Der Monroe ihre dicken Hupen
#991
Geschrieben 27. Oktober 2007, 10:29
Regie: Joel Schumacher
William Foster (Michael Douglas) ist ein Durchschnittsamerikaner: Er fährt ein durchschnittliches Auto, sieht durchschnittlich aus, hat seinen durchschnittlichen Job ebenso verloren wie seine Ehefrau (die nicht ganz so durchschnittliche Barbara Hershey). Jetzt steht er bei einer Bullenhitze in der Rush Hour von L. A. im Stau und rastet aus. Er beleidigt Immigranten und Besserverdiener, beschwert sich über zu hohe Preise und schlechten Service, will trotz aller in ihm brodelnder reaktionärer Energie nicht mit dem eklen Nazi (Frederic Forrest) in einen Topf geworfen werden. Alles, was er will, ist beim Geburtstag seiner Tochter zu erscheinen, um ihr ein Geschenk zu geben.
Gleichzeitig feiert Martin Pendergast (Robert Duvall) seinen letzten Tag als Polizist. Zuhause sitzt seine Frau (Tuesday Weld) und wartet auf seine Heimkehr, kann es kaum erwarten mit ihrem Gatten in den Ruhestand zu treten. Doch da kommt eben William Foster in die Quere, dem Pendergast eher zufällig auf die Schliche kommt und ihm zusammen mit seiner Kollegin Sandra Torres (Rachel Ticotin) nachstellt. Am Ende stehen sich Pendergast und Foster gegenüber wie in einem Western und liefern sich ein Duell, das nur einer überleben wird.
Die beiden Inspirationsquellen von FALLING DOWN sind – wie oben erwähnt – der Western und der Vigilantenfilm der Siebziger, der selbst ein moderner Nachfahre des amerikanischsten aller Filmgenres ist. Doch wogegen – oder wofür – kämpft William Foster? So unvermittelt sein Zorn sich plötzlich Bahn schlägt, so wenig gerichtet ist er auch. Foster, der vorher alle Wut geschluckt hat (sein Spitzname D-FENS erklärt sich nicht nur aus seinem ehemaligen Job in der Rüstungsindustrie, sondern eben auch aus seiner psychologischen Verfassung), muss diese nun umso nachdrücklicher nach außen richten. Foster hasst alle, erinnert dabei in seinem Beharren auf alte "Werte" an den typischen BILD-Leser und wundert sich am Ende darüber, dass nun auch er zu den Bösen gehört, die doch sonst immer die anderen waren. Sein Trauma ist das Trauma der Neunziger, die Richtungs- und Orientierungslosigkeit eines Jahrzehnts, in dem der gewohnheitsmäßige Gegner plötzlich nicht mehr da war.
Pendergast ist das in diesen Filmen typische Spiegelbild Fosters: Wie jener wird er bald einen Job verlieren, den er gern ausgeübt hat; wie jener hat er seine Tochter verloren (Foster durch Scheidung, Pendergast durch plötzlichen Kindstot); wie jener sieht er sich einer aus den Fugen geratenen Welt gegenüber, mit deren übelsten Auswüchsen er jeden Tag konfrontiert wird. Unterscheiden tun sie sich durch ihre Veranlagung: Während Pendergast seine Kollegen durch seine Ruhe und Freundlichkeit verunsichert und ihr Misstrauen weckt, ist es bei Foster dessen Unruhe, Nervosität, latente Aggression und Unsicherheit, die seine Frau schließlich gegen ihn aufbrachte. Wenn die beiden sich am Ende im Duell begegnen stehen sich auch nicht realisierte, potenzielle alter egos des anderen gegenüber. Wer will da noch von Gut und Böse sprechen.
Schumacher hat viele Vigilantenfilme gemacht, was ihn per se fragwürdig erscheinen lässt: neben diesem, seinem meiner Meinung nach mit weitem Abstand besten Film, gibt es da noch A TIME TO KILL, 8MM und BATMAN FOREVER. Die Dezenz, die diesen oft fehlt, ist jedoch gerade das, was FALLING DOWN auszeichnet. Trotz seines schwierigen Themas driftet FALLING DOWN niemals in nackten Reaktionismus ab, er stellt seinen "Schurken" als Menschen da, ohne ihn zum Opfer einer bösen, bösen Welt zu machen. So ist dieser Film über den Hass und eine chaotische Welt erstaunlicherweise niemals kalt und zynisch, sondern im Gegenteil sehr warmherzig und bewegend. Für mich ist FALLING DOWN einer der besten, der definierenden Filme der Neunziger, seine Eröffnungsszene eine beeindruckende Visualisierung, mehr noch: Spürbarmachung, seines Titels. DER Vigilantenfilm seines Jahrzehnts und einer, den man immer wieder sehen kann. Großartig.
#992
Geschrieben 28. Oktober 2007, 08:38
Regie: Chris Miller, Raman Hui
Shrek (Mike Myers) und seine Prinzessin Fiona (Cameron Diaz) haben sich mehr schlecht als recht im Schloss von Far Far Away eingelebt. Der Froschkönig Albert (John Cleese) ist schwer krank und Shrek vertritt ihn in seiner unnachahmlich unbeholfenen und tumben Art. Als der König dann endgültig stirbt und Shrek zum Thronfolger erklärt, ist dieser alles andere als zuversichtlich und möchte das Amt lieber abgeben. Zum Glück gibt es da tatsächlich noch einen Verwandten: den jungen Artie (Justin Timberlake), der allerdings das Gespött seiner Highschool Worcestershire ist. Es gehört einige Überredungskunst und Konfliktlösungspotenzial dazu, ihn schließlich auf den Thron zu hieven – zumal auch der schmierige Prinz Charming (Rupert Everett) in der Verbannung seine Rache plant ...
SHREK ist ja das einzige Animationsfranchise, das sich neben den Schöpfungen aus der Pixar-Schmiede etablieren konnte. Das Erfolgsrezept dürfte neben der Verortung in der bunten und über einen reichen Schatz an Figuren und Geschichten verfügenden Märchenwelt die deutlich konsequentere Einbeziehung eines erwachsenen Publikums sein. Ähnlich wie bei den SIMPSONS und eben stärker als bei den Pixar-Kollegen (vielleicht mit Ausnahme von THE INCREDIBLES) dürften viele Gags für Kinder kaum verständlich sein – der Humor erwächst meist aus dem Zusammenprall klassischer Märchenelemente mit Alltagssituationen und -problemen. Kinder freuen sich über die lustigen Figuren und die Slapstickeinlagen, Erwachsene lachen etwa über die psychischen Probleme des verwunschenen Baums, der aufgrund seiner Statur kein normales Leben führen kann oder aber über die Sterbesszene des Froschkönigs, die wohl tatsächlich einen der schadenfrohesten Lacher der Filmgeschichte provoziert. Dieses Konzet wird auch in SHREK THE THIRD wieder perfekt durchexerziert. Allerdings – und das ist die Kehrseite der Medaille – hat man das als Zuschauer eben schon in den beiden vorherigen Filmen gesehen. In SHREK THE THIRD machen sich zum ersten Mal leichte Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Die Gags um Donkey (Eddie Murphy) und Puss in Boots (Antonio Banderas) sind kaum mehr als aufgewärmt, die neuen Figuren, etwa der senile und schusselige Zauberer Merlin (Eric Idle) bringen dem Film nicht den erhofften Schub. Die Idee mit dem Aufstand der Schurken und Verlierer der Märchenwelt ist brilliant (liegt zudem auf einer Linie mit der Zelebrierung des Mittelmaßes bei den SIMPSONS), wird aber kaum ausgespielt. Da wurde einiges Potenzial verschenkt. Dennoch ist SHREK THE THIRD jederzeit feine, lustige und intelligente Unterhaltung, mit vereinzelten Anflügen von Genialität. Hier sei etwa die Sequenz erwähnt, in der das Leben des Lebkuchenmanns an seinem geistigen Auge vorüberzieht: 30 Sekunden absoluter Irrsinn. SHREK THE THIRD ist ein guter dritter Teil, der noch einmal das Optimum aus seiner Prämisse herausholt. Damit sollte man das SHREK-Franchise aber in den Ruhestand schicken, noch einmal wird das nicht funktionieren.
#993
Geschrieben 28. Oktober 2007, 09:33
Regie: Anthony Mann
Der Abenteurer Glyn McLyntock (James Stewart) verdingt sich als Führer eines Siedlertrecks nach Westen. Unterwegs rettet er einen Pferdedieb, den Seelenverwandten Emerson Cole (Arthur Kennedy), vor der Erhängung, gewinnt damit einen erprobten Schützen, aber auch einen potenziell gefährlichen und immer wieder zweilichtigen Gesellen. Und der wird prompt zur Gefahr als der Eigennutz profitabler zu werden verspricht als die schnöde Hilfsbereitschaft ...
Wie schon der zwei Jahre zuvor entstandene WINCHESTER '73 ist BEND OF THE RIVER durchaus als Metawestern zu verstehen. Anders als in erstgenanntem reflektiert Mann die Geschichte und Strukturen seines Genres aber weniger formal in einer fragmentierten und episodenhaften Narration, die quer durch die Motive des Genres führt, sondern vor allem inhaltlich. Die Geburtswehen, die das Westerngenre in seiner Gesamtheit beschreibt, sind das Thema von BEND OF THE RIVER gleich in zweierlei Hinsicht: zum einen, weil er die Beschwerlichkeiten und Gefahren, die die Siedler auf sich nehmen mussten, ganz direkt beschreibt, zum anderen weil die Zähmung des Wilden, Widerspenstigen gleichnishaft in der Wandlung Glyns vom einstigen Verbrecher hin zum "Geburtshelfer" behandelt. Dass diese Wandlung nie abgeschlossen ist, sondern sich immer wieder in Entscheidungen aktualisiert, illustriert Mann durch das Motiv der Spiegelung und Dualität, das vielleicht als die dramatische Triebfeder des Actionfilms (und des Western als dessen frühe Ausprägung) zu bezeichnen ist, der Konflikt, der das ganze Genre befeuert. Glyn und Emerson sind Verwandte, sie teilen in der gescheiterten Hängung ein wichtiges biografisches Detail. Während dies im Falle von Glyn zur Läuterung geführt hat – er trägt seitdem ein Stigma am Hals, das ihn ewig an seiner Vergangenheit (und seine Entscheidung!) erinnern wird –, hinterlässt es auf den haifischzähnigen Emerson keinen bleibenden Eindruck. Diese Ambivalenz ist aber dem Siedlertum selbst zueigen: Die Urbarmachung des Landes zeitigt nämlich auch negative Folgen. Das friedliche, freundliche Portland verwandelt sich durch den mit den Pionieren einhergehenden Goldrausch in einen Sündenpfuhl, in dem der Abschaum, die Gier und der Suff regieren. Auch wenn Mann den Film zuversichtlich enden lässt: Allzu großes Vertrauen setzt er nicht in die Menschheit. Der letzte Blick gilt dann auch nicht der neu aus dem Boden gestampften Siedlung, sondern dem diese umgebenden Naturpanorama (wie der ganze Film die Natur gegenüber den Menschen favorisiert). Wahre Reinheit ist nur dort zu finden, die Gemeinschaft der Menschen ist ein ewiger Gefahrenherd, der sich in immer neuen Kämpfen reinwaschen muss – und auf ewig mit dem Kainsmal gezeichnet ist.
#994
Geschrieben 28. Oktober 2007, 15:26
Regie: Dick Powell
Der stolze Mongolenfürst Temujin (John Wayne) raubt die Tartarentochter Bortai (Susan Hayward) aus den Fängen der Merkiten.
Der tapferer Krieger ist der kühlen Frau sehr zugetan, doch diese zeigt ihm die kalte Schulter. Damit nicht genug: Die Tartaren überfallen Temujin und seine Männer, befreien Bortai und verschleppen den Mongolen, der jedoch von dessen Blutsbruder Jamuga (Pedro Armendáriz) befreit wird. Temujin plant einen Rückschlag, bei dem ihm Wang Khan mit seinem Heer zur Seite stehen soll. Doch auf diesen ist kein Verlass ...
