Der Monroe ihre dicken Hupen
#871
Geschrieben 26. Juli 2007, 17:25
Regie: Sheldon Lettich
Hongkong in den Sechzigerjahren: Der für die Eröffnung eines Autobahntunnels zum Festland verantwortliche Geschäftsmann Paul Wagner und dessen Gattin werden auf Geheiß des Triadenmannes Zhang (Philip Chan) ermordet. Ihre Kinder, ein neugeborenes Zwillingspärchen, werden von Wagners treuem Freund Frank (Geoffrey Lewis) gerettet und an verschiedenen Orten versteckt. Sprung in die Gegenwart: Chad Wagner (Jean-Claude Van Damme) ist mittlerweile Karatekämpfer in L. A. als er von Ziehvater Frank über seine Vergangenheit unterrichtet wird. Frank hat Chads Bruder Alex (Jean-Claude Van Damme), einen Hongkonger Alkoholschmuggler, ausfindig gemacht und möchte im Verbund mit den beiden Rache für den Tod seines Freundes nehmen und sie gleichzeitig zu ihrem ihnen rechtmäßig zustehenden Besitz bringen ...
Mit DOUBLE IMPACT klopften die Muscles from Brussels damals sehr vernehmlich an die Tür der Großen im Actionfilmgeschäft. Wie man heute weiß, gewährte man ihm nur kurz Einlass, um auf dem Gästeklo seine prägnante stechende Duftmarke, eine Mischung aus Kölnisch Wasser und Pisse, zu setzen. Heute, mittlerweile satte 47 Lenze zählend, ist Van Damme wieder da angekommen, wo er einst anfing und wohl auch hingehört: auf dem DTV-Markt. Auch DOUBLE IMPACT erkennt man heute kaum als die Kinoproduktion, die er war, doch Van Damme schafft es mit seinen beschränkten Mitteln tatsächlich ganz gut zwei gegensätzliche Charaktere darzustellen. Das ist aber gerade der Haken: Wenn man sich dem Film mit dem Bedürfnis nach einem richtigen blöden Schwartenkracher nähert, wird man enttäuscht. DOUBLE IMPACT ist filmgewordene Routine, wofür besonders sein Regisseur Sheldon Lettich steht, der nicht nur ausschließlich im Actiongenre tätig war (als Autor und Regisseur), sondern auch sowas wie ein treuer Wegbegleiter von Van Damme. Gemeinsam realisierten die beiden immerhin fünf Filme – BLOODSPORT, A.W.O.L., DOUBLE IMPACT, LEGIONNAIRE und HARD CORPS. Aber auch Lettichs Drehbuchcredits für RAMBO III und den kleinen, aber feinen THOU SHALT NOT KILL EXCEPT ... sollen nicht verschwiegen werden. So umschifft auch DOUBLE IMPACT zwar alle Fettnäpfchen, etwaige Ecken und Kanten sind aber vorsorglich gleich mit abgeschliffen worden. So versetzen einem heute nur noch des Muskelmanns schmierige Solariumspersona (seine Klamotten sind wirklich der Gipfel der Scheußlichkeit) und der billig anmutende Look der frühen Neunzigerjahre den anderweitig erhofften Schlag ins Gesicht, ansonsten regieren Vorhersehbarkeit und mit dem Messbecher vorsichtig dosierte Action, Drama, Komik. DOUBLE IMPACT plätschert geruhsam seinem Ende entgegen, zu dem dann endlich alle Beteiligten mal den Hammer auspacken, den man die ganze Zeit über kreisen sehen wollte. Insgesamt also keinesfalls schlecht, aber im Gegensatz zu anderen Vertretern des Genres (und wie überhaupt viele Van Dammes) nicht gerade gut gealtert. So für Zwischendruch erscheint er mir aber immer noch ideale Kost, zumal Filme mit Bolo Yeung ja immer was haben, nämlich ihn.
#872
Geschrieben 27. Juli 2007, 10:25
Regie: Kevin Hooks
Der ehemalige Secret-Service-Agent John Cutter (Wesley Snipes) musste mitansehen wie seine Frau bei einem Raubüberfall erschossen wurde. Er quittiert den Dienst und wird Sicherheitsbeauftragter einer großen Fluggesellschaft. Und weil er seit dem Tod seiner Gattin eine Mission hat, wird er zum Besten seiner Branche, was ihm schon bald eine Beförderung einbringt. Auf dem Flug zu seiner Beförderung begegnet er einem alten Bekannten wieder, dem gefährlichen soziopathischen Terroristen Charles Rane (Bruce Payne), der gerade auf dem Weg zu seiner Hinrichtung ist. Doch der Bösewicht hat natürlich andere Pläne, die unter anderem die Entführung des Flugzeugs beinhalten ...
PASSENGER 57 ist ein seltenes Beispiel für einen Studio-Actionfilm, der gänzlich ohne Größenwahn auskommt. Die Abwesenheit jeglicher Gimmicks und die Formelhaftigkeit des Plots machen Hooks Film zwar nicht gerade zum einprägsamsten Vertreter seines Genres, doch dieser scheinbare Mangel wird durch die perfekte technische Umsetzung, das straffe Drehbuch und die toll aufspielende Besetzung mehr als neutralisiert. Wesley Snipes ist wohl einer der besten Hollywood-Akteure, wenn es gilt den schweigsamen, hoch effektiv arbeitenden Profi zu geben und Bruce Payne war als der unterkühlt und eloquent, dabei aber absolut kaltblütig agierender Schurke, auf den er in den Neunzigern abonniert war, auch immer eine Bank. Ein auffallend schlanker Martin Sizemore gibt Sly Delvecchio, den Freund und Kollegen von John Cutter, die entzückende Elizabeth Hurley vor ihrer ersten Nasenoperation eine Stewardess mit Geheimnis. Der Clou des Films ist jedoch dessen unaufhaltsamer Drang zur Pointierung. Das beginnt schon bei der Spielzeit von handlichen 75 Minuten: PASSENGER 57 klemmt sich jeglichen unnötigen Schlenker und setzt ganz auf Tempo und Hochspannung. Das Niveau der schlagfertigen Dialoge rutscht niemals in die Niederungen aufgesetzter Oneliner wie etwa zuletzt bei THE RUNNING MAN. Es sind die kleinen Details, die PASSENGER 57 zu Leben erwecken, mehr als irgendwelche großangelegten Drehbuchcoups. Kamera und Schnitt sind ultradynamisch, ebenso wie der famose Score vom Jazzvirtuosen Stanley Clarke und überhaupt gibt es an diesem Film rein gar nix zu meckern. Wenn doch etwas kritisiert werden müsste, dann vielleicht, dass Payne den Bogen in Punkto Evilness am Ende etwas überspannt und man ihn, wenn es dann zur finalen Auseinandersetzung kommt, nicht ganz als gleichwertigen Gegener von Snipes akzeptieren kann. Dieser kleine Makel kann dem Gelingen des Films aber rein gar nichts anhaben: Nach der schlicht brillanten Exposition ist man PASSENGER 57 hilflos ausgeliefert. Damit erbringt er den Beweis dafür, dass man sich nicht in absurder Übertreibung ergehen muss – woran der Actionfilm der letzten 20 Jahre nicht gerade selten krankt –, um zu begeistern, sondern auch nach Schema F noch mitreißendes Actionkino auf die Beine stellen kann, sofern man weiß, welche Knöpfchen man beim Zuschauer drücken muss. Ein wirklich toller und zudem rundum sympathischer Reißer, der aus Post-9/11-Perspektive noch einmal so interessant ist. Schade, dass Snipes sein Unwesen mittlerweile nur noch in ramschigen DTV-Produktionen treiben darf ...
#873
Geschrieben 27. Juli 2007, 17:31
So, liebe Leser, mein FTB wird jetzt zwecks Urlaub für einige Wochen geschlossen werden. Morgen entfliege ich in südliche Gefilde und werde um alles, was mit Film zu tun hat, einen großen Bogen machen.
Aber keine Angst, die Abstinenz ist nur von kurzer Dauer, der Rückfall wird dann umso heftiger: Ab dem 08.08. weile ich täglich in Köln beim Fantasy Filmfest, wo ich mir – Dauerkarte, sei Dank! – wieder einmal das volle Programm geben werde. Ich werde versuchen, mein FTB schon während des Festivals upzudaten, damit ich vor der Aufgabe, rund 40 Filme auf einmal abzuhandeln, nicht zerbreche. Welche Filme ich mir anzuschauen gedenke, könnt ihr hier nachlesen.
Viel wichtiger ist aber das neue Blog-Update, dass wir – Aussie, maX und ich – unter Hochdruck fertig gestellt haben, damit die Pause nicht zu lang wird. Unter der bekannten Adresse könnt ihr irgendwann im Laufe der nächsten Woche den dritten und vorletzten Beitrag zu unserer Serial-Killer-Reihe lesen, der sich mit dem Wings-Hauser-Film TODESSCHWADRON befasst.
Zu guter Letzt möchte ich euch noch auf zwei Rezensionen von mir hinweisen, die in den nächsten Tagen auf F.LM veröffentlicht werden. Bei diesen handelt es sich um eine Besprechung der Sexfilm-Box von Kinowelt, deren Titel im Einzelnen schon in meinem FTB verwertet wurden und die nun eine sachliche Aufarbeitung erfährt. Außerdem habe ich Johnnie Tos brillanten Triadenfilm EXILED gesehen und versucht meine Begeisterung über die Kinowelt-DVD in entsprechende Worte zu kleiden.
