The retina of the mind's eye
#91
Geschrieben 01. Dezember 2003, 09:21
"Der radikalste Heimatfilm" wird "Abrahams Gold" im Verleihprogramm des Filmverlag der Autoren genannt. Und in der Tat ist es ein intensives Filmerlebnis gewesen:
In einem kleinen bayrischen Dorf lebt die 14-jährige Annamirl bei ihrem Großvater und hilft diesem in seiner Gaststube. Eines Abends kommt später Besuch in die Gaststube: Annamirls Mutter Bärbel, die sich wegen ihres recht lockeren Lebenswandels mit dem Vater überworfen hat und nach der Geburt ihre Tochter und die Heimat verlassen hat. Nun braucht sie Zuflucht und erpresst den Vater, dass sie ihm als wahre Sorgeberechtigte das Mädchen jederzeit wegnehmen könnte. Sie quartiert sich ein und baut eine Beziehung zu ihrer Tochter auf, die so ganz anders ist als ihre Mutter: Fast schon mit frühvergreister Spießigkeit begegnet das Mädchen dem Verhalten der "schlamperten" Mutter, die keinen Hehl aus ihrer Hippie-Anhängerschaft, der freien Liebe und Unsesshaftigkeit macht. Nach und nach erfährt Annamirl, dass dieso so "aus der Art geschlagene" Mutter wohl aus Protest gegenüber dem Vater so geworden ist: Dieser war nämlich SS-Aufseher im Vernichtungslager Birkenau. Und während sich Mutter und Tochter aneinander annähern, entfernt sich der Großvater zusammen mit einem Freund in Richtung Polen, um einen in Auschwitz versteckten Goldschatz zu bergen. Während seine damaligen SS-Kollegen nämlich "zu viel Arbeit mit den Juden" hatten, hatte er es geschafft, mehrere hundert Goldzähne aus dem Krematorium zu schmuggeln. Die sollen ihm jetzt den Lebensabend vergolden. Was der Großvater nicht weiß: Sein Begleiter ist als Kind der Gestapo entkommen und bei einer Deutschen Familie versteckt worden. Das weiß dieser selbst nicht; erst als er nach der Heimkehr seiner vermeintlichen Mutter aus seinem Anteil der Goldzähnen eine Halskette schmieden lassen will, öffnet sie ihm die Augen. Es komtm wie es kommen muss: Der Großvater Annamirls wird öffentlich als Nazi denunziert, worüber man lieber Stillschweigen hätte bewahren wollen. Als Annamirl davon erfährt, erhängt sie sich ...
Wie sich aus der Zusammenfassung entnehmen lässt, ist die Erzählung von "Abrahams Gold" dicht gewoben. Alles steuert schon fast zwangsläufig auf die Katastrophe zu. Der Film, der Ende der 80er Jahre entstand, schlägt dabei in die selbe Kerbe wie Michael Verhoevens "Das schreckliche Mädchen": Im tiefsten Bayern, in dem lt. Autor(en) der Patriotismus noch groß geschrieben wird (das Wort "Nestbeschmutzer" fällt in beiden Filmen mehr als einmal), entwickelt sich aus der NS-Vergangenheit einiger Bewohner ein handfestes Drama. Abrahams Gold übertreibt jedoch bei allem politischen Anspruch etwas, wenn der Film den Großvater als paranoiden Judenhasser schildert, der seine Großtochter gegen den "Jud" (seinen ehemaligen Freund, der sich nach der Selbsterkenntnis angewidert von ihm abwendet) aufwiegelt und sie zur Polizei schickt, damit sie ihn wegen Missbrauchs anzeigt. Sicherlich: Dieser dramaturgische Umschlag schien notwendig zu sein, um das Kind in den Suizid zu treiben; doch bedurfte es seiner kaum, um latente faschistische Strukturen offen zu legen.
Allerdings verhilft dieser Plottwist zum Ende des Films zu einer unglaublichen Szene: Der alte Nazi sucht seine Großtochter Annamirl und findet sie schließlich erhängt auf dem Dachboden. In seiner kompletten paranoiden Verblendung stellt er sich vor das tote Kind, spuckt es an und sagt: "Damals hätte man so einer Verräterin wie dir ein Schild um den Hals gehangen: Judenfotze!". Das geht dem Zuschauer in die Knochen ...
maX
#92
Geschrieben 01. Dezember 2003, 10:43
»denn alles was entsteht,
ist wert,
daß es zugrunde geht.«
(Goethe, Faust)
Rivers and Tides
In dem Moment, in dem sich ein Kunstwerk vom Raum in die Zeit ausdehnt und sich damit eine Dauer gibt, wird seine mediale Fixierung zum Problem. Kunst, verstanden als Kommunikation zwischen Autor und Rezipient, bedarf aber der Speicherung (in Museen, Galerien, ...) Wenn ihr Charakter jedoch nicht nur thematisch, sondern auch substanziell mit der Vergänglichkeit operiert, steht ihm diese mediale Konservierung meist entgegen. Andy Goldsworthy macht „Land Art“. Bei dieser Form der Kunst geht es darum, in der Natur mit gefundenen, natürlichen Gegenständen artifizielle Strukturen zu erzeugen und sie wieder zerfallen zu lassen. Er formt Kreise und Spiralen aus bunten Blättern, Mäander aus Steinen und Eiszapfen, Mauerkronen aus Schafswolle, rote Pfützen innerhalb von Flüssen und Bächen, Steinhaufen an Stränden unterhalb der Flutgrenze, ... Goldsworthy interpretiert die Natur und ihre geheimen Strukturen, indem er sie für den Betrachter sichtbar macht.
