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Der Monroe ihre dicken Hupen - Filmforen.de - Seite 39

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Der Monroe ihre dicken Hupen


1203 Antworten in diesem Thema

#1141 Funk_Dogg

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Geschrieben 18. Februar 2008, 13:48

L’Horloger de Saint-Paul (Frankreich 1974)
Regie: Bertrand Tavernier

Der Lyoner Uhrmacher Michel Descombes (Philippe Noiret) ist ein einfacher, aber nicht unzufriedener Mann: Tagsüber repariert er in einem kleinen Geschäft Uhren, abends trifft er sich mit seinen Freunden zum Essen und plaudern. Eines Morgens steht überraschend die Polizei bei ihm auf der Matte. Grund: Sein Sohn Bernard (Sylvain Rougerie) soll einen Mann, den Leiter einer großen Firma, ermordet haben. Für Michel bricht eine Welt zusammen, wird ihm doch schlagartig bewusst, dass sein Sohn, mit dem er immerhin unter einem Dach lebt, ihm völlig fremd geworden ist. Während der Vater versucht, Kontakt zu seinem auf der Flucht befindlichen Sohn aufzunehmen und mehr über dessen Leben herauszufinden, schlachtet die Öffentlichkeit den Mordfall genüsslich aus und erhebt ihn zum Politikum ...

An einer Stelle mitten im Film erzählt Michel dem ermittelnden Inspektor Guilbould (Jean Rochefort) eine Anekdote. Er berichtet von einem fremden Nachbarskind, das eines Tages aufgeregt zu ihm gelaufen sei und ihm gesagt habe, er habe sich „fast gar nicht verändert“. Für den Inspektor ist das eine belanglose kleine Geschichte über ein wenig ernst zu nehmendes Kind, für Michel ist dies jedoch ein Ereignis von geradezu enormer Bedeutung. „Vielleicht hat mich niemand je so sehr geliebt wie dieses Kind“, so seine Bewertung. Diese kurze Sequenz beschreibt den Geist von Taverniers wunderbarem Film perfekt: Die Welt liegt am Boden zerrissen im Kampf von links und rechts, die Generationen entfremden sich voneinander, die Straßen ersticken im Schmutz, die Welt entwickelt bedrohliche kafkaeske Züge. Doch es gibt noch kleine Oasen: das Restaurant, in dem sich Michel mit seinen Freunden trifft, seine Werkstatt, in der er das immer aufs Neue faszinierende Wunder vollbringt, diese winzigen Mechanismen wieder zum Laufen zu kriegen, der wilde Garten hinter dem Haus des Kindermädchens Madeleine, der leider einem Krankenhaus weichen muss. Das Schöne wird unwiederbringlich verschwinden, wenn man nicht aufpasst: Was einem wichtig ist, muss man festhalten, sonst verliert man es. In der Konfrontation mit dem Verbrechen seines Sohnes wird Michel nun direkt mit der Welt konfrontiert, deren Zuschauer er zuvor lediglich war: Er hört die Lügen im Fernsehen, die aus seinem Sohn einen linken Agitator machen wollen, die einschmeichelnden Versprechungen von Journalisten, die klugen Ratschläge der Anwälte und Polizisten. Doch Michel wird seinen eigenen Weg gehen, wird das festhalten, was auf dieser Welt das einzige ist, worauf man sich verlassen kann: das eigene Fleisch und Blut.

Taverniers L’HORLOGER DE SAINT-PAUL ist so ergreifend, so wunderschön und mit so viel echtem Mitgefühl inszeniert, dass man kaum glauben möchte, dass dies ein Debüt ist. Taverniers Film handelt nicht vom Mord und auch nicht von der Bekämpfung des Verbrechens, er handelt von Loyalität, Liebe, Vertrauen und väterlicher Verantwortung. Michel kann an der Strafe für seinen Sohn nichts ändern, aber er kann die Beziehung zu seinem Sohn wiederherstellen und diesem Rückhalt geben. „Ich erkläre mich mit meinem Sohn vollkommen solidarisch“ sagt Michel Descombes vor Gericht: Er wird auch die Gitterstäbe nicht mehr zwischen ihn und seinen Sohn treten lassen. L’HORLOGER DE SAINT-PAUL, so traurig dieser Film auch ist, steckt voller Hoffnung: Zwar steht am Ende kein überraschender Freispruch, aber mit seiner bedingungslosen Liebe überwindet der kleine Uhrmacher die Repressionen der Gesellschaft, nimmt er sein Schicksal mit voller Überzeugung an – und gewinnt. Für Michel und seinen Sohn bedeutet das Gerichtsurteil zwar eine Trennung, doch so fremd wie sie einander zuvor geworden waren, werden sie nie wieder sein. Am Schluss sitzen sich Vater und Sohn bei einem Gefängnisbesuch im Sprechzimmer gegenüber, durch Gitterstäbe getrennt, ohne jede Privatsphäre. Doch sie sind vereint. Ein spachlos machendes Meisterwerk.

#1142 Funk_Dogg

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Geschrieben 19. Februar 2008, 10:33

Filme von Don Siegel

Flaming Star (USA 1960)
Regie: Don Siegel

Pacer Burton (Elvis Presley), ein Halbblut, lebt zusammen mit seiner Familie – Vater Sam (John McIntire), Halbbruder Clint (Steve Forrest) und die indianische Mutter Nelly (Dolores del Rio) – auf einer Ranch. In der Gemeinschaft der weißen Siedler sind die Burtons vollkommen integriert. Das ändert sich als die Kiowa-Indianer sich auf den Kriegspfad begeben: Nach dem grausamen Mord an der Familie Hamilton (u. a. L. Q: Jones mit einem Kurzauftritt) sehen sich die Burtons plötzlich zwischen den Fronten. Sowohl die Siedler als auch die Indianer verlangen, dass sich die Burtons für eine Seite entscheiden, eine Entscheidung, die die Burtons jedoch nicht zu treffen bereit sind. Die Situation eskaliert schließlich ...

Will man über FLAMING STAR schreiben, drängen sich zwei Ansätze förmlich auf: Entweder man begreift ihn zuerst als Elvis-Film und sieht in ihm den Versuch des Superstars, sich als Schauspieler zu etablieren, oder als Werk Don Siegels, der vor der schwierigen Aufgabe stand, aus einem langweiligen Starvehikel einen richtigen Film zu machen. Letzten Endes ist es egal, wie man ihn betrachtet, denn FLAMING STAR ist sowohl aus der einen wie aus der anderen Perspektive durchaus als „gelungen“ zu bezeichnen. Nachdem Elvis die Credits mit dem Titelsong untermalt hat, gibt er in der nächsten Szene gleich seinen zweiten Song „Cane and a high starched Collar“ zum Besten, nur um sich danach für den Rest des Films ganz auf das Schauspielen zu konzentrieren (ein weiterer Song wurde nach Testscreenings entfernt). Man möchte es Siegel anrechnen, dass seine eigentliche Hauptfigur hier streckenweise weit in den Hintergrund tritt: So sehr man Elvis auch sein Bemühen anmerkt, verblasst er doch etwas neben den anderen Darstellern – was aber wiederum gar nicht so schlecht zur Rolle des jungen Halbbluts passt. Der (vielleicht) versuchte Imagewandel äußert sich auch in einer recht ruppigen Gangart, die man von Siegel gewohnt ist, die im Kontext eines Fünfzigerjahre-Kommerzwesterns aber noch erheblich an Durchschlagskraft gewinnt. Die Morde sind für ihre Zeit relativ drastisch und selbst die obligatorsiche Keilerei hat hier nur wenig mit Kintopp zu tun. Im direkten Vergleich mit Siegels INVASION OF THE BODY SNATCHERS treten zudem auch einige inhaltliche Gemeinsamkeiten hervor. Die Geschichte der Familie, die zwischen zwei verfeindeten Parteien aufgerieben wird und sich weigert, einer der beiden Parteien die Treue zu schwören, erinnert an die des Arztes Bennell, der bedrängt von außerirdischen Invasoren um seine Unversehrtheit kämpft. In der Zeichnung der weißen Siedler ist wieder einmal unschwer Siegels Misstrauen gegenüber dem Spießbürgertum zu erkennen: Die Hamiltons, die vorher noch mit Pacer und seiner Famile gegessen, getrunken, gesungen und getanzt haben, sehen in dem Halbblut und seiner Mutter plötzlich eine ernsthafte Bedrohung und Menschen zweiter Klasse. Erst die Einverleibung der Familie – die Burtons sollen ihre Loyalität erklären – wird ihren Zorn besänftigen, doch die Burtons weigern sich: Für sie gibt es nur eine Seite, nämlich die ihrer Familie. Im Widerstand der Burtons lässt sich wie auch aus INVASION das Lob des Nonkonformismus herausfiltern. Aber nicht nur die Weißen kommen schlecht weg in Siegels Film, auch der Schulterschluss Pacers mit den Indianern misslingt. Am Ende hat es großen Aderlass gegeben, die Burton-Familie ist zerschlagen, Pacer reitet zum Sterben in die Berge. Für ihn, der als Wanderer zwischen den Welten der prototypische Actionheld ist, gibt es in einer von Hass und Missunst geprägten Welt keinen Platz.

Im breiten Cinemascope malt Siegel prachtvolle Bilder auf die Leinwand, die in hartem Kontrast zum pessimistischen Weltbild stehen. FLAMING STAR wirkt nicht immer rund: Mit seinen Klischeeindianern entpuppt sich der Film als Kind seiner Zeit, der Showdown, in dem Pacer den Indianern zum Opfer fällt, findet abseits der Kamera statt und lässt vermuten, dass hier die Schere angesetzt wurde, um die Elvis-Fans nicht zu verprellen. Das sind natürlich alles nur Spekulationen, aber ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass FLAMING STAR sichtbare Narben eines Kampfes aufweist. Aber das passt ja auch wieder: Siegels Film ist ähnlich zwischen zwei Polen hin- und hergerissen wie seine Protagonisten. Respektabel, als Siegel- wie als King-Film.

#1143 Funk_Dogg

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Geschrieben 21. Februar 2008, 09:47

Diamond Dogs (Kanada/China 2007)
Regie: Shimon Dotan, Dolph Lundgren

Xander Ronson (Dolph Lundgren) kam einst auf der Suche nach dem großen Geld in die Mongolei. Aus seinen Plänen wurde nichts, auch sein Versuch, sich als Bodyguard einen Namen zu machen, schlug fehl. Jetzt hält er sich mit illegalen Fights mehr schlecht als recht über Wasser. Dieses steht ihm nämlich bis zum Hals als der dubiose Geschäftsmann Chambers (William Shriver) auftaucht und Ronson 100.000 Dollar anbietet, wenn er ihm dabei hilft eine alte buddhistische Reliquie zu finden, die geheimnisvolle Kräfte haben soll. Ronson schlägt ein. Doch aus der kleinen Expedition wird bald ein Kampf ums nackte Überleben ...

DIAMOND DOGS ist ein merkwürdiger Film, der in seinen besten Momenten an die Vetreter des wiedererstarkten B-Actionfilms erinnert (man denke an Lundgrens THE MECHANIK, van Dammes WAKE OF DEATH oder UNTIL DEATH), in seinen schwächeren an die Filme, die Steven Seagal in den letzten zehn Jahren in schöner Regelmäßigkeit rausgehauen hat. Vor allem die Schauspieler chargieren teilweise arg unter Niveau und lassen jede Glaubwürdigkeit vermissen – in vorderster Front William Shriver, der mich an eine Mischung aus Ben Kingsley, Cary Hiroyuki-Tagawa und Karl Lagerfeld erinnert hat. Aber dieses Manko ist man gern bereit zu übersehen. Auffällig an DIAMOND DOGS ist sein roher Look, den er in erster Linie dem großzügigen Einsatz der Handkamera verdankt, aber auch dem mongolischen Lokalkolorit, das fast ohne jeden beschönigenden Filtereinsatz abgelichtet wird. DIAMOND DOGS sieht so teilweise fast schon wie eine Dokumentation oder ein Arthouse-Film aus. Demgegenüber steht die Dramaturgie, die ohne größere Ausschläge nach oben oder unten auskommt. Das scheint aber weniger auf Unvermögen zurückzuführen zu sein, sondern dem Konzept zu entsprechen. Wenn am Ende alle außer Ronson im Kampf um den Schatz umgekommen sind, klärt uns der Held via Voice-over darüber auf, dass jetzt wieder alles von vorn beginnen könne; die ewige Wiederkehr des Gleichen für den Actionhelden. Leider gelingt es den beiden Regisseuren aber nicht, diese Tristesse auch inhaltlich zu verankern: Lundgren sieht zwar genauso furchteinflößend aus wie in seinen letzten Filmen, dieser Eindruck wird aber immer wieder durch komische Momente unterwandert; die mystisch-mythologische Ebene, die durch den buddhistischen Schatz eingebracht wird, wird kaum richtig ausgearbeitet (wohl auch aus Budgetgründen) und läuft schließlich ins Leere; die Mischung aus Söldneraction und Abenteuerfilm a la INDIANA JONES will nicht so recht aufgehen, weil man den Eindruck hat, die Macher hätten selbst nicht so recht gewusst, was sie damit anstellen wollen. Dennoch: DIAMOND DOGS ist mit all seinen Verfehlungen und Mängeln ein so unorthodoxer Film, dass ich das gern würdigen möchte.