Ich wünsche euch viel Spaß und freue mich auf baldiges Wiederlesen! Macht's gut!
#874
Geschrieben 28. Juli 2007, 22:37
Regie: Albert Pyun
Die Welt am Abgrund: Eine unheilbare Seuche hat alle Städte entvölkert, die wenigen Überlebenden werden von den marodierenden Piraten unter der Führung des fiesen Fender (Vincent Klyn) gemeuchelt. Gibson Rickenbacker (Jean-Claude Van Damme) ist ein "Slinger", eine Art Trapper, der Menschen gegen Bezahlung aus den gefährlichen Städten aufs Land bringt. Er begegnet Pearl (Dayle Haddon), einem Cyborg, der den Schlüssel für die Entwicklung eines Heilmittels in sich trägt, und wird von ihm beauftragt, ihm Geleitschutz zu geben. Leider kommt ihm Fender in die Quere und entführt die Roboterdame. Und weil Gibson sowieso noch eine alte Rechnung mit ihm zu begleichen hat, begibt er sich auf dessen Spur.
Was für ein Film! CYBORG sollte eigentlich das Sequel zum ersten MASTERS OF THE UNIVERSE werden, was man dem fertigen Film aber nicht im Geringsten ansieht. Der von Billigspezialist Albert Pyun realisierte Film klemmt sich jeglichen Kinderkram, stattdessen setzt es Tristesse, herbe Brutalität und eine merkwürdig entrückte und künstliche Atmosphäre, die CYBORG fast schon zur Avantgarde macht. Es gibt kaum Dialoge, ein enervierend synthetischer Score untermalt die Bilder von Ruinenlandschaften, Einöden und Industriebrachen, Charaktere und Handlung werden kaum mehr als skizziert. Schon die Musikinstrumenten entlehnten Namen der Protagonisten entfremden den Zuschauer vom Geschehen, die Zeichnung des geheimnisvollen Slingers als messianischer Heilsbringer tut ein Übriges. Vielerorts liest man, CYBORG sei langweilig, doch das wird Pyuns Film meiner Meinung nach nicht gerecht. Fakt ist indessen, dass sich Pyun einen Scheißdreck um Zuschauerbindung kümmert: Dem gängigen Rhythmus eines Actionfilms verweigert er sich völlig, die Identifikation mit den Figuren ist – ich habe es schon angedeutet – nahezu unmöglich. So lullt CYBORG einen mit seinem 80 Minuten andauernden Martyrium schon ein wenig ein, was ich dem Film aber keinesfalls negativ anlasten würde. Im Gegenteil: Bedenkt man das wahrscheinlich geradezu lachhafte Budget, das die schon schwer angeschlagene Cannon für Pyun locker gemacht hat, ist CYBORG eine echte Meisterleistung. Wenn in Sachen Production Values nix zu reißen ist, muss man sich eben auf das nackte Talent verlassen, das im Falle von CYBORG vor allem der Mann am Schnittpult in rauen Mengen vorzuweisen hat. Was er aus den eigentlich unspektakulären Fights rausgeholt hat, ist wirklich beachtlich. Beachtlich ist auch das unglaubliche Finale des Films, bei dem sich die Erzfeinde in strömendem Regen und mit nackten Oberkörpern mit wachsender Begeisterung die Betonköpfe breit schlagen und dabei grunzen wie ein Rudel trächtiger Säue. Da gewinnt der Film eine animalische Brachialität, die schon fast beängstigend ist. Ich bin wirklich schwer gebügelt worden von CYBORG, zumal ich den einfach nur als spaßig-hohlen Trashklopper erinnert hatte. Besonders geistreich ist er natürlich keineswegs (eigentlich noch nicht einmal nur geistreich), das sollte man nicht falsch verstehen, aber dennoch möchte ich mich hier mal zu folgender gewagten (und hochgradig spekulativen) These hinreißen lassen: Hätte Jean-Luc Godard in den späten Achtzigern einen Actionfilm gedreht, dann hätte der so ausgesehen wie CYBORG.
So, und jetzt fahre ich aber wirklich in Urlaub!
#875
Geschrieben 09. August 2007, 01:10
Black Sheep (Neuseeland 2007)
Regie: Jonathan King
Ein übermotivierter Umweltaktivist entwendet ein genetisch verändertes Schaf und setzt damit eine Zombie-Schaf-Apokalypse in Gang: Schafe werden zu blutrünstigen Bestien, die von ihnen gebissenen Menschen verwanlden sich – so sie nicht komplett zerfleischt wurden – in Werschafe, die ihrerseits Jagd auf Menschenfleisch machen und sich so für Genmanipulation und Knechtschaft rächen. Ihnen entgegen stellt sich der brave Sohn eines verstorbenen Schafszüchters, der seit einem bösen Scherz seines Bruders dummerweise unter einer Schafsphobie leidet. Dass der fiese Bruder außerdem verantwortlich für die Mutationen ist, macht die Sache nicht leichter ...
Eigentlich hätte BLACK SHEEP einiges Potenzial für eine hintersinnige kleine schwarze Komödie gehabt. Man stelle sich das vor: Ein Land, das eine Schafspopulation von 40 Millionen aufweist wird plötzlich von den knuffigen Geschöpfen überrannt, die darüber hinaus noch weniger Gesichtsausdrücke im Repertoire haben als Steven Seagal. Leider entscheidet sich Regisseur King aber statt für das Understatement für den Krawall und das steht seinem Film gar nicht gut zu Gesicht. Die Witze zielen allesamt weit unter die Gürtellinie und sind zudem so vorhersehbar und abgedroschen, dass es schmerzt. Mehr noch: Die meisten Gags sind gar keine solchen, sondern reine Stimuli, die auf das anvisierte Nerdpublikum wirken wie die Glocke auf den Pawlowschen Hund. Ein Schaf furzt: Das Kino schreit sich weg. Einem Mann wird sichtbar in den Pimmel gebissen: Das Publikum tobt. Dazu gesellen sich die allzu klischeehaften Figurenzeichnungen, die den eigentlich recht sympathisch aufspielenden Akteuren viel zu wenig abverlangen. Die Ökotante faselt ständig von Feng Shui und Chakren, rettet zwischendurch den Tag mit Duftkerzen und Akupunktur, der fiese Kapitalist hat in Wahrheit ein sehr zärtliches Verhältnis zu seinen Geschöpfen, was die erwartbaren Schafsfickerwitze nach sich zieht. Gut ist der Film immer dann, wenn er die Absurdität der Situation ganz allein für sich wirken lässt, ohne Brechstange und großes Geschrei. Das passiert leider viel zu selten. Es ist bezeichnend, dass BLACK SHEEP, statt sich auf die Bedrohung durch die schiere Übermacht an Schafen zu konzentrieren, sich in immer wilderen Mutations- und Rückverwandlungsszenarien verliert. Die knapp 90 Minuten fühlten sich gut doppelt so lang an und ich mich unter knapp 699 meistenteils grölenden Mitzuschauern sehr allein ...
#876
Geschrieben 09. August 2007, 01:20
Paprika (Japan 2006)
Regie: Satoshi Kon
Um es ganz kurz zu machen: Dieser Anime über Träume in Träumen, Traummanipulation und das Medium Film als Medium der Abbildung von Träumen war der richtige Film zur falschen Zeit: Nach 17 Stunden ohne Schlaf, die u. a. einen zweieinhalbstündigen Flug aus dem brütend heißen Malta ins tristgraue Düsseldorf beinhalteten, war die Aufnahmefähigkeit bereits nach wenigen Minuten erschöpft, der Akku einfach leer. So habe ich nach schätzungsweise 20 bis 30 Minuten graduell abnehmender Aufmerksamkeit beschlossen, dem körperlichen Bedürfnis nach Schlaf nachzugeben und bin – nicht ganz unpassenderweise – in sanften Halbschlaf gesunken, der von dem wunderbar kitschigen Nippon-Techno treffend untermalt wurde. Bis dahin hatte mir der Film in seiner Bilderpracht und den kunstvoll in einander verwobenen Erzähl- und Realitäts- bzw. Traumebenen aber recht gut gefallen. Ganz erschließen kann man PAPRIKA wohl eh erst nach etlichen Sichtungen, sodass ich meinen Mitsehern, die den Film durchgehalten haben, gar nicht so sehr hinterher hinke. Das tröstet.
#879
Geschrieben 10. August 2007, 07:58
La hora fría (Spanien 2006)
Regie: Elio Quiroga
Nach einem vernichtenden Atomkrieg: Ein Gruppe Überlebender hat sich in einem riesigen Gebäudekomplex verschanzt und hofft, irgendwann wieder ins Tageslicht zurückkehren zu können. Doch die Chancen stehen schlecht. Kontaminierte Mutanten kreisen die Menschen ein, fast jede Nacht zwingt die "kalte Stunde" sie in ihre Zimmer: Dann schleichen die "Unsichtbaren" umher und suchen nach Opfern. Zu allem Überfluss werden auch die Vorräte langsam knapp und der übliche Lagerkoller greift ebenfalls um sich. Es hilft nur eines: Die relative Sicherheit der eigenen Bleibe muss verlassen werden, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern ...
