The retina of the mind's eye
#421
Geschrieben 01. Mai 2009, 09:05
Das hatte sich George Orwell prima gedacht: Eine Fabel über die Geschichte der russischen Revolution bis hin zum Stalinismus, den er als "entarteten Kapitalismus" entlarvt. Wíe bei Fabeln üblich, werden die Tieren ohnehin zugeschriebenen Eigenschaften genutzt, um sie in den fabulösen - hier politisch-ideologischen - Kontext zu integrieren. Dass nun das von Orwell inaugurierte "Schweinesystem" ausgerechnet von der RAF in den späten 1970er als Kampfbegriff gegen den Kapitalismus und Imperialismus ins Feld geführt wurde, ist wohl eher eine der vielen Kuriositäten der ideologischen Häme und muss hier nicht weiter betrachtet werden.
Anders schon der jetzt auch durch die DVD-Veröffentlichung noch einmal manifestierte forcierte Intentionalismus, der ausschließen will, dass man "Animal Farm" auch ganz anders als als Kritik am Stalinismus verstehen darf. Heutzutage, wo der Stalinismus allenfalls ein historisches Phänomen ist (wenngleich in Putin-Russland seit Jahren eine ähnliche Verformung des Demokratiebegriffs stattfindet, wie unter Stalin der Kommunismus redefiniert wurde), ist es verlockend, den Zeichentrickfilm einmal anderen Lektüren auszusetzen um zu schauen, wie strapazierbar die Fabel ist. Wieso also nicht einmal "Animal Farm" unter dem Vorzeichen der Bankenkrise oder der Schweinegrippe neu lesen? Ich versuche das in Kürze mal ...
... dann auf F.LM.
#422
Geschrieben 01. Mai 2009, 18:45
Na ja, so originell, die Uhr zurück auf "Null" zu stellen, um in Serien fest etablierten und konstruierten Figuren eine Vorgeschichte zu geben, ist es freilich nicht; dennoch ist die Häufung solcher Versuche in der letzten Zeit schon markant. (So weit wie Rüdiger Suchsland würde ich dann wahrscheinlich aber nicht gehen, das mit der nun ebenfalls scheinbar auf "Null" zurückgedrehten amerikanischen Politik in Verbindung zu bringen.)
Sei's drum. J. J. Abrams legt ein Star-Trek-Prequel vor, das - zumindest von der vierten Reihe aus - nur schwer zu ertragen war. Handkameras in fast jeder Szene, die auch dann wackeln, wenn es gar nichts zu wackeln gibt. - Jetzt folgen nur noch Spoiler! - Dafür wackelt die Story so vor sich hin und profaniert ein ziemlich bedrohliches Raumschiff als schnöde romulanische Weltraumbohrplattform. Seit den Borgs sind meine Ansprüche an unbezwingbare Gegner etwas höher. Einfach mit einem Raumschiff rammen darf nicht reichen. Abrams ist in seinem Null-Film leider nur halb mutig, denn er erzählt gar nicht die Vorgeschichte von Star Trek, sondern nur eine - eine, die in einem weiteren Paralleluniversum spielt.
Ach, ich verrate ja (fast) alles! Wie soll man auch über etwas schreiben, was eigentlich jeder kennt und wo es nur noch darum geht informative Lücken zu schließen. Letztlich ist das ganze Star-Trek-Filmuniversum ja nichts anderes als ein Lückeschließen und wird immer dann besonders interessant, wenn sich einmal - wie in der morgen mal wieder ausgestrahlten Tribbles-Folge - Unstimmigkeiten auftun, die später dann geschlossen werden können.
#423
Geschrieben 12. Mai 2009, 15:22
Zugegeben: Viel mitbekommen habe ich nicht von dieser Originalfassung, was wohl teils an meinem Post-Kolloquiums-Kater, teils an der vorgerückten Stunde lag, aber beeindruckt hat mich der Film dennoch. Gerade die Tatsache, dass Scott hier die Action (noch) nicht zum Motor der Bild-Bewegung erklärt und vieles über die Dialoge "motiviert", zeigt, dass er sich im Spionage-Film bestens auskennt. Mit Robert Redford hat er da aber auch wirklich einen alten Hasen!
Erfreulich waren die schon in nuce vorhandenen Bild-Tricks, die Zeitraffungen, wirbelnden Kameras und vor allem die Schrifteinblendungen. In "Spy Game" haben vor allem Orts- und Zeit-Einblendungen den Sinn, dass sie den Anschluss zweier Sequenzen noch einmal verdeutlichen. Man könnte fast meinen, das sei für unaufmerksame Zuschauer für mich gedacht: Eben noch im CIA-Hauptquartier, dann eine Uhrzeiteinblendung, die bis in die nächste Einstellung hineinreicht, welche dann aber in einem chinesischen Folterknast angesiedelt ist. Die Schrift wird hier zur Brücke zwischen den filmischen Räumen. In Scotts nächstem Film - "Man on Fire" - besiedelt sie dann einen eigenen Raum. Da müsste man mal etwas drüber schreiben: Über die Schrifteinblendungen in den Filmen Tony Scotts.
#424
Geschrieben 12. Mai 2009, 15:50
The Grudge (Jp/D/USA 2004, Takashi Shimizu) (DVD)
Auf der Zugfahrt nach Bonn habe ich mir endlich einmal das Original von "The Grudge" angesehen - also den ersten Teil der japanischen Version Shimizus. Es mag am diese Sujets nicht gerade begünstigendem Rezeptionsort "ICE-Großraumabteil" und der Tageszeit (Vormittag) gelegen haben, aber gruselig war das nun gar nicht. Darauf hatte ich es aber auch nicht abgesehen, sondern auf die Frage, in welchen Aspekten sich die beiden Versionen voneinander unterscheiden. Und Kleinigkeiten sind es nun wirklich nicht, sondern die gesamte Dramaturgie des Originals ist anders. Der Film ist wesentlich episodenhafter, verzichtet weitgehend auf einen Spannungsbogen und führt viel mehr (und viel mehr) Facetten des titelgebenden Fluchs vor Augen.
Der wesentliche Unterschied zur US-Fassung ist für mich jedoch die Organizität des Re-Makes, das zwar einzelne Episoden der Ur-Fassung adaptiert (und das sogar zum Preis der narrativen Inkonsistenz, wie sich am Tod der Schwester, der ja weit entfernt des verfluchten Hauses stattfindet, zeigt), sich jedoch wesentlich mehr als "abendfüllender Spielfilm" gibt. Es ist eher diese Tatsache, als dass in "The Grudge" auch westliche Figuren zu sehen sind, die den Reiz und die höhere Affektivität des Films ausmachen. Zwei Übertragungsleistungen kommen also schon einmal zusammen: eine "Interkulturalisierung" durch Plot und Darsteller sowie eine Anpassung an Genremuster und Rezeptionsgewohnheiten des westlichen Kinos.
Und dennoch steckt die Tücke auch hier im Detail und es wäre einmal spannend sich solche Fragen zu stellen wie: Warum ist das Bettlaken der zurückgelassenen Großmutter im japanischen Original mit Kot verschmiert und in der US-Fassung mit Urin? (Ich habe das mal als besonders deutliches Detail stellvertretend für Dutzende andere Minimalveränderungen ausgewählt). Letztlich müsste man sich fragen, welchen Beitrag diese Details leisten, die ja für sich genommen keine besondere (Be)Deutung besitzen, im Gesamtzusammenhang aber vielleicht stimmig wirken und Stimmung erzeugen.
Beide Filme hatte ich wegen des Absolventen-Kolloquiums bei Michael Wetzel gesehen. Das japanische Original im Vorfeld, das US-Remake zusammen mit den Teilnehmern nach dem Vortrag und zur Illustration meiner Geister-These (dass nämlich der Geisterfilm den Endpunkt der Privatheits-Bedrohung darstellt). Und es war schön zu sehen, wie sehr solche Filme auf Zuschauer, die es nicht gewohnt sind, wirken. Wie sehr wünsche ich mir manchmal diese Empfindlichkeit zurück! Und doch: Wenn ich im Kino sitze und einen richtig guten Gruselfilm zum ersten mal sehen, dann packt es mich auch - das war bei "Blair Witch" so, bei "Shutter" und auch als ich zum ersten Mal "The Grudge" gesehen habe ... allerdings die US-Fassung.
#425
Geschrieben 15. Mai 2009, 16:26
Ich hatte den Film ja hier schon eingehender besprochen, ihn gestern aber noch einmal für die Erweiterung des Textes für eine Publikation von Katja ("Die 100 besten russischen Filme") gesehen. Zusätzlich zu den damaligen Beobachtungen eher metaphysischer Art sind mir dieses Mal vor allem zwei Dinge aufgefallen.
Und zwar zwei Motive, die das atomare Wettrüsten seit den 1960er-Jahren bestimmen und sich in etlichen Spielfilmen thematisch niedergeschlagen haben, werden ich „Briefe eines Toten“ vom Professor aufgeworfen und weiter- bzw. zu Ende gedacht: Wie wahrscheinlich ist es, dass die atomare Katastrophe nicht durch einen militärischen Konflikt sondern einen Unfall ausgelöst wurde? Dieses Szenario wird mit Einführung der Abschuss-Automatisierung vor allem der Interkontinental-Raketen sehr wahrscheinlich und wie aus Aktenlagen des Kalten Krieges bekannt ist, sind derartige technisch bedingte Beinahe-Unfälle häufiger vorgekommen, als seinerzeit bekannt wurde. Filme wie John Badhams „War Games“ (USA 1983), in dem ein „durchgedrehter“ Computer beinahe den Atomkrieg auslöst, nehmen sich dieses Themas an. Dass der Mensch selbst wie eine Maschine zu funktionieren hatte, sobald der Befehl zum Druck auf den berüchtigten Roten Knopf kam, beschreibt schon 20 Jahre zuvor Sidney Lumets „Fail Safe“ (USA 1964), in dem sich ein Bomberkommando von seinem Flug nach Moskau nicht mehr zurückhalten lässt.
Das andere Motiv, das ebenfalls vom Professor in den Briefen erwähnt wird, ist spätestens ab den frühen 1960er-Jahren mit der Entwicklung der Neutronen-Bombe eine ernsthafte militärische Strategie-Diskussion gewesen: Lässt sich ein Atomkrieg lokal begrenzen? Die Vermutung, nicht die ganze Welt könne von der atomaren Katastrophe betroffen sein, scheint einerseits Ausdruck der Hoffnung, andererseits Echo dieser auch gezielt in der Öffentlichkeit gestreuten Militärstrategie zu sein. Verglichen mit so genannten „schmutzigen“ Atom- bzw. Kobalt-Bomben, bei denen die Radioaktivität für weitreichende Schäden in der Biosphäre verantwortlich wäre und den mit immer größerer Explosionskraft versehenen Fusions- bzw. Wasserstoffbomben (deren größte, den „Tsar“, im Oktober 1961 gezündet wurde), schien sich mit der Entwicklung der Neutronen-Bombe der Krieg tatsächlich auf kleine Areale begrenzen zu lassen. Die Neutronen-Bombe sollte verhältnismäßig geringe Explosionszerstörungen hervorrufen und nur wenig langfristige Verstrahlungen verursachen. Wahrscheinlich ist die Entwicklung dieser Waffe ab 1958 und deren massenweise Herstellung durch die Amerikaner Anfang der 1980er-Jahre ein Hinweis auf einen immer möglicher werdenden Atomkrieg und damit ein „Beruhigungsmittel“ für die Bevölkerung.