Das „Problem” seiner Kunst ist ihre Vergänglichkeit. Zwar schichtet er auch schlangenlinige Mauern quer durch einen kleinen Wald, die sicherlich nach Monaten und Jahren noch vorhanden sein werden; die meisten seiner Werke zerfallen allerdings bereits kurz nach und manchmal sogar (gewollt oder ungewollt) durch ihren Schaffensprozess: So hat ein filigranes Windspiel aus Strohhalmen, das Goldsworthy zwischen die Astgabeln eines Baumes drapiert und das nur durch Holzdornen befestigt ist, keine Chance gegen den Wind. Seine Werke stürzen nicht selten in sich ein, bevor sie ganz „fertig” sind; bei einigen sind jedoch der Einsturz und die Vervollkommnung ein und der selben Moment – etwa wenn der Künstler eine Hand voll Schnee in den Wind wirft, um die sich in die Luft zeichnenden Schleier mit dem Auge zu verfolgen.
Auf welche andere Weise könnte der Betrachter in den Genuss von Goldsworthys Kunst gelangen, wenn nicht durch den Film. Denn in der Möglichkeit der Laufbilder spiegelt sich die vergängliche „Land Art“ auf perfekte Weise. Und so hat Thomas Riedelsheimer den Künstler eine Zeit lang bei seinen Arbeiten in der Natur begleitet und diese „festgehalten". Eine narrative Struktur gibt es in dem so entstandenen Dokumentarfilm „Rivers and Tides” kaum. Immer wieder geht es um einzelne Projekte, die in Goldsworthy wie Ideen aufkeimen und die er zu realisieren versucht. Die Kamera hält dabei seinen Arbeitsprozess genauso minutiös fest, wie seine Erfolge und sein mehrmaliges Scheitern. Zunächst mag man den Eindruck bekommen, dass diese Art der filmischen „Konservierung” im krassen Widerspruch zum Charakter der Kunst Goldworthys steht, ist doch das Vergehen der einzelnen Werke ein zentrales Moment. Doch einerseits ist es nun einmal die Crux der „Einmaligkeit“, dass ihr nicht jeder beiwohnen kann (und es aber trotzdem aufhebenswerte Momente zu geben scheint). Andererseits liegt gerade in der Technik des Filmbildes eine tief verwurzelte Ähnlichkeit zu der Kunst Goldworthys: Denn auch im Film „vergeht” jedes Einzelbild vierundzwanzig Mal pro Sekunde.
Und damit ist Thomas Riedelsheimers Film weit emanzipierter über seinen Gegenstand, als es auf den ersten Blick scheint. Denn er filmt nicht allein die Arbeit Goldsworthys ab und dokumentiert Kunst, sondern schafft selbst Kunstwerke. Riedelsheimer wählt den Ausschnitt, zoomt hinein und heraus, nähert sich durch Fahrten an, kommentiert und interpretiert auf diese Weise die Kunstwerke. Darüber hinaus unterbreitet der Film sein eigenes Verständnis von „Land Art“, indem die Kamera auch immer wieder Strukturen auffängt, die gar nicht aus Goldsworthys Arbeit entspringen, sondern sich vielmehr als natürlich-zufällige Ordnungen erweisen; Kadrage und Montage sind deren Schöpfer.
„Rivers and Tides” verschafft auf intelligente Weise Zugang zum Konzept der Land Art und fast scheint es so, als wolle der Film sich gegen die oftmals esoterischen Ausführungen Goldsworthys sträuben, der sich immer wieder von einer Art „je ne sais quoi” der Naturmystik überwältigen lässt und daraus seine Inspiration schöpft. Im Kontrast dazu weist Riedelsheimer vor allem durch seine Kameraarbeit immer wieder auf die phallischen und vaginalen Formen der so entstandenen Kunstwerke hin: Die runden, nach oben sich verjüngenden Steinhaufen oder die zirkulären sich zur Mitte hin verdunkelnden Kreise (nicht selten mit schwarzen Löchern in der Mitte). Und selbst in der häufigsten Goldsworthy'schen Figur, dem Mäander, scheint sich eine dialogisch geschlechtliche Struktur von „Innen und Außen” durch die Bilder entbergen zu wollen.
So ist „Rivers and Tides” mehr als eine Dokumentation: ein eigenständiges Kunstwerk und ein Essay im Sinne Alexandre Astrucs, das Position bezieht. Damit ließe sich auch die unangenehme Passivität Riedelsheimers erklären, der, als er von Goldsworthy bei einer seiner Arbeiten gegen die Zeit um tatkräftige Mithilfe gebeten wird, passiv bleibt und das Scheitern dokumentiert und damit konsequent an seinem eigenen Kunstwerk weiterarbeitet.
maX
#93
Geschrieben 07. Dezember 2003, 10:41
ein sehr unaufgeregter und zunächst unspektakulärer Thriller über eine Bürogehilfin mit Hörproblemen, die sich mit einem vorbestraften Kollegen einlässt. Beide helfen sich gegenseitig bei kleineren und größeren Gaunereien, gerade weil der Typ ziemlich eindeutig und brutal ist und sie von den Lippen lesen kann, ergänzen sie sich.