#1144 Funk_Dogg

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Geschrieben 21. Februar 2008, 11:11

Filme von Don Siegel

Hell is for Heroes (USA 1962)
Regie: Don Siegel

Frankreich 1944. Eine amerikanische Einheit wartet auf die bevorstehende Heimkehr. Doch stattdessen werden die Männer noch einmal an die Front berufen. Am nächsten Tag finden sich sechs Mann allein einer deutschen Übermacht gegenüber; sie haben die Aufgabe, die Stellung bis zur Rückkehr der anderen zu halten. Mit einigen Tricks gelingt es den GIs, die Deutschen davon zu überzeugen, dass sie einer großen Armee gegenüberstehen. Als Reese (Steve McQueen) einen Vorstoß gegen einen Bunker anführt, verlieren mehrere Amerikaner ihr Leben. Der Aussicht, sich für sein eigenmächtiges Handeln vor einem Kriegsgericht verantworten zu müssen, beugt Reese bei der Schlacht am nächsten Morgen mit einem selbstmörderischen Vorstoß vor ...

Nach FLAMING STAR widmete sich Siegel mit HELL IS FOR HEROES einem düsteren Schwarzweiß-Kriegsfilm. Die Exposition, die sich den Soldaten beim zermürbenden Warten auf den Marschbefehl nach Hause widmet, prägt die Stimmung des ganzen Films: Als sie die Nachricht erhalten, doch noch einmal an die Front zu müssen, sitzen die erschöpften Männer in einer völlig zerbombten Kirche, in ihren verschmutzten grauen Uniformen erinnern sie an leblose Statuen. Es ist klar, was da kommen muss. Die Ereignisse im Hauptteil inszeniert Siegel nach besten aristotelischen Grundsätzen (Einheit von Ort, Zeit und Handlung) ganz im Kontrast zu den zeitgenössischen großen Kriegsepen. Statt eines strahlenden Helden bekommt der Zuschauer mit Reese einen längst gebrochenen Psychopathen vorgesetzt, der sich außerhalb von Schützengräben und Kugelhagel gar nicht mehr zurecht findet. Auch seine Kameraden sind ganz normale Männer, die versuchen müssen, aus der Situation das Beste zu machen. Was für ein Dilemma das bedeutet, verdeutlicht Captain Henshaw (James Coburn) am nachdrücklichsten: Ein ganzes Leben lang war er bemüht, die Dinge zu reparieren und am Laufen zu halten, nun auf einmal soll er genau das Gegenteil tun. Siegels Film gehört – mehr als ein Jahrzehnt, bevor der Kriegsfilm sich mehr und mehr in den Antikriegsfilm verwandelte – zu den desillusionierendsten seiner Zunft. Der Tod kommt schnell und unbarmherzig und Siegel scheut nicht davor zurück, diesen grausamen Tod als solchen darzustellen: Als Private Kolinsky (Mike Kellin) sich einen Bauchschuss einfängt, bricht er in ohrenbetäubendes Geschrei aus. Seine letzten Worte lauten: „Erzählt meiner Frau nicht, dass es so aufgehört hat.“ Ein Heldentod ist hier niemandem vergönnt und auch der Erfolg des „heiteren“ Vexierspiels, dass die GIs für die Deutschen inszenieren, ist nur von kurzer Dauer: Der Krieg ist vor allem eine Materialschlacht, bei der die Quantität entscheidet. Der finale Freitod Reese’ ist dann auch keine Tragödie, sondern die zwangsläufige Erfüllung eines Schicksals. Reese hatte von Beginn an keine Chance, in ein „normales“ Leben zurückzukehren. Nach dem großen Überblick über das Schlachtfeld endet Siegels Film buchstäblich im Nichts: Die Kamera fährt auf die schwarze Bunkeröffnung zu, in die sich Reese mit einem Sprengsatz gestürzt hatte, dann rollen die Credits über das Bild. Gänsehaut.

#1145 Funk_Dogg

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Geschrieben 21. Februar 2008, 18:42

La Sirène du Mississippi (Frankreich 1969)
Regie: Francois Truffaut

Der auf der Insel La Réunion ansässige reiche Zigarettenfabrikant Louis Mahé (Jean-Paul Belmondo) hat eine Heiratsannonce aufgegeben und wartet nun auf die Ankunft seiner Braut Julie Roussel. Doch statt der erwarteten Brünetten steht eine attraktive Blondine vor ihm (Catherine Deneuve). Sie habe ein falsches Bild geschickt, weil sie sich geschämt habe, beteuert sie. Louis ist sofort fasziniert von der bildschönen Frau und bereit, alle Anzeichen dafür, dass diese eine Hochstaplerin ist – der nicht passende Hochzeitsring, die merkwürdigen Lügen, die nach und nach ans Licht kommen –, zu übersehen. Irgendwann jedoch ist seine Gattin verschwunden und mit ihr sein ganzes Vermögen. Zusammen mit der Schwester der verschollenen Roussel engagiert Louis einen Privatdetektiv. Doch dann macht er sich selbst auf die Suche nach seiner Braut – und verfällt erneut ihren Reizen ...

Truffauts Verfilmung eines Bestsellers von Cornell Woolrich beginnt zunächst wie ein Hitchcock-Thriller, verwandelt sich dann jedoch immer mehr in ein Traktat über das Wesen der Liebe. Es ist kaum nachvollziehbar, was mit Louis passiert, als er Marion (wie seine Julie tatsächlich heißt) gegenübersteht, genauso wie es von außen nicht zu begreifen ist, warum er nicht sehen will, was doch auf der Hand liegt. Louis vollführt den kierkegaardschen Sprung, allerdings nicht in den Glauben, sondern in die Liebe. „Ich liebe Sie“, beteuert Marion am Schluss, nachdem sie erneut versucht hat, Louis loszuwerden. „Ich glaube dir“, antwortet Louis und fasst damit sowohl das Dilemma des Liebenden als auch das Wunder der Liebe zusammen. Wer den Beweis sucht, dem entgeht die Essenz: Liebe ist blindes Vertrauen, ein Kampf, der jeden Tag ausgetragen und gewonnen werden will. Truffaut findet ein wunderschönes Bild für das Liebesbekenntnis: Als Louis unterwegs ist, bespricht Marion eine Schallplatte mit einem Liebesschwur für ihren Mann. Doch die Platte zerbricht, ohne dass er sie hören konnte. Machen fallende Bäume auch dann ein Geräusch, wenn niemand da ist, es zu hören? Von der Tropeninsel La Réunion führt LA SIRÉNE DU MISSISSIPPI erst nach Nizza, von dort aus nach Antibes, in eine rustikale Villa in Aix-en-Provence, eine karge Mietwohnung in Lyon (man möchte am liebsten kurz den Uhrmacher Michel Descombes aus Taverniers L'HORLOGER besuchen) und schließlich in eine kleine Berghütte nahe der schweizerischen Grenze. Am Schluss verschwinden Louis und Marion im Schnee, sie haben alles hinter sich gelassen, Louis ist zum Mörder geworden. „Ich lebe außerhalb der Gesellschaft“, sagt Louis zu einem Freund. Er hat den Detektiv umgebracht, der Marion auf den Fersen war. Aber es ist nicht sein Verbrechen, dass ihn zum Außenseiter macht, es ist seine Liebe, deren hilfloses Opfer er ist, die ihn in einen Narren und einen Clown verwandelt. Aber das ist ihm egal. Hinter die Erkenntnis seiner Liebe kann er nicht mehr zurückfallen.

Truffauts Film ist so reich an Eindrücken, dass man ihn in einer Sichtung gar nicht erfassen kann. Er ist wie die Liebe selbst, die den, der von ihr infiziert ist, in ein Wechselbad der Gefühle stürzt. Zwischen der tropischen Hitze von La Réunion und der Kälte der französischen Alpen liegen Welten, die Louis und Marion durchschreiten, mal lachend, mal streitend, immer leidenschaftlich liebend. Und so mäandert auch LA SIRÉNE DU MISSISSIPPI zielsicher auf seinen Irrwegen entlang. Und in die Liebe seiner Protagonisten schreibt sich immer Truffauts eigene amouröse Infektion mit dem Kino ein: der Ausschnitt aus Renoirs LA MARSELLAISE, die in Kinderhandschrift geschriebene Widmung an den großen französischen Regisseur, die Erwähnung von Nicholas Rays JOHNNY GUITAR, die Entfremdungstechniken der Nouvelle Vague, die immer wieder verdeutlichen: Dies hier ist ein Film. Man ist geneigt ein „nur“ in diesen Satz einzufügen, aber das würde diesem Werk nicht gerecht, dass doch eine ganze Welt in sich enthält. „Ich sehe dich an und es ist wie Schmerz.“ Fin.

#1146 Funk_Dogg

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Geschrieben 22. Februar 2008, 10:36

Flic Story (Frankreich 1975)
Regie: Jacques Deray

1947: Dem gefährlichen Schwerverbrecher Emile Buisson (Jean-Louis Trintignant) gelingt die Flucht aus dem Gefängnis. Sofort beginnt er sein blutiges Treiben fortzusetzen. Der Sureté-Polizist Roger Borniche (Alain Delon) erhält den Auftrag, Buisson zu schnappen, doch das gestaltet sich schwieriger als erwartet. Als Borniche aufgrund anhaltender Erfolglosigkeit vom Fall abgezogen wird, packt ihn der Ehrgeiz ...

FLIC STORY basiert auf der Autobiografie Borniches, dessen Jagd nach dem Kriminellen mehrere Jahre dauerte. Während dieser Zeit gelang es Buisson, mehr als 100 Raubüberfälle und 30 Morde auszuüben. Deray (LE MARGINAL, LE SOLITAIRE, TROIS HOMME À ABATTRE, BORSALINO) verfilmt diese Geschichte als Mischling aus knochentrockenem police procedural und period piece wandelt damit schlafwandlerisch auf dem schmalen Grat zwischen Routine und Langeweile. Es gibt leider nur wenig, dass einen abseits der Leistung von Delon und Trintignant für den Film einnehmen würde. Gerade letzter frisst seine Szenen, in denen er mit eiskalten Augen aus seinem klobigen Schädel glotzt, geradezu auf. Delon begnügt sich dagegen damit, eine exorbitante Zahl an Kippen zu rauchen, er hat wirklich in jeder Szene ein stinkendes Lungenbrötchen zwischen den Lippen. Ein ganz großes Problem des Films ist, dass es Deray nicht gelingt, den Lauf der Zeit greifbar zu machen: Dass Borniches Jagd auf Buisson mehrere Jahre dauerte, habe ich erst aus einem Text über den Film erfahren. Nach den ganzen großartigen französischen Filmen, derer ich in letzter Zeit ansichtig wurde, stinkt FLIC STORY mehr als nur ein wenig ab. Vielleicht ein ungerechter Vergleich, denn schlecht ist Derays Film beileibe nicht. Es fehlt lediglich der letzte Clou. Erst in den letzten 15 Minuten hat man den Eindruck, Deray erwache aus der inszenatorischen Lethargie. Dann ist der Film aber auch schon wieder zu Ende. Schade drum.

#1147 Funk_Dogg

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Geschrieben 22. Februar 2008, 17:14

Un Printemps à Paris (Frankreich 2006)
Regie: Jacques Bral

Der alternde Profidieb Georges (Eddy Mitchell) wird nach fünf Jahren Haft, die ihm sein jüngerer Kumpan Pierrot (Sagamore Stévenin) mit einem mangelhaften Plan eingebrockt hat, entlassen, nur um erneut ein Angebot vom schuldbewussten Pierrot zu erhalten. Weil es nichts Besseres zu tun gibt, schlägt Georges ein. Der Coup: Gemeinsam wollen die beiden den kostbaren Diamantschmuck der attraktiven Louise (Pascale Arbillot) stehlen. Der Plan gelingt, doch dann verkompliziert sich alles ...

