Sweet Dreams
#31
Geschrieben 04. Juli 2003, 22:49
Gewerkschafter: Handlanger des Systems
Melancholie
Und denen, die noch leben, geht es so:
Der eine sehnt aus dunkler Zelle nach dem Licht,
das hinter Gittern ihm von Freiheit lügt.
Vielleicht schon glücklicher der in der Nachbarzelle
rennt mit dem Irrsinnsschädel gegen Steinwand an.
Der Rest sind Arbeitstiere.
Die Riemen schneiden ihnen tief ins Fleisch.
Sie fühlen es nicht mehr.
Sie fühlen nicht die Peitsche auf dem Knochenrücken.
Sie fühlen nicht die Wunden an dem nackten Fuß.
Sie fressen jedes Futter aus des Herren Krippe.
Freudlos schon lange, nun auch willenlos.
Ihr Glaube stickt
in Krankheit, Dreck und Ekel vor Verrat.
Hunger würgt Revolution.
Die Fäuste sinken und der Haß wird müde.
Der Hoffnungsfunke ihrer Augen lischt.
Des Hetzerdichters Strophe trifft auf taubes Ohr.
Seht eurer Ausbeuter zynisches Wohlleben!
– es stört sie nicht.
Hört ihr den Siegerhohn der Soldateska toben?
– es reizt sie nicht.
Erkenntnis stirbt.
Gefühl ist ausgepreßt.
Weiter nicht mehr.
Am Gashahn hängt der hohle Blick.
Nur dieser letzte Klassenstolz ist wach:
Wenn schon – dann lieber auf der Barrikade. –
Auf Straßenpflaster sickert unser Blut.
Langsam werden wir ermordet.
(Oskar Kanehl)
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#32
Geschrieben 06. Juli 2003, 15:26
Nach all den Jahren: Immer noch ein fast guter Film.
"Mein lieber Freund, die kann aus der Dachrinne saufen."
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#33
Geschrieben 06. Juli 2003, 21:52
Kein Kommentar.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#34
Geschrieben 07. Juli 2003, 11:02
"Gegen Ende eines Jahrtausends wird Satan zurückkehren und unter uns wandeln - nicht als Biest, sondern als Schönheit."
(Das etruskische Buch der Toten)
"Die erste Frage, die bisher noch nicht gelöst werden konnte: Was für eine Begründung gibt es für den Fall der schlechten Engel? Das Böse? Aber dann wäre das Böse ja dem Satan vorangegangen, und dieser wäre nicht dafür verantwortlich. Ein schreckliches Dilemma, denn wenn Satan nicht der Erfinder des Bösen ist, wer dann?"
(Gerald Messadié: Teufel, Satan, Luzifer - Universalgeschichte des Bösen)
"Uelzen schreibt die Bibel (neu)" - so hieß das Motto, mit welchem die Lokalchristen auf sich aufmerksam machen wollten. Aber schon das Motto war eine einzige Lüge (wie eigentlich ihr ganzes Leben). Es ging nicht darum, die Bibel neu zu schreiben, sondern lediglich das NT handschriftlich zu kopieren, um es anschließend gewinnbringend für eine gute Sache zu verhökern. Damit der heutige Depp nicht die Fehler der historischen Bibelkopisten wiederholt, wachten ein paar Aufseher mit Argusaugen über die Reinheit der Texte. Da war eine Diskussion mit ein paar gerade der Minderjährigkeit entronnenen Rotznasen über leicht veränderte Texte zum Scheitern verurteilt. Dabei hätte ich gerne die Legende vom Lila Einhorn dort verewigt. Daran zu glauben dürfte nämlich nicht schwerer fallen, als der Glaube an einen Gott (der Glaube eines Menschen muß nur stark genug sein - oder die Dummheit groß genug).
Eine andere, eine etruskische Legende besagt: Dem Satan müssen 18 "bezaubernde Engel" vorgeführt werden und einer von ihnen wird dazu auserkoren, Luzifers Werk fortzuführen. Warum 18 mag man sich fragen, aber zählt man 6 und 6 und 6 zusammen, kommt dabei eben 18 heraus. Man muß nur die biblische Unlogik bemühen, dann paßt alles wunderbar. Natürlich geht es nicht um echte Engel, sondern nur um engelsgleiche Kinder, von denen man allerdings nur die Gesichter braucht. Die entsprechenden (seelenlosen) Hüllen werden mittels der Klontechnologie produziert - irgendwie so oder so ähnlich. Anmerkung für alle angehenden Bestsellerautoren bzw. Regisseure: Je größer die Ansammlung von Flachsinn, desto geringer die Konzentration des Zuschauers.
Die Satanisten tarnen sich - was liegt näher - als Mönche. Der Wolf im Schafspelz, könnte man jetzt meinen (würde andersherum aber auch, vielleicht sogar: besser funktionieren, aber erzähl das mal einem überzeugten Christen). Das alles ist nicht einmal gut gedacht, das ist einfach nur schlecht. Die writing credits gehen an David Seltzer, der hier praktisch sein eigenes Werk recycelt. Das Ganze wirkt teilweise tatsächlich wie ein Remake von DAS OMEN.
DER ACHTZEHNTE ENGEL ist nie spannend, immer vorhersehbar. Besonders ärgerlich ist die Verquickung von moderner Wissenschaft mit Satanismus. Der unbedarfte Zuschauer bekommt hier schnell den Verdacht, daß Wissenschaft reines Teufelszeug sei. Anstatt die Gen- und Klontechnologie als Chance zu begreifen, die Evolution des Menschen auf nicht ganz natürliche Weise voranzutreiben.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#35
Geschrieben 08. Juli 2003, 11:50
Nach all den Jahren: Immer noch ein schlechter Film.
California Dreamin'
Kid with the right attitude
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#36
Geschrieben 12. Juli 2003, 23:52
"Wohin?"
"Irgendwohin. Nur weg hier."
Tropico: Das ist einer dieser unzähligen in die Landschaft gekotzten Betonhaufen, die es in jedem westlichen Industrieland zuhauf gibt. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was bei den Stadtplanern und Architekten größer ausgeprägt ist: Ihre Gier nach Geld oder ihr Haß auf Menschen. In diesen Brutstätten der Desillusionen gibt es nur zwei Alternativen: Entweder du vegetierst dem Tod entgegen oder du schaffst den Sprung heraus. Aber dieser (lebens-)rettende Sprung ist groß und teuer und mit ehrlicher Arbeit nicht zu bewerkstelligen.
Tropico: Der Name ist Verheißung - und schon der erste Blick birgt nur Enttäuschungen. Konsequent ist es da, daß der Held auf der Müllkippe arbeitet. Werden diese versteinerten Gemeinschaften von Menschen ohne Gemeinsamkeiten doch gerne abfällig als Hinterhöfe bzw. Müllkippen bezeichnet.
Raus, aber wie? Das ersehnte Erbe erweist sich als ein Haufen Schulden, so bleibt zwangsläufig nur der Weg in die Kriminalität. Der Deal geht schief und der pusher schwallt - ganz auf der Höhe der Zeit - über Ökonomie. Warum, wird hier nicht verraten. Um Verrat geht es in diesem intelligenten Film, und Verrat wäre es, auch nur einen von BEST LAID PLANS schönen plot twists preiszugeben.
Deep Red
P.S.: An das Gesicht von Reese Witherspoon, dieser bizarren suburbia-Barbie, werde ich mich wohl nie gewöhnen.
(Klaus Theweleit)
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#37
Geschrieben 14. Juli 2003, 21:17
"Die wichtigste Stunde, in unserem Leben ist immer der gegenwärtige Augenblick; der bedeutsamste Mensch ist immer der, der uns gerade gegenübersteht; das notwendigste Werk in unserem Leben ist stets die Liebe."