Interessant ist vor allem die Kamera, die zumeist als Handkamera realisiert, wesentlich mehr Aufregung und Action suggeriert, als eigentlich vor sich geht. Man bekommt in beklemmenden Situationen durch die Inszenierung regelrecht Angst vor dem, was passieren könnte. Dann ist mir der Soundtrack sehr positiv aufgefallen: Zumeist handelt es sich um a- und abschwellende Streicher, die die ganze Zeit des Films über im Crescendo bleiben und den Zuschauer/-hörer auf den finalen, erlösenden Akkord warten lassen ... der dann am Ende, wenn alles gut wird, auch kommt. Das hat schon fast dieselbe Wirkung auf mich gehabt wie das Schlussbild aus Scorseses Bringing out the Dead.
Ansonsten ist Read my Lips (gerade weil er mich im Rückblick ein bisschen zu sehr ans Bound erinnert) ein Film, den man (ich) nur ein Mal zu sehen braucht.
maX
#94
Geschrieben 07. Dezember 2003, 10:49
Wer hätte das gedacht, dass der Film ziemlich blöd ist. Allein, wie das Drehbuch mit den vermeintlichen Klischees des Vampirismus spielt, sie bricht und ironisiert, nur, um dann eigene aufzustellen. Und dann diese ganze langhaarigen Hollywood-Schönlinge, die so fürchterlich homo- äh humorvoll wirken. Tom Cruise sieht ja schon ohne dieses barocke Übersteigerung seiner Silhouette doof aus. Na ja, Neil Jordan feiert halt die amerikanische Renaissance (die sie nie gehabt haben) und Brad Pitt ist der einzige der's merkt und dem vor lauter Modernität die Seele weh tut:
Kein rückwärts schauender Prophet,
geblendet durch unfaßliche Idole,
modern sei der Poet,
modern vom Scheitel bis zur Sohle! –?
(Arno Holz)
Wieder was dazugelernt: Filme sofort gucken spart Archivplatz
maX
#95
Geschrieben 10. Dezember 2003, 16:58
#96
Geschrieben 11. Dezember 2003, 07:29
Was ich mir immer für Sachen angucke ...
Das erste Mal hab ich den Film in München auf dem Kirchentag 1993 gesehen und Hark Bohm war da. Er hat den Film eingeletet mit der Entschludigung, dass er ihn kaum noch ertragen kann, so naiv wie er ist (der Film) und sich dann mit den Worten aus dem Kino gestohlen: "Ich komme nachher zurück, um mich auslachen zu lassen."
Na ja, Nordsee ist Mordsee ist sicherlich nicht der Glanz- und Höhepunkt de "Neuen Deutschen Films", zu dem Bohm seine Filme ja immer addieren wollte (immerhin hat er es ins Verleihprogramm vom "Filmverlag der Autoren" geschafft und in die Besetzungsriege von Fassbinder, in der Sohn Marquard aber mehr Erfolg hatte).
Nordsee ist Mordsee erzählt die Geschichte der beiden Jungs Uwe und Dschinghis. Ort der Handlung ist eine Sozialwohnungssiedlung in Hamburg, die von Aggression geprägt ist (freilich ganz anderer, als man heute gewohnt ist). Uwe ist Anführer einer Kindergang (eher eine Zusammenrottung von Jungs und Mädchen kurz vor der Pubertät, die also noch nichts "mit sich" anzufangen wissen und denen daher ständig langweilig ist zwischen den Betonschluchten) und Dschnghis ist der Zielpunkt der kindlichen Aggressionen, weil er Ausländer ist. Nachdem Uwe und Dschinghis in einer Schlägerei ein für alle Mal klären, dass Dschinghis der Stärkere ist, freunden sich die beiden an. Uwe hat Probleme mit seinem brutalen Vater, der ihn im Suff verprügelt und Dschinghis mit seiner ihn überbehütenden Mutter. Also entschließen sich die beiden, zusammen von zu Hause abzuhauen. Zuerst mit einem selbst gebauten Floß, dann mit einem geklauten Boot die Elbe Richtung Nordsee hinab. Ein Ziel haben die beiden nicht und die Polizei ist ihnen auf den Fersen.
"Sozialrealistisch" wäre wohl das beste Attribut für diesen Film. Wenn ich mal eine Dosis 70er-Jahre Flashback brauche und die Vorstadtkrokodil-Kassette ("Der Knopf bleibt zu, Amore mio!") gerade nicht finden kann, muss Bohms Film her. Die "Mode", die Musik (ein junger und engagierter Udo Lindenberg versüßt mit seiner "Mucke" die Bilder), das Flair ... ja selbst die Preise für Zigaretten ("Zwai Maak") sind hyperauthentisch. Wie soll's auch anders sein: Der Film ist von 1976 ... da war ich fünf und Leute wie Uwe zählten zu "den Großen", die einem Ständig "Schläge" oder "Kloppe" angedroht haben. Ich glaube mit 5 habe ich zum ersten Mal die soziale Realität wahrgenommen: Die Tatsache, dass ich nun bald zur Schule muss und sich dadurch neue soziale Zusammenhänge ergeben würden, hat mich beunruhigt und erregt zugleich.
Nordsee ist Mordsee ist auf unerklärliche Weise für mich ein Stück "Hamburg-Erinnerung" geworden, weil er meinen kindlichen "Eindruck" dieser Stadt im Nachhinein bestätigt. Ich hatte als Kind viele "Bilder" von Städten im Kopf, obwohl ich nie dort war: Frankfurt mochte ich nicht (weil es das Gefängnis von Heidi war), Berlin war für mich "Ostzone", Ruhrgebiet war für mich "eine riesen Stadt ... das Zentrum Deutschlands" usw.
