"Die Hölle, das sind die anderen!"
"In welchem Teufelskreis wir auch immer sind, ich denke, wir sind frei, ihn zu durchbrechen. Und wenn die Menschen ihn nicht durchbrechen, dann bleiben sie, wiederum aus freien Stücken, in diesem Teufelskreis.
Also begeben sie sich aus freien Stücken in die Hölle."
Jean-Paul Sartre
"Dort, in Baltimore, würde uns keiner kennen!"
Ms. Whittaker
With Immo at the movies...
#61
Geschrieben 28. März 2003, 13:58
#62
Geschrieben 28. März 2003, 15:57
nein, dem ritual, jedem neuen film des einstigen großmeisters des "danse macabre" mit wehmütigem gegreine, früher wäre der doch viel besser gewesen, zu begegnen, werde ich mich jetzt nicht anschließen. das macht jeder, das kann jeder, keine lust drauf.
trotzdem ist WINDTALKERS, um es auf den punkt zu bringen, ein unnötiger bis ärgerlicher film. eine banale charakterisierung, eine ziemlich langweilige geschichte, sowie ein nur als gescheitert zu bezeichnender versuch, zwischen den beiden protagonisten eine pathetische männerfreundschaft zu etablieren, machen aus dem film rein narrativ schon mal eher belangloses, wäre dann doch wenigstens die an woo so hochgeschätzte formale brillanz gegeben. denn machen wir uns nichts vor - so banal seine jüngeren filme wie FACE/OFF oder OPERATION:BROKEN ARROW im vergleich auch sein mögen, man bekam zumindest ab und an was für's auge geboten. und auch wenn es in WINDTALKERS an allen ecken kracht und blitzt, so sind solche Hinkucker dennoch kaum gegeben, wohl schon allein sujet-bedingt, denn aus den wirren des kriegsgeschehens elegante shoot-outs zu destillieren, ist nunmal eine kaum lösbare aufgabe. so fliegt zwar alle paar minuten irgendwer in zeitlupe durch die luft, auch die eine oder andere blutrote fontäne ergießt sich quer durchs bild, ansonsten wird aber über weite strecken wie beim jungs-spiel in der kiesgrube - früher gerne "kriegeles" oder "schießeles" genannt - plump und steif herumgerannt, die kanone vor sich hergetragen. fehlt eigentlich ja nur noch, dass die buben das maschinengewehrgeräusch guttural imitieren, um den eindruck zu vollenden. dass zudem alle paar einstellungen der schatten des kamerateams über dem bild klebt, versaut einem sogar noch die wenigen gelungeneren momente des wuseligen treibens.
den film unterscheidet von der kriegs-action-gülle, wie es sie in den 80ern zuhauf gegeben hat, eigentlich nur das budget, ansonsten ist das wirklich mit reinem gewissen vernachlässigbarer trash, genauso wie nicolas cage einfach kein actionstar ist, schon gar kein melancholisch gebrochener. da hilft auch sein hundeblick in kombination mit etwas make-up am ohr nicht.
#63
Geschrieben 30. März 2003, 12:27
nun also, der neuen CINE MAGIC ASIA-reihe von e-m-s sei dank, auch in deutsch. und ich muss sagen: einer der wenigen filme, denen eine synchro gut tut! die vorliegende ist nicht nur technisch zufriedenstellend (man vergleiche die grauenhafte porno-synchro von RINGU und anderen asiatischen filmen), sie nimmt dem film zudem noch etwas dieses "franzen-gefühls", das der film im original versprüht: eine produktion mit blick auf einen pan-asiatischen markt ist das, dementsprechend geht's zu wie in babylon: kantonesisch, japanisch, englisch, kantonesisches japanisch, japanisches kantonesisch, kantonesisches englisch, japanisches thailändisch und das ganze bitte mit rückflug - denkbar wirr also, das ganze, zumal man dann auch noch kiloweise sub-titles im bild hatte. diese sprachlichen wirrnisse entfallen nun, hier wird brachial gleichgeschaltet, auch wenn im nunmehr komplett deutschen dialog noch immer von der eigentlich sprachlichen vielfalt die rede ist ("sie können aber gut japanisch!", "Sprechen sie japanisch?" etc.). so kann man sich die multilingualität prima dazu denken, ohne großartig abgelenkt zu werden. fein.
der film an sich ist nicht gerade johnny tos bester, sicher aber auch nicht sein schlechtester. everygirl's darling andy lau alias tok, der cinephile killer mit hang zur ästhetik, sagt gleich zu beginn "die geschichte ist nicht die originellste, aber der stil war klasse" und das gilt auch für diesen film. gleich 4 off-erzähler gibt es da, und wie die story denn nun wirklich endet, das bleibt der persönlichen fantasie überlassen. endet er so wie es etwa chin am ende erzählt? so wie der polizist es sich anschließend zurecht fantasiert? oder wieder vollkommen anders? gab es überhaupt einen showdown? war der noch nötig? ist das gesehene alles nur das buch? hat am ende to gar jonzes "adaptation" vorweggenommen? das ist sehr reizvoll, das konzept, und das ist auch FULLTIME KILLERs stärke, leider ist diese aber auch mit recht als seine schwäche auslegbar: das ist alles zwar neu und aufregend, zudem hervorragend in szene gesetzt und choreographiert, somit also hongkong-kino des besten tradition, stößt aber auch aufgrund seiner narrativen fragilität und seinem seltsam "ausgefranzten" dasein schnell vor den kopf. unterm strich eben typisch to: wagemutig, experimentierfreudig, stets die grenzen des genres, in dem er sich gerade bewegt, ausreizend und neu-definierend. das macht das ganze interessant und frisch, doch nicht jedes experiment bietet auch ein rundum befriedigendes ergebnis.
kein film, mit dem man neulinge im weiten feld des asiatischen films anzufixen versuchen sollte, definitiv aber interessantes action-kino mit intellektuellem touch.
#64
Geschrieben 30. März 2003, 12:49
der film macht keine gefangenen, hier geht's von sekunde 1 an hoch auf 180, das tempo wird weitgehend gehalten, am ende, im furiosen endfight dann, wird einmal flugs die schallmauer durchbrochen. das ist dann schon atemberaubend, nicht nur für den bösewicht.
klar, der film ist stulle, hochgradig inkohärent und macht sich auch keine mühen, irgendwelche storyelemente jenseits ihrer auswirkungen auf den plot zu erklären oder nachvollziehbar zu gestalten. die daten-pipeline zwischen fbi und der polizei in hongkong anzuzapfen ist offenbar ähnlich easy wie einen account bei gmx anzulegen: "drin!", wie's uns-bobbele einst in die kamera sprach. noch viel einfacher ist es offensichtlich für jet li, ein entsprechendes gegenprogramm zu programmieren, das man dem wie stets sympathischen lau ching wan fertig auf cd-rom gebrannt in die flossen drücken kann. doch was soll all der geiz, die macher juckt das gar nicht, dann juckt es mich erst recht nicht, zumal sich BLACK MASK wie kaum ein zweiter film seiner schwächen bewusst ist, gar keinen hehl draus macht, sondern sich lieber auf seine stärken konzentriert!
diese sind: furiose actionsequenzen, eine genial campige superhelden-geschichte (die eigentlich auch 1:1 als parodie durchgehen könnte), sowie keine langen erklärpausen oder charakteretablierungen wie es sie in us-amerikanischen pendants immer anzugähnen gibt. BLACK MASK schert sich um nix, gibt volles rohr auf die 12 und bietet einfach nur hirnverbranntes popcorn-kino zum herzlich ablachen, und das gänzlich ohne diesen albernen, naja, "charme", der jenen filmen, die immer besonders gerne mit diesem etikett versehen werden, anheim wohnt: also keine blöden fratzen-ziehen, keine dümmlichen witze, allein das obligatorische mädel-dummchen nervt ein wenig. wenigstens entwickelt sich aber keine love story mit der - glück gehabt! entfesseltes kino at its best also, mit einem wort: schweinegeil!
#65
Geschrieben 31. März 2003, 17:18
'nuff said.
