Der Monroe ihre dicken Hupen
#331
Geschrieben 10. April 2006, 06:31
Aua, das ist daneben gegangen. Trotz oder gerade wegen Tsui Hark als Regisseur und Corey Yuen als Actionszenenmacher ist ACES GO PLACES 3 genau das geworden, was die ersten beiden Teile wider besseres Erwarten eigentlich nicht waren: eine langweilige Nummernrevue. Die charmant-naiven Bond-Anleihen aus den ersten beiden Teilen sind nun ausgewachsen, machen dem Vorbild zwar nicht wirklich Konkurrenz, aber meinen es auf jeden Fall ernst. Gleich in der Eingangsszene gibt es einen Oddjob-Ersatz, Richard Kiel, Gehampel auffem Eiffelturm, ein U-Boot, das aussieht wie ein Hai, ein Sean-Connery-Double als Bond himself und auch einen Gastauftritt der Queen. Die ungebremste Humorkonfrontation aus den Vorgängern findet hier nicht statt, alles ist etwas gemäßigter, weniger albern und hysterisch, damit aber auch irgendwie langweilig. Man kann sich nicht ganz des Eindrucks entledigen, dass man mit diesem Film nicht nur das heimische Publikum verzücken, sondern in ganz erheblichem Maße auch das Ausland erobern wollte. Die furiosen Slapstickszenen, bei denen man sich als Europäer eigentlich nur noch selber zum Bus bringen wollte, sind verschwunden und der Humor ist damit nur noch doof, wo er vorher einfach völlig abseitig war. Karl Maka hat eine bessere Nebenrolle abbekommen und wird völlig verschenkt, dafür gibt es eben noch zwölf Verfolgungsjagden, Gimmicks und technische Spielereien. Und weil eine Eindruchssequenz natürlich MISSION IMPOSSIBLE zitiert, hält auch Peter Graves mal kurz seine Fresse in den Film. Mel Gibson komischerweise nicht, denn MAD MAX 2 erkennt man auch mal kurz wieder. Ich habe mich königlich gelangweilt.
#332
Geschrieben 10. April 2006, 17:25
Immer wieder interessant wie unterschiedlich die Rezeption eines Films je nach Tagesform, äußeren Umständen und inneren Zuständen sein kann. FRIGHTMARE habe ich vor Jahren mal in der Filmpalette in Köln gesehen und fand den Film eher langweilig. Gezeigt wurde die geschnittene deutsche Version, die Farben waren blass und ehrlich gesagt habe ich fast nix von diesem Kinoerlebnis in Erinnerung behalten, außer meinem abschließenden Urteil und der Einschätzung "ultra-low-budget". Es ging mir damals mehr darum, einen obskuren Film im Kino zu sehen und vielleicht war es auch diese Indifferenz, die im Weg war. Kaum zu glauben jedenfalls, dass der gestrigen DVD-Erfahrung derselbe Film zu Grunde liegt. Ich bin schlichtweg begeistert, habe mir ziemlich ins Hemd gemacht bei einigen Szenen und einen weiteren Lieblingsfilm entdeckt, den ich einer imaginären, ellenlangen Liste hinzufügen kann. Der Eindruck eines rohen, irgendwie lieblosen Low-Budget-Films verflüchtigte sich angesichts satter Farben, und wunderbar stimmungsvoller Bildkompostionen. Und langweilig? Das durchdacht konstruierte Drehbuch von McGillivray sowie die Darsteller, allen voran die ziemlich überzeugende Sheila Keith sorgen für Spannung und einen Extrabelag Entenpelle. Exkurs Sheila Keith: Nachdem sie ja schon in Pete Walkers HOUSE OF WHIPCORD einen Eindruck davon vermitteln konnte, dass autoritär auftretende Frauen ihren männlichen Artgenossen in punkto Grausamkeit durchaus den Rang ablaufen können und dem Zuschauer mit ihren versteinerten Gesichtszügen das Blut in den Adern gefrieren ließ, toppt sie diese Leistung mit einer anspruchsvolleren Rolle und einer diffizileren Darstellung in FRIGHTMARE mit Leichtigkeit. Mannometer, mit dieser Frau allein in einem Raum bei dämmerigem Licht, da käme garantiert keine heimelige Atmosphäre auf, der Gedanke an Kaffee, Kuchen und Heizdecken würde sich genauso schnell verflüchtigen wie das angenehme Gefühl der körperlichen Überlegenheit, dass man gegenüber älteren Leuten so gern in Anspruch nimmt. Vielmehr würde man ständig die Umgebung taxieren und nach Fluchtwegen Ausschau halten. In den Szenen mit ihr und ihren Opfern beim Tarotkarten-Legen ist einfach nur Schicht im Schacht. Eine der besten Suspense-Szenen, die ich in letzter Zeit gesehen habe und mit dickem Hitchcockeinschlag. Und die Alptraumsequenz, in der Lieblingsoma Sheila ihrer Tochter im Zug erscheint, ist der Stoff aus dem lebenslange Traumata sind. Bin froh, diesen Film nie als Kind gesehen zu haben, ehrlich. Dabei verkauft Walker seine Figuren nie für billige Sensationen, wie man das bei oberflächlicher Betrachtung annehmen könnte. Der Horror funktioniert deshalb, weil er glaubwürdig agierenden Figuren zustößt und weil sich immer auch das nötige Quentchen Sympathie mit den Monstern einfindet. Ich könnte das jetzt noch seitenweise ausbreiten, darum lieber kurz und knackig (wie der Film mit knapp 82 Minuten): Terror!
#333
Geschrieben 11. April 2006, 14:51
Meine kleine Pete-Walker-Retrospektive nähert sich ihrem Ende, heute Abend folgt noch der Eintrag zu THE COMEBACK und das war's dann. In HOUSE OF MORTAL SIN geht es um die schnuckelige Jenny, die sich mit ihrem untreuen Freund herumschlägt. Als ihr ein ehemaliger Bekannter über den Weg läuft, der die Priesterlaufbahn eingeschlagen hat, sieht sie die Möglichkeit, jemanden um moralischen Beistand zu bitten. Gesagt, getan. Doch als sie ihn in der Kirche aufsuchen will, trifft sie nur auf den greisen Father Meldrum, der sie sogleich in den Beichtstuhl bittet und ihr mit seiner forschen und nachdrücklichen Art die ein oder andere Privatangelegenheit aus dem Kreuz leiert. Bald schon hat Jenny genug von den zudringlichen Fragen und sie sucht das Weite. Als ihr der durchgeknallte Pfaffe beim nächsten Besuch in der Pfarrei dann auch noch eine Tonbandaufnahme der Beichtstuhlsession vorspielt und ihr seine Hilfe förmlich aufnötigt, ist klar, das hier was nicht stimmt. Das muss auch ein guter Freund Jennys erfahren, der in ihrer Wohnung überfallen wird und somit die Strafe abbekommt, die eigentlich Jennys Liebhaber zugedacht war. Father Meldrum ist nämlich ein ganz besonders eifriger Verfechter von Anstand und Moral und in seinem Oberstübchen ist nichts mehr da, wo es hingehört.
Walker lässt naseweise und oberschlaue Kirchenkritik gottseidank bald schon links liegen und serviert seine übliche Spannungskost, die wieder einmal mit einer auftrumpfenden Sheila Keith abgeschmeckt wird. Seine Lieblingsschauspielerin hat zunächst nur eine kleine Rolle, die erst gegen Ende an Bedeutung gewinnt. Was zunächst wie eine bittere Satire auf die altbekannten und oft besungenen Perversionen alternder Kirchenväter beginnt, wird mit zunehmender Laufzeit zum tragisch angehauchten Psychothriller. Denn Meldrum ist mitnichten ein eisenharter überzeugter Moralist, sondern selbst Opfer rigider moralischer Knechtung. Das Drama, das sich um ihn herum entfaltet, verleiht der Figur die nötige Tiefe, die andere gefallene Priester der Filmgeschichte vermissen lassen. Das Ende ist ziemlich böse, löst sich doch hier nichts auch nur annähernd in Wohlgefallen auf. Insgesamt ein starker Film Walkers, der mir thematisch allerdings nicht ganz so zugesagt hat.
#334
Geschrieben 11. April 2006, 22:40
Der Tag geht, Pete Walker kommt ... THE COMEBACK ist zum Abschluss meiner Pete-Walker-Reihe nochmal ein richtiger Kracher. Der Schnulzensänger Nick Cooper (gespielt vom tatsächlichen Popstar Jack Jones, der mich ein wenig an Howie Carpendale erinnert) hat seine Karriere vor sechs Jahren an den Nagel gehängt, um sich fortan hauptberuflich dem Amt des Ehemanns zu widmen. Seine Ehe ging jedoch leider in die Binsen und so lässt er sich von seinem schmierigen Produzenten Webster (genannt Web - wie bezeichnend) zum Comeback überreden. Zu diesem Anlass bunkert er sich in einem voluminösen englischen Landhaus ein und lässt sich von dem alten Ehepaar B. bewirten. Mrs. B. wird gespielt von Sheila Keith und der Walker-Erfharene weiß, dass hier was nicht in Ordnung ist. Tatsächlich geht bald nicht nur ein mordendes Hutzelweib um, das den Bekanntenkreis des Barden dezimiert, auch der Sänger selbst erlebt des Nachts mehrere blaue Wunder: Von Schluchzgeräuschen und Schreien geweckt, schleicht er durchs Haus, stößt jedoch nur auf die kläglichen Überreste menschlichen Daseins - die zudem bei Tageslicht nicht mehr auffindbar sind. Als sein neues Love Interest, des Produzenten Sekretärin, während einer Liebesnacht im Gemäuer verschwindet, packt den Chorknaben der Wahnsinn am Schlafittchen und er findet sich bald in einer Klinik wieder ...
Pete Walker wandelt hier auf Giallo-Pfaden: Der grotesk maskierte Mordbube erinnert jedenfalls ziemlich an diverse Handschuhmörder, die Figur des englischen Pophampels weckt Erinnerungen an die diversen kunstschaffenden Hauptfiguren des Giallokinos - allen voran an Anthony Franciosa in TENEBRE - und eine Szene gegen Ende schien mir ein offenes DEEP RED-Zitat zu sein. Dieses Element verquickt Walker relativ geschickt mit dem klassischen Spukhaus-Motiv und rückt THE COMEBACK so in die Nähe von Bavas fulminantem SHOCK, der ganz ähnlich vorgeht, auch wenn THE COMEBACK zugegebenermaßen nicht ganz so perfide und genial ist wie des Meisters Spätwerk. Die Auflösung des Ganzen enttäuscht dann auch ein wenig und wird dem immensen Spannungsaufbau nicht ganz gerecht. Gerechterweise muss man aber sagen, dass Walker noch eine Schlusspointe parat hat, die wirklich bitterböse ist und außerdem ziemlich unheimlich. Ein wirklich origineller und ziemlich effektiver Film also, der darüber hinaus mit einigen hübschen Blutmantschereien und gelungenen Masken aufwarten kann und allein des Nachts betrachtet seine Wirkung bestimmt nicht verfehlt. Im Doppelpack mit genanntem SHOCK treibt es den Betrachter danach bestimmt in dieselbe Klinik wie den Coopers Nick, das ist mal sicher ...
