Der Monroe ihre dicken Hupen
#901
Geschrieben 14. August 2007, 08:43
Out of the Blue (Neuseeland 2006)
Regie: Robert Sarkies
Das kleiner neuseeländische Fischerkaff Aramoana wird von einem Amokläufer in Schach gehalten, bis dieser schließlich von der Polizei beseitigt werden kann. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits 13 Menschen erschossen ...
Sarkies' Film beruht auf einer wahren Begebenheit, die sich im Jahre 1990 zugetragen hat. Der Film endet mit einer Widmung an alle Verstrobenen sowie einer Würdigung bestimmter Personen, die sich durch besonders tapferes Verhalten verdient gemacht haben. Einer solche Strategie bedienen sich viele Filme, oft aus dem alleinigen Grund, sich gegen den gern erhobenen Sensationalismus-Vorwurf zu wappnen. Sarkies Anliegen scheint jedoch durchaus Ernst zu sein: Wer einen Reißer oder Thriller erwartet, wird bitter enttäuscht. OUT OF THE BLUE ist ein sehr langsamer Film, dessen wenigen im Dokumentarstil gefilmten Ausbrüche immer wieder mit elegischen Naturbildern und sehr intimen, ruhigen Momenten kontrastiert werden; ein Kontrast, der dazu geeignet ist, die im Titel angesprochene Unvorhersehbarkeit des Geschehens besonders stark hervorzuheben. Auch in den Amokszenen erreicht Sarkies eine sehr hohe Intensität: Die immer wieder vor allem hörbaren, äußerst realistisch klingenden Gewehrschüsse stehen für eine ständig anwesende uneinschätzbare Bedrohung, die sich zum Ende hin, wenn der Amokläufer schließlich im Umkreis seines brennenden Hauses mit geschwärztem Gesicht durchs hohe Gras kriecht, zum Kriegsszenario verdichtet. Wie wenig Sarkies an einer herkömmlichen Inszenierung des Geschehens interessiert war, zeigt sich am eindrucksvollsten sicher darin, dass der als Hauptfigur etablierte Polizist Nick Harvey (Karl Urban) mit dem letztlichen Ausgang des Geschehens rein gar nichts zu tun hat, ja noch nicht einmal mehr anwesend ist. Dissoziierende Effekte hebt sich Sarkies für den Killer auf, dem er mit Detail- und Großaufnahmen zu Leibe rückt, eher schemenhaft skizziert als seine Motivation nachvollziehbar zu machen. Formalästhetisch ist OUT OF THE BLUE einer der schönsten Filme des Festivals, inhaltlich bietet er allerdings nur wenig Neues: Ob man ihn mag, hängt letzten Endes davon ab, ob man heute noch genug Empathie für ein Geschehen aufbringt, das sich vor zwanzig Jahren am anderen Ende der Welt abgespielt hat.
#902
Geschrieben 14. August 2007, 09:05
Le Serpent (Frankreich 2006)
Regie: Éric Barbier
Der Modefotograf Vincent Mandel (Yvan Attal) kämpft um das Sorgerecht für seine Kinder. Die endgültige Trennung von seiner Frau, einer deutschen Millionärstochter, die zurück nach Deutschland möchte, steht unmittelbar bevor. Seine Chancen, das Sorgerecht zu erstreiten stehen gar nicht schlecht, da kommt ihm ein Fotomodel erst mit einer Anzeige wegen Vergewaltigung in die Quere, dann wird der ahnungslose Mann betäubt und auf äußerst pikanten Fotos festgehalten und zu guter Letzt gerät Vincent unter dringenden Mordverdacht. Da taucht plötzlich ein alter Schulfreund wieder auf ...
Wenn es um europäisches Thrillerkino geht, steht Frankreich unangefochten an der Spitze. Auch LE SERPENT trägt die bekannten Qualitätsmerkmale, ist clever konstruiert, mörderisch spannend, gut besetzt und sieht zudem noch saugut aus. Letztlich serviert uns Barbier hier zwar eine relativ normale Rachgeschichte, er legt aber genügend falsche Fährten, um das Interesse bis zum Schluss wachzuhalten. Der Protagonist hat in LE SERPENT besonders viel zu erleiden: Selbst als er zum Finale die Initiative ergreift und seinen Peiniger zum Kampf herausfordert, behält er nur kurz die Oberhand. Die im Rachethriller im Vordergrund stehende Bilanz aus erduldetem und ausgeteiltem Leid, die am Schluss meist relativ ausgegelichen ist, schlägt in Barbiers Film also sehr zu Ungunsten des Helden aus. Der Fotograf wird niemals zum Ebenbild des Schurken, sodass man bis zum bitteren Ende mit ihm mitfiebern darf, sich niemals in Sicherheit wiegen kann. Eine sehr runde, aber keineswegs besonders spektakuläre Angelegenheit, die ich mir aber äußerst gern angesehen habe.
#903
Geschrieben 14. August 2007, 09:51
The Devil dared me to (Neuseeland 2007)
Regie: Chris Stapp
Der kleine Randy Campbell will nichts mehr als in die Fußstapfen seines Vaters, einem berühmten Daredevil, zu treten, der einst bei seinem größten Stunt ums Leben kam. Sein Versuch von der Südinsel Neuseelands auf die Nordinsel zu springen scheitert aber kläglich und endet mit einem gebrochenen Arm. Als Randy bei einem fehlgeschlagenen Stuntversuch von Stuntstar Dick Johansonson, dem arroganten Chef der "Hellriders", verletzt wird, wird er ins Team aufgenommen und kommt seinem großen Traum ein Stück näher. Zwar darf er zunächst nur die Toiletten putzen, doch bald stiehlt er seinem großmäuligen Chef die Show und hat fortan einen gefährlichen Feind im Nacken ...
Geht doch! Die neuseeländische Ultra-Low-Budget-Komödie THE DEVIL DARED ME TO ist die auf dem Festival bislang vermisste Partygranate und genau der Film, der BLACK SHEEP mit aller Macht sein wollte, aber zu keiner Sekunde war. Schon die Idee, einen Haufen minderbegabter Daredevils zu den Protagonisten einer Komödie zu machen, ist toll (warum ist da zuvor nie jemand drauf gekommen?) und sorgt für jede Menge Schadenfreude, schmerzhafter Gags und idiotischer Stunts. Überhaupt scheint diese Profession ja ganz aufs Versagen abonniert zu sein, wenn man sich anschaut, was Johansonson und seine Crew hier so hinlegen. Letzten Endes hängt das Gelingen eines solchen Films aber vor allem von den Figuren und damit auch den Schauspielern ab und gerade auf diesem Sektor hat THE DEVIL DARED ME TO mit seinen beiden Protagonisten und Hauptdarstellern (Regisseur Chris Stapp und Matt Heath) einen echten Trumpf im Ärmel. Mich erinnerte DEVIL über weite Strecken an eine ungehobelte Version der Frat-Pack-Komödien, abgeschmeckt mit einer kleinen Portion Splatter und technischer Unzulänglichkeit. Für sein Budget sieht DEVIL aber wirklich fantastisch aus und macht kleinere Mängel mit der doppelten Portion Einsatzfreude (Stapp und Heath sind selbst Stuntmen) und Ideenreichtum mehr als wett. Smpathisch außerdem, dass die Handlung nicht unnötig auf 90 Minuten gestreckt wird, sondern der Film nach 75 Minuten endet, wenn man eigentlich gern noch mehr sehen würde. Toll! Im Publikumsgespräch berichteten Stapp und Heath von ihrem nächsten Projekt THE VASELINE WARRIORS, einer MAD MAX-Parodie, die von der Idee ausgeht, dass in einer apokalyptischen Welt ohne Frauen plötzlich Vaseline und Pornografie die wertvollsten Güter werden. Darauf freue ich mich jetzt schon.
#904
Geschrieben 14. August 2007, 10:06
Welcome to the Jungle (Australien/USA 2006)
Regie: Jonathan Hensleigh
1961 verschwand Michael C. Rockefeller, der Sohn des damaligen Vizepräsidenten, bei einem Aufenthalt auf Neuguinea spurlos und konnte auch trotz einer groß angelegten Suchaktion nie wieder gefunden werden. In der Gegenwart machen sich zwei Pärchen nun auf die Suche nach dem berühmten Sohn, weil sie hoffen, dadurch zu Reichtum und Berühmtheit zu gelangen. Äußerst naiv begeben sie sich in den Urwald, werden bald schon durch interne Streitigkeiten entzweit und gelangen schließlich auf getrennte Wegen in Kannibalen-Territorium ...
WELCOME TO THE JUNGLE führt das in BLAIR WITCH PROJECT adaptierte Konzept des vermeintlichen Realfilms zu seinem Ursprung, dem Kannibalenfilm CANNIBAL HOLOCAUST von Ruggero Deodato, zurück. Der Versuch gelingt nur bedingt, dennoch hat der Film bei mir hinreichend gewirkt, so viel vorab. Formal entpuppt sich Hensleighs Film schon in den ersten Minuten als Fake, wenn man erkennt, dass das angeblich authentische Filmmaterial äußerst kunstvoll montiert ist. Und die Antwort auf die Frage, wie das Material eigentlich in die Zivilisation zurückkehrt, bleibt der Film ebenfalls schuldig. Machen wir uns nichts vor: Mit der perfiden Manipulation, der ungemein vielschichtigen und spannenden formalen Gestaltung, der zweischneidigen inhaltlichen Ausrichtung und der insgesamt kontroversen Erscheinung des großen Vorbilds hat WELCOME rein gar nix zu tun. Aber wie sollte das auch anders sein? Die Zeiten haben sich geändert und so gibt sich Hensleigh damit zufrieden, das Kannibalenthema für den Mainstream urbar zu machen. Schocks oder gar Splatter gibt es eigentlich gar nicht (davon abgesehen, dass das Thema allein gewissen shock value beinhaltet), dennoch profitiert der Film wie schon BLAIR WITCH PROJECT vom Effekt der Authentifizierung und der Tasache, dass die entscheidenden Dinge eben gerade nicht zu sehen sind. Der ganz große Haken, an dem sich die Geister dann wohl aber scheiden werden, ist das Drehbuch, das den Zuschauer mit vier reichlich idiotischen Twens konfrontiert, von denen man zumindest zweien schon nach kurzer Spieldauer ein schnelles und möglichst schmerzhaftes Ableben wünscht.