Dass „Briefe eines Toten“ beide Motive aufnimmt, zeigt, dass es Lopushansky keineswegs um eine ausschließlich metaphysische Kodierung des Ernstfalls geht. Auch wenn der Professor und einige der anderen Protagonisten am konkreten Fall des Atomkrieges die conditio humana diskutieren, nimmt der Film konkrete Diskurse auf und etxrapoliert sie auf ein mögliches Szenario, zeigt also eine Dystopie im Wortsinne – einen schrecklichen Ort. An diesem herrscht Angst, Resignation, und eine allein am Pragmatischen orientierte Moralität. Wer leben darf und wer sterben muss, diktiert ein Verwaltungsbeamter, der schon „zu oft“ das Flehen der Menschen gehört hat, um davon noch bewegt zu werden. Alle ideellen Werte sind im atomaren Feuer verbrannt: rauchende und brennende Ruinen, eine mehr und mehr ausgehöhlte Bibliothek, deren Wert sich mittlerweile in der Verfeuerbarkeit der Bücher niederschlägt. Eine Welt, in der die Figuren mehr funktionieren als leben.
#426
Geschrieben 15. Mai 2009, 16:49
Das hat man alles schon mal gesehen. Vor allem bei "Amityville" und "The Others". Der Grusel ist auf reine Schock-Momente reduziert, die dann auch jedes Mal von einem Soundtrack-Bumm begleitet werden. Interessant war für mich allenfalls das Haus-Motiv. Ein herbei gerufener Geistlicher (Elias Kotieas), der sich mit verfluchten Häusern auskennt, bemerkt dann auch irgendwann, dass dieses Haus nicht "haunted", sondern "possessed" ist - was die Anthropomorphisierung des Hauses ein weiteres mal forciert.
#427
Geschrieben 18. Mai 2009, 16:31
Der Auftakt zur Roboter-Filmreihe (für den letzten Teil meiner Telepolis-Serie über "Computer im Film"). "Futureworld" ist nicht bloß eine direkte Fortsetzung von "Westworld", sondern spinnt das Robotik-Thema weiter. Aus lebensecht wirkenden Maschinen werden lebende Maschinen, die nicht einmal mehr von ihren Erbauern als solche zu erkennen sind. Hier kreuzt sich der Roboter-Film mit dem Paranoid-SF a la "Body Snatchers".
Dass es nun ausgerechnet ein Journalisten-Paar ist, das da in Delos geklont werden soll, um über seine Kanäle Propaganda für den Freizeitpark zu machen, und so noch mehr Politiker und Industrielle anzulocken, war der zentrale Fehler im Plan. Denn - so will es das Gerücht - niemand lügt perfekter als ein Journalist und deshalb ist er den Robotern nicht nur mehr als gewachsen (weil diese nicht lügen können und lügen nicht verstehen), sondern ein noch viel besserer Roboter, der sein eigentliches Programm im Geheimen ablaufen lassen kann und nur eine unverdächtige Nutzeroberfläche zeigt. In der Schlusssequenz entkommt das Journalisten-Paar aus Delos, weil beide glaubhaft machen können, Roboter zu sein. Sie selbst misstrauen einander zunächst, erkennen sich aber (angeblich) am Kuss. Insofern kann es mit den Lustmodellen, die im Freizeitpark den sexuellen Wünschen der Gäste offen stehen, nicht so weit her sein.
Es gibt ein paar schöne Einstellungen vom Kontrollzentrum des Parks, die mich an das NORAD-Zentrum aus "War Games" erinnert haben. Und tatsächlich macht man im Übergang von "Westworld" zu "Futureworld" vor, was in "War Games" später auch zur Katastrophe führt: Das Ersetzen menschlicher Bediensteter durch gefühllose Maschinen. An denen kommen windige Hacker und Lügner natürlich problemlos vorbei.
#428
Geschrieben 25. Mai 2009, 21:07
Wo entfaltet sich eigentlich eine Intertextualität? Doch nicht im stillen Kämmerlein des Drehbuchschreibers oder am Set beim Filmdreh oder auf der Leinwand im Kino - sie entsteht im Kopf des Zuschauers. Insofern ist das Erkennen von Zitaten eine von Betrachter zu Betrachter unterschiedliche Reise durch die je eigene Filmsozialisation. Ob Intertextualitäten, Zitate, Anspielungen, Inspirationen oder wie man sie auch immer nennen möchte, damit noch zu einem intersubjektiv prüfbaren Qualitätskriterium für einen Film erhoben werden können, muss zumindest hinterfragt werden.
Man kann seine Zeit in "Terminator 4" also gerne damit verbringen, die Text- und Bild-Zitate oder die Homologien zu bereits bekannten Filmen - vielleicht desselben Genres - "aus dem Film" herauszusuchen und dabei doch nur Introspektion betreiben. Die wird schnell zu einem Selbstläufer, der einen narrativen oder ikonografischen Pfad vorzeichnet, auf dem sich die Ereignisse der Leinwand dann auch tatsächlich bereitwillig einfinden und entlangwandern. Doch welchen Film sieht man dann? Und selbst wenn man solche konstruktivistischen Überlegungen ausklammert: Was ist denn überhaupt eine originelle Geschichte? Eine, die noch nie erzählt wurde? Die in allen Facetten noch nie dagewesen ist? Wie kann man denn erzählen ohne selbst erzählt bekommen zu haben?
Ich will keineswegs andeuten, "Terminator 4" würde sich auf Zitate reduzieren lassen, noch sich dem Vorwurf aussetzen müssen, nicht originell zu sein. Beides verbietet schon die Tatsache, dass er ein kombiniertes Sequel und Prequel ist (was man neuerdings "Relaunch" nennt). Er muss sich also notwendigerweise auf seine Vorgänger beziehen. Und weil er nun auch einem traditionsreichen Genre bzw. Sub-Genre, nämlich dem dystopischen Science-Fiction-Film angehört, wird er sich auch, wie jeder Genre-Film, gewissen Regeln, Topoi und paradigmatischen Erzählkonstellationen unterwerfen müssen.
Also: Es ist egal, ob sich "Terminator 4" bei Filmen wie "Matrix", "War of the Worlds", "Mad Max", "Dune" und einigen anderen bedient oder nicht. Am Ende zählt, wie er seine Geschichte erzählt, was er zu zeigen hat und wie man sich als Zuschauer dabei fühlt. Ich bin großartig unterhalten worden an diesem Nachmittag. Ich habe eine Geschichte erzählt bekommen, die gekonnt zwischen Film-Zukunft und filmischer Vergangenheit situiert wurde. Ich wurde von einem ungewöhnlichen, mit bekannten aber verfremdeten Motiven bestückten Danny-Elfman-Soundtrack bombardiert, in den sich die Industrial-Sounds der Effekt-Tonspur wie Percussions angehört haben. Ich habe actiongeladene, bildgewaltige und rasant montierte Sequenzen neben pathetischen Totalen und Momenten voller trügerischer Ruhe in einer postapokalyptischen Welt zu sehen bekommen. Und ich habeeines der besten Production Designs seit "Matrix" genossen und meine Augen nicht mehr von dieser dreckigen, verrosteten und zerfallenen Welt lösen können - außer, wenn wieder einmal die großartig animierten Roboter (oft Puppen, selten CGI) aufgetaucht sind ...
Nur in den ersten paar Minuten habe ich Zeit damit verschwendet mich zu fragen, an was mich das alles erinnert.
#429
Geschrieben 26. Mai 2009, 08:58
Ein ganz kleiner Kinosaal mit etwa 20 Doppelsitzen die in 10 Reihen aufgeteilt und durch einen Gang in der Mitte getrennt sind. Zuerst waren Miriam und ich ganz allein, dann gesellte sich uns noch eine Mutter mit ihrer vielleicht 12-jährigen Tochter zu.*
Mein erster Film von Ozon und ich war regelrecht verzaubert von dieser ganz ungewohnten Art zu erzählen. Halb wie ein bedrückendes Sozialdrama, halb wie eine Groteske, wobei sich beide Hälften ständig befruchten, karikieren und relativieren. Bis klar wird, dass es sich wahrscheinlich um einen fantastischen Film handelt, baut "Ricky" eine ganze Anzahl von bedrohlichen Szenerien auf, deutet an, dass die allein erziehende Mutter ihren Job verliert, deutet an, dass sie und ihre Tochter mit ihrem Motorroller einen Verkehrsunfall haben wird, deutet an, dass die Tochter wegen der neuen Liebesbeziehung der Mutter zu einem spanischen Liebhaber vernachlässigt wird, deutet an, dass dieser Liebhaber seinen neugeborenen Sohn misshandelt ... und lässt diese Andeutungen doch jedes mal - wie das Handke-Gedicht von den "unbenutzten Todesursachen" - links liegen, um doch eine ganz normale Geschichte zu erzählen.
Nun, so normal ist die Geschichte vom geflügelten Baby dann aber doch nicht. Und zuerst wundert man sich vielleicht über ein paar seltsame Jump-Cuts, die die Schwangerschaft überspringen und die die Zeit, in der die Flügel zu voller Größe heranwachsen links liegen lässt ... und dann wird klar, warum das so erzählt ist. Weil der Film nämlich gar nicht vorhatte, (s)eine Lebensgeschichte zu erzählen, sondern weil das Baby Ricky wie eine Metapher, eine Kopfgeburt in diese zerrüttete und vom ständigen Untergang bedrohte Familie hineinschwebt. Es ist eine Beziehungsmetapher, ein "schwebender Sinn". Das wird klar, als die Trennung kommt und sich das Umfeld gar nicht so verhält, wie man es erwartet, wenn ein Baby verloren geht. Ein der letzten Einstellungen, die diese Annahme in die Sichtbarkeit überführt, ist, als sich die Familie wieder zusammengefunden hat, sich alle drei umarmen und sich die Hände der Eltern hinter dem Rücken der Tochter verschränken, als wären sie ihre Flügel.
Selten habe ich einen Film gesehen, der seine Bildsprache so dicht um ein Motiv herum webt, und dies doch mit so großer Leichtigkeit zu verschweigen weiß!
* Der unverkrampfte Umgang mit Liebe und Sexualität, den das fanzösische Kino glücklicherweise pflegt, hat zu interessanten Bestürzungsseufzern der Mutter und interessiertem Nachfragen der Tochter geführt.
#430
Geschrieben 01. Juni 2009, 08:57
"It is now the 22nd Century. The final conflict has come and gone. The Men control the planet. The women have been devided into either breeders or harlots. All for men's satisfaction. Except at the organzation called 'Sex World' which is been around for about five years now. I work there. I'm on vacation. My roommate is another exception. She has escaped classification. She lives as an outlaw. Most of us live below the surface. A lot of the air is good now. So if the meter reads safe we can remove our helmets ..."
In diesem Prolog, den Regisseur und Hauptdarsteller Ron Jeremy einspricht, während er in einem chicen silbernen Fallout-Schutanzug durch irgend eine US-amerikanische Einöde stolpert, wird quasi der komplette Film vorwegerzählt. In seinem Urlaub streunt Ron durch die Gegend und sucht einen mit Gerümpel zugestellten Ort auf, an dem sich sein "old home" befindet. Ein Ort, an dem sich nur Kakerlaken und Ratten aufhalten - zu letzteren unterhält Ron ein angespanntes Verhältnis.