Flockig swingender Jazz unterlegt die Bilder aus einem frühlingshaften Paris, alles scheint ganz leicht und unbeschwert – man möchte kaum glauben, dass es hier schlecht ausgehen könnte. Jacques Bral inszeniert seinen Krimi sehr entspannt, gewinnt Spannung vor allem aus den stetig in Bewegung befindlichen Beziehungen der Protagonisten, die er mit seiner flexiblen Kameraarbeit illustriert. Seine Charaktere, allen voran Georges, repräsentieren einen state of cool, der aus dem zeitgenössischen Kino leider fast gänzlich verschwunden ist: Da wird nicht affektiert rumgehampelt, sondern mit einem Minimum an Aktion das Maximum erreicht. Deswegen schlägt die Stimmung des Films auch nur langsam, fast unmerklich um, schwenkt der Fokus der Aufmerksamkeit vom ruhigen Georges immer mehr in Richtung des aggressiveren Pierrots. Dieser hat ein Tattoo auf der Brust, ein chinesisches Schriftzeichen, das die „Ruhe vor dem Sturm“ und die „Kontrolle des Verstands über die Emotion“ bezeichnet. Und so wundert es dann auch nicht, dass es Pierrot ist, der am Ende die Zügel in der Hand hält. Der Leidtragende ist wieder einmal Georges, der einfach zu straight für diese Welt ist.

Es ist nicht gerade einfach, die Schönheit von UN PRINTEMPS Á PARIS in einen Text zu fassen. Seine Story scheint unspektakulär, ja sogar recht konventionell, es ist allein der Stil Brals, seine Ruhe, die Perfektion des Schnitts und der Fotografie in Verbindung mit Michel Gauchers entspannt pluckernder Musik, die diesen Film in jeder Sekunde strahlen lassen. Bral scheint sowieso eine immens faszinierende Gestalt: In seiner 30-jährigen Karriere hat er es auf gerade einmal fünf Filme gebracht, für die er allerdings als in Personalunion als Drehbuchautor, Regisseur, Kameramann und Editor und teilweise als Produzent tätig war. Das merkt man UN PRINTEMPS Á PARIS in jeder Sekunde an: Ich habe selten einen geschlosseneren Film gesehen als diesen.

#1148 Funk_Dogg

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Geschrieben 23. Februar 2008, 12:26

Filme von Don Siegel

The Killers (USA 1964)
Regie: Don Siegel

Die beiden Auftragskiller Charlie (Lee Marvin) und Lee (Clu Gulager) haben soeben den ehemaligen Rennfahrer Johnny North (John Cassavetes) in einer Blindenschule erschossen. Ihr Lohn, 25.000 Dollar, ist deutlich höher als alles, was ihnen sonst für einen solch einfachen Job angeboten wurde. Charlie wird skeptisch: Warum versuchte Johnny noch nicht einmal sich zu wehren? Die beiden Killer begeben sich auf die Spuren des unbekannten Auftraggebers und erfahren dabei mehr und mehr über die Vergangenheit ihres Opfers ...

Siegel drehte THE KILLERS nach einer Kurzgeschichte von Hemingway für das Fernsehen, wo der fertige Film dann natürlich nie ausgestrahlt wurde: zu brutal, zu gewalttätig, zu trostlos war er geworden. Schon der Auftakt, das gewaltsame Eindringen der beiden Killer in die Blindenschule – vor der zwei blinde Kinder Töten spielen: da muss man an Peckinpah denken –, ihr rücksichtsloses Verhalten gegenüber den blinden Angestellten, die sadistische Freude, mit der Lee seinen Job ausführt, immer aus einem grotesk verkanteten Blickwinkel gefilmt, gibt die Marschroute vor, die Siegel nicht mehr verlassen wird. Der Weg der Killer wird immer wieder unterbrochen von langen Rückblenden, in denen Charlie und Lee die Vorgeschichte Johnny Norths erfahren, und so selbst zum Strukturelement des Filmes werden: Die Killer schreiben und interpretieren Geschichte und verändern sie schließlich. Mehr als Charaktere in ihrer Geschichte sind Charlie und Lee also narrative Elemente: In ihrer Enthobenheit, ihrer Überzeichnung – man achte nur auf die Stimmen der beiden: Lee Marvin klingt fast wie ein Soundeffekt – sind sie zwei fleischgewordene dei ex machina, mit dem Auftrag, die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Doch natürlich sind beide eben auch Killer und haben als solche keine hehren Moralvorstellungen. Das Ende ist also abzusehen. Hemingways kaum zehnseitige Story, von der in Siegels Film nur die Prämisse – das Opfer, das nicht mehr vor seinen Killern wegrennen mag – sowie die brutale Offenheit der Killer übrigblieben, erinnert vage an Dürrenmatt, die Killer wahlweise an Wladimir und Estragon aus Becketts „Warten auf Godot“ oder auch an die Clowns in Shakespeares Dramen und das schlägt sich auch im Film nieder. Die Vorlage im Hinterkopf ist es dann auch gar nicht mehr so erstaunlich, dass Siegel mit seinem unglaublich pointierten und stilisierten Film die angeblichen Errungenschaften der filmischen Postmoderne zu infantilen Späßen degradiert. Auch Boormans POINT BLANK scheint im direkten Vergleich mit THE KILLERS viel weniger revolutionär: Der Brite musste eigentlich nur die Spur aufnehmen, die Siegel mit THE KILLERS hinterlassen hatte. Dass er das wusste, beweist die Wahl seines Hauptdarstellers.

#1149 Funk_Dogg

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Geschrieben 23. Februar 2008, 21:16

All I Desire (USA 1953)
Regie: Douglas Sirk

1910: Die Vaudeville-Schauspielerin Naomi Murdock (Barbara Stanwyck) hat vor Jahren ihren Gatten Henry (Richard Carlson) samt ihrer drei Kinder in dem kleinen Städtchen Riverdale zurückgelassen. Nun hält sie eine Einladung ihrer Tochter Lily (Lori Nelson) in den Händen: Sie möchte Schauspielerin werden wie ihre Mutter und hofft auf deren Besuch bei ihrem großen Auftritt in einem High-School-Theaterstück. Naomi ist fasziniert von der Aussicht einer Reise in die Vergangenheit. Doch ihre Ankunft reißt sofort wieder alte Wunden auf ...

Dies hier ist mein erster bewusst gesehener Sirk-Film; wohl auch, weil ich Melodramen, als deren ausgesprochener Meister der gebürtige Däne gilt, bisher als schwülstigen Kitsch abgetan und deshalb gemieden habe. So kann man sich irren! Bei allem Herzschmerz, bei allen Liebesverwirrungen besticht ALL I DESIRE neben seiner subtilen Bildsprache doch vor allem mit seinem keineswegs altbackenen Frauenbild und einer klugen Beobachtung sozialer Zwänge und Beschränkungen und deren Auswirkungen auf das Individuum. So verbaut Sirks Protagonisten immer die falsche Rücksicht auf das, was als gesellschaftlich akzeptabel gilt, den direkten Weg zum Glück: Anstatt mit dem Mann zu leben, den sie liebt, treibt sich Naomi auf abgewrackten Bühnen herum, um eine Schuld zu sühnen, die doch längst verjährt ist. Und Henry spielt den verletzten und betrogenen Ehemann, obwohl doch klar ist, dass er ihr längst verziehen hat. Besonders gut hat mir Sirks Spiel mit dem Bild des Theaters gefallen: Wenn Naomi zurückkehrt, tut sie dies mit dem Gestus des Zuschauers. Sie steigt aus ihrem Leben aus, um sich das Leben anzuschauen, das sie einst zurückließ. Doch erstens ist das sich ihr bietende Bild nicht die ganze Wahrheit, zweitens wird sie, kaum angekommen, in das sich ihr bietende Geschehen hineingezogen. Ohne es zu wollen, steht sie plötzlich im Zentrum des Geschehens: Sie ist wieder auf der Bühne, nur hat sie diesmal eine neue Rolle zu spielen. Und das gefällt ihr wohl nicht zuletzt, weil der große Karriereruhm längst verflogen ist. Gekrönt wird dieser wirklich wunderbare Film, den man keinesfalls als Schmachtfetzen abtun sollte, von der Erscheinung und Darbietung Barbara Stanwycks: allein ihre rauchige, sinnliche Stimme ...

#1150 Funk_Dogg

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Geschrieben 24. Februar 2008, 15:02

Mein Text zu der tollen Zombiekomödie/-satire FIDO – GUTE TOTE SIND SCHWER ZU FINDEN (der deutsche Untertitel zeugt mal wieder von Geschmacksverirrung und fehlendem Anstand) ist auf F-LM zu lesen.

#1151 Funk_Dogg

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Geschrieben 25. Februar 2008, 13:43

La Femme de l'Aviateur (Frankreich 1981)
Regie: Eric Rohmer

Der 20-jährige François (Philippe Marlaud) ist mit der fünf Jahre älteren, bindungsunwilligen Anne (Marie Rivière) liiert. Bei dieser klopft eines Morgens ihr Ex-Lover, der Pilot Christian (Matthieu Carrière) an, um ihr endgültig den Laufpass zugunsten seiner Ehefrau zu geben. François beobachtet die beiden durch Zufall beim Verlassen von Annes Wohnung und schöpft Verdacht. Als er Christian wenig später wiederbegegnet, ist dieser erneut in Begleitung einer Frau. François verfolgt die beiden und lernt bei seinem Detektivspiel die Schülerin Lucie (Anne-Laure Meury) kennen ...

Mein erster Rohmer. Das gegen den Regisseur bestehende Vorurteil, seine Filme bestünden nur aus Dialogen, ist natürlich nicht völlig zu entkräften. Wer der Meinung ist, Dialoge sollten entweder wichtige Informationen, One-Liner oder Gags transportieren oder allerhöchstens Shakespeare rezitieren, für den dürfte ein Rohmer-Film tatsächlich eine schmerzhafte Erfahrung sein. In LA FEMME DE L’AVIATEUR passiert eigentlich nichts, außer dass Menschen sich von a nach b bewegen, um sich dort mit anderen Menschen über die eigenen Befindlichkeiten zu unterhalten. Rohmers Protagonisten sind mit ihren Neurosen und Launen definitiv keine Charaktere, die sich dem Zuschauer anbiedern würden. Aber das macht sie bei aller dichterischen Gespreiztheit – so klar wie Rohmers Protagonisten kann sich wohl niemand über sich selbst äußern – auch wieder real und lebendig: Sie folgen nur ihrer eigenen Logik und nicht der eines nach Schema F verfassten Drehbuchs. LA FEMME DE L'AVIATEUR, der erste Teil der sechsteiligen Reihe COMEDIES ET PROVERBES, ist aber auch eine Liebeserklärung an Paris. Rohmer improvisierte seinen Film on the spot, ohne großes Location-Scouting oder sonstige Vorplanungen nahezu live und schuf so ein Werk, das zwar viel Konzentration und Geduld erfordert, paradoxerweise aber von einer fast magischen Leichtigkeit ist. Auf der Inhaltsebene korrespondiert dieser Aspekt mit der Müdigkeit der Hauptfigur François, der von seiner Nachtschicht kommt und während des Films gleich mehrfach einnickt. „Du erträumst dir eine Geschichte“ wirft ihm Lucie einmal als Reaktion auf seine Eifersuchtsfantasien vor und tatsächlich mutet LA FEMME DE L’AVIATEUR wie ein langer Traum an (das Motiv des Schlafs tritt auch in den kühlen Blau-, Grün- und Grautönen hervor, die den Film bestimmen). Gleichzeitig ist da aber auch eine ungeheure Unmittelbarkeit, die Rohmer durch die Arbeit auf der Straße mitten unter den Menschen und den Einsatz der Handkamera erzielt. Wo etwa ein Jeunet für seinen AMÉLIE großen Effektzauber und surreale Elemente bemühen musste, um den Zauber des Lebens in Paris auf die Leinwand zu bringen und für den Zuschauer erlebbar zu machen, gelingt dies Rohmer mit einem geradezu entblößten dokumentarischen Stil. Wie sich seine Figuren auf den verschlungensten Pfaden begegnen und aus den Augen verlieren, nur um sich dann wiederzutreffen, erscheint gerade in seiner Nüchternheit absolut märchenhaft. Ich bin mir ganz sicher, dass Richard Linklater diesen Film gesehen hat, bevor er BEFORE SUNRISE machte: Seine Julie Delpy sieht ihrem Rohmer-Pendant Lucie zum Verwechseln ähnlich.