Da ist sie schon, die erste große positive Überraschung des Festivals: ein unprätentiöser, aber sehr effektiver kleiner Film über die erwachsene Hybris und die Hoffnung auf einen Neuanfang. Quiroga wählt ein relativ bekannte Sujet – vor einigen Wochen habe ich hier David DeCoteaus CREEPOZOIDS besprochen, der quasi das Trash-Abziehbild dieses Films ist – und arbeitet dieses zum philosophisch aufgeladenen Drama um. Die Protagonisten tragen allesamt biblische Namen – vom Jesùs über die Magdalena bis hin zum Judas sind einige vertreten – und schüren damit bereits eine gewisse Ertwartungshaltung betreffend ihrer Funktion, die dann allerdings nur zum Teil erfüllt wird. Der Zuschauer wird sehr konsequent in die Rolle des kleinen Jesùs gedrängt, der die erwähnte Hoffnung auf den Neuanfang repräsentiert: Jesùs wiederum kommentiert das Geschehen, indem er es mit der Videokamera für die Nachwelt (und damit für uns), aber auch für sich aufzeichnet. Quiroga gelingt es jedoch ausgezeichnet, diesen Aspekt nicht für mittlerweile wieder fast überholte Spielchen mit Authentizität und Selbstreflexivität auszuschlachten, sondern ihn sehr natürlich erscheinen zu lassen. Wie überhaupt der ganze Film sehr unaufgeregt abläuft und sich ganz auf die Protagonisten (und ihre ausgezeichneten Darsteller) verlassen kann und die Spannungskurve langsam aber stetig ansteigen lässt, bis sie sich dann in einem hochgradig effektiven und überraschenden Finale kulminiert. LA HORA FRÌA erschüttert, weil er deutlich macht, dass die Dummheit der Erwachsenen, die die Menschheit immer wieder in Kriege katastrophalen Ausmaßes stürzt, unüberwindbar ist. Auch der kleine Jesús kann daran nichts ändern. Ein sehr bewegender und nachdenklich machender Beitrag zur Philosophy Fiction, der zudem zum Finale mit sehr schönen und überraschenden Visual Effects aufwarten kann. Wer noch die Chance hat, diesen Film auf dem FFF – beispielsweise in Hamburg – mitzunehmen, sollte dies unbedingt tun. Die einzige Frage, die sich stellt: Warum heißt der Film international sehr suboptimal übersetzt THE DARK HOUR, anstatt richtigerweise "The cold hour"?
#880
Geschrieben 10. August 2007, 08:31
Confession of Pain (Hongkong 2006)
Regie: Andrew Lau, Alan Mak
Bong (Takeshi Kaneshiro, wie immer eine Augenweide) und Hei (wie immer äußerst soverän: Tony Leung Chiu-Wai) sind Cops bei der Mordkommission. Nach einem Einsatz findet Bong seine Ehefrau zu Hause mit aufgeschnittenen Pulsadern auf, quittiert den Dienst, wird Alkoholiker, verdingt sich fortan als Privatdetektiv und versucht herauszufinden, was seine Gattin einst in den Freitod trieb. Bald beauftragt ihn Hei zusammen mit seiner Gattin den Mord an deren Vater aufzuklären, der mit seinem Butler brutal abgeschlachtet wurde. Bong stürzt sich in die Ermittlungen, in deren Folge sich der vermeintliche Raubmord als geschickt getarnter Racheakt entpuppt ...
Nach dem fulminanten INFERNAL AFFAIRS sind die Erwartungen an das Regiegespann Lau und Mak natürlich immens hoch. Ein solches Meisterwerk dreht man aber nicht alle Tage und so beschreiten die beiden mit CONFESSION OF PAIN dann auch ganz andere Wege. Zwar ist auch CONFESSION wieder von einer betörenden formalen Schönheit, wieder steht ein sich spiegelbildlich ergänzendes Männerpaar im Mittelpunkt, doch statt um eiskalte und mit mathematischer Präzision vorgeführte Thrillerware handelt es sich hier ein sehr emotional aufgeladenes Krimidrama. Bong und Hei sind also nicht wie ihre Kollegen aus dem Megahit lediglich Schablonen, sondern echte Charaktere, die erschütternde seelische Abgründe zu verbergen haben. CONFESSION bezieht seine Spannung dann auch nicht aus der Frage nach dem "Wer?" – wer der Mörder ist, wird dem Zuschauer gleich zu Beginn offenbart –, sondern aus dem "Warum?". Die Auflösung ist dann auch letzten Endes keine echte Überraschung, doch beeindruckt die Schonungslosigkeit, mit der sich das Schicksal für die beiden männlichen Hauptfiguren vollzieht. Man darf durchaus kritisieren: CONFESSION ist eigentlich ein Film, dem der große Clou völlig abgeht (und damit das, was INFERNAL AFFAIRS zu allererst auszeichnete). Er ist lediglich ein sehr guter, wunderbar gefilmter und ebenso gespielter Krimi geworden. Doch finde zumindest ich diesen Schritt sehr löblich und konsequent: Anstatt zu versuchen den Vorgänger (die Sequels mal außen vor gelassen) an plottwisterischer Raffinesse noch zu übertreffen und damit zwangsläufig gnadenlos zu scheitern, wurde hier gleich ganz auf solcher Spielereien verzichtet. So bekommt man einen Film, der zwar "nur" sehr gut ist, der aber beweist, dass man auch mit einem charaktzerzentrierten Polizeifilm noch einen Volltreffer landen kann. CONFESSION OF PAIN ist einfach schön, sollte unbedingt auf der großen Leinwand genossen werden und ist für mich, der ich diese tragischen Männerfilme einfach nur liebe, eine echte Offenbarung.
#881
Geschrieben 10. August 2007, 08:58
Dead Silence (USA 2007)
Regie: James Wan
Auf der Türschwelle des jungen Ehepaars Ashen liegt eines Abends ein großes Paket ohne jeglichen Hinweis auf einen Absender, das zur großen Verwunderung eine Bauchrednerpuppe enthält. Während Ehemann Jamie das Haus Richtung China-Restaurant verlässt, wird seine schwangere Ehefrau brutal dahingemeuchelt. Jamie ist überzeugt, dass die Puppe etwas mit dem Tod seiner Frau zu tun hat und begibt sich in seinen Heimatort Raven's Fair, in dem man seit dem grausamen Lynchmord an einer Bauchrednerin ein sehr spezielles Verhältnis zu Puppen hat ...
Schon das Universal-Logo macht klar, wohin die Reise geht: SAW-Regisseur James Wan versucht sich am guten alten gothischen Universal-Horror der Dreißiger- und Vierzigerjahre und landet damit für mich einen echten, unerwarteten Volltreffer. Den typischen modernen Horrorfilm-Protagonisten verschlägt es an einen monochrom eingefärbten Ort voller gothic landscapes, an dem das Übersinnliche Bestandteil des Alltags ist, Beerdigungen auf hutzligen Friedhöfen in Wäldern voller verkrüppelter Bäume stattfinden und der Nebel so dick ist, dass man ihn sich mit dem Messer aufs Brot schmieren könnte. Doch Wan hat mit DEAD SILENCE keinen Retrofilm gedreht: Formal ist der Film eindeutig als Kind seiner Zeit zu identifizieren, wird mit der heute üblichen hohen Schnittfrequenz und digitalen Verfremdungseffekten gearbeitet und die Tonspur sehr effektiv genutzt. So ergibt sich für meinen Geschmack dann auch eine recht interessante ästhetische Verschiebung (ähnlich wie etwa in van Sants viel diskutiertem PSYCHO-Remake): Das Alte kollidiert heftig mit dem Neuen, eröffnet spannende Perspektiven und Verzerrungen. Protagonist Jamie Ashen wirkt stets wie im falschen Film, der in den alten Klassikern schon offensichtliche Parallelwelt-Charakter der gothischen Schauerwelt wird gleich noch einmal potenziert. In erster Linie ist DEAD SILENCE für mich aber ein sehr gut gelungener, aus der von Psychokillern und Kreischblondinen dominierten Horrorgegenwart sich wohltuend hervorhebender Horrorfilm geworden, der das immer wieder gruselintensive Puppenthema voll ausreizt und einige wirklich schaurige Momente zu bieten hat, und sich nicht für zu wichtig macht. Auch depperten Humor hat sich Wan dankenswerterweise geklemmt: DEAD SILENCE ist bierernst, wie es sich für einen solchen Grusler gehört und hat endlich mal eine Schlusspointe, die nicht den ganzen vorigen Film in Misskredit stellt.
Hier gibt's übrigens das Podcast zum Film.
#882
Geschrieben 10. August 2007, 09:14
I'm a Cyborg, but that's OK (Südkorea 2006)
Regie: Park Chan-Wook
Young-goon stammt aus einer Familie mit Hang zur Schizophrenie und hält sich für einen Cyborg. In der Heilanstalt, in der sie einquartiert wird, fällt sie mit dieser Wahnvorstellung unter lauter anderen Verrückten kaum auf, wohl aber damit, dass sie sich weigert, Nahrung zu sich zu nehmen, weil sie glaubt, es reiche aus, an Batterien zu lutschen. Young-goon wird immer schwächer, die Ärzte sind hilflos, doch zum Glück nimmt sich der Kleptomane Il-sun ihrer an. Zwischen den beiden entspinnt sich eine zarte Liebesbande ...