THE CONQUEROR ist ein Film, dessen Produktionsumstände und Rezeption eine nüchterne, unvoreingenommene Sichtung völlig unmöglich machen. Filmtycoon Howard Hughes' letzte Produktion gilt als einer der kapitalen Flops der Filmgeschichte und als Ultrabaddie. Noch berühmter dürfte er aber als derjenige Film sein, der John Wayne das Leben kostete – und mit diesem 90 weiteren Beteiligten. Gedreht im Atomwaffentestgebiet in Utah fielen 91 der 220 Crewmitglieder den Spätfolgen der radioaktiven Strahlung zum Opfer, darunter neben John Wayne Susan Hayward, Agnes Moorehead, Pedro Armendáriz (der sich nach der Krebsdiagnose das Leben nahm) und der Regisseur Dick Powell. Von diesem Wissen kann man sich nur schwer befreien, wenn man die Schauspieler vor der beeindruckenden Naturkulisse sieht. Auch deswegen fällt es mir äußerst schwer, über den "unfreiwilligen Humor", der auf IMDb gepriesen wird, zu lachen. Natürlich ist John Wayne nicht die Idealbesetzung – als leidenschaftlicher Liebhaber ist er tatsächlich völlig deplatziert, auch wenn das in der deutschen Synchronisation ganz gut kaschiert wird. Auch dramaturgisch ist THE CONQUEROR minderbemittelt, schleppt sich, allem Pomp zum Trotz, langatmig und redundant über die 105 Minuten Laufzeit. Ich wage aber zu behaupten, dass THE CONQUEROR nicht aufgrund seiner ihm eigenen Umsetzung einfach nicht funktionieren will, sondern weil schon das Grundkonzept angefressen ist. THE CONQUEROR ist ein Western durch und durch; aber einer, der vorgibt, in der Wüste Gobi angesiedeltes Monumentalkino zu sein. Und auch wenn Wayne Pelzmütze und einen Schnäuz trägt: im Grunde ist er nichts anderes als ein Indianerhäuptling, was dann wohl auch einer der Gründe dafür ist, warum ihm die Rolle des späteren Dschinghis Khan nicht so recht gelegen hat. THE CONQUEROR ist ein kolonialistischer Film: Er ist von dem Glauben des alten Hollywoods beseelt, alles darstellen zu können, jede Kultur, jede Epoche der Weltgeschichte; und dem Glauben, dass zu dieser Darstellung nicht mehr nötig ist als ein tiefer Griff in den Requisitenfundus. Ein Irrglaube, der teuer bestraft wurde. In der Größe seines Scheiterns vielleicht der tragischste Film aller Zeiten.
#995
Geschrieben 29. Oktober 2007, 21:05
Regie: Anthony Mann
Jeff Webster (James Stewart) will sich mit seinem alten treuen Freund Ben (Walter Brennan) eine kleine Ranch in Utah kaufen und von den Menschen, denen er nicht vertrauen kann und will, Abschied nehmen. Da er dafür aber erst noch das nötige Kleingeld zusammensparen muss, verdingt er sich als Viehtreiber. In dieser Eigenschaft kriegt er sich mit dem korrupten Kleinstadtrichter Gannon (John McIntyre) in die Haare und bändelt mit der gewieften Unternehmerin Ronda Castle (Ruth Roman) an, die ihn schließlich als Treiber engagiert, um sie in das kleine Goldgräberstädtchen Dawson zu bringen. Doch die Kapitalistin bringt das fragile Gleichgewicht in dem kleinen Städtchen mächtig ins Wanken.
Wie in dem zwei Jahre vorher entstandenen BEND OF THE RIVER widmet sich Mann erneut dem Pioniergeist der Siedlertage und wirft einen wehmütigen, aber nicht unkritischen Blick auf diese Zeit, die der unseren in vielerlei Hinsicht erschreckend ähnlich ist. Der Traum des kleinen Mannes vom großen Reichtum wird von verschlagenen Gangstern und Meuchelmördern auf der einen und wohlhabenden Kapitalisten auf der anderen zerstört. Was THE FAR COUNTRY von BEND OF THE RIVER unterscheidet, ist die Perspektive: Aus dem tapferen, reumütigen Glyn McLyntock ist Jeff Webster geworden, ein Mann, der weiß, dass die Menschen schlecht sind und deshalb nur eins im Sinn hat: Schnell weg, ohne Rücksicht auf andere. In seiner Rücksichtslosigkeit, seinem Egozentrismus unterscheidet er sich in seinen Taten kaum noch von den Halsabschneidern und Betrügern, macht mit diesen sogar gegen die Interessen der armen Goldschürfer gemeinsame Sache, bis er feststellen muss, dass er für diese auch nur eine austauschbare Variable in ihren Plänen ist. Dem resignativen Ton entspricht vor allem Manns Naturinszenierung: Bildete diese in BEND OF THE RIVER den reinen und majestätischen Hintergrund, der wie ein göttliches Versprechen schien, beginnt sie sich in THE FAR COUNTRY schon gegen das Eindringen der Menschen zu wehren. Die Landschaft rund um Dawson ist unwirtlich, steinig und grau und einmal macht sogar eine gewaltige Lawine einem Siedlertreck den Garaus. THE FAR COUNTRY ist aufgrund dieser Analogien und Differenzen vor allem im Doppelpack mit BEND OF THE RIVER absolut unverzichtbar, als Einzelwerk fällt er hinter diesen allerdings zurück. Zu umständlich erzählt ist er, zu wenig Bezug findet man zu seinem opportunistischen Helden. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass THE FAR COUNTRY eigentlich gar kein richtiger Western mehr ist. Wenn, dann müsste man ihn thematisch fast als frühen Spätwestern bezeichnen, zumal er in der Darstellung Dawsons nicht wenig an die entsprechenden Szenen in Peckinpahs RIDE THE HIGH COUNTRY erinnert.
#996
Geschrieben 29. Oktober 2007, 21:36
Regie: Steven Spielberg
In nicht zu ferner Zukunft hat die Mordrate in den USA beängstigende Ausmaße erreicht. In Washington, D. C., hat man für dieses Problem eine Lösung gefunden: die Precrime-Behörde. Mithilfe dreier seherisch Begabter so genannter Pre-Cogs ist man in der Lage, Morde vorauszusehen und die Mörder in spe zu inhaftieren, bevor sie ihr Verbrechen verüben konnten. Der Precrime-Polizist John Anderton (Tom Cruise) ist von diesem System überzeugt: nicht zuletzt, weil er nie darüber hinweggekommen ist, dass der Mörder seines Sohnes nie gefasst werden konnte. Nun soll Precrime national gestartet werden, weshalb FBI-Agent Danny Witwer (Colin Farrell) das System einer Untersuchung unterzieht. Den hartnäckigen und unangenehmen Fragen des Agenten gesellt sich ein weiteres Problem hinzu: die Pre-Cogs sehen einen weiteren Mord voraus und dessen Täter ist niemand anderes als John Anderton ...
Nach einer (mir unbekannten) Kurzgeschichte von Philip K. Dick inszenierte Spielberg diese düstere Dystopie, die sich mit der Frage nach dem Wesen von (Vor-)Bestimmung und Freiheit befasst. Schon das System von Precrime gründet sich auf einer unlösbaren Paradoxie: Wie kann man für ein Verbrechen verurteilt werden, das man noch nicht begangen hat? Anderton und sein Ziehvater und Precrime-Erfinder Lamar Burgess (Max von Sydow) stellen sich diese Frage nicht. Für sie steht nur der Erfolg ihres Systems im Mittelpunkt. Erst als Anderton das Ergebnis seiner Arbeit sieht – ganze Hundertschaften im Tiefschlaf gefangener "Mörder" und erfährt, dass die Vorhersagen der Precogs mitnichten sicher sind – beginnt er das System zu hinterfragen und damit auch sich seinen eigenen Dämonen zu stellen. Die Verwebung von Freiheit und Bestimmung kommt meines Erachtens vor allem in den zahlreichen Action- und Suspenseszenen zum Ausdruck, etwa in jener, in der Anderton über eine vertikale Autobahn flüchtet und dabei die Autos wie Plattformen eines Jump-and-Run-Spiels benutzt. Anderton bewegt sich wie schwerelos im Raum, er hält sich nicht an die vorgegebenen Regeln der Fortbewegung, dennoch ist sein Weg vorgegeben. Noch deutlicher wird dies in einer späteren Sequenz, in der ihn Agatha, eine der Precogs, mittels ihrer seherischen Gabe so durch eine Mall leitet, dass er den Blicken der Verfolger entgeht. In seiner fomalen Gestaltung ist Spielbergs Film mal wieder maßgeblich: Der ausgeblichene, tristgraue Look repräsentiert eine Welt ohne Perspektive, die zahlreiche Ausflüge seiner Helden in die Vertikale symbolisieren die letzlich erfolglosen Ausbruchsversuche aus einer vollkommen reglementierten Welt. Dennoch steht Spielberg dem durchschlagenden Erfolg von MINORITY REPORT manchmal selbst im Weg: Die beinahe hilflosen Versuche, einen Funken Komik in dieser finsteren Welt zu finden, wirken unbeholfen, im schlimmsten Fall sogar gänzlich unpassend. Außerdem ist MINORITY REPORT – auch wenn der Film niemals langweilig wird – mit 140 Minuten ein ganzes Stück zu lang. Wenn Andertons Unschuld geklärt ist, hat der Film noch ein ganzes Drittel vor sich und das ist dann weder inhaltlich noch formal so interessant wie die ersten 90 Minuten. Streitbar sicher auch, wie lapidar Spielberg die gesellschaftliche Apokalypse dem Seelenheil seines Protagonisten unterordnet – aber das ist man von ihm ja nicht anders gewöhnt. Es ist eben der Frieden im Inneren, der ihm wichtig ist. Dennoch: MINORITY REPORT ist aufgrund seiner zahlreichen brillanten Action- und Suspense-Sequenzen, die nur Spielberg so zu inszenieren versteht, und des anregenden Themas ein spannender Film, an dem rumzumäkeln ich trotz der genannten Schwächen einfach nicht übers Herz bringen kann.
#997
Geschrieben 01. November 2007, 01:25
Regie: Alfred Weidenmann
Admiral Canaris (O. E. Hasse) ist Leiter des deutschen Geheimdienstes unter Hitler und sieht früh, dass dessen Politik für Deutschland in einem Desaster enden wird. Er sammelt eine Schar gleichgesinnter Generäle um sich, mit denen er einen Putsch plant, den richtigen Zeitpunkt für einen solchen aber verpasst. Das zuvor noch einen Krieg fürchtende Volk ist durch die kampflose Übernahme Österreichs und den Vertrag von München plötzlich von Allmachtsfantasien beseelt. Auch mit sanfteren politischen Mitteln, kann sich Canaris kein Gehör mehr verschaffen. Die Katastophe ist unabwendbar, er selbst macht sich Vorwürfe gezaudert zu haben. Als das Attentat Stauffenbergs scheitert, wird Canaris exekutiert ...
EIN LEBEN FÜR DEUTSCHLAND – so heißt ein Alternativtitel von Weidenmanns Film, der ganz gut die Strategie deutscher "Kriegsfilme" der Fünfzigerjahre illustriert. Es werden einzelnen, herausragende deutsche Persönlichkeiten des Dritten Reichs herausgegriffen und in Opposition zum herrschenden System dargestellt: Rommel etwa in ROMMEL RUFT KAIRO oder eben Canaris in Weidenmanns Film. Beiden ist die Terrorherrschaft Hitlers zuwider, beide stehen noch für die "ehrliche", "ritterliche" Kriegsführung und für Werte des Humanismus. Da wundert es kaum, dass Canaris selbst einmal davon spricht, wie dieses großartige, zum Besten geborene Volk aufs Übelste verführt wurde. Aber das denkende Individuum ist schwach gegen eine entfesselte Meute, deren Begeisterungstaumel angesichts der Auftritte ihres Führers in den Bildern des Archivmaterials tatsächlich eine Gänsehaut verursacht. Um den Schein, alles habe besser ausgehen können, wahren zu können, arbeiten die "Kriegsfilme" jener Tage mit einem Trick: Sie zeigen nichts vom Krieg, lassen den Holocaust gleich komplett außen vor. Mehr als Kriegsfilme sind sie Melodramen, die von einsamen Helden handeln, die im Wahnsinn um sie herum deplatziert sind. Ein klassischer dramaturgischer Motor, wie man ihn etwa aus den Spätwestern kennt, der aber in Verbindung mit realen Begebenheiten und den konkreten Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs befremden muss. Wie die zuletzt von mir besprochenen Filme dieser Zeit wirkt CANARIS verträumt. Man merkt ihm jederzeit an, dass die Zeit für eine echte, ernsthafte und vor allem (selbst)kritische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs noch nicht reif war. Und diese Unentschlossenheit und Verträumtheit, das Schockstadium, in dem sich Deutschland wohl in den Fünfzigern befand, wird von O. E. Hasse, diesem onkelhaften Gutmenschen, der immer eine Spur zu betulich agiert, geradezu perfekt verkörpert.
#998
Geschrieben 01. November 2007, 21:20
Regie: Alfred Weidenmann
Der junge Hans-Joachim Marseille (Joachim Hansen) ist auf der Fliegerakademie für sein großes Können bekannt, aber auch für seine Tollkühnheit berüchtigt. Diese macht ihn nach Kriegsbeginn zum absoluten Helden des Nordafrika-Feldzugs, ist aber für seine Vorgesetzten zunehmend Grund zur Besorgnis. Als Marseille während seines Heimurlaubs neben allerhand Orden und Auszeichnungen auch noch das Herz der jungen Lehrerin Brigitte (Marianne Koch) gewinnt, hat er zum ersten Mal eine Perspektive, die über den Abschuss von feindlichen Flugzeugen hinausgeht. Doch nach seiner Rückkehr nach Afrika schlägt das Schicksal erbarmungslos zu.