Den Podcast zum Film gibt's hier.
#905
Geschrieben 14. August 2007, 10:09
Ex Drummer (Belgien 2007)
Regie: Koen Mortier
Vor der Tür des berühmten belgischen Schriftstellers Dries Verhegen (Norman Baert), einem ausgewiesenen Zyniker, stehen eines Tages drei Behinderte und fragen ihn, ob er in ihrer Band Schlagzeug spielen wolle. Dries schlägt ein und unternimmt so eine Reise in die absolute Unterschicht. Sein Sänger hat Spaß daran, Frauen zusammenzuschlagen, nachdem er sie durchgefickt hat, der drogenabhängige Gitarrist lebt mit Frau und Kind wie ein Messie, der Bassist hält mit der Mutter den Vater gefangen und lässt sich diesen von oben bis unten vollscheißen. Kein Satz kommt ohne derbe Unflätigkeiten aus, Anstand und Moral sucht man in dieser Welt völlig vergebens, es herrschen Elend, Dummheit, Egoismus und Sucht. So entwickelt sich eine äußerst merkwürdige Beziehung zwischen dem Schriftsteller und seinen Bandkollegen, die nach einem Rockwettbewerb in der Provinz blutig ekaliert ...
EX DRUMMER, die Verfilmung eines Romans des belgischen enfant terrible Herman Brusselmans, ging auf dem FFF mit viel Vorschusslorbeeren ins Rennen, die für mich letztlich leider nicht oder nur zum Teil bestätigt wurden. Mortier setzt hier ganz auf eine punkige In-your-face-Attitüde, legt es überdeutlich darauf an, dem Zuschauer immer wieder vors Schienbein zu treten und hat dem reinen Shock Value letzten Endes inhaltlich nur wenig entgegenzusetzen. Hofft man als vor den Kopf gestoßener Zuschauer lange Zeit darauf, dass das Geschehen eine wie auch immer geartete positive Wendung nimmt oder auch nur irgendwie mit Sinn aufgeladen wird, so wird man enttäuscht. Letztlich scheint mir EX DRUMMER vor allem ausgesprochen zynisch und verbittert. Natürlich, die Welt, die Mortier hier abbildet, existiert und das ist durchaus ein Grund, wütend zu sein. Nur ist aus Wut allein noch kein guter Film entstanden. Der Hass, die Aggression, die hier Triebfeder waren, nehmen dem Zuschauer jegliche Möglichkeit, auch nur irgendwie Anteil am Geschehen zu nehmen. Im Publikumsgespräch sagte Mortier, er halte EX DRUMMER für einen shame film: Man schäme sich dafür, sich gut zu amüsieren. Nun, ich habe mich höchstens in den ersten dreißig Minuten amüsiert, die von einem sehr abseitigen (und schreiend komischen) Humor leben, und mit den skurrilen Figuren, tollen Schauspielern und schönen Regieeinfällen (der Frauenschänder etwa lebt an der Decke seiner Wohnung, hängt immer verkehrt herum im Raum) positiv im Gedächtnis bleibt. Danach hat mich Mortiers Film vor allem abgestoßen. Das kann man ihm durchaus auch positiv anrechnen: EX DRUMMER ist eine absolute Einzelerscheinung und seit langem mal wieder ein Film, den man aus tiefster Seele hassen kann, der einen so richtig mit Anlauf anspringt und zwingt, sich zu ihm zu positionieren. Ich glaube aber, dass Koen Mortier das so eigentlich nicht intendiert hatte. Problematisch, fragwürdig und für mich letzten Endes enttäuschend, zumal EX DRUMMER sich gegen Ende auch narrativ immer mehr verzettelt. Auf Mortiers nächsten Film bin ich aber dennoch entspannt.
#906
Geschrieben 15. August 2007, 09:51
Contre-Enquête (Frankreich 2007)
Regie: Franck Mancuso
Der Polizist Richard Malinowski (Jean Dujardin) erleidet ein typisches Filmpolizistenschicksal: Nachdem er aus beruflichen Gründen eine Verabredung mit seiner neunjährigen Tochter Emilie nicht einhalten kann und sie allein zu Hause zurück lässt, fällt sie einem Kindermörder zum Opfer. Ein Täter ist schnell gefunden: Daniel Eckmann (Laurent Lucas) wird verhaftet und ein Jahr später verurteilt, obwohl sein Verteidiger eine lückenhafte Beweislage bemängelt und unterstellt, die Ermittlung sei nicht unvoreingenommen vonstatten gegangen. Auch Malinowski scheint mehr und mehr an der Schuld Eckmanns zu zweifeln, der seine Unschuld zudem in ausführlichen Briefen an den Polizisten beteuert. Als Malinowski von dem bereits inhaftierten mehrfachen Kindermörder Salinas erfährt, nimmt er die Ermittlungen noch einmal neu auf. Zum Entsetzen seiner Frau und seiner Kollegen erreicht er bald tatsächlich eine Revision des Verfahrens, die schließlich in der Freilassung Eckmanns resultiert. Doch wer hat die kleine Emilie umgebracht?
CONTRE-ENQUÊTE ist ein im Gewand des Krimis oder Polizeifilms daherkommendes Psychodrama, dass sich – wie konnte man das von einem französischen Film auch anders erwarten – auf hochgradig spannende Art und Weise mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern die staatliche Strafe das Gerechtigkeitsbedürfnis der Hinterbliebenen tatsächlich erfüllt und überhaupt erfüllen kann. Ich möchte hier keinesfalls die Auflösung des Films verraten, die diese bereits während des ganzen Films im Raum stehende Frage noch verschärft. Malinowski wird den Tod seiner Tochter niemals abschließend verarbeiten können, die geschlagene Wunde ist dafür viel zu tief. Seine Befriedigung und Motivation liegt dann auch nicht darin, den Schuldigen zu finden. Eine der vielen positiven Überraschungen des Festivals, ein großartiger Film und einer meiner persönlichen Lieblinge.
#907
Geschrieben 15. August 2007, 10:21
Truands (Frankreich 2007)
Regie: Frédéric Schoendoerffer
Die Pariser Unterwelt wird von der rigiden Hand des Gangsterbosses Claude Corti (Philippe Caubère) regiert. Wenn jemand von Cortis Handlangern oder Geschäftspartnern nicht spurt, schaltet er den eiskalten Engel Francky (saucool: Benoît Magimel) ein, der professionell Abhilfe schafft. Als Corti aber schließlich in den Knast wandert, beginnen sich die vielen kleinen Banden seines Imperiums einen Kampf um den verwaisten Thron zu liefern, den Corti mithilfe seiner Freundin und Vermittlerin Béatrice (Béatrice Dalle) aus dem Gefängnis heraus zu verteidigen sucht. Auch Francky soll eine entscheidende Rolle in der Wiederherstellung des Status quo spielen.
Schoendoerffer hatte schon vor Jahren mit dem brillanten SCÈNES DE CRIMES bewiesen, dass er die große französische Kriminal- und Crimefilm-Tradition mit seinen Visionen würdig würde fortsetzen können. Statt mit einem Polizeifilm haben wir es bei TRUANDS nun mit einem ultrafinsteren und -brutalen Gangsterfilm zu tun, in dem das von Melancholie und Verklärung geprägte Bild mafiöser Organisationen, wie man es etwa aus Scorseses Filmen kennt, einem gnadenlosen Realitätscheck unterzogen wird. TRUANDS ist kein im herkömmlichen Sinne spannender Film: Die Positionierung im Geschehen fällt schwer, weil es keine Sympathiefiguren gibt, keine geradlinig auf ein Ziel hinauslaufende Handlung. Nach den 110 Minuten voller Erschießungen und Auftragsmorde, Schlägereien und Vergewaltigungen, nach Lüge und Verrat und einem Finale, das nur wenig Befriedigung liefert, fühlt man sich sprichwörtlich durch den Wolf gedreht. Dass Schoendoerffer mit einem schon fast an Hongkongfilme erinnernden, ausufernden Figureninventar aufwartet, trägt zum Überrumpelungs- und Irritationsfaktor des Films noch entscheidend bei. In TRUANDS gibt es nichts, auf das man sich verlassen, an das man sich klammern könnte. Einen heftigeren Schlag in die Fresse als in Schoendoerffers Film kann man sich im gegenwärtigen Crimefilm-Genre kaum abholen. Bahnbrechend und radikal.
#908
Geschrieben 15. August 2007, 10:41
The Hamiltons (USA 2006)
Regie: The Butcher Brothers
Die vier Geschister Francis, David, Wendel und Darlene müssen den Tod ihrer Eltern verkraften, was die Einheit ihrer Familie auf eine harte Probe stellt. Vor allem der Jüngste, Francis, macht Sorgen, will sich nicht so recht integrieren und leidet an typischen Pubertätsproblemen. So weit, so (halbwegs) normal. Warum allerdings zwei blutüberströmte Frauen im Keller herumhängen, bleibt vorerst ein Rätsel ...
Adoleszenz-und-Weltschmerz-Film goes Vampirflick, Teil 435. Die dennoch schöne Grundidee eines von den Eltern allein gelassenen Geschwisterquartetts, das nun versuchen muss, allein zurecht zu kommen, wird leider von der holprigen Inszenierung und den mäßig talentierten Akteuren torpediert. Der Film wechselt relativ unmotiviert und weder der Kohärenz und Atmosphäre zuträglich vom Adoleszenzdrama zur Spießbürgersatire zum tumben Teeniehorror. Die Butcher Brothers verraten zwar ein gewisses Potenzial, aber auch noch eine überdeutliche inszenatorische Unreife. Da hilft nur warten.
Mehr zum Film gibt es im F.LM-Podcast.
