hier dankenswerterweise abwesend. Das Finale halte ich gar für nichts weniger als phänomenal: 30 DAYS OF NIGHT hat genau das Ende, das etwa Kathryn Bigelows NEAR DARK vor 20 Jahren leider verwehrt geblieben ist. Klasse.
#1176
Geschrieben 13. März 2008, 19:28
Regie: Claude Chabrol
In Griechenland tauchen merkwürdige Black Boxes auf, mit denen das Radarsystem der USA gestört werden soll. Der Agent Sharps (Michel Bouquet) schickt seinen besten Mann, den Spion Robert Ford (Christian Marquand), um die Drahtzieher hinter der Aktion zu ermitteln. Tatsächlich findet Ford eine Spur, doch bald darauf hat er eine Kugel im Kopf. Als seine Frau Shanny (Jean Seberg) daraufhin verdächtigt wird, versucht sie selbst das Rätsel zu lösen.
Schon der Prolog, in dem ein Zauberkünstler namens Socrates als Schmuggler der Black Boxes fungiert, deutet an, was später mit einer Schrifteinblendung verifiziert wird: Nicht glauben soll man, sondern träumen. Dieser Agentenfilm hält sich dann auch nur vordergründig an die Regeln seines Genres, funktioniert eher als Parodie. Doch große Einfälle sind eher rar gesät – der Auftakt mit dem Magier und Killer, die sich als griechisch-orthodoxe Priester verkleiden, sind die spektakulärsten Ausnahmen – und so schleppt sich LA ROUTE DE CORINTHE so dahin. Die Bilder sind natürlich wunderbar, ebenso die Hauptdarsteller Seberg und Bouquet, aber irgendwie setzt sich Chabrol genau zwischen die Stühle: Für einen Thriller (den er wohl eh nicht machen wollte) ist LA ROUTE einfach nicht spannend, für eine kunstvolle Überhöhung und Umdeutung der ihm zugrunde liegenden Genremechanismen nicht elaboriert und pointiert genug. Vielleicht lag es aber auch nur an mir, dass ich mich mit LA ROUTE DE CORINTHE so immens schwer getan habe. So ratlos und enttäuscht war ich jedenfalls schon lang nicht mehr.
#1177
Geschrieben 14. März 2008, 11:05
Regie: Claude Chabrol
Als Hélènes (Stephane Audrane) Ehemann Charles (Jean-Claude Drouot) eines Morgens aus heiterem Himmel den gemeinsamen Sohn attackiert und verletzt, handelt Hélène kurz entschlossen: Sie schlägt Charles mit der Bratpfanne nieder, packt ihren Sohn, verlässt das gemeinsame Reihenhaus und leitet die nötigen Schritte für die Scheidung ein. Doch Charles Vater, der Großindustrielle Ludovic Regnier (Michele Bouquet), ist nicht bereit, seinen Enkel so einfach aufzugeben und den Ruf seines Sohnes – und damit seinen eigenen – ruiniert zu sehen. Er schaltet den Detektiv Paul Thomas (Jean-Pierre Cassel) ein, der kompromittierendes Beweismaterial gegen Hélène finden soll. Als dieser jedoch feststellen muss, dass Hélène völlig unbescholten ist, plant er ein Komplott ...
Wie schon LA FEMME INFIDÈLE und später LA FLEUR DU MAL beginnt LA RUPTURE mit dem Blick auf ein Haus: Doch statt einer mondänen Villa ist es diesmal ein kleinbürgerliches Reihenhaus, das nicht von Amoralität und Gier kündet, sondern von Integrität und Bescheidenheit. Hélène kommt aus einfachen Verhältnissen und das macht sie in einem Chabrol-Film schon fast per se zur positiven Identifikationsfigur. Ihren Weg beschreitet sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Ihr Sohn liegt im Krankenhaus in einem Zimmer mit mehreren anderen Kindern, obwohl der Schwiegervater ein Einzelzimmer finanzieren würde, sie selbst bezieht eine bescheidene Pension, um dem Sohn nah zu sein. Während sie sich ganz auf sich und ihre Urteilsfähigkeit verlassen muss, lässt der intrigante Schwiegervater, ein kapitalistischer Machtmensch wie er im Buche steht, die Muskeln spielen. Mit Geld erkauft er sich die Handlanger, die seinen Willen vollstrecken sollen, ohne nach dem größeren Zusammenhang zu fragen. Das moralische Gefüge von Chabrols Film ist eindeutig, was LA RUPTURE jedoch von LA FEMME INFIDÈLE unterscheidet, ist der größere Bezugsrahmen. Wo sich die Auswirkungen großbürgerlicher Wertvorstellungen in letzterem in erster Linie in der Familie niederschlugen, greift der kapitalistische Wille zur Macht in LA RUPTURE auf die ganze Gesellschaft über: Menschen werden systematisch zerstört oder zu austauschbaren Schergen degradiert. Der zerrüttete Geisteszustand Charles’ ist nicht zuletzt auf das krankhafte Anspruchsdenken der Regniers zurückzuführen (die sich für das Befinden ihres Sohns einen Scheißdreck interessieren), ausbaden müssen diese Tatsache der Enkel und Hélène; die Pension und Existenzgrundlage der Familie Pinelli – die Frau überfordert, der Mann Alkoholiker, die Tochter geistig behindert – steht vor dem Abriss durch die Immobilienfirma Regniers: Die Notlage der Familie interessiert diesen erst, als ihm bewusst wird, dass sie ihm bei seiner „Sache“ behilflich sein können; und der widerliche Opportunismus Thomas’ ist genau das richtige Instrument für die schmutzigen Pläne Regniers, dem es einzig darum geht, seinen Namen sauber zu halten. Am Ende wird für ein bisschen Geld gar das behinderte Mädchen in die ganze Sache hineingezogen, mit Drogen betäubt und sexuell missbraucht. Währenddessen finden mit Hélène und Charles die einzig berechtigten Menschen eine Einigung: ohne Machtspielchen, ohne Dritte in den Dreck zu ziehen.
Chabrols Film beginnt mit einer Szene von brachialer Drastik, verwandelt sich dann mehr und mehr vom Sozialdrama in eine surreale Groteske, die von genau zwei Arten von Menschen bevölkert wird: Tätern und Opfern. Auffällig ist, dass eine Gesellschaft im Sinne von Gemeinschaft in LA RUPTURE vollkommen abwesend ist. Wer Menschen nicht mit Geld an sich binden kann, wird letztlich vollkommen isoliert, erst sozial, dann auch psychisch. LA RUPTURE ist ein wahrlich bitterer Film und schwer zu ertragen. Auch wenn Hélène am Ende zu ihrem Recht kommt: Freuen kann man sich darüber kaum. Angesichts des amoklaufenden Unrechts ist ihr Triumph ein winziger.
#1178
Geschrieben 15. März 2008, 18:19
Regie: Claude Chabrol
Philippe (Paul Gégauff), ein Intellektueller in den besten Jahren, lebt mit seiner Jahre jüngeren Frau Esther (Danièle Gégauff) und seiner Tochter in einem pompösen Landhaus. Philippe erzieht seine Gattin zu einem libertinären Lebensstil, ermutigt sie, auch mit anderen Männern ins Bett zu gehen. Als Esther sich den jungen Habib (Giancarlo Sisti) anlacht, bröckelt jedoch Philippes Fassade der Toleranz: Er entwickelt sich mehr und mehr zum rasend eifersüchtigen und gewalttätigen Tyrannen. Erst als die Beziehung zerbricht, erkennt er, dass er ohne Esther nicht leben kann ...
Chabrol-Kollaborateur Gégauff – er schrieb unter anderem die Drehbücher zu QUE LA BÊTE MEURE und LES BICHES – liefert mit diesem niederschmetternden Beziehungsdrama eine schonungslose männliche Selbstanklage ab. Sein Philippe versteht seine Geliebte nicht als gleichberechtigten Partner, sondern als formbare Gespielin, der er nur so lange einen eigenen Willen zugesteht, wie dieser nicht mit dem seinen kollidiert. Gegenüber den jungen Philosophen um Habib geriert er sich zum Zampano, schmettert ihre Weltsicht mit großer Geste und Arroganz ab und hält lange Vorträge über das Wesen der Freiheit, die er für sich jederzeit einfordert, aber anderen nur in handlichen Portionen gönnt. Ein richtiger Herrenmensch eben. Auch das großzügig ausgesprochene Angebot an Esther, auch mit anderen Männern Sex zu haben, dient letztlich nur der Legitimation seiner eigenen Seitensprünge. Wie schlecht es um seine Toleranz tatsächlich bestellt ist, wird deutlich, als Esthers Wahl auf Habib fällt, den Philippe als ernsten Konkurrenten und damit als Gefahr wahrnimmt. Chabrols Film inszeniert den Niedergang eines Mannes und seiner Beziehung mit klinischer Präzision und äußerster Ruhe, in die mit zwei rabiaten Gewaltszenen – eine zur Hälfte des Films, eine am Schluss – ein wahrer Donnerhall platzt. Der stets überlegene Intellektuelle verliert die Maske und präsentiert sich als brutaler Gewalttäter, wenn die schönen Worte ihr Ziel nicht finden. Dass Chabrol Gégauffs Drehbuch, das dieser verständlicherweise nicht autobiografisch verstanden wissen wollte, mit dessen Familie besetzte, verleiht UNE PARTIE zusätzlichen Reiz. Trotz Gégauffs Bekundungen meint man nämlich, in dessen harten, an Klaus Kinski erinnernden Gesichtszügen das Potenzial zur Brutalität zu erkennen. Dass er zu Beginn der Achtzigerjahre von seiner Exfrau ermordet wurde, passt ebenfalls in das Bild, das UNE PARTIE DE PLAISIR von ihm zeichnet. Aber auch jenseits solcher Spekulation ist Chabrol ein absolut fesselnder Runterzieher gelungen, der sehr plausibel macht, wie sich vermeintlich grenzenlose Toleranz ganz schnell in ihr krasses Gegenteil verwandeln kann. Da schwingt sich das Beziehungsdrama dann fast zur Faschismus-Allegorie empor.
#1179
Geschrieben 16. März 2008, 18:47
Regie: Claude Chabrol
In einer mondänen Villa in St. Tropez führen Julie Wormser (Romy Schneider) und ihr 18 Jahre älterer Gatte Louis (Rod Steiger) eine traurige Ehe. Nach einer Herzattacke tut Louis sein Bestes, sich mit Whiskey zugrunde zu richten, ein gemeinsames Sexleben gibt es nicht mehr. Als Julie der virile Schriftsteller Jeff Marlo (Paolo Giusti) begegnet, hat sie in ihm nicht nur einen neuen Bettgesellen, sondern auch einen Komplizen gefunden: Gemeinsam ermorden sie Louis und lassen seine Leiche verschwinden. Doch dann erhält Julie die Nachricht vom Tod Jeffs und schließlich beginnt sich auch die Polizei für die junge Frau zu interessieren ...