Die Kritik hat Weidenmanns Film gehasst: Der stumpfe Heroismus wurde ebenso kritisiert wie die plumpe Romantisierung des Krieges, der als historisches Ereignis erneut kaum eine Rolle spielt. Marseille, ein deutsches Fliegerass des zweiten Weltkriegs, wird instrumentalisiert, um ein tragisches Coming-of-Age-Drama zu erzählen: Der Krieg ist nicht an sich zu verurteilen, sondern vor allem, weil er jungen, unschuldigen und tapferen Menschen das Leben kostet. DER STERN VON AFRIKA in einem Atemzug mit Goebbels Propagandafilmen zu nennen, wie das die zeitgenössische Kritik tat, ist von daher zwar verständlich, aber auch etwas zu viel des Guten. Man merkt Weidenmanns Film seine historisch bedingte Befangenheit jederzeit an: Den Einbruch des Krieges kann er nicht anders darstellen als durch einen in seiner Emotionslosigkeit beinahe komisch anmutenden Voice-over im Stile der alten Wochenschauen; wenn Marseille beginnt, am Sinn seiner Tätigkeit zu zweifeln, gelingt es Weidenmann einfach nicht, das explizit zu machen, was doch absolut evident ist: nämlich dass Marseille bewusst wird, dass hinter jedem seiner zahlreichen abstrakten und gefeierten Abschüsse ein zerstörtes Menschenleben steht. Ja, der Gegner ist als Mensch erschreckend abwesend in DER STERN VON AFRIKA, taucht lediglich in Gestalt einiger Flugzeuge am Himmel auf. In diesem Versagen ist DER STERN VON AFRIKA dann aber wieder sehr präzise: Wahrscheinlich ist es tatsächlich der Mangel an echtem Feindkontakt, der die Begeisterung und den Eifer eines Marseille ermöglichte. Weidenmann besetzte seine jungen Flieger mit zahlreichen unbekannten Jungschauspielern. So feierten Joachim Hansen, Hansjörg Felmy oder Horst Frank ihr Debüt in einem immens streitbaren, im letzten Drittel anstrengend schmonzettenhaften, aber auch ziemlich aussagekräftigen Film, der in seinen Flugszenen erstaunlich aufwändig wirkt.
#999
Geschrieben 01. November 2007, 21:52
Regie: Steven Spielberg
Der Hafenarbeiter Ray Ferrier (Tom Cruise) soll seine Kinder Rachel (Dakota Fanning) und Robbie (Dustin Chatwin) für ein Wochenende beherbergen, während seine Frau Mary Ann (Miranda Otto) mit ihrem neuen Partner nach Boston fährt. Ray ist nicht gerade der ideale Vater: unorganisiert und wenig verantwortungsbewusst. Doch schon bald soll er Gelegenheit dazu bekommen, zu beweisen, dass er ein echter Vater ist, der für seine Familie sorgen kann, denn eine außerirdische Invasion steht unmittelbar bevor ...
Von einem Spielberg-Remake von Byron Haskins Verfilmung des H.-G.-Wells-Romans konnte man wohl vor allen Dingen eine Effektorgie erwarten. Dass WAR OF THE WORLDS mit atemberaubenden Action-Set-Pieces, unglaublichen Bildern und irrwitzigen Effekten nicht geizt, verwundert also nicht, wohl aber, dass sich Spielbergs Film kaum aufs Spektakel reduzieren lässt und darüberhinaus beinahe intim wirkt. Anders als Emmerich im thematisch verwandten INDEPENDENCE DAY schwingt Spielberg außerdem keine hohlen nationalistischen Durchhalteparolen, sondern reflektiert auf sehr intelligente Weise über sein Medium, dem nach den Ereignissen von 9/11 eine besondere Funktion, aber auch Verantwortung zukommt. Die Invasion der Außerirdischen findet beinahe ausschließlich im Blick Rays statt: Immer wieder schwenkt die Kamera von Ray auf die sich ihm darbietende Zerstörung, immer wieder sehen wir die Außerirdischen durch Fenster, als Reflektionen in Scheiben oder durch Löcher in Wänden. Das ist kein schnöder Stilwille, vielmehr wird das Thema "Sehen" auch auf der Inhaltsebene entwickelt. So etwa wenn Robbie, der nicht flüchten, sondern kämpfen möchte, sich von seinem Vater mit den Worten "I wanna see!" loszureißen versucht oder wenn Ray seiner jungen Tochter die Augen verbindet, kurz bevor er den verrückt gewordenen Harlan Ogilvy (Tim Robbins) umbringt. Jener Harlan hatte wiederum kurz zuvor erzählt, dass ihm während seiner Tätigkeit als Krankenwagenfahrer aufgefallen ist, dass immer die überlebten, die die Augen nicht geschlossen hatten. Mit dem Sehen ist in WAR OF THE WORLDS ein Lern- und Reifeprozess verbunden: Nur wer genau hinsieht, wird überleben; aber was man sieht, hinterlässt eben auch unauslöschliche Spuren. So mag es zwar aus Plausibilitätsgründen ein Tiefschlag sein, wenn Sohn Robbie am Ende unversehrt wieder auftaucht, innerhalb seines Diskurses ist es nur konsequent. Was WAR OF THE WORLDS aber über solche Interpretationen hinaus zum prägenden Erlebnis macht, ist die äußerst kompromisslose Inszenierung vom Zusammenbruch unserer Zivilisation. Derart zupackend und über die Länge von 105 Minuten ohne jeglichen Leerlauf hat man so etwas noch nicht gesehen – und von Spielberg auch nicht unbedingt erwartet. WAR OF THE WORLDS ist, da lege ich mich fest, ein modernes Meisterwerk.
#1000
Geschrieben 02. November 2007, 17:49
Regie: Helmut Käutner
General Harald Harras (Curd Jürgens) ist ein Krieger von echtem Schrot und Korn. Den Nazis hat er seine Dienste seiner Liebe zur Fliegerei wegen zur Verfügung gestellt, obwohl er mit deren Politik nicht konform geht – und dies tut er auch offen kund, was ihm einigen Ärger einbringt. Dennoch bleibt er gegenüber den Versuchen der SS, ihn für sich zu gewinnen, standhaft. Als aber an den unter seiner Leitung gebauten neuen Flugzeugen ein Fehler auftritt, wittert die Führung Sabotage. Harras gerät nun in Lebensgefahr.
Nach einem Drama von Carl Zuckmayer inszenierte Helmut Käutner diesen Film, in dem die Frage nach Verantwortung und Schuld des Mitläufers gestellt wird. Im Mittelpunkt von Käutners Film steht überlebensgroß Curd Jürgens, der den trinkfesten, kumpelhaften General mit seiner unnachahmlichen Art darstellt. Das bedeutet, dass die Pferde manchmal etwas mit ihm durchgehen: Wenn er mit von Suff verquollenen, tränenden Augen flammende Reden hält, der noch nicht einmal halb so alten Dorothea (Marianne Koch) schöne Augen macht und den altväterlichen Liebhaber gibt, überschreitet er manchesmal die Grenze des Erträglichen, nur um im Anschluss wieder eine Szene vollkommen an sich zu reißen. Starke Szenen gibt es viele in Käutners Film – etwa jene, in der Harras im Gefängnis der Gestapo weichgekocht werden soll –, der am Ende dennoch nur "gut" ist. Vor allem an der Übertragung des Bühnenstücks in ein anderes Medium hapert es: DES TEUFELS GENERAL ist recht statisch, ermüdet über seine Spielzeit mit seinen langen Dialogszenen. Dem gegenwärtigen Betrachter geht außerdem die Kritik am System nicht weit genug, steckt noch zu viel Verehrung alten preußischen Schneids in der Darstellung Harras'. Auf der anderen Seite scheut sich Käutner aber auch nicht, das hässliche Gesicht des "normalen" deutschen Bürgers – hier etwa in Vertretung der opportunistischen, denunziatorischen Waltraut (Eva Ingeborg Schulz) – zu zeigen und auch die Judenverfolgung wird von ihm nicht verschwiegen, wie in viele anderen deutschen Kriegsfilmen dieser Zeit. So steht am Ende ein Film, der in Teilen durchaus zu fesseln vermag – vor allem eben durch die schauspeilerischen Glanzleistungen –, aber seine historische Befangenheit und filmtechnische Unbedarftheit nie ganz ablegen kann.
#1001
Geschrieben 02. November 2007, 18:16
Regie: Frank Wisbar
Der junge, idealistische Oberleutnant Wisse (Joachim Hansen) wird an die Ostfront versetzt. Voller Tatendrang glaubt er, dem deutschen Reich bei seiner Osterweiterung tatkräftig zur Seite stehen zu können. Doch er sieht sich schon bald enttäuscht. Die vom Führer als Schwarzmalerei abgeschmetterten Meldungen über die russische Übermacht entsprechen der Wahrheit, dennoch weigern sich die Verantwortlichen Militärs, allen voran der Befehlshaber der 6. Armee, General Paulus (Wilhelm Borchert), aber auch Wisses direkter Vorgesetzter Major Linkmann (Wolfgang Preiss), den Abzug der Truppen einzuleiten und stürzen so Zehntausende in die furchtbare, aussichtslose Schlacht von Stalingrad ...
Frank Wisbar wollte die Schrecken der Schlacht möglichst realistisch einfangen und zeigen, welcher Irrsinn in Stalingrad unzähligen Menschen das Leben gekostet hatte. In seinen Darstellungen der unmittelbaren Kampfhandlungen, des Massensterbens und Wahnsinns darf sich HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN durchaus in die Galerie großer Antikriegsfilme einreihen. Leider ist er den meisten dieser Filme intellektuell aber weit unterlegen. Wisbar erzählt die Geschichte junger Idealisten, deren Hoffnungen und Träume von eiskalten Bürokraten zerstärt werden, von Männern ohne jegliches Mitgefühl und ohne Rückgrat. Keine ungewöhnliche Darstellung, aber eine, die in diesem Zusammenhang nicht adäquat erscheint. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier nicht der Krieg als solcher angeprangert wird, sondern vielmehr die Umstände der Niederlage. Somit unterscheidet sich HUNDE nur wenig von den anderen deutschen Kriegsfilmen seiner Dekade, wenn er diesen auch visuell, technisch und darstellerisch überlegen ist. Die Szene, in der sich während einer halbstündigen Waffenruhe Russen und Deutsche gleichermaßen um ein Klavier versammeln und der Musik inmitten der Trümmer lauschen, bevor es nach Ablauf der Frist weitergeht wie vorher, illustriert auf geradezu geniale Art und Weise die Absurdität des kriegerischen Treibens. Auch der Ausflug in einen Keller, in dem die zahlreichen Verletzten und Sterbenden gezwungen werden, der feurigen Rede Görings anlässlich des zehnten Jahrestags der Machtergreifung via Radio zu lauschen, verfehlt ihre Wirkung nicht. Da fragt man sich, warum Wisbar der Macht seiner Bilder nicht vertrauen wollte und immer wieder einen äußerst unpassenden und platten Voice-over einsetzt, der die Authentizität des Gezeigten verbürgen soll. Insgesamt dennoch einer der stärkeren deutschen Kriegsfilme der Dekade, der zudem mit einer hervorragend aufspielenden Besetzung aufwarten kann: Neben den Genannten brillieren unter anderem Horst Frank, Günther Pfitzmann (mit einer sehr schockierenden Sterbeszene) und Peter Carsten.
#1002
Geschrieben 04. November 2007, 10:58
Regie: Bernhard Wicki
1945, der Krieg liegt in den letzten Zügen. Um doch noch den Endsieg zu erringen bzw. alle letzten Kräfte zur Verteidigung aufzubringen, werden selbst Kinder in die Armee einberufen. Für sieben Jungen ist der Krieg ein großes Abenteuer, in dem sie sich bewähren können und für bisher so abstrakte Ideale wie Freiheit und Ehre eintreten können. Was der Krieg wirklich ist davon haben sie keine Ahnung. Weil das auch ihr zuständiger Kommandant merkt, stellt er sie für einen scheinbar harm- und sinnlosen Einsatz ab: Die Bewachung einer längst unwichtig gewordenen Brücke in ihrer Heimatstadt. Der Soldat Heilmann (Günther Pfitzmann) soll auf die Jungen aufpassen, doch es kommt anders. Und als amerikanische Panzer anrollen, sind die Jungen fest entschlossen, jeden Quadratmeter deutschen Bodens zu verteidigen ...