"Many of my old relics actually survived the conflict", freut er sich angesichts des Sperrmülls, zu dem ein altes Auto, ein "Danger"-Schild, eine mannsgroße Holzfigur, ein leerer Pizza-Karton und ein tragbares TV-Gerät gehören: "I still enjoy going to my old television set and tuning into the sexual stations. It shows how sex used to be before women were classified. When they chose their own partners."Dann guckt er in die Röhre und schaut sich das "Sex World"-Programm an - die Pornodarbietungen seines Arbeitgebers - und das im Urlaub!
"Tacey's Love Chamber" - der zu einem Drittel so heißt, weil Tracey Adams die Hauptrolle spielt, besteht aus vier Hardcore-Sequenzen, von denen drei im "Sex World"-Studio und eine bei ihm zu Hause (also im Bunker) stattfinden. Dazwischen sieht man Ron, wie geschrieben, durch die Gegend laufen und Off-Kommentare zur Situation abgeben. Irgendwann kurz vor Schluss des Films ist der Urlaub dann wieder vorbei und Ron geht zurück ins Studio. Dort erlebt er eine Orgie mit, die er via Bildschirm verfolgt, und die mit einer netten Ansage des kopulierenden Paares endet: "Ask not what you can do for Sexworld but what can Sexworld can do for you!" So viel Kundenorientiertheit kommentiert Ron abschließend mit: "Sexworld ... I think I'm in the wrong department." Und dann endet der Film.
"Tracey's Love Chamber" macht keinen Hehl daraus, dass er das Setting lediglich "missbraucht", um ein paar Nummern, die - wie Jochen wohl nicht ganz unrichtig vermutete - bei Ron Jeremy zu Hause gedreht wurden, vorzuführen. Die postapokalyptische Atmosphäre entfaltetet sich dementsprechend eher in den steril abgefilmten Hardcore-Sequenzen als im "Dazwischen". Das ist bestimmt von unfreiwilliger Komik und einem Ron Jeremy, der wirklich so aussieht, als wüsster nichts mit sich anzufangen, wenn er mal Urlaub hat. Interessant ist natürlich der Medieneinsatz im Film - es gibt ein paar TV-Monitore, ein TV-Video-Sat-Set (im Bunker-Wohnzimmer) und ein Film-Equipment, das allerdings lediglich aus Pappschachteln, die mit Alu-Folie umwickelt wurden und einem Mikrofon besteht. Das alles dient nur einem Zweck: Die Pornutopie als Zeit/Ort vorzuführen, wo es trotz Zivilisationsende doch noch ganz unterhaltsam zugeht. Dabei hilft natürlich das utopische Paradigma, das die weibliche Population in Mütter und Nutten unterteilt, ungemein ...
#431
Geschrieben 03. Juni 2009, 10:13
Als ich gesehen habe, dass ich sowohl meine T3- als auch meine T4-Kritik bei F.LM als eine Art “missbräuchlicher Struktur-Analyse” zwischen Diskurs und Inhalt der Filme formuliert habe, war der Ansatz für den zweiten Teil schon beinahe vorgegeben: Update/Upgrade:
Zitat
mehr: F.LM
#432
Geschrieben 04. Juni 2009, 14:06
Ein erschütternder Film über Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche - insbesondere einen Priester, der in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren in Nord-Kalifornien sein Unwesen getrieben hat. Gedeckt durch seine Kirchenvorgesetzten, die, um ihre eigene Karriere nicht zu gefährden und die Kosten “gering” zu halten, den Mann lieber in neue Gemeinden versetzt haben anstatt ihm aus dem Amt zu entfernen und den Behörden zu übergeben. Der erste Teil des Films erzählt die Geschichte dieses jahrzehntelange Missbrauchs, stellt die Opfer vor und lässt den Täter zu Wort kommen, der streckenweise überhaupt kein Unrechtsbewusstsein besitzt. Im zweiten Teil begleitet die Filmemacherin einige der Opfer bei ihrem Gang durch die kirchlichen Institutionen bis nach Rom, wo sie eine Erklärung für das Verhalten der Kirchenverwaltungen verlangen - die sie nicht bekommen. Der Dokumentarfilm macht die Strukturen der Menschenverachtung, die hinter diesem Treiben steht, von den Priestern über die Bischöfe und Kardinäle bis hin zum Papst deutlich und offenbart Missbrauchs-Statistiken, die schwindelerregend sind und die Frage aufwerfen, ob es vielleicht an der grundlegenden Struktur der Kirche liegt, dass so derartig viele Pädophile dort solche Neigungen entwickeln und ihren nachgehen können.
#433
Geschrieben 09. Juni 2009, 08:19
"A desease of machinery", so einer der Techniker im Delos-Labor, greife um sich. In der Zeit rückwärts: von der Western-Welt auf die Mittelalter-Welt auf die Römer-Welt. Erst fängt es ganz harmlos damit an, dass ein weiblicher Roboter "is refusing a guest seduction", dann beißen Rotober-Schlagen zu - "a Central Mechanism Psychosis" -, Schwarze Ritter machen ernst, römische Legionäre richten ein Blutbad an: "The machine's gone crazy."
So unverholen "speziezistisch" wie "Westworld" gibt sich kaum ein anderer Roboter-Film. Die Roboter, die dem Menschen bis auf einige Details ähneln, müssen sprachlich in die Hemisphäre des Humanen geholt werden, damit die Bedrohung durch sie fassbar wird - und damit man sie bekämpfen und töten kann. Denn "töten" kann man Maschinen nicht, man kann sie nur zerstören. Es ist etwas anderes, ob der Schwarze Ritter-Roboter den dickbeleibten König-Gast mit dem Schwert ersticht (und sich dieser beinahe über das Aufhören seiner Körperfunktionen wundert) oder ob der Cowboy-Gast den Gunslinger-Roboter immer und immer wieder erschießt. Schon optisch: Das Eine ist eine Szene des Horrors, das andere - obwohl in Zeitlupe Blut spritzt - nur eine Zerstörungsorgie, die durch Wiederholung ins Komische kippt.
Also bleibt ein Konflikt zwischen Menschen und Maschinen immer ungleich, es gibt einen Rest, eine Differenz, die Angleich und Ausgleich verhindert - und die rhetorisch überwunden werden muss. Es ist die Rhetorik der Medizin, sind die Metaphern der Psychiatrie, die diesen Angleich schaffen und den Ausgleich ermöglichen. "Nur was wir verstehen können wir zerstören", lautet das Credo der Helden aus "Westworld". Und verstehen können die Menschen nur ihre eigenen Handlungen und Motive. Was sich ihrem Verständnis entzieht muss erst internalisiert und dann alteriert werden - als Wahnsinn, Psychose, Seuche.
In "Westworld" wiederholt sich auf sarkastische Weise die Geschichte menschlicher Eroberungsfeldzüge - vom Römischen Reich über die Entdeckungsfahrten des 12. - 16. Jahrhunderts bis hin zum "Heading West" der nordamerikanischen Kolonisation. Und die Delos-Besucher wiederholen mit den Robotern, was sie aus der Geschichte gelernt haben: sexuelle Ausbeutung, gewissenloser Mord, Angleichung des Fremden an die eigene Weltsicht. Und Vernichtung.
#434
Geschrieben 09. Juni 2009, 08:56
Selbst als Androind - und jetzt habe ich den Schluss verraten! - kann Klaus Kinski nicht aus seiner Haut. Auf einer Raumstation "spielt" er den Dr. Gunther Daniel, der zusammen mit seinem Androiden Max 404 an der Erforschung neuer Roboter-Technik arbeitet. Die Androiden-Technologie ist weit fortgeschritten: Menschliche Körper mit einem elektronischen Gehirn. Selbst-lernende Systeme mit moralischen Vorstellungen - das hat auf der Erde bereits zum "Munich Syndrome" geführt, bei dem die Roboter zwar nicht "durchgedreht" sind, wie in "Westworld", sich aber durch erlerntes Selbstbewusstsein zu stark von den Menschen emanzipiert haben. Dieses Problem will Dr. Daniel umgehen und übersieht dabei, dass es vor seinen Augen stattfindet.
Denn Max 404 ist ein typischer Adoleszenter - "Well, I'm doing a lot of research", umschreibt er auf sein "Aufgeklärtsein" in sexuellen Dingen. Max schaut sich den ganzen Tag Datenbankeinträge (heute wären es wohl Porno-Seiten im Internet) über die menschliche Sexualität an und spielt die ganze Zeit ein Weltraum-Ballerspiel. Die Raumschiffe in diesem Spiel bestehen einzig aus den Vektorgrafik-Linien ihrer Umrisse und auch die Abbildungen der menschlichen Körper sind nur lineare Umrisse. Alle Theorie ist monochrom und zweidimensional - es wird für Max also höchste Zeit, etwas Gegenständliches in die Finger zu bekommen.
Als drei vor der Polizei flüchtende Weltraum-Piraten, darunter eine Frau, auf der Raumstation Zuflucht suchen, bekommt er die Gelegenheit. Er ist sichtlich verwirrt vom realen menschlichen Sexualverhalten und wird regelrecht eifersüchtig, als Dr. Daniel die attraktive Piratin zu einem Candlelight-Dinner einlädt. Sein Ziel ist jedoch ein düsteres: Er will ihre "Energie" in eine Roboter-Frau ("Cassandra - The perfect woman") transferieren und dieser so Lebensatem einhauchen. Durch einen Zufall gelingt dies sogar und die Situation an Bord spitzt sich zu: Die Piraten sind untereinander zerstritten, die Piratin will mit Max durchbrennen, Dr. Daniel will, dass Max alle Piraten ermordet und programmiert ihn diesbezüglich um - und die neue schöne Roboter-Frau will ihrem Schöpfer nicht "zu Diensten" sein.
Am Ende, als die Polizei das Schiff stürmt, sind alle Menschen tot und Dr. Daniel hat sich selbst als Roboter herausgestellt, dessen abgerissener Kopf einfach im Mülleimer entsorgt wird. Max gibt sich als Dr. Daniel aus und fliegt mit seiner Roboter-Frau zur Erde.
Dass sich so derartig viele Roboter-Utopien um "Sex Machines" drehen, ist gleichermaßen einleuchtend und befremdlich. "Dolls that work in both senses of the word", beschreibt Dr. Daniel seiner Tischpartnerin sein Arbeitsprojekt. Doch anders als "Westworld" sind die Roboter in "Android" nicht bloß sexuelle Dienstleister, sie haben auch selbst eine Libido, denn ihre Körper sind organisch - besitzen also Hormone und Geschlechtsorgane. Offenbar sind sie dem Menschen dann doch aber nicht so ähnlich, dass der Geschlechtstrieb im ROM implementiert wäre. Max muss sich selbst sexuell ausbilden/aufklären und legt dabei die typischen Verhaltensweisen eines Teenagers an den Tag - zu denen seit den 80ern eben auch das Spielen von Videospielen gehört. Als seine Ausbildung abgeschlossen ist, kann er seinen "Vater" töten und dessen (neue) Frau übernehmen. Dass Dr. Daniel auch (nur) ein Roboter war, ist das zentrale utopische Phänomen des Films: Maschinen reproduzieren sich selbst.