#335
Geschrieben 15. April 2006, 16:33
Ein weiterer Amicus-Episoden-Horrorfilm, der nicht ganz so gemütlich ist wie DR. TERRORS HOUSE OF HORRORS, dafür aber auch als Gruselfilm besser funktioniert. Die vier Geschichten sind zwar aus heutiger Sicht schon etwas betagt, laufen aber dennoch weniger schematisch ab als im Vorgänger. Alle Geschichte ranken sich um ein altes Haus, das seine Bewohner früher oder später in ziemliche Gesundheitsprobleme stürzt. In der Rahmenhandlung geht es um einen Polizisten, der einen neuen Todesfall im Zusammenhang mit dem Gemäuer zu klären hat. Der Makler berichtet ihm von früheren Ereignissen: In der ersten Episode nistet sich Denholm Elliott als Schriftsteller mit seiner Frau ein und muss sich bald mit dem sehr lebendigen Charakter seiner neusten Geschichte herumschlagen, in der zweiten Episode verfallen Peter Cushing und sein Kumpel dem Charme einer Wachsfigur, Christopher Lee hat allen Grund, seine Tochter mit harter Hand und strengen Regeln zu erziehen, denn sie trägt das Blut einer Hexe in sich, und Schauspieler Sean Pertwee kauft sich den Mantel Draculas. Die Denholm-Elliott-Episode ist die unheimlichste, Peter Cushing wirkt etwas alterhomosexuell, wie er mit seinem dandyhaften Halstuch und dem aufgeknöpften Hemd durch die Gegend stapft und im Blick einer wächsernen Salomé seine Verflossene erkennt, Christopher Lees Charakter ist sehr hölzern angelegt - eine Vorlage, die der charmante Brite mit lustigem Overacting zu verwandeln weiß, bevor er am Ende infantiler Zerstörungswut zum Opfer fällt. In der letzten Episode tritt der schwarzhumorige Charakter des Films am stärksten hervor, wenn der arrogante alternde Horrordarsteller bei Anlegen seines neuen Capes Vampizähne bekommt und ziemlich doof dreinschaut. Und Ingrid Pitt möchte man wie immer nur die Kissen aufschütteln ...
#336
Geschrieben 16. April 2006, 14:40
HEROES TWO ist ein klassisches Beispiel für die Qualitäten des Shaw-Brothers-Films der frühen Siebziger: eine minimalistische Story, die sich quasi von selbst erzählt und der man im Schlaf folgen kann, jede Menge Kung-Fu-Szenen (choreografiert von Tang Chia und Liu Chia-Liang) mit zum Teil äußerst kruden Effekten, zwei sympathische Stars, die das Ding auf ihren muskulösen Schultern tragen, und ein Regisseur hinter der Kamera, der weiß, wo Zurückhaltung angesagt ist. Das soll nun nicht heißen, Meister Chang Cheh übe sich im subtilen Kammerspiel, sondern lediglich, dass es hier keine großen inszenatorischen Sperenzchen gibt - der größte Kniff dürften noch die Rotfärbungen des Bildes während des Schlussfights sein. Zur Story: Nachdem die bösen Manchus mal wieder ein Shaolinkloster niedergebrannt haben, stromert der einzige Überlebende Hung (Chen Kuan-Tai) vogelfrei durch die kantonesische Tundra und muss sich dort allerlei Kroppzeugs erwehren. Als der übereifrige Fang (Alexander Fu Sheng) des Weges kommt, lässt er sich nicht lange lumpen, und hilft dabei, den armen Hung einzuknasten, behauptet man doch, er sei ein gefährlicher Mörder. Seine Shaolin-Kumpels in der örtlichen Reisweinschwemme hören das nicht gern, doch da der naseweise Youngster selbst am schwersten unter seinem Fehler leidet, wollen sie mal nicht so sein. Nun gilt es, den Helden zu befreien, um am Schluss den Bösen gemeinsam einen Denkzettel zu verpassen. Das war's schon an Handlung, Langeweile kommt trotzdem nicht auf. Das liegt nicht zuletzt an den wunderschönen Todesszenen, die ja doch der geheime Bestandteil im Kung-Fu-Erfolgsrezept sind: Die Chinesen wissen einfach so wunderbar theatralisch zu sterben, dass sich die Italiener dagegen fast wie Finanzbeamten ausnehmen. Grundsätzlich scheint es im Fernen Osten üblich, seinem unmittelbar bevorstehenden Tod durch ein Aufbäumen des Körpers Ausdruck zu verleihen, nach dem man dann leblos in sich zusammensackt. Dieses Ritual kann durch die Verbindung mit dem Ziehen einer extrem dummen Fresse noch potenziert werden. Den Bock schießt hier der Oberböse ab, der dem Begriff Todesballett eine ganz neue Lesart abnötigt. Er taumelt spastisch, fällt hin, greift ein rotes Tuch, steht auf und da das rote Tuch ihm offensichtlich sprichwörtlich ein selbiges ist, beugt er sich danach zum letzten Schläfchen ab - mit dem Gesicht voran! Aber auch alle anderen Akteure sind hoch motiviert: von Fu Shengs Schnitzer berichtete ich schon; wie bereitwillig sich die Massen aber am Ende in den Tod stürzen ist schon beeindruckend. Man hat wirklich das Gefühl, dass umso mehr Leute mitkämpfen, je mehr Menschen bereits über die Klinge gesprungen sind. Aber die Chinesen sind ja bekannt dafür, dass sie sich so schnell fortpflanzen, insofern mag das gar nicht so verwunderlich sein.
#337
Geschrieben 16. April 2006, 16:54
Gegenüber dem oben genannten Film markiert Liu Chia-Liangs SPIRITUAL BOXER das Kontrastprogramm.
Statt einer rudimentären, auf einen Plot eingedampften Story gibt es hier eine Aneinanderreihung mehrerer kurzweiliger Episoden, deren gemeinsamer Nenner die Hauptfigur ist. Wang Yu (nicht mit dem Jimmy zu verwechseln) ist der jugendliche Hans-Dampf-in-allen-Gassen Hsiao, der mit seinem Lehrer durch die Gegend reist und mittels Hokuspokus und Zauberkraft den Leuten das Geld aus der Tasche zieht. Bald schon arbeitet er auf eigene Rechnung und muss sich für seine mit echtem Talent und Können versetzten Schwindeleien vor einem ganzen Mob von Leuten verantworten. Oberboss ist dabei ein Chinese, der eine augenfällige Ähnlichkeit zu Deutschlands Oberproll, Boxerkönig und Schauspielgott Rene Weller aufweist. Dessen MACHO MAN sollte übrigens ganz, ganz dringend mal jemand auf DVD rausbringen, wenngleich bestimmt nicht als Bestandteil der Shaw Collection - obwohl, Kung-Fu kommt da ja auch drin vor und die Klamotten Wellers lassen auch Erinnerungen an längst verschollene Kulturen aufleben ... Genug davon, zurück zum Film: Liu Chia-Liang verlegt sich recht erfolgreich auf die komödiantische Komponente des Films, ohne jedoch zu albern zu werden, punktet zudem mit einem Ausflug in das Genre traditioneller chinesischer Geistergeschichten und erlaubt sich den Luxus, Chen Kuan-Tai und Ti Lung in der Creditsequenz als Gimmick zu verheizen. Diese Sequenz gehört mit Leichtigkeit zu den besten und spannendsten des Films und steigert die Erwartungshaltung immens. Dieses Niveau hält der Film zwar leider nicht ganz, oft wird es etwas zu beliebig, THE SPIRITUAL BOXER weiß aber dennoch gut zu unterhalten und ist geradezu prädestiniert dafür, ihn in das Regal mit den Sonntag-Nachmittag-Filmen zu stellen.
#338
Geschrieben 17. April 2006, 09:51
Der zweite Matt-Helm-Film ist ein Partykracher! Diesmal will ein Dunkelmann von Big O names Julian Wall (Karl Malden) Washington mithilfe von Sonnenstrahlen zerstören. Die entsprechende Erfindung stammt vom liebenswerten Professor Solaris, der in Monte Carlo sogleich gemopst wird, auf dass er den Bösen helfe. Matt Helm wird zunächst für tot erklärt, dann aber quicklebendig in die Höhle des Löwen geschickt, um den Prof rauszukloppen und den Tag zu retten. Die Story funzt hier etwas besser als im Vorläufer, auch wenn sich an der Tatsache, dass sie eh nur schmückendes Beiwerk ist, nichts geändert hat. Eigentlich geht es in diesem Film um den Lebenswandel des Agenten - und somit um den seines Darstellers Dean Martin. Vor allem im einführenden Drittel des Films nimmt das schon absurde Züge an, denn der gute Dean hat wirklich in JEDER Szene ein Schnapsglas in der Hand und meist wird eben jenes auch noch zum zentralen Motiv der Szene. Auf den Fotos die Os Killer erhalten, um Helm auszuschalten, sieht man ihn nur von hinten mit einer flotten Biene im Arm und einem Schnappes in der Hand: Letzteres ist mit Edding auf dem Foto hervorgehoben als "unverwechselbares Kennzeichen". Helm nennt auch eine Schnapsorgel sein eigen: Eine Vorrichtung in der alle möglichen Hochprozentigen eingespannt sind, dass sich per Knopfdruck bedienen lässt und mit dem sich uns Dean einen Drink zusammenmixt, den Normalsterbliche mit einer Leber aus Fleisch und Blut vielleicht zum Fleckenentfernen nehmen würden. Die Frage, die man sich unweigerlich stellt: Macht sich Dean Martin insgeheim über sein Alkoholproblem lustig oder wird das hier als unvergleichlich lässiger Lebensstil dargestellt? Ich kann das nicht mit Gewissheit beurteilen. In Monte Carlo angelangt trifft der Helm dann jedenfalls auf die zuckersüße Ann-Margret und geht mit ihr in die Disse. Die ist der Hammer: Innenausstattungstechnisch könnte man zu der Vermutung gelangen, dort würde sonst der Disneyclub aufgezeichnet. Bunter geht's nicht mehr, aber Dean - Weltmann, der er ist - weiß mit seinem zitronengelben Rolli und dem knallroten Jackett nicht aufzufallen. Dann folgt ein sehr großer Alterswitz, denn Dean kann mit den aufgedrehten Tanzstilen der Sechziger offenkundig gar nix anfangen. Sein Blick als Ann-Margret ihre Mähne schüttelt ist Gold wert! Und einen Witz über die Frisuren der Teenies kann er sich auch nicht verkneifen. Ganz groß! Mit den Bonds verglichen, fällt schon auf, dass man hier nicht ganz so viel Geld investiert hat: Von Monte Carlo sieht man eher wenig, meist wurde preisgünstig in der Studiokulisse eingekurbelt oder vor der gemütlichen Rückprojektion. Ob Dean Martin dort war, ist ebenso fraglich. Sobald es mal etwas beweglicher zur Sache geht, wird er jedenfalls durch ein Double ersetzt, dass aussieht wie Rock Hudson und sichtlich bemüht ist, sein Antlitz verdeckt zu halten. Die Superwaffen, die man dem Agenten angedreht hat, sind auch eher naja: ein Eisstrahler, dessen Effektivität man dem Gerät nicht so recht abnimmt, und eine Pistole, die mit Verzögerung schießt und der dann auch mal gleich die letzten fünf Schurken zum Opfer fallen. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert! Wer Kino mit loungigem Sixtiesflair mag, findet hier auf jeden Fall sein Shangri-La: Die Klamotten allein sind den Eintritt wert. Wirklich ziemlich unfassbar, das alles.
#339
Geschrieben 18. April 2006, 14:17
Ein überaus feiner Episodenfilm aus der Amicus-Schmiede, der von Roy Ward Baker gewohnt gekonnt eingekurbelt wurde und für mich das Highlight der Episoden-Amicusse darstellt - zumindest, wenn man die AB-Box heranzieht. Die Rahmenhandlung ist clever: Ein neuer Arzt tritt seinen Dienst in einem altehrwürdigen Irrenhaus an. Der neue Scheff desselben ist Patrick Magee, komplett mit dem Rollstuhl aus A CLOCKWORK ORANGE, der seinen irre gewordenen Vorgänger abgelöst hat. Er traut dem Neuankömmling und dessen "modernen" Methoden nicht und schlägt einen Test vor: Der Neue lernt vier Patienten kennen, unter ihnen auch der ehemalige Doktor, und muss erraten, um welchen der vier es sich dabei handelt. Die erste Episode weiß mit sich selbstständig machenden abgetrennten Körperteilen effektiv zu gruseln, Episode zwei bietet Peter Cushing als Magieanwender auf, Episode drei ist die schwächste, hat aber immerhin Charlotte Rampling in einer frühen Rolle aufzuweisen und Episode vier mit Herbert Lom als genialem, aber auch verrückten Wissenschaftler begeistert durch ihre wunderbare Naivität. Diese letzte Episode greift auch sogleich auf die Rahmenhandlung über, denn Lom will mithilfe einiger selbst entwickelter Plastikpuppen die Weltherrschaft anstreben, nachdem er sich mit ihrer Hilfe aus der Anstalt befreit hat. Diese Figuren sind der Hammer: Der eckige Plastikkörper mit dem modellierten Kopp obendrauf hätte unterm Weihnachtsbaum eine Haltbarkeit von wenigen Minuten, bevor sie den gerechtfertigten Zorn der solchermaßen betrogenen Kinderlein auf sich zögen, trotzdem weiß Lom mit fiebriger Begeisterung zu berichten, dass diese Figuren bis ins letzte Detail ihrem lebenden Vorbild entsprechen - bruhargh! Deswegen muss man sich auch nicht wundern, dass die Lom-Figur später in einen Speiseaufzug klettert, obwohl sie nur 10 Zentimeter hoch ist, weder Knie noch Ellenbogen hat und sich mit einer Spitzengeschwindigkeit von atemberaubenden zwei Metern pro Minute fortbewegt. It's the brain that matters! Dennoch: einfach wunderbar!