Obwohl an der sonnigen Côte D’Azur angesiedelt, wird LES INNOCENTS von Schwarz dominiert: Schatten legen sich wie Trauerflor über die Gesichter der Protagonisten, immer wieder verschwinden sie im Schatten oder schälen sich aus diesem heraus, und selbst in den Tageslicht-Szenen wirkt Chabrols Film, als hätte man ihm die Farbe entzogen. Im modernen Interieur der Wormser-Villa muten die Charaktere wie Gefangene, wie Einrichtungsgegenstände an. Das passt zu der tragisch verlaufenden Geschichte, in der es am Ende nur Verlierer gibt und Verrat, Lüge und Enttäuschung die einzigen Konstanten sind und keiner die Konsequenzen der eigenen Handlungen bis zur letzten Konsequenz überblicken kann. Diese Unbehaglichkeit akzentuiert auch Pierre Jansens Score, in dessen sparsames Klavierthema sich permanent dissonante Töne mischen und aus dem atmosphärischen Fluss reißen. Emotionales Zentrum des Films ist Julie, die versucht, in einer von Männern dominierten Welt glücklich zu werden und darüber schließlich – so legt es die abschließende Szene nahe – in den Wahnsinn abgleitet. Chabrols Beziehungsgeflechte sind einmal mehr von Macht und Unterdrückung geprägt, wobei das Instrument dieser Macht immer der Sex ist: Zunächst scheint es so als würde sich diese Waffe vor allem gegen Louis richten, dessen „besten Jahre“ schon vorbei sind, doch das Geschehen kompliziert sich so weit, bis sowohl der Zuschauer als auch die Protagonisten irgendwann erkennen müssen, dass es kein singuläres Mastermind hinter den komplexen Kausalketten gibt. Das Schicksal erwischt schließlich jeden aus dem Hinterhalt.
Aus einem Krimi machte Chabrol ein niederschmetterndes Drama über das ganze Ausmaß menschlicher Gier und Eitelkeit; und gleichzeitig einen Frauenfilm, der in einer gnadenlosen Männerwelt angesiedelt ist. Für Julie bleibt am Ende nichts mehr, sie verliert alles. Noch nicht einmal die Verantwortung für ihre Taten gönnt man ihr. So wird sie von der Justiz am Ende verschont: Eine Gefangene ist sie trotzdem. Zurück in der menschenfeindlichen Architektur ihrer Villa wird sie für immer von den Geistern der Vergangenheit verfolgt werden. Ein Riesenfilm, in dem neben den genannten Darstellern auch Hans-Christian Blech und Jean Rochefort Glanzleistungen abliefern.
#1180
Geschrieben 17. März 2008, 15:15
Regie: Jeroen De Rijke, Willem de Rooij
In einem ultrakühl eingerichteten Designer-Apartement treffen sich die Mitglieder einer wohlhabenden Familie und versichern sich in immer neuen Konstellationen ihre Verachtung: Da gibt es den chauvinistisch-sadistischen Macho, den rücksichtslosen Brutalkapitalisten, die verzweifelt nach einem Mann suchende Frau jenseits der 50, die zynische, aufgebrezelte Ehegattin, die biestige Tochter, den androgynen Jüngling und einige weitere nicht minder unsympathische Personen.
MANDARIN DUCKS, ein 36-minütiger Kurzfilm, verdankt seine Inspiration einem holländischen Bühnenstück, das man am ehesten mit Volkstheater im Stile des Ohnsorg-Theaters vergleichen kann. Von solchem hebt ihn aber die hochgradig artifizielle Inszenierung des Bühnenraums ab. In einer langen Exposition schwebt die Kamera eng vor den Gesichtern der sich auf einer großen Sitzfläche tummelnden Familie, sodass der gezeigte Raum für den Zuschauer eines jeden Bezugspunkts beraubt wird: Die in statischen Positionen ausharrenden Figuren geraten selbst in Bewegung. Ähnliches wiederholt sich später: Aus der permanent kreisenden Perspektive geht es übergangslos in eine fixe Beobachterposition, aus der man einem Zwiegespräch folgt, und die die Frage aufwirft, welche Position der Zuschauer hier nun eigentlich einnimmt. Diese Entkörperlichung der Perspektive bei gleichzeitiger Verankerung im diegetischen Raum wird später erneut vollzogen: In einem Dialog, der klassisch in Schuss/Gegenschussaufnahmen aufgelöst wird, scheint der Zuschauer im Wechsel jeweils die Rolle des Angesprochenen einzunehmen. Die das Gespräch in den räumlichen Kontext rücküberführende Totale zeigt nun aber, dass sich die vermeintlichen Gesprächspartner überhaupt nicht gegenüberstanden. Es sind diese Experimente mit Perspektive, räumlicher De- und Rekontextualisierung, die MANDARIN DUCKS über seine Laufzeit zu einem spannenden Ereignis machen, mehr als sein Narrativ, das weder irgendwohin führt, noch besonders innovativ erscheint. De Rijke und De Rooij üben sich in einer relativ vertraut erscheinenden Kapitalismuskritik, enttarnen die Oberschicht als gefühlskalte Zyniker und rücksichtslose Neurotiker.
#1181
Geschrieben 17. März 2008, 19:06
Regie: Martin Rosen
Als das mit seherischen Fähigkeiten begabte Kaninchen Fiver drohendes Unheil für seinen "Owsla", seine Familie, in Form eines menschlichen Bauprojektes nahen sieht, schlagen er und sein Bruder Hazel sofort Alarm, der jedoch nur von Wenigen Ernst genommen wird. Unter der Führung des tapferen Bigwig verlassen Fiver, Hazel und einige andere dennoch heimlich ihren Bau und machen sich auf die Suche nach einer neuen Heimat. Dort, auf einem wunderschönen Hügel angelangt, fällt ihnen jedoch auf, dass sie ohne weibliche Kaninchen dem Untergang geweiht sind. Der Versuch, ein paar Stallkaninchen zu befreien, schlägt fehl. Die letzte Chance, ihren Fortbestand zu sichern, besteht nun darin, einige Tiere der vom tyrannischen General Woundwort regierten Owsla zur Meuterei zu bewegen. Das will sich der blutgierige Woundwort aber nicht so einfach gefallen lassen.
Die dem Film vorangestellte Schöpfungsgeschichte, die erzählt, wie das „Ur-Kaninchen“ El-Ahrairah den Zorn des Schöpfergottes Frith auf sich zieht, dieser die Kaninchen daraufhin bestraft, indem er ihnen eine Vielzahl gefährlicher Feinde gegenüberstellt und sie so zu permanent Gehetzten macht, lässt keinen Zweifel am Fabel-Haften Charakter von WATERSHIP DOWN. Entgegen anderen modernen Vertretern dieser Gattung nervt WATERSHIP DOWN jedoch niemals mit seinem erhobenen pädagogischen Zeigefinger, weil er seine Hauptcharaktere nicht nur als anthropomorphen Menschenersatz versteht, sondern sie auch als das Ernst nimmt, was sie sind, und sein allegorisches Potenzial ganz selbstverständlich-unaufdringlich entwickelt, anstatt es in den Vordergrund drängen zu lassen. So gelingt Regisseur Martin Rosen das Wunder eines Films, der sich von ganz verschiedenen Perspektiven betrachten lässt: als Geschichte einer tierischen Flucht vor der menschlichen Zerstörungswut hinein in eine Utopie, die den Namen „Watership down“ trägt, und eben auch als einen Film, der dem Menschen den Spiegel vors Gesicht hält. Aus dieser Perspektive sind Fiver, Hazel, Bigwig und die anderen Hauptfiguren Unterprivilegierte, die mit Ignoranz und Intoleranz zu kämpfen haben und für einen Ort kämpfen, an dem sich ihre Träume erfüllen. Wenn General Woundwort mit seinem faschistischen Militärregime auftritt, der Film einen deutlich ruppigeren Ton anschlägt, fühlt man sich nicht zuletzt an Joy Bachelors und John Halas’ ANIMAL FARM erinnert. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass mir WATERSHIP DOWN (der nun bestimmt nicht in den Verdacht gerät, ein typischer Funk_Dogg-Film zu sein) gerade als märchenhafter Tierfilm das Herz geöffnet hat. Die Animationen und wunderbar gemalten Hintergründe bilden einen wohltuenden Kontrast zu den oft in steriler Perfektion erstarrten Trickfilmen neueren Datums, die Szenen um den „schwarzen Hasen des Todes“ sind von einer magischen expressionistischen Qualität, die an einer Stelle mit Art Garfunkels „Bright Eyes“ kongenial untermalt wird. Der ganz große emotionale Überschwang blieb aufgrund äußerer Umstände eher aus, trotzdem bleibt mir nichts anderes zu sagen als: Wunderschön.
#1182
Geschrieben 17. März 2008, 19:51
The Big Steal (USA 1949)
Regie: Don Siegel
Drei Männer, eine Frau, ein Koffer mit 300.000 Dollar: Der Soldat Lieutenant Duke Halliday (Robert Mitchum) wurde von Jim Fiske (Patric Knowles) um besagte Geldsumme – von Halliday transportierte Lohnzahlungen – erleichtert. Während Duke versucht, Fiske das Geld wieder abzunehmen, muss er sich seines Vorgesetzten Captain Vincent Blake (William Bendix) erwehren, der glaubt, dass Halliday selbst der Dieb ist. Zu diesem männlichen Dreigestirn gesellt sich Joan Graham, die Geliebte Fiskes, die von diesem wiederum um 2.000 Dollar betrogen wurde und nun ihrerseits ein Interesse daran hat, ihm das Handwerk zu legen. Es entwickelt sich eine heiße Jagd durch Mexiko ...
Dieser kurze, rasante Crime-Film, der fünfte Spielfilm Siegels, lässt bereits die Handschrift des Regisseurs erkennen: Der Inhalt von THE BIG STEAL ist kaum mehr als Prämisse, die sich zwar in bester damals gängiger Noir-Tradition erst langsam vor dem Zuschauer entfaltet, wenn aber nach einem knappen Drittel der Spielzeit die Fronten geklärt sind, widmet sich Siegel ganz der Verfolgungsjagd, die den Rest des Films einnimmt und schließlich in einem kurzen Showdown gipfelt, in dem ein kleiner, allerdings kaum überraschender Twist nicht fehlen darf. Es gibt nicht viel zu sagen über THE BIG STEAL, dessen Geradlinigkeit böse Menschen als Schmucklosigkeit abtun könnten. Diese haben dann wohl die recht stark im Vordergrund stehenden humorigen Einlagen, die auf das Konto eines Englisch lernenden mexikanischen Polizeichefs gehen, wie auch die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Duke und Joan, die auf eine eher ungewöhnliche, gar nicht chauvinistische Art gezeichnet wird, übersehen. Ja, wenn man behauptet, in THE BIG STEAL habe die Frau die Hosen an, liegt man damit gar nicht so falsch.
