The retina of the mind's eye
#241
Geschrieben 02. April 2008, 07:46
Mit dem Vorgänger kann es Teil 2 nicht aufnehmen; zu offensichtlich die Wiederholung, zu gering das Interesse an der Story. Ob der Film die 4/10 auf der imdb-Skala verdient hat, wage ich aber dennoch zu bezweifeln, denn gerade die Dichte an guten One-Linern und das immense Staraufgebot machen “Highway 2″ doch irgendwie auch zu einer komischen Huldigung Hollywoods. Dass der Film offenbar noch nicht auf DVD erhältlich ist, ist eigentlich eine Schande.
#242
Geschrieben 02. April 2008, 07:47
Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass dieser Endzeitfilm, der George Miller als Inspirationsquelle für Mad Max gedient haben soll, nicht nur endlich auf DVD erhältlich ist, sondern auch noch pünktlich für die Vorrecherche zu einem Artikel über “50 Jahre Atomkrieg im Film”, den ich für epd schreibe, bei mir im Briefkasten lag.
Erzählt wird die Geschichte eines “Jungen” namens Vic (gespielt vom jungen aber eben nicht “Jungen” Don Johnson) und seinem sprechenden Hund, die in der Nachatomkriegs-Wüstenei ständig auf der Suche nach Essen und Frauen (für Vic) sind. Während ihrer Odyssee lehrt der Hund dem Vic die jüngere Geschichte und erschnüffelt Frauen. Sie geraten an eine Schönheit, die sich allzu bereitwillig hingibt und Vic in eine Unterwelt lockt, in der sich eine christofaschistische Gesellschaft aufgebaut hat. Vic soll dort als Besamungsmaschine den Genpool erneuern, was ihn zunächst freut - bis er herausbekommt, dass das mit der “Maschine” wörtlich gemeint ist. Er schafft es zu entkommen und führt seine Geliebte pünktlich zum Abendessen zurück an die Oberfläche.
Ein überaus bitterer und böser Film ist das, der den Zerfall der Zivilisation vielleicht besser beschreibt, als alle anderen Endzeitfilme. Der Zerfall der Moral wird nicht etwa durch unmoralisches Handeln verdeutlicht; Moralität ist als Luxusphänomen schlicht abwesend in der Welt von 2024. Während sich auf der Erdoberfläche Menschenrudel gegenseitig die letzten Ressourcen (vor allem in den zur Wüste gewordenen Städten vergrabene Lebensmittelkonserven) streitig machen, hat in der Unterwelt eine alptraumhaft bizarre Übersteigerung des Puritanismus die Zügel in der Hand. Es lässt sich also nirgendwo leben aber überall trefflich sterben. Wen wundert es da, dass das scheinbar Gute (Vic) sich schnell als bloß “gute Willkürlichkeit” und Opportunismus entpuppt.
Interessant ist übrigens die Geschichte, die der Verleihtitel hatte:
Der Junge mit dem Hund
In der Gewalt der Unterirdischen
Apocalypse 2024
Psycho Boy and his Killer Dog
Mad Don
…
… alles irgendwie niedlich - aber keineswegs abwegig.
#243
Geschrieben 04. April 2008, 13:00
Was für ein seltsamer Film, der daherkommt wie eine jener surrealen Schauergeschichten Jean Rollins: Ein französisches Provinznest, das von einem Atomschlag überrascht wird. Eine handvoll Menschen, die sich zufällig im Weinkeller des Bürgermeisters aufgehalten haben, überleben und versuchen ihre Gemeinschaft neu zu ordnen. Fast stummt laufen sie durch die verbrannte und mit Asche übersäte Landschaft. Erst nach und nach finden ihre Worte wieder, wagen jedoch - bis auf ein einziges mal - nicht auszusprechen, was geschehen sein könnte. Die Zeit vergeht, sie bauen eine Agrarkultur aus und verjagen herum streundende Landstreicher, die sich an ihren Gütern vergehen wollen, mit Waffengewalt. Dann treffen Sie wenige Kilometer entfernt auf eine Endzeitsekte, die sich in einem Eisenbahntunnel verschanzt hat und dort von einem mordlüsternen Guru befehligt wird. Zunächst versuchen sich die Gruppen in wirtschaftlichen Beziehungen, beginnen aber schon bald einen Verteilungskrieg gegeneinander, der mehr und mehr zu einem System-Konflikt gerät.
“Malevil” ist zunächst einmal ein hervorragend inszenierte und interessant besetzter (Hanns Zischler, Jean-Luis Trintignat) Endzeitfilm aus dem Herzen Europas. Die verbrannte Erde, die der Film zeigt, gewinnt beinahe abstrakte Schönheit durch das Auge der Kamera. vertrocknete Flussbetten, sich in den weiten Landschaften/Einstellungen verlierende Gestalten, unvermutete Nah und Großaufnahmen vom Leben und Sterben. Etwas bemüht und teilweise zu stark behauptet, wirkt der Konfikt im zweiten Teil des Films. Darin jedoch zeigt sich erst die (friedens)politische Botschaft von “Malevil”.
#244
Geschrieben 04. April 2008, 13:03
Die erste Woge des Kalten Krieges ebbt ab und die Angst vor einem Atomkrieg wird diffuser. Ende der 1950er Jahre scheint eher das versehentliche Abschießen von Atomraketen ein Grund für den Weltuntergang als ein konkreter Konflikt - darüber wird auch in “On the Beach” sinniert. Kramers Film wirkt auf seiner Oberfläche beinahe wie ein Hollywood-Melodram der 50er, was nicht zuletzt an der Besetzung liegt. Und über weite Strecken handelt er auch von Suchen, Finden und Verlieren der Liebe. Nur dass diese von der nahen Vernichtung des Menschheitsrests bedroht ist, denn eine radioaktive Wolke nähert sich Australien, dem letzten Refugium einer atomverseuchten Welt. Um eine Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen (dass sich die Strahlung durch Wettereinflüsse eventuell abgeschwächt hat) und weil man ein ominöses Morsefunk-Signal aufgefangen hat, wird eine U-Boot-Expedition über den Pazifik an die Westküste der USA geschickt.
Genau hier bricht das Melodram dann in den Endzeitfilm um. Die U-Boot-Besatzung findet entvölkerte Städte vor. Die Atombomben haben alles Leben ausradiert und nur eine unsichtbare und unspürbare Gefahr hinterlassen. Es ist das Skandalon und gleichzeitig die Chance des Films, dass die Radioaktivität nicht “direkt” gezeigt, sondern nur in ihren Konsequenzen vorgeführt werden kann. Und die sich in “On the Beach” weniger physisch als psychisch. Kaum gibt es Kranke, aber es häufen sich die Sterbewilligen, die Verleugner und die Fatalisten. Eine der erschütterndsten Szenen des Films ist, als Anthony Perkins, kurz bevor er mit dem U-Boot ins Ungewisse abreist, seiner Frau und beider Baby die tödliche Dosis Medikamente bringt und ihr sagt, wann sie sie einnehmen müssen. Darüber hinaus hält sich der Film jedoch mit solchen Momenten zurück, wirkt schon fast aseptisch in der Darstellung des Weltuntergangs. Von “On the Beach” ist vielleicht das Sinnbild für die Entvölkerung der Welt im Film ausgegangen: Leere Straßen mit durch sie flatternden Zeitungsfetzen:
#245
Geschrieben 04. April 2008, 13:31
Kims frühe Filme sind wie rohe, ungeschliffene Diamanten. Der Glanz des späteren Werks lässt sich bereits in vielen Facetten erahnen. Vor allem der Motivfundus zeigt sich bereits früh: außergewöhnliche Familienstrukturen, Sexualität und Gewalt, Selbstfindung und Harmonie in der denkbar größten (optischen und emotionalen) Disharmonie. “Birdcage Inn” ist ein Film über eine junge Frau, die als Prostituierte in einer kleinen Pension arbeitet und dort in die Familie der Wirtin integriert wird. Nach und nach greifen alle Familienmitglieder auf ihre Dienste zu, ohne dass es offenbar würde. Nach außen stets um die soziale Distanz zu der Prostituierten bemüht, entwickelt sich nach innen ein emotionales und sexuelles Abhängigkeitsverhältnis. Die scheinbar freie Bürgerschicht muss in der tabulos gelebten Gegenwart des Mädchens ihre eigenen Schranken erkennen. Und während sich diese zusehends von den sie beherrschenden Strukturen und Menschen emanzipiert und eine aufrichtige Liebesbeziehung aufbaut, hinterlässt sie die Gastgeberfamilie als geläutert und endlich aufrichtig zu ihren eigenen Bedürfnissen stehend zurück.