#340
Geschrieben 18. April 2006, 15:39
Zu diesem lustigen Amicus-Werwolf-Krimi böte sich als Einstiegsphrase wunderbar das "wüste Stilmischmasch" an. Doch das wäre nicht nur ziemlich abgedroschen, sondern auch falsch. Zwar plündert sich Regisseur Annett ziemlich wüst durch die Filmgenres - vom Abenteuerfilm, Blaxploiter über Krimi, Thriller bis hin zum Horror wird hier nix ausgelassen -, doch kommt THE BEAST MUST DIE! dabei erstaunlich homogen und gelungen um die Ecke. Ein illustrer Großwildjäger (Calvin Lockhart) hat eine Schar ebensolcher Gäste in sein Landhaus geladen, darunter etwa Peter Cushing, Michael Gambon und Charles Gray. Einer von seinen Gästen soll ein Werwolf sein und unser Flintenmann gedenkt, sich dessen Quadratschädel über den Kamin zu pinnen. Dabei helfen soll ihm Anton Diffring, der in einem vollklimatisierten Raum mit ganz vielen roten Lichtern und Bildschirmen sitzt und alles gut überblicken kann - John Hurt in OSTERMAN-WEEKEND lässt grüßen. Es gibt das aus dem Whodunit klassischer Prägung übliche Beim-Dinner-Zusammensitzen-und-sich-gegenseitig-anpissen, die gemütlichen Wir-sitzen-in-einer-Runde-und-lassen-uns-nacheinander-zu-Mördern-abstempeln-Runden und das finale Da-hat-der-Meister-die-Rechnung-ohne-den-Wirt-gemacht. Der Film hat vom Produzenten ein Gimmick aufgeklebt bekommen, das dem Regisseur nicht so behagt hat, dem Film aber gar nicht mal so schlecht zu Gesicht steht. Zu Beginn fordern eine Schrifteinblendung und ein Voice-over den Zuschauer dazu auf, den Werwolf zu enttarnen, und gegen Ende gibt es das so genannte Werewolf-Break. Der Zuschauer hat 30 Sekunden Zeit, sich auf einen Charakter festzulegen, bevor der Film dann weitergeht. Tatsächlich funktioniert das Ratevergnügen ganz gut, denn auch wenn man kein brillianter Meisterdetektiv sein muss, um die Hinweise richtig zu deuten, so wird man doch immerhin auch nicht von blöden Twists oder nachträglich etablierten "Tatsachen" verhohnepipelt. THE BEAST MUST DIE! unterhält - wie ich finde - sehr ansprechend und gemütlich. Die Werwolfszenen sind eher unspektakulär mit einem Hund umgesetzt, aber immerhin auch nicht peinlich. Generell sollte man sich eher auf einen Krimi als auf einen Horrorfilm einstellen, was der Freude aber keinen Abbruch tut. Und der mit Wahwah-Gitarren vor sich hin britzelnde Funk-Score peitscht ordentlich ein!
#341
Geschrieben 18. April 2006, 16:35
Der dritte Matt-Helm-Film ist der schwächste. Nicht, dass die anderen drei Teile Granaten wären, eigentlich weisen alle ähnliche Mängel auf, nämlich vor allem die mäßigen Drehbücher, die nie Spannung aufkommen lassen und eine Atmosphäre, die von vornherein zu laid-back und Loungesessel-mäßig daherkommt, um darüber hinwegzutäuschen, dass man mit dem James-Bond-Versatzstück weniger diesem echte Konkurrenz, sondern vor allem eine schnelle Mark machen wollte. In den beiden Vorgängern gelang es aber wenigstens noch, den Zuschauer mit kleinen Gags und Schauwerten bei Laune zu halten, hier macht sich relativ schnell Gleichgültigkeit breit. Die Säuferwitze wurden reduziert, vermutlich machte man sich nach dem zweiten Teil berechtigte Sorgen um den Hauptdarsteller, statt ständiger Whiskeyorgien gibt es hier vornehmlich Bier, denn die Bösen tarnen ihr dunkles Vorhaben durch eine Fabrik für selbiges. Sie haben eine von der US-Regierung in Auftrag gegebene Fliegende Untertasse gemopst, deren Kraftfeld für Männer den sofortigen Exitus bewirkt. Was für eine idiotische Fehlkonstruktion: eine Untertasse, die nur von Frauen geflogen werden kann! Es gibt das typische Hin-und-Her, Senta Berger ist das Betthupferl, aber viel mehr habe ich mir nicht gemerkt. Das sagt so einiges über diesen Film, dessen schön Sixties-poppiger Titelsong auf dem Sampler THE MAD, MAD WORLD OF SOUNDTRACKS zu finden und das Beste an diesem Film ist - so, jetzt habe ich auch mal was Schlaues zum Thema Score geschrieben!
#342
Geschrieben 18. April 2006, 18:24
Der vierte und letzte Matt-Helm-Film - obwohl im Abspann noch ein fünfter Teil namens THE RAVAGERS angekündigt wird - nennt sich auf deutsch ROLLKOMMANDO, mit Blick auf Dean Martins bevorzugte Kleidung wäre der Titel ROLLKRAGENKOMMANDO jedoch genauso angebracht. WRECKING CREW ist wieder eine Ecke besser gelungen als der unmittelbare Vorläufer: Als Hasis stehen dem guten Matt Elke Sommer und die umwerfende Sharon Tate zur Seite, es geht um einen gigantischen Goldraub und das Ganze spielt sich unter der brennenden Sonne Dänemarks ab. Ja, man muss sich während des Films mehrfach am Kopf kratzen, denn die schorfigen Felsen und die verdorrte Vegetation finden sich mit Sicherheit überall, nur nicht in Dänemark. Da hat man während der Dreharbeiten doch einfach mal kräftig auf die Authentizität geschissen und ne Szene im Death Valley oder rechts davon gedreht. "Wir brauchen was auf ner Seilbahn!" - "Gibts nich in Dänemark!" - "WAAAASSSS!!!???" - "Halb so wild, das drehen wir zu Hause nach!" - "Ok, hast recht, merkt eh keine Sau!" Unfassbar! Für diesen Fauxpas hat man dann aber auch sogleich eine Kamera an einer dänischen Ampel festgeschnallt, auf das wenigstens eine Originalaufnahme mit im Film steckt. Wahnsinnig viel fällt mir zu WRECKING CREW auch nicht mehr ein. Der tollste Einfall der ganzen Serie ist auf jeden Fall der Name von Matt Helms Gehilfin: Lovey Kravezit. Es gibt natürlich auch wieder dulle Waffen: Im Vorläufer gab es eine Pistole mit einem Raumschiff-mäßigen Kraftstrahl einen Gürtelschnallenschmelzer und Zigaretten mit Lachgas, hier jetzt eine Kamera, die Tränengas verströmt. Ehrlich, wenn man mit diesem Tinnef Geheimagent werden kann - vom Alkoholpegel Dinos mal ganz zu schweigen -, dann hätte ich meine YPS-Gimmicks nie wegschmeißen dürfen. Für Zitatesammler sei noch erwähnt, dass der Fez-tragende Charakter Will Ferrells aus AUSTIN POWERS dem dritten Teil der Matt-Helm-Reihe entlehnt ist. Nuff said.
#343
Geschrieben 19. April 2006, 10:28
Uiuiui, was für ein Film! Meine Erwartungen tendierten ja doch eher hin zum gemütlichen Grusler hammerscher Prägung, doch weit gefehlt: Piers Haggard legt hier einen Okkultismus-Schocker hin, der sich atmosphärisch durchaus mit seinem Studiokollegen WITCHFINDER GENERAL messen lassen kann. England vor ein paar hundert Jahren: Im Hinterland werden auf einem Acker die Überreste eines merkwürdigen Wesens gefunden. Die Landbevölkerung glaubt an Spuk und Schwarze Magie, doch der Judge will von solchem Gedöns nix wissen. Diese Zeit sei doch nun längst vorbei. Das macht ihn ja eigentlich sehr sympathisch, doch sein wahres Gesicht zeigt er, als sein Neffe eine neue Perle mit nach Hause bringt: Der Haussegen hängt sogleich sehr schief, die Ärmste wird zum Pennen auf den Speicher verfrachtet, wo sie wenig später von einem struppigen Etwas überfallen wird und dem Wahnsinn in die Arme sinkt. Fortan geschehen merkwürdige Dinge in dem Kaff, heidnische Rituale werden zelebriert, harmlose Jugendliche gemeuchelt und Priester verhaftet. Am Ende kann der Judge alles wieder gerade rücken und der böse Watz ist tot. Das hört sich nun alles nicht so spannend an, ist jedoch genau das. Besonders gut gelungen ist Haggard die Zeichnung des Alltagslebens im Dorf. Er bietet viele handelnde Figuren auf, die dem Geschehen Authentizität und Lebendigkeit verleihen. Der Eindruck, dass es Haggard vielleicht gar nicht so sehr im Sinn stand, einen klassischen Grusler zu drehen, sondern ihm eher eine Art Sittenbild vorschwebte, drängt sich mehrfach auf. Die Story wandelt auf verschlungenen Pfaden, das Drehbuch streut viele Subplots ein und das noch am ehesten als "klassisch" zu bezeichnende Ende wirkt überhastet, es will nicht so recht zum Rest passen. In seinen besten Momenten erinnert BLOOD ON SATAN'S CLAW an THE WICKER MAN: Die heidnischen Riten, die hier zelebriert werden, sind ziemlich schaurig inszeniert und mit einem gruseligen Jammerscore unterlegt, allerdings geht Haggards Film der musicaleske Touch völlig ab. BLOOD ON SATAN'S CLAW ist alles andere als ein gewöhnlicher Horrorfilm, sondern ein sehr stimmiges Period Piece, das auf sehr vielen verschiedenen Ebenen funktioniert.
#344
Geschrieben 19. April 2006, 12:51
Früher hat man sich einen Jean-Claude-Van-Damme-Film ja allerhöchstens trotz seines Hauptdarstellers ausgeliehen. Zwar waren seine Filme meist nicht viel schlechter als die vergleichbarer Actiondarsteller, doch dem Belgier ging schon immer etwas der Charme ab, den ein Seagal oder Stallone, ja selbst ein Norris ihr Eigen nennen dürfen. Jean-Claude war stets zu normal in seiner Bodybuilder-Prolligkeit und warum sollte man sich für einen Film mit einem Typen identifizieren, den man im Stadtbild doch eher als verachtungswürdig empfindet? NOCH weniger als bei den Genannten hatte man beim Belgier das Gefühl, er schauspielere. Seine türsteherhafte Art, sein schmieriges Äußeres: Alles sprach dafür, dass dieser Typ den harten Kerl nicht nur spielt, sondern sich tatsächlich für einen solchen hielt. Seine Filme aus den Achtzigern und frühen Neunzigern sind ganz solide, mit einigen Ausreißern nach oben, die ganz große Actionkost gelang ihm aber nie. Als sich dann ganz Hongkong an ihm versuchen durfte, da war er vom Renommee her ja schon längst in der untersten Videothekenschublade angelangt. Und als Tsui Hark und Ringo Lam dann wieder nach Hause gingen, blieb Van Damme traurig in seiner Schublade.