#1183
Geschrieben 18. März 2008, 14:54
The Duel at Silver Creek (USA 1952)
Regie: Don Siegel
Eine Bande so genannter claim jumpers macht die Gegend um das Städtchen Silver City unsicher: Mit vorgehaltener Waffe zwingen die Banditen hilflose Goldsucher dazu, ihnen ihr kleines Stück Land zu überschreiben, nur um sie dann kaltblütig zu erschießen. Luke Cromwell, genannt Silver Kid (Audie Murphy), kann den Verbrechern gerade so entkommen. In Silver City weckt der Revolverheld prompt den Verdacht des dortigen Sheriffs "Lightning" Tyrone (Stephen McNally), der gerade den Tod seines Deputies zu beklagen hat. Doch Silver Kid kann Lightning davon überzeugen, dass er ihm im Kampf gegen die claim jumpers tatkräftige zur Seite stehen wird. Allerdings ist Lightning selbst nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte: Ein Schulterschuss hat seinen Abzugsfinger gelähmt und außerdem verdreht ihm die schöne Opal (Faith Domergue) den Kopf. Diese steckt wiederum mit den Gangstern unter einer Decke ...
Zeigte sich THE BIG STEAL in seiner auf eine spannungsgeladene Grundkonstellation komprimierten Handlung als Siegel-Film in Reinkultur, kann man dies von dem drei Jahre später entstandenen farbenprächtigen B-Western nicht gerade behaupten. Die Story, eigentlich auch nicht gerade die Neuerfindung des Rades, wird unglaublich kompliziert erzählt und die kleinen Subplots - u. a. gibt es einen Konflikt zwischen Silver Kid und Lightning, ein kompliziertes Beziehungskarussell, auf dem neben den beiden Alpha-Männchen auch die beiden Frauen Opal und Dusty (Susan Cabot) und der Gangsterboss Rod Lacey (Grald Mohr) Platz nehmen, einen wütenden Aufstand der Stadtbewohner und das Drama um Lightnings Finger - kommen Siegels reduktionistischem Drang ebenfalls nicht gerade entgegen. Es muss eine Menge Aufbauarbeit geleistet werden, die der Minishowdown des knapp 75-minütigen Films einfach nicht rechtfertigt. THE DUEL AT SILVER CREEK ist daher wohl eher als Vehikel für den Kriegsheld-turned-Westernheld Audie Murphy interessant, denn als Film seines Regisseurs. Siegel, dieses Eindrucks kann man sich kaum erwehren, war hier wohl eher als Handwerker, weniger als kreativer Leiter gefragt. Für Die-Hard-Westernfreunde ist THE DUEL AT SILVER CREEK dennoch durchaus einen Blick wert, immerhin sieht der Film ausgesprochen pittoresk aus und kommt mit seinen hauchdünnen und klischeehaften Charakteren (ein Sombrero-tragender Pistolero heißt etwa "Johnny Sombrero") hübsch pulpig daher. Und Lee Marvin ist in einer Nebenrolle mit Schnauzbart zu sehen.
#1184
Geschrieben 19. März 2008, 13:07
Regie: Claude Chabrol
In einer französischen Kleinstadt sieht sich die Familie Cuno – die querschnittsgelähmte verwitwete Mutter (Stephane Audran) und ihr adoleszenter Sohn Louis (Lucas Belvaux) – den Übergriffen der großbürgerlichen Elite ausgesetzt: Anwalt Lavoisier (Michel Bouquet), der Arzt Dr. Morasseau (Jean Topart) und der Schlachter Filiol (Jean-Claude Bouillaud) wollen die Cunos von ihrem Grundstück vertreiben, um dort zu bauen. Madame Cuno, selbst nervlich nicht mehr ganz beisammen, stachelt ihren Sohn Louis daher zu diversen Spionage- und Sabotagetätigkeiten an: Als dieser Filiol Zucker in den Tank schüttet, endet der Spaß für den Schlachter tödlich. Daraufhin nimmt Inspektor Lavardin (Jean Poiret) die Ermittlungen in der Stadt auf und enttarnt ein dicht gewebtes Netz aus Intrigen und versteckten Morden ...
Mit der Verfilmung eines Krimis von Dominique Roulet greift Chabrol zwar seine in den Sechziger- und Siebzigerjahren etablierten Leib- und Magenthemen – das parasitäre Anspruchsdenken der Oberklasse und ihre schonungslose, intrigante Ausbeutung der Mittellosen – wieder auf, jedoch ist der bittere, zornige, aber gleichzeitig resignierte Ton zugunsten einer etwas versöhnlicheren, schwarzhumorigen Betrachtung gewichen. Neben Chabrols Inszenierung, die auf verstörende Spitzen verzichtet und sich ganz in den Dienst der Erzählung stellt, manifestiert sich dieser Wandel vor allem in der Figur Lavardins, der beinahe wie ein Deus ex Machina regulativ in das festgefahrene Geschehen eingreift und die Geschichte mit zweifelhaft-ruppigen Methoden einem guten Ende zuführt. Am Schluss erhalten die Schuldigen ihre gerechte Strafe, während den Opfern die Absolution erteilt wird. POULET AU VINAIGRE ist dennoch kein naives Sozialmärchen: Eine blütenreine Weste hat keiner der Protagonisten, was die „Guten“ von den „Bösen“ unterscheidet, ist lediglich die Motivation, die hinter den Flecken steht. Chabrols Krimi bietet relativ leichte Unterhaltung, der es in ihrer Ausgewogenheit zwar etwas an cineastischem Profil mangelt, der aber dennoch immer noch genug verstörendes Potenzial innewohnt. Dies geht vor allem auf das Konto von Jean Poiret, der seinen Lavardin als furchteinflößenden und hinterlistigen Kotzbrocken anlegt. Von der altväterlichen Weisheit eines LA FLEUR DU MAL ist POULET AU VINAIGRE damit noch weit entfernt. Runde Sache.
#1185
Geschrieben 20. März 2008, 21:13
Dirty Harry (USA 1971)
Regie: Don Siegel
Ein Killer, der sich „Scorpio“ nennt (Andrew Robinson), schießt in San Francisco wahllos Leute über den Haufen und erpresst die Stadt: Wenn sie auf seine Geldforderungen nicht eingehen, sollen weitere Menschen sterben. Inspector Harry Callahan wird auf den Fall angesetzt, ein unbequemer Cop, dessen Vorstellungen von Recht und Ordnung sich nicht mit denen seiner Vorgesetzten decken. Als alle Versuche, es dem Mörder recht zu machen, scheitern, schlägt Callahan eine härtere Gangart ein ...
Selten schien es mir so sinnlos etwas über einen Film zu schreiben wie jetzt im Fall von Siegels wahrscheinlich bekanntestem Werk, dem wohl prägendsten Copfilm der letzten 50 Jahre. Ihm etwas Neues abzuringen dürfte ähnlich schwierig sein wie auch nur zusammenzufassen, was in den vergangenen rund 40 Jahren bereits über ihn gesagt wurde, Stichwort: Zodiac, Pauline Kael, Vigilantentum, Rechtskonservativismus, Eastwood/Siegel, New Hollywood?, Copfilm. Das gilt aber für viele andere Filme auch, bei denen die Scheu nicht so groß war. Was hebt DIRTY HARRY von diesen ab?
Für mich ist Siegels Film ein makelloser Block spiegelglatten und doch schroffen Granits, ein Werk so aus einem Guss, so völlig in sich geschlossen, dass es kaum noch „gemacht“ wirkt. Oder vielmehr: Es macht den Eindruck als habe ihr Urheber ein ganzes Leben lang gebraucht, um dieses Werk aus dem Stein zu meißeln, ja, als wäre dieses Leben nur der Weg zu diesem Film gewesen. In jeder Einstellung, in jedem Schnitt, in jeder Bewegung seiner archetypischen Hauptfigur erkennt man ja die Handschrift Siegels und die Ursprünge in der langen Geschichte der Mythen und Filme, die die Vorgeschichte für DIRTY HARRY bilden, der wiederum wie eine Bestandsaufnahme wirken, wie ein Resümee, um einen neuen Anfang zu wagen. Schon die erste Einstellung, ein durch das Weitwinkelobjektiv verzerrter Blick auf den hinter der Mündung seines Gewehrs versteckten Killer Scorpio, erinnert an das Bild von Lee Marvins Tod in THE KILLERS – hier ist es ein Anfang; die folgende Montage, die die Seelenverwandtschaft Harrys mit dem Monster Scorpio ebenso thematisiert wie seine Verankerung im Mythos – die Rauchschwaden, die gigantischen Ventilatoren –, verdichtet das Hauptmotiv des Actionfilms – den Ursprung der Potenz des Helden in seinem Anders-Sein – auf makellos-unmissverständliche Art und Weise; die zahlreichen Verweise auf christliche Mythologie, mit denen Siegel Callahan zu einem Messias der Gewalt stilisiert, sorgen in Verbindung mit der Nie-ganz-Erfüllung reaktionärer Triebe für den intellektuellen Kitzel, der DIRTY HARRY von zahlreichen anderen ähnlich gelagerten Filmen abhebt. Hier und da erkennt man noch Spuren von MADIGAN, von einem dem Kern des Polizistendasein nachspürenden police procedural, aber das ist letztlich eine Illusion, derer uns Siegel aufs Drastischste beraubt – vielleicht hat er sich selbst am meisten vor seinem Film erschrocken. Scorpio kann noch so sehr als perverses Schwein gezeichnet werden (und Siegel geht die sprichwörtlichen whole nine yards um ihn zum Un(ter)menschen zu machen), diese eine unfassbare Szene im Football-Stadion, in der Callahan dem winselnden, jämmerlichen Killer die Schuhspitze in die klaffende Wunde bohrt und die Kamera in einer schwindelerregenden Fahrt so weit zurück fliegt, bis das Grün des Rasens in der Nacht verschwindet, vergällt dem nach Gerechtigkeit schreienden Zuschauer jeden Spaß.
Und noch nicht einmal Callahan kann sich noch an seiner schmutzigen Arbeit erfreuen. Warum er diesen Job überhaupt noch macht, der doch so vollkommen sinn- und vor allem endlos ist, er weiß es nicht. Wie Scorpio ist er ein Krüppel, der eine Mission zu erfüllen hat: Deren Ursprung bleibt unbekannt, eine Schimäre. Harry Callahan ist aus den Tiefen des Mythos emporgestiegen, weder Feuer noch Wasser können ihn aufhalten. Wehe, wenn er dir begegnet. Es bleibt dann nur noch zu fragen: „Do I feel lucky?“
Siegels Meisterwerk. Viel mehr kann Film nicht leisten.
#1186
Geschrieben 21. März 2008, 09:11
Regie: Frank Tashlin
Der gutmütige, aber erfolglose Zauberkünstler Gilbert Wooley (Jerry Lewis) begibt sich im Rahmen eines Unterhaltungsprogramms für GIs nach Japan, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen, im Gepäck seinen treuen Freund und "Arbeitskollegen" Harry, einen Hasen. In Japan angekommen, lernt Wooley die Japanerin Kimi Sikita (Nobu McCarthy) kennen: Im Schlepptau hat sie den kleinen Waisenjungen Mitsuo Watanabe (Robert Hirano), der Wooley in sein Herz geschlossen hat, seitdem dieser ihm das erste Lachen seit dem Tod seiner Eltern abringen konnte. Nun betrachtet Mitsuo den Entertainer als seinen Vater und weicht ihm nicht mehr von der Seite ...