Dass ausgerechnet der von mir sehr geschätzte Park Chan-Wook mir die erste handfeste Enttäuschung des Festivals bescheren würde, hatte ich beim besten Willen nicht erwartet – was dann wohl auch einer der Gründe dafür ist, dass ich den Film reichlich entnervt und beinahe wütend verlassen habe. An seinem Ausflug in die Gefilde der romantischen Komödie hat für mich rein gar nix funktioniert: Die Charaktere waren mir viel zu verschroben, um mich für ihre Liebesgeschichte zu interessieren, der ganze Film insgesamt zu episodisch, um mich über die gesamte Laufzeit zu fesseln. Im letzten Drittel läuft der Film mit seinen unzähligen Widerholungen dramaturgisch völlig ins Leere, überspannt den Bogen dessen, was man an skurrilen Einfällen ertragen kann, um Längen und wurde für mich somit zur nervtötenden Tortur, deren Ende ich entegegen gefiebert habe, um der Schmach zu entgehen, ihn vorzeitig verlassen zu müssen. Vielleicht muss ich den Film nochmal unter anderen Voraussetzungen anschauen, denn eigentlich möchte ich fast selbst nicht glauben, dass I'M A CYBORG, BUT THAT'S OK so langweilig ist, wie ich ihn gestern empfunden habe – ich glaube, ich war im ganzen Kino auch der Einzige mit dieser Meinung. Nach dem gestrigen Sichtungsfiasko steht mir danach aber überhaupt nicht der Sinn. Ich hoffe, Park Chan-Wook begibt sich mit seinem nächsten Film wieder auf gewohnteres Terrain, da hat er mich bisher mit jedem Film überzeugt. Den überdeutlichen Ton meiner Rezension möge man mir verzeihen, das Erlebnis ist noch zu frisch, um distanziert darüber zu berichten ...
#883
Geschrieben 10. August 2007, 10:00
The Ferryman (Neuseeland/Großbritannien 2007)
Regie: Chris Graham
Elend langweilige, mies inszenierte, schlecht gescriptete und trotz der klischeehaften Story komplett inkohärente und konfuse Scheiße, die zwei Fragen aufwirft: Erstens: Schauen sich Erstlingsregisseure ihre Film nach Fertigstellung eigentlich nochmal an oder wollen sie dann selbst nix mehr damit zu tun haben? Und wenn doch, finden sie den Mist, den sie da produziert haben, gut? Zweitens: Warum hat Shakespeare-Mime John Rhys-Davies nach den Achtzigern, als er sich seinen mit Filmen wie der INDIANA JONES-Reihe erworbenen guten Ruf immer wieder mit B-Film-Schrott wie IM SCHATTEN DES KILIMANDSCHARO ruiniert hat, nix dazugelernt? Im ganzen Film gab es eine herrausstechende Szene: Die, in der der gestaltwandelnde Geist des Ferryman im blutüberströmten Körper der geilen Schlampe vor deren sterbendem Exfreund anfängt, zu masturbieren. Das war zwar reichlich chauvinistisch, ekelhaft und dumm, aber wenigstens irgendwie anders. Ansonsten so mies, dass es noch nicht mal lustig war.
#884
Geschrieben 11. August 2007, 08:36
Fido (USA 2006)
Regie: Andrew Currie
Nach den verheerenden Zombie Wars bringt ein Wissenschaftler die Rettung für die in abgeschotteten Enklaven lebenden Menschen: ein Halsband, mit dem jeder Zombie zum friedlichen Schoßhündchen wird. Menschen halten sich Zombies fortan als Hausdiener und Sklaven, Verstorbene erhalten "Kopfbegräbnisse", um nicht wiederzukehren und die Firma Zomcon wird für ihre Verdienste beinahe kultisch verehrt. Alles könnte so schön und freidlich sein, bis, ja bis auch die Famile Henderson (Carrie-Ann Moss, Dylan Baker und K'Sun Ray) sich einen Zombie zulegen muss: Denn obwohl der Papa panische Angst vor diesen hat, möchte man vor dem neuen Nachbarn, Kriegsheld und Zomcon-Sicherheitschef Bottoms doch nicht wie ein Außenseiter dastehen. Die Probleme eskalieren als der einzelgängerische Sohnemann Timmy sich mit dem stillen neuen Familienmitglied anfreundet ...
Currie siedelt seine Zombie-Satire nach den Geschehnissen aus Romeros NOTLD an, spart die ganz große Apokalypse aus DAWN aus, variiert die Ereignisse um den Zombie Bub aus DAY und präsentiert so den Zombie Film to end all Zombie Films. Die Erkenntnis aus FIDO: Auch Zombies sind nur Menschen, die lieb gehabt werden wollen und dann zu vollwertigen Familienmitgliedern werden können. Currie präsentiert seine Komödie über Spießertum und Rassismus als PLEASANTVILLE-Lookalike und trifft nicht nur mit dem schier genialen, an Propagandaspots aus den Fifties erinnernden Intro voll ins Schwarze. Mehr noch als Romero mit LAND inszeniert er die Zombies als geschundene Kreaturen, denen er die Würde zurückgibt. FIDO begeistert als Ausstattungsfilm (es gibt sogar eine Zombie-Wars-Bettdecke), als schwarze Komödie (die Darstellerleistungen sind famos!), als Gesellschaftssatire (die spießigen Fünfziger erwachen hier zu schrecklich oberflächlichem Leben) und als intelligenter Zombiefilm, in dem durchaus auch das Blut spritzen darf. Der Humor ist dabei so bitterböse, dass einem mehr als einmal das Lachen im Halse stecken bleibt, die Prämisse wird niemals für billige Zoten ausgeschlachtet. Nachdem Romero mit LAND seinen eigenen Zombiemythos zwar recht konsequent aber auch etwas vorhersehbar fortgeführt hat, verlangt Currie dem Ganzen noch einmal etwas Neues ab, denkt die Erkenntnisse aus der originären Zombie-Serie konsequent zu Ende und liefert mit Fido einen Zombie, der nicht nur als Sympathie-, sondern gar als Hauptfigur fungiert und mit wortkargem Witz brilliert. Unbedingt sehenswert, allein schon für die toll aufspielende Besetzung, der man den Spaß an der Sache absolut ansieht. Wunderbar!
#885
Geschrieben 11. August 2007, 08:51
The Restless (Südkorea 2007)
Regie: Cho Dong-oh
Der staatlich geprüfte demon slayer und Vollblutkämpfer Yi Gwak, der einst den Tod seiner Geliebten verschuldete, gerät durch einen Unfall in das Himmelreich Midheaven, in dem die Toten sozusagen in der Warteschleife vor dem Einzug in den Himmel ausharren. Dort trifft er dann auch den Geist der großen Liebe wieder, die allerdings – wie alle Geister – keine Erinnerung mehr an ihr vorheriges Leben hat, ihm aber erzählt, dass Midheaven in Gefahr ist. Dämonische Truppen wollen die Macht ergreifen, den Geistern den Weg in den Himmel ein für allemal versperren und damit in letzter Konsequenz jegliches menschliche Leben vernichten (weil dieses ja auf der Möglichkeit der Wiedergeburt beruht). Yi Gwak stellt sich den wilden Horden und sucht so, auch seine Liebe zurückzuerobern ...
Sieh an, sieh an: Die Bilder im Programmheft ließen eher ein B-Picture erwarten, doch THE RESTLESS trumpft als bildgewaltiges und fett produziertes Epos mit reichlich gigantomanischen CGIs auf, das allerdings wie fast alle Vertreter dieses Genres äußerst ausschweifend und umständlich erzählt ist und westlichen Sehgewohnheiten und daran gekoppelten Ansprüchen an Erzählökonomie eine herbe Abfuhr erteilt. Ich konnte schon relativ früh nicht mehr folgen, habe in den langen Dialogpassagen den Faden verloren und mich so ganz auf die Bilderpracht und den Bombast konzentriert, die Cho Dong-oh hier auffährt. Wer so etwas mag, der wird auch mit THE RESTLESS, der seinen Helden im größenwahnsinnigen Finale allein gegen eine ganze Tausendschaft von Dämonen antreten (und gewinnen) lässt und ansonsten viel in romantischer Verklärung und Liebeschmerz schwelgt, seine Freude haben. Alle anderen suchen das Weite. Kein Meisterwerk, aber innerhalb seines Genres als überdurchschnittlich anzusehen.
#886
Geschrieben 11. August 2007, 09:20
Mushishi (Japan 2006)
Regie: Katsuhiro Otomo
Mushi sind amorphe Naturgeistwesen, die für die meisten Menschen unsichtbar sind, sie aber dann und wann befallen können und ihn mit Taubheit, Blindheit oder Schlimmerem, je nachdem um welchen Mushi es sich handelt, plagen. Ginko ist ein Mushishi, ein Geisterseher, der durchs Land zieht und Menschen von diesen Leiden befreit. Seine Vergangenheit hat er vergessen als er ein Mushi wurde: Nachdem seine Mutter bei einem Erdrutsch ums Leben kam, wurde er von dem weiblichen Mushishi Nui gesund gepflegt und erhielt von ihr schließlich die Gabe, die insektenhaften Geister sehen zu können. Auf der Suche nach einer Heilung für seine gute Freundin Tanyu, die an einem besonders hartnäckigen Fall von Geisterbefall leidet, muss er schließlich die Spuren seiner Vergangenheit aufnehmen und so Nui wiederfinden ...