#1152 Funk_Dogg

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Geschrieben 25. Februar 2008, 14:20

There’s always Tomorrow (USA 1956)
Regie: Douglas Sirk

Der Spielzeugfabrikant Clifford Groves (Fred MacMurray) lebt in Los Angeles mit seiner Frau und seinen drei Kindern ein Leben voller Routine. Alle Versuche, aus dem Einerlei auszubrechen und die Flamme der Leidenschaft neu zu entzünden, werden von seiner Frau unterbunden und auch die Kinder nehmen ihren Vater längst als selbstverständlich hin. Eines Tages begegnet Clifford die erfolgreiche New Yorker Modedesignerin Norma Vale (Barbara Stanwyck), mit der er vor 20 Jahren nicht nur eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung unterhielt. Zunächst ist es nur ein freudiges Wiedersehen alter Freunde, doch bald erkennen beide, dass ihnen mehr am anderen liegt ...

Konnte man das Ende von ALL I DESIRE – die Frau kehrt für ihre Liebe in dasselbe Umfeld zurück, dass sie einst als Ehebrecherin stigmatisiert hatte – trotz aller bitterer Untertöne noch als Happy End verstehen, bleibt am Schluss von THERE’S ALWAYS TOMORROW nur die traurige Erkenntnis, dass das Konzept vom Glück sich leider nicht immer mit dem Leben in unserer Zeit vereinbaren lässt. Soziale Zwänge lasten auf Clifford und Norma, aus denen sie nicht ausbrechen können: Familie und Karriere. Der Titel des Films hat eine ungemein bittere Note: Er suggeriert, dass man sein Leben jederzeit ändern könne, doch tatsächlich ist das nur eine Ausrede, die man sich vorhält, weil man die Wahrheit nicht ertragen kann. Clifford und Norma ergehen sich eine Weile in dem Traum, aus ihrem Leben auszubrechen, ihrem Herzen zu folgen und endlich das zu tun, wozu sie vor 20 Jahren nicht in der Lage waren. Doch es muss bei diesem Traum bleiben: Man ist eben nicht nur seines eigenen Glückes Schmied. Diese bittere Erkenntnis fasst Sirk in wunderbare Bilder voller Tristesse und leiser Tragik. Sein beliebtestes Mittel ist es wohl, seine Protagonisten durch Fenster zu beobachten, als wolle er sie in einer Bestandsaufnahme festhalten: Das ist dein Leben, schau es dir gut an. Bei Sirk führt diese Betrachtung tragischerweise zwar zur Selbsterkenntnis, aber diese kann keine Konsequenzen mehr nach sich ziehen, weil alle Wege bereits verbaut sind. Clifford und Norma bleibt am Ende nur, sich gegenseitig ihrer Liebe zu versichern, Lebewohl zu sagen, umzukehren und nicht mehr zurückzuschauen. Beide müssen sich in ihr Schicksal fügen, wie Cliffords neuer Spielzeugroboter immer weitergehen, bis die Batterie leer ist. Viel trauriger und resignativer kann ein Liebesfilm kaum enden. Mich hatte schon ALL I DESIRE schwer begeistert, THERE’S ALWAYS TOMORROW macht mich nur noch sprachlos.

#1153 Funk_Dogg

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Geschrieben 25. Februar 2008, 14:44

Le beau Mariage (Frankreich 1982)
Regie: Eric Rohmer

Die aus einfachen Verhältnissen stammende Kunstgeschichte-Studentin Sabine (Béatrice Romand) steckt noch mitten in einer Affäre mit dem verheirateten Künstler Simon (Féodor Atkine) als sie einen Entschluss fasst: Schluss mit dem Lotterleben, es wird geheiratet. Fest entschlossen sesshaft zu werden, braucht sie nur noch den richtigen Mann. Diesen glaubt sie wenig später auf einer Party im Haus der Eltern ihrer Freundin Clarisse (Arielle Dombasle) gefunden zu haben: Es ist der zehn Jahre ältere Anwalt Edmond (André Dussolier) ...

Mit dem zweiten Film aus seiner Reihe COMEDIES ET PROVERBES widmet sich Rohmer einer Geschichte, die man sich gut als romantische Komödie vorstellen könnte: das attraktive, aber naive Mädchen, das sich eine fixe Idee in den Kopf setzt und sich in den falschen Mann verliebt. In Hollywood käme natürlich irgendwann der unvermeidliche Mr. Right ins Spiel, den die Protagonistin erst nach etlichen Turbulenzen und emotionalen Verwirrungen als solchen erkennen und statt des ursprünglich Auserwählten in ihr Herz schließen würde. Bei Rohmer sieht das ganz anders aus: Man wird mit den abstrusen, aber umso entschlossener vorgetragenen Vorstellungen Sabines konfrontiert und erkennt lange vor ihr, dass ihre Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind; nicht nur, weil sie sich den Falschen ausgeguckt hat, sondern vor allem, weil ihre Liebes- und Lebenskonzepte schlicht nicht lebbar sind. Und den Mr. Right gibt es in Rohmers Film natürlich auch nicht. In warmen Herbsttönen gefilmt, folgt LE BEAU MARIAGE viel stärker als noch LA FEMME DE L’AVIATEUR einer „konventionellen“ Storyline, die eine starke soziale Komponente enthält. Das sichtbare Unwohlsein, das der erfolgreiche Anwalt Edmond im kleinen Reihenhäuschen von Sabines Mutter und in Sabines Mädchenzimmer empfindet, liegt nicht zuletzt in der sozialen Diskrepanz zwischen beiden begründet. Das „kleine“ Mädchen passt einfach nicht zu dem Anwalt der gehobenen Mittelschicht. Die vermeintliche Komödie verschont den Zuschauer also nicht mit durchaus unangenehmen Einsichten, zumal Rohmers Eigenart, seine Protagonisten lang und breit über ihr Seelenleben Auskunft geben zu lassen, die – zugegeben wohl artikulierte – Naivität Sabines brutal offen legt. Eine Parallele zu dem ungleich leichteren LA FEMME DE L’AVIATEUR gibt es aber doch: Den Mann, der Sabine am Ende im Zug ein freudig-interessiertes Lächeln zuwirft, hat sie in der Eröffnungsszene im gleichen Zug ebenso übersehen wie er sie. Das Leben hält eben immer neue Überraschungen parat. Manchmal ist man nur zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sie zu bemerken.

#1154 Funk_Dogg

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Geschrieben 25. Februar 2008, 21:02

Pauline à la Plage (Frankreich 1983)
Regie: Eric Rohmer

Die attraktive Marion (die attraktive Arielle Dombasle) steht kurz vor ihrer Scheidung und verbringt ihren Sommerurlaub mit ihrer 14-jährigen Cousine Pauline (Amanda Langlet) in einem Haus am Strand. Dort begegnet sie sowohl einem alten Freund, dem unsterblich in sie verliebten Romantiker Pierre (Pascale Greggory), als auch dem Ethnologen Henri (Féodor Atkine), einem rücksichtslosen Hedonisten, in den sie sich sogleich verliebt. Pauline findet indes einen gleichaltrigen Partner in dem sympathischen Sylvain (Simon de La Brosse). Während Pierre verzweifelt versucht, Marion zu erobern, steigt Henri mit einer Süßigkeitenverkäuferin ins Bett. Als Pierre diese in Henris Haus sieht, versucht dieser die Nummer Sylvain in die Schuhe zu schieben ...

Nach dem kühlen LA FEMME DE L’AVIATEUR und dem herbstlichen LE BEAU MARIAGE ist Rohmer mit PAULINE À LA PLAGE im Sommer angekommen. Sein Film strahlt in hellen Farben, ist durch und durch lichtdurchflutet und von einer sehr entspannten Stimmung geprägt. Thematisch ist der Schritt von MARIAGE zu PLAGE nicht allzu groß: In beiden werden verschiedene Liebes- und Partnerschaftskonzepte diskutiert. Vier konkurrierende Ansichten treffen aufeinander: Henri will keine Partnerschaft, weil er sie als Hindernis versteht – die Liebe kommt und geht, warum sich also festlegen? Marion hingegen sucht eine Liebe, die so stark ist, dass sie fast verbrennt; sie glaubt an die in der Hitze des Gefechts getroffene Entscheidung aus Leidenschaft – und riskiert gern, dass diese sich sich später als Fehlentscheidung entpuppen kann. Für den romantisch veranlagten Pierre hingegen ist Liebe nur in der Zeit zu denken: Lieben kann er nur eine Person, mit der er sich auch ein gemeinsames Leben vorstellen kann – und droht über dieses Anspruchsdenken zum Solipsist zu werden. Paulines Ansichten sind hingegen noch nicht durch gute oder schlechte Erfahrungen vorgeprägt, sie geht unvorbelastet durchs Leben und will sich überraschen lassen, ohne dabei jedoch alle Prinzipien aufzugeben. Während die Erwachsenen um sie herum bereits irgendwie verletzt und dadurch „verdorben“ wurden, repräsentiert sie ein Konzept der Reinheit. Das macht sie nicht nur zur Hauptfigur (siehe Titel), sondern auch zum „weisesten“ Charakter des Films; gleichzeitig ist sie der deutlichste Hinweis auf den Dichtungscharakter von Rohmers Film, den man sonst leichtfertig und fälschlicherwiese als „das echte Leben“ spiegelnd bezeichnen könnte. Das ist er nicht: So authentisch die Figuren auch sind, sie sind reine Kunstfiguren, Vertreter von Konzepten. Wer die beiden Vorgänger von COMEDIES ET PROVERBES gesehen hat erkennt einige von ihnen wieder: Henri gleicht dem Anwalt Edmond aus MARIAGE, Pauline und Pierre an erinnern an Lucie bzw. François aus AVIATEUR. Nicht viel Neues also, aber das ist gar nicht so schlimm. Auch PAULINE À LA PLAGE ist wieder ein sehr schöner Film, etwas leichter als seine beiden Vorgänger, und mit einem sehr prägnanten Ende: Selbstbetrug kann eben auch ein Weg zum Glück sein.

#1155 Funk_Dogg

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Geschrieben 26. Februar 2008, 16:46

Les Nuits de la pleine Lune (Frankreich 1984)
Regie: Eric Rohmer

Die Innenausstatterin Louise (Pascale Ogier) lebt mit ihrem Partner Remi (Tchéky Karyo) in der Pariser Vorstadt. Dem Leben in der abgeschiedenen Zweisamkeit entflieht sie gern in die Metropole, um dort mit Freunden auszugehen und zu tanzen. Remi ist von diesem Freiheitsdrang eh schon wenig angetan, doch als Louise sich eine Zweitwohnung in Paris einrichtet, kühlt sich das Verhältnis zwischen beiden merklich ab. Doch Louise glaubt immer noch, die Distanz sei gut für ihre Beziehung ...

Nach dem sonnigen PAULINE À LA PLAGE ist LES NUITS DE LA PLEINE LUNE nun ein echter Nachtfilm, der von künstlicher Beleuchtung sowie von Schwarz und Grautönen in Verbindung mit einigen sparsamen Farbtupfern dominiert wird und eine interessante Struktur aufweist. LES NUITS spielt an vier Abenden bzw. Nächten, die jeweils einen Monat auseinander liegen und an denen der Zuschauer den Verlauf von Louises selbst gewähltem Strohwitwendasein verfolgen kann. Die Handlung springt dabei immer zwischen der gemeinsamen Wohnung vor der Stadt und dem Stadtappartement hin und her, frei nach dem dem Film vorangestellten Sprichwort: „Jemand mit zwei Frauen verliert seine Seele, jemand mit zwei Häusern seinen Verstand“. Mit ihrer Flucht, mit der Louise ihre Beziehung zum besitzergreifenden Remi eigentlich retten will, erreicht sie nur das Gegenteil: Das, was für sie richtig ist, ist für Remi leider genau das Falsche. Am Ende muss sie ihre Taschen packen, das Experiment, ihre Liebe auf die Probe zu stellen, ist leider schiefgegangen. Die interessanteste Szene des Films ereignet sich ungefähr nach der Hälfte der Laufzeit und stellt den Wendepunkt des Films dar: Als Louise zusammen mit ihrem Freund Octave (Fabrice Luchini) in einem Café sitzt, glaubt sie Remi gesehen zu haben, während Octave wiederum steif und fest behauptet, Camille, eine Freundin Louises, erkannt zu haben. Sofort spekulieren beide über ein Verhältnis der beiden. Rohmer filmt diese Szene jedoch, ohne dass Remi oder Camille zu sehen wären, ja, man sieht überhaupt niemanden außer eben Louise und Octave, die von ihrer Sichtung nur berichten. Dies mag sowohl als Beispiel für die kleinen Rätsel und Geheimnisse fungieren, die in Rohmers Filmen immer wieder auftauchen, als auch Beleg für seine eigenwillige Kameraarbeit dienen: In Rohmers Filmen – zumindest in der Reihe COMÉDIES ET PROVERBES – gibt es weder Close-Ups von Gesichtern noch so etwas wie Subjektiven. Die Kamera verlässt nie die Rolle des unbeteiligten, distanzierten Beobachters der Protagonisten. Insgesamt hat mir LES NUITS etwas weniger gefallen als seine drei Vorgänger, was aber ein auf kosmetische Details zurückzuführendes, subjektives Urteil ist: Hauptdarstellerin Ogier ist (im Gegensatz zu anderen Rohmer-Frauen) überhaupt nicht mein Typ, das Entstehungsjahr spiegelt sich unangenehm in den wirklich fiesen Klamotten wider und der Frankopop, der während der drei Tanzszenen gespielt wird, hat mir gelinde gesagt die Falten aus dem Sack gezogen. Von den sechs Filmen der Reihe ist LES NUITS äußerlich am stärksten in seiner Zeit verhaftet. Das ändert aber nix daran, dass auch dieser Film ausgesprochen sehenswert und gut dazu geeignet ist, seine Beobachtungsgabe zu schulen. Wieviel inszenatorischer und gestalterischer Wille hier am Werk ist, droht einem nämlich zunächst zu entgehen, wenn man gewohnt ist, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

#1156 Funk_Dogg

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Geschrieben 26. Februar 2008, 17:23

Le Rayon vert (Frankreich 1986)
Regie: Eric Rohmer

Kurz vor dem gemeinsamen Urlaub erhält Delphine (Marie Rivière) den Laufpass von ihrem Freund. Sie ist geschockt und versucht nun, ihren Sommerurlaub allein zu organisieren. Doch egal, wohin sie auch geht, überall wird sie nur an ihre Einsamkeit erinnert ...