Mein erster bewusst wahrgenommener Tashlin (dessen Name mir bis vor ein paar Wochen noch völlig unbekannt war) ist ein Fest für die Augen, ein sanftes, aber bestimmtes Kitzeln des Zwerchfells und ein warmes, weiches Tuch, das sich um das Herz legt. Gehört die rasante erste halbe Stunde noch ganz den Clownereien Lewis' und dem Hasen Harry, mit dem hier Sachen angestellt werden, die man sich heute beim Film sicherlich nicht mehr erlauben dürfte (er wird ins Wasser geschmissen, in den umöglichsten Stellungen drapiert, verkleidet und angemalt), verschiebt sich der Ton gegen Ende zugunsten des sentimentalen Melodrams. Weil THE GEISHA BOY von Beginn an aber sehr episodenhaft angelegt ist, macht das gar nix, vielmehr erzählt dieser Wandel des Tons auch von dem Reifeprozess, den Wooley durchmachen muss, um am Ende seiner ihm "aufgebürdete" Vaterpflicht mit Freuden anzunehmen. Tashlin, der vor seiner Arbeit beim Spielfilm jahrelang erfolgreich beim Trickfilm – unter anderem für Warner Brothers' LOONEY TUNES und MERRY MELODIES – tätig war, pflegt einen sehr grafischen, absurden Humor, der seinem Hauptdarsteller Lewis (mit dem Tashlin insgesamt 8 Filme machte) wie auf den Leib geschneidert ist. Szenen wie jene, in der Wooley an Bord des Flugzeugs einen Karottensalat nach dem anderen bestellt, um seinen geschmuggelten Hasen zu versorgen, und sich vor der attraktiven Stewardess als Vegetarier ausgeben muss, obwohl er doch nach ihrem saftigen Steak lechzt, jene, in der der riesenhafte japanische Baseballspieler Ichiyama in ein Schwimmbecken fällt und daraufhin eine gigantische Flutwelle auslöst, oder die, in der Wooley als Entertainer ins krisengeschüttelte Korea abkommandiert wird, um dort inmitten einschlagender Granaten die Moral der Truppen hochzuhalten, sind einfach pures Gold wert. Hinzu kommen selbstreferenzielle Spielereien wie ein BRIDGE ON THE RIVER KWAI-Zitat oder die Schlussblende, in der Lewis im Stile Bugs Bunnys eine Karotte mampft und die Zuschauer mit dem bekannten "That's all Folks!" verabschiedet. THE GEISHA BOY verwandelte mich und meine liebe zora von der ersten Sekunde an in staunende Kinder, verzaubert von der Farbenpracht, den Grimassen und Verrenkungen Lewis' und den mit Gags vollgestopften Bildern. Da gibt es keine Hintergedanken, nur das Berauschtsein am Bild, am Augenblick. Jerry Lewis war ein Held meiner Kindheit, den ich in den letzten 25 Jahren vollkommen aus den Augen verloren habe – wie er ja mittlerweile auch auf breiter Front vergessen bzw. totgeschwiegen wird. Nun habe ich ihn wiederentdeckt und mit ihm Frank Tashlin. Es ist so schön, ein Filmfreund zu sein. Schluchz!
#1187
Geschrieben 23. März 2008, 23:27
Regie: Frank Tashlin
Die Filmschauspielerin Carla Naples (Marilyn Maxwell) hat ein Problem: Eine Schwangerschaft kommt ihren Karriereplänen in die Quere. Ihr Agent rät ihr, sich zurückzuziehen, ihr Kind unter Geheimhaltung zur Welt zu bringen und dann an jemanden abzugeben, um von lästigen Mutterpflichten befreit ihren nächsten Film drehen zu können. Aber wer nimmt schon freiwillig ein Baby an? Carla fällt ihr alter Schulfreund Clayton Poole (Jerry Lewis) ein, der damals schwer verknallt in sie war und immer noch in der Kleinstadt Midvale lebt. Tatsächlich würde Clayton alles für seine große Liebe tun und so hat er plötzlich Drillinge am Hals, was für etliche Verwirrungen und Schwierigkeiten sorgt: Nicht zuletzt bei Carlas Schwester Sandra (Connie Stevens), die ebenfalls ein Auge auf Clayton geworfen hat ...
Der direkte Vorgänger von THE GEISHA BOY präsentiert seinen Hauptdarsteller erneut als Vater wider Willen, diemal jedoch mit deutlich stärkerem Gewicht auf den melodramatischen Aspekten der Handlung. Clayton wird als liebenswerter, aber etwas naiver Junggeselle eingeführt, der seine Jugendliebe längst noch nicht überwunden hat und sich in tiefer Melancholie suhlt. Tashlin siedelt die entsprechenden Szenen in einem hübsch künstlichen Studiosetting an, das die Überlebensgröße von Claytons Empfindungen trefflich verbildlicht, und kontrastiert diese mit den gewohnt absurden Slapstickeinlagen und Lewisschen Grimassierereien. Gleich der erste Auftritt Claytons mündet in eine cartoonhafte Sequenz, die auf dem Dach eines Hauses beginnt und in einem wunderbar choreografierten Kampf mit einem Feuerwehrschlauch kulminiert. Ganz auf das komische Talent Lewis' zugeschnitten sind auch die Szenen, die sich um die mehr oder minder erfolgreichen, aber immer rührenden Versuche Claytons, seine Schützlinge zu versorgen, drehen. Gegenüber THE GEISHA BOY, der zwar inhaltlich auch nicht wie aus einem Guss wirkt, aber sich in zwei relativ stringente Hälften teilen lässt, ist ROCK-A-BYE BABY, der von Preston Sturges mitgeschrieben wurde, strukturell etwas zerfahren. Es dauert ca. 40 Minuten, bis Clayton zum Vater wird, in die verbleibende Stunde wird eine Unmenge an Handlung gezwängt, sodass die Auflösung am Ende etwas sehr forciert erscheint. Eigentlich ist das aber nicht weiter schlimm: ROCK-A-BYE BABY ist anachronistische und immer auch etwas spießige Unterhaltung, der man aber einfach nicht böse sein kann. Tashlin inszeniert wieder einmal in knalligstem Technicolor, der Film ist eine Augenweide, Jerry Lewis legt eine unglaubliche physische Präsenz an den Tag und die Gags sitzen wie ein maßgeschneiderter Anzug. THE GEISHA BOY ist der wildere und buntere Film, das tut dem Vergnügen mit ROCK-A-BYE BABY aber keinen Abbruch. Verglichen mit aktuelleren Vater-wider-Willen-Szenarios ist Tashlins Film gar nichts weniger als eine Meisterleistung.
#1188
Geschrieben 23. März 2008, 23:56
Regie: Jerry Lewis
Ein Blick in das luxuriöse Fontainebleu Hotel in Miami Beach und den Arbeitsalltag des trotteligen Pagen Stanley (Jerry Lewis), der sich mit strengen Vorgesetzten, hinterlistigen Kollegen, anspruchsvollen Gästen, eingebildeten Prominenten und jeder Menge Gepäck herumschlagen muss ...
Dass THE BELLBOY, Lewis' Regiedebüt, kein ganz gewöhnlicher Spielfilm ist, wird gleich zu Beginn explizit gemacht: Der Chef von Paramount (Jack Kruschen) warnt den Zuschauer, dass dieser eher eine Sammlung von "silly sequences" zu erwarten habe. Und so ist es dann auch. THE BELLBOY ist eine Sketchshow, in der es zwar durchaus wiederkehrende Motive, aber keine Handlung im eigentlichen Sinne gibt. Im Zentrum dieser Sketche (aber nicht aller) steht der Page Stanley, der von einem Auftrag zum nächsten gescheucht und dabei bis zum Schluss niemals zu Wort kommen wird. Dabei begegnet er nicht nur dem massiv gestressten Superstar Jerry Lewis, der von einer ganzen Entourage übereifrig serviler Bediensteter begleitet wird, sondern auch einem Stan-Laurel-Double sowie diversen anderen, meist nicht gecrediteten Gaststars. Wie man sich vorstellen kann, schwankt das Niveau der einzelnen Sketche deutlich: Ganz groß ist THE BELLBOY immer dann, wenn Lewis sein eigenes Mienenspiel und sein physisches Geschick in den Mittelpunkt rückt, während andere "verbalere" Gags heute nicht mehr ganz zünden wollen. Dennoch wird in jeder Sekunde deutlich, dass Lewis längst nur ein Kasper ist, sondern seinen Erfolg vor allem einer bestimmten Weltanschauung verdankt. Diese tritt in THE BELLBOY logischerweise stärker hervor als in den zuletzt von mir gesehenen Tashlins. Lewis' Regiedebüt bezieht seinen Witz aus dem Zusammenprall des mondänen Settings, der banalen Aufgabe Stanleys, seinen Versuchen, diese würdevoll zu meistern und der Ignoranz seiner Umwelt. Wenn er zur Schadenfreude seiner Kollegen mit größtem Eifer und pedantischer Akribie einen riesigen Zuschauerraum bestuhlen muss oder eine stille Minute nutzt, um auf einer leeren Bühne den Dirigenten zu spielen, reiht sich Lewis nahtlos in die lange Ahnengalerie großer Komiker ein, bei denen lustige wie auch tragische Elemente einträchtig nebeneinander existierten. Mit THE BELLBOY gelang Lewis zwar kein Meisterwerk, aber dennoch ein Film, der andeutet, warum er später von der französischen Filmkritik als auteur gefeiert werden sollte.
#1189
Geschrieben 24. März 2008, 20:56
Regie: Joel & Ethan Coen
Zweitsichtung. Ich hatte hier bereits über den Text geschrieben, nicht ganz unmittelbar nach der ersten Sichtung im Januar, die mich doch etwas ratlos hinterlassen hatte. Nicht, weil ich an der Qualität des (damals noch nicht) Oscar-prämierten Coen-Films gezweifelt hätte, im Gegenteil. Direkt nach dem Film wusste ich, soeben etwas wirklich Großem beigewohnt zu haben, einem Film, wie man ihn nur alle paar Jahrzehnte zu Gesicht bekommt. Leider tat ich mich jedoch immens schwer damit, dies an bestimmten Aspekten des Gesehenen festzumachen. Jetzt, nach der zweiten, etwas distanzierteren Sichtung, habe ich ungefähr eine Ahnung, was den Coens mit NO COUNTRY FOR OLD MEN für ein großer Wurf gelungen ist. Im heutigen Tagesfred habe ich im Überschwang behauptet, dies sei der größte amerikanische Spielfilm der letzten vierzig Jahre. Eine Behauptung, zu der ich absolut stehe, auch wenn mir bewusst ist, dass man eine solche Behauptung ja gar nicht belegen kann. Was ist es, was den Film in meinen Augen zu etwas ganz Besonderem macht?