#909
Geschrieben 16. August 2007, 00:59
Mr. Brooks (USA 2007)
Regie: Bruce A. Evans
Earl Brooks (Kevin Costner) ist erfolgreicher Geschäftsmann und glücklich verheiratet – aber er hat ein, nun ja, problematisches Hobby: Er tötet Menschen zum Vergnügen. Doch er will zum Wohle seiner Familie sein Leben ändern und ist seit zwei Jahren "trocken". Dann übermannt ihn jedoch der Trieb in Gestalt seines alter egos Marshall (William Hurt) und treibt ihn zu einem erneuten Mord. Der Ärger folgt auf dem Fuße, denn nach erfolgter Tat steht "Mr. Smith" (Dane Cook) in Brooks' Büro und erpresst den Killer mit Fotos von der Tat. Statt Geld möchte er jedoch etwas anderes: Er will mit Brooks auf die Jagd gehen ...
Das ist der Hauptstrang dieses Serienmörderfilms, der für seinen Hauptdarsteller einen ziemlichen Imagewechsel bedeutet (was der Film ganz offenkundig für seinen großen Clou hält), und dieser eine Strang hätte eigentlich genug Stoff für einen Film bereit gehalten. Leider bleibt es nicht dabei: MR. BROOKS twistet sich bis zur Besinnungslosigkeit, stopft immer neue Subplots in die Handlung (insgesamt sind es derer drei oder vier!), die eigentlich viel mehr Zeit benötigen würden, und bringt sich so letztlich um Kopf und Kragen. Das Hauptproblem ist, dass sich MR. BROOKS für unendlich clever hält, dabei aber mit seinen Hü und Hotts mehr und mehr in grenzenlose Debilität abdriftet. Der Gipfel wird erreicht, wenn Mr. Brooks befürchtet, seine Tochter mit dem Mördergen infiziert zu haben (sie hat tatsächlich jemanden umgebracht) – hier fühlt man sich in die Dreißiger- und Vierzigerjahre zurückversetzt und wartet eigentlich nur noch auf die Schädelvermessung. Ein ganz großes Problem sind auch die Darsteller: Costner gibt sich redliche Mühe, zum Teil durchaus mit Erfolg, doch sein Charakter ist so dermaßen überscriptet, dass es weh tut. Dieser Mann kann und weiß alles, gerät nie in Panik oder Gefahr, und man würde sich auch nicht wundern, würde er sich den schicken Anzug vom Leib reißen, um darunter das Supermann-Dress zu enthüllen. Demi Moore, seine Gegenspielerin, eine toughe Polizistin, findet sich sichtbar unwiderstehlich, seit ihr im echten Leben ein halb so alter Jungspund die
#910
Geschrieben 16. August 2007, 01:26
Shadowboxer (USA 2005)
Regie: Lee Daniels
Mikey (Cuba Gooding jr.) wurde als Kind misshandelt, bis sein Vater dann von der Auftragskillerin Rose (Helen Mirren) beseitigt wurde. Fortan fungierte sie für ihn als Ziehmutter und wies ihn in ihren Beruf ein. Aus dem Mutter-Sohn-Pärchen ist mittlerweile ein Paar geworden, das durchaus mehr füreinander empfindet. Doch Rose ist todsterbenskrank, hat nicht mehr lange zu leben. Vom Fiesling Clayton Mayfield (Stephen Dorff) erhält sie nun den Auftrag dessen ihm vermeintlich untreu gewordene Ehefrau Vicki (Vanessa Ferlito) zu töten. Doch als sich Vicki nicht nur als schwanger entpuppt, sondern just in dem Moment, in dem Rose mit gezückter Waffe vor ihr steht, die Presswehen einsetzen, ändert die Killerin ihren Plan, sehr zum Missfallen Mikeys: Sie wittert die Chance, kurz vor ihrem Tod noch einmal etwas Gutes zu tun ...
SHADOWBOXER lässt auf dem Papier eine späten Nachkömmling der coolen Tarantino-Killerfilm-Welle vermuten, die in den Neunzigern durch Kinos und Videotheken schwappte. Doch er ist viel mehr. Um genau zu sein: Ich meine behaupten zu können, einen solchen Film noch nie gesehen zu haben. Daniels' Film ist ungemein artifiziell, schwelgt in theatralischen Szenen, ist von einer tiefen Melancholie und Tragik durchzogen und gönnt dem Zuschauer nur ganz selten das zweifelhafte Vergnügen, in besagte Zeiten zurückzufallen, als alles cool war und nahezu an jedem Baum ein Killer mit Sonnenbrille auf den nächsten Take wartete. Für diesen Aspekt steht vor allem Stephen Dorff, der nur wenig mehr als abgrundtief böse sein darf, dafür aber seinen in eine Lümmeltüte gepackten Löres präsentiert. Doch ein Spaßfilm ist SHADOWBOXER zu keiner Sekunde: Es gibt jede Menge äußerst expliziten (und auch unangenehmen) Sex, die Helden gehen ihrem Handwerk mit Eiseskälte nach und das regungslose Gesicht Mikeys lässt den emotional verkrüppelten Menschen hinter der Fassade jederzeit erkennen. Das bittere Ende wird ebenfalls nicht für billige Lacher ausgespielt: Hinter der formalen Eleganz (auch der Score ist für einen solchen Film absolut untypisch) verbirgt sich ein ungemein trauriger und erschütternder Film – aber auch wieder kein Runterzieher. Wie gesagt: Unbeschreiblich, was Daniels hier abgeliefert hat. Zweitsichtung dringend erforderlich, dann bitte ohne die unheimliche Begegnung mit Vollspacken, die lauthals herumblöken mussten, wie scheiße SHADOWBOXER doch gewesen sei. Nein, ist er nicht.
#911
Geschrieben 16. August 2007, 01:46
WΔZ (USA 2007)
Regie: Tom Shankland
Innerhalb kürzester Zeit tauchen in New York mehrere verstümmelte Leichen auf, in die eine merkwürdige mathematische Formel eingeritzt ist. Die Ermittlungen der Polizisten Eddie Argo (Stellan Skarsgard) und Helen Westcott (Melissa George) führen zu einem Biologen und Behavioristen, der nach dem biologischen Ursprung des Altruismus sucht. Und von ihm führt die Spur zu Jean Lerner (Selma Blair), dem Opfer einer brutalen Vergewaltigung, die dabei ist, ein groteskes Experiment durchzuführen ...
WΔZ ist – mehr noch als der problematische EX DRUMMER – der Wut- und Hassklumpen des Festivals. Ein Film, der den Zuschauer in seiner formalen Gestaltung an die Grenzen der Belastbarkeit führt und somit genau das Richtige war, um uns am vorletzten Abend des Festivals in den Schlaf zu entlassen. Es gibt genau zwei kurze Tagszenen und selbst die sind nicht wirklich hell, ansonsten spielt der ganze Film in aus dem Bild förmlich heraustriefender Schwärze. New York sieht aus, als habe man die ganze Stadt mit Gülle und Pech bespritzt, das Milieu, in dem sich die beiden Hauptfiguren bewegen, möchte man im echten Leben noch nicht einmal mit dem Fernglas zu Gesicht bekommen. Alles ist dreckig, verkommen und kaputt (ohne jedoch auf schmutzig getrimmt zu wirken) und in dieser auch von der Tonspur treffend brachial untermalten Sozialapokalypse opfert sich ein Polizist für einen völlig Fremden und rettet damit im übertragenen Sinne die ganze Menschheit. WΔZ findet in der absoluten Hoffnungslosigkeit den Kern des Humanismus und entlohnt den Zuschauer reich für eine neunzigminütige Tortur. Ein Meisterwerk.
#912
Geschrieben 16. August 2007, 19:37
An American Crime (USA 2007)
Regie: Tommy O'Haver
Irgendwo in den Südtstaaten im Jahr 1965 quartiert ein dem fahrenden Volk angehöriges Ehepaar seine beiden Töchter bei der völlig fremden Gertrud Baniszewski (Catherine Keener) und ihren sechs Kindern ein. Der Aufenthalt der zwei Mädchen entwickelt sich zum Albtarum, der für eine der beiden nach unzähligen Demütigungen, Bestrafungen, Misshandlungen und Folter durch die gesamte Familie mit dem Tod endet.
Nach einer wahren Begebenheit schildert O'Haver das Martyrium der kleinen Sylvia, immer wieder unterbrochen durch auf den echten Gerichtstranskriptionen beruhenden Szenen aus der Verhandlung, die entweder die folgenden Szenen einleiten, nachträglich kommentieren oder diese kontrastieren. AN AMERICAN CRIME ist ein fast schon idealtypischer Vertreter einer "behutsamen" Annäherung an ein sprachlos machendes, völlig sinnloses Verbrechen, dessen Faktum allein den Zuschauer hier fassungslos vor der Leinwand ausharren lässt. Bis auf eine kurze Sequenz kurz vor Schluss, in der die Innenperspektive des hilflosen Opfers eingenommen wird, sowie einem einleitenden und abschließenden Voice-Over-Kommentar desselben begnügt sich O'Haver dann auch damit, die Fallgeschichte dieses grausamen Verbrechens nachzuzeichnen. Der Verzicht auf aufdringliche visuelle oder auditive Effekte lassen seinen Film auf angenehme Art und Weise altmodisch erscheinen, machen ihn schon beinahe zum period piece. AN AMERICAN CRIME ist ein Film, an dem es nichts zu bekritteln gibt, aber meines Erachtens auch nichts, was ihn wirklich hervorhebt, außer eben seiner moralischen Integrität und der sehr sauberen Inszenierung. Nach dem von maX, K' und zora erteilten Lob, die den Film bereits am Vorabend gesehen hatten, hatte ich aber eben doch etwas mehr erwartet. So war ich auf den angesprochenen Bruch mit der sonst streng durchgehaltenen Perspektive bereits vorbereitet und dann eher etwas enttäuscht, hatte ich doch radikaleres erwartet. AN AMERICAN CRIME ist für mich ohne Zweifel ein guter Film, aber eben einer, der außer seiner erschütternden Geschichte wenig mehr bietet. Mir war das ein bisschen zu wenig.