Der letzte und mit Abstand beste deutsche Kriegsfilm aus der Arthaus-Box ist viel weniger nur ein Film über den Zweiten Weltkrieg als vielmehr ein aufrüttelndes Plädoyer gegen jede Art von kriegerischer Auseinandersetzung. Bernhard Wicki entwickelt erst eine Stunde lang seine "Helden", eine Gruppe von sieben völlig unterschiedlichen Jungen, die allesamt eine sehr verklärte Vorstellung vom Krieg haben, obwohl er doch in nächster Nähe tobt. Vom Geschwätz über deutsches Vaterland und Endsieg, das sie in seiner Tragweite gar nicht begreifen, verblendet, ist der Krieg in ihrer Vorstellung ein großes Abenteuer, in dem sie endlich zu richtigen Männern werden sollen. Doch schnell schlägt diese Begeisterung um in nackte Angst. Eine Angst, der die Kinder aber nicht nachgeben wollen und so in ihr Verderben rennen. Im Kontrast zwischen den unschuldigen, großäugigen Kindergesichtern, die Wicki oft in extremen Nahaufnahmen einfängt, und dem schmutzigen Handwerk des Krieges sowie dem lebensfernen Reden über "Mut" und "Feigheit" wird die ganze Absurdität der Vorgänge deutlich. Der Krieg ist ein Spiel, dem das Spielerische abhanden gekommen ist. Das Geschehene lässt sich im Nachhinein nicht mehr mit einer Entschuldigung wegwischen. Nach der finalen Auseinandersetzung, einer gut zwanzigminütigen Actionsequenz, in der die Kinder bis zum Letzten für eine bereits verlorene Sache kämpfen, tritt den beiden letzten Überlebenden ein älterer Soldat entgegen, der sie maßregelt: Was sie sich dabei gedacht hätten, sinnlos Leben zu opfern. Zum Dank werde man ihnen wahrscheinlich noch etwas Lametta um die Schultern hängen. Da packte mich endgültig die Wut auf dieses Idiotensystem, das Kinder verheizt und diesen ihr Fehlverhalten auch noch vorwirft. Wie überhaupt der ganze Film es einem unglaublich schwer macht, die Vorgänge distanziert-routiniert zu beobachten: Eindeutig die Leistung von Wickis ungemein affektiver Inszenierung. DIE BRÜCKE ist erschütternd und aufrüttelnd, von einer fühlbaren Unmittelbarkeit und befreit von jeglichen Zugeständnissen an ein Publikum, das "unterhalten" werden will. Wenn die Endcredits laufen, dann fühlt man sich, als sein ein Teil von einem selbst auf dieser kleinen, unbedeutenden Brücke zurückgeblieben. Vielleicht ist es dieser unmittelbare Eindruck, der mich nach den passenden Superlativen suchen lässt. Im Moment fällt mir nur eines ein: DIE BRÜCKE ist neben Coppolas APOCALYPSE NOW der bedeutendste Antikriegsfilm überhaupt.
#1003
Geschrieben 04. November 2007, 11:27
Regie: Joseph Mazzuca
Beim Initiationsritus der "Sisters" einer nach Sektenkult anmutenden Mädchengruppe wird eine der Bewerberinnen getötet: Beim Russisch Roulette erwischt sie eine der vermeintlichen Platzpatronen und macht ihr den Garaus. Sieben Jahre später erhalten die verbliebenen fünf Sisters eine Einladung zur Reunion. Am Treffpunkt warten zwei schnieke Typen, die sie in eine Villa in der Pampa bringen. Und siehe da: Dort haust der Papa der einst Entleibten und sinnt nach Rache ...
Ja, das waren noch Zeiten: Da wurden Filme einfach nur gedreht, weil man es konnte. Auslöser für den Dreh von SISTERS OF DEATH war wahrscheinlich die Möglichkeit, in der hübschen Villa zu drehen ("Ey Mazzuca, die Eltern von meinem Kumpel sind für ein paar Wochen weg und ihr Haus steht leer ...!") und zu diesem Behufe ein paar hübsche Perlen zusammenzutrommeln, die man zum konsequenten Nackichmachen aber dann doch nicht überreden konnte. Das Drehbuch hat Logiklöcher von einer solchen Größe, dass übliche Vergleiche wie jene vom Wendekreis verschieden großer Kraftfahrzeuge schon nicht mehr zutreffend erscheinen. Warum wundern sich die fünf Mädels, schließlich die einzigen Mitglieder ihres exklusiven Clubs, nicht darüber, geschlossen eingeladen zu werden? Wozu der ganze Eso-Hokuspokus mit Tempel und Wallewalle-Kleidchen zur Initiation, wenn es sich bei den Sisters doch um eine stinknormale Clique handelt? Warum glauben die fünf denn ernsthaft, der Tod ihrer Freundin sei ein Unfall gewesen, wenn doch jemand eine Platzpatrone gegen eine echte ausgetauscht haben muss? Und warum hat sich eigentlich nicht die Polizei ihrer angenommen? Fragen über Fragen, die Mazzuca und sein Drehbuch sich selbst nicht gestellt haben und daher auch nicht beantworten. Verbindet man solche dramaturgische Unbedarftheit noch mit einem absoluten Desinteresse an für einen solchen Film doch immens wichtigen Schauwerten, kommt am Ende ein zwar kurioses, aber leider nur wenig involvierendes Werk heraus. Für einen Slasherfilm ist SISTERS OF DEATH viel zu unblutig und unspektakulär, für einen Thriller zu langweilig und egal, als Baddie dann doch wieder ein Quäntchen zu routiniert. Den besten Einfall des Filmes – der Papa will sich am Ende rächen, indem er die letzte Überlebende mit einer Gatling-Gun, die abwechselnd mit echten und falschen Patronen geladen ist, erschießt – sollte man ob seiner schieren Beknacktheit nochmal in einem richtigen Film verwenden. Der Rest – Elektrozaun, Schäferhund, Klapperschlange und Tarantel – lockt leider keinen Hund hinter dem Ofen hervor. So bleibt letztlich nur das typische Seventies-Schundfilm-Flair, mit seinen zu langen Dialogpassagen, bunt gekleideten Schönheiten, kernigen, kotelettenbewehrten Typen und geschickt platzierten Freeze Frames. Das ist ja auch schon was.
#1004
Geschrieben 04. November 2007, 12:18
Regie: Marc B. Ray
Der junge Matthew steigt eines Tages auf die Planierraupe, die sein Papa gerade repariert und fährt diesen kurzerhand über den Haufen. Beim Absteigen stellt er sich aber so selten dämlich an, dass er sich selbst über den Arm fährt. Als er Jahre später mit einer schicken, nicht mehr ganz dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Hakenhand nach Hause kommt, hat seine geliebte Mama einen neuen Mann am Start. Als Matthew die beiden beim nächtlichen Munkeln im Dunkeln erwischt, kanllt ihm die Sicherung durch. Er verhackstückt erst den neuen Papa, dann die Mama und nimmt dann Reißaus in die große weite Welt, in der er ein Plätzchen sucht, an dem nicht Unzucht getrieben wird. Als künftige Lebensgefährtin sucht er sich ausgerechnet eine malende Prostituierte aus. Na denn man tau ...
SCREAM BLOODY MURDER ist wirklich ein ausgesprochen dummer Film. Die psychische Disposition seiner Hauptfigur wirkt wie aufgesetzt, hat kaum etwas mit ihrem Werdegang zu tun – genausowenig wie die Hakenhand letztlich mit dem Rest des Films. Marc B. Rays Film ist in seinen Verfehlungen ein schönes Beispiel für die Exploitationware der Siebziger und lässt im Kontrast SISTERS OF DEATH noch ärmer aussehen als er eh schon ist. In SCREAM BLOODY MURDER ist alles knallig und grell: Sein Mörder hat nicht nur 'nen Knall, sondern auch besagte Stahlkralle. Die Dialoge zwischen ihm und der Nutte Vera sind von einigen Gnaden, überredet er sie doch in seiner weltfremd-verstörten Art zwischen Tür und Angel seine Freundin zu werden. Da hat sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn bald steht er mit einem Rolls Royce vor ihrer Tür und entführt sie in seine Villa, deren eigentliche Besitzerin er natürlich kaltgemacht hat. Dort fesselt er sie ans Bett und will mit ihr ein enthaltsames Eheleben führen, worauf sie verständlicherweise nur wenig Lust hat. Zwischendurch klingelt mal Angus Scrimm an der Tür oder es gibt lustige Episoden, in denen Matthew wahllos Leute überfällt, um Geld für einen Einkauf zu beschaffen. Das Ende nimmt dann sowohl MANIAC als auch DON'T GO IN THE HOUSE vorweg: Matthew wird von den Geistern seiner Opfer in die Kirche und dann in den Tod getrieben. So unterkomplex der Film in seiner Handlung ist, so durchgeknallt ist er in seiner narrativen Gestaltung: Da steigern sich die Stimmen in Matthews Kopf zu einer nervenzerrenden Kakophonie auf der Tonspur, werden seine Visionen mit ebenso einfachen wie wirkungsvollen Verfremdungseffekten visualisiert. Dazu kommen die zahlreichen verbalen Entgleisungen Matthews, die seine Mitmenschen, die auf dieses Psychopathengeschwätz hereinfallen, beinahe gestörter erscheinen lassen als ihn selbst. Dass der kein Hemd trägt, auf dem "Klapsmühle" steht, ist auch alles. Spannend ist das alles nicht, dazu ist SCREAM BLOODY MURDER viel zu unbedarft. Aber irgendwie ist das doch ein recht sympathisches kleines Schmuddelfilmchen, dass trotz seines exploitativen Gehalts mit dem Gemüt eines Sechsjährigen inszeniert zu sein scheint. Und dann dieser beknackte Anfang. Nee, wirklich, ein Film zum Liebhaben.
#1005
Geschrieben 04. November 2007, 14:49
#1006
Geschrieben 05. November 2007, 20:21
Regie: William Friedkin
Der im Einsatz im Kosovo hochdekorierte Special-Forces-Soldat Aaron Hallam (Benicio Del Toro), ein Meister des lautlosen und effizienten Tötens, ist desertiert und treibt sich in den Wäldern Oregons herum, wo er ihm in die Hände fallende Jäger brutal ermordet. Das FBI sucht Hilfe beim ehemaligen Beamten L. T. Bonham (Tommy Lee Jones), einem erprobten Fährtenleser, der auch einst Hallams Ausbilder war, und sich nun zur Ruhe gesetzt hat. L. T. begibt sich auf die Fährte Hallams – und findet ihn schon bald. Doch der Elitesoldat, der die Bilder der Kriegsgräuel und die Schreie seiner Opfer nicht mehr aus dem Kopf bekommt, lässt sich nicht so einfach einfangen. Er legt es auf eine Auseinandersetzung mit dem Mann an, der ihm das Tötungshandwerk beibrachte ...
William Friedkins Film mutet nicht nur in dieser kurzen Zusammenfassung wie eine intellektualisierte und modernisierte Version von Ted Kotcheffs FIRST BLOOD an, es gibt tatsächlich zahlreiche Parallelen. Das beginnt beim Zusammentreffen des traumatisierten Soldaten mit seinem Ausbilder, setzt sich in der Verortung in den Wäldern des nordamerikanischen Nordwestens fort und kulminiert schließlich in der in beiden Filmen (zugegebenermaßen unterschiedlich stark) entwickelten Gegenüberstellung von Natürlichem und Technischem. Der größte Unterschied zwischen beiden ist sicherlich in der unterschiedlichen Entstehungszeit begründet: Während FIRST BLOOD ein für die Achtzigerjahre typischer Vertreter des Vietnamfilms ist, der sich der Aufarbeitung dieses Konflikts in den USA verschrieben hat, ist Friedkins Film universeller angelegt und weniger stark an einen historischen Konflikt gebunden. Zwar hat sich Hallam sein Trauma im Kosovo geholt, es hätte aber auch jeder andere Konflikt sein können. THE HUNTED stellt letztlich die philosophischen Fragen danach, welche Rechtfertigung der geplante Mord hat, wie er sich in seinen Mörder einschreibt und ob man der technokratisch-maschinellen Mordideologie ein "ehrliches" Töten gegenüberstellen kann. Um eine Beantwortung bemüht sich Friedkin vor allem bei der letzten Fragestellung, die direkt mit dem genannten Naturdiskurs einhergeht. In der in famosen Bildern eingefangenen urwüchsigen Landschaft Oregons wirken die beiden mit modernsten Waffen ausgestatteten Jäger in ihren neonroten Westen wie Fremdkörper, die gegen den mit seiner Umwelt förmlich verschmilzenden Hallam keine Chance haben. Auch die Stadt ist für ihn ein Ort, der ihm keine Grenzen mehr aufzuerlegen vermag: Wie entfesselt hetzt er durch die Straßen, erklimmt Brückentürme und verschwindet hinter den Vorsprüngen von Brunnenanlagen. Und wenn er endlich seinem Ausbilder gegenübersteht, dem er sein Trauma in letzter Instanz zu verdanken hat, bekämpfen sie sich mit Waffen, die sie sich selbst gebaut haben, aus Steinen und gefundenen Metallteilen. Die Natur ist der Technik hoffnungslos überlegen: Das zeigt sich in der Dominanz Hallams gegenüber seinen Verfolgern, aber auch dem finalen Sieg L. T.s. Der hatte anders als sein Kontrahent das Glück, den Greifarmen der Maschine durch Untauglichkeit entzogen zu werden; Hallam hingegen wurde voll von ihr vereinnahmt und zwischen ihren Rädern aufgerieben. Sein Tod ist eine Befreiung, die Rückführung in den Schoß der Erde. Asche zu Asche, Staub zu Staub.