Das Märchen vom Aschenputtel drängt sie wie die Redewendung vom “Goldenen Käfig” auf, wenn sich die Story des Films vor einem ausbreitet. Ki-duk findet nicht nur genau die richtigen Worte (für die Dialoge der Protagonisten), sondern auch Bilder. Er kontrastiert die triste Existenz in der Pension, den Schmutz und die Gewalt mit wunderschönen Bildern von endlich erreichter Einsamkeit und ungewöhnlichen Drehplätzen. Alles das ist in einem unaufgeregten, trangeden Rhythmus erzählt, der den Zuschauer zu keiner trotz der mangelnden Zimperlichkeit der Geschichte enerviert. Das ist auch beim späteren Kim so - und das ist einer der Gründe, warum ich seine Filme so mag.
#246
Geschrieben 06. April 2008, 08:24
Ein Mann beobachtet, wie sich in einem Wald in der Nähe seines Hauses eine Frau entkleidet. Er geht zu ihr, sieht sie bewusstlos auf dem Boden liegen und wird von einem mit Mullbinden Vermummten attackiert. Panisch flieht er in ein nahe stehendes Gebäude und wird dort von einem Wissenschaftler aufgegriffen, der ihm anbietet, ihn in einem Tank vor seinem Verfolger zu verstecken. Kurz nachdem sich der Tankdeckel schließt, gibt es einen Blitz und der Verfolgte findet sich eineinhalb Stunden in die Vergangenheit zurück versetzt - der Tank war offenbar Bestandteil einer Zeitmaschine und er unfreiwillige Testperson des Wissenschaftlers. Er verlässt das Labor und sieht sein vergangenes Selbst durch ein Fernglas in seinem Garten sitzen. Weil er will, dass es ihn nur einmal gibt, zwingt er den Wissenschaftler, das Experiment zu wiederholen, gerät kur darauf in einen Autounfall, zieht sich eine Platzwunde am Kopf zu, umwickelt seinen Kopf mit Mullbinden und entführt eine junge Frau, die er zwingt, sich im Wäldchen in der Nähe seines Hauses zu entkleiden, um sein vergangenes Ich anzulocken … Wer den Autounfall verursacht hat, der zu der Kopfwunde geführt hat, ist da schon fast kein Geheimnis mehr.
“Time Crimes” ist ein interessant konstruiertes Zeitreise-Experiment, das sich nicht nur der Frage der vermeintlichen “Logik” von Zeitreisefilmen widmet, sondern gleichzeitig auch die (hier konfligierenden) Zeitphänomende des Films (Produktionszeit, gefilmte Zeit, Filmzeit bzw. Rezeptionszeit) in Augenschein nimmt. Der Mann wird schließlich zum Zuschauer seines eigenen Lebensfilms, den er, je öfter er ihn “wiederholt”, aus einer sich immer stärker elaborierenden Perspektive wahrnimmt. Sein Wunsch ist es, zum totalen Zuschauer zu werden, der (endlich) genauso viel weiß, wie der Erzähler. Doch dazu müsste erst einmal geklärt werden, worin die Ursünde des Filmischen liegt: nämlich in der Montage. Am Anfang sehen wir den Mann auf seinem Bett sitzen und nach ein paar seltsamen Jump Cuts wieder aufstehen. Schon da ist er eigentlich das Opfer einer Zeitreise geworden.
Diary of the Dead (USA 2007, George A. Romero)
George A. Romero hat sich noch einmal für seine Untoten hinter die Kamera gestellt und den fünften Teil seiner Saga gedreht. Er erzählt die Geschichte aus Night-Dawn-Day-Land jedoch nicht weiter, sondern erneut und aus anderer Perspektive. Die Zombie-Seuche bricht im YouTube-Zeitalter aus, während eine Hand voll Filmstudenten gerade einen Mumien-Film drehen. Sie fliehen vom Drehort, gelangen aber in eine im Chaos versinkende Welt. Romero versucht das Zombie-Thema hier “medial aufzubereiten”, indem er der “unerhört demokratischen Gemeinschaft der Gleichen” (Baumann) die unerhört demokratischen Medien des Web2.0 gegenüberstellt. Der sozialkritische Impetus seiner Vorgänger wird in “Diary” dadurch eingeholt und aktualisiert. Romero lässt seine Protagonisten vom Weltuntergang ungekürzt, zeitnah und aus nachvollziehbarer Perspektive berichten. Heraus kommt dabei ein herrlich disparat wirkender Film, der seine Story nur dazu benutzt, die Grundidee durchzudeklinieren und dabei möglichst viele “demokratische Medien” (Handycams, YouTube-Clips, gekaperte Überwachungskameras, …) zu inszenieren. Leider vergisst er dieses Projekt im letzten Viertel dann wieder, wird “erzählerisch” (was bis hin zu solchen One-Linern wie “Behalte du das Haus, ich nehme das Auto.” - die Szene wird sich beim Sehen selbst erklären! - reicht) und schließlich sogar moralinsauer. Das “I wonder who the real cannibals are” aus “Cannibal Holocaust” hat man seit Ende der 1970er Jahre doch nun wirklich begriffen. Aber so ist er halt, der Romero.
Doomsday (UK/USA/Süd Afrika 2008, Neil Marshal)
Was hätte es für ein schöner Anschluss an “Diary of the Dead” werden können. Ein tödliches Virus befällt Menschen in Schottland, breitet sich rasant aus und nur noch die Totalabriegelung des Landes hindert es an der Verbreitung. 30 Jahre später hat sich das Problem scheinbar selbst erledigt - keine Lebenszeichen sind mehr in Schottland wahrzunehmen. Da tauchen Infektionen im Herzen des überbevölkerten Londons auf. Zufälligerweise entdeckt man auf einem Satellitenbild, dass es in Glasgow doch noch Menschen gibt, die dann wohl immun sein müssen. Eine Elitetruppe wird nach Schottland geschickt, um einen Arzt zu finden, der kurz nach der Abriegelung des Landes in Funksprüchen angedeutet hat, eine Heilung gefunden zu haben. Was folgt, nachdem sich die Schotten zu Schottland hinter den Engländern schließen, ist ungeheuerlich.
Der Drehbuchautor von “Doomsday” verachtet sein Publikum scheinbar derartig, dass er ihm ohne mit der Wimper zu zucken plagiierte Versatzstücke aus allen bekannten Endzeitfilmen der letzten 20 Jahre vorsetzt. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, den Film zu kritisieren, so viel spinnerte “Ideen” finden sich darin. Für den einen mag die kannibalische Post-Nuke-Punk-Bewegung in Glasgow nebst ihrer allabendlichen Tanzkonzerte zu Gassenhauern der 1980er Jahre schon der Gipfel sein. Andere könnten den Kinosaal verlassen, wenn sie sich unversehens in einer Mittelalter-Kitschlandschaft mit Rittern und zynischen Arena-Kampfspielen wiederfinden. Und wenn die verbliebenen Elitesoldaten sich dann nach dem x-ten erfolgreichen Befreiungsversuch in einem über 30 Jahre unentdeckt gebliebenen Depot/Bunker einem tollen, windschnittigen Neuwagen gegenüber sehen, den der Film dann für eine völlig verworrene Mad-Max-2-Verfolgungsjagd (mit Musikbegleitung von Franky goes to Hollywoods “Two Tribes”!) einsetzt … vielleicht ist der Kinosaal dann schon leer. Zu wünschen wäre es dem Film und seinen Machern.