Dass Max' Modelllernen aber nicht nur bei sexuellen, sondern auch bei aggressiven Verhaltensweisen fruchtet, ist eine andere Behauptung des Films: Als er ein herannahendes Polizei-Raumschiff mit dem Laser-Strahl der Station abschießt, sieht es für ihn und uns so aus, als spiele er sein Videospiel. Und als sein Verhalten selbst für Dr. Daniel immer auffälliger wird, erklärt er sich dies ganz einfach: "Those Games are driving him crazy."
Das "Frankenstein schuf ein Weib"-Thema ist übrigens basaler Grundstein für die meisten Roboter-Pornos. "Electro Sex '75", "Programmed for Pleasure", "Randy", "The Orgy Machine", "Pleasure Maze", ... in all diesen Hardcore-Filmen geht es darum, dass Männer oder Frauen als "Sex-Objekte" konstruiert werden, um ihren Erfindern oder deren späteren Kunden dienlich zu sein. Und wie in "Android" gibt es in all diesen Filmen Fehlfunktionen, die die Geräte besser funktionieren lassen, als es ihren Konstrukteuren lieb ist.
#435
Geschrieben 09. Juni 2009, 11:25
Roboter wie D.A.R.Y.L. sind immer auch irgendwie Schablonen für menschliches Verhalten, für seine Anpassungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten. Nicht ohne Grund hat man hier den Körper eines Kindes gewählt - abermals menschlicher Oragnismus plus maschinelles Gehirn - um grundlegende Fragen der Menschwerdung aufzuwerfen. Dies wären:
“What is a hooker?”
“Children belong to parents.” “Like your car belongs to you?”
“You are a real person.”
Die letzte Frage (die keine echte Frage ist, aber eine Antwort, die ohne Frage gegeben wurde und also die Frage gleich mit aufwirft) wird von einem überaus pragmatischen Standpunkt aus beantwortet: “A machine becomes human when you can’t tell the difference.” Damit begibt sich “D.A.R.Y.L.” direkt auf das Feld der Uncanny-Valley-Forschung. Die “difference” ist hier eine, die nicht auf dem Äußeren, sondern auf dem Verhalten beruht. Von Catrin Misselhorn habe ich die Oppostion empathy/dyspathy gelernt und genau die lässt sich auch auf den Roboter D.A.R.Y.L und den Film anwenden:
Zitat
Konkret zeigt sich die Dyspathie so, dass D.A.R.Y.L. ein Über-Junge ist: Er flucht nicht, macht keinen Unsinn, räumt unaufgefordert die ganze Wohnung auf, ist höflich, ein Sport-Ass, ein Streber, “und trotzdem mag ich ihn”, sagt einer seiner Freunde über sich selbst verwundert. D.A.R.Y.L.s Pflegemutter beruft aufgrund dieses Verhaltens sogar eine Mütter-Konferenz in ihrer Küche ein, in der sie ihr Unbehagen formuliert. Das bekommt D.A.R.Y.L. heraus und lernt unartig zu sein, wofür seine Mutter ihn dann sogleich in die Arme schließt: Endlich ein richtiger Junge!
Zu lernen, dass D.A.R.Y.L. ein Mensch ist, weil man einen Menschen in ihm sehen kann, ist auch Aufgabe der Wissenschaftler. Die findet - wie in “Westworld” - abermals zuerst auf der sprachlichen Ebene statt: “Stop calling him ‘it’!” fährt ein Forscher seine Kollegin an. Das Militär will das Projekt D.A.R.Y.L. beseitigen, weil die Gefühle die es er hat, seinem militärischen Einsatz im Wege stehen und beauftragt die Wissenschaftler mit der Vernichtung. Doch D.A.R.Y.L. hat beide längst auf seine Seite gezogen.
Ein im Film leider nur am Rande angeschnittenes Phänomen sind D.A.R.Y.L.s besondere Fähigkeiten. Er lernt vor allem Spiele durch bloßes Beobachten und erlangt schnell Meisterschaft in “Pole Position”, im Baseball, im Klavierspiel. Er lernt spielend Autofahren, Flugzeugfliegen. Modelllernen durch Medien spielt dabei eine besondere Rolle für ihn (und andere Roboter). Er wiederholt seine rasante Pole-Position-Fahrt auf der Flucht vor dem Militär auf der Autobahn, fährt Stunts nach, die er kurz zuvor im TV gesehen hat. D.A.R.Y.L. ist multitaskingfähig, schaut gleichzeitig drei Filme, spielt zwei Spiele (”Caverns of Mars” und “Missle Command”) und betrachtet Lissajous-Figuren - die vielleicht rudimentärste Computer-Kunst.
Sein Verhältnis zu Computern und Roboter ist jedoch zwiespältig: “I can read what a computer is doing”, beschreibt er seine Fähigkeiten, z. B. Bankautomaten zu manipulieren. Doch als er im TV einen alten Roboter-Film sieht, ist auf einmal alles um ihn herum vergessen (sogar die Funk-Berichte seines Freundes über das “nuttige” Verhalten von dessen großer Schwester). Bekommt D.A.R.Y.L. in diesem Moment, ein Bild davon, wie es sich anfühlt als Mensch mit ihm sozial und emotional zu interagieren?
* Catrin Misselhorn: Empathy and Dyspathy with Androids. Philosophical, Fictional and (Neuro-) Psychological Perspectives, erscheint in: Between Nature and Culture After the Continental-Analytical Divide. Konturen 2 (2009).
#436
Geschrieben 09. Juni 2009, 15:29
Was passiert, wenn man Kirk Douglas und Harvey Keitel in einem Film sperrt, in dem sie sich um Farrah Fawcett streiten, sieht man an "Saturn 3": Der Roboter gewinnt - fast; und nur Farrah Facett überlebt. Das Ganze fängt so an, dass der Wissenschaftler Adam (K. D.) und seine Assistentin Alex (F. F.) auf der Raumstation "Saturn 3" fernab von der Erde eine illegale monogame Beziehung pflegen. Er ist ständig im Frottee-Morgenmantel unterwegs, sie nur in spärliche weiße Laken gehüllt. Als der kriminelle Roboter-Händler Benson (H. K.) die Station aufsucht, um sein neuestes Roboter-Modell, "Hektor" - einen Prototypen aus der "Halbgott-Serie" zu verkaufen, verguckt er sich gleich in Alex. Die will ihren Körper aber nicht zur Benutzung durch Benson freigeben und so entwickelt sich ein zuerst subtiler, dann immer schärfer ausgeführter Hahnenkampf zwischen den beiden Männern um das weibliche Territorium.
Zwischendrin geht es aber auch noch um "Hector", der durch eine ganz besondere Methode programmiert wird: "Direct Input" heißt diese, bei der Funksignale, die über einen Transmitter in der Halswirbelsäule von Benson Daten und "Einstellungen" an die Maschine übermittelt werden. Der Roboter lernt so Schach spielen, Splitter aus Augen zu entfernen und geil auf Alex zu sein. Damit ist das Chaos natürlich komplett, denn jetzt sind drei Typen, die sich für die ultimativen Love Machines halten, hinter der Schönen her. Benson fällt dabei zunächst - das Frankenstein-Motiv will das so - seiner Kreatur zum Opfer. Diese enthauptet ihn und stülpt sich seinen Schädel selbst über, um die Daten noch direkter empfangen zu können. Für Adam und Alex beginnt eine kurze Zeit der Versklavung, bis Adam einsieht, dass es besser ist, keiner bekommt die viel jüngere Alex und er mit Hector ins Wasser springt.
Die Dreiecksbeziehung soll wohl nicht zufällig durch die Namenswahl des Roboters an die alte Hektor-Achilles-Athene-Geschichte erinnern - es wird sogar ein paar mal im Film drauf angespielt, freilich ohne dass Konsequenzen für Hektors Verhalten daraus folgen würden (so sehr ähnelt er seinem Homer'schen Vorbild dann auch nicht). "Saturn 3" bringt die Roboter-Sex-Thematik zu ihrem Höhepunkt. Kein anderes Thema bestimmt die Handlung so sehr, wie, wer Alex im Wortsinne "in die Finger" bekommt. Das utopische Drumherum scheint nur dazu zu bestehen, eine polygame Zukunft zu behaupten. Im Großen und Ganzen also wenig neues - achten wir also auf die Details.
In "Saturn City" tauchen einige spannende Technologie-Fiktionen auf, die erst Jahrzehnte später wieder eine Rolle spielen werden. So etwa der "Plug", mit dem die Maschine direkt an das ZNS des Menschen angeschlossen werden kann. Dass sich im Falle Bensons nicht nur Daten (Knowing that), sondern auch Sturkturen (Knowing how) übertragen, ist die Misere des Films: Benson ist psychisch labil, deshalb durch einen Eignungstest als Pilot gefallen und straffällig geworden. Der kurze Prolog des Films sollte ihm das als Charakterfärbung mit auf den Weg geben. Als Hektor zusammenmontiert wird, bekommen wir ein paar Close-ups seines Innenlebens zu sehen. Während Benson mit Hektor Bewegungsharmonie-Übungen macht wabern neben der grünen Leuchte "Direct Input" abermals Lissajous-Muster über einen kleines Oszilloskop. Diese Grafiken (und das Gerät überhaupt) sind Ikons für Elektronik-Darstellungen im Film - sichtbar gemachte harmonische Spannungsverhältnisse.
Diese Spannungen sind ja nun auch sprichwörtlich in "Saturn City" zu finden - als sexuelle und aggressive Dissonanzen, also - anders als im Oszilloskop - durchaus nicht harmonisch. Wer sich in der Erzeugung dieser Lissajous-Grafiken etwas auskennt, wird in der Abbildung schnell das Muster wieder erkennen: Es handelt sich um zwei Frequenzen im Verhältnis 3:4 - zwei Zahlen, die auch im Film ihre Entsprechung haben. Aber ich will das "Muster" mal lieber nicht überreizen und ende lieber mit ein bisschen optischer Harmonielehre:
#437
Geschrieben 12. Juni 2009, 11:51
Leider bleibt die Story etwas hinter den Hardcore-Einlagen, die es überreichlich in “Der Porno-Fotograf” zu sehen gibt, zurück: Es geht um einen Fotografen und seinen Freund, mit dem er zusammen einen Bildband “Schulmädchen 1977″ veröffentlichen will. Das Casting für den Band gestaltet sich nicht schwierig und zwischendrin gibt es für beide Männer genügend Gelegenheiten, die Models näher kennenzulernen. Doch der Fotograf hegt überdies Interesse an der Schülerin Miriam, die er in einer Disko kennengelernt hat. Zwischen beiden entwickelt sich eine (zugegeben sehr offene) Beziehung.
Interessant ist am Film zweierlei: Zunächst arbeitet “Der Porno-Fotograf” wie kein zweiter mir bekannter Pornofilm mit Verwechslungswitzen, sprich Doppeldeutigkeiten, sprich Zoten. Die meisten davon sind der Medien-Branche (eben der Foto- und Verlagssprache) entlehnt. Zweitens gibt es im Film mehrere Traumszenen, die natürlich immer Hardcore-Szenen sind, in denen sich die Fantasien der Träumer im Bild realisieren. Erstaunlich ist dies, weil sich die Fantasien ja auch in deren Alltag in die Tat umsetzen ließen – außer bei einer Traumszene Miriams, die ich für mein derzeitiges Roboter-Projekt besonders interessant finde und hier mal als Tondatei präsentieren möchte. (s. u.)
