Die Brian-De-Palma-Werkschau
Dionysus in `69 (USA 1970)
Regie: Brian De Palma, Richard Schechner
Die Performance-Gruppe "Dionysus" (unter ihnen De-Palma-Regular William Finley) führte 1969 eine Adaption von Euripides' "Die Bakchen" in New York auf. In einer Garage geriet die Aufführung unter Auflösung der Grenzen zwischen Schauspielern und Zuschauern (eine Trennung der beiden gab es schon rein räumlich nicht) zu einer orgiastischen Veranstaltung sich in dionysischer Ekstase wälzender und stöhnender Körper, die ihren Rahmen am Ende schließlich gänzlich sprengte, den Aufführungsraum verließ und das Stück auf die Straße hinaustrug. Diese Performance dokumentierte Brian De Palma mit zwei 16-Millimeter-Kameras, die er per Splitscreen-Verfahren montierte und so die eh schon transgressiven Züge des Stücks noch potenzierte.
Ich gebe zu, dass ich etwas Angst vor DIONYSUS IN '69 hatte und diese Dokumentation überhaupt nur aus Pflichtbewusstsein und Komplettierungswahn in meine Werkschau integriert habe. Performance-Kunst bzw. -Theater ist für mich ein Gräuel, ich befürchtete also schlimmen esoterischen Hippiezirkus. Letzten Endes war DIONYSUS IN '69 aber doch eine interessante, mit zunehmender Spielzeit gar spannende Erfahrung. Wie sich die Darsteller (allen voran Will Shepherd, der seine Rolle 2002 noch einmal in einer Spielfilmadaption aufgriff) förmlich in archaische Raserei begeben, dann wieder umschalten und eine eher bodenständige Dialogszene spielen, ist erstaunlich anzusehen, ebenso wie die Publikumsreaktionen, die von begeisterter, schon fast an Massenpsychose erinnernder Teilnahme (einer der Zuschauer nutzt die sich bietende Gelegenheit und greift einer Schauspielerin beherzt in den Schritt) bis zu irritiertem, erschrockenem und ratlosem Zusehen reichen und ein öffentliches Interesse dokumentieren, das weit über jene Szene hinausgeht, die sich heute bei einer solchen Veranstaltung einfände. Für De Palma dient diese Performance unzweifelhaft als Experimentierfläche. Hier begegnet einem zum ersten Mal das Splitscreen-Verfahren, das später zu seinem Markenzeichen werden wird und das in besonderer Radikalität zur Anwendung kommt. Das Bild ist über die komplette Laufzeit zweigeteilt, zu Beginn und am Ende wird eine Hälfte jeweils später ein- bzw. früher ausgeblendet. Diese Zweiteilung und Synchronizität erlaubt es, das Spiel zwischen Akteueren und Zuschauern einzufangen, die sich frei im Raum entfaltende Darbietung zu verfolgen - innersequenzielle Schnitte gibt es so gut wie gar nicht. Der Transgression der Grenze zwischen Zuschauer und Schauspieler kommt so jene der Grenze von Theaterstück und Film hinzu (ein Aspekt, der nicht zuletzt durch die Anwesenheit William Finleys begünstigt wird), zumal eine der beiden Kameras häufig Bestandteil des Bildes (bzw. einer Bildhälfte) und so auch der Aufführung wird. DIONYSUS IN '69 ist kein einfaches Unterfangen (dem Stück selbst konnte ich z. B. überhaupt nicht folgen), aber für aufgeschlossene und experimentierfreudige Zuschauer in jedem Fall ein lohnenswertes. In meinen Träumen ködere ich Cinefactler und Splatternerds mit dem X-Rating, das der Film erhalten hat, und binde sie dann vor dem Fernseher fest. Das würde ebenfalls eine tolle Performance geben.