Vielleicht waren es genau diese Deja vu-Erlebnisse damals in dem Münchner Kino, die dafür gesorgt haben, dass ich Hark Bohm nicht ausgelacht habe (die anderen haben auch nicht gelacht, ware aber in der Frage-Runde "peinlich berührt" von so viel filmischer Ehrlichkeit); diesen armen Kerl, dem die Türen zum großen Film mangels Talent immer verschlossen geblieben sind. Ich bin mal so vermessen zu behaupten, Nordsee ist Mordsee ist sein "bester" Film. Und er hatte das Glück, dort auch seine gesamte Familie als Schauspieler unterbringen zu dürfen.
maX
#97
Geschrieben 12. Dezember 2003, 22:15
Ich hab schon lang nicht mehr geheult im Kino, aber als sich am Ende Arwen Aragon zeigt, hab ich nicht mehr richtig gucken können vor Rührung! Danke!
Meine Kritik.
maX
P.S. Der Pathos muss mich wohl schon vorher ergriffen haben: Vor dem Film lief eine Vorschau zu Petersens "Troja" und ich hatte durch den Soundrack und die Bilder ne Gänsehaut am ganzen Körper.
#98
Geschrieben 17. Dezember 2003, 09:38
Da habe ich mich mit Anachronistic über die Qualität von den Die Hard-Filmen einigen können und wollte meiner Frau mal einen Bruce Willis-Film vorführen ... und dann sowas! Der Film ist ja wirklich so platt und ohne jeden Witz gedreht (mal von den One-Linern Willis' abgesehen), dass dabei einzuschlafen wirklich nur schwer zu verhindern war. Schlechte Marlowe-Kopie und dann dieses Friede-Freude-Eierkuchen-Ende ...
maX
#99
Geschrieben 20. Dezember 2003, 20:08
So muss ein guter Actionfilm sein: gar nicht erst versuchen, über Sinn&Zweck hinwegzutäuschen und in medias res gehen: Arnold ist Ex-Elitesoldat, seine Tochter wird entführt, er holt sie zurück ... klare Angelegenheit.
Schön war: Schwarzenegger steckte noch voll in der Terminator-Rolle drin und gibt sich demensprechend "minimalistisch" (bzw. kann nicht schauspielern). Nur phrasenhafte Sätze, trockener I-dunno-understand-the-punchline-Humor und keine, aber auch gar keine emotionale Regung, die glaubhaft rüberkäme. Selbst als er in seiner Verzweiflung eine Frau über die Entführung seiner Tochter aufklärt und um Hilfe bittet ist seine einzig bemerkbare Reaktion: Schwitzen!
Doch der Film hat eindeutig Niveau. Schwarzenegger wusste damals offenbar schon um sein Image als "kaum denkender Muskel" und setzt dies ironisch ein. So etwa bei folgener Szene, als er die Frau - seine spätere Mitkämpferin - samt deren teurem Sportwagen entführt:
Sie: "Hören Sie! Ich muss nachher dringend zu meinem Karatekurs für Fortgeschrittene!"
Er: "Sie werden pünktlich sein!"
Von dieser Sorte bekommt man einiges in Commando zu hören. Ein echter Kracher für gemeinsame Stunden mit intellektuellen Cineasten!!!
maX
#100
Geschrieben 20. Dezember 2003, 20:15
Bill Murray dreht einen Film mit sich selbst in der Hauptrolle. Schlecht! Und ohne den typischen Murray'schen Zynismus: Der entsteht nämlich durch Verzweiflung (Groundhog Day) und nicht durch Überheblichkeit. Einziger Lichtblick: Geena Davis und ihre Bluse ... (dass ich mich zu sowas in meinem Tagebuch hinreißen lasse )
max
#101
Geschrieben 20. Dezember 2003, 20:22
Fünf Jahre nach Koyaanisqatsi versucht Godfrey Reggio es noch einmal ... und scheitert!
Zu sehr lehnt sich Powaqqatsi an den Vorgängerfilm an und versucht ihn teilweise sogar einstellungsähnlich zu wiederholen. Zweigeteilt in einen "Ethno-Ktisch"- und einen "Kulturpessimismus"-Teil wirkt der Film wie ein Kommentar aus Die Welt ...
Selbst Philip Glass konnte das Projekt nicht retten. Der war 1988 schon längst in seiner Pop-Phase angekommen (1986: Songs from Liquid Days) und hatte keine Lust mehr, die ellenlangen, kaskadischen Serien zu spielen. Anstelle dessen setzt er viele Ethno-Sounds und -Percussions ein und unterstreicht damit eher noch die kitischige Note des Films.
Tja, was wird wohl Naqoyqatsi bringen? Immerhin hatte Reggio jetzt 14 Jahre Pause, über den Powaqqatsi zu reflektieren und auch Glass ist mittlerweile bei den Symphonikern angekommen ... Ich bin gespannt!
maX
#102
Geschrieben 25. Dezember 2003, 07:23
Grenzenloser Naturkitsch und eindimensionale Mystik. Hier in Deutschland stünde man für solch eine Erzählung sofort auf der schwarzen Liste der Antifa!