#913
Geschrieben 16. August 2007, 19:53
Pars vite en reviens tard (Frankreich 2007)
Regie: Régis Warnier
Im Paris der Gegenwart verkündet ein Marktschreier plötzlich Botschaften, die eine Rückkehr der Pest ankündigen. Wenig später findet man merkwürdige Symbole auf Wohnungstüren, die die Bewohner zu Pestzeiten vor der Seuche beschützen sollten. Und dann tauchen schließlich die ersten Toten mit schwarzen Flecken auf ...
Chance erkannt, Chance verschenkt. Der auf einem Bestseller beruhende Film gibt seine interessante Prämisse nach einer guten Dreiviertelstunde auf, um in einen stinknormalen Krimi zu münden, wie man ihn in ähnlicher Form schon ca. tausend Mal gesehen hat. Nichts sticht heraus, nichts wird hängenbleiben. Die stilsichere formale Gestaltung steht einem absolut schlampigen Drehbuch gegenüber, das nach einem sehr geduldigen Aufbau plötzlich unentschuldbare Sprünge vollführt, um die Auflösung zu forcieren. Die habe ich aber nicht mehr mitbekommen, da ich den Kampf gegen die Müdigkeit irgendwann aufgegeben habe, nachdem ich absehen konnte, dass es nichts gibt, für das sich wach zu bleiben lohnen würde. Schade, denn der Beginn ließ doch etwas mehr Originalität und apokalyptische Stimmung erhoffen. Gerade letztere wird aber immer nur angekündigt und behauptet, als dass sie sich in irgendeiner Form auch nur annähernd bewahrheiten würde. Dass Michel Serrault ausgerechnet mit diesem Film seine Schauspielkarriere und sein Leben beschließen musste, stimmt traurig. Ein Paradebeispiel in Sachen Belanglosigkeit.
#914
Geschrieben 16. August 2007, 20:26
The Messengers (USA/Kanada 2007)
Regie: The Pang Brothers
Die Familie Solomon – Papa Roy (Dylan McDermott), Mama Denise (Penelope Ann Miller), Tochter Jess (Kristen Stewart) und der kleine Ben ziehen aus der Stadt aufs Land, wo der Vater sich als Sonnenblumen-Farmer versuchen möchte und hofft, seine Familie wieder zusammenzuführen, die nach einer schweren Krise etwas gelitten hat. Wie das in diesen Filmen so ist wird die Idylle durch Übersinnliches Treiben gestört, das aber nur die Kinder wahrnehmen und das die Familie gleich in zweierlei Hinsicht in Gefahr bringt ...
Jetzt haben auch die Pangs ihr Hollywood-Debüt gegeben und setzen die schöne und lange Tradition interessanter internationaler Filmemacher fort, die in den US of A zwar eine Menge Geld finden, dafür aber ihre künstlerische Integrität und ihren eigenen Stil verlieren. THE MESSENGERS ist Stangenware nach Schema F, weitestgehend überraschungsarm und vorhersehbar, aber – und jetzt kommen wir zum Positiven – jederzeit sauber inszeniert und gespielt und unter Vermeidung allzu großer Blödheiten erzählt. Die Charaktere sind sympathisch, die Ästhetik ansprechend; besonders erwähnenswert ist meines Erachtens aber – und das ist es dann auch, was THE MESSENGERS eine kleine Sonderstellung verleiht –, wie wenig schrill und effekthascherisch er ist. Na klar, es setzt in der Visualisierung der Geister natürlich die mittlerweile zum Klischee gewordenen Effekte, echter Grusel kommt zu keiner Sekunde auf, dennoch erstaunt die Lässigkeit des Ganzen. Es steht zu vermuten, dass die Auflösung, die dann doch wieder den axtschwingenden Psycho ins Spiel bringt, vnachträglich eingebaut wurde, um der Meute Popcorn mampfender Kreischteenies doch noch das zu geben, was sie braucht. THE MESSENGERS tut wirklich niemandem weh, hat mich aber 85 Minuten ganz nett unterhalten. Letztlich hätte es dafür aber sicher nicht die Pangs gebraucht, ein Vollstreckungsgehilfe vom Schlage eines Brett Ratner oder ein ähnlich gesichtsloser Hampel hätte es auch getan.
#915
Geschrieben 16. August 2007, 21:00
Timber Falls (USA 2007)
Regie: Tony Giglio
Mike (Josh Randall) und Sherry (Brianna Brown) gehen zum Wandern in die Berge, treffen dort auf die obligatorischen Rednecks und geraten schließlich in die Fänge einer Familie, deren weiblicher Vorstand keine Kinder bekommen kann (bzw. eine Fehlgeburt nach der anderen fabriziert hat) und deshalb ein Spenderpärchen braucht. Da man im amerikanischen Hinterland dem Wort des Herrn verpflichtet ist, muss dieses jedoch erst noch durch das Sakrament der Ehe zum Kinderkriegen legitimiert werden ...
Anlässlich des famosen STORM WARNING habe ich noch getönt, dass ich bisher allen Backwood-Filmen etwas abgewinnen konnte. Wahrscheinlich habe ich die Ausnahmen von der Regel einfach vergessen, wenn nicht, darf sich TIMBER FALLS rühmen, der erste zu sein, den ich einfach zum Vergessen finde. Im Gegensatz zu Blanks' Aussie-Backwood-Film nimmt sich dieser die Zeit, den längst bekannten Grundkonflikt – arrogante und auch irgendwie beschämte Städter gegen das verdrängte schlechte Hinterwäldlergewissen – erst noch zu etablieren und kostbare Zeit zu verschwenden. Die Idee des Spenderehepaars, die im Rahmen des Hinterwäldlerfilms ja durchaus interessant gewesen wäre, wird völlig verschenkt: Hatte ich etwa erwartet, dass die Städter dazu benutzt werden sollen, in Form des Babys frisches Blut in eine durch Inzest degenerierte Sippe zu bringen und so deren Fortbestand zu sichern (hier hätte der Film einen fruchtbaren, das Genre reflektierenden Diskurs anstoßen können), reitet Giglio auf der mittlerweile nur noch nervtötenden ach so mutigen Kritik am amerikanischen Christen- und Spießertum herum, die in Wahrheit nicht nur stinkbanal und blöd ist, sondern vor allem selbst spießig wie nur was. Innerhalb des Backwood-Genres, das betreffend des Genderdiskurses im Horrorfilm als durchaus progressiv anzusehen ist, gehört TIMBER FALLS zur konservativen Speerspitze. Seinen zweifelhaften Sonderstatus ruiniert der Film aber letztlich mit seiner miserablen und einfallslosen Inszenierung, den grottigen Effekten (die CGI-Enthauptung war ein Tiefpunkt des Festivals) und der verschlafenen Dramaturgie. Im direkten Vergleich zu STORM WARNING treten die Verfehlungen von TIMBER FALLS gestochen scharf hervor: Anstatt mit kleinen, aber dafür umso wirkungsvolleren und vor allem intelligenten Variationen aufzuwarten, verschenkt er das vorhandenes Potenzial seiner Grundidee für platte Vordergründigkeiten und offenbart allzu deutlich, dass er von den Mechanismen, die sein Genre letztlich funktionieren lassen, keinen blassen Schimmer hat. Absoluter Scheißdreck.
#916
Geschrieben 17. August 2007, 12:06
Retribution (Japan 2006)
Regie: Kiyoshi Kurosawa
Polizist Noboru (Koji Yakushi) ermittelt in einer Mordserie: Mehrere Menschen werden in Salzwasser ertränkt aufgefunden. Merkwürdigerweise deuten einige Beweise darauf hin, dass Noboru selbst zu den Tätern gehört, obwohl er sich an diese Tat nicht erinnern kann. Wenig später erscheint ihm ein Geist ...
Der letzte Film des Festivals: Ein Film des von mir sehr geschätzten Kiyoshi Kurosawa, der die Mordserie aus CURE metaphysisch wendet, statt eines Hypnotiseurs einen Rachegeist als Auslöser setzt und dann in eine apokalyptische Vision münden lässt, die an KAIRO erinnert. Formal ist RETRIBUTION, der mir inhaltlich etwas konventioneller erschien und mich an einer Stelle schon fast fürchten ließ, dass er sich in einen Mainstream-Spukfilm verwandeln würde, unverkennbarer Kurosawa, dessen Gruseleffekte mich fast in panikartige Zustände versetzt haben. Wer Kurosawa bisher mochte, für den ist auch RETRIBUTION eine sichere Nummer, wunderbar anzusehen und ausreichend rätselhaft, um Stoff für mehrere Sichtungen zu liefern. Nach einem langen Festival reichlich erschöpft, von der aufreizenden Langsamkeit von Kurosawas Erzählstil eingelullt (nicht negativ gemeint!), ist es mir leider dennoch nicht gelungen, mich bis zum Ende wachzuhalten. Ein Grund mehr, mir diesen erstklassigen, anspruchsvollen und ästhetisch reizvollen Geisterfilm noch einmal anzusehen: Das hätte ich aber sowieso getan.
Hier steht der Podcast zum Film.
#917
Geschrieben 20. August 2007, 19:59
Regie: Roland Emmerich
Bei einem Einsatz einer aus toten Ex-Soldaten bestehenden Spezialeinheit unter der Führung eines gewissen Colonel Perry (Ed O'Ross) kommt es zu Problemen: Die Kampfmaschine GR44 (Jean-Claude Van Damme) erinnert sich plötzlich an seine Vergangenheit. Vor 25 Jahren töteten er und sein heutiger Kollege GR13 (Dolph Lundgren) sich gegenseitig, weil letzterer dem Wahnsinn anheimfiel. Zur gleichen Zeit mischt sich die Journalistin Veronica Roberts (Ally Walker) ins Geschehen ein. Sie wird das Gefühl nicht los, dass mit der Spezialeinheit etwas nicht stimmt. Schon bald befindet sie sich zusammen mit GR44 auf der Flucht vor den Kampfmaschinen ...