Nicht nur fügt sich dieser Traum-Dialog in die Verwechslungswitz-Struktur des Films ein, er offenbart auch die metaphorische Verschiebung technologischer Begriffe und Konzepte im Computer-Film. Es ist eben nicht bloß ein Sprachspiel, wenn Robbi von “Spannung”, “Stromstoß”, “Sicherung”, “Frequenz-Abgleich” oder “Schwingkreis” spricht – es birgt auch den gegenständlichen Ursprung technologischer Metaphern.
Hier nun die Tondatei zur oben abgebildeten Szene (Achtung, Hardcore-Geräusche – wenn auch im Synchro-Studio entstanden!):
#438
Geschrieben 17. Juni 2009, 10:52
Die Welt steht am Rande des atomaren Abgrunds, weil sich die Regierenden der USA und UdSSR nicht einigen können, welche Nation die besseren Pornos produziert. Nach einem Telefonat der beiden Oberhäupter löst der “Ivan”, wie er freundlich im Film genannt wird, den Dritten Weltkrieg aus – vorerst noch mit konventionellen Waffen.
Drei recht unterschiedliche französische Paare planen das Wochenende – vielleicht das letzte, das sie erleben werden – zusammen in einer Villa zu verbringen. Während draußen Kampfverbände näher rücken und die Einschläge der Bomben und Granaten lauter werden, entspannt sich drinnen ein Geflecht aus Intrigen, Lügen, Grausamkeiten und Sex. Der Gastgeber, ein erzkonservativer Nachrichten-Mann, der von sich behauptet, die von ihm stets gepredigte Enthaltsamkeit hätte den Krieg verhindern können, wird von seiner Freundin – eigentlich eine bezahlte Prostituierte – vor seinen Gästen mit Schmalfilm-Aufnahmen kompromittiert, die ihn bei seinen sexuellen Ausschweifungen zeigen. Ein Industrieller nutzt die Vorführung, um sich zuerst am Kindermädchen, dann an seiner Sekräterin zu vergehen. Der Sohn des Hauses, der zu dem Kindermädchen ein masturbatorisches Verhältnis unterhält, entpuppt sich als Transvestit und zuletzt, als sich alle in ihren libidinösen Zwängen offenbart haben, kommt es zur Orgie.
Zwischendrin sehen wir immer wieder Fragmente der Rahmenhandlung, die erklären, wie der Krieg eskaliert, wie sich die beiden Staatschefs in immer absurdere Streitigkeiten verfangen. Und schließlich, als sich beide Männer willige Frauen in ihre Kommandozentralen bringen lassen (der US-Präsident telefoniert seine Lieblingsschauspielerin Linda herbei, deren Film “mit der Klitoris im Hals” dem Russen so ganz und gar nicht gefallen wollte), kommt es zum Äußersten: In orgiastischer Verzückung drückt der Sovjet den Roten Knopf und Linda, als ihr nach dem Sex langweilig ist, spielt ebenfalls an der amerikanischen Atomraketen-Startapparatur herum – mit fatalen Folgen: Am Ende sehen wir, wie sich die Orgien-Gesellschaft in der Hitze des Atompilzes auflöst.
Natürlich könnte man “Shocking!” als Pornokomödie mit abstrusem politisch-ideologischem Hintergrund sehen; die Sequenzen mit den beiden Regierungsoberhäuptern legen dies nahe: Die seltsamen Streitthemen werden von lächerlichem Akzent, alberner Musik und einer angedeuteten Trunksucht (wobei der Russe Whiskey, der Ami Wodka trinkt) begleitet. Selbst die zahlreichen einmontierten Kriegsbilder (Filmausschnitte aus der Vietnam-Kriegsberichterstattung!) ändern daran zunächst nichts, weil sie kontrapunktisch von einer etwas übermotivierten Nachrichten-Sprecherin kommentiert werden. Der Ton schlägt jedoch jäh um, wenn sich die Handlung wieder auf die Wochenend-Gesellschaft konzentriert. Die Konflikte wirken echt, der Soundtrack wechselt zu mysteriöser Orgelmusik mit düsterem Choral, die Kamera wird agil, die Körper winden sich. Hier scheint der Film eine allegorische Potenz zu offenbaren, die sich dann wieder auf die Rahmenhandlung überträgt und aus dieser motiviert. Der Kalte Krieg als heißes Intrigenspiel.
“Shocking!” ist bislang die überzeugendste Porno-Variante vom Weltuntergang, die ich gesehen habe. Trotzdem sich vieles nur “um das Eine” dreht, bekommt der Film gerade durch seine formalästhetischen Elemente eine ganz besondere Dynamik. Es ist sicherlich auch dem recht frühen Produktionsjahr 1976 zu verdanken, dass hier noch viel Wert auf die Figurenentwicklung und den Plot gelegt wurde und sich die Hardcore-Szenen im Zeitvergleich mit dem “Dazwischen” deutlich geringer ausnehmen. Als Randnotiz ließe sich noch die vielseitige Verwendung des Telefons im Film bemerken – es dient dem “Konfliktaufbau” zwischen den beiden Präsidenten (und ist dann natürlich rot), es dient zur Masturbation und zur erotischen Konversation. Nur wirklich miteinander reden kann man damit in “Shocking!” nicht.
Die recht ausführliche “Film im Film”-Sequenz, in der das geheime Filmmaterial über den Nachrichten-Mann vorgeführt ist, zeigt zudem einige sehr schöne Inszenierungstricks, die immer wieder und immer schneller zwischen dem Apparat (ein 8-mm-Projektor), der Projektionsleinwand und den Körper der Zuschauer wechselt, um den Übersprung des Affektes von der Maschine über das Bild zum Körper zu zeigen. Die Parallel-Montage am Schluss, in der sich die Orgien-Gesellschaft stroboskopartig mit dem Bild des wachsenden Atompilzes überlagtert, liefert hierzu das Gegenbild: Wo der “Film im Film” orgiastischer Initialzünder war, verbrennt die Atombombe am Ende alle Lust.
#439
Geschrieben 17. Juni 2009, 11:21
Das habe ich nicht erwartet: Ein deutscher Serienmörderfilm, der noch einmal eine ganz eigene Sprache entwickelt, sich nicht an Genre-Verbindlichkeiten hängt und vor allem nicht amerikanisch aussehen will. Der Titel "Lieben" ist Programm: Der Serienmörder tötet Frauen aus dem Drogen-Milieu, er lockt sie zu sich nach Hause, erwürgt sie und behält sie dort, um ihre Leichen einige Tage lang sexuell zu missbrauchen. Dann zerteilt er die Körper in der Badewanne und entsorgt sie in der Kanalisation. Als er durch Zufall die Mutter einer seiner Opfer kennenlernt, scheint seine Geschichte eine dramatische Wende zu nehmen - tut sie aber nicht, denn die Frau wird ebenso in das Serien-Prinzip integriert.
Der Plot klingt nach einem Reißer - aber "Lieben" ist genau das Gegenteil davon. Der Rhythmus ist tragend, die fokalisierte Figur ist der Täter, sein Leid, nicht trauern zu können und deshalb zu töten, wird unangenehm nachvollziehbar. Der Täter ist auch keine Bestie - er schreckt einige Male zurück, bevor es zum äußersten kommt, weil ihm Empathie entgegenschlägt, die er erwidert.
Trotzdem bleibt der Film wohl problematisch, gerade weil er das zentrale Thema, den Sex mit toten Frauenkörpern, nicht ausspart, sondern sogar schon fast pornografisch inszeniert. "Lieben" ist damit ein cineastisches Wechselbad, für ein Erstlingswerk keine schlechte Strategie. Dass auf der DVD Jörg Buttgereit mit dem Regisseur sowohl im Audiokommentar als auch in einem Interview zum Thema fachsimpelt, ist naheliegend.
#440
Geschrieben 22. Juni 2009, 20:31
"How much can a poor computer be expected to take?" Das ist die Frage, die sich nicht etwa die Wissenschaftler und Ärzte der Orgasmus-Klinik stellen, sondern der Computer selbst. Der führt nämlich ein Programm aus, das Frauen zum Höhepunkt verhelfen soll, wertet somatische Reaktionen aus, berechnet genitale Anwendungen und Therapien, die die Ärzte der Klinik dann durchführen. Sie rechnen nicht mit dem Besuch von Randy, denn bei der jungen Frau schlägt die Behandlung besonders gut an. Schon nach kurzer Zeit findet man in ihrem Blut einen lange Zeit gesuchten Botenstoff, das absolute Aphrodisiakum, das in immer größerer Menge gewonnen wird und als Stimulanz für Sie und Ihn auf dem Markt gebracht werden soll.
Wie bei vielen Mad-Scientist-Fiktionen geht aber auch dieser Fortschritt zum Besseren nicht ohne Probleme ab. Es ist eine offenbar deutschstämmige Mitarbeiterin des Institutes, die Randy und ihr Sekret zur Weltherrschaft missbrauchen will. Ihr gelingt es, die Ärzte zunächst unschädlich zu machen und die Geilheit der Patientin schamlos für ihre Zwecke auszunutzen. Doch wie so oft, wendet sich das Schicksal und am Ende gewinnt das Gute, als die übrigen Patientinnen ihrer gefesselten, geknebelten und von einer gnadenlos hämmerndenen Sexmaschine penetrierten Gesellin zu Hilfe eilen - sie verabreichen der bösen Ärztin und ihrem düsteren Gehilfen eine Überdosis des Organsmusmittels, woraufhin diese übereinander herfallen und es bis zum Umfallen miteinander treiben.
Das also ist ein Stimulationsraum: Ein abgedunkeltes Ärztezimmer, in dem - auf Liegen gefesselt - junge Frauen mithilfe von Maschinen zum Orgasmus befördert werden. Drähte am ganzen Körper, Monitore überall, Kameras, die in die Kontrollräume nebenan genaue Bilder zur Analyse liefern. Alles überwacht von einem Computer, der laut denken kann, der die menschliche Libido in- und auswendig kennt und sie selbst bald schon über hat. Die Mitarbeiter indes lassen sich von all dem Treiben auf den Bildschirmen immer aufs Neue stimulieren. Zwar ist heterosexueller Verkehr in der Klinik verboten, doch solche Verbote lassen sich ja bekanntlich nicht lange aufrecht erhalten. Nur Dr. Harrison, der grundgute Wissenschaftler mit Ethos, bleibt enthaltsam. Die Mädchen bedrängen ihm in einer Behandlungspause mit der pornografischen Frage schlechthin: "Those filmes makes you think all there is to life is sex. What about you Dr. Harrison? Don't those films have affect on you?"
Er antwortet, wie es nur ein Wissenschaftler kann, der sich nach den Geboten der Objektivität vollständig von seinem Forschungsgegenstand emanzipiert hat: "Sometimes. [...] When I'm in the lab I'm working. [...] Well, if you really want to know: pornographic films don't excite me. I think it's because they're all so crude. Oh, I suppose, some of the girls are attractive enough. But there's no way to really ... to relate to them. Because there is never any story. And without a story you don't know anything about a girl. She becomes an object. I simply never been sexually attracted to someone that I didn't already know and like."