Aber die Zeichnungen waren wirklich unglaublich gut. Mal abgesehen von den etwas "Heidi"-haft gezeichneten Männern (zumindest denen, die witzig wirken sollten), waren die Frauen und Helden so schön gezeichnet, dass man sich fast in sie verlieben konnte. Und an visuellen Einfällen hat es auch nicht gemangelt. Muss ich auf jeden Fall mal mehr von sehen ...
maX
#103
Geschrieben 25. Dezember 2003, 07:24
... mausert sich langsam zu einem meiner Lieblingsfilmen. So viel Subtilität und Grusel in so leisen Tönen und unaufdringlichen Bildern ... und wie sich nach und nach die Gothic Novel in den Film schiebt! "Lovecraft at it's best", würde ich fast sagen wollen!
maX
#104
Geschrieben 25. Dezember 2003, 07:37
Ein Kriegsfilm, der das Thema "Blut und Boden" mal wörtlich nimmt. Erster Weltkrieg. Eine versprengte Abteilung der englischen Armee landet in einem fast verwaisten deutschen Schützengraben. Ein Deutscher Soldat, der noch dort ist, versucht sie zu warnen: Dort scheint es zu spuken. Aber die Soldaten verstehen ihn nicht. Sie verschwinden einer nach dem anderen auf mysteriöse Weise und die übrig gebliebenen werden immer aggressiver und greifen sich gegenseitig an. Das Finale schildert schließlich ein Gemetzel, bei dem die Grenzen von Freund und Feind, Mensch und Monster vollständig verwischen.
Beunruhigend an Deathwatch ist weniger die Gruselgeschichte, die sich dort im Schützengraben zuträgt, sondern die Atmosphäre des Ersten Weltkrieges: Der Regen, der Matsch, das Gas, der Stacheldraht, die Ratten ... und überall halb verweste Leichen, die vom Schlamm kaum zu unterscheiden sind. Das, was sich da im Schützengraben als Gespenst maniifestiert ist nichts anderes als das Grauen der Stahlgewitter. Erinnert in seiner Inszenierung mehr an Findleys "Der Krieg und die Kröte" als an "Im westen nichts Neues".
Ein unglaublich guter und auf seine Weise authentischer und erschütternder Kriegsfilm! Den habe ich garantiert nicht zum letzten mal gesehen.
maX
#105
Geschrieben 11. Januar 2004, 09:25
Während ich den Film sah, frug ich mich: Finde ich Sandra Bullock hübsch?
Während der Film lief, schlief ich dann ein.
Während ich schlief ist der Film dann wohl irgendwann zu Ende gewesen.
... muss ich wohl doch mal "Das Netz" gucken.
maX
P. S. Und wo wir gerade beim Thema sind: Erste Nacht im Wasserbett gut geschlafen!
#106
Geschrieben 11. Januar 2004, 09:29
Sehr schön ... aber schon wieder alles vergessen ... "Actioner" sind halt nicht so mein Ding (obwohl ich mich immer drüber freue, wenn ich sie sehe).
Irgendwann schreibe ich mal eine Abhandlung über die sukzessive Verfärbung von Feinrib-Unterhemdnen im Kampfeinsatz ... versprochen!
maX
#107
Geschrieben 11. Januar 2004, 09:35
Natürlich ein atemberaubend guter Film. Aber warum? Ich fürchte mittlerweile, dass es einfach die Handlung ist, die dem Film seinen Ruf eingebracht hat. Für die kann der Drehbuchschreiber aber nichts. Vielleicht ist gerade die Versessenheit auf's Historische, die Michael Verhoeven immer aus der Riege der Regisseure des "Neuen Deutschen Films" ausgegrenzt hat. (Da muss ich einfach mit Petersen und Emmerich vergleichen, die ihre Hoffnung auch immer in die Wirkung des Sujets legen ...)
Ach ja: Lena Stolze war wirklich toll! Obwohl sie nicht unbedingt die Hauptdarstellerin des Films ist, wirkt sie doch am meisten (nach). Dass solche eine frische und erfrischende Darstellerin jetzt in irgendwelchen Herz-Schmerz-TV-Zweiteilern in Nebenrollen verbraten wird, zeigt, dass "Talent" in Deutschland keine Frage von Talent ist ...
maX
#108
Geschrieben 11. Januar 2004, 09:37
habe ich weiter oben ja schon was zu geschrieben. Zur DVD nur so viel: Der Grusel ist in der Heimkinofassung leider nicht mehr so akut wie im Kino, was vor allem mit der Tonsituation zusammenhängt. Meine Empfehlung wäre also: Unbedingt in 5.1 gucken (hab ich leider nicht).
Ach ja: Gestern ist mir wieder aufgefallen wie gut der Soundtrack von "Bias" ist. Der erinnert mich sehr stark an Shores Videodrome-Soundtrack.
maX
#109
Geschrieben 14. Januar 2004, 12:06
Mutters Courage erzählt die Geschichte von George Taboris Mutter, die im Frühjahr 1944 aus Ungarn nach Auschwitz deportiert werden sollte und letztlich durch ihren Mut und die Willkür eines SS-Manns gerettet wurde.
Die Geschichte ihrer Deportation wird jedoch keineswegs dramatisch inszeniert, sondern immer wieder durch Einwürfe und zeitliche Verschiebungen, in denen George Tabori (den er selbst spielt) ins Bild kommt und das Geschehen kommentiert. Dem Humor Taboris ist zu verdanken, dass der Film eine durchaus sarkastische Tendenz auf die Situation hat: Sowohl die Naivität der Juden, die deportiert werden sollen als auch die Stumpfheit der ungarischen Nazi-Schergen werden auf's Korn genommen. Das hat dem damaligen Kinopublikum allerdings so sehr aufgestoßen, dass ein paar Szenen aus dem Film entfernt wurden (etwa, als beim Verfrachten in die Viehwaggons ein Jude einen Nazi fragt, ob es denn einen Speisewagen gäbe oder eine Szene, als Mutter Tabori im Viehwagen von einem Lüstling bedrängt wird und stillschweigend und stehend eine Vergewaltigung über sich ergehen lässt). Insgesamt fehlen Szenen mit sexuellen und grotesken Inhalten, denn in den 80er Jahren war die Frage von "Lachen über Auschwitz" noch keineswegs ambivalent geschweige denn positiv beantwortbar.