(Leo Tolstoi)
Die Idee, daß ein Mensch der Gegenwart durch die Zukunft mit seiner Vergangenheit ins Reine kommt, ist nicht die schlechteste - aber leider auch nicht die neueste. Und weil Regisseur Takashi Yamazaki sich sicherlich im Klaren darüber war, daß sein Drehbuch nicht mehr als diese eine, auch nur halbwegs eigenständige Idee bietet, kommt RETURNER als wildes, unerschrockenes Zitate-Kino daher. Die andauernde Bewegung in diesem Film ist aber nur eine simulierte und kann nicht über den Stillstand hinwegtäuschen, in den sich dieser Ableger des SF-Genres durch seine Unselbständigkeit katapultiert. Letztlich kann man dem Film nicht böse sein, denn dafür macht er viel zuviel Spaß.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#38
Geschrieben 19. Juli 2003, 23:37
Zwei Pluspunkte: Claire Danes & Kate Beckinsale
Vier Minuspunkte: Bill Pullman
Simples Rührstück mit allen gängigen Klischees des Drogenschmuggel- & Knastfilms. Harmlos, weichgespült, familientauglich. Und deswegen gefährlich. Weil es so sein moralinsaures Getriefe - wenn du einen Freund hast, dann vögel nicht im Urlaub mit Fremden, sonst landest du im Knast - gleich generationenübergreifend verspritzen kann.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#39
Geschrieben 27. Juli 2003, 09:20
Ich benutze ja nur ungerne Smileys in meinem Filmtagebuch. Aber Shaquille O'Neal als Schauspieler:
Dümmlich grinsend wie ein pensionierter Zirkusbär auf Dope stapft er durch einen unsäglichen Film, der niemals hätte entstehen dürfen. Die Welt ist ungerecht. Judd Nelsons Karriere, die mit Filmen wie BREAKFAST CLUB, ST. ELMO'S FIRE und FROM THE HIP recht vielversprechend begann, hätte nach diesem Desaster eigentlich beendet sein müssen. Doch ein Blick auf seine Filmographie zeigt, daß er in den letzten drei Jahren mindestens drei Filme pro Jahr hingelegt hat, das meiste davon TV-Produktionen (vielleicht die größte aller Strafen für Schauspieler). Und wie zum Geier ist Annabeth Gish in diesen Film geraten? Manche Fragen bleiben besser unbeantwortet.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#40
Geschrieben 27. Juli 2003, 21:35
this is a breathless silence
a moment out of time
(Shriekback: This Big Hush)
Auf Tuchfühlung mit der schlafenden Bestie
Interessant ist die Blickachse in dieser Einstellung. Sie zielt genau auf Francis Dollarhyde, dessen eigene innere Bestie in diesem Moment ruht. Das ist schlicht atemberaubend, wie Michael Mann in dieser Konstellation den ganzen Raum mit Begierden füllt und sie kurz vor der Explosion hält.
Tom Noonan in der Rolle seines Lebens
MANHUNTER - was gibt es zu diesem Film noch zu sagen? In jeder Einstellung ein Meisterwerk. Warum das für mich so ist, habe ich vor ein paar Jahren mal aufgezeichnet.
Und jetzt liegt der Director's Cut, den Michael Mann 1989 für das US-Kabelfernsehen rekonstruierte, auch in einer passablen Bildqualität vor (die erste Veröffentlichung von Anchor Bay in der auf 100.000 Kopien "limitierten" Edition steht bei mir zwar auch im Regal, aber aufgrund der grausamen Bildqualität der eingefügten Szenen, habe ich mir diese immer nur separat angeguckt und ansonsten auf den Theatrical Cut zurückgegriffen).
"I just stopped by to see you."
Das Bild zeigt den größten Unterschied zwischen beiden Versionen. Graham sucht am Ende, nachdem er Dollarhyde erschossen hat, die nächsten Opfer, die sich der Killer ausgesucht hatte, auf und trägt die Grenze zum Wahnsinn, an die er sich begeben mußte, sichtbar im Gesicht. Allein für diese Szene haben sich all die Jahre des Wartens, des sehnsuchtsvollen Starrens auf die Bilder gelohnt. Ansonsten ist der Director's Cut zwar etwas länger, aber dafür hat Michael Mann ein paar andere Szenen getrimmt bzw. ganz entfernt. Das ist schade, weil darunter auch einige Sachen sind, die man im Laufe der Jahre ganz besonders ins Herz geschlossen hatte. So wird man in Zukunft die beiden Versionen immer abwechselnd sehen müssen (was nicht unbedingt ein Nachteil sein muß).
Ganz besonders dankbar bin ich Anchor Bay dafür, daß sie endlich die Szenen aus dem Rohschnitt, die meines Wissens nach nur noch als Bilder existieren, dem Archiv entrissen und auf die DVD gepreßt haben.
Dollarhyde mit dem legendären Drachen-Tattoo
In der Bildergalerie auf der DVD kann man sich auch diverse Video-Cover anschauen, die mit diesen tattoo-shots werben. Aber zu sehen sind die bisher in keiner Version. Sollte Anchor Bay noch einmal eine Auflage nachschieben, mit den Szenen aus dem Rohschnitt in Form laufender Bilder oder auch nur deleted scenes, würde ich ohne zu zögern, ein fünftes Mal Geld für diesen Film ausgeben.
P.S.: Auf der alten US-LaserDisc von Warner befindet sich noch eine leicht differierende Fassung. Da gibt es einen verlängerten Dialog zwischen Will Graham und Jack Crawford zu sehen, der sich weder im Theatrical noch im Director's Cut befindet. Dafür fehlt wiederum eine Szene zwischen Molly und Will, die in den beiden anderen Schnittfassungen zu sehen ist. Die Spurensuche ist noch nicht beendet.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#41
Geschrieben 28. Juli 2003, 17:10
Sein oder Nichtsein...
Aus Zeitgründen nur ganz kurz: Schiebt man mal alles, was einem an diesem Film stört, beiseite, dann bleibt ein Film, der hervorragend veranschaulicht, was das eigentlich für Wilde waren, die diesen Kontinent "zivilisiert" haben.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#42
Geschrieben 28. Juli 2003, 20:14
Heartbeat, heartbeat
Listen to my heartbeat
(Red 7: Heartbeat)
Wenn die Emotionen explodieren, versagen die Herzen.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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#43
Geschrieben 31. Juli 2003, 19:59
Schach ist bekanntlich das Spiel, bei dem man durch Finten und Täuschungen eher zum Sieg kommt, als durch bloßes Umholzen der gegnerischen Figuren. Rod Luries THE LAST CASTLE zeigt das sehr anschaulich anhand zweier Sturköpfe, die nicht wissen, wann das Spiel beendet ist. Der Film schildert die Auseinandersetzung zweier Militaristen, einer mit, einer ohne Schlachtfelderfahrung. Aber das eigentliche Schlachtfeld liegt in den Köpfen der Protagonisten. Wie im wirklichen Krieg wird es auch hier keinen wirklichen Sieger geben.
Präzise wie eine Militärparade schnurrt der Film seinem Showdown entgegen. Das alles ist nicht immer unbedingt realistisch. Aber es macht ganz einfach Spaß, richtigen Profis bei der Arbeit zuzuschauen.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#44
Geschrieben 03. August 2003, 20:22
Bei Geisterfilmen zerreißt's mich immer innerlich. Da sagt der Skeptiker in mir: Laß dich doch von diesem Schwachsinn nicht verarschen. Geister, so ein Quatsch! Auf der anderen Seite ist der Genießer, der sich gerne gruseln läßt, den Skeptiker beiseite schiebt und auf Unterhaltung umschaltet (freilich ohne den Verstand abzugeben).