NO COUNTRY FOR OLD MEN kreuzt die wohl einflussreichsten amerikanischen Filmgenres, mithin die amerikanischsten Genres überhaupt: den (Spät-)Western und den Film Noir, zwei Genres, die sich durch eine streng reglementierte Bilderwelt und einen eng umrissenen Zeichensatz auszeichnen. Es gibt einen alternden Sheriff (Tommy Lee Jones), der wie seine Spätwestern-Kollegen nicht mehr zurechtkommt in einer Welt, die immer verrückter zu werden scheint; es gibt einen Killer (Javier Bardem), der als eine Mischung aus Psychopath, eiskaltem Engel und überirdischem Racheengel erscheint, eine Blutspur durch den Film zieht und den Wanhsinn personalisiert, dem der Sheriff sich sprach- und hilflos gegenübersieht; und es gibt einen Vietnamveteranen (Josh Brolin), der das große Glück in Form eines Koffers voller Drogengeld findet und damit den Killer auf sich zieht. Von der Wüste verlagert sich das Geschehen erst in die Noir-Dunkelheit nächtlicher Motelzimmer und menschenleerer Straßen, dann schließlich in die trügerische Sicherheit von Suburbia. Der Tod ist schneller als die Protagonisten, das Schicksal schlägt brutal und erbarmungslos zu, denn es hat im Killer Anton Chigurh einen äußerst gewissenhaften Stellvertreter. Entscheidungen ziehen meist unmittelbare Konsequenzen nach sich – für alle Beteiligten. Es scheint keinen Ausweg zu geben: Die Frage ist lediglich, wie lange man den Tod auf Distanz halten kann. Eine bittere, trostlose Weltsicht.
Dennoch ist NO COUNTRY FOR OLD MEN ein Film voller Hoffnung. Das Sterben ist kein Zeichen des Niedergangs, sondern eine Begleiterscheinung des Lebens. Das Schicksal kommt wie es kommt: Sich darüber zu beklagen, ist Eitelkeit, wie es eine Figur nennt. Auch die bequeme These des "Zeitenwandels" gilt nicht: Es ist das Wesen des menschlichen Daseins selbst, das die merkwürdigsten Auswüchse und mithin auch das Grauen erzeugt. Am Schluss, wenn alle tot sind, außer dem alten Sheriff, durch dessen Augen uns die Coens die Welt gezeigt haben, gibt es einen kurzen Monolog voller Trost: Es wird immer jemand da sein, der uns den Weg weist.
Das Große, Einmalige an NO COUNTRY FOR OLD MEN ist seine Universalität, seine Spiritualität: Die Coens haben sich von ihrer Popkultur-Fixierung gelöst und einen Film gemacht, der die Kraft eines Schöpfungsmythos in sich trägt. Dieser Film wird Bestand haben, wenn Anderes längst vergessen ist.
#1190
Geschrieben 24. März 2008, 21:19
Regie: Frank Tashlin
Als sein Vater stirbt, hat Fella (Jerry Lewis) nichts mehr zu lachen: Seine Stiefmutter (Judith Anderson) und seine beiden Stiefbrüder Maximilian (Henry Silva) und Rupert (Robert Hutton) nutzen den gutmütigen Kerl schamlos aus, degradieren ihn zu ihrem Privatsklaven, anstatt – wie es der letzte Wille des Vaters eigentlich vorsieht – gut zu ihm zu sein. Als ein großer Ball ansteht, auf dem eine waschechte Prinzessin eingeladen ist, erscheint Fella der "Fairy Godfather" (Ed Wynn), der ihm dabei behilflich ist, das Herz der Prinzessin zu erobern ...
Frank Tashlins CINDERELLA-Adaption vereint wieder die Elemente, die schon seine beiden vorherigen Lewis-Kollaborationen auszeichneten: die ganz auf ihren Hauptdarsteller zugeschnittenen Slapstick-Einlagen, den absurden grafischen Humor in Verbindung mit grellbunten Settings und eine knapp an ungebremsten Kitsch grenzende humanistische Ausrichtung. Letztere geht natürlich ebenfalls mit der Persona Lewis' einher. Als sprichwörtlicher "Typ" Fella, ist Lewis der Vertreter des Durchschnittsbürgers: weder besonders gutaussehend, noch besonders intelligent, noch sonst irgendwie hervorstechend. Ich sage bewusst "Bürger" und nicht "Mann", denn Lewis wird in seinen Filmen auf eigenartige Art und Weise entsexualisiert. So wird er zur Identifikationsfigur, zur Projektionsfläche für den Zuschauer, an dessen Stelle nun Jerry Lewis all das erreichen darf, was den armen Tröpfen vor der Leinwand unerreichbar bleibt. Vielleicht liegt es auch an dieser Ausrichtung, das Lewis' Stern nach relativ kurzer Zeit verblassen musste: Ein Superstar und Multimillionär war eben irgendwann nicht mehr glaubwürdig in der Rolle des Versagers. CINDERFELLA ist bis auf einige episodische Anwandlungen deutlich handlungsorientierter als etwa THE GEISHA BOY und ROCK-A-BYE BABY; das macht ihn auf der einen Seite als Film "runder", aber auch weniger lustig. Dass der Ausgang der Geschichte von Beginn an klar ist, fällt hingegen kaum negativ ins Gewicht. Tashlins CINDERFELLA markiert nebenbei den Anfang seines schleichenden Niedergangs: Lewis, mittlerweile selbst Regisseur, fungierte als Produzent, eine Tatsache, die Tashlins Autorität unterwanderte und die Tatsache seiner Autorschaft nach außen hin in Frage stellte. Mir hat CINDERFELLA große Freude bereitet, wenn er auch weder der beste Tashlin- noch der beste Lewis-Film ist. So viel Warmherzigkeit und Leichtigkeit muss einfach honoriert werden.
#1191
Geschrieben 25. März 2008, 13:56
Regie: Jerry Lewis
Herbert H. Heebert (Jerry Lewis) hält gerade seinen College-Abschluss in den Händen, da erleidet er ein schweres Trauma: Er beobachtet seine Freundin und potenzielle Ehefrau in spe mit einem anderen Mann. Von diesem Moment an sind Frauen ein rotes Tuch für den gutmütigen Herbert. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Jobsuche, denn die Anwesenheit junger Damen ist ihm ein Gräuel. Umso geschockter ist er, als er bemerkt, dass das Haus von Frau Helen N. Wellenmellon (Helen Traubel), in dem er eine Stelle als Mädchen für alles antritt, ein Wohnheim für alleinstehende Damen ist. Das Chaos ist vorprogrammiert.
Lewis’ zweite Regiearbeit lebt zuallererst von seinem wunderbaren Studiosetting: Das dreigeschossige Wohnheim ist im Stile eines Puppenhauses gebaut und ermöglicht spektakuläre Choreografien, Kamerafahrten und -perspektiven. Was in Wes Andersons THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU nur wenige Sekunden dauert, darauf baut Lewis seinen ganzen Film auf. Kein Wunder, dass sich dieses Setting bei dem kleinen Steppke eingebrannt hat, der ich bei Erstbegegnung mit THE LADIES MAN vor wahrscheinlich über 20 Jahren war – sonst konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Zurück zum Film: Nach THE BELLBOY bleibt sich Lewis weitestgehend treu. Das bedeutet, dass es zwar diesmal eine rudimentäre Handlung gibt, THE LADIES MAN in erster Linie aber wieder als eine Aneinanderreihung von Gags und Sketchen um den schrulligen Herbert funktioniert. Dieser unterscheidet sich nicht wesentlich von den typischen Lewis-Charakteren aus anderen Filmen, ist liebenswert, aber ungeschickt, freundlich, aber nicht gerade intelligent, auf bübische Art charmant, aber nur mäßig attraktiv. Die von mir bereits in anderen Filmen diagnostizierte Geschlechtslosigkeit bzw. Doppelgeschlechtlichkeit der Lewis-Figuren – in THE GEISHA BOY resp. ROCK-A-BYE BABY wird er Vater, ohne wirklich Ehemann oder Geschlechtspartner zu werden, in THE BELLBOY ist er noch nicht einmal ein Individuum und in CINDERFELLA übernimmt er die Rolle eines männlichen Aschenputtels – äußert sich hier etwa darin, dass er in einer kurzen Exposition seine eigene Mutter spielt und am Ende zwar von seinem Trauma geheilt wird, aber dennoch einen sexuellen Nichtangriffspakt mit den Damen beschließt. Es sind diese Übungen in Gender-Bending, die Lewis Filmcharaktere interessant machen und sie von anderen berühmten „Witzfiguren“ unterscheiden. Natürlich sei nicht bestritten, dass es in erster Linie seine Slapstickeinlagen und absurden Einfälle sind, die seine Filme bei allen dramaturgischen Schwächen (eigentlich sind es eher Verweigerungen) zu einem kurzweiligen Vergnügen machen. Und derer gibt es etliche in THE LADIES MAN: Von der Eröffnungsszene in der von durchweg hypernervösen Menschen bevölkerten Heimatstadt Herberts, über seine Konfrontationen mit einem Bett, Glasnippes, einem Fernsehteam oder diversen Kleidungsstücken, bis hin zu dem verzweifelten minutenlangen Versuch, den von ihm zerquetschten Hut eines äußerst unfreundlichen Gangsters wieder herzurichten (göttlich!), gibt es zahlreiche schlicht brillant gespielte und getimte Gags. Seinen Höhepunkt findet das grellbunte Treiben in einer surrealen Tanzszene, bevor THE LADIES MAN ein etwas unmotiviertes Ende nimmt: Irgendwann ist eben einfach Schluss. Trotzdem: Lewis’ Film dürfte ein einmaliges Erlebnis darstellen, für dessen Genuss man kleinliche Ansprüche an einen „runden Film“ ruhig einmal zurückstellen sollte. Hollywood-Star George Raft hat einen schönen Gastauftritt (wie viele andere „Stars“ der damaligen Zeit auch), de er dazu nutzt eine flotte Sohle mit Lewis – dem standesgemäß natürlich die Rolle der Dame zukommt – aufs Parkett legt ...
#1193
Geschrieben 28. März 2008, 19:13
The Black Windmill (Großbritannien 1974)
Regie: Don Siegel
Der Sohn des britischen Agenten und Ex-Soldaten Major John Tarrant (Michael Caine) wird entführt. In der Verhandlung mit den Kidnappern offenbart sich, dass es einen Verräter in den Reihen des Geheimdienstes geben muss. Als Tarrant merkt, dass diese Konstellation für das Überleben seines Sohnes äußerst ungünstig ist und sein Vorgesetzter, der hypernervöse, zwangsneurotische und gefühllose Bürokrat Cedric Harper (Donald Pleasence), ebenfalls keinen Zweifel an seinen Prioritäten lässt, beschließt Tarrant einen Alleingang ...