Das Lachen, dass der Film dennoch provoziert, bleibt einem unversehens im Halse stecken. Als zum Beispiel zwei spielende Teenager (von denen einie Jüdin ist) von den Nazis verhaftet werden sollen und einer der Männer sich über die "Hollywood-Juden", die das Mädchen als Plakate bei sich im Zimmer hat, lustig macht, fragt sie ihn frech ins Gesicht: "Und was seit ihr? Ungarisch-arische Nazi-Schweine" ... woraufhin sie kurzerhand im Klo ertränkt wird.
Mutters Courage wirkt zwischen den beiden Polen Komik und Grausamkeit gut ausbalanciert und ist keineswegs darauf aus, wie viele andere Filmeaus den 80ern oder von 1995 (dem 50. Jahrestag der Befreiung Auswitz', zu dessen Anlass auch Mutters Courage erschienen ist), ausschließlich zu schockieren. Irgendwie muss Verhoeven schon damals gewusst haben, dass im Grauen des Holocaust recht leicht auffindbar die vollständige Lächerlichkeit der Nazi-Ideologie "verborgen" liegt. Das zeigt sich neben seinem Film "Das schreckliche Mädchen" vor allem in Mutters Courage.
maX
#110
Geschrieben 23. Januar 2004, 14:27
[...]
1989: Die Resignation
Dem Maler Lionel Dobie (Nick Nolte) ergeht es ganz ähnlich. Auch er ist Gefangener seiner biografischen Kreise - wenn sich dies bei ihm auch auf einer anderen Ebene äußert. Nicht aus der Gemeinschaft rührt sein emotionaler Niedergang (mit ihr hat er sich als "gefeierter Künstler" längst arrangiert), sondern aus der Tatsache, dass er altert und sterben wird. Er durchlebt tagtäglich das, was gemeinhin als "Midlifecrisis" bekannt ist. Dobie nutzt seine Stellung innerhalb der ihn anbetenden Künstlergemeinschaft aus, um Frauen kennenzulernen. Diese "lockt" er mit dem Versprechen, ihnen Lehrer zu sein, in sein Atelier, wo er dann deren Bewunderung ausnutzt, um sie in eine Beziehung mit ihm zu zwingen. Dass die Basis einer solchen allerdings eine andere ist, erfährt er schmerzlich, als ihm seine aktuelle Schülerin Paulette (Rosanna Arquette) nicht nur ständig droht, ihn zu verlassen, sondern seine Schwäche und Verfallenheit ausnutzt, um ihn öffentlich zu demütigen und zu quälen. Das ist ihre Form der Rache für sein gebrochenes Versprechen, sie künstlerisch auszubilden. Die Geschichte des Kurzfilms Life lessons (Innerhalb des Episodenfilms New York Stories) verbindet weit mehr als der Handlungsort mit dem 13 Jahre älteren Taxi Driver. Auch hier ist das Wiederholungsmotiv zentral. Es zeigt sich zunächst auf der Tonspur: Immer wieder hört Dobie den Song A whiter shade of pale; erst, um sich für seine Gemälde Inspiration zu verschaffen; später, um sich zu betäuben; zuletzt, um die Lustseufzer von Paulette zu übertönen, die sich mittlerweile ihre Liebhaber mit in Dobies Atelier und Wohnung einlädt, natürlich auch um ihn zu kränken. Die Wiederholung zeigt sich in ihrem fatalistischen Aspekt gerade in der schier endlosen (und endlos mühsamen) Arbeit Dobies an seinem Gemälde. Schicht um Schicht trägt er Farbe und Form auf die Leinwand auf und entwirft so Fragmente, die zwar bedeutsam sind, ihn jedoch unbefriedigt lassen. Mit seiner zunehmenden Depression werden die Farben, mit denen er das zuvor Gemalte übertüncht, immer dunkler, bis schließlich die äußerste Schicht eine amorphe schwarz-grau-braune Masse darstellt, aus der die früheren Bildschichten oft schemenhaft hervor schimmern, so als wären sie verblassende Zeugen besserer Zeiten. Schließlich verlässt Paulette Dobie endgültig, als sein Gemälde fertig ist. Immerhin hat er es geschafft, sie mit sich hinab in die Verzweiflung zu ziehen, denn nicht Emanzipation ist jetzt ihr Ziel, sondern die resignierte Rückkehr aus New York in die Heimat - die künstlerische Provinz. Sie gibt neben Dobie und New York nun auch das Malen auf und kehrt wieder dorthin zurück, wo sie herkam. Bei der Präsentation seines Bildes auf einer Vernissage wird Lionel Dobie von Beifall überhäuft. Das kennt er schon und es ist für ihn kein Ansporn. Doch aus der Menge der ihm bedeutungslosen Gesichter kommt eine junge Frau auf ihn zu, eine Kunststudentin, wie sie sich ihm vorstellt. Großzügig bietet er ihr an sie auszubilden, ja sogar bei ihm im Atelier könne sie wohnen ... Der Kreislauf schließt sich und der Ausbruch, der mit schmerzhafter Selbsterkenntnis verbunden ist und den Dobie sowieso nie wollte, stellt sich ein weiteres Mal nicht ein.