LE RAYON VERT ist Marie Rivières Film: Kaum eine Szene kommt ohne die Schauspielerin aus, Rohmer folgt ihr von Paris nach Cherbourg, in die Alpen und schließlich nach Biarritz, bevor es zu einem Happy End in St. Jean de Luz kommt. Nach den doch eher realistisch-ernüchternden Geschichten der vier Filme zuvor ist LE RAYON VERT ein Film über die Hoffnung, auch wenn es lange nicht so aussieht. Delphine droht in ihrer Trauer und ihren Selbstzweifeln zu ersticken, auch wenn ihr doch der Weg zum Glück in Form der Farbe Grün gewiesen wird (das hatte ihr eine Wahrsagerin prophezeit). Am Ziel angekommen sieht Delphine dann auch den titelgebenden „grünen Strahl“ bzw. das „grüne Leuchten“, wie es im deutschen Titel heißt. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das sich im letzten Moment des Sonnenuntergangs ereignet und das den, der es sieht, in die Lage versetzt, das eigene Wesen und das anderer in völliger Klarheit vor sich zu sehen. LE RAYON VERT ist aber nicht nur hoffnungsvoll, er ist auch ein Film über die Einsamkeit unter Menschen: Egal, wo sich Delphine auch aufhält, sie ist immer am falschen Ort. Der Versuch, Kontakte zu knüpfen, bringt ihre Isolation umso stärker ans Licht. Es gibt eine famose Szene, in der man förmlich sehen kann, wie Delphine graduell immer mehr in sich zusammensackt, während sich die Menschen um sie herum amüsieren. Dass Delphine ausgerechnet am Bahnhof, von wo aus sie eigentlich abreisen möchte, jemanden trifft, bei dem sie sich wohl fühlt, bestätigt zum einen die Phrase, dass das Glück immer unerwartet zuschlägt, zum anderen korrespondiert dies mit einigen anderen Rohmer-Filmen: Züge und Busse sind gute Orte, um Menschen zu treffen. Aus der Reihe COMÉDIES ET PROVERBES hat mir LE RAYON VERT mit am besten gefallen, was neben der sommerlichen Melancholie des Films ausdrücklich auf biografische Details zurückzuführen ist: Wer einmal aus heiterem Himmel verlassen wurde, kann sich mit Delphine absolut identifizieren: Rohmer und Rivière treffen das Gefühl aus Einsamkeit, Scham und Selbshass, das einen dann beschleicht, wirklich perfekt. Und dass ich schon mal in Biarritz war und diesen Ort sehr in mein Herz geschlossen habe, hat sicherlich auch geholfen. Ein schöner, sehr entspannter und meditativer Film mit einem wunderbaren Ende.

#1157 Funk_Dogg

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Geschrieben 26. Februar 2008, 17:52

L'Ami de mon Amie (Frankreich 1987)
Regie: Eric Rohmer

In einer modernen Trabantenstadt vor den Toren von Paris begegnen sich die junge Beamtin Blanche (Emmanuelle Chaulet) und die Studentin Lea (Sophie Renoir). Beide freunden sich an. Die selbstsichere Lea, mit dem gutaussehenden Fabien (Eric Viellard) zusammen, kümmert sich sofort um das Liebesglück der schüchternen Blanche. Der erfolgreiche Alexandre (François-Eric Gendron) ist ihrer Meinung nach genau der Richtige. Doch dann nähern sich Blanche und Fabien in Abwesenheit Leas einander an ...

Mit L'AMI DE MON AMIE findet Rohmers sechsteilige Reihe COMÉDIES ET PROVERBES ihren mehr als versöhnlichen Abschluss. Nach all den fehlgeschlagenen Beziehungskonzepten und unglücklich verlaufenden Liebschaften ist es doch sehr erfreulich am Ende dieses Films gleich zwei Liebespaare in eine hoffentlich glückliche Zukunft entlassen zu können. Hervorstechendstes Merkmal von Rohmers Inszenierung ist die Betonung der Architektur. Der Film spielt in einer luxuriösen Wohnanlage, in der Moderne und Renaissance einander die Hand reichen und die von weitläufigen Freizeitanlagen gesäumt ist. So gibt es auch wieder die für Rohmer typischen kontemplativen Ausflüge in die Natur. Neben der Architektur sticht eine recht geschickte Anordnung farbiger Akzente ins Auge: Man achte etwa auf die Platzierung der Accessoires in Blanches Büro oder die letzte Szene, in der die vier Protagonisten entweder Grün oder Blau tragen und so noch einmal das Bäumchen-Wechsel-Dich-Spielchen des vorangegangenen Films pointieren. L'AMI DE MON AMIE ist vielleicht der zugänglichste und leichteste Film der Reihe und gut für einen Einstieg ins Werk Rohmers geeignet, der mich wirklich sehr begeistert hat. Wie ich schon im Eintrag zu LES NUITS versucht habe zu erklären, stellt dessen Inszenierungsstil eine echte Herausforderung für den Zuschauer dar: Die breiten Dialoge lenken oft vom Bild ab und suggerieren, hier fände eben nur Theater auf der Leinwand statt. Erst nach einiger Eingewöhnungszeit fallen einem dann die vielen Feinheiten der Regie auf; eine besonders große Rolle spielen etwa die Settings und das Dekor. Der erste Eindruck ist sicher der eines besonders „nackten“ Stils – und das ist in gewisser Hinsicht auch richtig, etwa, was die Verwendung von Musik angeht; das Format von 1,33:1 spielt da auch mit hinein (nur PAULINE À LA PLAGE ist nicht in diesem „Fernsehformat“ gedreht). Dennoch passiert in Rohmers Filmen sehr viel mehr als man zunächst annimmt, was ihren nicht unerheblichen Reiz ausmacht. Für mich war das definitiv nicht die letzte Begegnung mit diesem Filmemacher, der – im Gegensatz zu vielen anderen Regisseuren, die man voreilig mit diesem Label versieht – tatsächlich einen absolut einzigartigen Stil kultiviert hat.

#1158 Funk_Dogg

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Geschrieben 27. Februar 2008, 16:07

Interlude (USA 1957)
Regie: Douglas Sirk

Die Amerikanerin Helen Banning (June Allyson) reist nach auf der Suche nach neuen Erfahrungen nach München und tritt dort eine Stelle im Amerika-Haus an. In dieser Tätigkeit trifft sie auf den berühmten deutsch-italienischen Dirigenten Tonio Fischer (Rossano Brazzi). Nach anfänglichen Schwierigkeiten bahnt sich schnell eine Romanze zwischen den beiden an. Doch dann erfährt Helen, dass Tonio mit der schwer kranken Reni (Marianne Koch) verheiratet ist ...

Man möchte meinen, Douglas Sirk habe sich mit INTERLUDE, seinem viertletzten amerikanischen Film, schon mit seiner Rückkehr nach Europa beschäftigt. In wunderschönstem Technicolor schwelgt er in barock anmutenden Aufnahmen Münchener und Salzburger Sehenswürdigkeiten und errichtet den majestätischen Alpen geradezu ein filmisches Denkmal. Mit diesem Pomp appelliert Sirk nicht nur an den Exotismus amerikanischer Kinogänger, INTERLUDE steht damit auch in krassem Kontrast zu den zwar nicht minder erlesen fotografierten, jedoch deutlich aufgeräumter und klarer anmutenden ALL I DESIRE und THERE’S ALWAYS TOMORROW. Dies lässt sich auch auf die Inhaltsebene übertragen: Während Sirk das melodramatische Element in den beiden genannten Filmen heftig mit einer regelrecht nüchtern artikulierten und deshalb umso frappierender wirkenden Gesellschaftskritik kollidieren ließ und so eine äußerst realistische Bestandsaufnahme des Phänomens „Liebe und Partnerschaft“ im 20. Jahrhundert ablieferte, tritt diese soziale Komponente in INTERLUDE zugunsten des zwar ungehemmten aber auch unschuldigen Herzschmerzes zurück. Hatte Sirk zuvor geradezu subversive Melodramen gemacht, ist die Tragik von INTERLUDE nun eine rein affirmative. Das bedeutet aber nicht, dass Sirks Blick für gesellschaftliche Missstände gänzlich abhanden gekommen wäre: Für den weltgewandten Tonio Fischer ist es etwa völlig selbstverständlich, Helen rabiat zum Essenmachen in die Küche abzuschieben. Sein großzügiges Versprechen, sich gleichzeitig um die Befeuerung des Kamins kümmern zu wollen, entpuppt sich indes als leer: Es reicht, ein brennendes Streichholz hineinzuwerfen. Und auch die Ehe von Tonio und Reni, die für den Dirigenten beinahe einer Gefangenschaft gleicht, aber letztlich mit Rücksicht auf den Status Quo nicht aufgelöst werden kann, ist ein Hinweis darauf, dass gesellschaftliche Konventionen und Institutionen nicht immer im Dienste des Menschen stehen. Insgesamt werden diese Themen in INTERLUDE aber weitaus weniger stringent und überzeugend entwickelt. So bleibt am Ende ein zwar nur mittelmäßiger Sirk-Film, doch auch ein solcher legt sich noch wie Balsam auf geschundene Sinnesorgane. INTERLUDE ist eine absolute Augen- und Ohrenweide und ein Film, bei dem man hemmungslos dahinschmachten kann. Kuriosum am Rande: INTERLUDE heißt auf deutsch zwar inhaltlich äußerst unpassend DER LETZTE AKKORD, sollte aber keinesfalls mit Sirks SCHLUSSAKKORD von 1936 verwechselt werden.

#1159 Funk_Dogg

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Geschrieben 27. Februar 2008, 17:49

Filme von Don Siegel

Meine kleine Siegel-Retro findet in dieser Runde auswärts statt: auf F.LM mit einer DVD-Rezension zu Siegels '67er-Fernsehwestern STRANGER ON THE RUN mit Henry Fonda in der Haupt- und Titelrolle. Viel Vergnügen!

#1160 Funk_Dogg

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Geschrieben 01. März 2008, 18:50

Filme von Don Siegel

Edge of Eternity (USA 1959)
Regie: Don Siegel

Das Örtchen Mojave liegt am Grand Canyon und war noch vor 20 Jahren eine blühende Stadt, die von der nahe gelegenen Goldmine profitierte. Dann kam der Krieg und Männer wurden andernorts gebraucht. Seitdem liegt die Mine brach, obwohl dort immer noch reichlich Gold auf den Abbau wartet. Stattdessen jedoch fördert man Fledermaus-Kot, bekannt als Guano, aus einer der zahlreichen Höhlen im Canyon. Als einige Morde passieren, entdeckt Deputy Les Martin (Cornel Wilde) aber, dass die Goldmine den Menschen immer noch im Kopf herumspukt ...