Roland Emmerichs erster richtig großer amerikanischer Film (MOON 44 kann man wohl noch unter Low Budget einsortieren) lässt zwar den versierten Handwerker erkennen, aber auch den überaus uninspirierten Erzähler. Alles an UNIVERSAL SOLDIER erinnert an amerikanische Actionblockbuster, ist bis ins Detail von diesen beeinflusst und abgeguckt, ohne jedoch deren Überlebensgröße zu erreichen. Was UNIVERSAL SOLDIER zu allererst fehlt ist eine Hauptfigur, mit der man mitgehen kann. Die Menschwerdung der Kampfmaschine GR44 geht allerdings viel zu schnell vonstatten und bleibt unnachvollziehbar und unglaubwürdig, lediglich gesetzt, genauso wie die Motive der toughen Journalistin, als dass man emotional involviert würde. Gute Darsteller könnten vielleicht etwas retten, nicht jedoch Van Damme und der blasse Linda-Hamilton-Abklatsch Ally Walker. Dabei möchte ich den Belgier hier durchaus lobend erwähnen: Seine selbstironischen Gags verhelfen dem Film zu einigen durchaus gelungenen Momenten und Lachern – "I just want to eat!" –, auch wenn die in diesm Film eigentlich nix zu suchen haben. Aber wir befinden uns eben in einem Emmerich-Film, da muss alles im Überfluss vorhanden sein. Daher ist der Bösewicht so richtig böse (Lundgren wird total verschenkt in seiner Klischeerolle) und das Ende ein Tränendrücker wie er in keinem Buch steht. Man muss sich das mal vorstellen: Da kommt ein künstlich von den Toten auferweckter, zur Kampfmaschine gedrillter Vietnam-Veteran nach 25 Jahren nach Hause zu seinen Eltern auf eine Farm im idyllischen Arizona, um dort an sein altes Leben anzuknüpfen und die wundern sich noch nicht einmal besonders. Unfassbar! Doch Emmerichs Rechnung – Mehr ist mehr! – geht nicht auf: Obwohl er seinen Film bis unter die Hutkrempe vollgestopft hat, bleibt er ebenso leer und unbelebt wie seine Titelhelden. Für einen Actionfilm hat UNIVERSAL SOLDIER außerdem viel zu wenig Power, kommt nie richtig in Fahrt und verliert sich am Ende, wenn es dann endlich mal zur Sache geht, in abgedroschenen Überraschungstwists und vermeintlichen Schocks (Huch, der lebt ja noch!). Für zwischendurch sicherlich ganz OK, als Vertreter des harten Actionfilms aber völlig zum Vergessen. Schade, hatte ich besser in Erinnerung.
#918
Geschrieben 21. August 2007, 15:16
J. S. Cardones ZOMBIES
FREDDY UNTER FREMDEN STERNEN und FREDDY UND DER MILLIONÄR
Viel Spaß!
#920
Geschrieben 25. August 2007, 13:51
Regie: Phil Alden Robinson
Ray Kinsella (Kevin Costner) lebt mit seiner Familie auf einer Farm in Iowa inmitten eines riesigen Maisfeldes. Eines Tages hört er eine Stimme, die ihm sagt: "Wenn du es baust, wird er kommen." Eine Eingebung macht ihm klar, was die Stimme von ihm will: Er soll mitten in seinem Maisfeld ein Baseballfeld errichten. Ray folgt seiner inneren Stimme, ohne zu wissen, was passieren wird und ob er nicht vielleicht verrückt geworden ist. Als eines Tages Shoeless Joe Jackson (Ray Liotta), ein Baseballspieler, der nach einem Betrugsskandal 1920 vom Ligabetrieb ausgeschlossen wurde, mit seiner ehemaligen Mannschaft auf seinem Feld erscheint, ahnt Ray, das höhere Mächte im Spiel sind. Völlig überwältig bestaunt der Baseballfan Ray das Spiel der ehemaligen, längst verstorbenen Legenden auf seinem Feld, da spricht die Stimme wieder zu ihm: "Lindere seinen Schmerz!" ...
FIELD OF DREAMS ist völlig von der Magie des Baseballspiels und seines schier unerschöpflichen Mythenschatzes erfüllt und in dieser Eigenschaft weit mehr als ein Sportfilm. Dennoch ist FIELD OF DREAMS für mich der ultimative Baseballfilm. Um in ihm jedoch mehr zu erkennen als mystischen Kitsch, muss man meines Erachtens das Spiel begreifen, seine Besonderheiten verstehen und zumindest eine Ahnung davon haben, welche Mythen sich in einem Jahrhundert amerikanischer Baseballhistorie angehäuft haben. Es mag Plattitüde sein, aber Baseball ist tatsächlich mehr als ein Sport: Wer einmal einen Baseball-Almanach in der Hand hielt, gesehen hat, mit welcher Akribie dort die abwegigsten Daten und Statistiken gesammelt und aufgeführt sind, der bekommt vielleicht einen Eindruck davon, dass der einzelne Moment, der Sekundenbruchteil in keiner anderen Sportart eine solche Bedeutung in sich trägt wie im Baseball, wo jeder Augenblick das Potenzial zur Unvergesslichkeit und zur Unsterblichkeit für seinen Protagonisten birgt. Insofern ist Baseball natürlich ein uramerikanischer Sport, in dem das Prinzip des amerikanischen Traums in Form eines Spiels immer wieder aufs Neue unter Beweis gestellt wird. Es ist somit kaum eine Übertreibung, wenn dem Baseballspiel in FIELD OF DREAMS magische Fähigkeiten zugeschrieben werden. Mehr noch: Baseball hat religiöse Qualitäten, ebenso wie Robinsons Film religiöse Züge trägt. FIELD OF DREAMS zelebriert einen Glauben, der so stark ist, dass er nicht nach rationalen Beweisen sucht. Ray Kinsella hört gegen jede Vernunft auf seine innere Stimme und wird belohnt. Ich räume ein, dass man FIELD OF DREAMS für totalen Kappes halten kann, für amerikanisch verklärten Unsinn. Tatsächlich ist FIELD OF DREAMS manchmal etwas platt inszeniert, wirken die Dialoge (zumindest in der Synchronfassung) etwas auf den größtmöglichen Effekt hin geschrieben und deklamiert. Doch all das ist für mich nebensächlich, weil mich der Film tief im Kern berührt wie kaum ein anderer. Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun: mit meiner Liebe zum Baseballspiel und der Tatsache, dass diese Liebe etwas unglücklich verlaufen ist; damit, dass es in FIELD OF DREAMS um eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung geht, ein Thema, für das ich ebenfalls empfänglich bin; vor allem aber, weil ich – so sehr ich mir auch die Vernunft auf die Fahnen geschrieben habe – doch auch ein Zweifler bin und den Gedanken, dass eine höhere Macht existiert, so ich schon nicht mit dem Urvertrauen Kinsellas an diese glauben kann, sehr tröstlich finde. Es gibt für alles den richtigen Augenblick: Ray Kinsella ergreift ihn und besiegt so seine Dämonen. Ganz wie im Baseball, wo die richtige Entscheidung im richtigen Moment den Einzelnen zum Helden machen kann.
#921
Geschrieben 25. August 2007, 14:24
Regie: Herschell Gordon Lewis
Der mürrische Maler Adam Sorg (Gordon Oas-Heim) ist unzufrieden: Zwar verkaufen sich seine Bilder gut, er ist angesagt und es gilt als schick, einen echten Sorg über dem Kamin hängen zu haben, doch die Kunstkritik nimmt ihn nicht ernst. Diese Tatsache lässt ihn mehr und mehr an seinen eigenen Fähigkeiten zweifeln: Die Rottöne, die er auf die Leinwand bringt, gefallen ihm nicht mehr. Dann piekst sich seine Lebensgefährtin in den Finger und besudelt eine Leinwand mit ihrem Blut. Das bringt den Maler auf eine Idee ...
Lewis' dritter und letzter Beitrag zur Blood-Trilogie (nach BLOOD FEAST und TWO THOUSAND MANIACS!) reiht sich in die Art-imitating-Life-Horrorfilme vom Schlage der verschiedenen Wachsmuseums-Filme oder Cormans A BUCKET OF BLOOD ein und variiert deren Grundidee – echte Körper werden zu Kunstwerken – nur minimal: Hier stellen die Körper lediglich das Material – nämlich die Farbe – für Sorgs Bilder. Dessen mit diesem Materialwechsel einhergehender plötzlicher Ruhm drängt eine autobiografische Lesart von COLOR ME BLOOD RED ja förmlich auf, gelangte Lewis doch auch erst zu seinem Ruhm, als er seine Billigepen mit massenhaft Kunstblut zukleisterte. Ohne die Splattereffekte hätte BLOOD FEAST auch kaum besser ausgesehen als die armseligen Schmierereien Sorgs. COLOR ME BLOOD RED legt deutliches Zeugnis von Lewis' zweifelhaften Fähigkeiten als Regisseur ab: Es gibt minutenlange Einstellungen von Leuten, die durch die Gegend laufen, die Kamera wählt selten den richtigen Bildausschnitt und die Handlung schleppt sich trotz der kurzen Spielzeit von knapp 78 Minuten elend langsam dahin. Natürlich ist das Misslingen von COLOR ME BLOOD RED nicht Lewis allein anzulasten: Das Budget war sichtbar gering, die Settings sind grauenvoll hässlich, die Schauspieler mit Ausnahme des überzeugenden Oas-Heim, der aussieht wie eine Mischung aus Peter Lorre und Rainer-Werner Fassbinder, katastrophal schlecht. Vor allem die Szenen mit den Teenies am Strand sind quälend peinlich. Ob der Langsamkeit will sich echtes Vergnügen oder Schadenfreude dann auch nicht einstellen, obwohl ich Lewis' Filme trotzdem irgendwie mag. Wie es ihm gelingt, trotz der miserablen Ausstattung die Contenance und den Ernst zu wahren, ist alla bonnör. Nach der ganzen Häme sollen aber auch die Highlights des Films gewürdigt werden: die völlig unentschlossenen Bilder Sorgs, die zwischen Kindergartenschmiererei, Grundschulpicasso und Mondriaan für Sudoku-Süchtige pendeln; das grotesk dämliche Verhalten des Abschlussopfers und die exorbitanten Blutmengen, die Sorg aus seinem Zeigefinger zu pressen in der Lage ist. Ohne Zweifel ein Klassiker, den man aber vielleicht nur einmal gesehen haben muss. Für zwei Sichtungen ist das Leben einfach nicht lang genug.
