Geschrieben 16. November 2003, 17:50
15. November 2003 | ANNAS HEIMKEHR (D 2002) | TV
"Zieht man all jene in Betracht, die zum Genozid beitrugen, weil sie in den entsprechenden Institutionen arbeiteten und die ihnen zukommenden Rollen erfüllten, und berücksichtigt man dann noch die viel größere Zahl derer, die im Gesamtsystem der Unterdrückung tätig waren - dessen Umfang mit über 10 000 bisher identifizierten Lagern nur angedeutet wird -, dann gelangt man unweigerlich zu dem Schluß, daß die Zahl derer, die das verbrecherische Regime unterstützten oder davon wußten, schwindelerregend hoch ist. Und dennoch ist über diese Leute so wenig bekannt."
(Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker)
Deutschland 1942. Eine jüdische Familie wird abtransportiert. Das Kindermädchen Anna (Veronica Ferres) versteckt die Tochter der Familie und flieht mit ihr in Annas Heimatdorf in den Bayerischen Wald. Dort hat es Annas Bruder Toni (Herbert Knaup) bis zum Bürgermeister und Chef-Nazi des Dorfes gebracht. Die Konflikte sind vorprogrammiert. Anhand der Figur des Toni schildert der Film sehr präzise den Alltag im 1000jährigen Reich. Wie moralisch bankrott (stolz schenkt Toni seiner Frau den "arisierten" Schmuck einer deportierten Jüdin) und bis in die höchste Führung korrupt dieses System war (für Papiere für das Mädchen muß Toni 20 kg Fleisch berappen).
Sehr gut getroffen ist auch der katholische Dorfpfaffe, der das sakrosankte Beichtgeheimnis bricht, um das jüdische Mädchen zu denunzieren (auch das eine Historie, die noch nicht geschrieben wurde, aber die Pfaffen werden sich hüten, das Maul aufzumachen). Annas Mutter, die den 2000jährigen Judenhaß des Christentums bis in die Haarspitzen verinnerlicht hat. Mit Recht schmeißt ihr Anna das Kreuz vor die Füße. Überhaupt die ganzen kleinen abstoßenden Sätze, die den Dörflern da immer wieder aus dem Mund rutschen, daß die Juden nur das bekämen, was sie verdienen etc. Da erreicht der Film eine traurige Aktualität.
Leider ist dies nur der Hintergrund, auf den sich die eigentliche Geschichte wie eine Folie legt und ihn somit unscharf, nebensächlich erscheinen läßt. Der Fokus liegt eindeutig auf der guten Deutschen in Gestalt der Anna und hinterläßt einen schalen Geschmack. Es ist offensichtlich nicht möglich, eine Geschichte aus dem Dritten Reich zu erzählen, ohne einer Deutschen bzw. einem Deutschen eine heldenhafte Stellvertreterfunktion zuzuweisen. Bei der derzeitigen Geschichtsrevision scheint es mehr als unwahrscheinlich, daß ich noch mal einen deutschen Film zu Gesicht bekomme, der konsequent die Tätergeschichten erzählt.
Deep Red
"Was für Idioten, was für eine Dreckskaste. Ein solcher Korpsgeist wie in der deutschen Presse findet sich allenfalls noch bei alten Wehrmachtsoffizieren."
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