[...]
Mehr ...
maX
#111
Geschrieben 26. Januar 2004, 07:11
Subtiles Detail, das mir beim ersten Mal gar nicht aufgefallen war: Als "Jade Fuchs" einen Gegner im Zweikampf mit so einer Art "Spock-Griff" lähmt, kennt Li Mu Bai doch tatsächlich ein paar Griffe, mit denen man die somatische Zentralverriegelung wieder öffnen kann.
Ist schon mal jemandem aufgefallen, das Chow Yun-Fat ein bisschen wie Special Agent Dale Cooper aussieht? Gerade auch, wenn er mal eben über's wasser läuft:
"Diane: Das Schwert wurde geklaut. Die Nudelsuppe ist hier so schön salzig und selbst die jungen Birken schon ganz schön stabil. Wirklich ... ein herrlicher Käse!"
maX
#112
Geschrieben 30. Januar 2004, 08:07
ekelerregend, zynisch, traumatisch ... 4 Minuten haben gereicht, um mir den Tag (und auch den folgenden und sogar noch den heutigen) einigermaßen zu versauen.
Nach einem längeren Gespräch mit Immo weiß ich nun, worum es im Film geht (ohne ihn gucken zu müssen) und frage mich (nicht aus ästhetischer, sondern aus moralischer Perspektive): Muss man so etwas wirklich zeigen? Ist die Aussage ("Zeit zerstört alles") nicht genauso falsch wie banal, wie Vorwand, den Zuschauern "so etwas mal anzutun"?
Zum Glück kann man sich ja aussuchen, ob man sich so etwas anschauen will ... Ich: Nie wieder!
maX
Aus gegebenem Anlass möchte ich darauf hinweisen, dass die Texte in diesem Thread unter mein Copryright fallen und ein Vervielfältigen ohne meine Genehmigung meine Urheberrechte verletzt - wogegen ich mich ab sofort zur Wehr setzen werde! Stefan Höltgen
#113
Geschrieben 31. Januar 2004, 18:23
Schlagt mich tot, aber ich find den herrlich. So hochgradig unsubtiler Humor. Gummihammer-Sex-Zoten vom allerfeinsten. Trifft meinen Humor peinlich genau! (Außerdem spielt Susanna Hoffs mit und hat Musik beigesteuert.)
Ein dreifaches:
da werd ich mir wohl mal die DVD(s) kaufen.
maX
#114
Geschrieben 01. Februar 2004, 20:28
Im Zentrum steht immer die Frage des "Wer oder Was". Sowohl bei den Valenzen der Liebe als auch bei denen der Vergebung: Lieben wir jemanden oder lieben wir jemanden für etwas? Vergeben wir jemandem oder vergeben wir jemandem etwas? Diese Frage, die nach Subjekt oder Objekt, dominiert Derridas Überlegungen im Dokumentarfilm "Derrida".
Und dieser Dokumentarfilm selbst reflektiert in seinen filmischen Modi ebenfalls über das "Wer oder Was": Zeige ich einen Film über eine Person (Derrida) oder zeige ich einen Film darüber, was eine Person ist (Philosoph). Die Filmer sind sich selbst darüber unschlüssig und tragen ihre Frage versteckt (Derrida: "dissimuliert") an den Denker heran: Sie fragen ihn persönliche Dinge und fragen ihn über seine Philosophie aus. Doch weder das eine noch das andere findet eine Antwort: Derrida "kann nicht" vor der Kamera darüber sprechen, wie er seine Frau kennen gelernt hat, welches seine Lebenstraumata waren oder was er "ganz spontan" über Liebe zu sagen hat. Genauso wenig kann sowohl das Zitieren seiner Texte, noch das Abfilmen Derridas bei Vorträgen noch der Modus seiner Mitteilung selbst ("Zunächst einmal muss ich sagen, dass dies hier keine natürliche Situation ist.") darüber Auskunft geben, was denn Dekonstruktion sei.
Hilflosigkeit macht sich also bei den Dokumentarfilmern breit: Weder das Wer noch das Was ihres Gegenstandes können sie filmisch erfassen. Dass ihnen das nicht gelingt, sind sie wenigstens im Stande zu inszenieren: Sie stellen lächerliche Fragen an den Philosophen, zeigen, wie ihm lächerliche Fragen gestellt werden, zeigen, wie er ernsthaft Fragenden ernsthaft zu antworten versucht - jedoch in lächerlichen Situationen. Die Filmer sind bemüht, ihren Gegenstand Derrida, wenn sie ihn schon nicht "fassen" können, so doch wenigstens mit ihren Zweifeln und Unsicherheiten umkreisend zu "erfassen". Und dafür konzentrieren sie sich dann auf das "Wie".
Denn "wie" sie Derrida und seine Theorie filmisch einzufangen versuchen, ist ebenfalls wieder dissimulativ: Sie verbergen ihre Unsicherheit hinter der technischen Apparatur, die sie mitinszenieren, ganz so, als wollten sie Derridas "Zweifel der Authentizität gegenüber einer Kamera" filmstilistisch abnicken. Sie authentisieren sich selbst, indem sie den Philosophen über die Kamera, die ihn gerade filmt, räsonieren lassen und gehen noch einen Schritt zurück und zeigen den Philosophen, wie er auf den Bildschirm schaut, auf dem er selbst über die Kamera räsoniert und gehen noch einen weiteren Schritt zurück und zeigen auf der dritten Ebene Derrida, wie er Derrida anschaut, wie er Derrida anschaut, der über die Augen und das Blicken spricht. Und als wäre diese "Unschuldsbekundung" nicht ausreichend, werden Kameraleute, Mikrofonhalter, Mikrofonanbringer und andere Mitglieder der Filmcrew immer und immer wieder mit in die Kadrage gesperrt, um zu beweisen, dass dieser Rahmen ein hilfloses Werkzeug der Vermittlung ist ... doch wer filmt diese Filmenden?