Wenn der Tod unvermittelt Einzug ins Leben hält, bekommen die Geister der Vergangenheit eine zweite Chance. So gibt George C. Scott den Freizeitdetektiv mit übernatürlichem Auftrag, der sich aufmacht, das Rätsel um einen lange zurückliegenden Mord zu lösen und dabei unversehens auf ein Paar politische Füße tritt.
THE CHANGELING spult vielleicht etwas zu routiniert alle Versatzstücke des haunted-house-Genres ab: verborgene Türen, unheimliche Geräusche, Stimmen aus dem Jenseits etc. Das alles hat man selbst 1980 nicht zum ersten Mal gesehen. Aber auch nicht immer so gut. Was bleibt ist ein angenehmer Grusler mit Charme und ein heftig gehauchtes "Laß dich nicht verarschen" aus den tiefsten Tiefen meines Kopfes. Ein Ergebnis, mit dem ich leben kann.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#45
Geschrieben 05. August 2003, 09:55
"Es gibt immer eine andere Frau."
"Nein, gibt es nicht."
Es ist dieser eine, dieser alles entscheidende Blick, der dein ganzes Leben verändern wird. Und dieser Blick, das ist kein Klischee, das weiß jeder Mann, hat immer mit einer Frau zu tun. Und du weißt, daß dieser begehrende Blick dir eine Menge Ärger einbringen wird, denn du sollst die Frau eines anderen nicht begehren. Aber das ist dir scheißegal. Denn du weißt, daß sie die Richtige ist. Und du triffst nur einmal im Leben die richtige Frau. Auch das weiß jeder Mann. Und der erste Kuß, das ist reine Magie. So bist du bereit, jeden Schmerz zu ertragen, selbst den Tod.
Aber du bist nicht gestorben. 14 Jahre wirst du in einem anderen Land sitzen. 14 Jahre wirst du mit fiebrigen Blicken in die Ferne schauen und nur das Gesicht deiner Geliebten sehen. Und du wirst hassen. 14 Jahre lang, mit jedem Tag ein Stückchen mehr. Du wirst diesen Mann hassen, für alles, was er dir angetan hat. Du wirst diesen Mann hassen, für all die verlorenen Berührungen, all die verlorenen Momente. Aber der Tag deiner Rache wird kommen. Und der zweite Kuß, das ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Für eine zweite Chance, du weißt es, lohnt es sich, ein zweites Mal zu sterben.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#46
Geschrieben 17. August 2003, 15:44
"Our scars have the power to remind us that the past was real."
(Anthony Hopkins in RED DRAGON)
THE TUXEDO, BRAM STOKER'S DRACULA, VAMPYRES, PANIC ROOM, EINE FRAGE DER EHRE, THE LAST DAYS OF DISCO, RED DRAGON, QUEEN OF THE DAMNED, IM JULI, THE CRAZIES. Was haben diese Filme gemeinsam? Eigentlich nüscht. Außer der Tatsache, daß ich bei allen eingepennt bin. Und weil ein Filmtagebuch, das nur noch aus solchen Einträgen
Eingepennt. Wird nachgeholt.
Eingepennt. Wird nachgeholt.
Eingepennt. Wird nachgeholt.
...
besteht, wenig bis gar keinen Sinn machen würde, habe ich die erst gar nicht eingetragen.
Also der zweite Vorhang für RED DRAGON. Um es vorweg zu nehmen: Brett Ratners Werk ist beileibe kein schlechter Film.
A-B-E-R
Ich denke, daß ich der denkbar ungeeignetste Mensch bin, um über RED DRAGON zu sprechen. Michael Manns zeitloser Geniestreich MANHUNTER ist einer der Filme, die bei mir am häufigsten das Licht des Bildschirms erblicken. Die Dialoge kann ich fast komplett mitsprechen, die Bilder sind fest im Kopf verankert. Schlechte Voraussetzungen für die Beschäftigung mit einem Remake (was freue ich mich schon auf die Neuauflage von THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE).
Gut, Brett Ratner ist ziemlich dicht an Thomas Harris' Vorlage. Aber ich finde Michael Manns script zu MANHUNTER sehr clever verdichtet. Was ziemlich schnell auffällt, ist die Tatsache, daß RED DRAGON, im Gegensatz zu MANHUNTER, regelrecht unspektakulär in Szene gesetzt ist. Wo jedes Rätsel, das William Petersen entschlüsselt und ihn der Lösung und somit dem Wahnsinn näher bringt, bei mir, selbst nach all den Durchläufen, immer noch regelrechtes Herzrasen auslöst - so perfekt die Inszenierung, so kongenial der Soundtrack -, bleibt bei Brett Ratners Version das Herz im Leerlauf.
Alle Höhepunkte lassen einen seltsam unbeteiligt. Größte Enttäuschung: Die Tiger-Szene. Bringt Michael Mann mit einem Feuerwerk der Leidenschaften den Bildschirm förmlich zum Brennen, läßt Brett Ratner Emily Watson den Tiger plump an die Hoden fassen und - das war's.
Wer auch immer auf die Idee kam, William Petersen in MANHUNTER einen Vollbart tragen zu lassen, um mit diesem simplen Mittel die Distanz, die Isolation, die innere Zurückgezogenheit zu verdeutlichen, dem kann man zu diesem Geistesblitz nur gratulieren. Edward Norton hingegen schafft es nicht eine Sekunde mich von dem Charakter, den er darstellt, zu überzeugen. Es sind vertraute Dialoge, die aber mit falscher Intonation aus falschen Mündern kommen. Die Emotionslosigkeit aller Beteiligten ist das große Manko dieses Films. Anthony Hopkins hat seine Hannibal-Darstellung mittlerweile perfektioniert. Vielleicht überschreitet er aus Langeweile ab und zu die Schwelle zum over-acting.
Wie gesagt: Brett Ratner hat nicht den schlechtesten Film abgeliefert. Aber für einen echten MANHUNTER-Junkie bringt RED DRAGON selbst bei leichtesten Entzugserscheinungen keine Linderung.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#47
Geschrieben 22. August 2003, 19:50
Kaum hat der Film angefangen, versuche ich, an meine Torte zu kommen, aber die Schachtel knistert, und die Leute sagen, psst, wir wollen den Film sehen. Ich weiß, daß es keine normalen Leute sind, die sich Gangsterfilme und Musicals ansehen. Das sind Leute, die wahrscheinlich einen Collegeabschluß haben und in der Park Avenue wohnen und ihren Hamlet Zeile für Zeile auswendig kennen. Die gehen nie ins Kino, immer nur ins Filmtheater. Es wird mir nie gelingen, die Schachtel geräuschlos zu öffnen, und dabei läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen, und ich weiß nicht, was ich tun soll, bis sich ein Mann neben mich setzt, hi sagt, mir einen Teil von seinem Mantel über den Schoß legt und seine Hand darunterwandern läßt. Er fragt, störe ich?, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, obwohl mir irgendwas sagt, am besten nimmst du deine Torte und gehst woandershin. Ich sage, entschuldigen Sie, gehe an ihm vorbei und den Gang hinauf und hinaus auf die Herrentoilette, wo ich meine Tortenschachtel in aller Ruhe aufmachen kann, ohne daß die Park Avenue psst macht. Es ist schade, daß ich einen Teil von Hamlet verpasse, aber auf der Leinwand sind sie bis jetzt sowieso nur herumgesprungen und haben sich über einen Geist aufgeregt.