#66
Geschrieben 02. April 2003, 13:32
eine geschichte wird nicht erzählt - gleich zweimal nicht. FEMME FATALE ist im eigentlichen sinne studie über bilder und deren aussagekraft, ein großes zweifelanmelden hinsichtlich des wahrheitsgehaltes medialer bilder. immer wieder wird die aussage einer einstellung nicht selten in ihr gegenteil verkehrt, sei es durch die kontextuelle einbettung im film, durch eine oft nur geringe perspektivverschiebung oder durch nachfolgende erläuterungen. das ist natürlich, wenn man so will, von antonioni geklaut, meiner meinung nach ist's eher ein konsequentes wiederaufgreifen.
schnell wird klar: man darf FEMME FATALE nicht trauen. eine geschichte wird nicht erzählt, zumindest nicht im sinne der wiedergabe von ereignissen eines linearen plots. FEMME FATALE ist collage, nur folgerichtig, dass er mit dem zeigen einer solchen endet: eine fotocollage, bestehend aus unzähligen einzelfotos, die den blick vom balkon auf eine pariser café-ecke perspektivisch simuliert. die fotos überlappen sich und im detail betrachtet sind viele, logisch, bei unterschiedlichen lichtverhältnissen aufgenommen worden, parkende autos verschwinden zur hälfte im schnitt der überlappenden anordnung. man hat das gefühl, in diesem patchwork aus dutzenden, hunderten von einzeleindrücken wühlen zu können, mit jeder schicht von photos tiefer in dieses gemälde, das zeitpunkte durch deren egalisierende anordnung im raum historisch annulliert, eindringen zu können. genauso funktioniert FEMME FATALE.
#67
Geschrieben 02. April 2003, 13:49
nach seinem exil in italien kehrt der western mitte der achtziger in die usa zurück. natürlich nicht ganz so dreckig, nicht ganz so unrasiert, nicht ganz so existenzialistisch und auch nicht ganz so brachial in seiner atmosphäre. und irgendwie wollte der funke auch nicht so recht überspringen, was ich dem film selbst aber (noch) nicht unbedingt ankreiden möchte. irgendwie war das gestern abend so ein typischer fall von mißverständnissen aufgrund falscher erwartungshaltungen, die sich durch ein paar reize in den ersten minuten einstellten. die erste stunde habe ich mich dann doch glatt auf ein paar holzwege konzentriert, was dazu führte, dass ich in der zweiten den überblick dann komplett verloren hatte - mittemang im falschen film! holla, was war mir schwindlig. eine kurze pause, ein kurzes gespräch über den film half dann doch weiter, um die unzähligen gesichter und namen auch endlich mal einander zuordnen zu können, das ausmaß der geschichte mit ihren personellen implikationen zu überblicken. dadurch wurde wenigstens der spannende showdown wieder nachvollziehbar.
ein klassischer fall von nochmal-ankucken-müssen also, um zu einem "final verdict" zu kommen. vor allem aber einmal mehr die notiz an mich selbst, dass filmsichtungen, entgegen cineastischer beteuerungen, eben doch einer gewissen, überblickenden vorbereitung bedarfen, um sich im film selbst nicht zu verirren.
#68
Geschrieben 07. April 2003, 16:48
indien ist weit weg, in diesem film, und das bleibt es auch. es taucht nur manchmal auf, in den oft lakonischen, oft bitterbösen dialogen zwischen bösel und fellner. die beiden sind gastronomieprüfer im außendienst. in österreich. denkbar weit weg von indien also.
ein film aus österreich, der indien heißt, sollte wohl wirklich mit einer totalen einer endlos scheinenden plattenbausiedlung beginnen. er bewegt sich auch nicht weg von den festgesteckten koordinaten dieses bildes - fellner und bösel begegnen sich inmitten dieser architektur gewordenen lustlosigkeit am leben zum ersten mal: fellner steigt in das zerfallene auto des einsilbigen, kettenrauchenden, hamburgerfressenden proleten, ist letzten endes das genaue gegenteil dieses kretins, lebt nahezu vegetarisch, bewahrt etikette, sucht das gespräch, recycelt den dosenmüll. und ist doch in seiner schnöseligkeit keinen deut besser, kein stückchen anders, ebenso teil dieser welt gewordenen monotonie. keine guten voraussetzungen also für den gemeinsamen außendienst, geschweige denn für eine freundschaft, mitten in der monotonie, weit weg von indien. bewegung findet nicht statt, obwohl das doch ein road movie ist. immer wieder passieren die beiden die gleichen straßen, der ausblick bleibt der gleiche, verdächtig häufig zieren die immergleichen industrieanlagen den hintergrund der dunkel-tristen bilder.
trotzdem: beide nähern sich an, dem fellner läuft die frau weg, wird er also auch zum arschloch. vor der klotür entsteht dann, während dem gespräch durch die holztür, sogar intime freundschaft - fahren sie nun also beide bestechlich und die gastwirte piesakend durch's immer gleiche land. höhepunkt dieser reise dann der gemeinsame indische tanz, bösel dabei zunächst recht ungelenk, vor den strommästen mitten in der pampas, morgens im morgengrauen, aus dem autoradio tönt die neueste scheibe aus bollywood. das ist dann schon irgendwie ein komischer moment, da sieht man diesen beiden, ja, eigentlich ja arschlöchern verdutzt zu und gönnt den beiden diesen moment der freudigen, ehrlichen lebenslust von ganzem herzen.
dieser moment währt jedoch nicht lange, denn der fellner haut sich am pfosten die eier an, die schwellen gefährlich an, im krankenhaus der befund, zunächst nur dem bösel bekannt: hodenkrebs, unheilbares stadium, aus die maus. was folgt hätte leicht ein rührstück werden können, ein ekliges stück sozialromantik über die wahre freundschaft zwischen imbißbudenbekanntschaften oder so, aber INDIEN war bis dahin großes kino, er bleibt's auch bis zum schluß: bewegend im besten sinne ist das, wie die beiden den letzten gemeinsamen weg antreten, sich dem nahenden tod stellen, diesen verarbeiten. der bislang gepflegte gallig-existenzialistische, schwarze humor bleibt selbst hier nicht außen vor, im gegenteil, er unterstreicht noch die erkenntnis, dass das leben in der grauen monotonie eigentlich nicht viel wert ist: am ende, auf dem totenbett, hast du ein billiges casio-keyboard - symbol der lust am durchschnittlichen bis läppischen - unterm arm.
zynisch ist der film jedoch beileibe nicht, trotz aller entlarvungen, aller momente der scham vollbringt INDIEN irgendwie das kunsstück - wie ähnlich zuvor in der etablierung dieser eigentlich undenkbaren, tiefen freundschaft -, seinen beiden protagonisten würde zu verleihen. das ergebnis dieses tragikomischen road movies ist, gelinde gesagt, großartig.
josef hader also. mal wieder, möchte man meinen. ein mann, den man sich unbedingt merken sollte, sofern noch nicht geschehen.
#69
Geschrieben 07. April 2003, 17:46
beim ersten mal wirkte vielleicht einfach nur der gerade mal einen tag zuvor gesehene ABRE LOS OJOS, die dem film zugrunde liegende filmische vorlage, nach, zumindest aber verließ ich den saal damals eher unbefriedigt. beileibe kein schlechter film, dachte ich mir, aber dennoch mit längen und einigen arg prätentiösen schnörkeln drin. nun ja, wie gesagt, ABRE LOS OJOS, dieser recht rauhe, ungeschliffene psycho-thriller aus spanien wirkte einfach noch nach, da ist das auge nicht bereit für die opulenten popwelten von VANILLA SKY.
wie anders dieser film nun mit etwas distanz wirkt, wie kurzweilig und konsequent weitergedacht. was ABRE LOS OJOS, vermutlich budgetbedingt, nicht konnte, schafft VANILLA SKY mit links: die ausdehnung des der vorlage eingeschriebenen traumdiskurses auf die welten des pop und des "easy going". "still living the dream", heißt es an einer stelle, "living in a magazine" sangen ZOOT WOMAN vor einigen jahren - schade, dass es dieser ungemein schöne song nicht in den (dennoch sehr schönen) soundtrack geschafft hat.
das ende ist dann kitsch der süßesten sorte, der man sich gerne hingibt, weil man merkt, dass das bewusster kitsch ist. ärgerlich wird kitsch ja immer nur in der behauptung eines jenseits dieses daseins, VANILLA SKY lässt jedoch keinen zweifel, wie es gemeint ist und so springen wir reinen gewissens hinein in diesen wunderbaren himmel von monet, weit oben, über den dächern der skyscraper dieser stadt. ein unmensch, wer hier nicht lustvoll eine träne wegdrückt.