Mit seinen letzten beiden Filmen IN HELL (wieder Ringo Lam) und WAKE OF DEATH wagt Van Damme nun wenn schon kein echtes Comeback, so doch wenigstens ein "Re-Imagining" seiner Filmpersönlichkeit. Sichtlich gealtert trägt der einst allglatte Schmierlappen heute eine echte Charakterfresse auf seinem eingefallenen Quadratschädel spazieren, ein Gesicht, das wirklich brutal aussieht und definitiv andere Geheimnisse verbirgt als die nach Schweiß miefende Umkleidekabine des Fitnessproleten der Achtziger. Wenn man ihn nun eine Klischeeszene spielen sieht, wie jene, in der er den Tod seiner geliebten Ehefrau betrauert, sieht, wie sich sein Gesicht in Seelenpein verzerrt und Tränen über die ausgemergelten Wangen kullern, dann ist das nun wahrhaft großes Kino, sofern es einem gelingt, über die Absurdität dieser Szene und die Fremdscham, die einen unweigerlich befällt, hinweg zu sehen. Komisch, dass man das mal sagen würde, aber Van Damme trägt diesen Film nahezu allein. Sein Schmerz ist den ganzen Film über spürbar und sein Zorn, der sich in einer feinen (aber leider geschnittenen) Gewaltorgie entlädt, der Treibstoff eines Films, der ohne diese Präsenz schnell abgesoffen wäre. Man bekommt die übliche Rachegeschichte, die längst Van Dammes Markenzeichen geworden ist. Ob Bruder, Schwester, Tante, Ehefrau oder Mutter: Es gibt wohl keinen Verwandtschaftsgrad, der dem guten Jean-Claude nicht eine saubere Blutrache wert wäre. Der Regisseur zimmert diese Mär zwar sauber aber auch äußerst inspirationslos ein. Die Bilder sind das, was man gern als "edel" bezeichnet, wenn man eigentlich "geleckt" meint, der Score dümpelt zwischen Drum&Bass, Ethnogesäusel und House hin und her. Wie sein Hauptdarsteller kommt auch dieser Film aus einer anderen Zeit.
Jedes Klischee wird mitgenommen, sodass man nach einiger Zeit fast schon geneigt ist, diese Konsequenz zu beklatschen. Bösewicht Sun Quan (Simon Yam) landet NATÜRLICH mit seinem Privatjet auf einem kleinen Flugplatz, wird dort NATÜRLICH von Schergen in schwarzen Anzügen, Sonnenbrillen und den passenden Autos empfangen - die Kamera fängt ihn dabei NATÜRLICH vor allem von schräg unten ein, is klar. Wenn er nicht schweigsam dasitzt, macht er NATÜRLICH im wehenden Leinenhemd Tai-Chi-Übungen auf seiner Terrasse, von der aus man NATÜRLICH ganz L.A. überblicken kann. Wenn er auf Mordtour geht, bewegen er und seine Untermänner sich NATÜRLICH stets in Zeitlupe und bevor er zum tödlichen Hieb ansetzt, muss er sich NATÜRLICH schön theatralisch herundrehen und winden, so als hätte es Gary Oldman nie gegeben und LEON - DER PROFI wäre nur ein Traum gewesen. Das zieht sich durch den ganzen Film, der bestimmt gern mehr wäre als er tatsächlich ist. Und - wie schon angedeutet - ist man zu Beginn noch etwas genervt von den ständigen Deja Vus, so verflüchtigt sich das bald zugunsten eines "Wow, das hat der Regisseur auch noch untergekriegt!". Das ist also kein Verriss. Denn zum einen summiert sich das alles zu einem Gebräu, das irgendwie wider jegliche Vernunft funktioniert und sogar auf seine kleine, blöde Weise recht eigenständig ist, trist, hoffnungslos, brutal und dumm, wie er ist. Zum anderen, weil Schang-Kloot eine echte Neuentdeckung wert ist. Mit ein bisschen Glück, vielleicht erlebt er dann ja auch dem Rourkes Mickey sein SIN CITY. Wer weiß?
#345
Geschrieben 19. April 2006, 14:24
Ein Vater fährt mit seiner Tochter und seinem Sohn raus ins Outback Australiens, um dort ein kleines Picknick abzuhalten. Leider hat er nicht mehr alle Latten am Zaun und so endet das Picknick mit dem versuchten Mord an seinen beiden Kindern und der abschließenden Selbstentleibung, bei der auch das Auto in Flammen aufgeht. Die beiden Kinder sind nun auf sich selbst gestellt und machen sich auf einen langen Fußmarsch durch die Ödnis. Gerade als der grimme Schnitter sie übers Flüsschen winken will, finden sie ein kleine Oase. Doch das Glück hält nur kurz, denn am nächsten Tag ist der Teich bereits wieder vertrocknet. Zum Glück kommt ein Aborigine des Weges, ein Junge, der sich auf dem Walkabout befindet, dem Initiationsritus der australischen Ureinwohner. Die beiden Kinder heften sich an die Fersen des Naturburschen und wie es so kommen muss, am Ende entbrennt ein Herz in Liebe- Leider haben gesellschaftliche Konevntionen für beide etwas anderes vorgesehen ...
Nicolas Roegs Australienfilm teilt seine Stimmung mit Weirs PICNIC AT HANGING ROCK und THE LAST WAVE. Ich schrub ja schon zu WOLF CREEK, dass es eine übliche Betrachtung der australischen Natur zu sein scheint, das magische Element aus ihr hervorzukitzeln. Auch WALKABOUT hat eine Menge dieser Momente, in denen die Naturbilder und -geräusche die Erzählung überdecken oder vielmehr selbst zur Erzählung werden. Es flirrt und zirpt, windet, pfeift und rauscht - und es kreucht an allen Ecken und Enden dieses Films. Was hier und da an DIE SERENGETI DARF NICHT STERBEN erinnert, schlägt immer dann um, wenn wir den jungen Aborigine auf der Jagd sehen und Känguruhs, Echsen und anderes Getier onscreen gemeuchelt werden. Roeg verlässt sich ganz auf seine Bilder, Sprache findet fast gar nicht statt. Vieles kommt deshalb aus heutiger Sicht auch etwas vordergründig rüber, etwa wenn das Schlachten eines Känguruhs mit dem Schlachten einer Kuh in einem modernen Schlachthaus parallel montiert wird. Auch die einleitende Montage, die Bilder des hektischen Stadtlebens mit Aufnahmen aus der Natur kontrastiert, kann man nicht mehr ganz unvoreingenommen betrachten, zu oft hat man Ähnliches gesehen. Roegs Film funktioniert da auf der Ebene des Coming of Age wesentlich besser: Hier wie dort geht es um den Verlust der Unschuld, den Urzustand, der unwiderbringlich verloren ist und um den Schritt ins Erwachsenendasein. Am Ende sehen wir das Mädchen, das Abenteuer in der Wüste ist längst vorbei, liegt in weiter Ferne, und sie ist verheiratet. "Woran denkst du?" fragt er. "Nichts." antwortet sie.
#346
Geschrieben 20. April 2006, 07:53
Norman J. Warren hat mit PREY gezeigt, wie man aus einem äußerst klammen Geldbeutel einen ganz exquisiten und vor allem originellen Klopfer zaubert. Mit TERROR geht dieses Vorhaben gründlich in die Bux. Doch halt! Dem Herrn Warren ging es ja gar nicht darum, einen originellen, eigenständigen Film fertigzustellen, vielmehr wollte er mit TERROR eine Hommage an Argentos SUSPIRIA und INFERNO aufs Parkett bringen. Argento zeichnet sich nach allgemeinem Verständnis - das heißt, dem Verständnis von Gorebauern, bei denen Schnaas gleich nach Fulci kommt - durch bunte Lichter und ein Drehbuch mit ohne Handlung aus. So weit, so Warren: Es geht um einen alten Hexenfluch, der auf einem Haus (deutscher Titel: KILLING HOUSE) und der dazugehörigen Sippe lastet. Die Darstellerriege wird einer nach dem anderen unmotiviert ins Aus bugsiert wozu des Warrens Heimdiskobeleuchtung tolldreist um die Ecke lugt. Die Gleichung: Dusselige Handlung, buntes Licht und nervige Synthiemucke = Argentofilm geht natürlich nicht auf. Dazu fehlt es Warren ganz bestimmt an Talent - das er für Produktionen anderer Prägung selbstverständlich mitbringt, siehe hier und hier - und nicht zuletzt am Budget. Der gute Wille ist da, man beachte einige interessante Kamerafahrten, die recht schöne Idee mit dem levitierenden Auto oder auch das Ende mit Paukenschlag, allein man vermisst den letzten Zug. Die Atmosphäre, die der olle Italiener mit Leichtigkeit zustande brachte, geht diesem Werk völlig ab. Kein Wunder, wenn man seine Suspenseszenen in kurzfristig zusammengeleimten Holzbuden abkurbelt. Und eine grüne Lampe sieht dann doch eher nach Kirmes aus. So schleppt sich TEROR mit seinen kargen 75 Minuten dennoch recht träge ins Ziel. Das beste sind die beiden Poster von SATAN'S SLAVE und THRILLER, die ein besonders tristes Billigsetting aufpolieren.
#347
Geschrieben 20. April 2006, 22:39
Vor einigen Jahren auf dem FFF hat mir dieser spanische Horrorfilm unter dem Titel THE ART OF DYING gut gefallen - zugegebenermaßen wollte ich ihn aber auch gut finden, denn ich habe ein Faible für spanische Genrefilme. Zwar war auch damals schon recht deutlich, dass es sich bei EL ARTE vor allem um europäisches Epigonenkino handelt, trotzdem mundete mir das alles ganz gut. Die Story lässt sich mit "I KNOW WHAT YOU DID LAST SUMMER meets THE SIXTH SENSE" umschreiben, was nicht wahnsinnig originell ist, aber auch keineswegs so schlimm, wie es sich vielleicht anhört. Die Darsteller - allen voran Fele Martinez, den ich sehr mag - sind glaubwürdig und keine gellarhaften Ryan Phillipes mit hewittschen Silikontitten, das Treiben entfaltet sich ruhig und ohne Anbiederungen an das Teeniepublikum. Bei der Zweitsichtung fällt ohnehin auf, dass Regisseur Alvaro Fernandez Armero mit Horror nicht so viel zu schaffen hat, was für einen Horrorfilm natürlich eine ziemliche Bürde ist. Der I KNOW WHAT YOU DID-Teil der Handlung ist sehr pflichtbewusst, aber ohne rechte Begeisterung abgehandelt, die Creative Killings, die sonst die einzige Daseinsberechtigung des Slasherfilms sind, nehmen sich blutarm und regelrecht antiklimatisch aus. Und die Shyamalansche Pointe am Ende ist eine solche nicht, weil der Film danach noch rund zwanzig Minuten weiterläuft. Das hört sich nun nach einem echten Film für die Tonne an: ein Horrorfilm ohne Gespür für Horror, Thema verfehlt, sechs, setzen! Aber halt: Wenn man ein bisschen genauer hinguckt, dann fällt auf, dass es da einige Zwischentöne gibt, Details in der Inszenierung, die deutlich machen, dass Armeros Film unter anderen Vorzeichen richtig gut hätte werden können. Dass die Protagonisten schon im Jenseits weilen, wird durch eine um sich greifende Leere angedeutet: Nebenfiguren, Dekorationen und Farben weichen und machen Platz für eine nüchterne Kühle. Das erinnert ein bisschen an KAIRO. Es gibt einige ganz gelungene Betrachtungen zum Thema Tod, die in wenigen Sekunden mehr Interesse entfachen als der doofe Plot an sich. Dass hier jemand am Werk war, der mit dem simplen Abfrühstücken von Drehbuchbausteinen wenig anfangen kann, zeigt sich auch daran, dass die vielen vermeintlichen Plotholes und Logikfehler, die einem während der Handlung so auffallen, gegen Ende tatsächlich allesamt relativ befriedigend zugespachtelt werden. So bleibt ein Film, der zwar nicht ganz misslungen ist, aber aufgrund seiner offensichtlichen Fehlkonzeption doch ein bisschen verärgert. Schade drum.