Mit diesem eher seltenen Siegel-Film springen wir in meiner kleinen Retro noch einmal runde acht Jahre zurück in die auslaufenden Fünfzigerjahre. EDGE OF ETERNITY kommt sicherlich nicht in den Verdacht eine der inszenatorischen Großtaten Siegels zu sein: Mit einer Laufzeit von gerade einmal 75 Minuten widmet sich der Regisseur einem kleinen, unspektakulären Krimi, der sich ganz auf die prächtige Naturkulisse verlässt und in einem spektakulären Showdown in schwindelerregender Höhe kulminiert. Bemerkenswert ist vor allem der Auftakt des Films: Während die Credits in gelber Schrift über das Bild flimmern, schwelgt die Kamera in Aufnahmen des neben den Niagara-Fällen vielleicht berühmteste Naturmonuments der USA und versetzt den Zuschauer automatisch in Westernstimmung ... bis plötzlich ein Auto in den Blick gerät. Wenn es im folgenden Zweikampf zweier Männer in die Tiefe stürzt, hat man auch das Gefühl, Siegel wolle seinen Film von neumodischem Zierrat befreien und eine Zeit beschwören, in der die Welt überschaubar und ein Kampf gerecht war. Wenig später stört erneut ein Auto die Pionierstimmung: Am Steuer des jede Geschwindigkeitsbegrenzung verletzenden Gefährts sitzt ausgerechnet eine Frau. The times they are a-changing und nicht alle können sich mit dieser Tatsache anfreunden wie der gute Les – oder Jack Elam, der als Bill Ward sein Geld mit dem Einsammeln von Fledermausscheiße verdient.

Vielen Dank an Schischa, der mir den Film zur Verfügung gestellt hat. :cheers:

#1161 Funk_Dogg

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Geschrieben 01. März 2008, 19:49

Robot Monster (USA 1953)
Regie: Phil Tucker

Zu Beginn stapft der kleine Johnny (Gregory Moffett) mit einem Spielzeug-Astronautenhelm und einer ätzende Geräusche machenden Plastikwumme aus dem Unterholz, um seine kleine Schwester, die fette Carla (Pamela Paulson) in sein Spiel miteinzubeziehen. Eigentlich will sie ja lieber „house“ spielen, aber Johnny kann sie dann doch überzeugen. Gemeinsam latschen die beiden zu einer Höhle, in der die „Archäologen“ Roy (George Nader) und „The Professor“ (der Österreicher John Mylong) eine – ähem! – prähistorische Höhlenmalerei mit Hammer und Meißel abkloppen. Wenn echte Archäologen auch so arbeiten, dann auf Wiedersehen, Menschheitsgeschichte! Bald schon tauchen jedoch Johnnys und Carlas Mama (Selena Royle) und ihre ältere Schwester Alice (Claudia Barrett) auf und zerren die Blagen zurück zum Picknick, für das sie sich ein lauschiges Plätzchen zwischen einigen Geröllklumpen gesucht haben. Kurz darauf sind alle weggepennt, nur der kleine Johnny sucht erneut die Höhle auf. Statt der beiden Superwissenschaftler wohnt dort aber jetzt ein „Ro-Man“: ein Außerirdisches Etwas, das aussieht wie ein Mensch mit Gorillakostüm und Taucherhelm. Ganz klar, dass dieses Wesen einer überlegenen Superrasse angehört, sonst wäre er wohl kaum im Besitz eines Seifenblasen erzeugenden Transistorradios und einer hochmodernen Anrichte, mit dem er mit seinem Heimatplaneten Kontakt aufnehmen kann. Es stellt sich heraus, dass der Ro-Man mittels seines „Death Rays“ die Menschheit ganz allein vernichtet hat; übrig sind nur noch Johnny und seine Familie, zu der nun auch „The Professor“ gehört – er ist der Papa, ein Wissenschaftler der das Mittel zur Bezwingung jeder Krankheit ärgerlicherweise ganz umsonst erfunden hat – und eben Roy, der Stecher von Alice. Gemeinsam wohnen sie in einer Ruine ohne Dach, die sie mit irgendeinem Kniff gegen den Ro-Man abgeschirmt haben, sodass dieser sie nicht aufspüren kann. Das gibt reichlich Gelegenheit, ihn dabei abzufilmen wie er erfolglos suchend durch die Walachei schlendert. Ein mitleiderregender Anblick, wie dieser haarige Fettsack mit Plattfüßen und einem bis zu den Knien reichenden Unterleib versucht, sich durch die triste Ödnis fortzubewegen, die hin und wieder von einem traurigen Gebüsch aufgelockert wird.

Wer es noch nicht mitbekommen hat: ROBOT MONSTER ist ein unbeschreiblich absurder Baddie, der mit einem Twist aufwartet, den man schon in den ersten zwei Minuten durchschaut: Die ganze Endzeitgeschichte ist natürlich nur der Traum des kleinen Johnny, der sich ganz doll die Birne angeschlagen hat. Oder doch nicht? Neben dem Ro-Man, einem der misslungensten Filmmonster ever, überzeugen vor allem die idiotischen Handlungen, mit denen Tucker uns die Familie näher bringen will. Da beschließen Alice und Roy irgendwann spontan, dass sie heiraten wollen. Für die Zeremonie zieht sich Roy dann tatsächlich sein speckiges Shirt aus, um sie wie ein echter Kerl mit entblößter Männerbrust zu ehelichen. Falls Alice’ Eltern das unpassend finden, wissen sie das gut zu verbergen. Fein auch der Tod der dicken Carla: Sie stirbt durch tödliches Hochgehoben-Werden, im Filmjargon auch „Strangulation“ genannt. Die eigentlich recht emanzipierte Alice muss im ganzen Film weniger Schritte gehen als Schwarzenegger in den Achtzigern Dialogzeilen hatte: Sie wird entweder von ihrem Roy durch die Gegend getragen oder vom Ro-Man, der sich ganz Kong-like in sie verknallt hat und dafür die Strafe vom Chef auf dem Heimatplaneten erhält. Don’t fuck with the Jesus, man! Um den ganzen Wahnsinn abzurunden, gibt es etwas Tiersnuff – den Todeskampf zweier Echsen –, putzige Stop-Motion-animierte Dinosaurier, ein süßes Gürteltier, eine explodierende Rakete, Bilder vom zerstörten New York, einen nervigen Negativ-Effekt, von dem Tucker offenkundig sehr angetan war, unzählige tolldreiste Logikvolten und ein Ende, dass so wenig effektiv ist, dass Tucker es gleich dreimal wiederholen muss. Alles in allem ein echter Gigant des guten schlechten Films und eine sehr sinnvolle Möglichkeit, andernfalls ereignislos verstreichende 60 Minuten mit Leben zu füllen. Ein ähnliches Motiv hatten wohl auch die Beteiligten als sie diesen Film drehten – und wesentlich länger kann das auch nicht gedauert haben.

#1162 Funk_Dogg

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Geschrieben 03. März 2008, 18:54

Le Doulos (Frankreich/Italien 1962)
Regie: Jean-Pierre Melville

Der Ganove Faugel (Serge Reggiani) plant einen Bruch, aber vorher legt er noch einen alten Kompagnon um, dem er wiederum kurz zuvor erbeutete Juwelen, einen Haufen Geld und eine Waffe abnimmt. Als Faugel am nächsten Tag zusammen mit seinem Partner Remi (Philippe Nahon) bei seinem Coup erwischt wird, sterben sowohl sein Partner als auch ein Polizist, während Faugel verwundet die Flucht gelingt. Wer hat ihn verpfiffen? Alles deutet auf seinen Freund, den Polizeispitzel Silien (Jean-Paul Belmondo), hin, der die Seiten wechselt, wie es ihm passt ...

Jean-Pierre Melvilles düsterer Gangsterfilm ist ein bestechendes Beispiel für eine atemlosen, brillant konstruierte Spannungskurve und ein cleveres Spiel mit der Perspektivität: In den ersten 80 Minuten entfaltet sich die Geschichte mit vielen Leerstellen, wird der Zuschauer geschickt in eine Richtung manipuliert. Erst in den letzten 20 Minuten präsentiert Melville die Lösung, indem er einen seiner Protagonisten diese Lücken füllen lässt. Frei nach dem dem Film vorangestellten Motto „Man hat zwei Möglichkeiten: sterben oder lügen“ ist es dann aber für seine Charaktere bereits zu spät. In einer Welt, in der jeder ein Geheimnis, jeder eine Leiche im Keller hat, gibt es keine Absolution. Irgendwann liegt man totgeschossen in der Ecke – meist dann, wenn man es am wenigsten erwartet hat. Der Ehrenkodex, der die Nachtschattengewächse in anderen Genrefilmen eint, ist bei Melville nichts wert, weil der Verstoß gegen diesen ebenfalls zum Spiel mit dazugehört. Vertrauen ist eine trügerische Angelegenheit: Weil einen der beste Freund immer am härtesten treffen kann, ist er beinahe verdächtiger als der ärgste Feind. So sieht dann auch die Welt von LE DOULOS alles andere als freundlich aus. Nebel wabert durch die nächtlichen Straßen als befände man sich in einem Gothic-Horror-Film, außerhalb des „Milieus“ scheint es gar nichts mehr zu geben. Jeder gehört irgendwie dazu, versucht, sein Leben zu bestreiten; auf welcher Seite, ist dabei gar nicht so wichtig, weil es Halunken auf beiden Seiten gibt. So ist Siliens bester Freund ein Polizist, während sich die große Liebe einmal mehr als Verräterin präsentiert. In LE DOULOS zeigt sich Melville noch stark vom Film Noir geprägt, was sich nicht zuletzt in der makellos-düsteren Schwarzweiß-Fotografie niederschlägt. Seine Figuren sind auch hier schon dem Untergang geweiht, aber anders als etwa in dem acht Jahre später entstandenen LE CERCLE ROUGE ist ihnen das noch nicht bewusst. Silien träumt noch naiv vom Ausstieg, doch er verheddert sich in seinen eigenen Winkelzügen. So genial sein Plan auch ist, er hat den Irrtum der Anderen nicht einkalkuliert. So überraschend kommt sein Ende für ihn, dass er seiner Freundin am Telefon nur noch mitteilen kann: „Ich komme heute nicht.“

#1163 Funk_Dogg

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Geschrieben 03. März 2008, 20:16

Ergänzend zu meinen ersten drei Sirk-Texten gibt es anlässlich der "Douglas Sirk Collection" von Koch Media noch einen zusammenfassenden Text auf F.LM.

#1164 Funk_Dogg

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Geschrieben 03. März 2008, 20:55

Filme von Don Siegel

Madigan (USA 1968)
Regie: Don Siegel

Kein guter Tag für die New Yorker Cops Dan Madigan (Richard Widmark) und Rocco Bonaro (Harry Guardino): Als sie dem gesuchten Verbrecher Barney Benesch (Steve Ihnat) einen Besuch abstatten, entwischt dieser ihnen nicht nur, er nimmt ihnen auch noch ihre Dienstwaffen weg. Von ihrem Vorgesetzten erhalten Madigan und Bonaro 72 Stunden Zeit, um Benesch dingfest zu machen ...

Mit diesem Film lieferte Don Siegel in vielerlei Hinsicht die Blaupause für den modernen Copfilm, der er dann drei Jahre später mit DIRTY HARRY die dazugehörige Dekonstruktion folgen ließ, die ihrerseits wieder Blaupause wurde. In MADIGAN ist bereits alles vertreten, was zum Inventar des Genres gehört: der „Held“, der nie ganz makellos sein darf; der ruhigere Partner, der die Mätzchen seines Kollegen stets geduldig erträgt; die Polizistengattin, die sich von ihrem Mann allein gelassen fühlt; der Commissioner, der sich vom Alltag auf der Straße völlig entfernt hat und von seinem Schreibtisch aus über die Existenz seiner Männer entscheidet; der alternde Polizist, der von der Zeit langsam überholt wird. Dennoch verläuft MADIGAN alles andere als schematisch. Auffällig ist vor allem, wie wenig Siegel an einer exploitativen Ausreizung des Krimiparts interessiert ist. Mit seiner Perspektive nähert er sich einem dokumentarischen Blick auf den Polizeialltag an, begibt sich in die Nähe der police procedurals, die den langweiligen, zermürbenden Polizeialltag zeigen: Auch Madigan und Bonaro heizen weder halsbrecherisch mit ihrem Wagen durch die Straßenschluchten Manhattans, noch liefern sie sich an jeder Straßenecke eine wilde Schießerei. Ihr Job besteht aus der Befragung zwielichtiger Gestalten, deren Informationen mehr oder weniger verlässlich sind, und elender Warterei. Viel mehr als als Bewahrer der Sicherheit werden sie als eine Art bewaffnete Sozialarbeiter gezeichnet. Als Madigan und Bonaro dem falschen Hinweis eines alten Mannes folgen, konstatiert Madigan danach sachlich: „Er fühlte sich einfach einsam.“ Für Madigan ist Manhattan ein Dorf: In der Bar erhält er Freidrinks, weil er als guter Cop bekannt ist, und die er gern annimmt, weil er auf den Mann auf der Straße angewiesen ist. Die Regeln des Apparats, die solche Gefälligkeiten untersagen, mögen auf dem Papier gut klingen, in der Realität lassen sie sich kaum anwenden. Und selbst diese 72 Stunden, in denen Madigan und Bonaro unter ziemlichem Erfolgsdruck stehen, um ihren Fehler auszubügeln, können sie nicht aus ihrer an Lethargie grenzenden Routine reißen: Vor allem Madigan möchte eigentlich viel lieber ausruhen und dabei einen Whiskey nach dem anderen kippen. Warum er diesen Job ausübt, weiß er wohl selbst kaum noch.