Die Männertoilette ist zwar leer, aber ich möchte auf keinen Fall gesehen werden, wie ich die Schachtel aufmache und meine Torte esse, also setze ich mich auf den Sitz in der Kabine und esse schnell, damit ich wieder zu Hamlet zurückkann, vorausgesetzt, ich muß mich nicht wieder neben den Mann mit dem Mantel und der wanderlustigen Hand setzen. Von der Torte bekomme ich einen trockenen Mund, und ich freue mich schon auf mein Ginger-ale, bis mir einfällt, daß man ja irgendeine Art von Kirchenschlüssel braucht, um den Verschluß zu öffnen. Einen Platzanweiser zu fragen hat keinen Zweck, die schnauzen die Leute bloß an und sagen, daß sie kein Essen und keine Getränke mitbringen dürfen, nicht mal wenn sie von der Park Avenue sind. Ich stelle die Tortenschachtel auf den Boden, weil ich zu dem Schluß gekommen bin, daß ich die Kapsel nur von der Flasche kriege, wenn ich sie ans Waschbecken halte und einmal kräftig mit der Hand draufschlage, aber dabei zerbricht der Hals, und das Ginger-ale spritzt mir ins Gesicht, und am Waschbecken ist Blut, weil ich mich an der Hand geschnitten habe, und trotzdem bin ich traurig, weil meine Torte auf dem Boden von Blut und Ginger-ale durchweicht wird, und als ich mich gerade frage, ob ich bei dem ganzen Ärger den Hamlet überhaupt noch zu sehen kriege, kommt ein grauhaariger Mann, der es sehr eilig haben muß, hereingestürmt, rennt mich fast um, tritt auf meine Tortenschachtel und gibt ihr den Rest. Er steht am Urinal und läßt es laufen, versucht dabei, die Tortenschachtel von seinem Schuh abzuschütteln, und schreit mich an, verflucht, verflucht, was zum Teufel, was zum Teufel. Er tritt zurück und schwenkt das Bein, so daß die Schachtel von seinem Schuh wegfliegt und an die Wand knallt, zum Verzehr vollends ungeeignet. Der Mann sagt, was zum Teufel geht hier eigentlich vor, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil es doch eine ziemlich lange Geschichte ist, ich müßte damit anfangen, daß ich mich schon wochenlang auf den Hamlet gefreut und den ganzen Tag nichts gegessen habe, weil ich es mir so köstlich vorgestellt habe, alles auf einmal zu tun, meine Torte essen, Ginger-ale trinken, den Hamlet ansehen und all die herrlichen Reden hören. Ich glaube nicht, daß der Mann dafür in der Stimmung ist, so wie er von einem Fuß auf den anderen hüpft und sagt, ein Klo ist kein gottverdammtes Restaurant, was mir verdammt noch mal einfällt, in öffentlichen Toiletten rumzuhängen und zu essen und zu trinken, und daß ich besser meinen Arsch hier rausschaffe. Ich erzähle, daß ich einen Unfall gehabt habe, als ich die Ginger-ale-Flasche öffnen wollte, und er sagt, hast du noch nie was von einem Flaschenöffner gehört, oder bist du gerade erst von dem verdammten Schiff runter? Er verläßt die Toilette, und gerade als ich mir Toilettenpapier um die verletzte Hand wickle, kommt der Türsteher herein und sagt, ein Kunde hat sich über mein Benehmen hier drin beschwert. Er ist genau wie der Grauhaarige mit seinem verdammt und zum Teufel, und als ich ihm erklären will, was passiert ist, sagt er, schaff deinen Arsch hier raus. Ich sage, ich habe bezahlt, um mir den Hamlet anzusehen, und bin nur hier drin, weil ich die Leute von der Park Avenue um mich herum nicht stören wollte, die den Hamlet im Schlaf aufsagen können, aber er sagt, das ist mir scheißegal, raus hier, sonst ruf ich den Geschäftsführer und die Polizei, die werden sich bestimmt für das das viele Blut interessieren.
Dann zeigt er auf meinen schwarzen Regenmantel, den ich über das Waschbecken gehängt habe. Schaff den gottverdammten Regenmantel hier raus. Wozu brauchst du überhaupt einen Regenmantel an einem Tag ohne ein Wölkchen am Himmel? Wir kennen den Regenmanteltrick, und wir passen auf. Wir kennen die ganze Regenmantelbrigade und ihre abartigen Spielchen, uns könnt ihr nichts vormachen. Du sitzt da und machst ein unschuldiges Gesicht, und im nächsten Moment wandert deine Hand zu unschuldigen Kindern rüber. Also schaff deinen Regenmantel hier raus, Freundchen, sonst hol ich die Polizei, du gottverdammter Perverser.
Ich nehme die zerbrochene Ginger-ale-Flasche, in der noch ein Tropfen drin ist, gehe die 68th Street entlang und setze mich auf die Stufen vor meiner Pension, aber da ruft Mrs. Austin durchs Kellerfenster, kein Essen oder Trinken auf der Treppe, sonst kommen die Kakerlaken aus allen Richtungen gerannt, und die Leute sagen, wir sind ein Haufen Puertoricaner, denen es egal ist, wo sie essen oder trinken oder schlafen.
In der ganzen Straße kann man sich nirgends hinsetzen, weil überall die Vermieterinnen auf der Lauer liegen, also bleibt mir nichts anderes übrig, als zum Park East River hinüberzugehen und mich zu fragen, warum Amerika so schwierig und kompliziert ist, daß ich mir nicht einmal mit einem Stück Zitronenbaisertorte und einer Flasche Ginger-ale den Hamlet anschauen kann.
(Frank McCourt: Ein rundherum tolles Land)
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#48
Geschrieben 24. August 2003, 19:01
Am Anfang war das Wort. Und das Wort ward Schrift geworden.
Wherever fearsome beasts have roamed, the legend of the Werewolf persists ... even in the tropical paradise of the Pacific where, it is said and believed that - when the shadow of the moon is cast - he who is cursed will be transfomed from an ordinary man into a vicious beast.
Die deutsche Off-Stimme will mir den Text dann so verklickern:
Die Menschen wollen nicht mehr an übernatürliche Kräfte glauben und doch gibt es sie. Wir, die Eingeweihten, wissen es: Die Götter leben noch. Und ihr Fluch trifft die, die ihre Macht leugnen. Illiuhaikapuatiki (so was kann man vielleicht sprechen, aber nicht schreiben - Deep Red). Wenn die Schatten der Nacht den Mond verdecken, verwandeln sich die Fluchbeladenen in reißende Bestien.
Robert Foxworth hat einen Traum. Immer wieder. Das macht ihn aber nicht besser. Immer wieder sieht er, wie eine nächtliche Kultzeremonie von einem christlichen Mob überfallen wird. Ihr Anführer, ein Pfaffe, hackt mit seiner Axt den Totem um und wird von ihm erschlagen. Da wußte ich bereits, schöner wird dieser Film nicht mehr werden.
Später stellt sich heraus, daß der Pfaffe Foxworths Großvater und Missionar auf Hawaii war und, man kennt es, seine größte Leidenschaft war die Bekämpfung von Heiden mit Flamme und Schwert. Bei dem Erbe kann eigentlich nur alles schiefgehen. Wie schief, kann man dann sehr schön an dem bräunlichen Flokati ablesen, den Foxworth anstelle eines anständigen Werwolf-Makeups in der Fresse tragen muß. Leider trägt Foxworth als Werwolf keine Hawaii-Hemden. Das wäre wenigstens ein Hingucker gewesen.