#922
Geschrieben 26. August 2007, 12:40
Regie: Curtis Hanson
L. A. in den frühen Fünfzigerjahren: Während der unangefochtene Chef des organisierten Verbrechens, Mickey Cohen (in einem Kurzauftritt: CSI-Darsteller Paul Guilfoyle), im Knast weilt, streitet sich die ganze Stadt um dessen Nachfolge. Aber die Unterwelt befindet sich nicht allein in ihrem Umbruch: Auch im LAPD brechen andere zeiten an. Und so kommt es, dass der saubere, diplomatisch gewiefte Ed Exley (Guy Pearce) seinen Siegeszug antritt, nicht ohne jedoch ein paar Cops der alten Schule gehörig ans Bein zu pissen. dazu gehören unter anderem der Schlägertyp Bud White (Russell Crowe) und Jack Vincennes (Kevin Spacey), der seinen Job beim Morddezernat vor allem wegen des Prestiges ausfüllt. Das Massaker in einem Nachtcafé führt schließlich zu tief greifenden Ermittlungen in den eigenen Reihen. Danach wird nichts mehr so sein wie es einmal war ...
Regisseurin Caroline Link führt im Klappentext zur SZ-Ausgabe des Films die Ambivalenz seiner Figuren als dessen große Stärke an: Gut und Böse seien nicht klar voneinander zu trennen, Motivationen sind nie nur eigennützig, genauso wenig wie sie nur altruistischer Natur sind. Herzlichen Glückwunsch, denn das allein rechtfertigt ja längst nicht die Stellung des Films als "junges Meisterwerk", gilt vielmehr für fast alle Polizeifilme der vergangenen 40 Jahre. Dass mir aber auch keine Gründe einfallen wollen, die belegen, warum L. A. CONFIDENTIAL the big cheese ist, legt für mich nur einen Schluss nahe: Er ist maßlos überschätzt. Das soll nun nicht heißen, dass er schlecht ist. Hansons Film ist durch die Bank weg erlesen gefilmt, weiß auch über die Spielzeit von 130 Minuten spannend zu unterhalten und hat eine grandios aufspielende Darstellerriege zu bieten, in der vor allem Crowe und Spacey absolute Spitzenleistungen abrufen (Crowe gefällt mir in seinen ambivalenten Rollen, die er vor seinem großen Durchbruch gespielt hat, übrigens weitaus besser als als herzensguter Frauenschwarm mit Schmachtblick). Fazit: L. A. CONFIDENTIAL ist nahezu perfektes Entertainment, aber – und jetzt kommen wir zu den Einwänden – nur wenig mehr. Jenseits der Handlung erzählt Hanson gar nix, einen Subtext sucht man ebenso vergebens wie irgendwelche Brüche, die einen aus dem eskapistischen Vergnügen reißen könnten. Hansons Film ist ein Krimi mit historischen Bezügen und milde gesellschaftskritischen Tönen und als solcher teilt er die Schwächen, die eigentlich jeder verfilmte Krimi aufweist: Die Auflösung wirkt am Ende immer etwas willkürlich. Es ist dem Spannungsaufbau geschuldet, dass keine Hinweise gestreut werden, der Täter letzten Endes per deus ex machina ermittelt wird. Das ist auch in der literarischen Vorlage nicht anders. Doch James Ellroy, seines Zeichens Großmeister der intelligenten Hardboiled-Literatur, versteht es eben wie kein zweiter den Leser mit den Mitteln der Sprache in den Kopf seiner Protagonisten zu versetzen, vor dem geistigen Auge des Lesers eine Welt entstehen zu lassen, in der Glamour und Gosse unmittelbar nebeneinander liegen und trotz seiner unzweideutigen Verortung im Crime-Genre dennoch von mehr zu erzählen als von einem Verbrechen und seiner Auflösung. Hanson ist letzten Endes ein viel zu solider Handwerker, als dass er diesen Stil adäquat auf die Leinwand übersetzen könnte, da kann das Drehbuch (unter Mithilfe von Brian Helgeland entstanden) noch so ausgefeilt sein. Brian De Palmas THE BLACK DAHLIA mag in vielerlei Hinsicht der "schlechtere" Film sein – ich finde ihn mit seinen überrumpelnden stilistischen Eskapaden, seinen eigenen Interpretationen der Vorlage und auch seinen Mängeln um ein Vielfaches spannender und nachhaltiger als Hansons Film. L. A. CONFIDENTIAL ist großes Hollywood-Kino und für 130 Minuten Mittelpunkt der Welt. Danach kann man aber leider relativ schnell zum nächsten Film übergehen.
#923
Geschrieben 26. August 2007, 13:07
Regie: Herschell Gordon Lewis
Bei einem Auftritt des Magiers Montag the Magnificent (Ray Sager) wird eine Freiwillige auf spektakulär blutige Weise mit der Kettensäge zerteilt. Nachdem vor staunendem Publikum ihr Inneres nach Außen gedreht wird, steht sie plötzlich völlig unversehrt wieder auf und fährt nach Hause. Die Fernsehmoderatorin Sherry Carson (Judy Cler) ist begeistert, bis ihr Freund ihr erzählt, dass die Freiwillige in einem Restaurant an genau den Verletzungen verstorben ist, die am Vorabend wie von Geisterhand verschwunden waren. Gemeinsam wollen die beiden das Rätsel des Magiers ergründen und bestaunen dazu Abend für Abend die abstrusesten Gräuletaten, die immer denselben Verlauf nehmen. Dann schalten sie die Polizei ein ...
Was ich schon bei COLOR ME BLOOD RED angedeutet hatte, wird hier ganz offensichtlich: Lewis hat mit THE WIZARD OF GORE einen Film über sich, seine Filme und sein Publikum gedreht. Montag ist ein gewiefter Spekulant, der genau weiß, wonach es seine Zuschauer dürstet: Blut und Gekröse galore. Wenn er seine Sauereien auftischt, gaffen alle apathisch und ohne einer Regung fähig zu sein auf die Bühne – später stellt sich heraus, dass sie hypnotisiert wurden. Doch Hypnose hin oder her, die Blutgeilheit ist schon vorher da, Bedenken, dass die Freiwilligen des Magiers morbiden Mumpitz nicht überstehen könnten, gibt es nicht. Auch Sherry und ihr Macker machen keine Ausnahme: Als sie an einer Leiche und dem Menschenauflauf, der sich um diese gebildet hat, vorbeikommen, lässt sich Sherry sogleich von ihrem Freund den Weg freiräumen, um eine bessere Sicht erhaschen zu können, schließlich ist sie von der Presse. Blut sells und so inszeniert Lewis seinen Film recht clever um seine Grand-Guignol-Einlagen, die er so breit auswalzt, dass man sich als Zuschauer förmlich vor die Bühne Montags und in dessen hypnotischen Bann versetzt fühlt. Die happigen, aber technisch minderbemittelten Splatterszenen – neben der Zweiteilung gibt es einen Nagel durchs Hirn sowie dazugehörige Augapfelmanipulationen, eine Magendurchbohrung per Stanzmaschine und eine schmerzhafte Schwertschluckerei – nehmen einen nicht unbeträchtlichen Teil der Spielzeit ein und übertreffen die harmlosen Späße eines BLOOD FEAST um Längen. Dieser recht konsequenten selbstreflexiven Ebene und Konstruktion steht jedoch wieder einmal des Lewis-Herschells technische Unbedarftheit gegenüber. Die Dialogszenen strapazieren die Geduld des Zuschauers, die Handlung hätte wohl auf einem Konfetti Platz gehabt, die Settings sind ebenso armselig wie die Schauspieler und die Auflösung ist schlicht blöd. Das macht aber nix. Auch wenn man bei 95 epischen Minuten hier und da gut und gern mal aufs Klo oder zum Kühlschrank gehen kann, ohne Wichtiges zu versäumen, ist THE WIZARD OF GORE bislang für mich nach BLOOD FEAST der beste Film vom ollen Lewis. Mal gucken, ob sich noch etwas dazwischen mogelt.
#924
Geschrieben 26. August 2007, 17:56
Regie: Darren Aronofsky
Endlich die lang ersehnte Zweitsichtung, bei der ich einige verbliebene Verständnislücken schließen und zudem die formale Seite des Films genauer unter die Lupe nehmen konnte. Nicht nur auf der Erzählebene präsentiert sich Aronofskys Film als bis ins letzte Detail ausgefeiltes Kunstwerk. Die verschlungene, sich zyklisch in Vor- und Rückblenden bewegende Geschichte setzt er formal mit sich mehrfach wiederholenden Motive, Einstellungen und Kamerafahrten um, hinzu kommen das stets präsente Kreismotiv sowie immer wieder die Bewegung der Kamera oder Protagonisten auf ein Licht zu. Die Lichtsetzung von Director of Photography Matthew Libatique gehört neben der berückend schönen, zu Tränen rührenden Musik von Clint Mansell zu den ästhetischen Meisterstleistungen dieses in jeder Hinsicht beachtlichen Films. Aronofsky ist ein wunderbarer Film gelungen, ein durch und durch warmherziges und von großer Liebe durchzogenes Werk, an dem wohl nur Zyniker etwas zu lästern finden. Ich habe das schon einmal geschrieben: THE FOUNTAIN ist ein humanistischer Film, der – wenn man sich auf ihn einzulassen in der Lage ist (eine gewisse geistige Reife gehört wohl dazu) – ungemein tröstend ist und dessen Tiefe Stoff für etliche Sichtungen bietet. Für mich nimmt THE FOUNTAIN schon jetzt eine absolute Sonderstellung in der Filmgeschichte ein. Es ist einfach beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit und welcher Zielstrebigkeit Aronofsky seine Vision hier umgesetzt hat. Von ihm darf man noch einige Großtaten erwarten. Und entgegen allen Gemunkels: Seinen schon meisterlichen REQUIEM FOR A DREAM hat er mit THE FOUNTAIN noch weit übertroffen.