Frontier(s) (Frontière(s), Frankreich 2007, Xavier Gens)
Nach dem “Doomsday”-Fiasko konnte man angesichts der TCM-Adaption “Frontier(s)” schon fast milde gestimmt sein. Das Konzept ist aus den Terrorfilmen der vergangenen Jahre bekannt: Eine Gruppe junger Leute fährt von der Stadt aufs Land (Hintergrund sind die riots in den Pariser Vororten, die die Kids, die im Trubel Geld gestohlen haben, Richtung Holland fliehen lässt). Ein Zwischenstopp in einem Motel entpuppt sich schnell als Fehler. Die Betreiberfamilie wird von einem alten Nazi angeführt, der eine Gruppe Wahnsinniger aber durchaus schlagkräftiger junger Leute um sich geschart hat, die ihn nun mit Frischfleisch versorgen. Nach und nach fallen die Reisenden den Barbaren zum Opfer, werden grausam gefoltert, getötet und verspeist. Dass es eine Überlebende geben wird, ist nicht nur eine Regel derartiger Filme, sondern leitet sich schon daraus ab, dass eine der Reisenden eine schwangere junge Frau ist. So jemand darf (außer in den Filmen D’Amatos) nicht geopfert werden.
“Frontier(s)” ist ein recht dreister Film. Kein Detail wird ausgelassen. Die Menschenschlachtungen werden minutiös vorgeführt, die Folterungen in endlosen Sequenzen dargelegt. Der Plot fährt mit dem Zuschauer Achterbahn, lässt einzelne Opfer immer wieder entkommen, um sie dann doch wieder in die Arme ihrer Peiniger zu führen. Mehrere scheinbare Finalszenen wechseln einander ab, bis dann schließlich wirklich kein Bösewicht mehr übrig ist. Der Film ist von einer optischen Brachialität, die mir so noch nicht untergekommen ist. Der Splatter scheint wirklich nur noch quantitativ überbietbar zu sein. Schade nur, dass man ein solch fadenscheiniges Konstrukt wie den Nationalsozialismus als “Wurzel allen Übels” herbeireden musste. Der Vater der Familie übt sich nicht nur in NS-Ideologie, er lässt auch gelegentlich Phrasen der Nazis einfließen: “Arbeit macht frei”, “Unsere Ehre heißt Treue” verwoben mit hin und wieder gepfiffenem “Lili Marleen”-Liedchen - das ist wirklich zu einfach und zu albern, als dass es wirklich irgendwie bedrohlich sein könnte. Und wenn dem Nazi-Papa dann auch noch seine Phonetik entgleitet und aus dem Koppel-Spruch der SS ein “Unsere Ehre heißt Trö!” wird, ja, dann erreicht der Film wirklich genau das Gegenteil, was er (wahrscheinlich) beabsichtigte.
#247
Geschrieben 09. April 2008, 07:43
Ein Mann erwacht in einer Wasserlache, tief unter der Erde. Nur schwach wird er von einer flackernden Glühbirne beleuchtet. Um ihn herum: Leichen, Wurzelwerk, Schlamm. Er kämpft sich durch das sumpfige Dickicht, erreicht einen Lastenaufzug, fährt nach oben und landet doch wieder nur ein einem Untergeschoss". Nach und nach erfährt er, dass er sich unterhalb eines Baumes befindet, dessen Wurzelwerk zur Energieerzeugung angezapft wird. Ihm begegnen entstellte Menschen, die nach seinem Leben trachten und eine Frau, die offenbar etwas mehr weiß als er. Gemeinsam mit ihr versucht er weiter nach oben zu gelangen. Mit jedem überwundenen Stockwerk erlangt er sein Gedächtnis zurück und versteht mehr und mehr, was um ihn herum geschieht.
Es hat wirklich ein paar Tage gebraucht, bis ich mir darüber klar geworden bin, ob mir "Eden Log" gefällt - und er tut es. Die Verbindung von Darstellungsweise der Unüberschaubarkeit, die starken Kontraste, das ungewöhnliche Setting, die Zerstörung der Unterwelt mit all ihren Nuancen machen aus "Eden Log" zunächst einmal einen sehr unangenehmen, beklemmenden Film. In dem Maße, wie der Film seine Erzählung schleppend Bruchstück für Bruchstück entfaltet, offenbart sich dem Zuschauer auch das parabelhafte philosophische Konzept des Films. Das Durchdringen an die Oberfläche als eine Flucht aus der Platon'schen Höle und gleichzeitiges Überwinden des Absurden führt den Protagonisten nicht etwa ins Licht, sondern in eine Welt, in der er, der auf seinem Weg seine Menschlichkeit zurückgewonnen hat, keinen Platz hat.
Es ist erstaunlich, das gerade Filme, die Bäume als zentrale Metapher inszenieren, sich einer kryptischen Metaphorik offenbar nicht zu verschließen in der Lage sind. Der Baum mit seinem gespiegelten Doppel-Rhizom lädt aber auch geradezu dazu ein.
[Rec•] (Spanien 2007, Jaume Balagueró, Paco Plaza)
Man tut Balagueró sicherlich nicht Unrecht, wenn man seine Sujets in die Tradition der Gothic Novel stellt. Seine bisherigen Filme haben gekonnt Motive der Schauerromantik mit kontemporären Stoffen und Problemen verwoben. In "Rec" ist das wieder so, wenngleich das "Haunted House"-Motiv hier wesentlich zurückhaltender eingesetzt wird als in "Fragile", "Darkness" und "Los sin nombre". Dafür drängen sich die zeithistorischen Bezüge mehr und mehr in den Vordergrund. Zuallererst musste ich natürlich an die "9/11"-Doku von James Hanlon et al. denken, in denen ein Dokumentarfilm-Team die Feuerwehr zufällig an jenem schicksalhaften Tag zu einem Einsatz am World Trade Center begleitet. In "Rec" verfolgt der Pseudodokumentarismus dieselbe Spur und wieder ist es ein Haus, das zum Dingsymbol für eine facettenreiche Katastrophe wird.
Aber Balagueró wäre nicht er selbst, wenn er dieses Setting nicht dazu nutzen würde, sein Talent für atemstockenden Horror zur Geltung zu bringen. Zunächst sind es reine Schockszenen, die einen als Zuschauer zusammenzucken lassen; mehr und mehr wird jedoch die ausweglose Situation im abgeriegelten und von infektiösen Zombies befallenen Haus dazu genutzt, das Unerwartete des Schocks in einen Thrill und Grusel der Gewissheit umzumünzen. Das Finale des Films zieht diesbezüglich sämtliche Register. Nur selten (vielleicht bei "The Grudge" und "Shutter") war es so unangenehm "sehen zu müssen".