#70
Geschrieben 08. April 2003, 23:27
schön, wenn man noch auf entdeckungsreise gehen kann, sich, zum beispiel, neue regisseure erschließen kann. terence malick zum beispiel, dessen opus ja nun wirklich nicht gerade umfangreich ist, dem kino arsenal aber gerne mal retrospektiven wert ist und auch sonst gerne als kraftvolles werk gewürdigt wird. ich gebe gerne zu: malick kannte ich bislang nur als namen, hier und da ist mir der name schon begegnet, doch selbst seinen letzten, THE THIN RED LINE, habe ich leider verpasst. schön also, wenn man sich solche regisseure noch erschließen kann. viel schöner jedoch, wenn dies ohne vorbelastung in angriff genommen wird - "jetzt schaue ich mir einen film von diesem und jenem an!" -, wenn man, ganz einfach so, über einen film stolpert, von dem man nur recht wenig weiß - ein "road movie" also - , von dem man erst im nachhinein erfährt, dass der, ach ja!, von genau dem gewesen ist, den man sich schon immer mal zur brust nehmen wollte. das ist besonders schön, weil man, im wahrsten sinne des wortes, was für sich entdeckt hat und nicht nur altbekannte cineastische standards runterbetet, das ist ja auch sowas von langweilig! so also nun geschehen im vorliegenden fall.
BADLANDS ist vor allem verwirrend, gleichzeitig aber auch hypnotisch und von rauher, unwirtlicher, karger schönheit. der tod ist hier überall zugegen: im einführenden off-kommentar von holly wird vom tod der mutter erzählt, ein hund liegt verwesend achtlos am wegesrand, die toten kühe auf der schlachterei, aufgedunsen in der sonne. wenig später dann auch hollys vater. erschossen von ihrem lover, kit, denn der vater war gegen die beziehung der beiden. danach leben die beiden, gewissermaßen selbst wie die tiere, in der wildnis, auch hier wieder dann das töten, beiläufig, selbstverständlich. die 15jährige holly betrachtet das ganze, das leben in der wildnis, die anschließende flucht durch die usa, fast anteilnahmslos, scheint zu gefühlsregungen kaum in der lage. sie stand vor der wahl: outlaw oder nicht. dann eben outlaw. alles, aber nur nicht durchschnittlich sein. ein romantisches motiv, zugegeben, doch denkbar unromantisch seine umsetzung.
von der leicht naiven revolutionsromantik des nur wenig älteren ZABRISKIE POINT oder auch von BLUTIGE ERDBEEREN ist nur wenig geblieben, dort draußen in den badlands. die revolte verkommt zum bloßen zeichen, etwas james-dean-habitus. ansonsten nur die weite des landes, mitten drin, stets darin gefangen, die beiden ausbrecher, die selbst nicht so recht wissen, warum und gegen was, für was sie eigentlich ausbrechen. für die liebe, möchte man das romantisch nennen, doch gleich zu beginn wird die romantik in ihre schranken verwiesen: die hochzeitstorte von hollys eltern, über die jahre tiefgeforen, schenkt der vater dem totengräber, nach der beerdigung seiner gattin.
gefangen in den konventionen also, selbst der ausbruch selbst ist zum scheitern verurteilt, wird als solcher ja eigentlich gar nicht mehr wahrgenommen. wie es typisch für diese art der us-amerikanischen road movies ist sieht man auch hier oft weite, ebene landschaftsflächen, in denen sich die figuren bewegen, ein strenger horizont trennt himmel und erde. so sehr die figuren auch mit der welt ringen, die (exzellente) kameraarbeit trägt sorge dafür, dass diese linie niemals durchbrochen wird. eine annäherung bis auf wenige millimeter im bild, das ja, gefangen bleiben sie dennoch.
ein wunderbarer, großartiger film.
#71
Geschrieben 08. April 2003, 23:33
mit welchen erwartungen begegnet man einem film mit jack nicholson und adam sandler in den hauptrollen? am besten wohl mit gar keinen, denn dann ist dieser film, es geht um DIE WUTPROBE (die deutscheverleihtitelitis hat mal wieder gnadenlos zugeschlagen, im original wäre es dann etwas wohlklingender: ANGER MANAGEMENT), eigentlich doch recht vergnüglich. natürlich, vieles ist klamauk, und das von jan diestelmeyer in epd formulierte, von mir nun so genannte "sandler-syndrom", dass in jedem film mit eben jenem darsteller einer an einem kulminationspunkt dick was auf die fresse kriegt, darf der wutprobe ebenfalls gerne attestiert werden.
trotzdem: an manchen stellen herrscht sogar ein nahezu subversiver humor, der sich angenehm polternd luft macht, den sozialen implikationen, denen der mensch der moderne unterworfen ist, rechnung trägt. wenn sich sandler mit einem buddhisten, nett wie immer und in letzter zeit recht häufig auf der leinwand: john c. reilly, prügelt etwa. oder wenn sandler (...weiß der herr im himmel, wie dessen charakter heißt, bei diesem film ist das ja wirklich recht egal...) zu beginn im flugzeug mit den gröberen verirrungen der political correctness ringt. wie in einem zahnrad gefangen stolpert sandler, dieser friedliche, eigentlich in seiner harmlosigkeit recht lächerliche white-collar-loser, jedenfalls von einer juristischen wie sozialen sanktionsstufe zur nächsten - weil er so ein ungemein zorniger aggresivling ist, nämlich. was dem chaplin die fabrik, dem sandler also die zwickmühlen des "wie man's macht, ist's falsch"-miteinanders?
nun, vielleicht nicht ganz - ein paar lichte momente, die einem das glauben machen wollen, gibt es aber dennoch. ach so, und jack nicholson ist natürlich mal wieder großartig genial sardonisch. wie sich hier überhaupt eine ganze reihe gern gesehener akteure auf der leinwand für eine nette nebenrolle, john torturro als brutaler italo-schläger etwa, hergegeben haben. unterm strich also: nett.
#72
Geschrieben 11. April 2003, 21:48
Aus der Haut fahren möchte man, ehrlich, man möchte sich den Verantwortlichen zur Brust nehmen und ihn ordentlich durchschütteln. Da kommt also dieser kleine Film eines noch recht jungen Regisseurs daher, schafft es ganz wunderbar, seine zwar nicht unbedingt originelle Geschichte im positiven Sinne des Wortes eindringlich und intensiv zu erzählen, da hat man ein ganzes Set junger, frischer, unverbrauchter, vor allem aber höchst talentierter Schauspieler und was passiert? Am Ende wird alles schlagartig über den Haufen geschmissen, jedwede Ambition in einer dreifachen Portion Schlagsahne ertränkt, stellt damit eigentlich den gesamten Film, die mühsam entwickelte Tragikomödie in Frage und macht einen, nur kurz zuvor noch gutgelaunt und froher Dinge, dass es endlich mal einer in Deutschland irgendwie richtig gemacht hat (ein paar Unzulänglichkeiten schieben wir nachsichtig aufs Alter ab), kopfschüttelnd vom Film ablassen.
Wozu das, fragt man sich. Die Geschichte von Torge - „24 Jahre, Zimmermann und mein Leben ist geil, die Frauen stehen auf mich und meine Freunde sind einfach Klasse“ -, der nach einem äußerst vermeidbaren Unfall sein Bein, nicht aber seine dandy-hafte Schnottrigkeit, seinen Zynismus verliert, wurde nun wirklich feinfühlig und interessant etabliert. Die Implikationen des Unfalls im direkten sozialen Umfeld etwa, das mit dem Unfall und seinen Folgen, genau wie er, nicht so recht zurande weiß, in einer Zeit zudem, in der eigentlich die Weichen für die weitere Zukunft endgültig und final gestellt werden, die meisten sich ins private Eheglück flüchten. Wie lebt man dann, auf sich zurückgeworfen, wie leben die anderen mit einem, vor allem der gute Freund Holger, dessen Fahrlässigkeit unter Umständen – die Schuldfrage brodelt stets untergründig, wird aber nur selten angesprochen, sorgt vielmehr für einzelne Kulminationsspitzen – für das Unglück verantwortlich ist und der zudem in allen Belangen, die Torge für das weibliche Geschlecht einst attraktiv machten, etwas weniger vorteilhaft ausgestattet ist. Wie lebt dieser Freund also nun mit Torge, der sich nunmehr – teils aus Verzweiflung, bei der Verheiratungstombola leer auszugehen, teils aus Boshaftigkeit – an Holgers Ex ranmacht, nachdem diese den als Angebot, doch zusammenzuziehen, getarnten Heiratsantrag zum Anlass für die Trennung nahm. Überhaupt die Ehe, diese Institution, um die sich als heimliches Zentrum alles zu drehen scheint, in die sich alle flüchten, an der viele zweifeln und in der keiner glücklich zu werden scheint. Einzig möglicher Lebensentwurf in der Provinz, trotz allem, wider besseren Wissens eigentlich, von den meisten angestrebt.