#348
Geschrieben 20. April 2006, 22:55
Nach dem doofen TERROR beendet INSEMINOID die Norman J. Warren-Wochen doch sehr versöhnlich. Der schundige kleine ALIEN-Abklatsch weiß zu unterhalten und seine Handicaps, vorneweg das karge Budget, gut zu kaschieren. Der fremde Planet ist eine Höhle und was bei den Italienern funktioniert, geht auch beim Briten nicht schief. Bei der Erkundung des Planeten macht einer der Astronauten den John Hurt und schon hat man sich eine schöne Seuche an Bord geholt, der diverse Crewmitglieder zum Opfer fallen. Die sind aber immer noch besser dran als Sarah (Judy Geeson), die von einem hässlichen Alien, das aussieht wie Jeff Goldblum in den letzten 20 Minuten von Cronenbergs THE FLY, geschwängert wird. Fortan läuft die werdende Mutter prustend und keuchend durch die Gänge des Raumschiffs, um jeden, der ihr und ihrer Brut zu nahe kommt, den Garaus zu machen. Hier schwingt der Ton von Warrens Film plötzlich um, denn aus dem Alienterrorfilm wird plötzlich ein Film über die männliche Angst vor der Urmutter und die zerstörerische Kraft des Mutterinstinkts - oder so ähnlich - und macht den Film somit zum idealen Double-Feature-Kollegen von (schon wieder) Cronenbergs THE BROOD. Am stärksten fand ich dann auch die Geburtsszene: Judy Geeson liegt schreiend in einer Höhle rum und verwandelt sich beim Akt des Gebärens beinahe in ein Tier - bildlich gesprochen. Der Film findet dann sein erwartungsgemäßes Ende, dem dann noch ein ebenso unvermeidlicher wie überflüssiger Schock angeklebt wird. Insgesamt eine runde und nicht uninteressante Sache, die aber auch gut mit 80 statt 90 MInuten bedient gewesen wäre. Recht blutig ist das außerdem und einen Doppelmord mit einem gigantischen Lötkolben finde ich sogar besonders erwähnenswert. Ob Steve Martin seine Frau Victoria Tennant durch diesen Film kennen gelernt hat, weiß ich hingegen nicht. Aber die Wunder werden bekanntlich nicht alle ...
#349
Geschrieben 22. April 2006, 08:45
Meinungen können ja so unterschiedlich sein - und wenn zwei so unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen, dann folgt darauf ncht selten ein Wortgefecht von epischen Ausmaßen. So trug es sich gestern nach Ansicht von Zach Braffs hochgelobtem Debüt GARDEN STATE zu, dass mein Babe und ich länger über diesen Film diskutierten als dieser gedauert hatte - natürlich ohne zu einem "Ergebnis" zu kommen. Meine Freundin fand den Film schön, er hatte bei ihr auf emotionaler Ebene völlig funktioniert, die Identifikation war zu 100 Prozent gelungen. Und ich, kritisches Arschloch, das ich bin, hatte eigentlich nur zu meckern. OK, beginne ich mit den positiven Seiten des Films: GARDEN STATE ist lustig, unterhaltsam, hat gute und vor allem sympathische Schauspieler, einige gute Einfälle, einen netten Soundtrack und eine Natalie Portman, die man die ganze Zeit über knuddeln möchte. Aber ... So etwas hat man nun wirklich schon hundertmal gesehen oder gelesen, vielleicht hier und da mit etwas anderen Variablen. Im Grunde präsentiert Braff ein auf Hochglanz poliertes Nichts. Zum xten Mal die Story des depressiven, an Weltschmerz und doofem Vater leidenden Mittzwanziger, der zur Beerdigung der Mutter nach Hause kommt und sich dort endlich mit seiner Vergangenheit und seinem Vater auseinandersetzt und natürlich nebenbei auch die große Liebe trifft, die dann alles verändert. Das kennt man ja. Aber ich würde gern endlich mal den Film sehen, der NACH diesem zauberhaften Wandel einsetzt und zeigt, dass auch die Liebe nicht jedes Problem wegzaubern kann und es durchaus problematisch ist, nach 15 Jahren härtester Medikation einfach "ohne" weiter zu machen. Der Film schönt mir dann doch etwas zu viel, wie eigentlich alle Vertreter dieses "Genres". Im Grunde geht es hier - wie etwa auch in LOST IN TRANSLATION - gar nicht darum, seine Krise hinter sich zu lassen, sondern diese fein zu ästhetisieren und es sich in seiner eingebildeten Einsamkeit so richtig gemütlich zu machen. Völlig in Ordnung, eigentlich - das war es aber schon vor zehn Jahren. Heute langweilt es mich zu Tode.
#350
Geschrieben 24. April 2006, 17:57
Larry Cohen habe ich ja vor ein paar Wochen zu Q erst gebührend abgefeiert, zu IT'S ALIVE! (DIE WIEGE DES BÖSEN) kann ich diese Feier gleich fortsetzen, denn wieder einmal gelingt es Cohen, eine Story, die eigentlich für Schenkelklopfen und Zwerchfellrisse prädestiniert ist, so umzusetzen, dass man wirklich 90 Minuten gebannt der Dinge harrt, die da kommen. Der preiswert entstandene Film um ein Monsterbaby, das nach der Geburt eine kleine Mordtour durch L.A startet, ist so spannend, stilvoll und fesselnd inszeniert und erzählt, dass man nicht nur bereit ist, sich dieser Story ohne Vorbehalte auszuliefern, nein, Cohen schafft es außerdem, dieses Absurdion auch noch mit einigem Anspruch zu füllen. Das muss man schlichtweg genial nennen. Statt sich auf das Monsterbaby und seine Fressorgien zu konzentrieren, wie das so mancher Exploiter getan hätte, rückt Cohen die Familie und hier vor allem den Vater (John P. Ryan) in den Mittelpunkt der Handlung, und entspinnt ein Drama um familiäre Auflösungserscheinungen, medialen Terror und Vatergefühle. Nachdem der Papa für seinen missratenen Sohnematz nämlich zunächst nur Hass übrig hat - schließlich kostete ihm die Missgeburt den Job, den Ruf und die geistige Gesundheit seiner Frau -, beschleicht ihn schon bald der väterliche Beschützerinstinkt für seine Brut. Dieser Gesinnungswandel ist von Cohen überzeugend und mit vielen subtilen Zwischentönen gescriptet und von Ryan ebenso umgesetzt worden. Aus dem Monsterfilm wird so ein Psychothriller und das Baby vom vermeintlichen Hauptdarsteller zum McGuffin. Darin zeigt sich die Stärke eigentlich aller Filme Cohens, dass es ihm immer gelingt, glaubwürdige menschliche Charaktere zum Mittelpunkt von Filmen zu machen, die in anderen Händen zu reinen Effektschlachten verkommen wären. Das Baby - immerhin kreiert von Rick Baker - sieht zugegebenermaßen etwas billig aus. Das wusste aber offensichtlich auch Cohen und hat es deshalb sehr geschickt eingesetzt: Man sieht es immer nur sehr kurz und ausschnittsweise oder aber im Dunkeln. Überhaupt muss man mit Bewunderung anerkennen, wie Cohen weiß, seine geringen finanziellen Möglichkeiten mit maximaler Wirkung zu nutzen. Exemplarisch sei die famose, beinahe dokumentarische Eröffnungssequenz genannt, die ihre Hochspannung vor allem aus der präzisen Beobachtung einer absolut realistischen - und für die Beteiligten extrem nervenaufreibenden - Situation zwischen dem Einsetzen der Wehen und der eigentlich für Entspannung sorgenden Geburt bezieht. Cohen hingegen setzt noch einen drauf - und der Zuschauer erholt sich eigentlich den ganzen Film über nicht von dieser Enttäuschung der Erwartungen. Genug der Lobeshymnen, lieber noch Teil 2 und 3 hinterherschieben. Toll!
#351
Geschrieben 25. April 2006, 17:36
Killende Mörderbabies, zweiter Teil: Wie das mit Sequels so ist, ist alles nicht mehr ganz so zwingend wie im ersten Teil, nichtsdestotrotz ist IT LIVES AGAIN aber immer noch eine Wolke von Film. Papa Davis aus Teil 1 (John P. Ryan) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Eltern zukünftiger Monsterbabies ausfindig zu machen und sie vor den Übergriffen des Staates zu schützen, der wiederum darauf bedacht ist, dass kein weiteres der kleinen Ungeheuer das Licht der Erde erblickt. Wissenschaftler haben eine Methode entdeckt, die Geburt der Babies vorherzusagen, und so befinden sich die betreffenden Eltern unter ständiger Überwachung - ohne ihr Wissen natürlich. Doch Davis hat ebenfalls vorgesorgt: Zusammen mit Eddie Constantine und einigen eifrigen Wissenschaftlern hat er einen fahrenden Kreißsaal am Start und boxt die werdende Mama aus der Obhut der bemützten Herren mit dem Calippo aus Hartplastik. In einem abgelegenen Häuschen stehen die bisherigen Monsterbabies unter wohlwollender Beobachtung. Ganz so sachlich geht es dort aber auch nicht zu, denn insgeheim träumt die versammelte Doktorenschar von Supermenschen und Herrenrassen. Und wie das so ist, die Babies schmieden ebenfalls Pläne, die sich mit denen ihrer Väter nicht ganz decken wollen. Es kommt zum großen Ringelpiez ...
Man hört es schon, Cohen weitet den Fokus hier von der familiären Privatapokalypse auf eine dystopische Zukunftsvision eines Staates aus, der den Begriff Geburtenkontrolle ganz besonders Ernst nimmt. Zu Beginn fällt dann auch der Vergleich zum legitimierten Infantizid (gibts das Wort auf Deutsch?) in Indien. Das macht das Sequel interessant - im Vergleich zur rein nacherzählenden Fortsetzung -, lässt es aber gegenüber dem Vorgänger auch etwas "weiter draußen" erscheinen. Cohen weiß dennoch, diese erneut absurde Prämisse so zu kleiden, dass sie nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird. IT LIVES AGAIN ist im Gegenteil wieder sehr finster geraten, kein Vergleich zum locker-flockigen Ton eines Q oder THE STUFF. Die Schauspieler durch die Bank mit Engagement und Überzeugungskraft am Werk, mit Frederic Forrest gibt es hier sogar einen relativ renommierten Herren in einer frühen Rolle zu sehen (mit Schnäuz!). Die Effekte um die Babies, die diesmal etwas mehr ins Bild gerückt werden, sind gut gelungen und hier und da wird auch auf die Tube mit dem roten Saft gedrückt. Insgesamt also genauso eine Bank wie die anderen Cohen-Filme, wenn auch etwas schwächer als das Original. Aber das ist ja auch nicht wirklich eine Überraschung.
#352
Geschrieben 26. April 2006, 10:25
Früher, auf dem Heimweg von der Schule, habe ich mit meinen Freunden gern dem Büdchen gegenüber unserer Bushaltestelle meine Aufwartung gemacht. Dort haben wir uns dann für kleines Geld eine "gemischte Tüte" zusammengestellt. Für alle die, die mit der Büdchenkultur nicht so vertraut sind (habe gehört, dass es etwa in Bayern oder Baden-Württemberg solche Büdchen, auch Trinkhallen genannt, gar nicht gibt): Das hat nix mit rauchbaren Kräutern zu tun, sondern bezeichnet ein kleines Papiertütchen, dass man dann mit Süßigkeiten - etwa Gummibärchen, sauren Schnüren, weißen Mäusen, Colafläschchen, Brausebonbons etc. - befüllen ließ. Hatte man eine solche gemischte Tüte vertilgt - oder vielmehr den Inhalt derselben - hatte man meist einen ziemlich zuckrigen Klumpen klebrigen Etwasses im Bauch, der Zahnschmelz hatte sich bis auf das Zahnfleisch zurückgezogen und an das Mittagessen war nicht mehr zu denken. Und am Boden des Tütchens erinnerte nur noch der übriggebliebene Zucker an das, was da vorher drin gewesen war. Diese gemischten Tüten waren trotzdem für uns das Allergrößte - wobei das selbst mischen und zusammenstellen, das damit verbundene Abzählen des Kleingelds meist wesentlich spannender und befriedigender war, als das Vertilgen der bunten Zuckerwaren.