Es ist schon eine seltsame Mischung von Menschen, die da in der Sexklinik aufeinander trifft. Und dann der Computer, der die Fäden in der Hand hält und alle Daten, die auf ihn einströmen, kommentiert. Der Film versucht ihm einen Körper zu geben, zeigt rotierende Magnetbänder als Augen, Lochkarten-Drucker als seinen Mund. Er und Dr. Harrison sind die einzigen, die dem Treiben tatenlos zusehen dürfen; der eine, weil er die Handlung dazu schreiben muss, der andere, weil er sich darin vermisst.
#441
Geschrieben 22. Juni 2009, 20:39
Einer der spannendsten Filme, die ich bislang dieses Jahr zu Gesicht bekommen habe. Vom Krieg als einer großen Erzählung zu berichten, die die kleine Erzählung der darin verwickelten strukturiert, ist passé. Bigelow filmt im Gefolge von Brian de Palmas "Redacted" und Ari Folmans "Walz with Bashir". Der Krieg ist eine Kette von Episoden, in der sich die Soldaten und die Zivilisten treffen und wieder verlieren. Kleine Dramen zu Ende zu erzählen ist keine Zeit oder kein Raum. Die Zeit läuft rückwärts und jeder hofft, bei Null anzukommen. Dass Bigelow einen Film über ein Bomben-Entschärfungskommando zumeist mit der Handkamera und dem Teleobjektiv filmt, so als wären wir diejenigen, die durch ein Zielfernrohr schauen, um den tödlichen Schuss abzugeben und die Explosion der Bombe aus nächster Nähe zu erleben, ist schon fast eine Gemeinheit. Aber es macht den Film so intensiv und erlebnisreich wie nur selten einen Kriegsfilm zuvor (mit Ausnahme der beiden eben genannten).
#442
Geschrieben 06. Juli 2009, 15:20
Zum Abschluss des postapocalypse.de-Wochenendseminars habe ich mir mit Patrick einen Paranoia-SF angesehen: “The Thing”, einen der wichtigsten und einflussreichsten Beiträge aus den 1950er-Jahren. Natürlich kann man Nybys Film als Versuch des Produzenten Howard Hawks sehen, seine Western-Thematik nach Alaska zu prologieren, aus den “Bandits” einen Außerirdischen zu machen und die eingeschworene und eingesperrte Gemeinschaft – wie etwa in “Rio Bravo” – mit einer scheinbar unlösbaren Aufgabe zu konfrontieren. So richtig interessant wird es aber erst, wenn man die Basalstruktur dieser Erzählung(en) offenlegt. Und der Film bietet dafür sogar ein Bildmotiv: den elektrischen Strom:
Anders als in den Western ist das Alien nämlich ein Feind, der eine dritte Kategorie vertritt, die sich der den Protagonisten bekannten Dychotomie von Freund-Feind zunächst entzieht. Dass die Wissenschaftler das Alien am ehesten mit einer Pflanze vergleichen würden, macht dieses Einordnungsproblem schon plastisch. Das Monster ist “neutral”: Es ist weder Tier noch Mensch, weder Mann noch Frau. Dass es das Blut der Menschen für Ernährungszwecke missbraucht, deutet einer der Wissenschaftler (die wie immer im Konflikt mit den Militärs stehen, wenn es um die Frage geht, was mit dem “Feind” zu machen sei) als nicht-feindschaftliches Verhalten. Es ernähre sich: “Es verhält sich uns gegenüber wie wir uns gegenüber einem Weizenfeld.” Das Monster muss also zunächst “polarisiert” werden, also zwischen zwei Pole gebracht werden.
Hierzu wird eine Stromfalle aufgestellt, in die es tappen soll. Dass es zunächst neben dem stromleitendenden Weg her läuft, anstatt auf dem elektrischen Feld zu wandeln, ist wiederum sinnbildlich. Als es sich jedoch endlich zwischen Anode und Kathode befindet, kann es vernichtet werden, indem die Generator-Spannung von 50.000 Volt durch seinen wohl ursprünglich nur schlecht leitenden Pflanzenkörper hindurch gejagt wird, in ihm (endlich!) eine Elektrolyse stattfindet, sich positive von negativen Teilchen separieren, es polarisiert wird und damit der bipolaren Dichotomie der Logik des Kalten Krieges untergeordent wird.
Denn um den “Kalten Krieg” geht es eigentlich in “The Thing”. Alaska, den Russen abgetrotzt und diesen ganz nahe, ist der Handlungsort. Das Ufo des Aliens wird zunächst für ein feindliches Flugzeug gehalten. Was man als seine “Ladung” annimmt, zeigt sich schon dadurch, dass Geigerzähler in Position gebracht werden, als man sich ihm nähert. Und als sich das Alien dann auch noch selbst als radioaktiv erweist – immer wenn es sich nähert, schlägt der Geigerzähler aus – ist schnell klar, dass es sich um eine wandelnde Kriegsmetapher handelt. Radioaktivität ist ionisierende Strahlung, die entsteht, wenn das “atomare Gleichgewicht” zwischen positiv geladenen Protonen und negativ geladenen Elektronen durcheinander gebracht wird. Das strahlende Alien ist zwar selbst unpolarisiert, polarisiert aber seinerseits. Physikalische und politische Metaphorik im Gleichschritt.
“The Thing” spiegelt dieses Motiv noch an zwei weiteren Figuren: Zum einen zeigt es einen “Captain”, der sich offensichtlich in einer nicht-definierten emotionalen Situation bezüglich einer der anwesenden Frauen befindet. Er findet sie anziehend und abstoßend gleichzeitig. Seine ganze Umgebung versucht ihn zu ihr hin zu treiben, irgendwie den Mann in ihm zu wecken, der sich der Frau nähert und sie heiratet. Das geht so weit, dass sich die Frau ihm selbst wie Sauerbier anbietet, unverholen von Hochzeit und vom Kinderkriegen spricht. Der Captain will davon aber erst etwas wissen, nachdem er das Monster besiegt hat. Erst dann scheint er sich über seine Polung vollständig klar zu sein.
Eine andere, eher dem Alien gemäße dritte Macht spielt im Film ebenfalls eine Hauptrolle: Es ist ein Journalist anwesend, der der Öffentlichkeit, “der ganzen Welt”, wie er sagt, liebend gern berichten würde, es aber nicht darf. Er muss seine Story so lange zurück halten, bis er selbst seine neutrale Position verlassen hat, ebenfalls polarisiert wurde und dann, ganz im Sinne der US-amerikanischen Verteidigungsdoktrin den Schlusssatz äußert: “Watch the Skies!” Dazu musste er nicht erst elektrifiziert werden, es hat gereicht, ihm zu ziegen, was mit mit Unparteiischen passiert, wenn sie zwischen die Pole geraten.
#443
Geschrieben 21. Juli 2009, 13:56
Schade, dass der Film in der deutschen Fassung einen anderen Titel bekommen hat – die grundsätzliche Problematik, dass aus einem elektrischen Unfall Leben hervor geht, geht in der Umtitelung zumindest verloren. “Nummer 5 lebt” bereichert das Roboter-Thema um zwei wesentliche Motive:
Der erste ist der schon erwähnte Unfall, wie so oft ist es ein Blitzschlag, der Totes lebendig macht und einer der Wissenschaftler spielt in seiner Aussage ("Vielleicht hast du einen neuen Frankenholz kreiert!") ja auch dadrauf an. Das neu entstandene Leben resultiert also aus einer Spannungsspitze, einer Überladung, einem Kurzschluss – wie in “Electric Dreams” – und es hat die selben Konsequenzen: “Die Module spiel’n verrückt“! Roboter Nr. 5 lernt zu begehren, verliebt sich in seine Finderin Stephanie, macht schlüpfrige Anspielungen auf Basis der ihm einprogrammierten Robotersprache (”attraktive Software!”). Zuerst muss er sich jedoch selbst erkennen und dazu gehört nach Lacan ein Durchgang durchs Spiegelstadium. Der findet statt, als der Roboter anhand eines Monitors bemerkt, dass er einen Sensor mit sich herum trägt, mit dem ihn seine Verfolger orten können. Er entfernt den Sensor aus seinen Eingeweiden, wirft ihn fort und rauscht jubilierend mit dem Auto ab. (Ganz zum Schluss wird er sein Selbstbewusstsein damit besiegeln, dass er sich – wie “Edgar” in “Electric Dreams” – selbst einen Namen gibt.)
Nach der Spiegelphase folgt konsequenterweise der Übergang von der imaginären in die symbolische Sphäre und der Roboter lernt die Sprache zu nutzen. Gerade dieses Moment wird vom Film als besonderer Ausweis für Leben diskutiert und von allen Protagonisten thematisiert: “Er hat gesprochen wie ein richtiger Mensch”, stellt einer seiner Erbauer fest und Stephanie entgegnet auf seine Bemerkung mit der “attraktiven Software”: “Ich muss schon sagen, dass er sehr gut spricht für einen Viertägigen.” Wäre also nicht sein Aussehen, dass ihn am deutlichsten von seinen menschlichen Antagonisten unterscheidet, er würde den Turing-Test mit Auszeichnung bestehen.
Die Physiognomie des Roboters erinnert an die KISMETs – seine Gesichtszüge, vor allem die Lid-Klappen scheinen darauf hin ausgelegt zu sein, menschliche Mimik und damit Emotionen zu simulieren. Dass er “der absolute Soldat” ist, als den die Militärs ihn vorstellen, muss dieser Tatsache gar nicht widersprechen, denn im Zeitalter der Simulation ist informationelle Täuschung die erste Kriegstaktik. Leider aber hat Nummer Fünf diese Fehlfunktion, die ihn quasi-moralische Feststellungen machen lässt. Schnell lernt er den Unterschied zwischen lebending und tot und kann sich damit selbst als “alive” definieren.
Er entwickelt eine Moral, die auf Basis dieser Dualität von tot/lebendig sämtliche Fakten seiner Umwelt neu gruppiert und stellt sich so in Konkurrenz zum Militär und einer militärische Logik, die das factum brutum gerade zu vertuschen versucht: Es setzt ihre Kriegsroboter bei der Präsentation dazu ein, Gin-Tonic-Cocktails (mit einem Spritzer Zitrone) zu mixen, um seine Zuschauer (und Finanziers?) von der Qualität der Technologie zu überzeugen. Dass Nummer Fünf dies enttarnt, indem er ihren euphemistischen Sprachgebrauch (”disassemble”) mittels Thesaurus (”zerstören, eleminieren, töten, …”) rückübersetzt, macht ihn ja gerade so gefährlich. Zwar ist er nur simuliertes Leben, aber dadurch, dass er selbst nicht akzeptiert, dass er nur simuliert ist, ist er für das Militär damit genauso gefährlich wie jeder andere Pazifist auch.
#444
Geschrieben 21. Juli 2009, 16:33
1971 hat man über die Zukunft des Sex offenbar genauso gedacht, wie vorher und später auch. Die Vision Hendersons greift - zumindest dem Titel nach - nur vier Jahre voraus und präsentiert uns einen Erfinder, der seinem Freund seine neueste Errungenschaft vorstellt: drei Sex-Roboter mit den sinnfälligen Namen Alpha, Beta und Gamma (imdb weiß noch von einer Delta, die ich jedoch nirgends gesehen habe).