Am Ende erschießt Joe Penny - ja, auf Hawaii tummelt sich alles was keinen Rang und keinen Namen hat - Robert Foxworth. Der faßt ihm noch kurz an die Gurgel und gibt den Fluch weiter. Weswegen Joe dem Vollmond dann so sehnsüchtige Blicke entgegenwirft (aber seine Sehwerkzeuge scheinen eher zu sagen: Was bin ich doch für eine billige Hollywood-Nutte). Foxworth schlägt noch einmal die Augen auf. Und siehe da, sie sind ganz gelb. Wenn ich in diesem Film hätte mitspielen müssen, hätte ich während der Dreharbeiten auch eine Leberzirrhose bekommen.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#49
Geschrieben 25. August 2003, 19:41
Pamela Franklin und Michele Dotrice als zwei Britinnen auf französischen Abwegen. Radelnd durch Frankreichs Provinz. Das ist schön, nur in der Inszenierung von Robert Fuest noch langweiliger als eine dieser schleimbehafteten Frankreich-Liebeserklärungen von Ulrich Wickert. Die beiden girls geraten in Streit und trennen sich. Michele Dotrice verschwindet und Pamela Franklin hat den Rest des Films nichts Besseres zu tun, als sie zu suchen. Dabei fährt der Brite Fuest ein paar französische Originale auf, bei denen mir insgeheim der Gedanke kommt, daß Fuest hier die alte Erbfeindschaft zwischen Großbritannien und Frankreich bedient.
Atmosphäre? Denkste! Spannung? Pustekuchen! Einen Psychopathen, der auf seiner Vespa die Gegend unsicher macht, sieht man auch nicht allzuoft. Der ist aber nicht der Böse, der ist einfach nur ganz normal bekloppt. Der wahre Schurke ist, wie so oft in solchen Filmen, der Bulle. Und der geht der knackigen Pamela Franklin auch sofort an die Wäsche. Jaja, so sind sie, die Franzosen. Immer lustig drauf. Muß wohl am schlechten Rotwein liegen. Das Budget dürfte jedenfalls nicht höher gelegen haben als der Gegenwert einer Palette französischer Landeier. TÖDLICHE FERIEN ist wie Hämorrhidensalbe als Baguetteaufstrich: Eher was fürn Arsch!
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#50
Geschrieben 30. August 2003, 15:19
Manche Dinge bleiben besser verschlossen. Aber die Gier nach Geld macht auch vor Särgen nicht halt. Der Lohn der Mühe ist die Versklavung durch einen Vampir. Barnabas, der Vampir, stellt sich der Familie als Verwandter aus England vor. Etwas Verwirrung herrscht am Anfang, wenn der Zuschauer mit einer Vielzahl von Charakteren konfrontiert wird. Hilfreich mag es da sein, wenn man, im Gegensatz zu mir, die TV-Serie kennt, aus der dieser Film hervorgegangen ist.
Barnabas sucht eine Braut. Als er Maggie sieht, die seiner vor 200 Jahren Verflossenen zum Verwechseln ähnlich sieht, kennt er nur noch ein Ziel. Plätschert der Film in der ersten Hälfte etwas zahnlos dahin, bekommt der zweite Teil mehr Fahrt, wenn sich Barnabas durch die Familie beißt und würgt.
Interessant ist, daß hier ein wissenschaftlicher Ansatz verfolgt wird, um Barnabas vom Vampirismus zu heilen. Julia, eine Ärztin, stellt ein Serum her, welches es dem Blutsauger ermöglicht, auch am Tage zu existieren und wenn die Behandlung abgeschlossen ist, soll aus dem Untoten ein Sterblicher werden. Aber wenn die Gefühle ins Spiel kommen, hat die Wissenschaft einen schweren Stand. Julia ist in Barnabas verknallt, der hat aber nur Augen für Maggie. Und die Rache einer enttäuschten Frau ist grausam. Barnabas altert rapide (für die Maske ist die Make-up-Legende Dick Smith verantwortlich). So bleibt dem Vampir wieder nur der Biß in den Hals. Am Ende kommt es, wie es kommen muß: Es fließt reichlich rote Farbe und der Vampir ist tot.
Düsteres Setting, stellenweise sehr atmosphärisch, gute Schauspieler und ein Drehbuch, das sein Thema ernst nimmt. Das waren keine verschwendeten 92 Minuten.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#51
Geschrieben 31. August 2003, 21:22
Liebe ist:
"Auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat."
(Jean Anouilh, frz. Dramatiker)
Schade, wie Claire Forlani während eines Orgasmus klingt und aussieht, hätte ich dann doch gerne gehört und gesehen. Denn genau darauf wartet man die ganze Zeit in diesem HARRY & SALLY-Klon im Teenie-Milieu. Aber auch ohne den O-Ton der bezaubernden Claire Forlani - diese Augen, dieser Mund! - ist BOYS, GIRLS AND A KISS eine wunderbar leichtfüßige Komödie.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#52
Geschrieben 01. September 2003, 18:34
(…)
Auch wenn sich nicht alle chinesischen Intellektuellen dem Nationalismus verschrieben haben, ist er derzeit immer noch vorherrschend. Der Westen wird bestenfalls noch als ökonomisches Vorbild gesehen, die eigene Regierung mangels Alternativen als notwendiges Übel betrachtet. Mit der Verringerung des Altersunterschiedes zwischen der Regierung und der potenziellen Opposition sind auch die ideologischen Differenzen deutlich kleiner geworden.
So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Zhang Yimou, dessen Filme selten den Weg durch die chinesische Zensur schafften und der mit seiner realistischen Darstellung der chinesischen Geschichte lange Zeit als Nestbeschmutzer galt, im Jahr 2002 mit "Hero" einen Film ablieferte, der mit seiner Glorifizierung des ersten chinesischen Kaisers und des Urvaters der nationalen Idee, Qin Shi Huangdi, ganz nach dem Geschmack der chinesischen Führung ist. Dass es in der jüngeren chinesischen Geschichte kaum ein reaktionäreres Machwerk gibt, kann eine Regierung, die gerade mit der Theorie der "Drei Vertretungen" die nationalen Kapitalisten zum revolutionären Subjekt erhoben hat, nicht stören.
(...)
(Volker Häring)
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#53
Geschrieben 07. September 2003, 15:13
Schon bei Erscheinen ein Klassiker. Der letzte große Actionfilm.
Deep Red
Für die Rubrik: Lustige Untertitel
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#54
Geschrieben 18. September 2003, 07:22
This is the end, beautiful friend
This is the end, my only friend
It hurts to set you free,
but you'll never follow me
(The Doors: The End)
Neil McCauley ist kein gewöhnlicher Verbrecher. Er ist die fleischgewordene Präzision. Perfekter Haarschnitt, perfekt gestutzter Bart, perfekt sitzender Anzug. Mit der gleichen präzisen Perfektion plant er seine Überfälle und Einbrüche. Seine Philosophie ist, sich an nichts zu hängen, daß man nicht nach 30 Sekunden problemlos wieder verlassen kann. Dies gilt für seine kriminellen Aktivitäten wie für sein Privatleben. Doch seine Achillesferse ist die Einsamkeit.
Lieutenant Vincent Hanna ist kein gewöhnlicher Polizist. Er lebt nur für seinen Beruf. Einer der nie aufgibt, der nie schläft, wenn er die Witterung aufgenommen hat. Sein Privatleben ist das reinste Chaos. Meist registriert er es völlig emotionslos. "You walk through our life dead", sagt seine dritte Frau Justine resigniert zu ihm. Hanna wird auf McCauley aufmerksam und am Ende stehen sich beide mit gezogenen Waffen gegenüber...
Michael Mann, einer der wenigen wahren Ästheten innerhalb des gleichgeschalteten Hollywoodsystems, der mit MANHUNTER (Jahre bevor der hype einsetzte) einen der vielschichtigsten Serienkiller-Filme und mit THE LAST OF THE MOHICANS eine geradezu schwindelerregende Studie über Bewegung und Stillstand lieferte, geht mit jedem Film unbeirrt seinen Weg.