Die Naivität ist Täuschung. Eine Täuschung des Zuschauers über das Sujet und über die Möglichkeiten des Films und speziell der abgefilmten Philosophie. Im Film "Derrida" wird alles, was Derrida sagt, auf filmischer Ebene verdoppelt und quasi zur Bestätigung des Gesagten inszeniert. Auf der Strecke bleibt dabei nur einer: Derrida. Der hat schon während der Dreharbeiten seine Zweifel am Projekt, wenn er sagt, dass 25 Stunden gefilmt werden und der Filmer dann entscheidet, was in die anderhalb Stunden eingeht, damit es "sein Kunstwerk" wird.
Damit ist "Derrida" kein Porträt über den Philosophen und keine Dokumentation über seine Philosophie. Eingestreut werden zwar immer wieder dekontextualisierte Passagen aus seinem Werk (unterlegt mit Sakamotos bedeutungsschwerer Synthie-Musik), doch die sollen so wirken, als würden sie sich an das vorher von Derrida in die Kamera Gesagte anlehnen ... wieder nur belegen also. Der Film ist neben all seiner Naivität und Aussagenlosigkeit jedoch eines ganz intensiv: ein Dokumentarfilm. Zwar einer, der sein Dokument nicht zu filmen im Stande ist, der diese Misere jedoch immerhin filmisch gewieft als Selbstdokument des Filmkünstlers offenlegt.
maX
P.S. Da war der filmisch naivere Beitrag von Fathy ehrlicher, weil er den Denker zwar ins filmische Klischee gedrängt hat, sich damit jedoch die Souveränität über seinen Gegenstand bewahrt hat.
#115
Geschrieben 02. Februar 2004, 07:46
Man merkt hier viel besser, wie sich der Stoff gegen (s)eine filmische Adaption sperrt, oder besser andersherum: Wie hilflos ein Drehbuchautor gegenüber der Subtilität des literarischen Stoffes wirken kann. Dürrenmatt ist eben nur auf der Oberfläche sehr oberflächlich, in der Tiefe wird's eher tiefgründig.
Schön war hingegen, dass der Film tatsächlich den Eindruck erweckt hat, es ginge nicht um das Verbrechen oder gar um den Verbrecher, sondern allein um Matthäi. Und selbst an dem hat sich der Film bzw. Nicholson die Zähne ausgebissen ... aber das Absinth-Opfer zum Schluss kauft man ihm dann schon ab.
Na, aber trotzdem ein netter Versuch, weil er "es besser macht", als Rphmann.
maX
#116
Geschrieben 04. Februar 2004, 08:10
Nach "Planet der Affen" hat Tim Burton sich jetzt auf seine Primärqualitäten zurückbesonnen: Big Fish ist ein absolut grandioses, zwischen Realität und Fantasie changierendes Erzählwerk. Ein Film, in dessen liebevolle Erzählung und naive Zeigefreude man sich verlieben kann.
Wird sicherlich einer der besten Filme für mein Kinojahr 2004. Meine Kritik.
maX
#117
Geschrieben 07. Februar 2004, 08:18
Die Mise-en-abyme auf die Spitze getrieben ...
"Die postmoderne Haltung erscheint mir wie die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann 'ich liebe dich inniglich', weil er weiß, daß sie weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon, dagen wir, von Liala geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann ihr sagen: 'Wie jetzt Liala sagen würde: Ich liebe dich inniglich.' In diesem Moment, nachdem er die falsche Unschuld vermieden hat, nachder er klar zum Ausdruck gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung entgegengenommen. Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung dr Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewßt und mit Vergnügen das Spiel der Ironie ... aber beiden ist es noch einmal gelungen, von Liebe zu reden."
(Umberto Eco. Nachschrift zum 'Namen der Rosen'München: dtv, 1986, S. 74f.)
#119
Geschrieben 10. Februar 2004, 07:29
Ein wirklich grandioser Film. Kristallklare Ästhetik und ein Schwarzenegger, der wesentlöich besser spielt, als ich ihn in Erinnerung hatte. Vor allem aber die Synthese aus Kadrage, Kamera(bewegung) und Musik machen den Effekt: Der Film wäre nicht halb so mystisch-kitschig, wenn er in diesen Techniken nicht so viel Feingefühl hätte!
maX
#120
Geschrieben 10. Februar 2004, 07:33
Ich kenne wohl keinen Film, der so viel "Druck" macht. Zugegeben: Der Inhalt und sein "philosophisches" Paradigma sind nicht sehr originell. Aber die Oberfläche glänzt ... und das unglaublich hell. Auch hier sind es wieder der Schnitt und die Musik, die mich wirklich umgehauen haben. Das ist teilweise so intensiv, dass ich beim Schauen eine Gänsehaut bekommen habe. Vielleicht nach "High Noon" der Film mit dem besten "Timing"!
maX
P.S. Und wohl der saftigste Hintern des deutschen Nachkriegsfilms.
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