Inside (À l'intérieur, Frankreich, Alexandre Bustillo, Julien Maury)
Was ist los im Staate Frankreich möchte man nach dem Doppelmissvergnügen von "Frontier(s)" und nun "Inside" fragen. Die Krawalle, die sich vor einigen Monaten in den Pariser Vororten zugetragen haben und der politische Umbruch in Richtugn Sarkozy, waren offensichtlich traumatischer als es bei mir angekommen ist. "Inside" als Parabel über Schwangerschaft (abermals!) zu sehen, fällt einem angesichts der überbordenden Gewaltdarstellung des Films nicht leicht: Eine hochschwangere Frau zu Weihnachten allein in ihrem Haus. Ihr Partner bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Eine andere Frau vor dem Haus. Sie will das Kind - und zwar noch bevor es geboren wird. Solche Dramen sind tatsächlich bekannt, aber dass und wie der Film sie aufgreift und daraus seinen unfassbaren Terror konstruiert, war für mich bisher zumindest undenkbar. "Inside" ist letztlich genauso zynisch (und vielleicht deshalb so realistisch) und ebenso hoffnungslos wie "Frontier(s)" - Kino das absolut keinen Spaß macht, keinen Spaß machen will und kann, das vor den Kopf stößt und mit dem Tonfa in den Bauch schlägt. Immer und immer wieder.
#248
Geschrieben 09. April 2008, 07:58
Was für eine Enttäuschung. Ferraras Film beginnt überaus spannend, erzählt aus einer Perspektive, die das intellektuelle Potenzial des Stoffes wie seines Autoren zu betonen scheint. Dann bricht der Film jedoch ein, weil er sich nicht entschließen kann, ob er Genre- oder Kunstfilm sein will, ob er seine Vampir-Thematik wörtlich nimmt oder sie zu einem moralischen Konzept umkodiert. Dass Ferrara das nicht gelingt, liegt vor allem daran, dass er in "The Addiction" ein Milieu aspektiert, in dem er sich offenbar überhaupt nicht auskennt: eine geisteswissenschaftliche, ja, philosophische Fakultät, ein Doktorandenseminar, in welchem eines der weiblichen Mitglieder nach einem Überfall auf offener Straße zum Vampir wird und sein Unwesen treibt. Ferrara lässt seine Protagonistinnen jedes erdenkliche philosophische Klischee vor sich herbeten, betreibt ein Namedropping, von dem sich sogar Woody Allen noch eine Scheibe abschneiden könnte, und überfrachtet seinen Film auf diese Weise mit einer psuedo-philosophischen (gewollt war wohl eine existenzialistische) Botschaft, die allenfalls auf Unbelesene und -bedarfte Eindruck machen könnte. Sehr traurig auch, wie Ferrara Christopher Walken in einer viel zu kurzen Sequenz verheizt. Allein Walken hätte aus dem Film wesentlich mehr machen können. als er letztlich geworden ist.
Warum Kinowelt den Film unsynchronisiert und OmU bringt, ist mir unverständlich. So gehaltvoll sind ja wie gesagt die Dialoge ohnehin nicht. Vielleicht hat sich aber niemand getraut, die Poesiealben-Sprüche Heidggers und Nietzsches, mit denen da um sich geworfen wird, aus der englischen zurück in die deutsche Sprache zu übersetzen.
Meine Kritik bei F.LM
#249
Geschrieben 15. April 2008, 10:40
Wilders Cold-War-Comedy bildet den Auftakt zu einer kleinen Retrospektive, die ich zum Werk des Regisseurs plane. Anfangs braucht der Film etwas um warm zu werden (oder ich, um mit ihm warm zu werden); aber in dem Moment, wo Horst Bucholz als proletenhafter Proletarier auftritt und dem Coca-Cola-Magnaten die Revolution an den Hals wünscht, überschlägt sich das Drehbuch förmlich. Allein das Sprachwitz-Talent James Cagneys ist unerhört und hier sicherliche einer der Höhepunkte der Komödien-Filmgeschichte.
Wie Wilder den noch in den Kinderschuhen steckenden kalten Krieg (der mit dem Bau der Berliner Mauer und danach der Invasion der Kubanischen Schweinebucht seinen Höhepunkt findet) hier quasi metaphorisch als Ost-West-Handelsbeziehung und -Paarbildung vorwegnimmt, hat schon fast hellseherischen Wert. Die großen Systeme entlarven sich in "Eins, Zwei, Drei" gegenseitig in ihrer Scheinhaftigkeit, indem Wilder deren Statthalter (eben: Cagney und Buchholz) mit den Insignien der Ideologie wedeln lässt. In der Autofahrt zum Flughafen gegen Ende vermischen sich die Einstellungen und Körper dann derartig, dass sämtliche Differenzen "fahren gelassen" werden.
#250
Geschrieben 23. April 2008, 06:28
Screening zum Seminar. Intendiert war von mir, den Studenten zu zeigen, wie es eigentlich mehr ihre auf Konventionen beruhende Erwartungshaltung und Seherfahrung ist, die einen Film wie "Eraserhead" so opak und "unverstehbar" erscheinen lässt. Den Intentionalismus (Lynch und der Surrealismus) beiseite schiebend, ist es uns dann gelungen, mit Balasz' Begriff der "Subjektivität" (in seiner Doppelbedeutung) einen Ansatz zu finden, "Eraserhead" zumindest auf dieser Ebene zu entzaubern. Ein Rätsel und ein Meisterstück bleibt der Film natürlich dennoch
#251
Geschrieben 23. April 2008, 06:28
Gerade weil ich beide Filme ja nun in kurzem Abstand zueinander gesehen habe, kann ich ohne große Scheu behaupten: "Schramm" ist schon irgendwie der deutsche "Eraserhead". Enigmatisch, düster, zur Anteilnahme auffordernd und vor allem neutral gegenüber seinem Gegenstand ist Buttgereits letzter Film gleich auch sein bester. Das, was aus Budgetgründen am Set nicht realisiert werden konnte, leistet das Team am Schnittpult. Die auf das Repetitive bedachte, beinahe schon fugenhafte Bilderzählweise setzt zeitlich verschiedene Ereignisse zueinander ins Verhältnis, verlangt nach Neubewertungen und ist letztlich auch der Grund für die überaus fruchtbare Indifferenz, die der Film zu seinem Sujet einnimmt. Jetzt, nach "Schramm", unterstreiche ich meinen Wunsch nach einem neuen Buttgereit einmal mehr. "Nekromantik 3" muss kommen ... am besten wieder mit Monika M., die in "Schramm" schauspielerisch noch eins drauf gelegt hat.
#252
Geschrieben 28. April 2008, 07:37
Über den Film habe ich ja nun wirklich schon genug geschrieben. Was natürlich nicht heißt, dass ich schon genug drüber wüsste. Im Seminar haben wir uns auf der Basis von Edward Branigans Point-of-View-Theorie an “Lost Highway” herangemacht und verschiedene Arten von Blickstrategien daran analysiert. Etliche der Verwirrungen, die der Film bereithält, stammen aus dem missbräuchlichen Einsatz von PoV-Szenen. Die Konventionsverstöße sind dabei genauso vielfältig wie produktiv und schließen nicht zuletzt auch die intradiegetisch inszenierten Medien mit ein.
#253
Geschrieben 28. April 2008, 07:38
Was Schroeder in seinem Debutwerk behandelt, ist nicht weniger als der Abgesang auf die Hippie-Ära. Schon 1969 hat sich für ihn die Weltflucht der “Generation of Love” in die Drogen als Weg ohne Rückkehr gezeigt. Er lässt seinen hoffnungsvollen deutschen Uni-Absolventen Stefan zuerst nach Paris reisen, dort die ehemalige heroinabhängige Amerikanerin Estelle kennen lernen und schickt dann beide in ihr sicheres Ende auf die Ferieninsel Ibiza. Dort stiehlt Estelle einem reichen deutschen Gönner 200 Portionen Heroin und hängt bald wieder an der Nadel. Stefan, der das zunächst vollkommen ablehnt, überredet sie schließlich doch zu einem Fix und besiegelt damit sein Schicksal. Nach und nach verlieren die beiden den Bezug zur Realität, bringen sich an den Rand des physischen und sozialen Ruins und können doch nicht aufhören und erst recht nicht voneinander loskommen. Schroeders Film problematisiert den Übergang von den “weichen” bewusstseinserweiternden Drogen zu den harten “Realitätsfluchthelfern” sogar, gibt Stefan und Estelle mehrere Möglichkeiten auszusteigen und umzukehren. Aber gerade ihr alternatives Weltbild scheint sie zu zwingen, diesen Weg des Nonkonformismus bis zu Ende zu gehen.