Der Versehrte wird in diesem Film nicht zum großen Einsichtigen, er kommt nicht zur Ruhe, wird nicht zum verständnisvollen Eremit, wie das ja im Klischee gerne behauptet wird. Im Gegenteil, er will es noch immer wissen, springt in seinem „Nicht-Wahrhaben-Wollen“ auch schon mal, trotz Prothese am Stumpf, von der Brücke auf ein vorbeifahrendes Schiff, ein alter Ritus des portraitierten Männerbundes. Oder wettet eben mit seinem Freund, dass er dessen Ex ein „Ja-Wort“ abringen könnte. Dass er es noch immer drauf hat, „einfach so“.
Ein ganz wunderbarer, sorgfältiger, gänzlich unprätentiöser Film über Adoleszenz in der Provinz und die Schwierigkeit des Lebensentwurfs, noch dazu unter erschwerten Bedingungen, fernab von Aktion-Mensch-Betroffenheit hätte das werden können, wäre da nicht der bereits angesprochene Schluss. Der kommt unvermittelt, wirkt nahezu übergepfropft und macht GANZ UND GAR – leider, man muss das wirklich betonen – im Endspurt noch zum Ärgernis. Ohne ersichtlichen Grund ist aus heiterem Himmel alles wieder gut: Am eigentlich größtmöglichen Entfremdungspunkt zwischen den Jungs und den Mädchen der Clique, am größtmöglichen Entfremdungspunkt zum Lebensentwurf überfällt einen der Film förmlich mit der, gerade in Anbetracht des vorangegangenen Geschehens, überaus zweifelhaften Einsicht, dass man doch einfach nur mal wieder lachen, bzw. sich gegenseitig zum Lachen bringen müsse, dann wäre doch alles wieder gut, auch in der Provinzalltagshölle. Dann wird eben auch geheiratet, ganz flax, einfach so und zwar sogleich in der nächsten Kameraeinstellungen. Alle haben sich lieb, eitel Sonnenschein, die Zukunft ist die Ehe und das ist superduper! Warum auch immer, fragt man sich fassungslos im Dunkel des Saals, denn eine Erklärung für diesen Stimmungswechsel binnen weniger Sekunden bleibt der Film, will er sich nicht komplett verleugnen, schuldig.
Den Saal verlässt man sauer, unheimlich sauer auf jenen Verantwortlichen, der einen - nach der 90. Minute noch, man muss sich das mal vorstellen! - um einen wunderbaren Film gebracht hat.
#73
Geschrieben 12. April 2003, 10:37
beginn, krise, ende und erneute annäherung einer beziehung unter denkbar erschwerenden vorzeichen, einer amour fou also, im wahrsten sinne des wortes. klar, so heißt der film ja auch: liebe, und zwar auf die harte tour. er, das ist jack, individualist in new york, stilecht mit der schlangenlederhauthjacke von sailor ripley, außerdem ist er krimineller, wegen dem kick, und zudem, das jedoch ganz im versteckten, melancholiker mit schriftsteller-ambitionen. sie, das ist claire, studiert biologie, ist aus gutem hause, hat einen zahmen bis langweiligen freund und möchte es eigentlich zu was bringen im leben. sie lernen sich im kino kennen, genau wie wir die beiden.
die beiden umkreisen sich, ziehen sich immer wieder an, stoßen sich immer wieder ab. vor allem aufgrund jacks unfähigkeiten, sich liebe einzugestehen oder treu zu bleiben. in den besten momenten beginnt der film zu flimmern und die außerfilmische realität aufzuheben. jack und claires erstes rendezvous zum beispiel, wenn sich die beiden, stets achtsam von der kamera umkreist, auf ein unabgesprochenes spiel mit der ironie einlassen, er der gangster, sie die vorgebliche undercover-polizistin. oder wenn jacks geheimes schriftsteller-versteck - ein holzverhau in einer großgarage - zum ersten mal in szene gesetzt wird, wenn jack und claire, vermeintlich nun endgültig glücklich, über claires zukunft als nobel-preistägerin und seine als ihr versuchsobjekt scherzen. die aufnahme dieses gesprächs wird später, unzählige seelische verletzungen später, eine tragödie auslösen. in diesen momenten - es sind noch ein paar mehr, natürlich - ist LOVE THE HARD WAY groß und man verliert sich sehr gerne in seiner welt.
doch zwischen diesen momenten schimmern schwachstellen hervor, oft lange szenen, die lediglich der verkittung dieser magic moments in der chronologie des drehbuchs geschuldet sind. dann verblassen die andernorts schillernden charaktere oft zum klischee, zur reinen behauptung von lebenden menschen und die "hard boiled"-fragmente fühlen sich an, als hätte wim wenders mal wieder zum genrefilm gegriffen. das klappt bei wenders meist nicht und auch hier bleibt stellenweise ein seltsam schaler geschmack von naivität auf der zunge zurück, die wohl typisch ist, wenn deutsche filmproduktionen im straßenmilieu von brooklyn spielen wollen.
in erinnerung bleibt LOVE THE HARD WAY weder als besonders herausragender, noch besonders schlechter vertreter seiner art. mittelmäßig - das wohl fatalste urteil für einen film - ist er jedoch auch nicht, dafür bietet er einfach zuviele reibeflächen. und einige bezaubernde momente, versteht sich.
#74
Geschrieben 14. April 2003, 18:55
was ist das leben, streng genommen, außer biographie, einer chronologischen abfolge von ereignissen? man möchte dem zustimmen, ja, das hat was, gesetzt den fall, man beachtet den faktor mensch in dieser betrachtung nicht. dieser merkt sich nur das angenehme, erzählt nur das ihm nützlichste, passt das eigentlich geschehene dem idealen selbstbild an. die biographie also, nicht chronologie von ereignissen, sondern chronologie von erzähltem, eingefärbtem, leicht verschobenem und weggelassenem. bis hin zum selbstbetrug geht das.
doch RASHOMON ist nicht zynisch, denn dann ist da noch der moment der erkenntnis, wenn der ehrlichste unter den betrügern den selbstbetrug wittert, sich selbst nicht mehr komplett auf den leim geht. das ist dann noch nicht notgedrungen die erkenntnis einer objektiven wahrheit - wer wüsste die schließlich schon zu benennen, nach unzählbaren verdichtungen, verschiebungen, aufgetragenen schichten -, immerhin aber das eingeständnis, das es soetwas wie wahrheit wohl kaum gibt. immerhin, sagt RASHOMON, darin liegt seine im besten sinne des wortes humanistische qualität.
der zuschauer ist der angesprochene herr im film, der richter, der nie in erscheinung tritt, stets außerhalb des bildes verortet wird und noch nichtmal aus dem off spricht. in der unmöglichkeit des urteilfällens, mit der man am ende alleinegelassen wird, liegt die lektion der geschichte. der film ist nur so gut, wie der boden auf den er fällt, seine hervorstechensten qualitäten liegen im außerfilmischen des "nach dem film", draußen, in der realität. aber nur sozusagen, natürlich.