Die Credit-Sequenz beginnt mit einer Einstellung, in der eine S-Bahn ins Bild einfällt. Diese Einstellung ist Teil der Filmgeschichte und wird seit L'ARRIVÉE D'UN TRAIN EN GARE DE CIOTAT der Gebrüder Lumière nahezu unverändert übernommen. Die Verwendung dieser Einstellung ist durchaus als Anspielung zu verstehen, denn Mann war sich bewußt, daß er mit HEAT Filmgeschichte schreiben wird, weil er Robert De Niro und Al Pacino zur ersten gemeinsamen Szene verhalf (beide spielten zwar in Coppolas THE GODFATHER, Part 2, trafen aber nie aufeinander). Die Credits selber werden nach kurzer Zeit unscharf und verschwimmen ins Nichts. Schon die Credit-Sequenz macht deutlich: Es geht ums Verschwinden in diesem Film. Die unscharf werdenden Credits sind auch eine vortreffliche Allegorie für die Optik dieses Films: Dante Spinotti verzichtet fast vollständig auf Tiefenschärfe. Der Hintergrund ist ständig verschwommen, der Ort der Handlung völlig unwichtig. Mit zu den betörendsten Momenten in HEAT zählen jene Szenen, in denen im out of focus-background das fiebrig-pulsierende Flimmern der nächtlichen Großstadt zu sehen ist.
Wie in seinen früheren Werken arbeitet der Regisseur auch in HEAT wieder mit einer ausgeprägten Farbdramaturgie. Blau und Gelb sind die Primärfarben: Wasser und Feuer. Und immer wieder prallen McCauley und Hanna mit der akkumulierten Energie zweier Naturgewalten aufeinander. Doch noch nie waren die Farbverhältnisse dermaßen ambivalent wie in HEAT. Beide Protagonisten wechseln chamäleonhaft ihre Farben, von Blau nach Gelb, von Gelb nach Blau. "All I am is what I'm going after", sagt Vincent Hanna einmal. Eine charakteristische Szene: Während eines Bruchs steht McCauley Schmiere und ist in eine gelbliche Aura gehüllt. Aber Hanna kann ihn nur auf einem blaustichigen Monitor beobachten. Die Gleichheit von Jäger und Gejagtem - ein immer wiederkehrendes Motiv in Manns Gesamtwerk - wird in vielen Szenen herausgearbeitet. Beide betonen z.B. ständig, daß sie keine Zeit hätten oder daß ihre Zeit kostbar wäre. Und McCauley beginnt den Spieß umzudrehen, holt Informationen über Hanna ein, als er bemerkt, daß er von der Polizei beobachtet wird.
Ein besonders beeindruckendes Beispiel für Manns atemberaubende Farbästhetik findet sich gegen Ende des Films: McCauley und Eady befinden sich bereits auf einem sicheren Fluchtweg. Sie fahren in einen Tunnel und das gleißende Weiß blendet geradezu. Ein Moment der Reinheit und die Chance für einen Neuanfang. McCauley überlegt lange, ob er sich nicht doch noch an einem Verräter rächen soll. Das Weiß schlägt um in Blau, die Entscheidung ist gefallen und der Tunnel führt geradewegs in die Katastrophe. Manchmal wirft Mann ein rötliches Licht auf die Gesichter von Hanna und McCauley: die Farbe des Lebens und des Todes. Melancholische Hinweise auf das kommende, das blutige Finale.
Die erste Hälfte des Films bewegt sich wie ein Wirbelsturm in konzentrischen Kreisen auf die Begegnung zwischen McCauley und Hanna zu. Und dann: Zwei Welten im Auge des Tornados. Wenn McCauley und Hanna sich endlich gegenübersitzen, unterhalten sie sich über die unerträgliche Schwierigkeit des Seins, über die Einsamkeit, die Liebe; begegnen sich mit lauerndem Respekt und abschätzendem Verständnis für die Profession des Gegners, stellen aber auch unmißverständlich klar, daß sie gegebenenfalls den anderen, ohne zu zögern, erschießen werden. Die Spur der Verwüstung, die der Sturm hinterlassen wird, ist hier bereits abzusehen. Michael Mann ist mit HEAT näher an Sam Peckinpah als jeder andere US-Regisseur.
In den 1990er Jahren gab es eine große filmische Strömung, die viele hervorragende Filmemacher weltweit verarbeitet haben: Die trotz der immer zahlreicheren Kommunikationsmöglichkeiten stetig schneller voranschreitende Kommunikationsunfähigkeit des Menschen. Wem fiele da nicht sofort Wong Kar-wai mit CHUNGKING EXPRESS und FALLEN ANGELS (für mich der beste Film der 1990er Jahre) ein? Da war Tsai Ming-Liangs großartiger VIVE L'AMOUR (Taiwan 1994) und DREI TAGE des litauischen Regisseurs Sarunas Bartas (ich liebe diesen geradezu zerschmetternden Film). Bartas brachte diese Strömung dann an ihren konsequenten Endpunkt und schuf mit WIR SIND WENIGE ein grandioses Drama ganz ohne Dialoge.
Auch Michael Mann greift diese Thematik in HEAT, der 1995 entstand, auf und macht das an Vincent Hanna und seiner frustrierten Ehefrau Justine fest, die an der Kommunikationsunfähigkeit ihres Mannes scheitert. Überhaupt ist HEAT ganz großes Schauspielerkino. Jon Voight als Nate, der hinter den Kulissen alle Fäden in der Hand hält, der Deals vorbereitet und Informationen sammelt. Wortkarg bleibt er im Hintergrund, aber sein Blick - dieser unglaublich traurige Blick - schweift immer wieder in die Ferne und läßt wissen, daß sein Leben längst zur Sackgasse geworden ist. Ihm bleibt nichts, außer weiterzumachen und auf den Tod zu warten. Tom Noonan hat einen wunderbaren kleinen Auftritt. Und Amy Brenneman verschafft mit ihrer Darstellung der scheuen Eady Neil McCauley flüchtige Augenblicke der Glückseligkeit, in denen sich die Einsamkeit der beiden lost souls gegenseitig aufhebt.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#55
Geschrieben 19. September 2003, 19:56
(George Bernard Shaw)
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#56
Geschrieben 21. September 2003, 11:22
Wäre doch nur der ganze Film so märchenhaft:
Schlüsselszene
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#57
Geschrieben 03. Oktober 2003, 14:36
"Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nicht ausgesprochen hätte."
(Euphemia von Adlersfeld)
Am 22. September hatte ich mir FREDDY GOT FINGERED angeschaut. Wandelte dann zwei Tage mit einem Dauergrinsen im Gesicht durch die Gegend. Das bleibt bei einem Film, der einem seine Gags mit der Brechstange in die Fresse schlägt, nicht aus. Das macht nichts, ich bin für so etwas empfänglich. Aber dann endete diese Schweben in Green-Heaven abrupt mit einem Anruf. Eine Freundin teilte mir mit, daß das Schillers am Freitag dicht machen wird! So, und jetzt muß ich mal etwas weiter ausholen und der Leser entweder wegklicken, denn über den Film dieses Eintrages werde ich kein weiteres Wort verlieren oder etwas Zeit mitbringen. Werde dieses Filmtagebuch gnadenlos mißbrauchen und über meine Befindlichkeiten sprechen.
(M)eine Kleinstadt - Uelzen: 65.000 Einwohner - ist ja nichts weiter als das Spiegelbild einer Großstadt. Die linke Szene ist im Kleinen genauso zersplittert wie im Großen: Punks, Autonome, Antifas, Arbeitsscheue, Studenten, jeder für sich und zusammen gegen alle anderen. Das verbindende Element ist meistens ein gemeinsamer Treffpunkt, will sagen: eine Kneipe. Das Schillers war die einzige linke Szenekneipe vor Ort und eine Zeit lang mein zweites Zuhause. Hier habe ich, nach Überwindung der inneren Emigration, meine zweite Jugend (v)erlebt. Gute zwei Jahre lang zählte nur das Wochenende: Sex & Drugs & Rock'n'Roll. Wenn man so zurückblickt und rekapituliert, was in dem kleinen Laden an Partys gefeiert wurden, was da gesoffen und gekifft wurde, was ich dort an Konzerten gesehen habe. Das ging von richtig geilen Gigs mit lokalen Bands wie DFP und Nameless Pro-Ject (könnten Linkin Park locker von der Bühne fegen) bis zum schlechtesten Konzert der Musikgeschichte: Reagan Cain nannte sich diese norwegische (oder finnische?) Combo und hatte sich dem Dublin-Punk verschrieben. Oh Mann, die komplette Band war schon vor Beginn total besoffen. Scheißegal, wir hatten trotzdem unseren Spaß.