“More” ist ein überaus bitterer Film, weil seine Bildsprache in so krassem Gegensatz zu seiner Fabel steht. Der Grund der Veröffentlichung der Filme war offenbar die Tatsache, dass “The Pink Floyd” (damals noch mit “The”) den Soundtrack zum Film beigesteuert haben. Die wenigen reinen Instrumentalstücke auf deren Album “More” haben allerdings nur selten Gelegenheit zum Soundtrack zu werden; zumeist werden die Songs als Source Music in die Handlung eingebaut, dann auch nur angespielt und damit zum akustischen Illustrator von “Hippieness”. Dass die Musik der Floyds eigentlich schon damals noch ganz andere Konnotationen gehabt hat (gerade Stücke wie “‘Quicksilver” und “Cirrus Minor” belegen dies), vermittelt der Film allenfalls in seinem kritischen Gestus.
#254
Geschrieben 28. April 2008, 07:40
Und auch der “zweite” Schroeder-Film nimmt sich noch einmal den Idealen der Hippie-Bewegung an. Dieses Mal ist es das tief im westlichen Denken verankerte (und wohl auf den Dualismus zurückgehende) Bedürfnis der Identifikation mit dem Anderen, was um 1970 im massenweisen Bekenntnis zu fremden Ethnien und Religionen seinen Ausdruck fand. Die Pariser Künstlerin Vivianne reist ins Herz Neu Guineas, wo sie auf der Suche nach seltenen Federn des Paradisvogels ist. Zufällig lernt sie den jungen Mann Olivier kennen, der zu einer “Expeditionsgruppe” gehört. Diese hat sich vorgenommen in ein bis dato nicht kartografiertes (eben: "obscured by clouds") Tal vorzustoßen, weil sie dort “das Paradies” vermutet. Auf ihrem Weg dorthin wirft die Künstlerin mehr und mehr Zivilisationsballast über Bord, lässt sich von der freien Liebe überzeugen, nimmt Drogen und verfällt schließlich in eben jene Aussteigerromantik, der auch ihre Reisebegleiter nachhängen.
Und wieder bringt Schroeder seine Kritik auf den Punkt. Hier, als die Truppe auf einen Eingeborenenstamm stößt, zu dessen jährlicher Feier die Europäer eingeladen werden. Was für die Hippies ein Bekenntnis zur Alterität, Verbundenheit mit der Natur und Freiheit der Lebensweisen wird, offenbart sich Olivier bald als Trugbild: Die Eingeborenen feiern nicht aus “Lust”, sondern aus traditionellem Zwang. Ihre Frauen sind nicht frei, sondern noch stärker versklavt als die Europäerinnen. Die Suche nach Alterität entpuppt sich ihm als Lebenslüge: Man kann nicht aussteigen. Man kann niemand anderes werden und schon gar nicht in eine andere Kultur flüchten - der Wille zur Flucht ist selbst immer schon ein konstitutiver Zug europäischen Denkens und Handelns. Auch hier verknüpft Schroeder seine ernüchternde Erkenntnis wieder an sagenhafte Bilder. “La Vallée” pendelt zwischen Natur-, Ethnologie- und Liebesfilm, konzentriert sich oft minutenlang ohne Kommentar auf das Stammesleben der Eingeborenen und verliert damit beinahe den Plot aus den Augen. Eigentlich ein ziemlich gewagtes Projekt, das, zumal mit dieser Message, für einiges Aufsehen gesorgt haben dürfte. Im Rückblick erweist sich “La Vallée” allerdings als dialektisch-hellseherischer Abgesang - besungen von “The Pink Floyd”, deren Album “Obscured by Clouds” den Soundtrack zu Film bildet … und doch eigentlich wieder nur als Source Music in die Bilder gelegt wird.
#255
Geschrieben 28. April 2008, 17:22
Warum heißt "Dream Lover" hierzulande "Nightmare Lover"? Wohl aus demselben Grund, aus dem "Copycat" in Deutschland unter "Copykill" gehandelt wird: Weil der Verleiher die eigene Mangelbildung gern auf Dritte appliziert. Aber zum Film: Mädchen Amick ist sicherlich eine der schönsten Schauspielerinnen aller Zeiten, aber am Ende von "Nightmare Lover" mochte ich sie "irgendwie" nicht mehr so. Das liegt daran, dass der Film es trotz aller Unwägbarkeiten, Plot-Holes und nicht zuende gedachten Ideen schafft, in ihr eine Femme Fatale aufzubauen, wie sie seit Marlene Dietrich in "Zeugin der Anklage" hinterlistiger kaum je zu sehen gewesen ist. Der Film legt gerade im letzten Drittel alles daran, die Figur zu dämonisieren, ihr konsequent und in allen Belangen Berechnung zu unterstellen und aus ihr eine "Maschine" (so wird sie vom armen, gebeutelten James Spader einmal genannt) zu machen.
Damit wird sie im Sinne der Plotkonstruktion natürlich zu einem "Prinzip" ernannt, das eine bestimmte Funktion zu erfüllen hat. Aber sind nicht alle Figuren in narrativen Konstruktion derartige "Maschinen" und haben wir manche von ihnen vielleicht nur deshalb gern, weil sie uns ihr Maschinensein so gut verbergen? Überstrahlt nicht lediglich das Goodboy-Image Spaders (das er hier sehr gut aus "Sex, Lies, and Videotapes" herüber gerettet hat) sein maschinelles Agieren? Ist er als der zwar manchmal etwas impulsive, doch stets reumütige Millionär nicht auch irgendwie ein "Prinzip" - wenn auch eines, mit dem wir uns eher identifizieren mögen als mit einer Frau, die auch mal aus Berechnung mit einem Mann ins Bett (und dann sogar vor den Altar) steigt? "Nightmare Lover" macht doch im Prinzip nichts anderes als die Adern unserer Zivilisation offenzulegen, indem er das Gegenprinzip zur romantischen Liebe, die Vernunftehe und politische Hochzeit vorromantischer Zeiten auf die Gegenwart appliziert. Böse wirkt Mädchen Amick deshalb, weil sie gleichermaßen antiquiert und modern ist, aber eben in den falschen Aspekten: Sie gibt ihre Selbstbestimmung nicht an der Wohungstür ab und plant ihr Leben nicht als Variable innerhalb der "Stammfunktion" ihres Mannes - sondern eben nach dem Rhythmus einer "different drum". Gut, Spader wird, weil das alles zu wahnsinnig klingt, um nicht paranoid zu sein, schließlich interniert. Doch wir wissen, wer die eigentlich Irre ist: diejenige, die sich nimmt, was sie haben will.
So, jetzt kann ich Mädchen Amick doch wieder liebhaben.