Mit Larry Cohens drittem Teil der WIEGE-Reihe verhält es sich ein bisschen wie mit den gemischten Tüten: Man erhält eine bunte Mischung absonderlicher Zutaten, die einen neunzig Minuten bei der Stange hält - obwohl man nicht so genau weiß, was man da eigentlich zu sich nimmt -, aber am Ende etwas übersättigt und ratlos zurücklässt. Was ist das? Nach den sehr ernsten und düsteren, allenfalls zwischen den Zeilen lustigen Vorgängerfilmen, macht Cohen hier eine 180-Grad-Kehrtwende und präsentiert bunten, garantiert sinnlosen Trash, der eigentlich nur von einem wieder einmal famos aufspielenden Michael Moriarty zusammengehalten wird. Das Drehbuch - sonst bei Cohen immer eine Bank - ist ein loses Sammelsurium halb verbundener Handlungsstänge und Ideen und es ist ein Wunder, wie Cohen das alles in nur 90 Minuten unterbringt. Der Film beginnt im Gerichtssaal, wo Monsterbaby-Vater Michael Moriarty den Richter davon überzeugt, dass die Killerbabies mitnichten exekutiert gehören, sondern vielmehr an einen Platz geschickt, an dem sie in Frieden aufwachsen können - eben eine einsame Insel. Die nächsten 20 Minuten gehören Moriarty, der aufgrund seiner Vergangenheit zum gesellschaftlichen Outcast gestempelt wird und mehr schlecht als recht dahinvegetiert. Schließlich sind fünf Jahre vergangen und ein paar Wissenschaftler wollen gucken, wie sich die kleinen Racker auf ihrer Insel so entwickelt haben. Moriarty kommt mit, der Film verwandelt sich in einen handfesten Abenteuerstreifen komplett mit Schifffahrt und Moriarty darf in den nächsten 20 Minuten improvisieren bis die Linse raucht. Groß, ganz groß, was der da abzieht! Es kommt zum lustigen Gemetzel, die Monsterbabies - die ein bisschen aussehen wie die Aliens in BAD TASTE - kapern das Schiff mit dem Papa und machen sich auf den Weg nach Florida. Dort wohnt nämlich die Monstermama, Moriartys Ex-Frau Karen Black (Fehlbesetzung anyone?). Unterwegs schmeißen sie den Moriarty über Bord, wahrscheinlich nur für den Gag, dass er von Kubanern aufgefischt wird, die ihn als illegalen Einwanderer behandeln. Gegen Ende gibt es Reminiszenzen an diverse Tromafilme als eine Bande typischer 80s-Punks Randale macht, es wird noch ein bisschen gesplattert bis zum abstrusen Ende, Feierabend.
Das ist jetzt alles sehr viel länger geworden, als es der Film eigentlich verdient, denn gut im herkömmlichen Sinn ist IT'S ALIVE III nicht. Der "Gesinnungswandel" Cohens ist rätselhaft: Von den düsteren, ernsten Horror-/Sci-Fi-Stoffen ist mit dem höheren Budget die Abkehr hin zum Popcorn-Horror vollzogen worden. Dass das nicht ganz Cohens Stärke ist, sieht ein Blinder. Dennoch gibt es genug Ideen, um den Zuschauer an den Schirm zu fesseln. Nur wäre es schön gewesen, wenn Cohen sich die Zeit gelassen hätte, die ein oder andere Idee auch mal sacken zu lassen.
#353
Geschrieben 27. April 2006, 01:22
Oh Mann, schon lange habe ich mich nicht mehr so durch einen Film gequält wie durch diesen gescheiterten Versuch eines britischen Okkult-Sleazers. Dennoch brachte der Film zwei bahnbrechende Erkenntnisse: Erstens reicht es zum Sich-Einstellen des Gefühls, knietief durch den Schmodder menschlichen Daseins zu waten, nicht aus, nur möglichst ausführlich und ausgiebig sekundäre Geschlechtsmerkmale zur Schau zu stellen. Zweitens gehen Sleaze bzw. Trash und britische Herkunft offenbar nicht so wirklich zuammen. Wäre dieser Film über ein adrettes Geschwisterpärchen, das unter dem Deckmantel eines Fotoshootings einer okkulten Vereinigung vordergründig sexuell motivierter Hexen und Priester zugeführt werden soll, in Italien, Deutschland oder meinetwegen den USA entstanden, nur eine kräftige Dusche und das Abrubbeln mit Glaswolle hätte den beschmutzten Zuschauer reinwaschen können, der distinguierte Brite aber inszeniert das potenziell anstößige Treiben selbst in seinen zwielichtigsten Momenten noch viel zu geschmackssicher. Den endgültigen Todesstoß erhält der Film aber dadurch, dass der ganze Stuss tatsächlich nur um diese langweiligen Nackereien herum inszeniert wurde. Dazwischen passiert nüschte. Mit Ausnahme einiger fein ausgeleuchteter Orgien und einem Darsteller der aussieht wie eine Kreuzung aus Uli Hoeneß und Jens Lehmann und somit in der Lage ist, die seit der Pro-Lehmann-Entscheidung entzweite Fußballseele Deutschlands zu versöhnen, gibt es hier wirklich nichts, was die Mühe eines langen Eintrags rechtfertigen könnte. Also: Feierabend.
#354
Geschrieben 27. April 2006, 19:52
Mal wieder eine Videospielverfilmung. Videospiele scheinen ja mehr und mehr den Roman als Filmvorlage abzulösen. Interessant, früher gab's die Spiele zum Film - das war meist lieblos runterprogrammierte Scheiße - heute den Film zum Spiel. Und da steckt mehr und mehr nicht nur richtig viel Kohle, sondern auch noch Talent drin. Regisseur Christophe Gans hat zwar mit DER PAKT DER WÖLFE m. E. einen absolut unerträglichen und schamlos überbewerteten Rohrkrepierer zusammengeschustert, sein CRYING FREEMAN ist aber ein Film, den ich in lieber Erinnerung habe und deshalb lieber gar nicht mehr sehen möchte. In SILENT HILL hat er sich, was ungehemmten Eklektizismus und Pseudoepik angeht, wieder etwas am Riemen gerissen. Liegt vielleicht auch am Drehbuchautor Roger Avary, ein Mann, aus dem ich auch nicht so recht schlau werde. Bevor hier jedoch der Eindruck entsteht, SILENT HILL sei ein gut erzählter Film: Dem ist nicht so. SILENT HILL begeistert nämlich immer genau dann, wenn die klassische Narration aussetzt, die lästigen Zwänge der Kausalität über Bord geworfen werden und die Macher sich einfach auf die Macht der Bilder und das Schaffen einer finsteren Atmosphäre verlassen. In diesen Momenten ist Gans' Film verdammt nah dran am Spiel, soweit, dass der erprobte Zocker einzelne Settings, Soundeffekte oder die Musik wiedererkennt.
Leider, leider scheint man aber wie so oft nicht der Meinung gewesen zu sein, es reiche aus, einfach nur die Hölle auf Erden abzubilden: So gibt es noch eine doofe und vor allem unnötige Nebenhandlung um Sean Bean, dem man die ganze Zeit ein Breitschwert wünscht, damit er was zu tun bekommt. Am Ende löst man sich dann immer mehr von der Vorlage und zimmert eine Story zusammen, die wieder einmal überdeutlich THE RING paraphrasiert: das kleine Mädchen, das so voller Hass steckt, dass es eine ganze Stadt vernichtet. Je mehr erklärt und rationalisiert wird, umso mehr verliert sich die Wirkung der starken, surrealen und verstörenden Szenen: der "Pyramid Head", der mit seinem Mammutschwert (courtesy of Sean Bean) durch ein Meer von Monsterkakerlaken läuft; brennende Zombiekinder, die Jagd auf die Heldin machen; die strenge wörtliche Übersetzung des Wortes "Peeling"; die Verbrennung und das grausame Schauspiel dahinschmelzender Gesichtshaut; fiese, an den Wiener Aktionismus oder missglückte Sado-Maso-Performances gemahnende Körper, die durch finstere Flure stapfen. Erst im Showdown, wenn Sektenmitglieder beherzt von Stacheldraht zerfetzt werden und sich ein Blutregen über der Heldin ergießt, besinnt sich der Film wieder auf seine Stärken, die eindeutig auf der Bildebene liegen. Bis dahin muss man so manche geschwätzige Passage über sich ergehen lassen. SILENT HILL ist dennoch ein netter Time Waster, der ganz gut in die momentan grassierende Rückkehr des Splatterfilms passt und mit seinem modrigen, verschmutzten Look punktet.
#355
Geschrieben 30. April 2006, 09:38
Auch nach bestimmt 20 Jahren, die seit meiner letzten Sichtung dieses Film vergangen sind, hat sich an meiner Einschätzung nix geändert, im Gegenteil. Mochte ich den Film als Steppke damals vor allem wegen seiner zwei, drei fies splatterigen Momente, die mir beim Gucken immer so ein verwegenes Gefühl gaben, so hat mich Meister Aldrichs Film gestern vor allem wegen seiner Komplexität gefesselt - und ebendiese macht es schwer, hier mal so eben was Schlaues zu dem Film zu sagen. Aldrichs Western ist großes Diskurskino und seine Thesen lassen sich einfach nicht in einer bequemen Lebensweisheit zusammenfassen.
Doch der Reihe nach: Der Apachenhäuptling Ulzana, seit Jahren in einem Reservat eingeknastet, begibt sich mit 5, 6 seiner Indianer, darunter auch sein Sohn, auf den Kriegspfad. Die Soldaten, die das Reservat bewachen, müssen eingreifen und vor allem die verstreut lebenden Siedler evakuieren, bevor Ulzana sie erreicht. Burt Lancaster ist McIntosh, ein Rauhbein alter Schule, Fährtenleser und Indianerfachmann (er hat eine indianische Ehefrau). Die Hoffnung der Soldaten, dass Ulzana in friedlicher Absicht unterwegs sein könne, zerschlägt er barsch: Mord, Plünderung, Zerstörung, Brandschatzung und Vergewaltigung müsse man erwarten. Der junge, etwas schnöselige und unerfahrene Lieutenant DeBuin (Bruce Davison) soll das Kommando der Ulzana-Vefolgung übernehmen. Mit der Unterstützung des Apachen Ke-Ni-Tay macht man sich auf die Jagd entlang der Blutspur, die der mordlustige Ulzana hinterlässt.
Aldrich entwickelt sein Thema im Spannungsfeld zwischen drei Figuren: Da ist zum einen McIntosh, der weiß, zu welchen Gäueltaten Indianer fähig sein können, und der sich, was die Intention Ulzanas angeht, keinen Illusionen hingibt. Dennoch empfindet er keinen Hass; das wäre, so sagt er, als hasse man die Wüste dafür, dass es in ihr kein Wasser gibt. DeBuin hingegen, Priestersohn und gerade frisch von der Akademie, ist schockiert von der Grausamkeit und "Amoralität" der Indianer. Er sieht seine christlichen Wertvorstellungen verletzt und wird mehr und mehr von gefährlichem Fanatismus ergriffen, den auch seine Truppe an den Tag legt. In einem Gespräch mit seinem namenlosen Sergeant (Richard Jaeckel) über die Sinnlosigkeit und Amoral des Tötens sagt dieser nur: "Ich halte einem verdammten Indianer nicht auch noch die rechte Wange hin." - Der Rassenhass hat sich tief eingegraben. Tasächlich scheinen die Lehren aus DeBuins Bibel nicht mehr zu greifen. Ke-Ni-Tay (Jorge Luke) wiederum, der sich mehr und mehr den Anfeindungen des Lieutenants ausgesetzt sieht, versteht Ulzanas Ausbruch als die Flucht eines stolzen Jägers, der zum jämmerlichen Dasein in einem Reservat (in dem eine schmerzhafte Unterversorgung mit Nahrungsmitteln herrscht) verdammt ist.
Was Aldrichs Film von anderen abhebt, ist, dass er nicht den Fehler begeht, eine Figur zum moralischen Übermenschen zu machen. Es gibt nicht die eine Figur, die "Recht" hat, es gibt keine glückseligmachende Auflösung des Konflikts - deswegen endet sein Film auch in einem blutreichen Gemetzel. Vielmehr macht er deutlich, dass unsere Traum von einem Paradies, in dem alle Menschen in Frieden miteinander leben, eben kein über die Kulturen hinausgehendes Allgemeingut ist. Aldrich zeichnet kein allzu freundliches Bild der Indianer. Gerade zu Beginn kann man leicht den Eindruck gewinnen, hier ein besonders unverbrämtes Stück Anti-Indianer-Propaganda vor sich zu haben, denn Ulzanas Kriegszug wird als äußerst brutal und unmenschlich dargestellt. Das rassistisch geschönte Karl-May-Bild des edlen Wilden und Naturburschen lässt sich aus ULZANA'S RAID nicht filtern. Aber es geht auch nicht darum, die kulturelle und moralische Unterlegenheit des Indianers an sich zu zeigen, sondern allein dessen Anders-Sein: Ihn von unserem moralischen Standpunkt aus verurteilen zu wollen, ist ein verheerender Fehler, der in den Fanatismus führt. Die Kunst besteht eben darin, die Sachlichkeit und Besonnenheit auch dann nicht zu verlieren, das Fremde nicht totalitär zu verdammen, wenn es unseren Wertvorstellungen diametral entgegengesetzt ist. Es wird aber auch keine Lanze für Indifferenz des Kulturrelativismus gebrochen - denn das Ulzana Verbrechen begeht, daran besteht ja kein Zweifel.