#75
Geschrieben 15. April 2003, 10:20
sommer, sonne, urlaub, äußerlich ist man weit weg von zuhause und in einem drinnen entsteht die leise ahnung des sexualtriebes. etwas staunen darüber und freude gleichermaßen, dann also die erste feurige romanze, die hoffnung auf das baldige "erste mal" - stoff für einen teenie-film also, oder richtig romantisches kino über die zeit, an die sich alle doch immer noch am liebsten erinnern. damals, als alles noch neu war ...
doch breillat nutzt diese vorgaben nicht so, wie man eigentlich erwarten könnte (zumindest, wenn man nicht weiß, wer catherine breillat ist), sie deutet sie um, entwickelt mit unaufdringlichen mitteln ein szenario des steten unbehagens. potenziert den schrecken gerade durch die alltäglichkeit, die unbekümmertheit, mit der der gängige stoff abgeklopft und zerlegt wird. eine moral gibt es in dieser momentaufnahme dieser sublimen, französischen familienhölle nicht, sie wäre auch fehl am platze. moral würde ja bedeuten, dass es anders hätte ablaufen können, dass zumindest der zuschauer, nunmehr mit dem wissen darum ausgestattet, ein anderes leben führen wird. man bleibt allein zurück, viele ratlos, wieder andere brüskiert.
der schluß, der berühmte schluß, möchte man sagen, ist nur konsequent, bleibt dem film nicht fremd, wie andere meinten, auch wenn er plötzlich einbricht. "don't believe us if you don't want to", sagt anais am ende, nach der katastrophe. man würde ja nur zu gern, allein es fehlt die perspektive.
#76
Geschrieben 15. April 2003, 19:31
ein zeitloser film ist das, der selbst heute noch, 42 jahre nach seiner entstehung, seine volle wirkung zu entfalten weiß. mit verve und stil erzählt edwards dieses kleine hinterhofmärchen von jener überaus reizenden holly golightly, die in den scherben ihrer existenz das wilde leben sucht, und von ihrem schriftstellerfreund fred. oder eigentlich ja paul, gut, einverstanden.
man muss wohl wirklich mal in einer großstadt gelebt haben, den charme eines solchen (oder vergleichbaren) appartementhauses kennengelernt haben, um diese geschichte, in der sich ja doch irgendwie alles ums urbane dreht, vollends mitfühlen zu können. man sollte sich schon, in einem ruhigen moment, mal gefragt haben, was wohl das namenlose mädchen zwei stockwerke weiter oben an einem sonnigen nachmittag in ihrer wohnung so treibt, oder was das mädchen mit der extravaganten frisur gleich schräg drüber so für ticks hat. das muss man zwar alles gar nicht wissen unbedingt, sich das aber fragen, das sollte man schon von zeit zu zeit. es sind diese momente der oft intimen, dennoch aber anonymen, ganz eigentümlich urbanen art und weise des zusammenlebens, aus denen FRÜHSTÜCK BEI TIFFANY seine kraft zieht.
vor soviel charme und eleganz strecke ich gerne die waffen und nehme mir den luxus heraus, einfach nur begeistert zu sein.
... der kater ist der heimliche hauptdarsteller, der muss einfach mit auf dem bild sein!
#77
Geschrieben 16. April 2003, 10:23
videodrom sei dank ist dieser film bereits als import-vhs entleihbar, sonst hätte ich vermutlich auch noch geld in eine kinokarte investiert. denn was sich in der synopse zumindest interessant anhört, in der ersten episode sogar noch einiges in aussicht stellt, entpuppt sich ziemlich schnell als prätentiöser, mit fortschreitender laufzeit zunehmend langweiliger "frauenfilm" im negativen sinne. da wird sich der zweite frühling erhofft, da wird ein kind abgetrieben, da ist man lesbisch und muss sich um seine sterbenskranke freundin kümmern, da ist man blind und wird verlassen, da ist man geschiedene hausfrau und im nachbarhaus zieht ein alleinstehender mann ein, jede episode natürlich mit behauptetem gefühl, behaupteter tragik angereichert. glaubhaft wirkt das ganze indes nie, vielmehr kommt der film nie über den status eines zurechtkonstruierten sammelsuriums nur halb zuende gedachter ideen des drehbuchautors - männlich, versteht sich - hinaus. um sich dennoch irgendwie das spielfilmformat zurechtzubiegen, wurden in die episoden personelle verknüpfungspunkte eingestreut, die wohl so ein bißchen das "short cuts"-feeling evozieren sollen, eigentlich jedoch schon fast erschreckend wirkungslos verpuffen. in den usa ist diesem film lediglich eine auswertung im fernsehfilmformat beschert gewesen, genau das ist er eigentlich auch. warum man ihn hierzulande unbedingt auf die leinwand bringen muss, bleibt schleierhaft.
#78
Geschrieben 19. April 2003, 00:48
februar in berlin, berlinale. man wühlt sich durch programmhefte, streicht an, notiert, wägt ab. lieber um 12 uhr den film im cinemaxx, dafür den um 13 uhr im arsenal sausen lassen? und wann könnte ich den dann nachholen? und was müsste ich nun dafür wieder sausen lassen? und welche filme kommen eh in zwei, drei wochen in die kinos? man erstellt pläne, tabellen, streicht widerwillig gerne wahrgenommenes und disponiert um, steht stunden lang in schlangen an, muss dann an der kasse wieder alles umschmeißen, weil das eine oder andere dann doch schon ausverkauft ist. 2 wochen lang läuft man nur mit einem stapel programmhefte unterm arm durch die stadt, rennt von vorstellung zu vorstellung, stets auf der suche nach dem bestmöglichen destillat aus der ungeheuren angebotsfülle. sozialer kontakt zu nicht ganz so filmbegeisterten wird zum ding der unmöglichkeit, die erschaffung eines mikrokosmos! planet potsdamer platz mit den trabanten am zoo und am friedrichshain, haupstadt: berlinale-palast. danach lehnt man sich erschöpft zurück, ist zwischen 10 und 50 filmerfahrungen reicher (manche davon schon wieder am verblassen) und ist zwar irgendwie froh, dabeigewesen zu sein, aber eigentlich doch auch recht glücklich, dass es das dann nun erstmal gewesen ist. berlinale ist eine zweiwöchige, lustvolle durch-militarisierung des alltages im namen des films, besser: der filmleidenschaft.
in new york aber, da herrscht immer berlinale. dutzende von kinematheken, programmkinos, underground-kinos und ein steter overkill an festivals lassen einen, theoretisch, den berlinale-zustand das ganze jahr, rund um die uhr, ein leben lang aufrecht erhalten. und eine handvoll kinofanatiker - selten passt der begriff besser - hat sich in der tat genau dem verschrieben. ihre liebe gilt dem kino und, das ist jetzt nicht nur bloße rethorik, nichts anderem. In CINEMANIA begleiten wir sie eine weile, lernen ihre marotten, ticks und vorlieben, jeder hat so seine ganz eigenen steckenpferde, kennen.
zunächst das einende: sie hetzen täglich durch die stadt, durch den öffentlichen personennahverkehr, von einer vorstellung zur nächsten, sammeln programmhefte und werten diese mühevoll aus. eine akribische kleinarbeit, die höchstes organisationsgeschick verlangt. soziale kontakte pflegen sie kaum, schon zeitlich wäre das ja kaum möglich, dafür aber kennen sie sich untereinander ein wenig, auch wenn sich "filmbuffs", wie man erfährt, nicht treffen, um zusammen partys zu feiern, nein, sie gehen zusammen ins kino und das ist, in der regel, selbst zweisam eine recht einsame angelegenheit, zumindest aber unkommunikativ. ab und an trifft man sich auch so im saal, oder im foyer, wenn man sich quasi gerade ablöst im kino. über die fragen nach dem jüngst gesehenen, dem für den weiteren tagesverlauf geplanten kommen die gespräche kaum heraus, schon allein deswegen nicht, weil man sich bereits den nächsten platz sichern muss. allesamt leben sie in ärmlichen verhältnissen: kleine wohnungen, sozialhilfebezug, stellenweise verwahrlostes äußeres.