Und dann die Frauen! Jetzt ziehen noch einmal all die Gesichter der Frauen, die ich im Schillers kennengelernt habe, vor meinem geistigen Auge vorbei. Antje, Ariane, Claudia, Kirsten, Nadine, Sabrina, Susanne, Svenja, Viktoria undundund. Sandra, die Kunststudentin aus Bremen, die ich zwei Nächte lang über Kunst vollgeschwallt hatte, ohne den geringsten Schimmer von der Materie zu haben. Sie war beeindruckt (und ich erst!). Maren, die nach dem ersten Semester ihr Studium der Humanmedizin abgebrochen hatte und jetzt in Berlin auf Lehramt studiert. (Hallo Maren H., ja Du, mit der ich mir in Hannover Michel Houellebecqs "Ausweitung der Kampfzone" im Theater angeschaut hatte, falls Du das hier lesen solltest, melde Dich mal.) Zwei von den vielen Frauen sind heute sehr gute Freundinnen, die ich nicht mehr missen möchte in meinem Leben. Nicht zu vergessen: Meine Freundin. Unsere Wege haben sich im Schillers zum ersten Mal gekreuzt. Und sie hält es jetzt seit fast drei Jahren mit einem Kotzbrocken wie mir aus. Danke!
Gut, am Freitag Abend ab ins Schillers. Die letzte Party durfte man sich ja nicht entgehen lassen. Da erfahren, daß der Laden erst am Dienstag, dem 30., endgültig schließt. Puh, noch ein paar Tage Aufschub. Also die Nacht zum Tag gemacht und noch mal richtig Vollgas gegeben. Die Bullen tauchten noch drei Mal auf und versuchten sich als Spaßbremsen. Denkste, jetzt erst recht! Und nun, Dienstag, hieß es Abschied nehmen von den schönsten Jahren meines Lebens. Die Kneipe voll, Anwesenheit für alle Stammgäste natürlich Pflicht, die Stimmung: ausgelassen dem Untergang entgegen. Die ein oder andere Träne sah ich in diversen Augenwinkeln glitzern. Meine Fresse, vom Passivrauchen schon fast stoned gewesen. Das Kondolenzbuch geschnappt und den einzig richtigen Spruch hineingekritzelt:
Danke, Schillers, für all die Frauen!
Nietzsche!
Nietzsche ist mein Spitzname in dem Schuppen. Ist an mir hängengeblieben, weil ich einmal Nietzsche zitiert hatte.
Aber es gibt Hoffnung. Zwei neue Betreiber wollen das Schillers vielleicht im November schon wieder eröffnen. Und so wie ich den einen der beiden kenne, wird sich an Musik und Publikum nicht viel ändern. Trotzdem: Am Dienstag ist für mich, mag es auch abgegriffen klingen, eine Ära zu Ende gegangen. Es wird nie wieder so sein, wie es war. Es wird immer der Geruch des Originalen, des Authentischen fehlen. Deshalb auch hier noch einmal: Danke, Schillers! Ohne dich wäre ich heute nicht der, der ich bin.
Es wird kälter in Dunkelland. Bis zur Neueröffnung bleibt erst mal nur der Rückzug ins Private. Diverse Rotweine warten darauf entkorkt und erkundet zu werden. Das erste Glas geht auf dich, Schillers!
Deep Red
(Klaus Theweleit)
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(Dennis Nilsen)
#58
Geschrieben 04. Oktober 2003, 00:02
Der schönste Film zum todtraurigsten aller Themen: Abschied von der Unbeschwertheit. Jeder kennt dieses Gefühl. Instinktiv weiß man, daß etwas unwiderruflich vergeht. Wenn dir mit einem Satz das Unsterblichkeitsgefühl entrissen wird, fühlst du dich betrogen und verraten. Und da steht man dann, kein Jugendlicher mehr, aber auch noch kein richtiger Erwachsener. Weißt nicht, wohin. Da gibt es nur diesen letzten Augenblick, ein letztes Festklammern an all die Erinnerungen, dein ganzes bisheriges Leben komprimiert in wenige Stunden. Die Nacht der Nächte, in der sich nur eine Gewißheit herauskristallisiert: Es gibt keine Gewißheiten in diesem Leben.
Gegen Ende füllen sich meine Augen mit Tränen. Nicht nur, weil der Film so traurig ist, sondern weil er so wunderschön ist.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#59
Geschrieben 04. Oktober 2003, 22:20
Der Instinkt, unter Wasser nicht zu atmen, ist so stark, daß er über die Agonie des Sauerstoffmangels triumphiert. Es spielt keine Rolle, wie verzweifelt die ertrinkende Person nach Luft verlangt, sie atmet nicht ein, bis sie sich am Rande der Bewußtlosigkeit befindet. In diesem Zustand enthält das Blut so viel Kohlendioxyd und so wenig Sauerstoff, daß chemische Sensoren im Gehirn ein unwillkürliches Atemholen auslösen, ob sich der Mensch nun unter Wasser befindet oder nicht. Das ist der sogenannte break point. Laborversuche haben ergeben, daß dieser Punkt nach 87 Sekunden eintritt. Es ist eine Art neurologischer Optimismus, als wollte der Körper sagen: "Dieses Anhalten des Atems bringt uns um, und einatmen bringt uns vielleicht nicht um, also können wir genausogut einatmen." Wenn die Person vorher hyperventiliert - wie es Freitaucher machen und vielleicht auch jemand, der sich in einer verzweifelten Situation befindet -, dann kann der break point auch erst nach 140 Sekunden eintreten. Hyperventilation sorgt anfänglich dafür, daß Kohlendioxyd aus dem Körper ausgeschieden wird, so daß es länger dauert, bis der kritische Wert wieder erreicht ist.
Bis zum break point macht ein Ertrinkender das, was man als freiwillige Apnoe bezeichnet, er hält die Luft an. Sauerstoffmangel im Gehirn erzeugt die Empfindung einer von allen Seiten näher kommenden Dunkelheit, als würde eine Kamerablende immer weiter geschlossen. Die Panik einer ertrinkenden Person ist gemischt mit einer seltsamen Ungläubigkeit, daß dies alles tatsächlich passiert. Da sie es noch nie zuvor getan haben, wissen der Körper - und der Geist - nicht, wie sie mit Anstand sterben sollen. Der Vorgang ist voll von Verzweiflung und Unbeholfenheit. "So ist es also, wenn man ertrinkt", denkt ein Ertrinkender vielleicht. "Auf diese Weise komme ich also ums Leben."
Neben der Ungläubigkeit findet sich oft das überwältigende Gefühl, daß man zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt aus dem Leben gerissen wird. "Ich kann doch jetzt nicht einfach sterben, ich habe doch Karten für das Fußballspiel nächste Woche", ist durchaus kein unmöglicher Gedanke für jemanden, der dabei ist, zu ertrinken. Der Ertrinkende kann sich sogar peinlich berührt fühlen, als habe er gerade ein großes Vermögen vergeudet. Er hat die Vorstellung, die Leute schüttelten den Kopf über sein nutzloses Sterben. Der Ertrinkende kann die Empfindung haben, dies wäre die letzte, allergrößte Dummheit in seinem Leben.