Ein interessanter Film, aber kein wirklich zufrieden stellender und als Siegel-Film teilweise nahezu befremdlich. Trotz der Luftveränderung – Siegel ging für THE BLACK WINDMILL nach England und folgte damit seinem Schützling Peckinpah, der dort kurz zuvor STRAW DOGS inszeniert hatte – fühlt man sich zu Beginn gleich heimisch, erkennt man doch in den ersten Sekunden den Beginn von CHARLEY VARRICK wieder: Kinder spielen ausgelassen auf einer großen Wiese, ein Kinderlied spielt dazu, die Credits setzen sich aus Buchstaben-Bauklötzen zusammen. Doch das vermeintliche Idyll wird schon dadurch verzerrt, dass die ganze Sequenz in Standbildern aufgelöst ist. Wenn die Bilder dann zu „laufen“ beginnen, bricht sogleich das Unheil in Form der Entführer herein. Danach entwickelt sich THE BLACK WINDMILL zum mit Abstand tristesten und irgendwie auch grausamsten Film Siegels, was nicht nur dem grauen englischen Himmel anzulasten ist. Die eigentlich simple Prämisse – Vater muss seinen Sohn retten und dazu zum Einzelgänger werden – wird durch ihre Implementierung in das Genre des Agententhrillers mit all dessen üblichen Plotelementen (Hochverrat, Doppelspiel, Geheimidentitäten und hidden agendas) enorm verkompliziert, was Siegels sonstiger Strategie diametral entgegensteht. So schwankt der Film stets etwas unüberzeugend zwischen der Doppelbödigkeit des Agentenplots und der straightforwardness eines Siegel-Films, die sich noch am deutlichsten sicherlich in der Figur Tarrants und dem Finale niederschlägt, das nach dem komplizierten Aufbau aber viel zu unspektakulär erscheint. Michael Caine, dem es wie kaum einem Schauspieler gelingt, großen Ausdruck mit unglaublich wenig sichtbarem Aufwand zu erzielen, hat zwar einen idealtypischen Siegelhelden zu spielen, mit seinem von einem Eastwood grundverschiedenen Spiel ist er für einen solchen aber nicht so recht geeignet. Wenn er seiner vor Sorge um den Sohn fast verrückten Exfrau sagt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, alle die Eigenschaften an ihm zu lieben, die sie bisher gehasst habe, weil diese vielleicht das einzige Mittel seien, den Sohn lebendig zurückzubekommen, so ist das nicht der markige One-Liner, den der überlebensgroß wirkende Eastwood zwischen seinen Zähnen hervorgepresst hätte, sondern eine nüchterne Aussage irgendwo zwischen Selbstanklage und Liebesgeständnis. THE BLACK WINDMILL ist trotz kleinerer Irritationseffekte und Versuche in Richtung trockenen Humors (der Bondismus der Kofferbombe etwa sowie eine Anspielung auf den berühmtesten Geheimagenten der Welt) ein realistisch anmutender und darin ausgesprochen schonungsloser Film, der darin selbst den immer auch leicht comichaft anmutenden DIRTY HARRY in den Schatten stellt. Wenn man etwa gezwungen wird, den Schmerzensschreien von Tarrants Sohn durchs Telefon zu lauschen, dem deliranten Gestammel eines unter Drogen gesetzten Kindes zuzuhören, wenn eine Hauptfigur innerhalb eines Schnittes aus dem Leben scheidet oder der Oberschurke ein äußerst rabiates Ende nimmt, erhält das innerhalb des ansonsten seltsam belanglosen Films einen besonders unangenehmen Beigeschmack. Natürlich ist THE BLACK WINDMILL ausgezeichnet in Szene gesetzt, Donald Pleasence gibt als kaltschnäuziger, hassenswerter Neurotiker eine absolute Galavorstellung und auch atmosphärisch ist der Film gewohnt dicht. Nur von Herzen mögen kann man ihn leider nicht.
#1194
Geschrieben 30. März 2008, 17:10
Regie: Jerry Lewis
Die Paramutual Studios unter Leitung von Tom Paramutual (Brian „Quatermass“ Donlevy) machen Verluste und keiner weiß, warum. Ein Spion muss her, der die Lücke im System findet, durch die das Geld verschwindet. Aber es muss jemand von außerhalb sein, am besten ein Dummkopf, der gar nicht weiß, was eigentlich seine Aufgabe ist. Die Wahl fällt auf den Plakatkleber Morty S. Tashman (Jerry Lewis), der sofort als Laufbursche engagiert wird und im Folgenden ein heilloses Durcheinander auf dem Studiogelände verursacht.
Jerry Lewis nutzt die Prämisse erneut für eine turbulente Sketchshow, die das Niveau ihrer Vorgänger noch einmal deutlich toppen kann. Das hohe Tempo wird bei erstaunlicher Gagdichte bis zum Ende aufrecht erhalten, der selbstreflexive Zug bietet zahlreiche Möglichkeiten für In-Jokes, Gastauftritte (u. a. laufen mal kurz die Bewohner der Ponderosa durchs Bild) wie auch kritische Seitenhiebe auf das Studiosystem und verleiht dem Film die nötige Abwechslung und eine weitere interessante inhaltliche Dimension. Ich hatte gestern etwa den Eindruck, man können THE ERRAND BOY Gewinn bringend als systemtheoretischen Film betrachten und erklären. Das beginnt mit der aus dem Off kommentierten Einleitung, die deutlich die Differenz thematisiert, aus der Film erst „emergiert“: Da schmachtet sich ein Liebespärchen an, das sich nach Abschalten der Kamera als streitsüchtiges Ehepaar entpuppt. Die Paramutual Studios, in die der Zuschauer dann für den Rest des Films entführt wird, sind eine eigene kleine Stadt, ein perfekt organisierter Mikrokosmos, eben ein System, dass sich selbst durch stetig ablaufende und sich wiederholende Prozesse am Leben erhält und nach dem Code „Gewinn abwerfend/keinen Gewinn abwerfend“ operiert. Eine der systemimmanenten Operationen funktioniert aber nicht richtig: Die Paramutual Studios verlieren Geld, ihre Leiter können aber – weil sie selbst Bestandteil ihres Systems sind – den Fehler nicht finden. Also muss jemand von außerhalb herangezogen werden: Tashman, ein Beobachter zweiter Ordnung, dessen blinder Fleck wiederum seine Einfältigkeit ist, aufgrund derer er seine Aufgabe nicht erkennt. Am Schluss wird jedoch klar, dass Tashman dem Studio auf andere Art und Weise helfen kann: indem er als Filmstar selbst Gewinne generiert. Er wird also ins System integriert bzw. in einem Prozess der Autopoiesis zu einem Bestandteil umgeformt. So wird auch der Film THE ERRAND BOY (bzw. sein Star Lewis) zu einem autopoietischen System: Er erzählt die Geschichte einer Figur, die schließlich Jerry Lewis, der Filmstar wird und damit erst die Bedingungen seiner eigenen Existenz schafft. Weil Tashman in diesem Werdungsprozess aber seine Unschuld verliert – er „ist“ ja nicht mehr nur, sondern er spielt – muss am Schluss ein neuer „Bürotrottel“ (der deutsche Originaltitel) eingeführt werden und auch dieser ist natürlich Jerry Lewis. Seine Zukunft haben wir soeben anhand seines Vorgängers vorgeführt bekommen.
Diese zugegebenermaßen höchstens halbgare Lesart soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass THE ERRAND BOY vor allem umwerfend komisch ist: Wenn Tashman versucht, die unaussprechlichen Namen der Studiobediensteten auszusprechen und stets nur ein unartikuliertes Gestammel dabei herauskommt, wenn er den Film eines überambitionierten Regisseurs zerstört, indem er stets neugierig in die Kamera gafft, er in einem überfüllten Fahstuhl zwischen einem Zigarrenraucher und einem Nieser feststeckt, kurz: er von einem Fettnäpfchen ins nächste stapft, gibt es meist kein Halten mehr. Mit jedem weiteren von ihm inszenierten Film konnte sich Lewis bisher steigern und auch auf diesen bisherigen Höhepunkt wird er mit THE NUTTY PROFESSOR noch einen draufsetzen.
#1195
Geschrieben 30. März 2008, 21:57
Regie: Jerry Lewis
Der Chemieprofessor Dr. Julius Kelp (Jerry Lewis) ist die Lachnummer seiner Uni. Mit einem gigantischen Überbiss, einer reichlich unmännlichen Quäkstimme, einem gerüttelten Maß an Tolpatischigkeit und Unsicherheit ausgestattet, nehmen ihn weder seine Studenten noch sein Vorgesetzter Dr. Harnius Warfield (Del Moore) ernst. Als Kelp sein Herz an die hübsche Studentin Stella Purdy (Stella Stevens) verliert und wiederholt Opfer böser Späße wird, startet er eine große Offensive: Mittels einer selbst gebrauten chemischen Substanz verwandelt er sich in den Obermacho Buddy Love (Jerry Lewis) und wird in kürzester Zeit zum gefeierten Star der Stadt. Leider ist die Wirkung des Mittelchens zeitlich begrenzt ...
Lewis’ wohl bekanntester Film bildet bis zu diesem Zeitpunkt den absoluten Höhepunkt seiner Regiearbeit. Ausschlaggebend für den erneuten qualitativen Quantensprung ist diesmal die Abkehr vom Episodischen. Dennoch ist THE NUTTY PROFESSOR keine völlige Abkehr vom bisherigen Erfolgsrezept: Wenn Lewis und seine Kollegen hör- und sichtbar über ihre Darbietung lachen müssen oder bei einer anderen Szene aus ähnlichem Grund vorzeitig geschnitten wird, erkennt man den improvisierten Charakter des Lewis’schen Werks wieder. Auch inhaltlich ist der Komiker sich treu geblieben, reflektiert er mit seinem an Stevensons „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ angelehnten Film doch das (Nicht-)Verhältnis seiner Filmpersona zur Sexualität, das charakteristisch für seine Filme ist. Kelp ist geradezu die Apotheose des Lewis’schen Antihelden, ein liebenswerter Versager, den man trotz seines männlichen Geschlechts wohl am ehesten als asexuell bezeichnen muss. In THE NUTTY PROFESSOR werden diese Charakterzüge konsequent nach außen gekehrt, spiegeln sich in der imposanten Zahnreihe, der dicken Brille, der zerzausten Frisur und der miserablen Körperhaltung. Als sein alter ego Buddy Love wird er dann zu einem wahren Orkan männlicher Libido: großmäulig, aggressiv, chauvinistisch, arrogant. Und das ist vor allem deshalb witzig, weil es dem gewohnten Lewis-Charakter eben völlig entgegensteht. Mit der eindeutigen Sympathieverteilung zugunsten Kelps kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass THE NUTTY PROFESSOR einem Statement gleichkommt, einer Verteidigung des eigenen Erfolgsrezepts. Das ist umso charmanter als Lewis Darbietung in beiden Rollen grandios ist. Wie er gleichzeitig den personifizierten Minderwertigkeistkomplex und dessen komplettes Gegenteil, die amoklaufende Selbstverliebtheit verkörpert, nötigt größten Respekt ab.