#256
Geschrieben 05. Mai 2008, 06:44
Es ist eine fremde, seltsame Welt, die sich Regisseur-Hauptdarsteller Paul Bartel da ersonnen hat. Eine Welt voller sexueller Aggression, in der die beiden prüden Träumer Paul und Mary ihr Lebensglück in Form von Geld für die Eröffnung eines eigenen Restaurants suchen. Um das zu erreichen, machen sie sich die Geilheit der anderen zunutze, eröffnen ein S/M-Studio, empfangen dort reiche und verdrehte Kunden und erschlagen sie. Als sich Ihnen der windige Schlosser Raoul zugesellt, wächst die Beute in bis dahin ungekannte Höhen, denn Raoul verkauft die Leichen an eine Hundefutterfabrik und deren Autos an einen Gebrauchtwagenhändler. Immer grotesker werden die Gewalttaten, immer umfangreicher die Verbrechen. Als Raoul sich schließlich mit Mary einlässt, wird auch er Opfer des Systems und landet am Ende auf dem Teller der frisch gebackenen Restaurantbesitzer.
Jetzt habe ich den Schluss verraten, aber das hat der Titel des Films schon vor mir getan. Es ist schon verwunderlich, dass “Eating Raoul” ausgerechnet so betitelt wurde, spielt das Raoul-Essen doch wirklich nur eine marginale Rolle und steht sozusagen als Plottwist (der durch den Titel schon vor Beginn des Film vorweggenommen wird) am Happy End des Films. Es ist ein fremder, seltsamer Film.
#257
Geschrieben 09. Mai 2008, 06:17
Lange habe ich gezögert, mir die Fortsetzung von “Die Klapperschlange” anzusehen, vor allem, weil die Kriitken so einhellig vernichtend waren. Und tatsächlich sieht der Film im Vergleich zum Vorgänger allein auf der ästhetischen Ebene ziemlich blass aus - einmal davon abgesehen, dass das dramaturgische Konzept völlig abgenudelt ist.
“Flucht aus L.A.” thematisiert dieses Problem aber nicht nur (siehe Überschrift-Zitat), sondern scheint sich auch mehr vom Plot auf eine Art von Gegenwartskritik zu verlagern, in der Carpenter ein ganzes Bündel kultureller Missstände der Entstehungszeit des Films in die Utopie überführt. Erstaunlich ist dabei, wie zielsicher seine Prognose ausfällt - vor allem, wenn man den christofaschistischen Backlash, den die USA seit ein paar Jahren erleben, in diesem mitterlweile 12 Jahre alten Film bereits detailliert angekündigt sieht. Fast so, als hätte die Ära Clinton irgend etwas in dieser Richtung schon ahnen lassen. Aber vielleicht ist Carpenter auch nur ein ziemlich präziser Beobachter.
Ich bin schon auf philosophus’ Vortrag über die Raumkonzeptionen des Films im demnächst stattfindenden Doktorandenkolloquium gespannt!
#258
Geschrieben 09. Mai 2008, 06:18
Aus beruflichen Gründen habe ich mir Hoopers Debüt, das ich in meiner Diss. ziemlich intensiv diskutiert habe, noch einmal angeschaut - dieses Mal in der deutsch synchronisierten Fassung. Und ich muss schon sagen, dass ich angesichts der groben Fehler und Vereinfachungen der deutschen Tonspur beinahe verstehen kann, wieso der Film so einhellig verrissen und schließlich sogar beschlagnahmt wurde. All die Doppeldeutigkeiten und Anspielungen (”Everthing means something, I guess.”) fehlen und machen einer ziemlich lustlosen Nachvertonung Platz von der allein die Stimmen des Anhalters und des Rollstuhlfahrers Franklin interessant wirken. Falls der Film in Deutschland noch einmal eine Chance bekommen sollte, würde ich mir eine Neusynchronisation wünschen.
#259
Geschrieben 09. Mai 2008, 06:18
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Wachowskis wieder einen neuen Film fertig gestellt hatten und es hat sich durchaus gelohnt. “Speed Racer” verwöhnt auf der optischen Oberfläche vollends. Die Farben, die Kontraste, die Geschwindigkeit, die Montage, ja, sogar die etwas arachischen Wischblenden sind reinstes Eye-Candy. Die Geschichte, die erzählt wird, stammt spürbar aus den 1960er Jahren, ist jedoch in einer Welt angesiedelt, die unserer nur in Aspekten ähnelt und in der Stilebenen von den 30er, 50er und 80er Jahren konturlos in einander fließen. Aber wie lehrt schon die allgemeine Relativitätstheorie: Ist die Bewegung nur schnell genug, verkürzen sich für den Beobachter die Zeitabstände.
#260
Geschrieben 11. Mai 2008, 11:39
Kurz vor den Pfingstferien habe ich im Screening "Shutter" gezeigt, zu dem speziell die medial (d. h. fotografisch) induzierte erzählerische Unzuverlässigkeit diskutiert werden soll. Der narrative "Konflikt" scheint sich hier aus den medienontologischen/-technologischen Unterschieden von Fotografie und Film zu entwickeln. Fotografie will in "Shutter" ihr Schattendasein aufgeben, will bewegt sein und Film werden; Film verrätselt seinen Plot, weil seine Einzelbilder viel zu schnell an uns vorüberfließen und wir durch das "Dynamit der Zehntelsekunde" aus den Bedeutungskonstitutionen des einzelnen Kaders herausgesprengt werden.
Gegebenenfalls gibt es nächste Woche dann auch eine kleine Exkursion zum Remake.
#261
Geschrieben 11. Mai 2008, 22:30
Vor dem Hintergrund der Erzählperspektive und der medienspezifischen Point-of-View-Strategien wird der Vergleich zwischen Literatur und filmischer Adaption doch noch einmal interessant. Gerade Nemecs Fernsehfilm leistet hier einiges - geboren aus der puren Not und der “Rücksicht auf die Darstellbarkeit”: Den Käfer bekommen wir nie zu Gesicht, aus der Ego-Perspektive sind jene Szenen gefilmt, in denen er die Erzählinstanz oder der adressierte Antagonist wird. Das koinzidiert insofern mit der Erzählung Kafkas, als auch sie selbst eine Mischung aus Ich-Erzählung und erlebter Rede bildet.
Der Film konzentriert sich vor allem auf zwei Motive, die in der Erzählung zwar schon angelegt sind, dort jedoch eher beiläufig behandelt werden: Das Essen und die Sexualität. Beides ist im Film bis ins Groteske verzerrt und kehrt die eigentlich komischen (bzw. grotesken) Momente der Erzählung hervor. Die Figuren benehmen sich bei Tisch “wie die Tiere” und sind Gregor Samsa damit eigentlich schon zum verwechseln ähnlich. Und wenn sein in der Erzählung zum Ende hin geäußerter Wunsch nach “Vereinigung” mit der Schwester bereits reichlich bizarr anmutet, dann sind es die in den unterschiedlichsten und unpassendsten Situation übereinander herfallenden und sich aneinander reibenden menschlichen Protagonisten des Films erst Recht.
Die zunehmende Verdinglichung, die sich vom Anfang bis zum Ende der Erzählung verabsolutiert (die Putzfrau nennt den toten Gregor-Käfer schließlich “das Zeug”), weicht im Film einer von vornherein als tierisch dargestellten Bürgerlichkeit, in der Gregor nur die passende Form gefunden zu haben scheint, während die übrigen Figuren noch nach ihr suchen.
#262
Geschrieben 12. Mai 2008, 22:22
Dass gerade der Film aus dem Hause Stampfwerk das vergleichsweise anspruchsvollste Produkt über den Kannibalen-Fall von Rotenburg werden würde, hätte ich nicht gedacht. Zumal die RTL-"Extra Spezial"-Sendung vom letzten Jahr genau den gegenteiligen Eindruck erweckt hat. Die doppelt so lange DVD-Version nimmt allerdings die Geschwindigkeit aus der "Erzählung" (was dem Verständnisprozess zugute kommt) und lässt gerade denjenigen, die wirklich etwas zu sagen haben - dem Täter und dem Sexualwissenschaftler - mehr Raum für Erklärungen und Reflexionen. Die trotzdem noch vorhandenen reißerischen Ausfälle auf der Off-Tonspur verblassen gegen die Ruhe der Interviewpartner.