#1007
Geschrieben 06. November 2007, 15:18
Regie: Dean Semler
Der Neonazi und Führer einer paramilitärischen nationalistischen Vereinigung Floyd Chisolm (Gailard Sartain) setzt einen biologischen Kampfstoff in seinem Heimatkaff Ennis in Montana frei. Zum Glück für alle Bewohner wohnt in ihrem gemütlichen Örtchen der "weltbeste Immunologe" Dr. Wesley McClaren (Steven Seagal), der auf Geheiß seines ehemaligen Regierungskollegen sofort seine gemütliche Arztpraxis verlässt, in der er Rentner mit naturheilkundlicher Medizin unentgeltlich von allem Siechtum dieser Welt befreit, um Seuche (mehr) und Nazis (etwas weniger) zu bekämpfen ...
Dass Seagal ausgerechnet mit seinem wahrscheinlich bestaussehenden Film THE PATRIOT seinen Abstieg in die DTV-Hölle antreten musste, sagt Einiges über das Versagen dieses vom oscarprämierten Kameramann Dean Semler (DANCES WITH WOLVES) inszenierten Actiondramas aus, das weniger mit des Schattenmanns üblicher Kost als vielmehr mit einer männlichen Ausgabe von DR. QUINN, ÄRZTIN AUS LEIDENSCHAFT gemein hat. Die Gewalt, wenn auch äußert ruppig und brutal, reduziert sich auf wenige kurze Szenen, stattdessen gibt es ausgiebig Gelegenheit, die Kampfwurst beim Zwiegespräch mit der kulleräugigen Tochter, dem gemeinsamen Ausritt mit dem väterlichen Freund Frank (L. Q. Jones in einer idealtypischen Rolle), dem Dozieren über die menschengemachten Übel dieser Welt und die Vorzüge indianischer Medizin, dem Tragen hässlicher Schwangerschaftsmoden für den Mann von Welt und dem Verdrießlich-über-Reagenzgläsern-Brüten zu beobachten. Das ist durchaus nicht ohne Reiz: Wen die doofe Action in ON DEADLY GROUND immer zu sehr von der ökologisch-bedeutsamen Message und dem rammdösigen Ethnoschwurbel aus dem Eine-Welt-Laden abgelenkt hat, der findet in THE PATRIOT seinen heiligen Gral. Und tatsächlich: Man hat den Eindruck, dass Seagal dieser Film ganz besonders am Herzen gelegen hat, denn so engagiert wie hier hat er danach nur noch selten agiert. Die totale Identifikation war aber wohl auch zwingend notwendig, anders wäre das völlig weltfremde Finale, in dem Gasmasken-tragende Soldaten die rettenden Blümchen von der Wiese pflücken und aus Militärhubschraubern ein Blütenregen herniedergeht, kaum ohne Zwerchfellriss realisierbar gewesen. Ja, ihr habt richtig gelesen: Ein altes indianisches, auf Wildblüten basierendes Teerezept bringt die Rettung vor der bösen, bösen Vernichtungswaffe, mit der machtgeile Technokraten und Herrenmenschen die Welt gegen jede Vernunft bedrohen. Da wird einem doch ganz warm ums Herz: Seagals Welt ist von bestechender Schlichtheit, selbst dann, wenn er den Knüppel mal im Sack lässt. Vielleicht wirkt er in seinen umständlich erzählten Agententhrillern der letzten Jahre deshalb so lethargisch: Die versteht er einfach selbst nicht mehr ...
#1008
Geschrieben 07. November 2007, 09:47
Die Brian-De-Palma-Werkschau
Nach diversen Vorankündigungen ist es soweit: In den kommenden Wochen werde ich mich dem Gesamtwerk des Meisterregisseurs Brian De Palma auseinander setzen, der bei den Filmfestspielen von Venedig vor wenigen Wochen mit dem Silbernen Löwen für seinen neusten Film REDACTED ausgezeichnet wurde. Nachdem ich mit meinen bisherigen Werkschauen (Walter Hill und Russ Meyer) gute Erfahrungen gemacht habe und mich Funxtons Polanski-Wochen kürzlich sehr inspiriert haben, hoffe ich mir mit der chronologischen Aufarbeitung von De Palmas Werk einen Regisseur aufs Neue zu erschließen, der mich zwar schon lange begleitet und begeistert, mir aber auch immer wieder Rätsel aufgibt. Einige dieser Rätsel wünsche ich mir endlich lösen zu können, andere mögen mir - hoffentlich - erneut verschlossen bleiben.
29 Filme stehen auf meiner Liste (darunter zwei Kurzfilme), zwei oder drei lasse ich vielleicht ausfallen: THE UNTOUCHABLES habe ich erst kürzlich gesehen, THE BLACK DAHLIA innerhalb eines Jahres gleich zweimal, OBSESSION liegt auch noch nicht allzu lang zurück. Da wird die Stimmung und die Tagesform entscheiden. Weil ein Weintester aber nicht einen edlen Tropfen nach dem anderen in seinen Schlund gießt, sondern mit Wasser nachspült und seine Geschmacksknospen mit in diesem Zusammenhang keinesfalls sprichwörtlich zu verstehendem Käse neutralisiert, werde ich zwischendurch auch andere Filme "einschieben", der gewissenhaften Arbeit quasi den Müßiggang folgen lassen. In meinen kühnsten Träumen koinzidiert das Ende dieser Werkschau übrigens mit dem deutschen Filmstart von REDACTED. Mal sehen, ob ich so viel Glück habe. Nun aber genug der salbungsvollen Worte und frisch ans Werk!
#1009
Geschrieben 07. November 2007, 11:18
Die Brian-De-Palma-Werkschau
Woton's Wake (USA 1962)
Regie: Brian De Palma
Der entstellte Woton (William Finley) bedeckt sein Gesicht mit immer neuen Masken, lauert mit einem Bunsenbrenner Liebespaaren auf, die er sogleich verbrennt, und sehnt sich nach einer Frau. Diese materialisiert sich in seiner Abstellkammer-artigen Bleibe aus einer Bastelei mit Metallteilen und Frauenkleidern, ergreift aber sofort die Flucht vor dem hässlichen Mann. Woton stellt ihr nach. Die Verfolgung kulminiert schließlich (nach einer schönen Fingerübung in Voyeurismus) in der Kraxelei auf einem Baugerüst. Als Woton den Fuß der Frau zu fassen bekommt, verwandelt diese sich in einen Kleiderständer (?), das Baugerüst ins Empire State Building und Woton in King Kong. Jagdflugzeuge fliegen, Bomben fallen, es gibt eine Atombombenexplosion, Ende.
Brian De Palma drehte WOTON'S WAKE, seinen dritten Kurzfilm, im Jahr 1962 mit gerade einmal 22 Jahren. Dennoch glaubt man hier schon einige der später als De-Palma-typisch geltenden Elemente erkennen zu können. Der Text der Ballade, mit der Film beginnt, bereitet den Zuschauer auf den kommenden Film vor, reflektiert gleichzeitig dessen Bedingungen und sein Medium, wenn es dort sinngemäß heißt, dass der Film ohne Ton auskommen muss. WOTON'S WAKE ist ein Schwarzweiß-Stummfilm, der sich stark vom deutschen Expressionismus beeinflusst zeigt und sich dessen Charakteristika zwar bedient, sie aber wiederum durch die Linse der nouvelle vague bricht und somit "erneuert". Die Themen der Sechzigerjahre - sexuelle Befreiung, das Aufbegehren gegen den Krieg und die als beengend empfundene Gesellschaft - verbinden sich mit dem theatralischen Gestus des Stummfilms und erhalten durch diesen zum einen eine emotionale Kraft, die WOTON'S WAKE sehr vom sonst so akademischen Intellektuellenkino seiner Zeit unterscheidet, zum anderen aber auch einen ironischen Dreh ins Clowneske hínein: eine Gratwanderung, die ich auch aus späteren Filmen des Regisseurs zu kennen meine. Woton, der Maskenmann und Außenseiter, dessen Obsessionen sich in Gestalt einer Frau erfüllen, ist ein Prototyp späterer De-Palma-Protagonisten, William Finley, der hier seinen ersten von insgesamt neun De-Palma-Auftritten absolviert, eine weitere Konstante. Das Finale mit seiner wunderbaren King-Kong-Reminiszenz, die sich auf eine sympathisch-naive Art mit der Kritik am Vietnamkrieg (es gibt entsprechende Archivmaterial-Einblendungen) verbindet, bereitet zudem auf den oft cartoonesken Humor seiner späteren Filme vor.
Nach den verstrichenen 26 Minuten bleiben einige Fragen offen. Diese beziehen sich jedoch weniger auf den Film als auf die eigene Sichtungshaltung. Wäre dieser ca. 26-minütige Film nicht von De Palma, er wäre heute längst verschollen, würde niemanden interessieren. Natürlich schaut man WOTON'S WAKE heute ausschließlich deshalb, weil man hofft, dort schon angelegt zu finden, was sich später erst in Vollkommenheit zeigen sollte, weil man von den ästhetischen Normen der Wohlgeformtheit geprägt glaubt, auch das echte Leben müsse nach diesen Regeln geformt sein. Natürlich geht diese Haltung auf, wie ja der obige Text zeigt, der WOTON'S WAKE vom Spätwerk her als logischen Startpunkt rückinterpretieren kann. Es stellt sich aber die Frage, wie viel man sich eigentlich durch diesen präformierten Blick verstellt, wie dieser Film einem erschiene, wüsste man nichts von DRESSED TO KILL oder PHANTOM OF THE PARADISE. Letztlich ist das aber egal: WOTON'S WAKE ist ein früher Film De Palmas und eben in erster Linie als solcher interessant.
#1010
Geschrieben 07. November 2007, 13:06
Die Brian-De-Palma-Werkschau
The Responsive Eye (USA 1966)
Regie: Brian De Palma
Brian De Palma begleitet den Kurator William Seitz und den Psychologen Rudolf Arnheim durch die Eröffnung einer Op-Art-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art ...
Gegenüber WOTON’S WAKE präsentiert sich De Palma als sichtlich gereift: Dem wilden, theatralischen, grellen und absurderweise lauten Stummfilm steht nun ein Film gegenüber, der sich Zeit nimmt, sein Sujet zu erkunden, dessen Ruhe aber gleichzeitig nicht der Bequemlichkeit der Zuschauer zuspielt, sondern diese mit einer Fülle von Informationen und Eindrücken konfrontiert. Im Tempel der Hochkultur, dem Museum, prallen unter De Palmas Regie Geist und Körper aufeinander. Man fühlt sich unweigerlich an Argentos LA SINDROME DI STENDHAL erinnert, wenn die gefilmten Gäste ob der geradezu fordernden Bilder immer wieder beteuern "sick" zu werden. Doch trotz dieses Sinnenrausches kann man sich der Faszination der Bilder nicht entziehen. Seitz spricht vom Unsichtbarwerden des Künstlers, Arnheim erklärt, in der Op-Art werde das Medium selbst zum Thema, da es davon befreit sei, nur Träger von Bedetung und Ausdruck zu sein. Der Kontakt zwischen dem Beobachter und dem Werk sei somit ein spielerischer. Man kommt kaum umhin, diese These von nun an als wichtige Grundlage von De Palmas stilistischen Kniffen und formalen „Spielereien“ zu sehen, denn das von Arnheim erwähnte „Spiel“ fängt De Palma auf zwei unterschiedliche Weisen ein: Zum einen, indem er die Besucher der Ausstellung bei eben diesem Spiel filmt, sie dabei beobachtet, wie sie sich vor und zwischen den Kunstwerken bewegen, sie von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten und angeregt darüber diskutieren; zum anderen, indem er dieses Spiel selbst mit der Kamera vollzieht und somit auch den Zuschauer zum Spieler macht. De Palma belässt es aber nicht bei dieser Haltung, er geht darüber hinaus. Er demonstriert die Differenz zwischen Kamera- und menschlichem Auge, zeigt, dass ersteres eben nicht in den psychologischen und physiologischen Kausalzusammenhängen gefangen ist, die die Op-Art überhaupt erst ermöglichen. Wenn De Palma die „Tricks“ der Kunstwerke durch das Eindringen seiner Kamera entzaubert, dann ist es kein passives Erkunden mehr, sondern gleicht vielmehr einer Destruktion seines Objekts. Dennoch stilisiert er den Blick durch die Kamera nicht zum göttlichen, einzig objektiven Blick: Die Komik, die in seinen Versuchen steckt, farbige Bilder in Schwarzweiß einzufangen, ist kaum zu übersehen. Einen enthüllenden Charakter hat auch De Palmas Porträtierung der anwesenden Kunstszene. Diese zeigt sich in allen Fassetten, kritisiert die ausgestellte Kunst aufs Heftigste, zeigt sich begeistert, prahlt mit ihrem Reichtum, nutzt die Eröffnung als Plattform zur Eigendarstellung oder offenbart sich als nicht nur von der Kunst berauscht. Weil De Palma auch dem eigentlichen Text seines Films, den Aussagen Seitz’ und Arnheims, völlig konträr gegenüberstehende Aussagen aufzeichnet, ergibt sich ein Bild, das ebenso schillernd und oszillierend ist, wie die gefilmten Werke, die eben erst durch den Betrachter zu solchen werden. Obwohl der Zuschauer es bei THE RESPONSIVE EYE mit einer Dokumentation zu tun hat, tritt ihre Bedeutung für das Gesamtwerk ihres Regisseurs doch deutlich hervor. Nicht nur, weil De Palma das Museum als Ort der Konfrontation 14 Jahre später erneut thematisieren wird. Ein toller Film.