#925
Geschrieben 26. August 2007, 23:09
Regie: Brian Yuzna
Acht Monate nach dem Massaker aus Teil eins und einem Abstecher in ein vom Krieg geschütteltes südamerikanisches Land kehren Dr. Herbert West (Jeffrey Combs) und Dr. Dan Cain (Bruce Abbott) nach Arkham an die Miskatonic Universität zurück, im Gepäck neue Erkenntnisse für ihr Projekt: das ewige Leben. Das Meisterstück soll die Wiedererweckung der im ersten Teil tragisch ums Leben gekommenen Meg, Cains große Liebe, sein. Doch da ist noch ein alter Bekannter, der auf Rache sinnt: Dr. Carl Hill (David Gale), ein entleibter Kopf ...
Es war nicht geplant, aber BRIDE OF RE-ANIMATOR ist natürlich ein ideales Gegenstück zu Aronofskys THE FOUNTAIN. Er behandelt die selben Themen, aber nicht mit der großen Würde, sondern mit dem beherzten Griff in die Jauche, aus der sich Yuzna ja ganz gern bedient. Der Fairness halber muss man sagen, dass BRIDE zu den besseren Filmen des Regisseurs zählt. Damals als er den modernen Klassiker RE-ANIMATOR fortsetzte, munkelte man hier und da, das Sequel übertreffe seinen Vorgänger. Eine Fehleinschätzung, die sich mit jeder Sichtung deutlicher als solche herauskristallisiert. RE-ANIMATOR überzeugte an allen Ecken und Enden durch sein ausgefeiltes Drehbuch, das gleich mit einer ganzen Hand voll interessanter, innerhalb ihres Kosmos glaubwürdiger Charaktere aufwartete und diese von einem Konflikt in den nächsten jagte. Es drängt sich vielleicht nicht bei der ersten Sichtung auf, aber RE-ANIMATOR ist von seiner Struktur her ein ungewöhnlich komplexer Horrorfilm. BRIDE OF RE-ANIMATOR hat hingegen ein ungemein schlampiges Drehbuch: Zum tragischen Kern der Geschichte dringt Yuzna bis zum Ende nicht vor und er braucht ewig, um überhaupt in die Gänge zu kommen. 80 Minuten lang verstrickt er sich in Belanglosigkeiten und dem typisch yuznaesken Firlefanz, der hier vor allem von Screaming Mad Georges niedlichen Effekten repräsentiert wird. Erst in den letzten zehn Minuten löst BRIDE endlich das ein, was er die ganze Zeit über verspricht: Doch das finale Massaker wirkt dann merkwürdig überstürzt und forciert. Die stärksten Momente gehören eindeutig Jeffrey Combs, der mit dem ihm eigenen Verve Witz aus Dialogzeilen presst, die andere Schauspieler nur so aufsagen würden. Wie gesagt: Nicht alles ist schlecht an BRIDE. Wenn man den absolut indiskutablen BEYOND RE-ANIMATOR gesehen hat, relativiert sich vieles.
#926
Geschrieben 27. August 2007, 13:30
Männerfilmhistorie: Arthur Hillers TOBRUK
Tollkühne Jungens in engen Hosen: DIE HALBSTARKEN
#927
Geschrieben 28. August 2007, 12:34
Regie: Uwe Boll
Während islamische Fundamentalisten unter Führung von Osama Bin Laden Amerika mittels bakterieller Kampfstoffe lahmlegen wollen, sucht Dude (Zack Ward) einen Job. Er wird von Personalchefs gegängelt und gedemütigt, auf dem Arbeitsamt missachtet und seine fette Frau betrügt ihn im gemeinsamen Trailer auch noch mit dem von Zahnfäule geplagten Trailer-Park-Chef. Mit seinem Onkel plant Dude dann einen großen Coup, um an Geld zu kommen: Eine im Vergnügungspark "Little Germany" gehortet Ladung der beliebten "Krotchy Dolls", eines neuen In-Spielzeugs, soll geklaut und auf eBay vertickt werden. Doch genau diese Puppen enthalten die Bakterien, mit denen Amerika in den Untergang gestürzt werden soll ...
Da ist er, der neue Uwe Boll, laut eigenen Angaben "der wichtigste und beste Film der letzten zehn Jahre". Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, macht sich sehr angreifbar, vor allem, wenn das Ergebnis so aussieht wie POSTAL. POSTAL ist technisch wie erzählerisch absolut minderbemittelt und legt ziemlich deutlich Zeugnis davon ab, warum Boll nie von einem öffentlichen Gremium Fördergelder für die Umsetzung seiner "Visonen" bekommen hat. Wie Boll auf den Trichter gekommen ist, ein Filmemacher sein zu müssen, bleibt rätselhaft, zumal aus seinen Werken eigentlich eine tiefe Verachtung fürs Medium spricht. Ich muss dazu sagen, dass mir Boll bislang herzlich egal war. BLACKWOODS fand ich damals annehmbar durchschnittlich, HOUSE OF THE DEAD funktionierte für mich noch ordentlich als Trashgurke, ALONE IN THE DARK nicht mal mehr als das. Schlechte Regisseure gibt es wie Sand am Meer, das allein machte Boll für mich noch nicht zum Phänomen. Wohl aber die Art wie er nun begann, jegliche Kritik als persönlichen Affront zu empfinden und überall Neid und Missgunst zu unterstellen. Erstaunlich wenig Kritikfähigkeit und Humor für einen Mann, der es sich zum Zeil gesetzt zu haben scheint, jedes erhältliche Videospiel in einen Film zu verwandeln. Wenig schmeichelhaft auch der ekelhafte Zynismus Bolls: Was am Anfang noch irgendwie witzig war (etwa, wie er auf dem Audiokommentar zu HOUSE minutenlang über die Brüste der Hauptdarstellerin schwafelt), erschien nach Aussagen wie jener zu BLOODRAYNE, dass man für Nacktszenen am besten rumänische Prostituierte nehme, weil die im Gegensatz zu Hollywood-Schauspielern billiger seien und eben alles mitmachten, in einem anderen, weniger komischen Licht. Nun ist es ja eigentlich nicht zwingend von Interesse, was für ein Arschloch ein Regisseur ist: Im Fall von Boll ist es aber mit POSTAL endgültig unmöglich geworden, ihn von seinem Werk zu trennen. Noch nicht einmal er selbst kann und will diese Trennung noch vornehmen. So tritt er in POSTAL im Tirolerhut mit Lederhose in "Little Germany" als Filmemacher Uwe Boll auf und behauptet seine Filme seien mit Nazigold finanziert worden. Zur Einleitung zu seinem Epos erzählte Boll in Düsseldorf, sein Film sei als bewusster Schlag in die Fresse der Political Correctness konzipiert, ein "Equal-Opportunities"-Film, in dem alles und jeder sein Fett weg bekäme – auch er selbst (ihm wird in die Eier geschossen und er stirbt mit den Worten: "Ich hasse Videogames."). Außerdem habe er schmierige Romantic Comedies satt und wolle zurück zu Komödien im Stile der ZAZ-Sachen (als hätten diese sich nicht selbst irgendwann überholt, sondern seien "unterschlagen" worden). Man merkte: Da steht ein Mann mit einer Mission. Diese Mission ist gründlich gescheitert. Aber leider wird Boll auch dieses Urteil wieder in seinem Sinne umzudeuten wissen.
Zum Film: POSTAL bemüht sich tatsächlich von der ersten Szene an (ein Blick hinter die wahren Ereignisse von 9/11) jedes bestehende Tabu zu brechen. Die Opfer von 9/11 werden ebenso verhöhnt wie die des Holocaust, George W. Bush und Bin Laden werden als beste Freunde gezeichnet, die am Ende händchenhaltend in eine Atomexplosion tänzeln, Behinderte werden diffamiert, abjekten Sexualpraktiken gehuldigt, die Ekelschwelle ständig überschritten, der US-Patriotismus verarscht, Christen und Moslems ausgelacht, Schwule natürlich auch. Das ist zum einen weniger neu als Boll glaubt: Die meisten Gags hat man in deutlich besserer Form schon in anderen Filmen oder Serien gesehen, ich denke da zuerst an SOUTH PARK. Zum anderen ist die nackte Provokation allein nicht witzig, vor allem nicht, wenn sie mit so armseligem Timing und mangelndem Gespür für Dramaturgie erfolgt. Boll will sich über alles lustig machen, missachtet dabei aber völlig, dass man dazu eine eigene Position einnehmen muss. POSTAL ist selbst nicht geerdet, er hat weder eine Richtung noch eine Aussage. Die Provokation bleibt stets billiger Selbstzweck. Boll will, dass seine Zuschauer empört und angepisst den Saal verlassen, vielleicht ein Verbot herbeischreien, am besten noch Boll als Nazi beschimpfen. Den Gefallen kann ich ihm beim besten Willen nicht tun. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, POSTAL würde mir vor den Kopf stoßen, weil von vornherein klar war, dass filmisch nichts von ihm zu erwarten war. Aber noch nicht einmal das ist ihm gelungen. POSTAL ist langweilig, völlig unwitzig, inhaltlich komplett leer und inszenatorisch miserabel. Das einzig Empörende an ihm ist eben Bolls dahinterstehende Attitüde, mit der er jede Kritik zu seinen Gunsten auslegen wird und seine Privatneurose – "Niemand will erkennen, wie genial ich bin, also müssen alle außer mir dumm und gemein sein!" – zur großen Kritik an weltpolitischen Entwicklungen instrumentalisiert. So ist POSTAL tatsächlich ein einziges Ärgernis, eine Beleidigung des zahlenden Publikums, das sein Geld für die narzisstischen Selbstbespiegelungen eines Mannes ausgeben muss, der sicherlich ein guter Sachbearbeiter im Finanzamt geworden wäre, aber dummerweise auf die Idee gekommen ist, ein Regisseur sein zu müssen. Mit ganz großer Sicherheit der katastrophal schlechteste Film, den man seit etlichen Jahren im Kino zu sehen bekommen hat. Vielleicht meinte Boll das ja als er von "wichtig" sprach.
PS Laut IMDb sind ja noch fünf weitere Filme von ihm in der Pipeline: Mal sehen, welche Tiraden da noch auf uns zukommen.