Interessant ist auch die ausgeklügelte Farbdramaturgie dieses wunderschönen Films: Die Verwandlung Kelps ist als buchstäbliche Farbexplosion inszeniert, bei der (wie auch an anderer Stelle) die Farben Rot und Blau eine wichtige Rolle spielen. Dies setzt sich am auffälligsten im Interieur eines der wichtigsten Schauplätze des Films fort, dem Tanzlokal „The Purple Pit“, dem Jagdgebiet Buddy Loves, das sich – unschwer am Namen ablesbar ganz in violett gehalten – als Symbiose dieser beiden Farben entpuppt. THE NUTTY PROFESSOR ist inszenatorisch und intellektuell keineswegs zu unterschätzen, auch wenn die „Botschaft“ des Film etwas disneyesk anmuten mag. In Verbindung mit dem in etwas geordnetere Bahnen gelenkten Humor – unvergessliche sind etwa Kelp auf dem Sessel in Warfields Büro, seine spätere Tanzeinlage auf dem Highschool-Ball, Buddy Loves unflätiges Machogehabe sowie Del Moores herrliche Performance – ist THE NUTTY PROFESSOR zweifelsfrei als Klassiker zu bezeichnen, dessen Niveau trotz allen Klamauks Lichtjahre von den Furz- und Dickenwitzen von Shadyacs Eddy-Murphy-Remake entfernt ist.
#1196
Geschrieben 31. März 2008, 20:50
Regie: Jerry Lewis
Als ein berühmter Schauspieler bei einem Flugzeugabsturz verunglückt, sind seine Angestellten ob der über ihnen hereinbrechenden Leere verzweifelt. Wer wird sie in Zukunft nur beschäftigen? Schnell ist eine Lösung gefunden: Warum ersetzen sie nicht einfach ihren Chef, schließlich wissen sie doch alles über das Business? Der just in diesem Moment hereinschneiende Page Stanley Belt (Jerry Lewis) soll unter ihrer Anleitung zum Star gepusht und so zu ihrem Brötchengeber gemacht werden. Doch dummerweise ist Stanley hoffnungslos untalentiert ...
In der Eröffnung erkennt man gleich mehrere Lewis-Filme wieder, namentlich THE BELLBOY und natürlich THE ERRAND BOY, deren episodische Struktur Lewis nach dem narrativen THE NUTTY PROFESSOR auch wieder aufnimmt. In mal längeren, mal kürzeren Sketchen stellt Lewis einmal mehr sein grandioses komisches Talent unter Beweis, brilliert mit einer auf sehr genauen Beobachtungen beruhenden Situationskomik sowie seinem immensen Repertoire mimischer wie körperlicher Entgleisungen. Das Besondere an THE PATSY, der zunächst eine Weile braucht, um Fahrt aufzunehmen, ist, dass er seinen Witz zu nicht unerheblichem Teil aus Situationen gewinnt, in denen eigentlich nichts Witziges passiert. In einer ausgedehnten Sequenz stößt Stanley etwa reihenweise kostbare Vasen um, die jedoch nicht kaputtgehen, weil er sie stets in letzter Sekunde auffangen kann – Slapstick auf den Kopf gestellt. Eine weitere längere Szene zeigt Stanleys verzweifelte Versuche, dem Publikum eines Comedy Clubs einige Lacher zu entlocken, was ihm mit seiner erbarmungswürdigen Performance jedoch nicht gelingt; vorher hatte er bereits seine Mentoren mit einem grauenhaft falsch erzählten Witz schon zur Verzweiflung getrieben: Der Witz ist, dass Stanley nicht komisch ist. Ebenfalls anbetungswürdig ist sein grauenhaft schlechtes Playback während seines Auftritts als Sänger. Es deutet sich in dieser kurzen Beschreibung schon an, das Lewis’ Clownereien sehr viel komplexer angelegt sind als es zunächst den Anschein hat. Es ist selten die Torte im Gesicht, die für den Lacher sorgt, sondern die Situation, in der sie ihr Opfer trifft: Kontextualisierung ist das Stichwort. Stanleys Eskapaden sind deshalb lustig, weil man als Zuschauer stets vor Augen hat, was eigentlich von ihm erwartet wird – in THE PATSY übernehmen seine Lehrer diese Orientierung stiftende Funktion. Lewis’ Filme profitieren außerdem von einer sehr genauen und liebevollen Charakterisierung ihrer Titelfiguren, die nie für plumpe Späße verheizt werden, sondern als echte Charaktere stets auch eine Entwicklung durchlaufen. So nimmt Stanley am Schluss genau in dem Moment das Heft in die Hand, in dem seine Mentoren ihn entnervt loswerden wollen, und dreht den Spieß um. In den letzten Augenblicken erweitert Stanley/Lewis den Rahmen (also eine Re-Kontextualisierung), macht aus THE PATSY einen lupenreinen Metafilm: Der eben noch anscheinend in den Tod gestürzte Stanley betritt das Bild als Jerry Lewis und spricht seine Filmpartnerin, die eben noch Stanleys Tod betrauerte, mit deren echtem Namen an. Das sei doch alles nur ein Film, da vorne stünden die Kameras. Das Bild zieht auf und man befindet sich am Filmset von THE PATSY, den Lewis nun mit seiner Partnerin verlässt. Der Schauspieler und Regisseur hat seine Filmfiguren von Beginn an kräftig an der Nase herumgeführt, sein Geschäft von Anfang an perfekt beherrscht.
THE PATSY steht seinen Vorgängern in nichts nach: Schlicht famose Gags, irrsinnige Verrenkungen Lewis’, eine tolle Besetzung mit Stars der zweiten Reihe, etwa Peter Lorre, John Carradine oder Keenan Wynn, sowie diverse Gastauftritte garantieren einen Filmabend der das Zwerchfell ordentlich strapaziert, dabei aber auch das Hirn niemals vernachlässigt. Toll!
#1197
Geschrieben 07. April 2008, 18:39
Los Cronocrímenes (Spanien 2007)
Regie: Nacho Vigalondo
Héctor (Karra Elejalde) sieht vom Garten seines neuen Hauses aus durch das Fernglas eine nackte Frau im Wald hinter seinem Grundstück. Neugierig begibt er sich in den Wald und findet die attraktive Persn bewusstlos vor. Sekunden später wird er von einem mit Mullbinden vermummten Mann überfallen und verwundet. Héctor kann sich in ein merkwürdiges Labor fliehen, in dem ein Wissenschaftler ihn in einem Tank versteckt. Als Héctor wenig später aus dem Tank aussteigt, befindet er sich in der Vergangenheit und sieht sich durch das Fernglas im Garten seines Hauses sitzen, wie er das Waldstück beobachtet. Zusammen mit dem Wissenschaftler plant er nun seine Rückkehr in sein "normales" Leben. Dazu muss er – Héctor 2 – sein "Original" dazu bringen, in den Tank zu klettern. Doch dabei erleidet er einen Unfall. Um seine Wunde zu versorgen, wickelt er sich eine Mullbinde um den Kopf ...
Zeitreisefilme sind ein beliebter Standard im Science-Fiction-Genre, weil sie zum philosophischen Spiel nach dem Wesen von Zeit und Existenz einladen. Vigalondo bietet dieses Sujet jedoch vor allem die Möglichkeit, die filmische Technik der Montage, die ja ihrerseits eine Form der Zeitreise darstellt, narrativ zu reflektieren. So ist Vigalondos exzellenter kleiner Genrefilm auch weniger ein Plottwister im utopischen Gewand als vielmehr ein Metafilm, der sich mit der Konstruktion von Handlung und der Erzeugung von Charaktermotivation befasst. Mit jedem "weiteren" Héctor (später taucht er noch in einer weiteren Inkarnation als Héctor 3 auf), erhält der Zuschauer auch eine immer etwas erweiterte Perspektive auf das Geschehen. Was zunächst noch rätselhaft und zufällig erscheint, wird durch Vigalondo (und seinen Protagonisten) nachträglich motiviert und zur Absicht umgedeutet. Der jeweils auf eine höhere Wissensebene gebeamte Héctor schafft so erst die Bedingungen für die Handlungen seiner Vorgänger. Allerdings muss er irgendwann erkennen, dass der unendliche Regress nicht möglich ist: Dann setzt er sich einfach auf einen Stuhl und akzeptiert, dass bestimmte Dinge einfach passieren müssen. Man kann nicht alles vorherplanen, den archimedischen Punkt nicht einnehmen. Héctor kann nie nur Ursache sein, immer ist er auch das Objekt, an dem sich Wirkung vollzieht. Was LOS CRONOCRÍMENES zum Überraschungshit der diesjährigen FFF Nights macht, ist dass Vigalondo sich nicht mit der Ausbeutung des inhärenten Plottwist-Potenzials begnügt, sondern recht konsequent die Manipulation durch die Filmtechnik thematisiert. Das zeigt sich bereits in der athmosphärischen Exposition seines Filmes, wenn der Zuschauer durch mehrere Jump Cuts hindurch Héctors verzweifelten Versuchen, einzuschlafen beiwohnt, während der Soundtrack durchgehend (also ohne "Sprünge") läuft. Diese Zeitmanipulation scheint auch an Vigalondos Protagonist nicht spurlos vorbeizugehen.
#1198
Geschrieben 07. April 2008, 19:48
Diary of the Dead (USA 2007)
Regie: George A. Romero
Der Filmstudent Jason Creed (Joshua Close) dreht mithilfe einiger befreundeter Kommilitonen und seinem Professor seinen Abschlussfilm, einen Mumien-Horrorstreifen, als die Nachricht durchsickert, dass die Toten aufgrund einer rätselhaften Seuche von den Toten auferstehen. Gemeinsam begibt sich das Team auf eine Fahrt durch Pennsylvania, um zu ihren Familien zu gelangen. Die Kamera ist immer dabei, denn Jason hat ein neues Projekt: Er will die drohende Apokalypse dokumentieren ...
Nachdem Romero mit LAND OF THE DEAD seine Zombie-Trilogie nicht ganz zwingend zur Quatrologie erweiterte, stellt DIARY einen dringend erforderlichen Perspektivwechsel und eine Zäsur dar. Ähnlich dem kürzlich gelaufenen CLOVERFIELD nimmt Romero nun eine Innensicht des von ihm maßgeblich geprägten Genres und der im Gesamtkorpus seiner Dystopie geschilderten Apokalypse ein, beginnt – unter veränderten Vorzeichen – noch einmal von vorn und unterzieht sienen Mythos einer Aktualisierung unter medientheoretischen Vorzeichen. Wie die in DIARY immer wieder thematisierten neuen Plattformen – MySpace, Youtube etc. – den Blick auf die Welt in unendliche Fassetten zersplittern, so fragmentiert auch Romero seinen Film in eine Vielzahl nur lose verbundener Episoden, die nicht nur den gesellschafts- und medienkritischen Tenor anschlagen, den man aus den Vorgängern kennt, sondern auch Wesen, Sinn und Berechtigung von Romeros Leib- und Magengenre selbst hinterfragen. DIARY ist ein sehr introspektiver Film, der Furor eines DAWN ist längst einer resignativen und auch ratlosen Stimmung gewichen, die mit ihren Zweifeln auch vor sich selbst nicht mehr Halt macht. Die splatterigen Schlaglichter, mit denen Romero an den Slapstickhumor von DAWN anknüpft, sind weniger als als Dienst am Fan als Irritationen zu begreifen: "Warum können wir an so etwas Spaß haben, warum setzen wir uns immer wieder freiwillig solchen Bildern aus?", scheint der Regisseur zu fragen. Die Bedingungen für die in DIARY gezeichnete Welt, in der junge Männer die Welt nur noch durch den Sucher begreifen können, weil dieser Distanz schafft, haben nicht zuletzt die Medien geschaffen: Film ist realistischer als die Realität, was nicht auf Festplatte gebannt werden kann, existiert nicht. Das Mikroskop, das einst das Medium war, mithilfe dessen das Geheimnis des Lebens entzaubert werden sollte, ist längst durch das Objektiv ersetzt worden. Doch in DIARY bietet es keinen Zugang mehr zum Leben, es versperrt ihn. Durch den Sucher findet man nur noch den Tod.