#1011
Geschrieben 07. November 2007, 15:40
Regie: Joe Lynch
In den Wäldern West Virginias finden die Dreharbeiten für eine neue Reality-TV-Show namens "US Apocalypse" statt. Unter der Führung des Ex-Marines Dale Murphy (Henry Rollins) sollen die sechs Teilnehmer das Überleben nach dem Dritten Weltkrieg proben. Es dauert nicht lang, da werden sie jedoch nicht nur von den typischen Zickenkriegen und den ihnen gestellten Aufgaben aufgerieben, sondern auch von einer degenerierten Hinterwäldlerfamilie, die sich von herumstreunernden Touristen ernährt ...
Um das Fazit voranzustellen: WRONG TURN 2: DEAD END ist ganz im Gegenteil zu seinem Vorgänger, dem es gelang, aus wenig viel herauszuholen, ein Film der vergebenen Möglichkeiten. Wo Rob Schmidt mit WRONG TURN jeglichen unnötigen Ballast über Bord geworfen und mit seinem knackigen Backwood-Slasher einen angenehm gimmicklosen Film vorgelegt hatte, der ohne Umschweife zur Sache kam, verzettelt sich Regiedebütant Lynch in seinen vielen Einfällen, die alle nicht befriedigend ausgespielt werden. Das beginnt bei der ja eigentlich noch ganz lustigen Idee der Survival-Fernsehshow, die nie so richtig ins Rollen gerät, setzt sich fort bei der brillanten Besetzung des toughen Ausbilders Dale mit Muskelberg Rollins, der leider viel zu wenig zu tun bekommt, und endet in der nie wirklich spürbaren Bedrohung durch die maskenbildnerisch äußerst liebevoll verunstalteten Backwoodmutanten. Lynch fehlt neben einem stringenten Drehbuch, dass sich entweder konsequent für eine komische oder aber eine ernste Herangehensweise entscheidet, noch eine eigene inszenatorische Handschrift oder wenigstens die sichere Beherrschung der Grundregeln. Hinter den äußerst heftigen und schön plastischen Splattereien sieht man den Wunsch, einen im besten Sinne altmodischen Slasher ohne CGIs abzuliefern, ein Vorhaben, dass jedoch von den planlosen neumodischen Inszenierungsklischees - Shakycam und Avidorgien - unterwandert wird. Nach den atmosphärischen Naturaufnahmen des Vorspanns verliert Lynch die für einen solchen Film doch so wichtige visuelle Gestaltung völlig aus den Augen, das DTV-Sequel sieht sogar besonders blass und seltsam flach aus. Das ist natürlich der so wichtigen Atmosphäre und der Spannung vollkommen abträglich, zumal die Monster wie schon im Vorgänger kaum eine Geschichte erhalten. Diese Verfehlungen sind umso ärgerlicher, als sich der bis dahin leidlich amüsante Film in den letzten 20 Minuten plötzlich in ungeahnte Höhen emporschwingt, den ganzen Quatsch aus der Klischeeschublade (etwa die schrecklich folienhaften Figuren) über Bord schmeißt und dem Zuschauer ein ziemlich brutales, ruppiges und endlich einmal auch angemessen düsteres Finale vorsetzt. Wenigstens eins aber hat Lynch dann aber doch richtig gemacht: Anstatt nach einem guten Auftakt stark nachzulassen, hat er es umgekehrt gemacht; allemal die bessere Variante.
#1012
Geschrieben 08. November 2007, 14:41
Die Brian-De-Palma-Werkschau
Murder a la Mod (USA 1968)
Regie: Brian De Palma
Die junge Karen (Margo Norton) ist unsterblich in den jungen Filmemacher Christopher (Jared Martin) verliebt, der hehre künstlerische Ideale verfolgt und Karen sogar die Heirat in Aussicht stellt. Von einem Tag auf den anderen ändert er diese Meinung jedoch: Um die Scheidung von seiner Frau bezahlen zu können, verdingt er sich als Schmuddelfilmer für den zwielichtigen Produzenten Wiley und dessen "Star", den merkwürdigen Otto (William Finley) - eine Verbindung, zu der die Beziehung zur braven Karen nicht passt. Als Karen ihrem Geliebten das Geld für die Scheidung beschafft, wird sie in dessen Appartment umgebracht ...
Schon in De Palmas Erstlingswerk ist sein Stil sofort einwandfrei identifizierbar ist und liegt in einer absolut erstaunlichen formalen und technischen Geschliffenheit vor. Das ist keineswegs selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass man es bei MURDER A LA MOD gegenüber seinen späteren Werken mit einem lupenreinen Low-Budget-Film zu tun hat, der seinerzeit laut Klappentext in genau einem New Yorker Kino zu sehen war. Was MURDER A LA MOD von späteren und reiferen Filmen noch unterscheidet, ist wiederum in Rückgriff auf den unmittelbaren Vorgänger, die Dokumentation THE RESPONSIVE EYE, zu erklären: Das "Was" der Handlung tritt eindeutig hinter das "Wie" der Form zurück, die Form ist es, die hier vor allem erzählt. Das lässt sich sehr plastisch im Vergleich der erzählten Zeit mit der Erzählzeit verdeutlichen, weil De Palma die Geschehnisse um den zentralen Mord aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt, die mehr als die Hälfte der gesamten Spielzeit einnehmen - wären einige an sich unwichtige Szenen der Einführung etwas kürzer gehalten, der Kontrast fiele noch deutlicher aus. Diese formale Überladenheit ist dann auch vielleicht am ehesten als Schwäche von MURDER A LA MOD zu bezeichnen. Später gelingt es De Palma besser, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Form und Inhalt zu schaffen. Dafür fungiert sein Erstling aber beinahe schon als Stilmittel-Kompendium: Der Film beginnt mit einer Kameraeinstellung, die sich nach einiger Zeit völlig überraschend als Subjektive entpuppt; es gibt lange, statische Blicke durchs Objektiv (mit sichtbarem Fadenkreuz und beschnittenem Bildrahmen) auf Frauen, die bei einer Audition posieren und mit dem Mann hinter der Kamera reden - hier fällt unweigerlich THE BLACK DAHLIA ein; Schrifteinblendungen visualisieren die Verwechslung eines falschen Eispickels mit einem echten; William Finley, der typisch linkische De-Palma-Psychopath des Film, redet nicht, sondern monologisiert ausschließlich als Voice Over; der Kniff mit den verschiedenen Perspektiven eröffnet vorher unsichtbare Bildräume - ein Stilmittel, dass De Palma später mithilfe des Split Screens visualisieren wird; Obsession und Voyeursmus werden in nahezu jeder Enstellung thematisiert, das Medium "Film" und seine Technik reflektiert, der Zuschauer immer wieder als solcher angesprochen und in den Film hineingezogen. Rein emotional erlebt man als Betrachter immer wieder dieses merkwürdige Schwindelgefühl, das so charakteristisch für De Palmas Filme ist: Das Bild scheint förmlich auf einen einzustürzen, das Geschehen sich radikal zu beschleunigen, nur um dann in einer drastischen Szene auf dem Höhepunkt der Anspannung nahezu einzufrieren. Der Eispickelmord deutet an, was man von De Palma an Garstigkeit noch zu erwarten hat. MURDER A LA MOD hat mich ganz schön beeindruckt. Wer De Palma mag, dem sei die DVD von Something Weird, auf dem sich neben diesem Film noch THE MOVING FINGER und ein Nudie Cutie befinden, dringend ans Herz gelegt.
#1013
Geschrieben 09. November 2007, 14:23
Regie: Eli Roth
Beth (Lauren German), Whitney (Bijou Phillips) und das hässliche Entlein Lorna (Heather Matarazzo) reisen durch Europa. Die attraktive Axelle (Vera Jordanova) lockt die drei mit den Beschreibungen der berühmten heißen Quellen in die Slowakei, wo die Mädchen schließlich in die Fänge der aus dem ersten Teil bekannten Foltermaschine geraten. Auf Beth hat der schüchterne Amerikaner Stuart (Roger Bart) geboten, der jedoch vor allem deshalb auf das Geschäft eingegangen ist, um vor seinem Kumpel Todd (Richard Burgi) nicht als Feigling dazustehen. Ob diese Tatsache Beth das Leben retten wird?
Nach dem ebenso einflussreichen wie von der Kritik schwer gebeutelten Vorgänger macht Roth mit dem Sequel Vieles anders und belegt meines Erachtens, dass der von Kritikern als reines Alibi für Tits and Gore diffamierte gesellschaftskritische Plot von HOSTEL keineswegs so hohl und vorgetäuscht ist. Was zunächst wie ein "HOSTEL mit Mädchen" aussieht, entpuppt sich als ständig zwischen komisch und schockierend hin und her pendelnde Groteske, die eigentlich nur noch aufgrund ihres Themas und einiger drastischer Bilder im Horrorgenre zu verorten ist. Interessierte Roth im Vorgänger vor allem der Einbruch des Wahnsinns in das Leben dreier auf Spaß bedachter Backpacker, was sich in der oft monierten Zweiteilung des Films spiegelte (meiner Meinung nach ein großer Schachzug), so stehen im Sequel die Folterer sowie deren Beziehung zur "Firma" und den Opfern im Mittelpunkt. Diese Beziehungen entpuppen sich allesamt als von Macht geprägt: Die Opfer sind jeglicher Rechte beraubtes Freiwild, das über Auktionen an den Meistbietenden verschachert wird. Diese Käufer wiederum geben sich mit erfolgter Ersteigerung völlig in die Hände des Unternehmens: Die Brandmarkung – eine Tätowierung – kennzeichnet sie und belegt den erfolgten Vertragsabschluss (im Vorläufer schien diese Tätowierung noch bloße Trophäe zu sein). Ein Rückzug aus dem Vertrag ist nicht möglich: Wer die Tötungsfabrik betritt, muss das einmal angefangene Spiel zu Ende spielen oder selbst sterben, frei nach dem Motto "Keiner kommt hier lebend raus". Die krass-konsequente rational-ökonomische Denkweise der Firma äußert sich darin, dass nicht mehr entscheidend ist, wer die Fabrik betritt und wieder verlässt, sondern nur noch, dass die Rechnung stimmt: Es müssen weniger Leute das Gebäude verlassen als hineingegangen sind. So kann Beth, die ein prall gefülltes Bankkonto besitzt, mittels eines einfachen Handels von der Opfer- auf die Täterseite wechseln. So dreht sie zwar das Machtgefüge innerhalb ihrer Beziehung zu ihrem Henker Stuart, verkauft sich aber dafür an die Firma, die ihren Besitz sogleich mit ihrem Zeichen versieht und darauf besteht, dass die Bilanz von Opfern und Tätern ausgeglichen bleibt: Beth muss vom Opfer zur Mörderin werden. In ihrer Reichweite – Paxton, der Überlebende des ersten Teils, sagt zu Beginn, dass "sie" überall seien – ist die Firma kaum anders zu lesen als als globalisierter Großkonzern, der den wahrscheinlich kostbarsten Rohstoff überhaupt handelt: das Leben. Das wird besonders deutlich in der Szene, in der Lorna, kopfüber von der Decke hängend, über einer Frau ausblutet, die sich im über sie ergießenden Blut badet wie die berüchtigte Gräfin Elisabeth Bathory, die sich vom Jungfrauenblut ewige Jugend versprach. Diese Szene fällt in ihrer zentralen Stellung absolut aus dem Rahmen des Films, der ansonsten sehr viel runder komponiert ist als noch sein Vorgänger HOSTEL. Aber noch etwas anderes fällt auf: Es sind nur wenige andere Stoffe denkbar, die durch ein Sequel in ihrer Aussage noch verstärkt werden. Die mit einem zweiten Teil einhergehenden Abnutzungserscheinungen spielen dem Thema einer abgestumpften, mit maschineller Präzision vorgehenden Mordwirtschaft jedenfalls absolut in die Karten. Es regiert längst nicht mehr das Entsetzen über das Unsagbare. In HOSTEL: PART II geht man schon dazu über, sich mit dem Mord zu arrangieren.