Als Spiegelbild und Schatten Madigans steht ihm der besagte Commissioner gegenüber und mit diesem ein zweiter, parallel verlaufender Handlungsstrang. Russell hat es vom kleinen Polizisten bis an die Spitze der New Yorker Polizei geschafft, aber ein echter Polizist ist er nicht. Er weiß das und man sieht ihm an, dass der Gewinn dieser Erkenntnis für ihn nicht ohne Schmerzen vonstatten gegangen ist. Russell ist der Chef des Teams, doch er kämpft allein: Seine Untergebenen können noch so harte Hunde sein, wenn sie ihm gegenüber stehen, zittern sie – wie Madigan, dessen Umtriebigkeit Russell insgeheim bewundert. Er sitzt allein in seinem Büro, leistet repräsentative Aufgaben, steht wichtigen Bürgern der Stadt persönlich Rede und Antwort, und muss über die Karrieren seiner Leute befinden; im schlimmsten Fall über seine besten Freunde, wie etwa Charles Kane (James Whitmore), der sich bestechen ließ, um seinen Sohn aus einer prekären Situation zu boxen. Auch Russell ist ein Sozialarbeiter wie Madigan, auch er muss die Interessen der Bürger wahren und ihnen kleine Gefälligkeiten erweisen, aber er arbeitet auf einer anderen, höheren Ebene, auf der man sich die Hände höchstens noch im übertragenen Sinne schmutzig macht. Seine gehobene Stellung hat ihn vom einfachen Polizisten und seinen Aufgaben entfremdet: Die Entscheidungen, die Russell trifft, sind abstrakt, klar und einförmig wie die Akten, die seine Untergebenen ihm auf den Tisch legen. Das Wissen, dass hinter den in diesen Akten beschriebenen Korruptionsfällen und Anschuldigungen menschliche Einzelschicksale stehen, muss Russel von sich fernhalten. Auch die Erfahrung mit seinem Freund Kane, dem er sich niemals offenbart, kann für ihn nicht zu einer grundsätzlichen Revision seiner Vorgehensweise führen. Russell muss die graue Eminenz im Hintergrund bleiben, die aus der Distanz unbarmherzige Entscheidungen trifft und damit den Hass auf sich zieht, der sich jedoch nie artikuliert, weil alle Angst vor ihm haben. Wenn Madigan am Schluss nach einer Schießerei mit Benesch seinen Verletzungen erliegt, bleibt für Russell keine Zeit für Trauer. Aus seinen eisblauen Augen guckt er so ausdruckslos wie eh und je, seine Traurigkeit fühlt er schon lange nicht mehr, weil sich das Gefühl längst abgenutzt hat. Madigan ist abgehakt, es geht weiter im Text, die nächsten Termine warten schon ...

#1165 Funk_Dogg

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Geschrieben 03. März 2008, 21:42

Imitation of Life (USA 1959)
Regie: Douglas Sirk

Die Witwe und arbeitslose Schauspielerin Lora Meredith (Lana Turner), Mutter der kleinen Susie (Sandra Dee/Terry Burnham), begegnet am Strand von Coney Island der schwarzen Annie Johnson (Juanita Moore), ihrerseits Mutter der hellhäutigen Sarah Jane (Susan Kohner/Karin Dicker). Spontan nimmt Lora die obdachlose Frau bei sich auf, die sich sogleich als Haushälterin nützlich macht und Lora mit Kräften beiseite steht. Während Lora an der Erfüllung ihres Traums, eine berühmte Bühnenschauspielerin zu werden arbeitet, kündigen sich jedoch große Probleme an: Sarah Jane leidet unter der Hautfarbe ihrer Mutter, kann nicht akzeptieren, keine „echte“ Weiße zu sein. Zehn Jahre später ist Lora ein großer Star, doch gleichzeitig haben die Ängste der adoleszenten Sarah Janes einen Höhepunkt erreicht: Sie reißt von zu Hause aus ...

Mit seinem letzten amerikanischen Film vor seiner Rückkehr nach Deutschland liefert Sirk das beeindruckende Remake des gleichnamigen Films von John M. Stahl aus dem Jahr 1934 ab. In gewohnt opulenter Bildsprache widmet sich Sirk dem Thema Rassismus, dem im Jahr 1959 noch einige Brisanz innewohnte. Dennoch ist IMITATION OF LIFE kein langweiliger Thesenfilm geworden, sondern ein äußerst bewegendes Stück Gefühlskino, das die Lieblingsthemen seines Regisseurs zu jeder Zeit eloquent artikuliert. Sirks Charaktere – allen voran Lora und Sarah Jane, aber auch Susie und Steve, fallen auf ein verzerrtes Selbstbild herein, das sie letztlich daran hindert, echtes Glück zu finden. Sie leben – so ist auch die Bedeutung des Titels zu erklären – kein echtes Leben, sondern nur eine Imitation desselben, ein Leben, von dem sie glauben, dass es „gut“ ist. Lora ordnet alles ihrer Karriere unter, verliert darüber nicht nur ihren Steve aus den Augen, sondern auch ihre eigene Tochter, Sarah Jane hingegen ist so besessen davon „normal“ zu sein, dass sie darüber ihre Herkunft verleugnet und ihre Mutter verrät. Beide lassen sich ihr Leben von der Gesellschaft oktroyieren: Lora will beweisen, dass sie auch als Witwe und alleinerziehende Mutter ihr Leben meistern kann, Sarah Jane ist von einem System geprägt, in dem der Schwarze immer noch ein Mensch zweiter Klasse ist.

Sirks Film ist seines traurigen Themas zum Trotz eine wahre Pracht: Sein bildkompositorisches Gespür ist beachtlich, vor allem der kreative Einsatz von Schatten sticht als markantestes Gestaltungselement hervor. Szenen wie jene, in der Sarah Jane von ihrem „Freund“ in einer dunklen Gasse verdroschen wird, weil sie ihm nicht die Schmach erspart hat, mit einer „Niggerin“ gesehen zu werden, sind von einer ungeschminkten Direktheit, die man in einem solchen Film eigentlich niemals erwartet hätte. Sirk entpuppt sich hier als seiner Zeit weit voraus, trifft mit seiner Inszenierung mitten ins Herz des empfindsamen Zuschauers und lässt seinen Film mit dem von Gospel-Königin Mahalia Jackson während der Beerdigung Annie Johnsons intonierten „Trouble ist he World“ zu einem Zeitpunkt kulminieren als eine Steigerung längst nicht mehr möglich scheint. Spätestens zu diesem Zeitpunkt brechen auch beim hartgesottensten Zuschauer alle Dämme. Man mag die Fünfzigerjahre als „spießig“, „intolerant“ und „kleinbürgerlich“ abgespeichert haben: Sirks IMITATION OF LIFE ist ein Monument der Toleranz, vor dessen inhaltlichem Reichtum und formaler Schönheit ähnlich motivierte aktuellere Filme demütig in den Staub sinken, um ihr Antlitz schamvoll zu verstecken. Anbetungswürdig.

#1166 Funk_Dogg

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Geschrieben 05. März 2008, 11:33

Les Voleurs (Frankreich 1996)
Regie: André Téchiné

Justin (Julien Rivière), ein zehnjähriger, nachdenklicher Junge, wird eines Nachts von Stimmen aus dem Wohnzimmer geweckt. Als er die Treppe hinabsteigt, findet er ein aufgeregtes Treiben seiner Familie vor und auf der Couch liegt sein Vater Ivan (Didier Bezace): tot, erschossen.

Ivan wiederum hat von seinem Vater das Familiengeschäft übernommen: den groß angelegten Handel mit gestohlenen Autos. Das Geschäft läuft gut, nebenbei kann er noch einen Nachtclub eröffnen das „Mic-Mac“, in dem eine Transvestitenshow das Publikum zieht. Sein bester Mann im kriminellen Geschäft ist der junge Jimmy (Benoît Magimel).

Jimmy hat nie etwas anderes gelernt, als krumme Dinger zu drehen. Neben seiner Tätigkeit fungiert er als Vaterersatz für seine jüngere Schwester Juliette (Laurence Côte), die er ebenfalls ins Milieu einführt. Für Ivans nächsten großen Coup erteilt er ihr den Auftrag, eine Liaison mit dem Polizisten Alex (Daniel Auteuil) einzugehen, Ivans jüngerem Bruder, um diesen, der seinem Bruder immer auf den Fersen ist, zu kompromittieren.

Alex ist das schwarze Schaf seiner Familie, weil er sich für den Polizeidienst, anstatt für eine kriminelle Laufbahn entschied. Dieser Status als Außenseiter hat seine gesamte Weltsicht geprägt: Alex ist ein Einzelgänger, der das Leben ohne große Hoffnungen betrachtet. Das ändert sich als er Juliette kennenlernt und eine heftige sexuelle Affäre mit ihr beginnt - nicht ahnend, dass alles abgekartet ist Doch dann erfährt er, dass es noch eine andere Person in Juliettes Leben gibt: die Philosophieprofessorin Marie (Catherine Deneuve).

Marie, eine alternde Schönheit, ist fasziniert von Juliette und plant, deren Lebensgeschichte zu einem Buch zu verarbeiten. Dass ihre Geliebte sich in einem kriminellen Umfeld bewegt, interessiert sie nicht. Für sie ist das auch nur ein Weg, sein Leben zu leben. Dass Alex alles daran setzt, seinen Bruder dingfest zu machen, begreift sie als Verrat. Erst nach einigen Treffen mit dem Polizisten erkennt sie, dass auch dieser nur den Weg beschreitet, der ihm vorgezeichnet ist.

André Téchiné erzählt seine Geschichte als ein Mosaik verschiedener Perspektiven, dessen Chronologie er gnadenlos zersplittert. Es geht ihm weder um die Rekonstruktion eines schiefgelaufenen Verbrechens noch um dessen Aufklärung. Stattdessen beleuchtet er die Beweggründe seiner Protagonisten, ohne diese zu verurteilen. LES VOLEURS ist ein ungewöhnlicher Film mit einer ungewöhnlichen Perspektive und ungewöhnlichen Figuren: Die Kriminellen sind die „Normalen“, der Polizist ist der Außenseiter, beinahe schon ein Soziopath, der auf die Frage seiner Geliebten, warum sie sich beim Sex nicht ausziehen dürfe, antwortet, dass er die Berührung nackter Haut nicht ertragen könne, sich davor ekle. Aber Téchiné schwelgt nicht im Abnormen und Abseitigen, vielmehr erzählt er von einer Welt, in der es den biederen Durchschnitt gar nicht gibt: Jeder hat seine Bürde zu tragen, jeder muss seinem Leben selbst einen Sinn geben.

Am Schluss übernimmt der selbstbewusste Jimmy die Erziehung des kleinen Justin. Wahrscheinlich wird auch Justin auf die schiefe Bahn geraten und irgendwann den Polizisten Alex, seinen Onkel, im Nacken spüren. Aber so ist das eben. Man kann es sich nicht immer aussuchen, manche Entscheidungen trifft man nicht selbst, oft ist es eher umgekehrt. Trotzdem lebt man. Oder man bringt sich um.

Téchinés Film ist so einzigartig wie rätselhaft. Ich muss ihn unbedingt noch einmal sehen.

#1167 Funk_Dogg

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Geschrieben 05. März 2008, 22:18

Pssst, nicht weitersagen: Meine Rezensionen aus der aktuellen SPLATTING IMAGE kann man auch auf F.LM lesen:

NO COUNTRY FOR OLD MEN
und
SWEENEY TODD

#1168 Funk_Dogg

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Geschrieben 06. März 2008, 12:04

Filme von Don Siegel

Coogan’s Bluff (USA 1968)
Regie: Don Siegel

Deputy Sheriff Walt Coogan (Clint Eastwood) aus Arizona erhält den Auftrag, den im „Grand Canyon State“ straffällig gewordenen New Yorker James Ringerman (Don Stroud) in New York abzuholen und nach Arizona zu überführen. Als Coogan in der Ostküstenmetropole eintrifft, schlagen ihm jedoch vor allem Vorurteile und Spott entgegen. Hinzu kommt, dass er seinen Auftrag nicht erfüllen kann, weil Ringerman nach einem LSD-Trip vorerst im Krankenhaus liegt. Coogan ist aber fest entschlossen, möglichst schnell mit seinem menschlichen Gepäck zurückzureisen und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Gesetze nach seinem Verständnis zu beugen ...