Weil DIARY eher als eine Ansammlung kurzer filmischen Essays, denn als klassischer Erzählfilm "aus einem Guss" konzipiert ist, stürzt er auch den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle und Eindrücke, wirkt heterogen (positiv) bis zerfahren (negativ). Wirklich stark ist er vor allem in seinen metafilmischen Exkursen, die durch einen sehr bizarr anmutenden Humor geprägt sind, während er in seiner mittlerweile zur Genüge explizierten Gesellschaftskritik manchesmal geradezu altbacken und überholt wird: Romero geht stark auf die 80 zu und so ist er nicht mehr ganz auf Höhe der Zeit, hat dem, was er bereits vor 30 Jahren ausformulierte, nicht mehr viel Neues hinzuzufügen. Wenn der Film mit zwei auf gefesselte Zombies ballernde Rednecks und der Frage, ob die Menschheit es überhaupt verdient habe, zu überleben, schließt, weiß man nicht so recht, ob das noch als Selbstzitat durchgeht oder schlicht Ideenlosigkeit ist. Immerhin ermöglicht DIARY diese Frage aber noch und hat auch genügend Momente, in denen offensichtlich wird, was Romero mit seiner Adaption des Zombiemythos eigentlich geleistet hat. DIARY muss man trotz seiner unverkennbaren Schwächen als einen der wohl wichtigsten Genrefilme des Jahres bezeichnen und den Mut seines Machers zu einem konzeptionellen Neuanfang loben. Er wird gewiss nicht mehr die Breitenwirkung erzielen wie seinerzeit NIGHT, DAWN oder DAY ein starker, komplexer und anregender Film ist er aber dennoch geworden.
#1199
Geschrieben 07. April 2008, 20:23
Doomsday (Großbritannien/Südafrika/USA 2008)
Regie: Neil Marshall
Als in Edinburgh ein tödlicher Virus ausbricht, verhängt die britische Regierung das Kriegsrecht und mauert die Überlebenden kurzerhand in Schottland ein. 35 Jahre später ist das Land eine einzige Einöde, da taucht der so genannte Reaper-Virus plötzlich in London wieder auf. Weil Satllitenbilder belegen, dass das Leben hinter der Mauer einen Weg gefunden hat, den Kampf gegen das Virus zu gewinnen, wird die Elitesoldatin Eden Sinclair (Rhona Mitra) mit einer Spezialeinheit nach Schottland geschickt, um binnen von 48 Stunden ein Heilmittel nach London zu bringen. Hinter der Mauer trifft sie erst auf kannibalistisch veranlagte Endzeitpunks, dann schließlich auf mittelalterliche Ritter, die mit dem Rest der Welt nichts mehr zu tun haben wollen ...
Man nehme etwas 28 WEEKS LATER, etwas ESCAPE FROM NEW YORK, eine gehörige Prise MAD MAX 2, garniere das mit Referenzen an LORD OF THE RINGS, GOLDENEYE, TOMB RAIDER und ALIENS und lasse das vom Genreregisseur Neil Marshall (DOG SOLDIERS, THE DESCENT) in blinder Selbstgefälligkeit mit Fanboyambitionen inszenieren, fertig ist der Rohrkrepierer, von dem man schon lange vor dem Abspann wünscht, ihn nie gesehen zu haben. Nach den frenetischen Reaktionen der Dumpfnerds im Kino ist mir ein Satz von NY-Press-Filmrezensent Armond White eingefallen, der hier prima passt: DOOMSDAY kann nur deshalb erfolgreich sein, weil wir schon längst vergessen haben, was es eigentlich bedeutet, uns gut zu amüsieren. Ich gebe zu: Marshalls Film ist viel zu unwichtig, um sich wirklich drüber aufzuregen und spätestens nächstes Jahr wird er bereits den Weg alles Irdischen gegangen und vom nächsten Krawallvehikel abgelöst worden sein. Dennoch weiß ich nicht, was ich trauriger finden soll: Dass es manchen gelingt, ihre Ansprüche so dermaßen weit herunterzuschrauben, dass ihnen ein solcher in allen Belangen minderwertiger Schrott noch Spaß bereitet, oder dass überhaupt die Bereitschaft (und offensichtlich das Bedürfnis) dazu besteht, das zu tun. Es gibt so viele spaßige Filme, die noch dazu gut gemacht sind, dass ich nicht begreife, warum man sich einen DOOMSDAY schönreden muss, der nicht einmal die Mindestanforderungen erfüllt. Neil Marshall hat mit den beiden Vorgängern wenn schon keine großen, so doch gelungene Filme gemacht, weil er eine gewisse Bescheidenheit und Ökonomie an den Tag legte. Mit DOOMSDAY durfte er nun einen großen Film machen und man merkt an allen Ecken und Enden, dass er dabei völlig den Überblick verloren hat. Die Story funktioniert hinten und vorne nicht und ist schlicht und ergreifend blöd; die Action ist unübersichtlich und hektisch und verpufft damit wirkungslos; die Kohärenz verabschiedet sich bereits nach zehn Minuten und überhaupt funktioniert einfach gar nichts. Wo Carpenter in ESCAPE FROM NEW YORK in wenigen Minuten eine ganze faszinierende und bedrohliche Welt entstehen lässt, führt sich Marshalls in einer ausführlichen Exposition aufgebaute Dystopie nach kürzster Zeit selbst ad absurdum. Malcolm McDowell und Bob Hoskins, zwei der charismatischsten Schauspieler unserer Zeit, werden ohne Sinn und Verstand in völlig belanglosen Rollen verheizt, und die Ausgangssituation interessiert etwa ab der Hälfte der Spieldauer nicht nur den Zuschauer, sondern auch den Regisseur nicht mehr. Es ist ganz nett, wie Marshall die schottischen Highlands für den MAD-MAX-2-Showdown mit massivem Filtereinsatz in ein Australien-Äquivalent verwandelt, aber dafür hätte auch ein Werbespot gereicht. DOOMSDAY ist in seiner vollen Länge eine einzige Zumutung, die man sehr viel effizienter simulieren kann, wenn man sich ein paar Mal mit einem Hammer vor den Schädel kloppt oder einfach ordentlich einen saufen geht.
#1200
Geschrieben 07. April 2008, 21:03
Frontière(s) (Frankreich/Schweiz 2007)
Regie: Xavier Gens
Vier adoleszente Pariser Ghettobewohner rauben während der Aufstände eine Bank aus, um die Abtreibung von Yasmin (Karina Testa), der Schwester von Sami (Adel Bencherif), zu finanzieren. Sami wird während der Flucht angeschossen und stirbt noch im Krankenhaus, die verbleibenden drei Jungs machen sich mit Yasmin auf nach Amsterdam, wo die Abtreibung stattfinden soll. In der Nähe der belgischen Grenze suchen sie ein einsames Motel auf, das sich jedoch als Todesfalle entpuppt: Es wird von der Familie eines greisen Altnazis bewohnt, die sich von Menschenfleisch ernähren und ihren degenerierten Nachwuchs in einer stillgelegten Mine gefangen halten. Die schwangere Yasmin kommt ihnen gerade recht, um frisches Blut in ihre Sippe zu pumpen ...
Mal wieder ein Torture Porn. HITMAN-Regisseur Gens gibt sich alle Mühe, dem auf Provokation abonnierten Genre den nächsten Orden ans Revers zu heften: Es gibt einen schöne Oneliner ("Arbeit macht frei!") zum besten gebenden Nazi-Opa, der Achillessehnen mit dem Bolzenschneider durchknipst, einen kolossalen Metgerfettsack mit Hirnschaden, eine bucklige Kindfrau, eine halbtote Oma, der das Essen zum Loch im Hals wieder rausschleimt, eine Leichenhalle mit Nicht-ganz-so-Toten, saftiges Menschenfleisch, die genannten degenerierten Monsterkinder und einen unangenehmen Tod im Ofen. Kurz: Es werden alle Register gezogen, auf dass sich der Zuschauer so richtig schön angeekelt fühlt. Das ist nichts Neues, die Parallelen zu Hoopers Masterpiece unübersehbar. Verwunderlich ist es allerdings schon, welche Volten ein Drehbuch schlagen kann, auf dass möglichst viele Schweinereien Platz darin finden. Da hetzt man dann sogar einen der Protagonisten über mehrere Minuten durch das Setting und allerhand saftige Set Pieces, lässt ihn immer wieder entkommen, nur damit er dann doch irgendwann den blutigen Tod findet. Aber noch ein anderes Merkmal des Torture Porns weist FRONTIÈRE(S) auf: den an die Oberfläche geholten Subtext. Der drängt sich hier gleich in den ersten Sekunden mit Nachrichtenbildern der Pariser Aufstände auf und setzt sich in der Pro-Life-Message des Abtreibungsplots fort. Während die Gratwanderung zwischen Selbstkritik und Affirmation in den beiden HOSTEL-Filmen aber noch ausgezeichnet gelang, ja geradezu zum Motor der Filme wurde, hat man bei FRONTIÈRE(S) bald schon den Eindruck, dass hier eigentlich eine ziemlich reaktionäre Gesinnung hinter dem schmierigen Treiben steckt: Die Prekariatskinder mit Migrationshintergrund werden erst als fiese und ungebildete Proleten gezeichnet, fangen dann jedoch zu winseln und zu jammern an, sobald sie der Gnade des Nazis ausgeliefert sind. Da bedarf es nicht viel interpretatorischem Übereifer, um aus FRONTIÈRE(S) die Botschaft zu destillieren, dass der Maghrebiner doch froh sein kann, dass er in seinem Ghetto wohnen darf, schließlich könnte es für ihn sehr viel schlimmer kommen. Ich will Gens diese Haltung keineswegs unterstellen, dennoch ist die Möglichkei8t dieser Lesart bezeichnend für seinen Film, der vor lauter Sensationsgeilheit das große Ganze vollkommen aus den Augen verliert. Als dumpfer Schocker ist FRONTIÈRE(S) aber durchaus brauchbar und bietet einige feiste Szenen, die sich in ihrer Häufung aber bald schon abnutzen. Nazis und degenerierte Fettsäcke sehe ich aber immer gern und auch der sonst eher kernig-smarte Samuel Le Bihan ist als schwitzender Muskelprotz mit Gesichtsfotze durchaus ansehnlich. Insgesamt aber eher mau.
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