Aldrichs Film ist unangenehm, denn er untergräbt das Fundament unserer christlichen geprägten Tagträumereien. Er gibt uns nicht die Befriedigung, die Taten Ulzanas zu relativieren und er gibt eben keine griffige Handlungsmaxime an die Hand. Es gbt da draußen Dinge, die lassen sich von unserem kulturellen Standpunkt nur schwer begreifen und schon gar nicht von diesem aus verteidigen. Damit müssen wir leben. ULZANA'S RAID ist so überdeutlich ein Film, mit dem sich sehr gut gegen eine moralisch legitimierte Interventionspolitik argumentieren lässt. Darüber hinaus ist Aldrichs Film ein sauspannender Western, der von einem hervorragenden Drehbuch und famosen Schauspielerleistungen geadelt wird. In einer der vielen tollen Szenen machen sich DeBuins Soldaten über die Leiche eines Indianers her, sie beginnen, ihn auszuweiden, wie Ulzanas Leute es vorher mit einem Soldaten gemacht haben. DeBuin geht empört dazwischen, fordert ein christliches Begräbnis für den Indianer und unterbindet das barbarische Treiben. McIntosh - Burt Lancaster einfach nur cool - setzt sich neben den aufgebrachten Jungspund und sagt: "What you are afraid of is to see white people behaving like indians. Kind of confuses the issue, don't it?" Ein Meisterwerk, sonst gar nichts.
#356
Geschrieben 30. April 2006, 14:35
- so lässt sich der Eindruck, den George Stevens Mythos-Western bei mir hinterlassen hat, am ehesten beschreiben. SHANE bzw. MEIN GROSSER FREUND SHANE ist so ein Film, bei dem die Emotionen schon nach kurzer Zeit die Oberhand über lästige Rationalisierungen gewinnen, der Film trifft einfach nur ins Herz.
Eine Blockhütte im Niemandsland vor der imposanten Kulisse der Rockies. Ein Hirsch schlürft Wasser aus einem malerisch in der Pampa drapierten See, ein blondes Jünglein zielt mit seinem Gewehr auf das edle Tier (man erfährt später, dass das Gewehr niemals geladen ist), als am Horizont die Silhouette eines Reiters erscheint. Es ist Strahlemann Shane (Alan Ladd), der aus dem Nichts kommt und auch dahin unterwegs ist: "I'm going to a place I don't know" - so ähnlich hört sich das bei Shane an. Der Junge ist Joey Starrett, dessen Familie zu den Siedlern gehört, die das Tal bewohnen. Die rechtschaffenen einfachen Farmer sehen sich aber den Übergriffen des fiesen Ryker ausgesetzt, der die "Neuen" in "seinem" Land nicht duldet und versucht, sie mit seinen Männern zu vertreiben. Starrett wehrt sich vehement und schafft es immer wieder, seine Freunde zum Bleiben zu überreden. Als Shane kommt - man erfährt nichts über seine Vergangenheit, darf aber vermuten, dass er ein Revolverheld ist - gibt es endlich Hoffnung für die Farmer. Auch wenn Shane eigentlich ein neues Leben beginnen wollte.
Im Western geht es ja nicht zuletzt um die Landschaft. Besonders deutlich wird das in SHANE. George Stevens, ehemaliger Cinematograph, fängt immer wieder die schier unendliche Leere und Weite ein und macht deutlich, welche Ausdauer und Kraft die viel besungenen Pioniere gehabt haben müssen. Das neu erschlossene Land ist rechtsfreier Raum. Hofnung auf Hilfe darf man sich nicht machen. Es ist sprichwörtliches Niemandsland - genauso gut könnte es auf einem anderen Planeten liegen. Die Utopie der Vereinigten Staaten ist (noch) allenfalls ein geistiges Konstrukt, das in der Realität keine echte Entsprechung findet. Ihre Identität erhalten die handelnden Figuren dann auch immer noch durch ihre Herkunft: Zum Unabhängigkeitstag wird der Heimatstaat besungen, Yankees und Nordstaatler stehen sich alles andere als wohlgesonnen gegenüber - daran hat sich ja bis heute nicht wirklich etwas verändert.
SHANE behandelt die Geburtswehen einer Nation und man würde wohl nicht übertreiben, den Film in den Status des Volksmärchens zu erheben. Die Figuren sind demzufolge auch keine echten Charaktere, sondern nur Figuren, Folien. Deshalb rücken Stevens und Kameramann Loyal Griggs diese auch oft postkartenmäßig ins rechte Licht. Es gibt unzählige Aufnahmen markanter Porträtaufnahmen vor einfachem blauen (Himmel) HIntergrund, die in stilistischer Nähe zu Heiligenbildern stehen. Überhaupt ist SHANE eine nur sehr notdürftig verkleidete Nacherzählung des Neuen Testaments, womit er aber natürlich längst keine Ausnahmestellung einnimmt. Stevens Film macht aber besonders deutlich, wie sehr die Geschichte der Vereinigten Staaten auch als Versuch verstanden werden kann, Erzählung zu werden - nämlich die Nacherzählung eben des Neuen Testaments.
SHANE bietet - das steht meiner Aussage von oben etwas entgegen - eine Menge Stoff für wissenschaftliche Analyse, auch oder gerade weil er beinahe ausschließlich auf ein Verständnis auf emotionaler Ebene abzielt.
Vieles wirkt aus heutiger Perspektive extrem anachronistisch: Die Siedler sind einfach zu nett, das propagierte Familienbild ist so amerikanisch, dass die Marshmallows explodieren, und Alan Ladd ist als Shane viel zu blond und soft, um ein echter Revolverheld zu sein. Aber auch deshalb funktioniert der Film, weil er eben zu keiner Sekunde den Eindruck vermittelt, das Geschehen irgendwie realistisch abbilden zu wollen. In Nebenrollen sind Ben Johnson und Jack Palance zu sehen; letzterer als fieser Gunslinger Wilson mit dem heimeligen Lächeln eines Haifischs ausgestattet. Das Ende, die Schlusseinstellung ist wirklich famos und brennt sich so richtig ins Bildergedächtnis ein.
PS: Hatte eben bei der Überschrift einen geilen Buchstabendreher drin: Sahne
#357
Geschrieben 30. April 2006, 19:48
Mal wieder eine deutsche Synchro genossen – der nuschelige Originalton von Walter Hills SOUTHERN COMFORT wollte ohne Untertitel nicht so richtig reinlaufen. Bei diesem nur unschwer als Vietnam-Parabel zu entziffernden Film handelt es sich sehr wahrscheinlich um des Regisseurs Sternstunde. Hill wird ja gern als amerikanischer Actionfilm-Spezialist etikettiert, was ich ehrlich gesagt ziemlich unsinnig finde. Zwar lassen sich seine Filme grob in diesem Genre verorten, dennoch zeigt sich immer wieder sehr deutlich, dass Hill sich mit der Umsetzung von Actiontableaus schwer tut. Sein Möchtegern-Woo-Film LAST MAN STANDING zeigt den Unterschied zwischen einem wirklich begnadeten und einem eher mittelmäßig begabten Action-Regisseur. Wo Woo etwa den Begriff „Action“ wörtlich nimmt und in seinen Shootouts eben alles der Bewegung unterwirft, wirken entsprechende Szenen bei Hill statisch und langsam. Dieses Unvermögen – vielleicht ist es auch Absicht – teilt er m. E. mit Carpenter, dessen Filme ihre Spannung ja meist aus der materiellen Abwesenheit eines Antagonisten beziehen. Wenn Carpenter klassische Actionszenen umsetzen muss, zeigt sich recht schnell, dass ihn die Bewegung nicht so sehr interessiert. Bei ihm geht es mehr um die Reaktion der Protagonisten auf die ungreifbare Gefahr (mit THE FOG hat er das sehr deutlich bebildert). Kein Wunder, dass sich seine besten Filme in abgeschlossenen oder zumindest sehr begrenzten Räumen abspielen. Der Vergleich zwischen Hill und Carpenter drängt sich vor allem dann auf, wenn man ESCAPE FROM NEW YORK und THE WARRIORS gegenüberstellt, die wirklich sehr auffällige Parallelen aufweisen. Ähnliches gilt für SOUTHERN COMFORT und Carpenters ASSAULT ON PRECINCT 13.
Genug zu Carpenter, zurück zu Hill. Das beschriebene Manko gerät bei SOUTHERN COMFORT zum Vorteil, eben weil der Feind – eine Gruppe französischstämmiger Cajuns in den Sümpfen Louisianas – die meiste Zeit unsichtbar bleibt. Eine handvoll Wochenendsoldaten – Reservisten, wenn ich das richtig verstanden habe –, die einen bunten Querschnitt durch die amerikanische Bevölkerung darstellen, treffen sich zum Wochenendmanöver im Sumpf. Der überbordende Chauvinismus führt schon nach kürzester Zeit zur Katastrophe: Als zur Überquerung eines Gewässers drei Kanus entwendet werden, zeigt sich die einheimische Bevölkerung nicht sehr begeistert. Die vom aggressiv-blöden Stuckey abgefeuerten Platzpatronen werden mit einer Kugel in den Kopf des Vorgesetzten erwidert. Von nun an sehen sich die Soldaten von einem unsichtbaren Feind verfolgt, der sich in den unwirtlichen Sümpfen eine völlig abgeschlossene Zivilisation errichtet hat. Ein munteres Zehn-kleine-Negerlein entwickelt sich und auch untereinander beginnen sich die ach so normalen Amerikaner nach und nach aufzureiben.
Hills Film lebt zuerst von seinen tollen Settings; die Dreharbeiten dürften indes die Hölle gewesen sein. Die Sümpfe Louisianas sind der perfekte Hintergrund für diese Mär vom unsichtbaren Feind im eigenen Land und der Borniertheit der US-Bürger, die vom vermeintlichen Barbaren gezeigt bekommen, wo der Bartel den Most holt. SOUTHERN COMFORT lässt sich perfekt in die Reihe amerikanischer Backwood-Filme einordnen und zählt in diesem Subgenre sicherlich zu den herausragenden Vertretern. Das Finale in einem winzigen französischen Dorf mitten im Nirgendwo, in dem ein sehr ausgelassenes Fest stattfindet, gehört zu Hills inszenatorischen Meisterleistungen. Wenn sich die letzen beiden Überlebenden parallel zu hypnotischer Hillbilly-Musik bis aufs Blut gegen ihre Jäger verteidigen, erreicht das fast die Intensität von Peckinpahs besten Filmen. Überhaupt die Musik: Slideguitar-Virtuoso Ry Cooder, der so einige Filme von Hill mit seiner Musik veredelt hat, ist natürlich die Idealbesetzung für diesen Score. Und auch bei der Besetzung hat der Regisseur ein gutes Händchen bewiesen. Es finden sich große Namen der zweiten und dritten Garde des 80er-Kinos: Keith Carradine, Powers Boothe, Fred Ward, Peter Coyote sowie Brion James mit Vollbart und französischem Akzent. Und um noch mal zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Die mittelmäßige deutsche Synchro kehrt die Blödheit der Protagonisten noch mal besonders deutlich hervor und ist somit fast schon als Gewinn zu bewerten. Hätte den Film aber trotzdem lieber auf Englisch gesehen ...