AKIRA-Regisseur Otomos Mangaverfilmung ist für mich schon jetzt eines der Highlights des Festivals, ein einzigartiges und unvergleichliches sinnliches Erlebnis und von einer solch stoischen, in sich ruhenden Schönheit, dass es unmöglich scheint, das auch nur annähernd in Worte zu fassen. Sein Film entzieht sich gängigen Erzählkonventionen, plätschert unendlich langsam, aber dennoch stetig und niemals langweilig vor sich hin wie ein säuselnder Gebirgsbach und erscheint als das filmische Äquivalent zur Pilgerwanderung oder zur Meditation. In wunderschönen Bildern fängt Otomo die rauen und urwüchsigen Berg- und Waldlanschaften Japans ein, verkneift sich jegliche computerunterstützte Stilisierung (mit Ausnahem der äußerst einfach und zweckmäßig animerten Mushi) und wirkt dadurch dennoch ekstatischer und hypnotischer als alles, was sonst gern mit diesem Stempel versehen wird. MUSHISHI entwickelt in seiner Ruhe, der Selbstverständlichkeit, mit der er sich präsentiert und seine Geschichte erzählt, einen Flow, der mich gestern in einen Zustand absoluter Entspannung versetzt hat, den ich nur selten im Kino erlebe. Ich hätte Otomos mehr als zweistündigem Film auch noch weitere zwei bis drei Stunden zusehen können, weil Zeit plötzlich überhaupt keine Rolle mehr zu spielen schien, völlig nebensächlich wurde. Auch Otomo scheint es schwergefallen zu sein, sich von seinem Film loszureißen: MUSHISHI hört einfach irgendwann auf, als hätte man dem Regisseur nach Ablauf eines Zeitlimits die Kamera weggenommen. Mag sein, dass MUSHISHI für manchen wahnsinnig langweilig, unverständlich und witzlos ist: Für mich ist er eines der schönsten Kinoerlebnisse überhaupt gewesen, ein Film wie man ihn wohl kein zweites Mal zu Gesicht bekommen wird.
#887
Geschrieben 11. August 2007, 10:07
Hallam Foe – This is my Story (Großbritannien 2007)
Regie: David Mackenzie
Der siebzehnjährige Schotte Hallam Foe (Jamie Bell) ist ein Sonderling. Seit dem angeblichen Freitod seiner Mutter verkriecht er sich in seinem Baumhaus mit dem übergroßen Porträt der geliebten Mama und schmiedet Rachepläne gegen die junge Stiefmutter (Claire Forlani hat offensichtlich einen hübschen Koks-Abusus kultiviert), die er für intrigant und geldgeil und außerdem für nicht ganz nschuldig am Tod der Mutter hält. Der Rückzug aus menschlicher Gemeinschaft in die von Erinnerungen gespeiste Traumwelt legt bei Hallam noch andere Gewohnheiten frei: Er entwickelt sich zum Peeping Tom. Nicht, weil er daraus sexuelle Befriedigung zieht, sondern weil er sich den mesnchen einfach nicht mehr anders nähern kann. Nach einem sexuellen Intermezzo mit der Stiefmutter flüchtet er in die Großstadt und entdeckt da das gespcukte Ebenbild der Mutter, eine Hotel-Personalchefin, der er fortan hinterher steigt ...
HALLAM FOE ist ein recht klassischer Coming-of-Age-Film, der den Zuschauer lange Zeit rätseln lässt: Ist Hallam lediglich ein durch den Tod der Mutter etwas verstörter, normaler Teenager oder nicht vielleicht doch schon ein gefährlicher Psychopath? Aus dieser Ungewissheit bezieht Mackenzie sehr viel Spannung, lässt seinen Film immer wieder von sehr schönen harmonischen Momenten, die für erstere These sprechen, in abgründige Stimmung umkippen, in denen Hallam nicht weit davon entfernt scheint, einen Mord zu begehen. Wie der Film schließlich aufgelöst wird, möchte ich hier nicht verraten, wohl aber festhalten, dass HALLAM FOE – THIS IS MY STORY trotz des wie gesagt keinesfalls ungewöhnlichen Themas ein sehr origineller Film geworden ist, der einen grandios aufspielenden Jamie Bell vorzuweisen hat, viel Witz, tolle Aufnahmen aus dem pittoreken Glasgow und eine Auflösung, die tatsächlich bis zur letzten Sekunde unvorhersehbar bleibt und dennoch glaubwürdig und konsequent ist. Eher ein leiser Film, nicht unbedingt das, was man sich auf dem FFF ansieht oder erwartet (zu Unrecht!), aber dennoch ein Film, der beispielhaft für das bisher fast durchgehend hohe Niveau ist. Schön!
#888
Geschrieben 11. August 2007, 10:32
La Antena (Argentinien 2007)
Regie: Esteban Sapir
Oh weh, für mich scheinen sich ausgerechnet die vermeintlich sicheren Nummern dieses Jahr zu echten Fiaskos auszuweiten. Der Eröffnungsfilm, der mir bisher meist zumindest reueloses Vergnügen bereitete, war für mich dieses Jahr mit BLACK SHEEP äußerst mäßig ausgefallen, Park Chan-Wooks Neuer hat mir ebenfalls gar nix gegeben und das so genannte Centerpiece LA ANTENA hat mich dann dieses Jahr zum ersten Mal dazu veranlasst, das Kino vorzeitig, nach ca. 20 bis 30 Minuten, zu verlassen. Ich gebe zu, nicht wirklich Lust auf einen Stummfilm gehabt zu haben. Nicht, weil ich damit generell nix anfangen könnte, sondern weil ich zu diesem Zeitpunkt eher etwas Leichteres gebraucht hätte. So habe ich von Beginn an den Einstieg in den Film verpasst, auch die Selbstermahnung zu mehr Disziplin wollte nicht fruchten. Dennoch lag es nicht nur an meiner persönlichen Befindlichkeit: Ich fand LA ANTENA schrecklich prätentiös, unerträglich theatralisch und dabei – soweit ich das anhand dessen, was ich gesehen habe, beurteilen kann – inhaltlich schrecklich banal und unangenehm moralisch-belehrend. Nun gut, man mag entgegnen, dass zumindest die ersten beiden Kritikpunkte durch das Format des Films bedingt sind, aber daran hat es nicht gelegen. LA ANTENA erschien mir beinahe wie ein Kinderfilm mit seiner sehr durchschaubaren Metaphorik und den niedlichen Pappmaché-Bauten, für den der immense technische und erzählerische Aufwand irgendwie einfach zu viel des Guten war. Den Versuch Sapirs finde ich auf jeden Fall lobenswert, ebenso den Mut der FFF-Veranstalter, solch einen schwierigen Film auf den wohl attraktivsten Slot zu legen und als Centerpiece anzupreisen. Das ist mit einem ausverkauften Kino (immerhin 700 Nasen) belohnt, allerdings auch mit höhnischen Zwischenrufen und einigen vorzeitigen Fluchten quittiert worden. Ich habe mir stattdessen eine türkische Pizza schmecken lassen, für mich absolut die richtige Entscheidung. LA ANTENA: Definitiv kein Film für den Funkhundd.
#889
Geschrieben 11. August 2007, 10:43
The Gravedancers (USA 2007)
Regie: Mike Mendez
Drei befreundete Ex-Studenten verabschieden sich auf dem Friedhof nachts mit Schampus und Schnappes von ihrem verstorbenen Freund und finden eine seltsame Karte auf dessen Grab, die zur Lebenslust und dem Tanz auf dem Grab mahnt. Begeistert legen die Drei eine flotte Sohle auf den heiligen Humus und werden fortan von bösen Geistern heimgesucht. Die Konsultation eines Parapsychologen (Tcheky Karyo) führt zu der Erkenntnis, dass man sich ausgerechnet die Gräber der Psychopathen-Sektion des Friedhofs für den Totentanz ausgesucht hat. Und die so in ihrer Ruhe gestörten Psychos wollen jetzt blutige Rache ...
Juchuuuh! Genre-Fuzzi Mike Mendez sorgt für die erste richtige Trashgranate des Festivals und beweist endgültig, das alle einst in ihn gesetzten Hoffnungen unberechtigt waren. THE GRAVEDANCERS ist vor allem erzählerisch äußerst minderbemittelt. Die Dialoge sind zum Schreien, die Motivationen der Charaktere erinnern an die einer Stubenfliege – ohne Umwege von einem Scheißhaufen zum nächsten und auf dem Weg möglichst viele Leute nerven –, die Darsteller sind unsympathisch wie nur was. Dass das Ganze dennoch einen Heidenspaß gemacht hat, liegt eben genau daran, an den ein, zwei dann doch einigermaßen gelungenen Gruselszenen und an der Tatsache, dass man hier statt des üblichen Splatter-Boheis mal wieder einen seltenen Vertreter des B-Spukfilms vor die Augen bekommt. Ein Film, den man sich auf dem FFF wunderbar ansehen kann, aber unter anderen Umständen wohl besser meidet. Mir macht sowas jedenfalls hundertmal mehr Spaß als ein auf ultrakomisch getrimmter kalkulierter Funsplatter-Scheiß wie – ich wiederhole mich, ich weiß – BLACK SHEEP.