trotzdem gleichen sie sich, in der detailaufnahme, nur wenig. die greise roberta, kinosüchtig seit 1950, mag vor allem das melodrama, ist aber auch dem dokumentarfilm augenscheinlich nicht abgeneigt. gerne streitet sie sich auch, z.b. mit der kartenabreißerin, denn roberta bewahrt alle kinokarten auf, das wird dann auch schon mal rabiat. überhaupt das sammeln: ihre wohnung - räumungsgefährdet, das am rande - quillt über von filmdevotionalien, programmheften (alle in mehrfacher ausführung), promotionmaterial und allerlei (film-)tand - genug, um ein kleines museum zu füllen! gerne würde man, selbst ja filmbegeisterter, darin mal stöbern. jack angstreich ist wohl der typischste new yorker im quintett, typisch vor allem dann, wenn man new york mit woody allen im hinterkopf denkt. dessen humor gleicht jacks dann doch frappant und er sorgt in der doku für kurzweilige selbstreflexionen. wenn er davon erzählt, dass sein sexleben vor allem deswegen so verkümmert sei, weil er nicht sex mit der person rita haysworth haben möchte, sondern mit welles' schwarzweiß-inszenierung von derselben, dann beschreibt er nicht nur recht genau das baudrillard'sche simulakrum, sondern hat auch die lacher auf seiner seite. ein mensch, mit dem man doch recht gern ins kino gehen möchte. bill hingegen, wie jack ebenfalls noch recht jung, wirkt wie ein hoffnungsloser fall für die geschlossene anstalt: seine liebe gilt vor allem dem europäischen autorenkino, besonders die nouvelle vague hat es ihm angetan. fürs kino hat er rheumadecken dabei, sowie tabletten gegen rückenschmerzen und schnupfen, zum schlafen für den Abend benötigt er pillen, zum aufstehen ebenso. er wirkt fahrig, sozial vollkommen unfähig, blickt den gesprächspartner nicht an, ist zwar nicht unbedingt wortkarg, dennoch aber autistisch verschlossen. zwanghaft und wie auswendig gelernt muten seine liebesbekenntnisse an. ebenfalls meist neben sich steht harvey, jedoch auf liebenswerte, schrullige art. er kuckt, so die anderen im bunde, "selbst den größten dreck" und kann dem dann auch noch etwas abgewinnen, selbst dem beknacktesten exploitation-film, weswegen man sich auf seine filmtipps kaum verlassen könne. "der findet alles gut", meint jack. außerdem stoppt er die laufzeiten sämtlicher filme, kann die bereits gesehener filme aus dem stegreif nennen und weist das kinopersonal gerne mal auf falsche angaben im programmheft hin. diebisch freut er sich, wenn er das personal in einem multiplexkino ausgetrickst hat und sich drei filme zum preis von einem ansehen konnte. eric schließlich, von dem wir im film am wenigsten erfahren, ist der älteste unter den portraitierten und liebt vor allem unterhaltungskino, komödien und musicals haben es ihm dabei besonders angetan. mit europäischem autorenkino kennt er sich zwar gut genug aus, um sich eine meinung bilden zu können, weist es aber dennoch nahezu apodiktisch von sich. "never liked antontioni" und "never been into resnais" - kurz und prägnant.
fünf eigene welten also, lose über die leidenschaft miteinander verbunden. vor allem aber fünf individualisten mit ganz ausgeprägten eigenarten, die der film, trotz aller lacher und befremdetem kopfschütteln, niemals der lächerlichkeit preisgibt. auch wird nicht versucht, pädagogisch eine "kultur-krankheit" zu analysieren oder ursachenforschung zu betreiben. CINEMANIA schaut einfach, filmt ab, was passiert, portraitiert. kritisch unter die lupe genommen oder gar abgewertet werden die fünf seelen nicht, dafür nimmt er sie viel zu ernst, dafür zeigt er viel zu viel verständnis für die passion, die glühende aufopferungsbereitschaft, mit der die fünf sie verfolgen. ganz im gegenteil, an manchen stellen beneidet man sie fast sogar, wenn sie von ihren wundervollen erinnerungen schwärmen, wenn die liebe, mit der sie ins kino gehen, filme förmlich in sich aufsaugen, vermitelt wird. dann sind das nicht die kranken menschen, für die viele zeitgenossen sie vielleicht halten möchten, dann sind das lediglich opfer einer wirtschafts- und gesellschaftsorganisation, die dieses leben für die leidenschaft eigentlich so nicht miteinplant hat. deutlich wird dies, wenn jack, dessen frühere klassenkämpfermentalität man hier und da mal aufblitzen sieht, sich darüber moniert, dass die psychologie visuelle erfahrungen bis heute nicht als vollwertige anerkennt, sie vielmehr, im zwanghaften ausmaß, als kompensation für eigentliche wertet - reine ideologie! und wer hat schließlich festgelegt, dass ein leben für die karriere, ein leben für den job oder ein leben für die familie das eigentlich gesunde, normale, erstrebenswerte sei? unglücklich wirkt, vielleicht mit ausnahme von bill, keiner der dokumentierten cineasten.
CINEMANIA ist, eigentlich, ein film über jene art von liebe, die den liebenden mit haut und haaren verschlingt und aufzehrt. romantik also, in der ur-form.
#79
Geschrieben 27. April 2003, 21:23
es geht, wie in jedem guten actionfilm, hin zum urmythos des kinos: zum wunder der bewegung, zum mirakel von der darstellung der durchquerung des raums in möglichst kurzer, also stets zu beschleunigender zeit. die story bleibt lediglich kompromiß, zugeständnis an die konventionen des erzählkinos und loses verbindungsglied zwischen herzhaft ehrlich selbstzweckhaften actionsequenzen. dieselbst sind, mit einem wort, furios!
entgegen den konventionen zeitgenössischer us-amerikanischer pendants zählt hier nicht der exzessive gebrauch von schußwaffen, nein, nahezu allein motorisierte vehikel stehen im fokus des films. das ist schon, an nicht wenigen stellen, mitunter sensationell, was einem da geboten wird.
zugegeben, ein tsui hark hätte den straßenverkehr frankreichs nicht nur beschleunigt, er hätte ihn vermutlich jenseits physikalischer gesetze in szene gesetzt, unsere vorstellungen von zeit und raum, unsere vorstellungen vom eigentlich eher nur unelegant mobilen für ungültig erklärt. TAXI ist da schon etwas europäischer, etwas weniger wagemutig. nichtsdestotrotz bleibt eine bewegungsstudie, die, vom ballast der kohärenz und den verpflichtungen ans erzählkino weitgehend befreit, zu begeistern weiß.
#80
Geschrieben 27. April 2003, 21:55
camp, aber so richtig, ja. man kennt das ja: ein adoleszenter kennt die gefahr, die der gemeinschaft (familie/wohnort/land/welt) droht, er wendet sich vertrauensvoll an die institutionen (patriarch/polizei/regierung/UNO), wird aber, aufgrund einer verkettung meist tragischer ereignisse, für verrückt erklärt, zumindest aber nicht ernstgenommen. weitere versuche, oftmals verbunden mit dem risiko von sanktionen gleich welcher art, scheitern ebenfalls, bis, nach einem steten crescendo, die katastrophe eintritt, man resignierend feststellt: "hätten wir doch nur gleich auf ihn gehört!"
in THE BLOB aus den fünfzigern ist die katastrophe ein roter schleimball aus dem weltall, der die unangenehme eigenart besitzt, menschen zu umschleimen und, zwecks aufnahme von nährstoffen, zu absorbieren. dabei wird er stetig größer, eigentlich ganz schön blöd.
ein klassiker der 50ies paranoia also, mit allem was dazu gehört: hölzerne dialoge, stereotype charaktere, eine cremefarbene, für diese dekade sehr typische farbgebung und, vor allem, die stets sublime angst vor der großen, kommunistischen verschwörung, die's auf den einzelnen, das individuum abgesehen hat, ihn, im buchstäblichen sinne, rot zuschleimt und in sich absorbiert, ihn gleichmacht. einen auch wirklich so zu bezeichnenden sieg gibt es in diesem film nicht, einen etappensieg, ja, diesen vielleicht, davon erzählt das eher grimmige, nicht aber glückliche ende. 1958 war die schlacht noch nicht geschlagen, damals musste der zukünftige verlauf der historie noch unter dem signum eines großen fragezeichens gedacht werden.
#81
Geschrieben 27. April 2003, 22:17
eine kleine schatzkiste der frühsten filmgeschichte, dieses tape des british film institute. klar, sowas schaut man sich nicht an, um eine irre filmabend zu haben oder um eine stunde lang prächtig unterhalten zu werden. auch erkenntnisse jenseits der innerfilmischen realität bleiben weitgehend aus. nein, hier geht es allein um filmgeschichte, den film als kunstform an sich. deswegen stört auch nicht der kommentar eines, im übrigen überaus kompetenten, filmhistorikers, der auf das besondere der ausgewählten filme aufmerksam macht, sie in der historie verortet, ihren status darinnen erläutert: hier also der erste schnitt der filmgeschichte, dort also ein ganz bewusst eingesetzter achsensprung, dies nun eines der ersten remakes der filmgeschichte und so weiter. auffällig auch, wie stark die filme schon die tendenz zum genre aufweisen und wie sie, darüber hinaus, eben immer auch die bewegung, die rasanz zum thema haben. kunst hat, an und für sich, eben doch immer nur sich selbst zum inhalt.