Meine Kritik bei F.LM.
#263
Geschrieben 17. Mai 2008, 07:40
Nichts bricht einem Trashfilm vernehmlicher das Genick, als wenn sein Trashappeal gewollt inszeniert ist. Dann hilft nur ein merklicher Abstand zu sich selbst (zu bewundern in den Filmen Tarantinos und Rodriguez') oder er ist dem Untergang geweiht. Als "Snakes on a Plane" am Reißbrett entstand, waren sich die Macher offenbar noch nicht über dessen Trashappeal im Klaren - dann jedoch startete eine bis dahin beispiellose Internet-Kampagne, die erst darauf hinwies, wie hanebüchen das Plotkonzept des Films ist. Das griff man flugs auf und versuchten den zweitklassigen Actionfilm in einen erstklassigen Trashfilm zu verwandeln. Beim ersten Sehen hat mich das Ergebnis dieser Bemühung noch überzeugt, denn die Konstruktion ist wirklich so überaus absurd, die Figuren - allen voran der Held - so beispiellos blödsinnig gezeichnet, dass sich der Spaß geradezu zwangsläufig einstellt. Jetzt habe ich den Film zum zweiten Mal gesehen und bin in das Tiefe Loch seiner Gewolltheit gestürzt. "Snakes on a Plane" hat (zumindest für mich) nichts, was eine zweite Sichtung irgendwie rechtfertigen könnte. Er ist pure, selbstgefällige, aalglatte Oberfläche.
#264
Geschrieben 17. Mai 2008, 08:07
Eigentlich wollte ich ja zusammen mit philosophus das "Shutter"-Remake sehen, doch das war eigenartigerweise vom Programmplan gestrichen. Was lag da näher, als noch einmal "[Rec]" anzuschauen, der ja bereits bei den FFF-Nights lief. Die deutsche Synchronisation ist sehr angenehm und ich meine sogar Friedrich Schönfelder die Rolle des Cesar (Carlos Lasarte) sprechen gehört zu haben. Überdies war das Wiedersehen mit Manuela Velasco ein echter Genuss. Eine der niedlichsten Schauspielerinnen, die zurzeit auf der Leinwand zu sehen sind.
Aufgefallen ist mir erst bei dieser zweiten Sichtung, wie stark sich der Horror in der letzten Zeit auf klaustrophobische Szenarien konzentriert, bzw. wie aus und in diesen Szenarien die effektivsten Horrorfilme der letzten Zeit destilliert werden: Neben "[Rec]" ist ja auch "Á L'Interieur" ein solcher Film und als beider Vorgänger könnte man "Right at your door" ansehen, der vielleicht auch gleich den diskursiven Hintergrund/Grund für diese "Deprivatisierungstendenz" vorgibt: Die Invasionsfilme der 50er Jahre haben die "erste Kränkung" dargestellt, nämlich dass die Grenzen des Heimatlandes mithin also die Verteidiungspolitik keinen Schutz mehr bieten. Die Serienmörder-, Backwood- und Terrorfilme der 1970er Jahre bebildern die "zweite Kränkung", dass die Gesellschaft aus sich heraus Bedrohung produziert, also die Innenpolitik kapituliert. In den "Home Invasion"-Filmen der jüngeren Vergangenheit wird nun die letzte Bastion des bürgerlichen Schutzes eingerissen, indem sich die "Krankheit" einerseits in der Keimzelle des Privaten entwickelt ("[Rec]"), unaufhaltsam in sie eindringt und sie virusartig kolonisiert ("Á L'Interieur") oder sich durch die Abschottung erst zur tödlichen Bedrohung entwickelt ("Right at your Door"). Sicherlich eine wacklige Hypothese, die zuerst einmal mehr Beispiele als Beleg benötigt ... ich arbeite dran.
#265
Geschrieben 18. Mai 2008, 10:25
Nach dem Snakes-on-a-Plane-Fiasko bin ich über einen Film wie “The Machinist” hoch erfreut, bei dem es sogar gar nicht genügt, ihn nur einmal gesehen zu haben. Ich werde ihn in Kürze ja auch in der “1st-Person-Movies”-Übung diskutieren und dort wohl speziell auf die Verwendung filmischer Zeichensysteme sowie die Zusammenhänge zwischen Signifikationsprozessen und Psychosen (paranoide Schizophrenie) eingehen. “The Machinist” schiebt die Bedeutsamkeit seiner Bildsprache bis fast zum Ende hin auf, wo man dann eine wahre Signifikationsexplosion miterleben kann. Zudem ist es auch ein unglaublich intensiver und menschlicher Film - gerade auch durch den Kontrast seiner Erzählung zu einen überaus bleichen und kargen Bildern. (Die günstige Blu-ray-Disc von e-m-s verdoppelt die Kargheit des Films in ihrer Ausstattung: Kein normales Menü, keine Extras … dafür jedoch ein sehr gutes Bild.)
#266
Geschrieben 22. Mai 2008, 07:49
Was das Merken und Wiedererkennen von Schauspielernamen und -gesichtern angeht, bin ich zugegebenermaßen eine ziemliche Niete (und deshalb ein leichtes Opfer für "Scene-it"-Gegner"). Aber ab und zu passiert es mir dann doch einmal, dass sich mir ein Gesicht einbrennt - und manchmal erkenne ich das erst im Nachhinein, wie bei Ellen Page. Der bin ich zum ersten Mal vor zwei Jahren im Film "Mouth to Mouth" begegnet und war überwältigt von der Frische und Natürlichkeit, mit der die damals 18-Jährige ein ausgerissenes Teenager-Mädchen spielt, das in die Fänge einer Sekte gerät. Das nächste Zusammentreffen mit ihr fand etwas später im ein Jahr nach "Mouth to Mouth" gedrehten "Hard Candy" statt. Und obwohl ich den Film in seiner unverholen retributivistischen Moral en gros abstoßend finde, bin ich von der Darstellung der jugendlichen Folterknechtin - eben Ellen Page - einigermaßen verblüfft gewesen - nicht nur, weil sie es geschafft hat mich zusammen mit dem Film-Pädophilen an der Nase herumzuführen und in die Plotfalle tappen zu lassen, sondern auch, weil ihre Kalkuliertheit keinen Augenblick lang wie eine Drehbuchkonstruktion wirkt.
Zuletzt war es dann auf dem 2007er Fantasy-Filmfest "An American Crime", in dem ich Page gesehen habe und als ich den Film vorgestern zusammen mit meiner Frau noch einmal auf DVD angeschaut habe, war ich abermals wie vom Donner gerührt. Das liegt meines Erachtens wiederum vor allem am Schauspiel Ellen Pages, die die zu Unrecht gemarterte 15-jährige Sylivia mit einer Empathie spielt, die so manchem überagierenden Jesus-Darsteller gut zu Gesicht gestanden hätte. Ein unglaubliches Talent, sich nicht nur in Opferrollen einzufühlen und diese authentisch wiederzugeben, sondern aus der Opferrolle auch ausbrechen zu können - sei es erfolgreich, wie in "Hard Candy" oder als tragischer Selbstbetrug wie in "An American Crime". "Juno", der wohl bislang bekannteste Film mit Ellen Page in der Rolle eines schwangeren Teenagers, steht mir noch bevor und ich kann nur sagen: Seit ich weiß, wer sie ist, erwarte ich jedes Wiedersehen mit ihr mit Spannung.