Hier gibt's den Podcast zum Film.
#890
Geschrieben 12. August 2007, 08:22
The Banquet (China 2006)
Regie: Feng Xiaogang
Hier könnte ich wunderbar nochmal meine CURSE OF THE GOLDEN FLOWER-Kritik aus dem Frühjahr posten, denn THE BANQUET teilt seine Stärken mit diesem ebenso wie seine Schwächen. Das heißt, dass Xiaogangs Film wunderschön anzuschauen ist, aber inhaltlich so dermaßen unoriginell, dass meine Aufmerksamkeit nach ca. einer Stunde reichlich erschöpft war: Zu diesem Zeitpunkt war er aber noch nicht einmal halb vorbei. THE BANQUET ist purer Anachronismus, gehört einer filmischen Tradition an, die im Kino der westlichen Hemisphäre seit gut 40 bis 50 Jahren ausgestorben ist und eigentlich nur noch in Asien aufrechterhalten wird: dem Kostüm- und Monumentalfilm. THE BANQUET erzählt in geschliffen komponierten Bildern von Intrigen am kaiserlichen Palast und verweigert sich dabei jeglicher moderner narrativer Elemente. Das verleitet manchen vielleicht dazu, die Style-over-Substance-Keule auszupacken (gell, Elektro? ), doch dieser Vorwurf trifft meines Erachtens nicht: Die edle visuelle Gestaltung und Ausstattung folgt sehr logisch der Diegese des Films. Außerdem frage ich mich immer, wenn diese Kritik geübt wird, ob einfache Erzählfilme nicht gut aussehen dürfen. Das ändert letztlich aber nix daran, dass auch ich mich bei THE BANQUET königlich gelangweilt habe. Letztlich würde ich Yimous Film doch vorziehen, auch wenn mir THE BANQUET mit seinem etwas bodenständigeren und erdigeren Look visuell fast ein wenig besser gefallen hat. Xiaogang hat außerdem eine Rückansicht der nackerten Zhang Ziyi zu bieten, ist aber letztlich einfach zu lahm und letztlich theaterhafter als der CURSE OF THE GOLDEN FLOWER. Kein schlechter Film, aber insgesamt doch arg altmodisch.
#891
Geschrieben 12. August 2007, 08:34
Fritt vilt (Norwegen 2006)
Regie: Roar Uthaug
Fünf Twens – zwei Pärchen, ein Single – fahren zum Snowboarden in die Berge. Bald schon liegt der Single schreiend und mit offenem Beinbruch im Schnee. Gottseidank gibt's um die nächste Schneewehe ein verlassenes Hotel, in dem man sogleich mal vergisst, dass man sich eigentlich auf den Weg machen sollte, um Hilfe zu holen. Stattdessen frönt man zweifelhafter Erster-Hilfe-Kenntnisse und dem vorhandenen Alkohol und unser Opfer ist bald wieder topfit. Wenn man gerade anfängt zu denken, dass das jetzt aber ganz schön dumm und scheißelangweilig ist, kommt ein komischer Killer und hackt alle mit der Spitzhacke zu Klump, was unwesentlich aufregender ist. Am Ende verliert der Killer seine Maske, was nur bedingt ein Clou ist, weil außer den verhackstückten Protagonisten nur zwei weitere mögliche Figuren in Frage kamen. Trotzdem gut, denn damit ist der Film endlich vorbei ...
Manche Regisseure scheinen überzeugt zu sein, dass die Tatsache der bloßen Existenz ihres Film schon ausreicht, um die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. FRITT VILT gönnt sich den Luxus, eine dämliche Geschichte ohne jegliche eigene Idee so zu erzählen als wäre sie die Neuerfindung des Rades. Gähnende Langeweile macht sich breit, die vom Programmheft hervorgehobenen Stärken ("... lässt sich Zeit für seine Charaktere ...") sollte man, wenn man bei der Wahrheit bleiben möchte, lieber als Schwäche begreifen. FRITT VILT braucht ewig, um aus den Puschen zu kommen, hat aber rein gar nix aufzuweisen, was das rechtfertigen könnte. Elende Zeitverschwendung.
#892
Geschrieben 12. August 2007, 08:50
Stuck (USA 2007)
Regie: Stuart Gordon
Die Altenpflegerin Brandi (Mena Suvari) hat eben erfahren, dass sie befördert werden soll (was nur ein Trick ihrer Arbeitgeberin ist) und geht daher erstmal ordentlich feiern. Besoffen, bedrogt und telefonierend fährt sie später Tom Bardo (Stephen Rea) über den Haufen. Der hat seinen Job, seine Frau und seine Bleibe verloren und zieht nun als Penner durch die Straßen, wo er dann zur Krönung seines Tages von Brandi überfahren wird und in ihrer Windschutzscheibe steckenbleibt. Brandi will natürlich nicht ihren Job verlieren und flüchtet mit der vermeintlichen Leiche auf der Motorhaube nach Hause, wo sie feststellt, dass der Mann mitnichten Tod ist. Sie schließt das Garagentor und hofft, dass sich das Problem von selbst löst. Doch diesen Gefallen tut ihr Tom nicht ...
STUCK ist keinesfalls die schwarze Splatterkomödie, als die der FFF-Katalog ihn anpreist, sondern eine in Wahrheit erschreckend realistische Sozialstudie mit "Was würdest du tun?"-Charakter. Schonungslos deckt Stuart Gordon den bedingungslosen Egoismus einer sozial völlig erkalteten Gesellschaft auf, in der keiner bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, noch nicht einmal für die eigenen Taten. So bleibt Tom nichts anderes übrig als sich selbst zu helfen, was dann erst im letzten Drittel einige blutige Eskapaden und humorige Überspitzungen nach sich zieht. Das Lachen, das sich da den Weg im Kinosaal bahnte, zeugt aber eher von der Angst des Zuschauers, der nicht weiß, ob er nicht genauso rücksichtslos wie Brandi handeln würde oder aber zumindest selbst Opfer solchen Egoismus' werden könnte, weniger von der Lustigkeit von Gordons Film. Es mag alles sehr übertrieben aussehen, aber ich bin mir sicher, es könnte sich genauso tatsächlich abspielen – das zu erkennen, hätte es noch nicht einmal die "Based on true events"-Einblendung gebraucht. STUCK ist nach KING OF THE ANTS zwar wieder etwas gemäßigter, aber inhaltlich kein Stück weniger schockierend. Ein großer kleiner Film, brillant gescriptet und toll gespielt.
Hier gibt's den Podcast zum Film.
#893
Geschrieben 12. August 2007, 09:08
All the Boys love Mandy Lane (USA 2006)
Regie: Jonathan Levine
Alle Jungs lieben Mandy Lane, bringen sich auch schon mal selbst um, nur um die Aufmerksamkeit der blonden Schönheit zu erhaschen. Mandy aber scheint gar nicht so interessiert, gibt sich relativ unnahbar und reagiert sehr zurückhaltend auf das männliche Imponiergehabe. Da fühlt sich dann mancher unsterblich Verliebte vor den Kopf gestoßen und so kommt es dann auch bei einer Highschool-Abschluss-Party auf einer einsamen Farm irgendwo im Nirgendwo zum blutigen Abschlachten ...
Die Inhaltsangabe schreit ebenso laut "Slasher!" wie einige Stimmen im Netz und führen den so gepolten Zuschauer, der bereit ist, sich auf den Film einzulassen, mächtig an der Nase herum. MANDY LANE ist weder Slasher noch überhaupt ein Horrorfilm, sondern – um Freund djmacbest mal aufzugreifen – eher Coming-of-Age-turned-Serienkiller-Film. Eine wunderbar melancholische Stimmung liegt, unterstützt vom feinen Soundtrack und dem ausgeblichenen Look, über MANDY LANE, der sich zunächst sehr ausführlich der originellen Figurenkonstellation um Ingroups und Outgroups widmet. Im Mittelteil scheint er dann jedoch hinter seinen eigenen Anspruch zurückzufallen, wenn das bekannte Zehn-kleine-Negerlein-Spielchen abgespult wird, ohne auch nur einen Funken Spannung daraus zu ziehen. Der Killer enttarnt sich ganz unspektakulär schon beim zweiten Mord selbst, die Morde an sich gehen höchst pragmatisch und ohne grotesken Aderlass vonstatten und man ist schon geneigt, sich ein bisschen veräppelt zu fühlen. Doch dann biegt MANDY LANE auf die Zielgerade ein und konfrontiert den Zuschauer mit einem wunderbaren Twist, der den gesamten vorherigen Film verändert. MANDY LANE muss wahrscheinlich ähnlich wie Ajas HAUTE TENSION wenigstens zweimal gesehen werden, um komplett durchschaut werden zu können, wirkt aber in sich wesentlich schlüssiger und runder als der Franzos'. Unerwarteterweise kein hohles Genrefilmchen, sondern ein sehr origineller Film, der sich gängiger Schubladisierung verweigert und für mich immer noch nachwirkt.