#82
Geschrieben 28. April 2003, 20:07
beim zweiten mal verliert der film dann doch, leider, arg viel von seinem glanz. man kennt den "trick" der story und ihrer erzählungsweise bereits, jenseits dessen bietet der film nur recht wenig, was ihn frisch und beeindruckend wirken lässt. das heißt nun beileibe nicht, dass ich den film plötzlich schlecht fände, nein, es ist nur ein film, den man, von cineastischer warte aus gesehen, nur einmal sehen kann. für einen klassiker-status, den man für THE HOURS hier und da zumindest in betracht gezogen hat, reicht das sicher nicht: die hürde der zweiten sichtung hat THE HOURS diesbezüglich, ich betone es nochmal: leider, nicht gepackt.
#83
Geschrieben 28. April 2003, 20:22
auch hier also die zweite sichtung. nun denn, im gegensatz zu THE HOURS weiß ADAPTION auch dann noch zu begeistern. interessant aber zumindest, wie kurz die halbwertszeit einer, nennen wir's mal so, "durchgeknallten idee" doch ist. was im februar auf der berlinale noch als wahnwitzig empfunden wurde, den ganzen film äußerst "weird" erschienen ließ, ist nunmehr, ende april, sattsam bekannt, beinahe schon verdächtig gewöhnlich und gibt den blick frei für den eigentlichen film - man rätselt eben nicht mehr, braucht das konzept nicht mehr zu durchschauen: man kennt das schon. jenseits seines clous ist ADAPTION gar nicht mehr so wild, wie man ihn in erinnerung hatte, eher sogar bedächtig und ruhig, beinahe schon etwas langsam. doch dann sind da immer noch szenen, die einen bei der sache halten, die man beim ersten mal vielleicht noch nicht so recht wahrgenommen hat: das gespräch zwischen nicholas cage und nicholas cage über schizophrenie im film etwa. keine ahnung, warum dessen komische qualitäten bei mir das erste mal nicht so recht zündeten. solcherlei details und kleiner momente gibt es noch zuhauf in diesem film zu entdecken.
#84
Geschrieben 29. April 2003, 17:20
Cronenbergs frühes Kinoschaffen reiht sich, ganz klar, noch in die lange Traditionslinie des klassischen Exploitationkinos ein. RABID ist da keine Ausnahme: die Darstellerin hat ihr Handwerk im Porno gelernt, T-Shirts sind dafür da, ausgezogen, zumindest aber nassgespritzt zu werden, die Spielhandlung wird hölzern dargeboten, ist in ihrer Ausformulierung vor allem der Lust am grellen Effekt geschuldet und, natürlich, weitgehend hanebüchen. Für schöngeistige Cineasten sicherlich kein erfreuliches Erlebnis, für denjenigen aber, der es gerne auch mal wild mag, für den auch alte Midnite-Movies noch ihren Reiz haben, ist dieser Film, wie nicht weniges aus der scheinbar unerschöpfbaren Schatztruhe der Exploitation, ein kleines Fest.
Das liegt zum einen natürlich an Cronenberg selbst, der, wie auch in seinen anderen Filmen aus der Zeit, bevor er mit VIDEODROME auch dem Feuilletonisten Servierbares abgeliefert hat, mit den Regularien klassischer Horrorkost spielt wie kein zweiter, die gängigen Mythen, wenn auch immer unter Gesichtspunkten ihrer Ausbeutbarkeit im Sinne der Sensation, in ein zeitgenössisches Ambiente übersetzt. Dort gibt es natürlich keine Angst mehr vor alten Aristokraten, die einem jüngst emanzipierten Bürgertum unter Umständen desnächtens das Blut aussaugen, hier gibt es die Angst vor einer nur allzu leichtfertig gehandhabten Wissenschaft: nach einer Hauttransplantation mutiert die Achselhöhle von Rose zu einem, wer hätte es gedacht, natürlich dornenbewehrten Zwitterding aus Vagina und Penis, mit dem sie in Momenten der Apathie ihren Opfern das Blut anzapft. Diese Opfer wandern hernach als tollwütige, nun ja, nennen wir sie mal so, "Zombies" durch die Stadt und sorgen für Tod und Entsetzen. Binnen kürzester Zeit herrscht der Ausnahmezustand in Toronto.
Eine furchteinflößende Dystopie, die Cronenberg da geschaffen hat, durch und durch pessimistisch entblättert er ein soziales System, das von innen heraus, unrettbar, den Bach runter geht, im Chaos versinkt. Das klassische Böse gibt es nicht mehr, Rose, die das Elend über die Stadt und, vermutlich, auch über die Welt bringt, ist selbst nur Opfer, verzweifelt selbst ob des Ausmaßes ihrer Triebtaten. Das stärkste Bild am Ende: in Zeitlupe werfen seuchenschutzmaskierte Soldaten Rose' starren Leichnam in einen verdreckten Müllwagen: Der Mensch, oder besser: was von ihm übrig bleibt, ist nur noch Menschenmüll. Eindringlich. Gänsehaut.
#85
Geschrieben 29. April 2003, 17:23
Gratulation, Herr Friedkin, Gratulation - den Mut, einen solchen Film auch wirklich auf den Markt zu schmeißen, den muss man erstmal haben! Nicht nur, dass er es wagt, seine Geschichte vom Vater/Sohn-Komplex, vom Techno/Archaik-Komplex dermaßen unironisch und ernstgemeint zu erzählen, nein, die STUNDE DES JÄGERS ist auch noch derart verschnitten, unplausibel und voller Anschlußfehler, dass es einen wundert, dass ein eigentlich doch zumindest noch relativ renommierter Regisseur noch freiwillig seinen Namen im Vorspann erscheinen lässt.
Spaß macht der Film dann aber dennoch, so irgendwie. Sei es die Tatsache, dass er auf den Punkt kommt, wo andere im Namen der Konventionen lange Umwege machen, sei es die Tatsache, dass man, was "schwitziges Männerkino", wie es DIE STUNDE DES JÄGERS eben darstellt, angeht, in den letzten Jahren eigentlich kaum noch so was ehrliches und handgemachtes zu sehen bekommen hat. Und grimmig ist der Film obendrein - zumindest dann, wenn es nicht unfreiwillig komisch wirkt - auch noch. Der Endkampf zwischen Tommy Lee Jones und Benecio del Toro mit archaischsten Mitteln etwa! Schön, mal wieder so unästhetisierte, wie die, buchstäblich, abgestochene Sau blutende, ungestählte Männer auf der Leinwand zu sehen.
Ideologisch fragwürdig ist das natürlich allemal, keine Frage. Was soll's aber, da steh ich drüber, bin gewissermaßen immun - ist eh alles Camp, deswegen macht der Film auch soviel Spaß. Die Gratulation zu Beginn, die ist durchaus ernst gemeint.
Andere hingegen hat's geärgert. Auch verständlich, so irgendwie.
#86
Geschrieben 02. Mai 2003, 00:08
Für Cronenbergs Debut-Langfilm gilt ähnliches wie für den kurz zuvor gesehenen RABID: Exploitationkino at its best! Bereits im Heimkino gefällt mir dieser kleine Sleaze-Streifen ja schon überaus gut, auf der Leinwand ist der Film schlichtweg ein Genuß. Ähnlich wie später in RABID geht es auch hier um eine Seuche, die sich schlagartig ausbreitet und ihre Opfer zu "Zombies" werden lässt, zu entfesselten "Lustzombies" um genau zu sein. Wieder ist's eine wissenschaftliche Errungenschaft - ein künstlich gezüchteter Parasit, der Funktionen verlustig gegangener Organe simulieren kann, jedoch auch, um's mit Freud zu sagen, "Ich" und "Überich" ausschaltet, den Menschen zum reinen "Id" reduziert -, die für alles verantwortlich ist. Schauplatz diesmal keine Stadt, sondern ein fernab von jener platzierter Luxus-Hochhauskomplex, der mit seinen Möglichkeiten und Angeboten jedoch mindestens eine ganze Stadt in sich vereint. Das peppt das ganze doch gleich noch mit etwas Konsumkritik auf, auch wenn's, genau genommen, eine reichlich antimodernistische ist.