#267
Geschrieben 22. Mai 2008, 08:18
Immer noch und immer wieder ein Mysterium, dieser Film. Bis ins Herz hinein reaktionär, aufstachelnd, politisch falsch, chauvinistisch und nationalistisch. Und doch kann ich die Finger nicht davon lassen. Patrick Swayze, Jennifer Grey (mit Nase), Charly Sheen (in seiner ersten Rolle) und Harry Dean Stanton geben sich für ein solches Drehbuch her? Jugend und Unerfahrenheit kann es doch wohl nicht ausschließlich gewesen sein. Der tolle Soundtrack von Basil Poledouris, die oft berückend schönen Panorama-Einstellungen von Ric Waite - keine Frage, hier trifft solide Filmkunst auf niedere Gesinnung. Aber warum? Vielleicht muss man sich ins Jahr 1984 zurückdenken, um das zu verstehen - zurück zum Höhepunkt des kalten Krieges, der die atomare Vernichtung so spürbar machte, wie sie seit der Kuba-Krise nicht mehr gewesen ist. Dann versteht man vielleicht das Heil, das in der Perspektive eines konventionell geführten Krieges "mit blankem Säbel" (Powers Boothe) gelegen haben könnte. Einer Kriegsführung, in der nicht die Aktions- und Reaktionsgeschwindigkeit elektronischer Systeme entscheidet, sondern der aufrechte und durchgehaltene Patriotismus, der zur Zeit von "Red Dawn" auf dem Höhepunkt der Reagan-Ära wohl nur noch eine schwache Geste gewesen ist. Wer weiß, vielleicht ist "Red Dawn" in all seiner perfiden Überzeichnung vielleicht ja sogar ein Anti-(Atom)Kriegsfilm und als solche zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Keine Ahnung ...
#268
Geschrieben 28. Mai 2008, 14:48
Zu den eher ernüchternden Erfahrungen eines Lebens mit Film gehört es, wenn man einstmals als Perlen der Filmgeschichte bewertete Filme viele Jahre später noch einmal sieht und diese Sichtweise sich nicht nur nicht erneut einstellen will, sondern man feststellt, dass man damals von Oberflächenreizen dazu verführt wurde, mehr zu sehen, als da ist. So geschehen mit mir und Kieslowskis Film etwa im Jahre 1993. Die trügerischen Indizien: Die Ausstrahlung auf dem TV-Sender ARTE, der weit&breit berühmte Name des Regisseurs, die düster-bedrückenden Sepia-Bilder, das Thema der Doppelgängerin, die von ihrem Anderen nichts weiß, das musikalische Motiv, das Lebensschwere vermittelt, die Schauspielerin, die trotz ihrer Jugend so viel Leid auszustrahlen vermag. Das war 1993.
Letzte Woche habe ich einen Film gesehen, der sich dadurch, dass er vermeidet einen nachvollziehbaren Plot zu entwickeln, seine Figur(en) mal hier mal dahin schickt, ohne dass es "Sinn" ergäbe, der sich darin gefällt seine Bilder, sobald er sie für bedeutsam hält, gelb einzufärben, dessen Soundtrack, allem voran das immer wieder hingedudelte Leitmotiv (offenbar kündigt sich hier bereits der zwei Jahre später erschienene "Blau" an), an den Nerven des Musikliebhabers zerrt, dessen Hauptdarstellerin eigentlich nur lachen (siehe Cover) und sich ausziehen (siehe Cover) kann; ein Film also, der so prätentiös ist, so vieldeutig-nichtssagend und so unausgegoren, wie vieles andere von Kieslowski eben auch. Zum Glück bleibt einem bei "Veronika" aber die daumendick aufs Butterbrot geschmierte katholische Moralität des Regisseurs erspart.
#269
Geschrieben 03. Juni 2008, 09:02
Deutlich beeinflusst vom dokumentarischen Arbeiten zeigt sich dieser frühe Spielfilm Kieslowskis: Verzicht auf optische Spielereien, minimaler Einsatz von Filmmusik, Handkamera und vor allem Darsteller, die wie aus dem Leben gegriffen wirken. "Der Zufall möglicherweise" denkt drei Mal über die Entwicklung seiner Hauptfigur, eines Medizinstudenten, der ein Urlaubssemester einlegt um nach Warschau zu reisen, nach. In der ersten Variante bekommt er den Zug, wird in Warschau ein Parteifunktionär, der sich gegen die gerade aufkeimende Protestbewegung von illegalen Gewerkschaften und Kirchen stellt und eine Rebellion in einem Krankenhaus niederschlagen hilft. Im zweiten Teil fährt der Zug ohne ihn ab und wegen einer Handgreiflichkeit mit einem Bahnbeamten wird der Held kriminalisiert, in den Untergrund getrieben und Mitstreiter der Protestbewegung. Der dritte Teil lässt ihn ebenfalls nicht nach Warschau reisen, sondern daheim und unpolitisch bleiben, Karriere als Krankenhausarzt machen, eine Familie gründen und opfert ihn am Schluss bei einem Flugzeugunglück. Kieslowski behauptet in einem Interview, dass das Flugzeug auf alle drei Figuren am Ende aller drei Erzählungen mit dem Tod wartet. Er führt es jedoch nur bei demjenigen aus, der sich zugunsten eines ruhigen Lebens für keine Seite entscheiden will. Dazu kann man heute, 20 Jahre später, stehen wie man mag; der politische Existenzialismus, den Kieslowski kurze Zeit später gegen den unpolitischen Manierismus austauscht, steht in "Der Zufall möglicherweise" jedoch noch streng im Vordergrund.
Der Film ist bei absolutMedien zusammen mit "Der Filmamateur" als Doppel-DVD erschienen. Dass "Der Zufall möglicherweise" nur als OmU auf die DVD gelangt ist, verwundert ein wenig, wurde der Film doch vor einigen Jahren auf ARTE synchronisiert ausgestrahlt (wenn ich mich richtig erinnere).
#270
Geschrieben 07. Juni 2008, 17:50
Allein schon die Story in Verbindung mit dem Titel gebracht, sagt viel über die Wahrnehmung der Computertechnik im öffentlichen Bewusstsein der 1970er Jahre: Als dämonisch wird verstanden, was da langsam Einzug in die heimischen vier Wände hält. Der Erscheinen der Rechnermodelle TRS-80, Apple II und Commodore PET (alle aus dem selben Jahr wie "Demon Seed") in den Wohnzimmern und die dadurch ausgelöste "Homecomputer-Revolution" hat der älteren Generation wohl so manche Gänsehaut über die Rücken gejagt. Aber die Mikroelektronik ist nicht das einzige Grauen in "Demon Seed", denn der Supercomputer mit dem sinnfälligen Namen "Proteus", der sich eines Terminals (Bild 1) in einer Privatwohnung bemächtigt und dort eine Frau gefangen nimmt um sie zu Schwängern (Bild 2), gehorcht einer totalitären Vernunft. Diese zwingt ihn gegen die Menschen, die im Begriff sind die Umwelt zu zerstören, zu opponieren. Sein Ziel: Ein eigenes Kind zeugen, das alle Computer überflüssig macht und die Menschheit mit Vernunft in eine neue Zukunft führt.
Spannend ist dieser eigentlich abstruse Diskurs vor allem deshalb, weil der Computer virusartig zuerst Macht über die Keimzelle der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die Kleinfamilie, erlangen muss, um an sein Ziel zu kommen. Also besiedelt er ein ohnehin schon völlig von der Technik kontrolliertes (Bild 3) Haus und beginnt sein konstruktiv-destruktives Werk von "unten nach oben".
"Demon Seed" ist der erste in einer kleinen Reihe von Filmen über die Besiedlung/Eroberung des Wohnraums durch die Computertechnik, die ich zur Recherche eines Artikels (der erste Artikel einer Reihe über "Computer im Film") angeschaut habe. Es folgen in Kürze: "Electric Dreams" und "Hardware". Über weitere Vorschläge bin ich dankbar ...
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