#928
Geschrieben 28. August 2007, 12:37
Eine Rezension zu David Mamets wunderbarem HOMICIDE – MORDKOMMISSION
#929
Geschrieben 28. August 2007, 19:52
Regie: Herschell Gordon Lewis
Eine Striptease-Tänzerin wird beim Schminken von einer vermummten Gestalt mit dem Gesicht voran in ihren Schminkspiegel gedroschen, was weder ihrer Gesundheit noch ihrer Schönheit besonders zuträglich ist. Die Zeitungsreporterin Nancy Weston (Amy Farrell) sucht den Starreporter und Westentaschen-David-Niven Abraham Gentry (Frank Kress) auf, um ihn mit den Ermittlungen zu beauftragen. Zur Entlohnung für die Exklusivrechte soll Gentry einen stattlichen Betrag erhalten. Gesagt, getan: Gentry begibt sich ins Stripper-Milieu, kann jedoch leider auch nicht verhindern, dass weitere Damen des nackttanzenden Gewerbes äußerst kreativ entsorgt werden. Bis der Stripclub-Zampano Marzdone Mobilie (Henry Youngman) einen Stripwettbewerb ausschreibt, an dem die adrette Nancy teilnehmen soll ...
Waren Lewis' frühere Filme zu nicht unbeträchtlichem Anteil eher unfreiwillig komisch, versucht er sich in THE GORE GORE GIRLS konsequenterweise an einer Komödie, lässt es sich aber dennoch nicht nehmen, dem noch in der Wiege liegenden Splatterfilm ein paar hübsche creative killings mit auf den Weg zu geben. Besonders toll und haarsträubend natürlich die Szene, in der eine Frau ermordet wird, indem der Killer ihr mittels eines hölzernen Fleischhammers den Allerwertesten mürbe klopft. Danach wird noch kräftig gesalzen und gepfeffert, fertig ist der Saftschinken mit besonders nussigem Aroma. Die Augenpuhlereien aus WIZARD haben es Lewis ebenfalls ziemlich angetan, denn nach getaner Arbeit vergeht sich der Killer immer noch mit besonderer Filigranität an den Gesichtern seiner Opfer, damit möglichst wenig Erkennbares zurückbleibt. Nicht vergessen möchte ich auch Lewis' Beitrag zum wichtigen Thema "Sicherheit im Haushalt": Eine Dame kriegt ihr Bügeleisen über die Visage gezogen, bis sich die Haut in Fetzen löst, eine andere landet Gesicht voran in der Friteuse. Danach gibt es Pommes mit Fleischeinlage, die der Killer noch einmal geschmäcklerisch umrührt. Hmmmnjam! Am Ende entpuppt sich das alles nicht als Werk eines prüden Butzemanns und auch die Women's-Lib-Frauen, die schon mal die Belegschaft des Stripclubs aufmischen, haben nix mit den Morden zu tun. Stattdessen ist es eine Ex-Catcherin ohne Brüste und mit Glatze gewesen, die die Schönheit ihrer Geschlechtsgenossinnen nicht ertragen konnte. Deshalb hat sie einer Stripperin auch vorher die Brustwarzen abgeknipst und sich ein Glas Milch abgezapft. Sie fällt am Schluss ziemlich ungeschickt aus dem Fenster und lässt sich dann in bester NAKED GUN-Tradition noch den Kopf von einem LKW plattfahren. Es gibt Tage, da verliert man, und Tage, da gewinnen die anderen. Unangefochtener Star ist aber eindeutig Frank Kress als Abraham Gentry: Der behandelt die Frauen in diesem Film wie Scheiße und zerrt ständig mit seinem schicken Spazierstock an anderen Leuten rum. Wunderbar die Szene, in der er die besoffene Nancy einfach auf der Straße liegen lässt und lediglich einen Taxifahrer beauftragt, sie doch btte nach Hause zu bringen. Seinen selbstverliebten versnobbten Connaisseur gibt der wirklich mit einer Lässigkeit, dass es eine wahre Freude ist. Aber auch als Detektiv lässt sich Gentry nicht lumpen. Besonders knallhart die Frage an den gelangweilt und tatenlos an einem Tisch am Tatort herumsitzenden Pathologen, ob sich das neue Opfer denn noch anders als "nur" durch die neuen Verstümmelungen von den vorherigen unterscheide. Was für eine Antwort erwartet er denn in drei Teufels Namen?!? Neben all dem Spaß muss man sich aber auch wieder durch einige viel zu lang geratene Passagen quälen und ausgesprochen "schön" anzuschauen ist THE GORE GORE GIRLS auch nicht. Das Budget dürfte tatsächlich gegen Null tendiert haben und in erster Linie für die Matscheffekte ausgegeben worden sein. Für seine offenkundigen Mängel entschädigt aber das an Peter Lustig und "Löwenzahn" respektive "Pusteblume" gemahnende Ende: Gentry schließt endlich seine Nancy in die Arme, guckt in die Kamera, sagt, dass es das war und zieht dann eine Schwarzblende von oben nach unten wie ein Rollo ins Bild – Visual Effects at its finest! Dann folgt die Einblendung "We announce with pride: This film is over." und entlässt den ent- und begeisterten Zuschauer ins hochverdiente und herbeigesehnte geistige Delirium.
#930
Geschrieben 30. August 2007, 14:05
Regie: Kevin Connor
Farmer Vincent (Rory Calhoun) ist in seinem County bekannt wie ein bunter Hund, Generationen von Einwohnern schwören auf sein "honest-to-goodness hickory smoked meat", das er gemeinsam mit seiner Schwester Ida (Nancy Parsons) auf der heimischen Farm direkt neben dem eigens betriebenen Motel herstellt. Das Geheimnis seiner Fleischerzeugnisse ist gut gehütet: Nicht nur, weil es die Haupteinnahmequelle des Geschwisterpärchens ist - Bruder Bruce verdingt sich als Dorfsheriff -, sondern auch, weil längst nicht alle Zutaten ganz koscher sind. Um seinen Beef Jerkies die richtige Würze zu verpassen, pflastert Vincent nämlich die Landstraße mit lustigen Fallen und sammelt hineingetappte menschliche Opfer auf, die dann im versteckten Gemüsegarten eingebuddelt werden, um für die Weiterverarbeitung zu reifen. Nur im Fall der hübschen Terry (Nina Axelrod) macht Farmer Vincent mal eine Ausnahme, sieht er in ihr doch sowohl das zukünftige Eheweib als auch die Erbin seines Fleischgeheimnisses. Davon ist allerdings Schwester Ida ebenso wenig begeistert wie Brüderchen Bruce ...
Kevin Connor überführt mit MOTEL HELL das ja schon in TCM leicht schwarzhumorig eingefärbte kannibalistische Treiben vollkommen in das Genre der Horrorkomödie, allerdings ohne den Ernst völlig über Bord zu schmeißen und seine Figuren für billige Possen zu verheizen. So schrill einige Einfälle auch sind - ich denke da etwa an die mit durchgeschnittenen Stimmbändern in der Erde steckenden Opfer: Connor inszeniert diese Szenen sprichwörtlich mit Pokerface und lässt sie mit ihrer Absurdität ganz für sich allein sprechen, anstatt diese noch zusätzlich hervorzuheben. Viele Gags erkennt man dann auch erst nach mehrmaliger Sichtung als solche, etwa jenen, Autos mit Bärenfallen einzufangen. Man kann MOTEL HELL durchaus unterstellen, sehr behutsam und gediegen inszeniert zu sein - nicht gerade typisch für eine Kannibalismuskomödie. Besonders gut hat mir in dieser Hinsicht die Creditsequenz gefallen, in der Musik und Ton perfekt auf das Bild abgestimmt sind und in der auf sehr effektive und subtile Art und Weise die Atmosphäre des Films geschaffen wird, anstatt den Zuschauer zum xten Mal mit einem Knalleffekt zu überrumpeln. Rory Calhoun (unter anderem Leones IL COLOSSO DI RODI) liefert eine Glanzvorstellung als fleischliebender, aber gutmütiger Redneck ab, die gänzlich ohne Grimassieren und Overacting auskommt. Wunderbar die Szene, in der er seine Schwester beim Picknick beherzt in die Plauze schlägt, weil er befürchtet, sie plaudere sein Geheimrezept aus, was diese mit einem saftigen Stoßrülpser quittiert. Solche lauten Ausbrüche wirken umso heftiger in einem Film, der insgesamt sehr ruhig und nicht nach gängigen Schemata abläuft. MOTEL HELL ist - so sehr er auch die Bestandteile des Backwoodfilms aufgreift: religiöser Fanatismus, Scheinheiligkeit, Verdrängung und der Einsatz amerikanischer Folklore - bei genauem Hinsehen ein ziemlich ungewöhnlicher Horrorfilm, weil es keine eindeutige Hauptfigur, sondern gleich mehrere gleichwertige Charaktere im Zentrum des Interesses gibt. Ist der Horrorfilm üblicherweise aus der Sicht des Opfers erzählt, steht lange Zeit Farmer Vincent im Mittelpunkt des Interesses, bis sich die Gewichtung gegen Ende zugunsten Terrys und Sheriff Bruce' verlagert. Aus struktureller Sicht würde ich fast behaupten, dass MOTEL HELL eher den Regeln des Dramas folgt als denen des Horrorfilms: Wenn Vincent am Ende bekommt, was er eigentlich verdient, ist das nicht mit der großen Befreiung verbunden, sondern stimmt beinahe etwas traurig. Kevin Connor hat mit MOTEL HELL also einen sehr eigenständigen Film vorgelegt, der eine Weile braucht, um zu reifen, dann aber beinahe schon beeindruckt. Freunde des Horrorfilms bekommen hier aber trotzdem eine ordentliche Packung, die von vorn bis hinten mit liebevollen und cleveren Referenzen gespickt ist, aus der sich auch Tobe Hooper für die Eröffnungsszene seines TCM-Sequels einmal mehr als offenkundig bedient hat. Und das heisere Gurgeln der armen Fleischlieferanten wird man garantiert nicht mehr vergessen ...
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