Der einstündige Film besteht aus vier Hardcore-Sexszenen, von denen anfangs zwei parallel ablaufen: Der Erfinder mit Alpha und Gamma, sein Kumpel nebenan mit Beta. Hernach treffen wieder alle zusammen und der Erfinder schwärmt: "They are not only programmed to fuck ..." Dann holt er die Peitsche raus und beide haben erweiterten Spaß mit den fuck machines. Das Ganze läuft abermals auf eine Orgie hinaus, doch an deren Ende wendet sich das Blatt: "We will fuck you always", droht eine der Roboterinnen, als die Herren, bereits in der Refraktärphase, um Pause bitten. Nicht mal die Notausschaltung hinter dem rechten Ohr funktioniert mehr und so töten die drei Roboter-Frauen die Männer, indem sie sie mit dem Mund kastrieren.
Der überaus billige Film versucht hier eine protestantische Ethik gegenüber den Sex-Objekten zu konstruieren: Roboter können zwar immer, aber kennen dabei kein menschliches Maß. Sie wissen viel über Sex ("Master, I can suck and fuck. I know 400 different ways to make you come. I was created only for your pleasure", berichtet Beta ihrem Liebhaber, der hinterher davon überzeugt ist noch nie "etwas" besseres im Bett gehabt zu haben) - dieses Wissen ist jedoch tödlich. Dass die Lust in Gewalt umschlägt, ist keine qualitative, sondern lediglich eine quantitative Störung im Programmablauf. Daran hat aber niemand anderes als der Programmierer selbst Schuld, der die Roboter zwar darauf hin konstruiert hat, jeden Befehl auszuführen, jedoch das "Break"-Kommando nicht in die Parser übernommen hat.
#445
Geschrieben 22. Juli 2009, 11:20
Ein früher John-Holmes-Film – abermals nur etwa eine Stunde lang aber mit beachtlichen acht Hardcore-Sequenzen. Die Rahmenhandlung ist jedoch entscheidend: Der (offenbar österreichische) Psychiater Werner von Sperm hat eine Orgien-Maschine erfunden – ein Teleskop, das so umgebaut ist, dass man damit durch Wände schauen kann, und einer darauf befestigten Strahlenkanone, mit der er erotisierende Wellen abschießt. Die genaue Funktionsweise der Kanone beschreibt er ausführlich selbst:
Zitat
Mit “action” meint er natürlich Sex. Seine Maschine soll die Menschen von der Arbeit abhalten und sich sexuellen Ausschweifungen hingeben. Auf diese Weise will er von den Regierungen der Welt Milliarden Dollar erpressen, weil die Wirtschaften beim Dauererinsatz seiner Maschine natürlich zusammenbrechen würden, wenn alle nur noch das Eine tun (anstatt nur daran zu denken). Bald jedoch ist der Wissenschaftler selbst sehr angetan von dem, was er sieht, und plant die Maschine nun auch für persönliche libidinöse Interessen einzusetzen.
Dass die Orgien-Maschine durchaus in der Lage ist das soziale Gefüge ins Wanken zu bringen, verdeutlichen die Situationen und Konstellationen, die in den acht Sex-Sequenzen dargestellt werden:
- Skopophilie: Eine Frau auf einem Schiff beobachtet ein kopulierendes Paar und onaniert.
- Sex am Arbeitsplatz: Ein Chef schläft mit seiner Sekretärin im Büro.
- Sex in der Refraktärphase: Kurz nach dem Koitus wird ein erschöpftes Paar durch die Strahlen zu erneuter “action” bewegt.
- Vorehelicher Sex: Zwei Jungverlobte können strahlenbeeinflusst nicht mehr bis zur Hochzeitsnacht warten.
- Orgie: Der Chef aus Szene 2 hat abermals Sex – nun jedoch mit zwei Frauen.
- Sex in der Öffentlichkeit: Ein in einem Swimmingpool schwimmendes Paar wird von den Strahlen getroffen und beginnt noch im Wasser mit dem Liebesspiel.
- Missbrauch: Ein Artz und Angestellter Werner von Sperms verführt eine Patientin, die in psychiatrischer Behandlung bei ihm ist.
- Bisexualität und Gotteslästerung: Drei Bibelschüler (zwei Männer, eine Frau) unterbrechen ihre harmlose Freizeitbeschäftigung und fallen übereinander her. Dabei kommt es auch zu schwulem Sex.
Die Macht der Maschine scheint also unbegrenzt – sie setzt die Triebe frei, die durch die Kulturalisation unterdrückt worden sind und sprengt die Vorstellungen von “normalem” heterosexuellem Sex. Die Maschine fungiert dabei als Katalysator und gleichzeitig als Re-Kulturalisation, denn es ist ja schließlich Technologie, die all dies verursacht: “Their brain cells are impregnated with my sex machine – completely impregnated!” Dass diese Verschmelzung von Organ und Maschine nicht lange gut geht und die orgy machine – wie das ähnliche Modell in “Randy” – irgendwann den Geist aufgibt, erscheint fast zwangsläufig. Am Ende der achten Sequenz kommt es zum Kurzschluss und zur Explosion. Der Film endet mit dem Bild einer Atomexplosion. Ob man dieses Ende dann jedoch als “bad” oder “happy” (die Kettenreaktion und Bombenexplosion also als Bildmetapher) lesen will, bleibt einem selbst überlassen.
Den Schlussmonolog habe ich noch einmal mitgeschnitten, gerade weil er das interessante Sounddesign des Films (Jazzmusik, elektronische Geräusche der orgy machine, Lust-Gestöhne und das gepresste Sprechen des Wissenschaftlers) wiedergibt – und weil sich im Monolog Werner von Sperms all die Doppeldeutigkeiten der naturwissenschaftlichen Terminologie, die der Film präsentiert, offenbart. Abermals warne ich zartbesaitete Leser vor eventuell zu hörenden Sexlauten:
#446
Geschrieben 22. Juli 2009, 17:07
Warum bauen wir Roboter? "Weil wir es können." So lakonisch ist die Antwort, die Joanna vom Vorsitzenden des Stepforder Männervereins bekommt, kurz bevor sie selbst durch ein Modell mit größeren Brüsten und kleineren künstlerischen Ambitionen ausgetauscht wird. Und diese Antwort gilt auch für die Frage nach dem Grund der Robotik überhaupt. Es ist eine Sache der Machbarkeit.
Der Film wurde wohl schon so oft in die Debatte um Emanzipation und Feminismus gerückt, dass ich das hier nicht noch einmal wiederholen muss. Einzig auf die Problematik, dass sich Joannas Rekrutierungsversuche für einen Emazipationsclub deshalb schwierig gestalten, weil die anderen Frauen aus dem Ort schlicht keine Lust auf Gleichberechtigung haben, ist ja nun eine Sache, die wir seit Eva Hermann wieder auf dem Tisch haben.
Die Verknüpfung des Roboter-Themas mit dem Motiv Capgras-Syndroms ist naheliegend und die Tatsache, dass der Film vor wenigen Jahren noch einmal recycled wurde, scheint - wie die Remakes von "The Thing" und "Body Snatchers" - vor allem mentalitätsgeschichtliche Gründe zu haben. Alle Jahre wieder müssen wir vom Kino aufgerüttelt werden, damit wir nicht vergessen, dass wir niemandem trauen können - und steht er uns auch noch so nahe. Descartes hat uns auf uns selbst zurück geworfen und dort haben wir auch zu bleiben.
Die Gründe für das Misstrauen jedoch sind dem sozialen und historischen Wandel unterworfen. War es 1975 der Feminismus, so könnte das nächste Remake von "Die Frauen von Stepford" vielleicht die allenthalben unterstellte Islamisierung oder die epidemische Gutmenschentümelei, die nach der letzen Präsidentschaftswahl in den USA um sich gegriffen hat, Grund für die Wiederholung sein.
#447
Geschrieben 27. Juli 2009, 12:13
Eigentlich müsste der Film "Artificial Emotions" heißen, denn wenn es in Spielbergs Dyaden-Drama um Intelligent geht, dann eher um sozial-emotionale. Der neuartige Kinder-Roboter David wird auf die kürzlich verwaiste Monica geprägt. Als der totgeglaubte richtige Sohn Monicas jedoch aus dem Koma erwacht, entspinnt sich eine Konkurrenz zwischen den etwa gleichalten Jungs, die dazu führt, dass David in Ungnade bei seinen Zieheltern fällt. Nun ist er zwar ein Roboter, aber einer, der - anders als D.A.R.Y.L. - von vornherein derartig lebensecht wirkt, dass sich die Eltern nicht überwinden können, ihn verschrotten zu lassen und ihn stattdessen im Wald aussetzen. Dort schließt sich David einer Horde freilebender Blechkameraden an und hat nur ein Ziel: Er sucht die Blaue Fee aus dem Pinocchio-Märchen, um ein richtiger Junge zu werden und die Liebe seiner Mutter zurück zu gewinnen. Das gelingt ihm erst nach tausenden Jahren, als Monica und alle anderen Menschen längst von der Erde verschwunden sind: Ein paar Aliens, die um Davids Glück besorgt sind, holen Monica für einen Tag ins Leben zurück und lassen für ihn endlich den dyadischen Mutter-Kind-Traum wahr werden.
Ein ins Mark gehender Film über Familienprobleme und kindliche Bindungsängste. Spielberg dekliniert in A.I. also das Thema vieler seiner Filme ein weiteres mal durch. Und der Roboter dient hier einmal mehr als Platzhalter für so etwas wie Hypermenschlichkeit, denn er ist nicht in der Lage die Trennung zu überwinden und hat nur die Rückgewinnung seines Liebesobjektes im Sinn. Dass damit ein zentrales anthropologisches Phänomen via Science Fiction auf das Mensch-Maschine-Verhältnis appliziert wird, macht A.I. besonders interessant für mich. Lupenrein bildet der Film die Probleme dieser Beziehung ab und wirft die Frage danach auf, wo denn eigentlich der unterschied zwischen "Orga" und "Mecha" ist, wenn Emotionen und Aussehen so echt simuliert werden, dass selbst der Simulierende nichts davon weiß. Das Fanal, das einige Menschen mit den frei herum laufenden Robotern feiern (paradoxerweise nennen sie es "Das Fleischfest") forciert diese Fragestellung nur noch. Denn als David an der Reihe ist, auf recht mittelalterliche Weise hingerichtet zu werden und Todesangst zeigt, entwickelt das Circus-Publikum eine derartige Empathie zu dem Roboterjungen, dass es anstelle seiner den Veranstalter des Rituals steinigt.
Sehr interessant ist auch der von Jude Law gespielte Liebesroboter "Gigolo Joe", der aufgrund eines Eifersuchtskomplotts zur Flucht aus seinem ansonsten wohl als sehr befriedigend erlebten Berufsleben gezwungen wird. Sein Metier sind sexuelle Dienstleistungen, zu denen auch der kunstvolle Einsatz verführerischer Sprache gehört. Arbeitet David das Thema "Liebe" auf der metaphysischen Ebene durch, mit dem Erkenntnisziel, dass er erst Fleisch werden muss um geliebt werden zu können, so verhält es sich bei Joe genau anders herum: Er erkennt schnell, dass er nicht für das, was er ist, sondern für das, was er tut, geliebt wird und kurz vor seinem Ende bittet er David allen Frauen von ihm zu erzählen, damit er nicht vergessen wird.