#358
Geschrieben 01. Mai 2006, 09:31
Ich habe noch nostalgische Erinnerungen an den Tag als ich endlich diesen wie auch andere sehnlichst herbeigewünschte Splatter- und Horrorfilme in der wunderbaren Videothek auf der Maaskade in Venlo in der Hand hielt – ungeschnitten, versteht sich. Viel hatte ich gelesen über die Bestie Fulci und seine barbarischen Machwerke und ja, so was hatte ich wirklich noch nicht gesehen. THE BEYOND schien mir damals der splatterige Gipfel aus des bärtigen Italieners Zombiequartett, von Fulci selbst nur noch getoppt vom NEW YORK RIPPER.
Gestern mit der Freundin geguckt, entpuppen sich die zahlreichen Splattereinlagen doch nur als der letzte Tropfen Maggi in einer auch sonst recht nahrhaften Suppe. Und sind diese auch eklig, so richtig schocken können sie nicht mehr, dafür sind sie doch ein bisschen zu naiv. Spätestens wenn Fulci zum dritten Mal seiner Vorliebe für gepflückte Augäpfel frönt, sollte klar sein, dass das alles nicht so ernstzunehmen ist. Von den 2 – 3 deutlich als solche zu identifizierenden Pappspinnen, die sich in der denkwürdigen Bibliotheksszene unter die echten gemischt haben, ganz zu schweigen. Ich habe nie verstanden, warum Fulci nicht wenigstens in den Totalen auf die nur unzureichend beweglichen Krabbelviecher verzichtet hat, er hatte doch genug echte Biester am Start. Aber es sind auch diese Momente, in denen die Lust an der Imagination die Erwägungen um Machbarkeit überflügeln, die die Magie dieses Films ausmachen.
Gestern konnte ich mich wahrscheinlich zum allerersten Mal seit Erstsichtung wirklich auf den Film um die Set Pieces konzentrieren und war das ein oder andere Mal annähernd sprachlos. Von wegen Billigheimer, Fulci spinnt seine Mär vom Tor zur Hölle, das sich unter einem kleinen Hotel in New Orleans befindet und seine Brut ausspuckt, in erlesenen und traumhaft ausgeleuchteten Bildern, die seine inszenatorische Könnerschaft zu jeder Sekunde belegen. Dass die Geschichte keinen echten Sinn ergeben will, ist durchaus Absicht, denn Fulci verzichtet in THE BEYOND völlig auf eine kohärente Narration, um die Hölle auf der Leinwand abzubilden. Nicht nur, dass es so gut wie gar keine (erklärenden) Dialoge gibt, auch die Bilder bleiben rätselhaft und einer traumgleichen Logik unterworfen. Wenn die Hölle ihre Pforten öffnet, dann ist es eben Essig mit schnöder Rationalität! Das verdeutlicht auch die Tonspur, auf der sich der Toningenieur und Soundmensch so richtig ausgetobt hat: Es kracht, knackt, quietscht (Krankenhaus!), klatscht, klopft und poltert, dass die Muschel qualmt! Fabio Frizzis Score ist ebenfalls eine Meisterleistung, die sich hinter Goblin nicht verstecken muss, und passt mit seinen entrückten Melodien zu Sergio Salvatis Bildern wie der Arsch auf den Deckel. Und bei aller Reduzierung Fulcis auf seine markanten Sauereien sollte man nicht vergessen, dass THE BEYOND trotz aller Zeigfreudigkeit richtig gruselig ist: Die Szenen im Keller des Hotels oder in der Leichenkammer des Krankenhauses sind jedenfalls verdammt effektiv. Und das Ende ist einfach nur Poesie.
#359
Geschrieben 02. Mai 2006, 21:30
BIRTH vom SEXY BEAST-Regisseur Jonathan Glazer ist einer der deprimierendsten Filme der letzten Jahre, was ich als Lob verstanden wissen möchte. Er behandelt seine Themen Wiedergeburt, Seelenwanderung und den Traum von der ewigen Liebe auf eine so desillusionierende Art und Weise, dass man nach neunzig Minuten und einem niederschmetternden Ende erstmal ziemlich dumm aus der Wäsche guckt. Vordergründig im Mystery-Genre anzusiedeln, gibt Glazer diesem Stoff eine stark melodramatische und psychologisierende Wendung und verzichtet gänzlich auf metaphysische Erlösungsphantasien, wie sie etwa bei Shyamalan allgegenwärtig sind. Eine Auflösung oder einen Schlussgag gibt es nicht, keine Antworten und auch keine Hoffnung. Nur Einsamkeit und Verzweiflung ...
Die junge Frau Anna (Nicole Kidman mit Bubikopf und kaum wiederzuerkennen) hat, so erfährt der Zuschauer nach und nach, vor Jahren ihren Ehemann Sean verloren, ihre große Liebe, und den Verlust hat sie nie ganz verarbeiten können. Jetzt steht sie kurz vor einer neuen Ehe mit dem Geschäftsann Joseph (Danny Huston), der ihr den Verlorenen zwar nicht ersetzen kann, der aber zu ihr steht und ihr die Kraft gibt, die sie braucht. Sie ist zufrieden, nicht unglücklich, aber es ist eine Vernunftehe, die sie zu schließen gedenkt. Das wird überdeutlich als plötzlich ein zehnjähriger Junge in ihrer gemeinsamen Wohnung steht, der sich als ihr Ehemann Sean vorstellt und sie bittet, Joseph nicht zu heiraten. Anna ist natürlich wie vor den Kopf gestoßen, doch die Möglichkeit, dass da tatsächlich ihr Geliebter in Gestalt eines Jungen vor ihr steht, ist zu verlockend, um ihn einfach so wegzuschicken. Und tatsächlich: Mehr und mehr häufen sich die Beweise, dass ihr verstorbener Ehemann in einem neuen Körper zurückgekehrt ist. Der Junge erinnert sich an Dinge, die nur er und Anna geteilt haben, kennt privateste Details aus ihrem Leben und gewinnt so mehr und mehr das Herz der labilen Frau, sehr zum Unmut Josephs und ihrer Familie. Insgeheim schmiedet Anna schon Pläne für eine gemeinsame Zukunft mit Sean, bis in Form einer zweiten Frau im Bunde ein stichhaltiger Beweis dafür auftaucht, dass Sean nicht DER Sean sein kann ...
Glazer hat nach seinem guten SEXY BEAST einen noch besseren, weil deutlich homogeneren Film abgeliefert, der eine sehr herbstliche Atmosphäre verströmt und so von Beginn an klarmacht, dass es hier kein Happy End geben wird. BIRTH ist kalt, ohne jedoch die bemühte Sterilität von Designerwohnungen dafür bemühen zu müssen. BIRTH ist durchgängig in eigentlich warmen Erdtönen gehalten und spielt fast vollständig in der mondänen Welt kostspieliger Upper-West-Side-Appartements. Aber die vorhandene Wärme dringt niemals in das Herz seiner Protagonisten. Die Liebkosungen Josephs prallen an Anna ab, die - das zeigt das Ende des Films ziemlich krass - nie wieder in der Lage sein wird, einen Mann so zu lieben wie ihren Sean, den sie - so stellt sich am Ende heraus - in ihrer Erinnerung maßlos idealisiert hat. Die Möglichkeit der Wiedergeburt, des ewigen Lebens, eigentlich ja ein uralter Menschentraum, birgt hier jedoch keinen Trost für sie, sondern wird in sein grausames Gegenteil verkehrt: Da sind der Mann, der seine Frau an einen Toten in Gestalt eines Kindes verliert; der Verstorbene, der miterleben muss, wie seine Frau einen Neuen heiratet; die Mutter, die ihren Sohn verliert, weil er ja ein Mann im Körper eines Kindes ist. Dass Glazer am Ende die Möglichkeit offen lässt, dass alles eine Psychose des Jungen gewesen sein könnte, bietet da nur wenig Trost. Zwar scheint die schnöde Realität diese Interpretation zu belegen, doch die Blicke der Protagonisten sagen etwas anderes. Die Realität liegt im Auge des Betrachters und für Anna gibt es kein Zurück. Die ewige Liebe, die auch über den Tod hinaus Bestand und vor allem Macht hat, entpuppt sich als ein Alptraum, der Anna daran hindert, ein neues Leben zu beginnen. Und ihr neuer Gatte Joseph wird immer nur die zweite Wahl bleiben.
Glazer ist ein wirklich bemerkenswerter Film gelungen, wie ich finde, der keine Gimmicks braucht, um über die ganze Spielzeit zu fesseln. Der letzte Film über die Liebe, der mich so fertiggemacht hat, war SHUTTER. BIRTH ist allerdings noch furchtbarer, weil er nicht im Mantel des Horrorfilms daherkommt, sondern sein übersinnliches Thema völlig beiläufig inszeniert. Insgesamt wirklich meisterlich und wunderschön anzuschauen - wenn er nur nicht so verdammt tragisch wäre.
#360
Geschrieben 06. Mai 2006, 19:03
Vom spanischen Gothic-Horror kann sich der betuliche Walle-Walle-Grusel britischer Prägung noch eine deftige Scheibe Serrano-Schinken abschneiden. Wo des Naschys Buckel in die iberischen Alpen ragt, ist kein Platz für vage Andeutungen, schattige Schimären und psychologische Ausdeutungen. Da wird alles, was die örtliche Geisterbahn an Zinnober hergibt, in einen großen Topf geschmissen und unter Zuhilfenahme scharfer Gewürze eine würzige Paella zusammengerührt. Naschy ist Gotho, der Dorfbuckel des deutschen Dörfchens Kirchfeld, der sich tagein tagaus von der Dorfjugend dumme Sprüche anhören muss und dann und wann auch mal einen Wackerstein vor den Bregen bekommt. Sein Herz ist in Liebe zur blutarmen Ilsa entflammt, die blöderweise im Sterben liegt: "Ich gebe ihr höchstens noch ein, zwei Tage." - wenn nur alle Mediziner so präzise arbeiten würden. Als sie stirbt, verspricht der größenwahnsinnige Dr. Orla, der einer ziemlichen Hauruck-Wissenschaft frönt und sich mit Vorliebe in wissenschaftstheoretischen Erklärungsversuchen ergeht, sie wiederzubeleben. Doch dafür muss Gotho erstmal ein paar Leichenteile rankarren. Schon bald hat Orla einen stattlichen Eimer voller blubbernder Exkremente, die er zusammen mit seinem Gehilfen Dr. Tauchner in fiebriger Begeisterung begutachtet und in filigraner Kleinarbeit einfach mal den noch fehlenden Kopf oben reinstopft. Leider geht alles schief, das Wunder der Wissenschaft, ein schleimiger Sack voll Scheiße, braucht ständig neues Fleisch und Gotho hat bald die Faxen dicke, ist von einer neuen Ilsa doch weit und breit nix zu sehen. Dafür hält ihm die flotte Rosanna Yanni gern den wogenden Busen hin - was sind dagegen die Wonnen der Wissenschaft. Am Ende gibts einen kleinen Schlusskampf, bei dem Buckel und Furunkel zusammen in ein Säurebecken plumpsen - Fin.
Ja, so schön kann Grusel sein. DIE STUNDE DER GRAUSAMEN LEICHEN ist von vorn bis hinten ein einziger Freudentaumel, immer zielstrebig am guten Geschmack vorbei und dabei dennoch so liebevoll und liebenswert, dass einem schier das Herz aufgeht. Zwischendrin wird auch mal ordentlich gesplattert und insgesamt ein Tempo vorgegeben, das sehr beachtlich ist. Man bückt sich nur mal kurz nach dem Dosenbier und schon hat man was verpasst: Ob es brennende Ratten sind, verrückte Wissenschaftler, die sich keinen besseren Platz für ein Labor vorstellen können, als eine stinkende Gruft, blöde Gehilfen, die eine Leiche mal eben so ins Säurebad werfen, damit sie in Ruhe Karten spielen können, oder eben Paul Naschy als Gotho, der mit der Stimme von Christian Brückner rüberkommt wie ein missgebildeter Mafiosi - hier ist alles drin und noch mehr. Filmisch gibt es dazu an Aguirres Werk nichts auszusetzen: Die Bilder sind allesamt stimmungsvoll und zeigen viel Gespür für saftigen Grusel, die Musik passt hervorragend zur Stimmung und sogar die Spezialeffekte sind sehr ansehnlich geworden. Ein wunderschöner Film, wie man ihn nicht oft zu sehen bekommt. Und heute schon gar nicht mehr.
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