In der Minute, in der ein in Panik befindlicher Mensch die Luft in seinen Lungen verbraucht, mögen ihm derartige Gedanken durch den Kopf schießen. Wenn der erste unfreiwillige Atemzug einsetzt, sind die meisten Menschen noch bei Bewußtsein, und das ist bedauerlich, denn noch schlimmer, als keine Luft mehr zu bekommen, ist es, im Wasser Atem holen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt der Übergang von der freiwilligen zur unfreiwilligen Apnoe, und jetzt wird es ernst mit dem Ertrinken. Ein spasmodischer Atemzug bringt Wasser in Mund und Luftröhre, und dann geschieht eins von zwei Dingen. Bei ungefähr zehn Prozent aller Menschen ziehen sich die Muskeln um den Kehlkopf sofort zusammen, wenn Wasser - oder irgendein anderer Stoff - mit den Stimmbändern in Berührung kommt. Tatsächlich ist es so, daß das Zentralnervensystem einen Fremdkörper im Kehlkopf für eine größere Bedrohung hält als einen niedrigen Sauerstoffanteil im Blut und entsprechend reagiert. Diese krampfartige Verengung nennt man Laryngospasmus oder Stimmritzenkrampf. Er ist so wirkungsvoll, daß er den Atemreflex überwindet und die betreffende Person schließlich erstickt. Jemand, der einen Laryngospasmus erleidet, ertrinkt, ohne Wasser in die Lungen zu bekommen.
In den anderen neunzig Prozent der Fälle füllen sich die Lungen mit Wasser und beenden damit die immer schwächer werdende Abgabe von Sauerstoff in das Blut. Die Uhr läuft jetzt ab; nur noch halb bei Besinnung und geschwächt durch den Sauerstoffmangel, ist die Person nicht mehr in der Lage, sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Der bloße Vorgang des Ertrinkens macht es schwerer und schwerer, nicht zu ertrinken - eine exponentionelle Katastrophenkurve ähnlich der eines sinkenden Schiffs.
(...)
Die Männer der Besatzung der Andrea Gail haben entweder einen Laryngospasmus, oder ihre Lungen sind völlig mit Wasser gefüllt. Sie schweben, mit offenen Augen und ohne Bewußtsein, in den wassergefüllten Räumen des Schiffs. Die Dunkelheit ist absolut, und das Boot ist vielleicht schon auf dem Weg zum Grund. Jetzt könnten die Männer nur noch durch eine massive Sauerstoffgabe gerettet werden. Gelitten haben sie höchstens ein oder zwei Minuten. Ihre Körper, die bislang immer drastischere Maßnahmen ergriffen haben, um funktionsfähig zu bleiben, haben endlich angefangen, alles abzuschalten. Wasser in den Lungen schwemmt eine Substanz fort, die Surfactant heißt, eine Substanz, die es den Alveolen ermöglicht, Sauerstoff aus der Luft aufzunehmen. Die Alveolen selbst, traubenförmige Anordnungen von Membranen an der Lungenwand, kollabieren, weil kein Blut mehr durch die Lungenarterie fließen kann. Die Arterie hat verengt im Bemühen, Blut in die Bereiche der Lunge zu leiten, in denen sich mehr Sauerstoff befindet. Leider existieren solche Bereiche nicht mehr. Das Herz arbeitet schwer bei dem kritisch niedrigen Sauerstoffspiegel und beginnt, schnell und unregelmäßig zu schlagen - "wie ein Sack voller Würmer" -, wie es ein Arzt einmal ausdrückte. Man nennt das Kammerflimmern. Je unregelmäßiger das Herz schlägt, desto weniger Blut wird transportiert und desto schneller schwächen sich die Lebensfunktionen ab. Kinder - die im Verhältnis stärkere Herzen haben als Erwachsene - können den Herzschlag ohne Luftzufuhr bis zu fünf Minuten aufrechterhalten. Erwachsene sterben früher. Das Herz schlägt immer weniger effektiv, bis es sich, nach einigen Minuten, überhaupt nicht mehr zusammen zieht. Nur das Gehirn lebt noch.
Das Zentralnervensystem weiß nicht, was mit dem Körper geschehen ist; es weiß nur, daß das Gehirn nicht genug Sauerstoff bekommt. Es werden daher immer noch Befehle ausgeschickt - Atme! Pumpe! Zirkuliere! -, Befehle, die der Körper nicht mehr befolgen kann. Würde die Person in diesem Augenblick aus dem Kammerflimmern herausgeholt, könnte sie möglicherweise überleben. Nach Durchführung einer Herz-Lungen-Wiederbelebung könnte sie an ein Beatmungsgerät angeschlossen und wieder ins Leben zurückgeholt werden. Doch auch so tut der Körper alles, was er kann, um das Unausweichliche hinauszuschieben.
Wenn das Gesicht mit kaltem Wasser in Berührung kommt, wird ein Impuls ausgelöst, der über den Trigeminus zum Zentralnervensystem geht und die Geschwindigkeit des Stoffwechsels heruntersetzt. Der Puls verlangsamt sich, und das Blut sammelt sich dort, wo es am meisten gebraucht wird, im Herzen und im Kopf. Es ist wie ein zeitweiliger Winterschlaf, der das Verlangen des Körpers nach Sauerstoff drastisch reduziert. Krankenschwestern spritzen Patienten, die einen Anfall von Herzrasen haben, oft Eiswasser ins Gesicht, um die gleiche Reaktion auszulösen.
Der Tauchreflex, wie man ihn auch nennt, wird noch verstärkt durch die allgemeine Wirkung niedriger Temperaturen auf Zellgewebe - sie erhalten es. Alle chemischen Reaktionen und metabolischen Prozesse werden stark verlangsamt, und das Gehirn kann mit weniger als der Hälfte des Sauerstoffs auskommen, den es normalerweise benötigt. Es gibt Fälle, wo Menschen vierzig oder fünfzig Minuten unter dem Eis eines Sees gelegen haben und wiederbelebt werden konnten. Je kälter das Wasser, desto stärker der Tauchreflex, desto langsamer auch der metabolische Prozeß und desto länger die Überlebenszeit. Die Besatzung der Andrea Gail findet sich jedoch nicht in besonders kaltem Wasser; es mag ihr Leben um fünf oder zehn Minuten verlängern. Und es ist ohnehin niemand in der Nähe, der in der Lage wäre, sie zu retten. Die elektrische Aktivität im Gehirn nimmt mehr und mehr ab, bis sie, nach fünfzehn oder zwanzig Minuten, völlig erlischt.
Der Körper gleicht einer Besatzung, die immer verzweifeltere Versuche unternimmt, um ihr Schiff zu retten. Schließlich ist die letzte Leitung durch Kurzschluß ausgefallen, das letzte Stückchen vom Deck unter die Oberfläche getaucht. Tyne, Pierre, Sullivan, Moran, Murphy und Shatford sind tot.
(Sebastian Junger: Der Sturm)
Vergeßt Wolfgang Petersens überflüssigen Film. Besorgt Euch lieber Sebastian Jungers Buch, auf dem der Film basiert. Was Junger in seinem Buch neben der eigentlichen Story, dem Untergang der Andrea Gail, an Geschichten und Anekdoten rund um die Seefahrt und die Fischerei erzählt, ist in höchstem Maße lesenswert.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
#60
Geschrieben 06. Oktober 2003, 14:32
Gestern durch die Programme gezappt. FORREST GUMP gefunden, irgendwann nach der Vietnam-Episode. Hängengeblieben. Weil der Film einen Zauber besitzt, der einen immer wieder aufs Neue gefangennimmt.
Deep Red
(Klaus Theweleit)
"I was always killing myself, but it was always the bystander who died."
(Dennis Nilsen)
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