Dumm nur, dass David kurz nach dem Gespräch in einen zweitausendjährigen Untersee-Schlaf fällt und die einzige Frau, der er danach begegnet, seine Mutter ist. Und der erzählt man als etwa 10-jähriger freilich nicht von den erotischen Vorzügen der schon erwachsenen Kumpels.
#448
Geschrieben 27. Juli 2009, 14:40
"I wonder if Dr. Frankenstein had the same kind of relationship with his creature." Solch eine Frage kann sich nur ein sehr unbelesener Science-Fiktion-Autor, wie der dreißigjährige, vollbärtige Nicolas (Richard Allen) stellen. Nicolas hat zwei Probleme: 1. Er hat immer Lust. 2. Seine Freundinnen nicht. Als zwei Beziehungen deswegen scheitern überlegt der Autor, dessen Hauptwerk "The Mad Planet" von einem Planeten handelt, auf dem Frauen über die Männer herrschen, kurz und kommt auf die zündende Idee: Ich bau mir eine Roboter-Frau. Sicherlich inspiriert ihn dazu auch der ständig durch Bild tuckernde, piepsende R2D2-Spielzeugroboter: "Science Fiction has gone to turn into real science!"
Zunächst beginnt er mit einer Planskizze - das wurde ja schon in Stepford so gemacht. Dann geht es ins Labor. Er stellt sich neben eine aufgerichtete, eingeschaltete und deswegen mysteriös blau leuchtende Sonnebank, zieht sich ein weißes Hemd mit bunten Flecken an, legt einen Hebel um und die Kreatur erwacht. Die Roboter-Frau ist immer willig, spricht nie und täuscht jeden Mann über ihre wahre Beschafffenheit. Nicolas probiert das bei seinem Verleger aus und der ist ganz Baff. Er schlägt vor, Kim, so der Name der Kreation, in der Filmadaption von Nicolas' Science-Fiction-Roman unterzubringen: "Kim as an acress? Why not! An actress who can't talk is a dream for any lazy dialogist." Und faul wird Nicolas, der das Drehbuch zu seinem Roman schreiben soll, in der Tat. Er ist nicht mehr bei der Sache, sondern nur noch auf Kim.
Als die dann allerdings ein Eigenleben entwickelt und vor Nicolas Augen mit anderen Männern kopuliert, wird ihm schnell klar: Ich brauche noch eine Roboter-Frau! Dieses mal wird es eine Schwarze werden. Dummerweise sind die Roboter-Damen aber gar nicht stumm - sie verschwören sich durch seltsames Gepiepse gegen Nicolas, entledigen ihn seiner Fernbedienung und stellen irgendetwas mit ihm an, so dass er nun selbst auf Knopfdruck zur Kopulation gerufen werden kann. Sein ernüchtertes Resümee: "I had become a male object."
Ein typischer Vertreter des französischen 80er-Jahre-Pornos - bis in die Besetzung hinein. Mise-en-scene und Montage genügen höheren Ansprüchen, sind streckenweise gar verspielt ironisch. Auf der Tonebene arbeitet ein Soundtrack zwischen Free-Jazz und Elektronik-Musik, die sich gleichzeitig nach Jarre, Kraftwerk und Tangerine Dream anhört. Die Figuren bekommen sogar ihr eigenes musikalisches Thema, wie man dann deutlich in der finale Ménage-à-troi hören kann.
Und die Roboter? Die sind ja nur scheinbar ihrem (Sex-)Objektstatus verpflichtet. In Wirklichkeit ist es so, dass Nicolas durch seine Libido programmiert ist und nur glaubt Subjekt seiner Triebe zu sein. Als seine Gespielinnen ihm die Fernbedienung abnehmen ist das nur der Ausdruck jener Gefangenschaft, in der er immer schon gesteckt hat. Irgendwie ist das also auch ein ernüchternder Pornofilm, weil er die Leere des Sex und Ziellosigkeit so deutlich vor Augen führt. Warum Nicolas nämlich immer will, fragt er sich nie. Das er immer kann empfindet er sogar selbst manchmal als Fluch und als er dann immer darf, wird es für alle Beteiligten unendlich langweilig.
#449
Geschrieben 27. Juli 2009, 14:43
Aus der Roboter-Thematik holt die Fortsetzung von “Short Circuit” nicht viel mehr heraus als ihr Vorgänger. Einzig das Problem Sprache und die damit verbundenen Möglichkeiten sprachlichen Handlens bzw. der sprachlichen Repräsentation von Wirklichkeit werden noch weiter ausgebaut. So muss der Roboter lernen, was Ironie ist, was Lügen sind und kann dem Inder schließlich Nachhilfe im Flirten geben, indem er ihm bei einem Date soufliert und das Gefühl der Einsamkeit inmitten der Menschenmassen der Großstadt mit ihm teilt.
Die Fortsetzung ist aber auch eine Fortsetzung des politischen Diskurses aus dem ersten Teil. Nachdem der Roboter gelernt hat Pazifist zu sein (im zweiten Teil bekundet er dies durch zahlreiche Greenpeace-Aufkleber), lernt er im zweiten Teil Amerikaner zu sein. Sein größtmöglicher Sprechakt wird dann nämlich am Ende vollzogen, als sowohl Ben als auch Nummer 5 in die USA eingebürgert werden – indem sie den Fahneneid sprechen. Man kann sich das Lachen beinahe nicht verkneifen: Die Erlangung der Bürgerrechte wird repräsentiert durch die Vergoldung des Äußeren.
#450
Geschrieben 30. September 2009, 17:53
Kaum zu glauben, aber der Roboter-Artikel, der den Abschluss meiner "Computer im Film"-Reihe bei telepolis bilden wird, steht kurz vor der Vollendung. Den Stoff, der das Thema Robotik wie kein anderer zusammenfasst, konnte ich dabei natürlich nicht auslassen; zumal die Vorlage von Proyas' Film die gesamte Motivgeschichte beeinflusst haben dürfte.
Mensch und Roboter finden sich in "I, Robot" beide in einem Dilemma wider, dessen Ausgang durch psychische Konflikte versperrt ist: Spooner ist eigentlich gezwungen Roboter zu mögen, weil sie ihm das Leben gerettet haben, er hasst sie aber, weil seinetwegen ein Kind gestorben ist, was er auf die "kalte Logik" der Maschinen schiebt. Roboter Sonny wird durch seine Programmierung gezwungen, Menschenleben zu wahren, ein höheres Ziel verlangt von ihm jedoch einen Mord, was der zusätzlich in ihn einprogrammierten Philanthropie ziemlich entgegensteht. Als beide aufeinander treffen, kollidieren auch zwei ethische Systeme, ein (ziemlich reduzierter) Präferenz-Utilitarimus auf der Roboter-Seite und ein irrationaler (oder besser: hyper-empathischer) Humanismus auf der menschlichen Seite. Diese beiden Systeme miteinander kompatibel zu machen, davon handelt "I, Robot".
(Dass einer der Roboter - menschlich - aus der Reihe tanzt, bemerkt der Mensch nur,
wenn er einen - maschinellen - Vergleichsblick wirft.)
Er setzt dazu einige Prämissen, die es dem Zuschauer leichter machen, den Konflikt nachzuvollziehen: Wäre Sonny (oder die anderen Robots im Film) von zu menschlicher Gestalt (wie etwa David aus "A.I."), dann wäre er empathische Übertrag auf den Zuschauer zu groß; wären sie zu maschinell (wie der "Nummer Fünf"), dann wäre er zu gering. Der Mittelweg heißt "Cyborg" und wird dadurch erreicht, dass die Filmroboter eine menschliche Silhouette und echte, weiche Gesichtszüge erhalten, dabei aber so schemenhaft bleiben, dass man ihre Schaltkreise stets vor Augen behält. Das Design erreicht quasi jenen Punkt auf der Empathie/Dyspathie-Kurve, der direkt vor dem uncanny valley steht.
Die Story dupliziert dieses Phänomen, indem sie das alte Motiv des "Geistes in der Maschine" an das Thema "Evolution" knüpft und dabei durchaus interessante Punkte jüngerer Technik- und Natur-Philosophie (siehe Überschrift - ein Hinweis auf die Arbeit eines meiner ehem. Chefs in Jena) streift. Der zu Beginn des Films getötete Robotik-Wissenschaftler äußert in der Videoaufzeichnung einer Konferenz dazu folgendes:
There have always been ghosts in the machine. Random segments of code, that have grouped together to form unexpected protocols. Unanticipated, these free radicals engender questions of free will, creativity, and even the nature of what we might call the soul. Why is it that when some robots are left in darkness, they will seek out the light? Why is it that when robots are stored in an empty space, they will group together, rather than stand alone? How do we explain this behavior? Random segments of code? Or is it something more? When does a perceptual schematic become consciousness? When does a difference engine become the search for truth? When does a personality simulation become the bitter mote... of a soul?
Hinter seinen "Geistern" steht natürlich erst einmal nichts anderes als ein zu komplex gewordener Programmiercode, den seine Autoren nicht mehr überblicken und der deshalb unvorhergesehene Effekte (Errors) produziert, weil in ihm Selbstwidersprüche und Regelbrüche verborgen sind. Auf der anderen Seite ist der Vergleich mit der Evolution aber genau deshalb zutreffend, weil das "Trial&Error"-Prinzip der Natur ja auf Basis von Rekombination und Mutation ebenfalls derartige Effekte produziert. Der "Sinn des Lebens" könnte aus einer mechanistischen Perspektive also auch nichts anderes als ein zu komplexer Code sein und das, was Genetiker heute betreiben, wäre dann auch gut mit der Leistung eines Disassembler-Programms vergleichbar.
Von historisch höherer Warte aus betrachtet ist ohnehin aller Fortschritt, sei er nun biologisch oder technisch, diesen Prinzipien unterworfen. Wenn "I, Robot" nun näher an eines der Einzelphänomene dieses Prozesses herantritt, belegt der Film damit nur, dass sich im Kleinen (ontogenetisch) zeigt, was im Großen (phylogenetisch) geschieht. Spooner wird bspw. als Mensch gezeichnet, der mit seiner Retro-Faszination (Converse-Turnschuhe, Motorräder mit Benzin, Roboterhass) wie ein Relikt der Gesellschaft wirkt, deren (technischer) Evolution er bewusst entgegen steuert. Der Roboter Sonny wäre ebenso als Entwicklungssprung, als Mutation zu sehen, der in seiner Allzumenschlichkeit nicht nur auf die Gefahr, die von Robotern ausgeht, hinweist, sondern seinen menschlichen Antagonisten einmal mehr den Spiegel vorhält.
Das ist das Thema der Meisten Roboter-Filme und eigentlich auch der Punkt, auf den die Artikelserie hinausläuft: Was ist die Maschine schon anderes als der dauernde Fehl-Versuch des Menschen, sich noch einmal selbst zu erfinden? Filme über dieses Verhältniskonkretisieren dieses Problem lediglich bis zur Kenntlichkeit.
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