#894
Geschrieben 12. August 2007, 09:44
The Signal (USA 2007)
Regie: David Bruckner, Dan Bush, Jacob Gentry
Fernseher, Telefone und Radios sind ausgefallen und übermitteln nun ein merkwürdiges Störgeräusch und -bild, das "Signal", das seine Betrachter und Zuhörer nach einiger Zeit in eine Psychose stürzt, die sie zu agressiven Mördern macht. In diesem Szenario finden sich Mya (Anessa Ramsey), ihr Mann Lewis (AJ Bowen) und ihr Liebhaber Ben (Justin Welborn) wieder: Sie kehrt gerade vom Liebesspiel mit Letzterem zurück zu ihrem Gatten, der sich unvermittelt in einen Mörder verwandelt. Es gelingt ihr die Flucht zu ergreifen, um sie herum versinkt die Welt im Chaos. Die beiden Männer machen sich ihrerseits auf die Suche nach der geliebten Frau ...
THE SIGNAL ist auf Mini-DV gedreht und in drei voneinander strikt getrennte Episoden gegliedert, die jeweils von einem anderen Regisseur inszeniert wurden. Episode eins, CRAZY IN LOVE betitelt, widmet sich Mya, ist das somatischste und aggressivste der drei Segmente. Teil zwei, THE JEALOUSY MONSTER, versetzt den Zuschauer in die Perspektive des gestörten Ehemanns Lewis, der auf der Suche nach seiner Frau in eine Wohnung platzt, in der eigentlich eine Silvesterparty steigen sollte, sich nun aber stattdessen die Leichen stapeln. Dieses Segment bedient sich eines eher kammerspielartigen, schwarzhumorigen Ansatzes. Teil drei letztlich, ESCAPE FROM TERMINUS, macht den Liebhaber Ben zur zentralen Figur, ist am konventionellsten erzählt und führt die Geschichte zu einem wenig Hoffnung machenden Ende. Was THE SIGNAL ganz abgesehen von seiner spannenden formalen Gestaltung für mich zu den ganz großen Highlights des diejährigen Festivals macht, ist vor allem die Vision einer "Seuche", bei der die Befallenen nicht wie im Zombiegenre zu mehr oder weniger hilflos ausgelieferten Monstren mutieren, sondern immer noch Mensch bleiben. Befallene und Normale unterscheiden sich äußerlich überhaupt nicht voneinander, ja, die durch das Signal ausgelöste Störung lässt den Betroffenen gar im Glauben, völlig normal zu sein. Das führt in letzter Konsequenz dazu, dass es völlig irrelevant ist, wer nun tatsächlich verrückt ist und wer nicht: Die Grenzen sind nicht klar gezogen, auch den "Normalen" bleibt keine andere Wahl, als rücksichtslos zu morden, wollen sie überleben. Jeder fällt über jeden her, weil sich hinter jedem das Monster verbergen könnte – Fehlschlüsse sind dabei längst nicht die Ausnahme. Meiner Meinung nach ist mit den Symptomen, die das Signal auslöst, der perfide Gipfel des Seuchengenres erreicht, gemeiner und erschütterndern wird es nicht mehr kommen. THE SIGNAL ist ganz abgesehen davon, dass er schon durch seine Struktur niemals langweilig wird, auch sonst ungemein spannend, kaum ausrechenbar, tief verstörend und hoch intelligent. Bemerkenswert ist die herausragende Besetzung, vor der sich jeder All-Star-Cast verbeugen dürfte. Wie die ambivalenten und komplexen Charaktere von jedem einzelnen mit Leben gefüllt werden, ist absolut beispielhaft und katapultiert THE SIGNAL erst in ungeahnte Höhen. In seiner Bedeutung ganz bestimmt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Romeros Zombizyklus anzusiedeln, formal absolut bestechend. Von den Regisseuren wird man noch hören, ganz gewiss ... Anmerkung zum Schluss: Auf dem FFF lief der Film zum letzten Mal mit seinem originären Score, aufgrund von Problemen mit Musikrechten wird THE SIGNAL neu vertont.
#895
Geschrieben 12. August 2007, 09:52
End of the Line (Kanada 2006)
Regie: Maurice Devereaux
Da jedes Wort zu diesem dilettantische Haufen Rotz zu viel ist, knicke ich mir mal die Synopse und komme gleich zum Punkt: Wenn ein Horrorfilm schon aussieht als habe man ihn mit dem Handy durch eine Milchglasscheibe gefilmt, kann man den Zuschauer mit noch so viel Blut vollschmeißen, es wird einfach nix. Filme wie dieser sind auf der zum Selbstkostenpreis produzierten DVD, die man im Freundeskreis herumreicht, ja noch in Ordnung, im Kino aber ein absolutes Ärgernis, das sich auch unter Trash-Aspekten nicht erschließen will. Ich habe nach dreißig Minuten lieber ein Nickerchen gemacht, um mich für den Podcast vorzubereiten, bin aber leider zehn Minuten vor Ende des Films wieder aufgewacht. Die Wertung von 6,9 auf der IMDb mit Kommentaren wie "genuinely scary" lassen einen recht großen und hilfsbereiten Freundeskreis Devereauxs vermuten. Der bisherige Tiefpunkt des Festivals, neben dem selbst ein FRITT VILT, ein FERRYMAN oder ein GRAVEDANCERS noch wie THE GODFATHER aussehen.
#896
Geschrieben 13. August 2007, 10:28
Storm Warning (Australien 2007)
Regie: Jamie Blanks
Ein Mittelklasse-Ehepaar gerät bei einem gemütlichen Angelausflug in die australische Küstenlandschaft in ein Unwetter und sucht Unterschlupf in einem heruntergekommenen Farmhaus, in dem ein herrischer Hinterwäldler-Papa mit seinen beiden Redneck-Söhnen unter anderem eine Cannabis-Plantage betreibt und demzufolge nicht so begeistert von dem unerwarteten Besuch ist. Es folgt trotz mehr als kosmetischer Variationen das, was man von einem Backwood-Film letztlich erwarten darf: Demütigung, Körperverletzungen und blutige Rache ...
Ich gestehe: Ich habe ein absolutes Faible für Backwood-Filme, glaube tatsächlich von mir behaupten zu können, noch keinen einzigen nicht gemocht zu haben (vielleicht habe ich diese spärlichen Ausnahmen aber auch nur verdrängt), sodass auch STORM WARNING bei mir offene Türen eingerannt hat. Aber verstehen wir uns nicht falsch: Jamie Blanks' (URBAN LEGENDS) Film ist wirklich exzellent, arbeitet mit einer sehr geschickten Figurenkonstellation, die die das Subgenre beherrschende Gender-Diskurse besonders klar hervortreten lässt, mit – ich sprach es schon an – einigen äußerst effektiven Variationen überrascht und dem Ganzen einige neue Aspekte abgewinnt. Nebenbei ist der Film sauspannend und äußerst unangenehm mit seiner sich stetig weiter drehenden aber erst sehr spät wirklich kulminierenden Gewaltspirale. Blanks gönnt dem Zuschauer erst im letzten Drittel eine Abfuhr der bis dahin konsequent aufgebauten Anspannung, dafür aber lässt er es dann doch mächtig krachen, mit der Folge, dass die zivilisierten Städter mit besonders schmutziger Weste und viel klebrigem Blut an den Fingern die Heimreise antreten dürfen. Der Film lief in einer Avid-Ausspielung, da der Film sich noch in der Post Production befindet und wohl erst 2008 offiziell zu sehen sein wird. Abstriche musste man bei der (dennoch mehr als nur akzeptablen) Bildqualität und beim noch nicht ganz fertig abgemischten Ton sowie dem noch nicht endgültigen Score machen. Das tat der Freude keinen Abbruch und so darf das FFF 2007 mit diesem Aussie-Beitrag zum Subgenre das zweite große Überraschungshighlight verbuchen.
Das (besonders ausführliche) Podcast zum Film gibt es hier zu hören.
#897
Geschrieben 13. August 2007, 10:56
Bug (USA 2006)
Regie: William Friedkin
Agnes (beeindruckend: Ashley Judd) lebt in einem Motel in der Wüste, verdingt sich als Kellnerin in einer Lesbenkneipe und fürchtet die Rückkehr ihres Ex-Mannes Jerry (Harry Connick jr.), dessen Haftentlassung unmittelbar bevorsteht. Gleichzeitig trauert sie immer noch über den Verlust ihres Kindes, das ihr einst buchstäblich aus dem Einkaufswagen gestohlen wurde. In diese angespannte Situation tritt der stoische Peter (Michael Shannon), ein eigenbrötlerischer Grübler, von dem Agnes schon sehr schnell sehr beeindruckt ist. Die folgende Beziehung zwischen der emotional völlig abhängigen Agnes und dem – wie sich herausstellt – sehr gefährlichen Paranoiker Peter treibt die beiden in seelische Abgründe, die in einem grotesken Finale gipfeln.