Dort, in jenem Komplex, grassiert also jener Parasit, ein überdimensionierter Blutegel, der - wir befinden uns im Exploitationkino der 70er - natürlich über's Küssen weitergegeben wird. Die Bewohner fallen lüstern übereinander her, Orgien bald wohin man schaut. Cronenbergs dystopische Vision der sexuellen Revolution, wie sie die naiven 60er noch wenige Jahre zuvor proklamiert hatten und die in den 70ern doch einiges an Naivität verloren hat. Die Welt versinkt in der Triebhaftigkeit.
Gänsehaut auch hier wieder gegen Ende, natürlich, in jener Szene im Swimming Pool. Auch hier wieder der gekonnte Einsatz von Zeitlupe: Lynn Lowry taucht aus dem Wasser auf, wendet uns ihren lasziven Blick zu, erblickt ihren ehemals Geliebten, Paul Hampton, der sich bis zuletzt gegen die Lustseuche gewehrt hat, inmitten enthemmter Lustzombies, wendet sich ihm zu, küsst ihn. Der Parasit wird weitergegeben, es gibt kein Entkommen.
Großartig, einfach nur großartig!
#87
Geschrieben 03. Mai 2003, 11:57
Eigentlich ein sträfilcher Faux-Pas, dass dieser Film nicht als Einstieg zur "Bodies That Splatter"-Tagung gezeigt wurde, sondern erst spät abends als dritter Filmbeitrag, bietet der Film doch - nicht nur aufgrund der zahlreichen Ausschnitte - einen gelungenen Überblick über die ersten Beiträge, die Initialzündungen, wenn man so will, des modernen Horrorfilms. Zudem bettet der Film diese wilden, wütenden kleinen Filme in einen sozio-historischen Kontext ein, der den meisten Menschen hierzulande wohl notwendigerweise verschlossen bleiben muss, vor allem dann, wenn sich die Auseinandersetzung mit diesen Filmen alleine auf die visuellen Reize beschränkt. Wie das bei den meisten Edelfedern eben der Fall ist.
Ein Moment der Verwirrung zu Beginn: authentische TV-Szenen der damaligen Berichterstattung zu Themen wie Vietnam, die Bürgerrechtsbewegung, Pogrome in den Südstaaten, quasi-militärische Auflösungen von Antikriegsdemonstrationen, etc. werden parallel zu, natürlich fiktiven, Szenen aus den untersuchten Filmen geschnitten. Wer die Filme nicht kennt, wird sich nur wenig zurecht finden. Spätestens hier wird, der Titel der Doku deutet es ja bereits an, deutlich, auf was der Film hinaus will: es wird eine notwendige Verbindung zwischen beiden Phänomenen der Bilderwelten behauptet - die Ästhetik der Fiktion als Reaktion auf die Ästethik des medialisierten Faktischen. Der morderne Horrorfilm als wütende Antwort darauf, dass, wie es, ich glaube, Hooper sagt, die USA, entgegen aller Nationalfolklore, eben nicht immer der "good guy" sind.
"Die meisten von uns wussten damals gar nicht, was wir damit losgebrochen haben!", meint Romero gleich zu Beginn sinngemäß. Professor Lowenstein erklärt, dass man angesichts dieser Bilder "nicht nicht an Vietnam denken, nicht nicht an die Zerschlagung der Demonstrationen denken, nicht nicht an die rassistischen Pogrome denken konnte". Dass ist dann wohl die Quintessenz des Filmes, jenseits der Strategie der Rechtfertigung, warum man sich das eigentlich anschaue (denn danach riecht das bedenklich oft): man muss der These, dass sich Hooper, Romero, Carpenter, Cronenberg und Craven, jetzt mal als Privatpersonen betrachtet, über den Umweg des Filmemachens mit dem Trauma zunehmender Gewalt im Medienalltag auseinandersetzten nicht notwendigerweise zustimmen, schon alleine deshalb nicht, weil diese These die Ökonomie des Filmemachens, die Ökonomie des Von-Sich-Reden-Machens als junger Regisseur weitgehend außer Acht lässt, man erhält jedoch Einblick in die nordamerikanische Perspektive auf diesen Filmkanon, wie diese Filme beim zeitgemäßen Publikum gewirkt haben müssen, welche Schocks diese Bilder auslösten. Und dieser Erkenntnisgewinn ist nicht zu unterschätzen!
Jenseits dessen ist THE AMERICAN NIGHTMARE aber auch ein Film von einem Fan - Adam Simon, dessen Gehversuche auf dem Gebiet des Horrorfilms bislang eher wenig beachtet waren - für die Fans dieser Filme. Ein kleines Denkmal für die Living Dead Trilogy, Texas Chain Saw Massacre, Last House On The Left, Shivers, Rabid, Halloween und wie sie alle heißen mögen.
#88
Geschrieben 03. Mai 2003, 11:58
Endlich auch mal auf der Leinwand gesehen. Zwar nur auf 16mm-Kopie, die auch schon arg in Mitleidenschaft gezogen war, aber das tut dem Film keinen Abbruch, ganz im Gegenteil, es unterstützt noch seinen grimmigen, rauhen, ungeschliffenen Charakter. Das Flirren der texanischen Landschaft in der Hitze, der klebende Schweiß, diese seltsame Suspense, die von Beginn an über allem zu liegen scheint, die bizarre Inneneinrichtung des Anwesens der kannibalisch veranlagten Familie von Ex-Schlachthausarbeitern - all das wird durch die Risse, das Grobkörnige des Filmmaterials noch entschieden verstärkt.
Herzklopfen dann im weiteren Verlauf, ohne Unterbrechung. Die Augen geöffnet, orientierungslos auf der Leinwand, ungläubig starrend. Genau wie Sally, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht: die Augen, immer wieder die Augen, Detailaufnahme, Entmenschlichung des Organischen, auch durch die Kamera.
Wildes, grimmiges Kino. Man könnte auch sagen: Meisterwerk. Ja.
#89
Geschrieben 03. Mai 2003, 14:27
Die Bude ist voll mit Gästen, die extra zur höchstkulturwissenschaftlichen Splattertagung in Berlin angereist sind, ein paar Flaschen Bier stehen bereit, "high brain"-Kost hatte man den ganzen Tag auf der Tagung - das da kein Fellini oder Tarkowskij aus dem Regal gekramt wird, nun ja, das liegt wohl auf der Hand.
Der Konsensfilm - die einen wollten auf jeden Fall einen Film mit deutscher Tonspur, die anderen dürstete es nach was "zum Lachen" - war dann ungewöhnlicherweise auch recht schnell gefunden: ROCK'N'ROLL HIGH SCHOOL mit den Ramones, aus der Blütezeit der Corman'schen Produktionsschmiede, ein Prototyp des 70er-Trashs. Ein Film, der an cineastischen Hürden natürlich denkbar scheitert, mit erhöhtem Alkoholgehalt im Blut und einer illustren Runde (Horde?) vor dem Fernseher einfach irre Spaß macht. Eigentlich schade, dass soetwas frisches und anarchisches heute kaum noch denkbar scheint, ohne gleich in die untersten Regionen dümmlicher Prollkultur abzusinken.
... hey, die erste Wiederholung im Filmtagebuch.
#90
Geschrieben 03. Mai 2003, 14:38
Zweiter "Post-Tagungs-Filmabend", auch diesmal was deutschtönendes und zum Lachen, auch diesmal Trash, allerdings zeitgemäß. Prinzipiell finde ich es gut, wenn sich jemand wie Adam Sandler aufmacht, einen Edelfedersport wie Golf, mit den ihm eigenen Mitteln, ordentlich mit Dreck zu bewerfen. Solche Anliegen sind per se zu begrüßen.
Hier und da ist dem anarchischem Treiben dann auch ein gelungener Lacher abzuringen, da macht die befreiende, ganz buchstäbliche Schlagfertigkeit Sandlers überaus Spaß. Ansonsten ist das dann aber doch eher gängiger Klamaukstandard, den ich, wie ich jetzt gerade feststellen muss, schon wieder weitgehend vergessen habe.
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