#1014
Geschrieben 10. November 2007, 10:51
Regie: Ernst Hofbauer
Die kesse Renate verflüchtigt sich beim Schulausflug in eine deutsche Wirtschaftswunder-Fabrik, weil sie statt des lüstern-verschämten Blicks auf phallisch pumpende Maschinen lieber the real deal vorzieht und gleich mit dem Busfahrer zur Sache kommt. Leider wird sie dabei von der tüchtigen Lehrerin entdeckt und vor den Direx gezerrt, der in einer Konferenz mit dem Elternrat über den Verbleib Reantes entscheiden will. Als sich alle ob des verantwortungslosen Verhaltens Renate voreilig für den Verweis entscheiden, springt der jungdynamische Psychologe auf und plaudert aus dem Nähkästchen, um so zu zeigen, dass die "jungen Leute" sehr viel reifer sind als ihre Eltern glauben möchten.
Mit diesem SCHULMÄDCHEN-REPORT gelang Produzent Wolf C. Hartwig ein unglaublicher Coup und einer der lukrativsten deutschen Filme überhaupt. Dieser kleine Softerotikstreifen mit aufklärerischem Einschlag bediente mithin nicht den dirty old man mit dem hochgeklappten Trenchcoat-Kragen und dem Flachmann in der Manteltasche, sondern ein absolutes Mainstream-Publikum. Heute ist das so kaum vorstellbar und sorgt bei Betrachtung des Films dann und wann schon für ein mulmiges Gefühl, wenn die Lockerung der herrschenden Sexualmoral mit der Verharmlosung von Vergewaltigung und Pädophilie erkauft wird. Dennoch gibt es auch äußerst gut gelungene Passagen, in denen der aufklärerische Gestus nicht bloß Vorwand zu sein scheint: Die teilweise authentischen, teilweise gefakten Interviews, die Friedrich von Thun auf der Straße führt, sind oft sehr erhellend und geradezu liebenswürdig – etwa wenn eine Mama neben ihrer Tochter stehend über ihr erstes Masturbationserlebnis redet (der Blick der Tochter ist Geld wert), eine andere völlig selbstverständlich bekennt, es sich mit 20 zum ersten Mal selbst gemacht zu haben, und wieder eine andere auf die Frage, warum sie denn seit drei Wochen keinen Sex mehr gehabt habe, nach einigem Drucksen lachend einräumt, sich in England einen Tripper geholt zu haben. So ist der erste SCHULMÄDCHEN-REPORT vor allem ein historisches Dokument, das dankenswerterweise um einiges unterhaltsamer ist als eine schnöde Dokumentation. Das Wissen darüber, dass diesem noch 12 weitere Filme folgen sollten (von den anderen Hartwig-Reports ganz zu schweigen), verstärkt zudem noch das Bild absoluter Spießigkeit, das der Film von Deutschland zeichnet.
#1015
Geschrieben 10. November 2007, 11:34
Regie: Judd Apatow
Ben (Seth Rogen) ist ein Slacker wie er im Buche steht: Er kifft, lebt mit seinen perspektivlosen Freunden zusammen und statt einem "echten" Job nachzugehen plant er die Eröffnung einer Website, auf der man die Nacktszenen von Filmstars recherchieren kann. Alison (Katherine Heigl) ist da von anderem Holz geschnitzt: Sie ist attraktiv und zudem die künftige Moderatorin einer Boulevardsendung auf dem Entertainment-Channel E! Diese Beförderung in einem Club feiernd trifft sie eben auf Ben, der sie mit einigen witzigen Sprüchen sogleich um den Finger wickelt. Es kommt wie es kommen muss: Beide landen besoffen und euphorisiert in der Kiste, das Kondom fällt der allgemeinen Geilheit zum Opfer. Nach Alisons morgendlicher Ernüchterung über ihre Eroberung folgt bald der handfeste Schock: Sie ist schwanger! Um dem Baby die Chance, in eine Familie hineingeboren zu werden, nicht direkt zu nehmen, beschließen Alison und Ben, es aller Verschiedenheit zum Trotz miteinander zu versuchen ...
Ganz heimlich, still und leise hat sich mit Judd Apatow ein Mann in die vorderste Front der US-amerikanischen Komödienregisseure geschlichen, der dem doch etwas festgefahrenen Genre die dringend nötige Frischzellenkur verschafft und den Bogen von den deftigen Albereien der Frat Packer zu den kultivierten und menschlich-warmherzigen Vertretern der goldenen Hollywood-Ära zu schlagen. KNOCKED UP ist wie schon der Vorgänger und Überraschungserfolg THE 40 YEAR OLD VIRGIN brüllend komisch, ohne jedoch seine Witze auf Kosten seiner Charaktere zu machen. Schon die wieder einmal exorbitante Laufzeit von 130 Minuten macht klar, dass es hier nicht um ein Gagfeuerwerk allein geht: KNOCKED UP ist absolut glaubwürdig, kein Gag wird um des Gags willen konstruiert, sondern erwächst eben immer aus den Charakteren und ihren Beziehungen zueinander. Damit dies aufgeht, bedarf es der entsprechenden Schauspieler und vor allem eines Drehbuchs, dem es gelingt die Waage zwischen komisch und glaubwürdig zu halten. Das ist das eigentliche Kunststück: Selbst die unbedeutendste Nebenfigur ist noch interessant und mit Sorgfalt herausgearbeitet, und auch die "spektakulärsten" Szenen – etwa jene, in der die von ihren Frauen geschassten Ben und Pete (Paul Rudd), der Ehemann von Alisons Schwester, mit einem Beutel Mushrooms nach Las Vegas fahren, um sich dort eine Vorstellung des Cirque du Soleil anzusehen – bleiben immer im Rahmen des Denkbaren. Der zentrale Konflikt – Ben muss lernen, Verantwortung zu übernehmen, um Vater und (Ehe-)Mann sein zu können – wird hier ebenfalls auf eine Art und Weise behandelt, die nichts mit den sonst aus Hollywood kommenden, eine möglichst stromlinienförmige Gesinnung und Lebensweise propagierenden Filmen zu tun hat. Ja, KNOCKED UP ist ziemlich differenziert in seiner Darstellung, anstatt alles in vorgefasste Schablonen zu pressen. Ein schöner Film, so in sich ruhend und unaufgeregt, dass einem gar nicht so richtig auffällt, wie ungewöhnlich das alles eigentlich ist. Ja, eine leise Revolution ist das ...
#1016
Geschrieben 10. November 2007, 12:15
Die Brian-De-Palma-Werkschau
Greetings (USA 1968)
Regie: Brian De Palma
Während der Vietnamkrieg tobt, gehen drei Freunde ihren sehr unterschiedlichen Beschäftgungen nach: Paul (Jonathan Warden) begibt sich per elektronischer Partnervermittlung auf die Suche nach der richtigen Frau, Lloyd (Gerrit Graham) versucht das Kennedy-Attentat aufzuklären und verzettelt sich in seinen Verschwörungstheorien und Jon (Robert De Niro) versucht sich in "Peep-Art": Er ist ein Voyeur, der Frauen bei ganz privaten Momenten beobachtet und daraus gern einen Film machen würde. Zunächst müssen sie sich aber vor dem Kriegsdienst drücken: Und ausgerechnet Jon, der doch genau weiß, mit welchen Tricks man als untauglich erklärt wird, landet am Ende in Vietnam ...
De Palmas zweiter Spielfilm stellt seinen ersten Ausflug ins Komödienfach dar. Solche Ausflüge wird er in den nächsten Jahren immer wieder unternehmen – meist mit eher mäßigem Erfolg, auch wenn er selbst seine Thriller doch immer wieder mit komischen Elementen würzt. GREETINGS zeigt sich noch sehr von der nouvelle vague beeinflusst und gibt sich avantgardistisch, was die für eine Komödie so wichtige emotionale Anbindung nicht gerade erleichtert. Der Film ist episodenhaft, die verschiedenen Kapitel werden immer wieder von Titeleinblendungen eingeleitet, die erklären, was als nächstes passieren wird, der Score dudelt zum Teil ziemlich anstrengend und dissonant und um die fragmentarische Narration noch zu unterstützen, ist auch der Schnitt extrem desorientierend. Auch wenn man als heutiger Zuschauer keine Schwierigkeiten hat, die einzelnen Bestandteile zuzuordnen, so ergibt sich dennoch kein eindeutiges Ganzes aus diesen vielen Einzeleindrücken. Am interessantesten ist der Strang um den Voyeur Jon, den man noch am einfachsten im Schaffen De Palmas verorten kann. Es gibt eine famose Sequenz, in der Jon eine von ihm beobachtete Ladendiebin dazu überredet, für ihn vor der Kamera einen "privaten Moment" zu spielen. Diese Sequenz bezieht ihre Komik zum einen aus dem starren Blick durch das Kameraobjektiv, der dem Zuschauer auferlegt wird, dem exaltierten Spiel der Frau, die erfolglos versucht, "natürlich" zu erscheinen, und der zunehmenden Verzweiflung Jons, der aus dem Off Regieanweisungen gibt und schon damit das Scheitern seines Projekts konstituiert. Der Vorwurf des "filmischen Voyeurismus", dem sich De Palma später oft ausgesetzt sehen wird, wird hier auf sehr humorvolle Art und Weise entkräftet. GREETINGS endet dann auf einer sehr giftigen Note: Paul ist unwissend in einem Pornofilm gelandet, den Jon auf der Straße erwirbt, Lloyd hat sich so tief in seinen Theorien verstrickt, dass er erschossen wird, und Jon findet sich im Schilf von Vietnam wieder, wo ihn ein Fernsehteam begleitet. Als sich eine Vietnamesin nähert, geht Jon zum Angriff über. Doch anstatt sie zu erschießen, wie es die Fernsehleute erhoffen, beginnt er sie wieder für einen "privaten Moment" zu inszenieren. So bietet GREETINGS für eine De-Palma-Werkschau einige wichtige Erkenntnisse, wenn auch der Film selbst eher ein anstrengendes Unterfangen ist. Wirklich beeindruckend ist aber die Darbietung De Niros, der hier schon sein ganzes Können offenbart.
#1017
Geschrieben 11. November 2007, 10:25
Regie: Joel Schumacher
Der Detektiv Tom Welles (Nicolas Cage) wird von der Witwe eines patriarchischen Industriellen engagiert, die Herkunft und Echtheit eines vermeintlichen Snuff-Movies zu klären, den sie im Safe ihre Gatten gefunden hat. Welles begibt sich auf die Suche nach dem Mädchen, das im Film getötet wird, und muss dazu in die tiefsten Abgründe des Pornosumpfs hinabsteigen ...