Das bestechende an Friedkins ungemein intensiven und schwer ertragbaren Psycho-Kammerspiel (BUG basiert auf einem Theaterstück) ist gerade, dass er mehr verhüllt als er zeigt, mit vielen Ellipsen arbeitet, die den Zuschauer dazu auffordern, den Schlüssel zum Verständnis der sich katastrophal entwickelnden Beziehung selbst zu bergen. Vor allem Agnes scheint doch mehr Geheimnisse zu haben als sich im Verlauf des Filmes offenbaren: Allzu bereitwillig nimmt sie die Wahnvorstellungen ihres neuen Beschützers an, der Film zeigt keinen langsamen Abstieg in den Wahn, sondern präsentiert letztlich Resultate. Doch auch Peter ist nicht einfach ein Irrer, der durch Zufall in Agnes bescheidenem Zimmer landet und dort seinen Verschwörungsfantasien über in den Körper implantierte, als Transmitter fungierende Käfer nachgeht und eine andere Person mitnimmt. Es ist erst das Aufeinandertreffen der beiden in ihren Dispositionen gefangenen Menschen, die schließlich zu dem Wahnsinn führt, den Friedkin dann – das ist der einzige Punkt, in dem ich maX folgen würde, allerdings mit anderer Bewertung – nur noch abbildet, anstatt ihn zu inszenieren. Agnes hat Recht, wenn sie in einem schwindelerregenden Monolog am Ende ihre eigene paranoide Interpretation der Welt, sehr zur Freude des sonst wortführenden Peters, offenlegt: Im Vollzug des geschlechtlichen Aktes haben die beiden erst die Käfferrasse gezeugt, die sie schließlich in den Tod treibt. Hier trägt Friedkins Film ganz offenkundig die Züge einer klasssischen Tragödie. BUG schockiert, weil er die Genese der psychischen Erkrankung eben nicht akribisch nachzeichnet, sondern lediglich eine Ahnung davon vermittelt, wie dieser Abstieg vonstatten geht. Die Erkenntnis offenbart sich eben gerade in seiner von Ellipsen und Brüchen gekennzeichneten Erzählung, die die gestörte Wahrnehmung seiner Protagonisten zu adaptieren scheint. Wer ist der anonyme Anrufer, der Agnes belästigt? Gibt es ihn wirklich? Wer ist der merkwürdige Arzt, der in ihrem Motelzimmer auftaucht und behauptet, Peter helfen zu wollen? Und was hat er mit Jerry zu tun? Und was ist tatsächlich mit Agnes' Kind geschehen?Auch kleinste Details verwirren: Woher kommt etwa die Pizza, die den beiden am Schluss geliefert wird und die diese sogleich zerpflücken, um sie unter dem Mikroskop nach Käfern zu untersuchen? Ein bizarrer Film, der eindeutig zu viel für das Festivalpublikum gewesen ist, wie man den empörten und verwirrten Reaktionen anhören konnte. Für mich jedoch ein Fetsivalhöhepunkt und eine Rückkehr Friedkins zu alter, kontroverser Stärke.
#898
Geschrieben 13. August 2007, 11:04
The Deaths of Ian Stone (Großbritannien/USA 2007)
Regie: Dario Piana
Ein junger Mann wird immer wieder ermordet, nur um in einem anderen Leben neu zu erwachen ...
Anstatt einer konsequenten Charakterentwicklung, die eine solche Geschichte eigentlich verlangt (siehe etwa GROUNDHOG DAY), bietet Regisseur Piana einen nervtötenden Deus ex Machina, der seinem Protagonisten und dem Zuschauer immer wieder in schwachbrüstigen Dialogpassagen erklärt, was der Plot sonst nicht offenbart. Und statt einem moralisch aufgeladenen Mystery-Thriller setzt es schwarzhaarige Frauen in Latexkostümen, sonnenbebrillte Agenten, die in der Matrix keinen Job bekommen haben und unsinnigen Fantasy-Kappes um "Harvester", die sich von "Fear" ernähren und ausgerechnet in dem begriffsstutzigen Ian Stone den Chosen One vermuten. Unerträglicher, geistig minderbemittelter Schmonzes und neben THE FERRYMAN bisher der absolute Tiefpunkt des Festivals.
#899
Geschrieben 14. August 2007, 02:15
Joshua (USA 2007)
Regie: George Ratliff
Das Ehepaar Caim (Sam Rockwell und Vera Farmiga) hatten schon mit ihrem ersten Baby Joshua arge Probleme: Vor allem die Mutter wurde vom unentwegten Geschrei fast in den Wahnsinn getrieben. Jetzt hat sich Joshua zum hochbegabten Kind entwickelt und hat ein Schwesterchen bekommen, dass allerdings sofort wieder zum Problemfall wird. Außerdem beginnt sich der Sohn mehr als merkwürdig zu verhalten. Die Lage im Hause Caim spitzt sich so weit zu, dass die Mutter schließlich mit einem Nervenzusammenbruch in eine Heilanstalt eingewiesen werden muss. Doch das ist noch harmlos im Vergleich zu dem, was passiert, als der Vater mit seinen beiden Sprösslingen allein das Haus hüten muss ...
Böse Kinder im Film sind entweder mit dem Teufel im Bunde oder haben einen verdammt schlechten menschlichen Einfluss. Was das Problem von Joshua ist, verrät Ratliff bis zum Schluss nicht, bietet aber diverse Deutungsmöglichkeiten: Ist es einfach der Neid des Erstgeborenen gegenüber der kleinen Schwester? Oder ist das Bilderbuch-Elternpärchen vielleicht doch nicht so makellos? Gerade für letztere These spricht Einiges: Dem Papa gelingt es nie eine echte liebevolle Bindung zu seinem Sohn herzustellen. Mit verschränkten Armen steht er vor Joshua, bemüht sich zwar stets der gute Kumpel zu sein, aber eben nicht mehr. Er verspürt sichtbar Unbehagen vor dem Musterknaben, der ihm in vielerlei Hinsicht überlegen scheint. Die Mutter ist ein nervliches Wrack, bricht bei jedem Anzeichen von Stress zusammen und kommt mit ihren Kindern fast gar nicht zurecht. So ist JOSHUA über weite Strecken ein reiner Familienhorrorfilm, der relativ schonungslos aufdeckt, was bei der Kindererziehung und der Ehe generell so alles daneben gehen kann. JOSHUA überzeugt aber dennoch nicht. Zum einen überspannt er in der Darstellung der sich zuspitzenden Situation reichlich den Bogen und vor allem Vera Farmiga ist mit ihren ständigen Heulkrämpfen kaum zu ertragen. Zum anderen, weil sich Joshua am Ende schlicht und einfach als das genuin intrigante, bösartige Kind entpuppt, das seine Eltern mit einem perfiden Plan gegeneinander ausspielt. Das ist legitim, führt den narrativen Aufwand der vorherigen 100 Minuten aber ziemlich ad absurdum. Formal hingegen gibt es nichts auszusetzen: JOSHUA sieht sehr edel aus, erinnert in seinen Settings ein bisschen an Glazers BIRTH und jagt mit seinem unterkühlten Klavierscore regelmäßig eine Gänsehaut über den Rücken – vor allem, wenn sich das Titelthema in einer Szene als diegetisch entpuppt: Da sitzt der geschniegelte kleine Wunderknabe am Klavier und begleitet den Film von eigener Hand. Brrr ...
#900
Geschrieben 14. August 2007, 02:35
Unrest (USA 2006)
Regie: Jason Todd Ipson
Ein paar junge Doktoranden dürfen sich zum ersten Mal an der Sezierung von Leichen versuchen. Alison kommt damit nicht so gut zurecht: Es gelingt ihr nicht, in der jungen Frau vor sich nur einen leblosen Körper zu sehen, vielmehr beginnt sie sich für den Menschen zu interessieren, der solche furchtbaren Narben im Gesicht trägt. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Leiche und schon bald geschehen tatsächlich merkwürdige Dinge ...
Dieser Film, der wie Mendez' THE GRAVEDANCERS Bestandteil einer für das Fernsehen produzierten Horror-Spielfilmserie ist, nutzt das Potenzial seines unheimlichen Handlungsortes nur in den ersten zwanzig Minuten aus. Da gibt es einige eklige Obduktionsszenen, spürt man hier und da den kalten Hauch des Todes durch die aseptischen Flure wehen. Wenn die Story dann so langsam in Gang kommt, ist aber alles aus. Das große Problem von UNREST: Der Film zeigt wirklich gar nichts. Der Spuk (UNREST ist eine recht herkömmliche Geschichte um Geister und Besessenheit) manifestiert sich niemals, die Morde passieren allesamt offscreen, Schauer oder nur Spannung stellen sich so natürlich niemals ein. Die Macher von UNREST haben schon in der Pre-Production einen verheerenden Fehler begangen, indem sie ihr minimales Budget überhaupt nicht mit in die Planung einbezogen haben. Da wird eine Story um einen aztekischen Rachegott aufgetischt und um 50.000 ruhelose Seelen, ohne dass das auch nur annähernd abgebildet werden könnte. Wäre man etwas bescheidener (oder realistischer) gewesen, hätte man aus den Mitteln durchaus etwas machen können. Warum man sich so dermaßen verhoben hat, ist mir völlig unerklärlich, zumal der Storyentwurf sowieso mehr als fragwürdig und reichlich überkonstruiert ist. Aber solche Schwächen ziehen sich durch den ganzen Film: So hält sich die Hauptfigur zwar für eine Agnostikerin, die Präsenz von Geistern gleichzeitig aber für völlig selbstverständlich. Wahrscheinlich hat man sich beim Drehbuchschreiben in ähnlichem Tiefschlaf befunden, in den auch mich der Film beinahe versetzt hätte. Gähn!
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