Der Auftakt des Films erinnert an Siegels EDGE OF ETERNITY: Die Kamera fängt die weite, menschenleere Prärie ein, ein Schnitt auf einen in den Felsen hockenden Indianer, der auf einem Stück Hühnchen herumkaut, versetzt den Betrachter automatisch in die Zeit des Wilden Westens, was Siegel dann aber mit dem nächsten Schnitt wieder zunichte macht: Ein Auto fährt durch das Tal, zieht eine große Staubwolke hinter sich her. Wir sind in der Gegenwart angelangt, in der der edle Wilde sich dem Zivilisierten beugen muss. Obwohl er die Sonne im Rücken hat, hat der Indianer gegen Deputy Coogan keine Chance. Mit COOGAN’S BLUFF treibt Siegel das Konzept und die Aussagen des Spätwesterns auf die Spitze. Der Cowboy ist hier nicht mehr Bestandteil einer im Wandel begriffenen Zeit, die ihm bald schon den Lebensraum geraubt haben wird, vielmehr hat er sich in die Gegenwart hinübergerettet und existiert als Relikt in dieser weiter: Coogan ist der Cowboy in der Moderne. Wenn er von erhöhtem Standpunkt aus – dem titelgebenden „Coogan’s Bluff“, einer Anhöhe im Norden New Yorks, die an die Topografie seiner Heimat Arizona anmutet – auf das sich scheinbar endlos vor ihm ausdehnende New York hinabblickt, wird er eindeutig mit dem Indianer vom Anfang parallelisiert. Und seine Haltung zu der Welt, die er dort unten vor sich sieht, äußert sich in seiner Aussage, er versuche sich vorzustellen wie es dort unten aussah, bevor der Mensch kam und „fouled everything up“. Coogan repräsentiert das Alte und deswegen muss er in New York, der Apotheose der Zivilisation, ein Fremdkörper sein. Siegel inszeniert diesen clash of the cultures als Komödie, die viele Elemente des Vorgängers MADIGAN aufgreift und den Boden für die in den Achtzigerjahren aus dem Boden schießenden Buddy-Komödien bereitet: Mit Don Stroud und Susan Clark tauchen zwei Schauspieler aus MADIGAN erneut auf und ermöglichen eine Verbindung zwischen beiden Filmen herzustellen. Wurde ersterem in seiner Rolle als kleiner Gauner Hughie noch von Dan Madigan unterstellt, er brauche dringend einen Haarschnitt, darf er sich als Ringerman gleich im blühenden Hippie-Milieu tummeln, das für den geradlinigen, kantigen Coogan wie die Fantasie eines Irren anmuten muss, wie die extreme Potenzierung allen urbanen Übels. Das Polizeiwesen, mit dem er konfrontiert wird, die Bürokratie, Lustlosigkeit und Kooperationsunwilligkeit von Detective McElroy (Lee J. Cobb) steht seiner Einstellung zum Job diametral entgegen: Coogan ist „von Natur aus“ ein Jäger. „Man lernt seine Opfer kennen, wenn man sie einmal mehrere Tage gejagt hat“, sagt er und erntet Unverständnis. Am Ende, wenn er Ringerman nach einer Verfolgungsjagd – die er fast mutwillig verursacht, damit er ihn auf seine Weise festnageln kann – endlich zur Strecke gebracht hat, hat sich tatsächlich etwas zwischen den beiden verändert: Im Hubschrauber sitzen die beiden nebeneinander und Coogan bietet seinem Häftling eine Zigarette an.

Um COOGAN’S BLUFF – dessen deutscher Titel COOGAN’S GROSSER BLUFF reichlich hilflos daherkommt – als Meisterwerk oder ähnliches zu bezeichnen, fehlt ihm wohl etwas der Ernst. Noch im selben Jahr entstanden wie MADIGAN trägt er alle Zeichen eines locker-flockigen Übergangsfilms. Die Tragik von MADIGAN vermeidet er ebenso wie die rohe Brutalität und den Nihilismus eines THE KILLERS, von dem er aber die bizarren Perspektiven in seinen wenigen Gewaltszenen übernimmt. COOGAN’S BLUFF ist eine Komödie und ein früher und keineswegs unbedeutender Schritt hin zu einer Postmodernisierung des Genres. Und Clint Eastwood hat seine unverwechselbare Masche, Dialogzeilen mundfaul zwischen den Zähnen hindurchzuzischen hier schon bis zur Perfektion kultiviert. Schöner Film.

#1169 Funk_Dogg

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Geschrieben 07. März 2008, 15:21

La femme infidèle (Frankreich 1969)
Regie: Claude Chabrol

Charles und Hélène Désvallees (Michel Bouquet und Stéphane Audran) sitzen nach dem Besuch von Hélènes Mutter, einer rüstigen Dame mit Sportwagen, nebeneinander auf der Couch. Sie wackelt nervös mit den beiden, er hat nur Augen für den Fernseher, auf dem ein langweiliger Experimentalfilm läuft, den er als "sehr witzig" bezeichnet. Die beiden reden nur noch zu- aber längst nicht mehr miteinander. Vor allem Charles begreift seine Frau als Einrichtungsgegenstand, dessen Besitzrecht er einst erworben und mit einem luxuriösen Eigenheim in Versailles und einem klugen blonden Sohn abgegolten hat. Wenn er sich mit seiner attraktiven Gattin ins Schlafgemach zurückzieht , wird die Musik nicht zur romantischen Untermalung des Liebesspiels angeschaltet, sondern als Einschlafhilfe. Er dreht sich um, während ihre Augen in der Dunkelheit nachglimmen. Als in ihm wenig später der Verdacht wächst, sie könne ihn möglicherweise betrügen, engagiert er einen Detektiv, der ihm bald schon das Foto von einem gewissen Victor Pegala präsentiert, den seine Frau dreimal in der Woche aufsucht. Man sieht wie die Erkenntnis mit äußerster Gewalt einbricht, wie Charles einen Teil seiner männlichen Souveränität verliert. Fast ist es als habe er eine ansteckende Krankheit: „Ich denke, wir werden uns nicht mehr wiedersehen“, sagt der Detektiv und verschwindet peinlich berührt. Schnell weg, bevor etwas vom Makel Charles abfärbt.

Das Wissen über die Affäre seiner Frau führt bei Charles jedoch nicht zu einem Überdenken des eigenen Verhältnisses zu Hélène, zum Versuch einer Rückeroberung, vielmehr wird der männlich-aggressive Rachemotor angeworfen: Wenn ich meine Frau nicht glücklich machen kann, soll das auch kein anderer. Und so besucht er den Liebhaber seiner Frau. In einer Gänsehaut erzeugenden Szene voller innerer latenter Spannung stellt er sich Pegala als Mann Hélènes vor, zu der er, so Charles, eine „offene Beziehung“ führe, in der jeder ein großes Maß an Vertrauen und Freiheiten genieße und niemand dem anderen etwas verheimliche. Man weiß, dass es ihn innerlich fast zerreißt, aber mit eingefrorenem Lächeln markiert er den aufgeschlossenen Libertinär. Dann sagt er, dass er gern das Schlafzimmer sehen wolle. „Sind Sie ein Perverser?“ fragt Pegala, führt Charles aber dennoch zu dem Bett, in dem seine Frau sich das geholt hat, was sie von ihm nicht mehr bekommen hat. Es muss dieser Moment sein, der Moment, in dem er sieht, dass Hélène ihrem Liebhaber ein Geschenk von Charles vermacht hat, in dem es bei ihm „klick“ macht. Als er das Zimmer verlässt, packt ihn der Schwindel, er fühle sich nicht gut, sagt er ... Wenige Sekunden später liegt Pegala tot am Boden, erschlagen mit einer Statue. In äußerster Seelenruhe verwischt Charles alle Spuren und fährt nach Hause, wo sein Sohn Geburtstag feiert. Schnell ein Whiskey, dann kehrt langsam die innere Ruhe zurück.

Das Szenario vom Anfang wiederholt sich: Charles führt sein gewohntes Leben innerlich feixend fort, während Hélène sich wieder an das alte Gefühl des Mangels gewöhnen muss. Brutale Ungerechtigkeit: dass seine Frau unglücklich ist, ist ihm egal, solange die alten Machtverhältnisse wieder hergestellt sind. Dann kommt irgendwann die Polizei.

Claude Chabrols LA FEMME INFIDÈLE ist von eisiger Kälte: Zwischen den Figuren, Charles und Hélène, aber auch zwischen diesen und ihren Freunden scheint jemand unsichtbare Wände hochgezogen zu haben. Alle lächeln freundlich, aber die Gesichtszüge sind eingefroren. Außer Hélène scheint niemand diesen Mangel an Nähe und Wärme zu spüren. Das Bürgertum ist in seinen Ritualen erstarrt, der schöne Schein indes muss aufrecht erhalten werden. Doch die auf Hochglanz polierte Fassade verbirgt anders etwa als in Chabrols Spätwerk LA FLEUR DU MAL keine menschlichen Abgründe, hinter ihr lauert nur noch gähnende Leere. Schwere Klaviermusik untermalt die Tristesse und vor dem Fernsehschirm beginnt man zu frösteln.

#1170 Funk_Dogg

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Geschrieben 09. März 2008, 00:02

Filme von Don Siegel

Death of a Gunfighter (USA 1969)
Regie: Allen Smithee (Don Siegel/Robert Totten)

Das kleine Städtchen Cottonwood Springs steht an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Die Eisenbahn ist schon da und der Bürgermeister macht die Straßen mit seinem Auto unsicher. Marshall Frank Patch (Richard Widmark) ist hingegen noch von altem Schrot und Korn und dem Stadtrat deswegen ein Dorn im Auge. Weil er seine Stelle aber nicht freiwillig räumen will, formiert sich bald bewaffneter Widerstand ...

Weil der ursprüngliche Regisseur Robert Totten sich schon früh mit seinem Star Widmark überwarf, ersetzte ihn der Routinier Siegel, der seinen Namen für den fertigen Film jedoch nicht hergeben wollte. So ist DEATH OF A GUNFIGHTER heute vor allem als filmhistorische Kuriosität interessant, handelt es sich bei ihm doch um den ersten Film, der dem armen Alan bzw. hier Allen Smithee in die Schuhe geschoben wurde. Im Vergleich zu vielen anderen Filmen aus dessen hochgradig heterogenem Werk ist DEATH OF A GUNFIGHTER aber als durchaus gelungen zu bezeichnen. Siegel (den ich jetzt einmal als Hauptverantwortlichen bezeichne) zeigt in diesem Spätwestern nämlich sehr nachdrücklich, dass die Zeitenwende notgedrungen mit Blut bezahlt wird und nicht schmerzlos zu haben ist. Der alte Revolverheld Frank Patch ist kein Mann, der einfach so in den Ruhestand abtritt – das gehört einfach nicht zu seinem Naturell, zumal ihm die Honorationen der Stadt bei seiner Einstellung vor 20 Jahren ihr Wort gaben, dass er den Job so lange machen dürfe, wie er wolle. Ein Wort ist für Patch ein Wort, und das hat auch dann noch Bestand, wenn sich die Verhältnisse längst geändert haben. Die Bonzen aus dem Stadtrat sehen das ein bisschen anders: Ein schickes Städtchen, wie es Cottonwood Springs ist, kann sich keinen gammligen Gunslinger leisten, das passt einfach nicht mehr ins fein säuberlich gezeichnete Bild. Die Geschichte hat mehrfach bewiesen, dass Systeme selten in aller Stille abtreten und so ist es auch hier: Am Ende sieht sich Patch einer bewaffneten Übermacht gegenüber. Der König ist tot, es lebe der König.

DEATH OF A GUNFIGHTER besticht durch seine Reduktion auf einen Schauplatz und einen relativ kurzen Zeitraum. Diese Kompaktheit möchte man Siegel anrechnen, der dafür mit den melodramatischen Untertönen und dem breit angelegten Figurenspektrum wahrscheinlich eher weniger anzufangen wusste. Anstatt sich ganz auf den Konflikt zwischen dem Raubein und den Frühkapitalisten zu konzentrieren, musste Siegel eine Art Sittengemälde anfertigen, was für ihn, der ja sehr klare, geradlinige Konstellationen bevorzugte, eher untypisch ist. Dennoch ist DEATH OF A GUNFIGHTER ein äußerst sehenswerter kleiner Western geworden, der sein Thema mit einer traurigen, aber leisen Nostalgie auflädt, die ihn emotional eher in die Nähe eines RIDE THE HIGH COUNTRY als eines THE WILD BUNCH rückt. Die narrative Klammer des Films – die Verladung des Sarges des toten Marshalls – unterstreicht dies eindrucksvoll.





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