Man soll ja immer mit etwas Positivem anfangen: 8MM sieht, wie man das von Schumacher erwarten konnte, gut aus, malt seine böse, böse Welt voller Dreck und Abschaum, in der er den Zuschauer entführt, in den tristesten Farben. Das war's aber auch schon mit den gelungenen Aspekten, denn 8MM gehört zu den falschesten, verlogensten und schlicht dümmsten Filmen in Hollywoods nicht gerade kurzer Liste falscher, verlogener und dummer Filme. Das eigentlich interessante und filmisch dankbare Thema "Snuff" wird völlig undifferenziert behandelt und lediglich für seinen shock value ausgeschlachtet, der aber so plump und kirmeshaft inszeniert ist, dass allerhöchstens völlig Unbedarfte darauf verschreckt reagieren dürften. Wird zumindest zu Beginn noch die Frage nach der Authentizität des Snuff-Films gestellt – was zu spannenden Spielen mit verschiedenen Authentifizierungsstrategien und einem selbstreflexiven Diskurs hätte genutzt werden können –, wird diese völlig fahrlässig fallen gelassen: Tom Welles schaut sich den Film an, zuckt nach wenigen Sekunden bereits zusammen und weiß dann einfach, dass das Gesehene "echt" sein muss. Man muss unweigerlich an Charlie Sheens Begegnung mit GUINEA PIG denken, nur das dessen Entsetzen angesichts des Films verständlich war. Das, was man an Snuff in 8MM jedoch zu sehen bekommt, sieht aus wie ein durchschnittlicher SM-Porno. Im folgenden elend langen und öden Ermittlungsteil (8MM streckt seine dummdreiste Handlung auf sage und schreibe 2 Stunden) wird in einem Schumacherschen Anfall von Gleichmacherei die gesamte Pornoindustrie samt ihrer Kunden als Haufen perverser Krimineller diffamiert, der Schritt vom Pornogucker zum Mörder scheint nur ein gradueller. It's a jungle out there. Nur der gute Tom Welles bleibt standhaft, telefoniert immer brav mit seiner Frau (Catherine Keener), leidet sichtlich unter so viel Schmutz und Devianz und legt einen missionarischen Eifer an den Tag, der durch die Geschehnisse – es geht letztlich um einen zwar traurigen, aber doch sehr singulären und banalen Mord – kein bisschen motiviert ist. Das kulminiert in einem abschließenden Schluss- und Racheakt, in dem er wie der Erzengel Gabriel vom Himmel herab fährt und die bösen Snufffilmer eigenhändig umlegt: natürlich mit Erlaubnis der Mama des toten Mädchens und der finalen Belohnung mit einem blümchenumrankten Dankesbrief. 8MM ist reine Manipulation, dabei aber nur auf die schlichtesten Gemüter abzielend. Vom Soundtrack dudelt es orientalisch, weil das noch immer am fremdartigsten klingt, oder technoid, weil das so schön aggressiv und maschinell ist. James Gandolfini und Peter Stormare geben die verantwortlichen Filmer mit einem Spektrum, das sanfte Zwischentöne völlig ausklammert, Nicolas Cage brilliert mit bekannter hündischer Treudoofheit. Plausibilität und Logik interessieren Schumacher kein Stück, es wird ganz auf die gute alte Überrumpelungstaktik gesetzt, die bei ähnlich medieninkompetenten Menschen wie Tom Welles auch funktionieren mag. Als denkender Mensch muss man sich aber schlicht beleidigt fühlen von so viel Impertinenz: Die Frage, warum ein Mörder sich dermaßen in Gefahr bringen sollte, seine Tat auf Film festzuhalten und diesen auch noch zu verkaufen, ohne sich in irgendeiner Form abzusichern, wird mit der immer plausibel erscheinenden Antwort "Geld" geklärt. Es sind die bösen und gelangweilten Reichen, die Snuff nur deshalb in Auftrag geben, weil sie es können. Und deren Opfer sind natürlich naive Töchterchen, die von der Karriere als Filmstar träumen, und biedere Mütterchen mit grauem Strickpulli und abgeranzter Einbauküche. Alle BILD-Zeitungs-Meinungen, die man jemals ekelhaft gefunden hat, findet man in 8MM wieder – mit Ausnahme der Tiraden gegen steigende Benzinpreise vielleicht. Diese schiere Ballung an Reaktionismus macht Schumachers Film dann schon wieder sehenswert.
#1018
Geschrieben 11. November 2007, 10:48
Regie: Mark L. Lester
John Matrix (Arnold Schwarzenegger), ehemaliger Supersoldat und jetzt hauptberuflich Papa der zuckersüßen Jenny (Alyssa Milano), muss wieder ran: Der böse Arius (Dan Hedaya mit göttlichem spanischen Akzent) will den Präsidenten der Bananenrepublik Val Verde stürzen, um sich selbst an die Macht zu setzen. Dabei soll ihm Matrix helfen, als Motivationsstütze entführt Arius mithilfe seiner Spießgesellen die geliebte Tochter. Doch Matrix lässt sich nicht lumpen: Noch vor dem Start der Maschine setzt er sich ab und beginnt, sich zu seiner Tochter durchzukämpfen ...
COMMANDO gilt als eine der Sternstunden der Achtzigeraction: Das Plakatmotiv mit dem voll ausgerüsteten Matrix hat ähnlich ikonischen Status wie etwa Rambos Stirnbandposereien und wenn er im Finale als Ein-Mann-Armee Arius' Privatarmee auseinandernimmt, wird ganz der gestählte, maschinengleich funktionierende Tötungsexperte glorifiziert. Zudem splattert es auch ganz ordentlich. Dennoch trägt COMMANDO schon viele Merkmale des Actionfilms der kommenden Dekade, was vor allem an Schwarzenegger liegt (der Stallone in den Neunzigern dann ja auch den Rang ablaufen sollte). Dessen hölzernes Schauspiel wird durch eine ständige Ironisierung des Geschehens aufgefangen, am augenfälligsten durch seine von jeglichem Artikulationsgeschick befreiten One-Liner. COMMANDO ist ein filmgewordener Comic-Strip, dem es vor allem um den Knalleffekt geht und der sich dabei ganz auf seinen hünenhaften Hauptdarsteller verlässt, der wie ein Bergmassiv durch den Film walzt. Lesters Film ist daher massiv unterhaltsam, aber so nahrhaft wie ein Blatt Esspapier, weil menschliche Regungen und auch nur halbwegs glaubwürdig entwickelte Charaktere völlig abwesend sind. Mit den zur gleichen Zeit entstandenen Filmen Stallones, etwa der RAMBO-Trilogie, in der die Zerrissenheit ihrer Hauptfigur offen thematisiert wurde, oder denen von Chuck Norris, der als soldatischer Loner eines normalen Lebens gar nicht fähig, immer geradezu ein wenig autistisch scheint, hat COMMANDO tatsächlich nur wenig gemein. Mir fehlt heute etwas die emotionale Anbindung, die tragische Komponente, das Brüchige des Helden: Dafür war Schwarzenegger aber auch einfach der falsche Kandidat. So ist COMMANDO vor allem die viel zitierte Achterbahnfahrt, rasant und immens kurzweilig. Aber eben auch nichts, was lange vorhält.
#1019
Geschrieben 12. November 2007, 10:58
Die Brian-De-Palma-Werkschau
The Wedding Party (USA 1969)
Regie: Brian De Palma, Wilford Leach, Cynthia Munroe
Der junge Charlie (Charles Pfluger) reist mit seinen besten Freunden Cecil (Robert De Niro) und Alistair (William Finley) auf eine Insel des Bundesstaates New York, um dort seine Verlobte Josephine (Jill Clayburgh in ihrem Filmdebüt) im Kreise ihrer Familie zu ehelichen. Zunächst wollen ihm seine beiden Kumpels die Hochzeit ausreden, später befallen Charlie angesichts der spießigen Großfamilie und der starren Riten selbst Zweifel an der Richtigkeit der Verbindung und seiner Eignung zur Ehe. Aber der große Tag naht ...
Mit Hilfe zweier Regiekollegen gelingt De Palma eine recht beachtliche Komödie, die thematisch zwar nur wenig mit seinem Oeuvre zu tun hat, dafür aber seine unverkennbare inszenatorische Handschrift trägt, die THE WEDDING PARTY unzweifelhaft in derselben Phase seines Schaffens verorten lässt wie MURDER A LA MOD oder GREETINGS. Auch wenn der De-Palma-Kenner sich bei der Darstellung des eigentlich ganz normalen Familienhorrors unweigerlich an zum Beispiel THE BLACK DAHLIA erinnert fühlen wird, so wird er doch vor allem die überaus spielfreudige Inszenierung des Regisseurs wiedererkennen. So arbeitet De Palma gern mit dem "Stummfilm-Effekt" beschleunigter Bewegungsabläufe, wieder mit Dialogpassagen, die als Voice-Over eingesetzt werden und deren Quelle nicht im Bild zu finden ist (das erinnert etwas an Resnais Eröffnungssequenz von L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD), und einem herkömmliche Zeit- und Raumvorstellungen dekonstruierenden (Ton-)Montage. So ergibt sich eine Inkongruenz auf Bild- und Tonebene, eine Aufspaltung in zwei Narrationsebenen, die die Komik der Geschehnisse noch betont. Überhaupt bezieht der Film seinen Witz oft aus der Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die einzelnen Kapitel des Films werden von Schrifttafeln eingeleitet, die jeweils einen Lehrsatz aus einer Art Hochzeitsknigge enthalten und genau das in Reinform ausdrücken, was Charlie an der Ehe fürchtet: die Zerstörung jegliche Romantik und Spontaneität durch strikte Reglementierung. Allerdings entpuppen sich diese Lehrsätze ohnehin als "Idealvorstellungen": Das hemmungslose Besäufnis am Vorabend der Hochzeit hat jedenfalls nur wenig mit der geforderten "sowohl erhebenden als auch ernüchternden" Atmosphäre gemein. Den Zwiespalt, die kalten Füße vor der vermeintlich wichtigsten Entscheidung des Lebens fängt De Palma mit seinen Regiepartnern so auf geradezu kongeniale Art und Weise ein und überzeugt auch da, wo seine Komödien sonst oft Scheitern: bei den Charakteren. THE WEDDING PARTY ist sehr lebendig und trotz seines oft experimentellen Charakters nie bloß stilistische Fingerübung.
Noch ein Kuriosum am Rande: Auch wenn der Film überall als 69er-Jahrgang geführt wird, ist er eigentlich sechs Jahre älter, somit sowohl vor MURDER A LA MOD als auch GREETINGS einzuordnen und gleichzeitig De Niros Spielfilmdebüt (deutlich pummeliger als in Letztgenanntem sieht er hier ein bisschen aus wie ein junger Chris Penn mit Armyhaarschnitt).
#1020
Geschrieben 12. November 2007, 11:30
Regie: Steve Miner
Mark Watson (Thomas C. Howell), verwöhnter Sohn reicher Eltern, hat das goldene Los gezogen: Er darf zusammen mit seinem besten Freund Gordon (Arye Gross) in Harvard studieren. Doch der Freude folgt die Ernüchterung, denn seine Eltern kappen ihm die Finanzierung und so muss Mark das Geld für sein Studium, immerhin geschätzte 50.000 Dollar, selbst aufbringen. Als alle Versuche gescheitert sind, greift er zum letzten Strohhalm: einer Schachtel Bräunungspillen und der Bewerbung um ein Schwarzenstipendium. Sein Plan geht auf, doch die Probleme lassen nicht lange auf sich warten ...
SOUL MAN hat für seine "klischeehaften Darstellungen" seinerzeit einigen Hass der afroamerikanischen Gemeinde auf sich gezogen. Ziemlich unverständlich wie ich finde, adressiert der Film doch genau diese rassistischen Klischees, in denen der WASP von den Schwarzen denkt - und Hollywood diesen auch heute noch meist inszeniert. Mark benimmt sich genauso wie er glaubt, dass sich ein Schwarzer eben verhalten müsste und landet damit ziemlich auf dem Arsch. Gleichzeitig sieht er sich beim Basketball oder im Bett absurden Erwartungshaltungen (oder Ängsten) vonseiten der Weißen ausgesetzt. Diese Dynamik bietet Steve Miner die Gelegenheit für einige wunderbare Gags: ganz groß das Basketballspiel, in dem Mark, um den man sich bei der Aufstellung der Mannschaften förmlich geprügelt hat, völlig versagt; köstlich auch die Vorstellungen der Eltern der notgeilen Whitney als Mark bei ihnen am Essenstisch sitzt: Whitneys Mutter sieht Mark als sexualisierten Wilden, ihr Vater (Leslie Nielsen) ihn als Zuhälter mit absurdem Samtanzug, der kleine Bruder ihn als Gitarrenhexer Prince; ebenso toll Marks Kostümierung mit Barrett und Tarnhose als er zu einem Treffen einer schwarzen Studentenvereinigung geht und sich dort den verdutzten Blicken von braven Anzugträgern gegenübersieht. Wenn man akzeptiert, dass Howell, der eben aussieht wie ein braun angemalter Weißer, selbst vom wunderbaren James Earl Jones ohne jegliche Zweifel als Schwarzer akzeptiert wird, kann man also einige Freude an Miners Film haben. SOUL MAN ist aber auch ein Kind seiner Zeit, was den Spaß manchmal etwas beeinträchtigt. So verschreibt sich der Film dem Achtziger-typischen Karrierismus und würzt seine klischeehafte Liebesgeschichte mit einigen widerlich-schleimigen Popsongs, die man selbst als Fan des Eighties-Pop nur schwer goutieren kann (ich denke da etwa an das klebrige "Suddenly it's magic" - brrrr). Insgesamt aber war das Wiedersehen mit diesem Klassiker der Jugendtage aber doch ein überaus erfreuliches, das außerdem schöne Gastauftritte von Max Wright (Willie Tanner aus ALF) und Julia Louis-Dreyfus aufzuweisen hat.
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