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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern - Filmforen.de - Seite 22

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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern


818 Antworten in diesem Thema

#631 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 02. Januar 2008, 11:33

Die Filme der Gebrüder Dardenne

La Promesse ... Rosetta ... Le Fils

Als Kind der Zeit, als l'enfant du temps wird man per "Erziehung" auf Konkurrenzkampf, Statusorientierung, Geldfixierung und unmenschliche Mechanismen vorbereitet, in diese Charakteristika praktisch lautlos eingeführt. Die Gebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne haben in den 90ern ein künstlerisches Konzept, eine Filmform gefunden, mit der sie in symbolischen und doch so lebensnahen Geschichten beständig auf den ideologischen Missstand hinweisen, in welchem wir uns diskursiv stets präsent, aber alltäglich kaum wahrgenommen befinden. Vom Dokumentarfilm kommend reichten den Belgiern die Mittel der Gattung nicht mehr aus, um die oftmals zu sehr im Verborgenen und Privaten liegenden Tragödien zu ergründen, auch und vor allem um die Wahrheit zu skizzieren.

Mit LA PROMESSE setzten sie 1996 ihr Ausprobieren der anderen, oftmals intensiveren Gattung, des abendfüllenden Spielfilms fort (Ihre beiden zuvor erschienen fiktiven Filme Je pense à vous (1992) und Falsch (1987) sind praktisch kaum bekannt, geschweige denn aufzutreiben). Es ist die Geschichte des verschmitzten, manch einer würde sagen "pfiffigen" Jungen Igor (Jérémie Renier), der schnell gelernt hat, worauf es "ankommt im Leben". Er hat die Tricks und Maschen heraus, sein Vater (Olivier Gourmet) ist ihm dabei behilflich - er möchte ihn möglichst schnell zum Compagnon und "echten Mann" machen.

Sie schleusen Ausländer ein, lassen sie zu hohen Mieten in ihren beschissenen Bauten wohnen und setzen sie als billige Arbeitskräfte für weitere Bauarbeiten ein. Eines Tages stirbt ein Arbeiter aus Ghana nach einem Unfall in den Händen des Vaters und des Sohnes, die beide in Angst erstarrt, aber durchaus rational entscheiden, ihn lieber verbluten zu lassen, als den Mann zum Hospital zu bringen und damit möglicherweise etwas zu riskieren. Ab hier nun setzt der später auch im palmengekrönten L'ENFANT angewandte "Plottwist" ein: Die Reue, die Schuld-und-Sühne-Geschichte beginnt. Igor hat dem Ghanaer versprochen, sich um dessen Familie zu kümmern. Also tut er dies. Bald auch über den Kopf seines Vaters hinweg. Am Ende wird er seinen Vater anketten, betrügen, verraten, der Wahrheit zuliebe, der Menschlichkeit wegen. Hier liegt nun schon alles im Argen. Und gerade im letzten Verlust liegt der Moment der Reinwaschung.

Den Moment solch einer Reinwaschung von der - man würde es im religiösen Zusammenhang wohl Sünde nennen: doch religiös, das sind die Filme der Dardennes sicherlich als Allerletztes - vielmehr von der Schuld, in welche die Protagonisten stets durch ihre sozialen Umstände manövriert werden, solch ein Moment der Erkenntnis der eigenen Unmenschlichkeit, das ist der Moment der Wahrheit, der Bewusstwerdung (auch beim Zuschauer), des emotionalen Zusammenbruchs. In LA PROMESSE ist diese Situation noch sehr nüchtern ins Bild gesetzt, man könnte es vielleicht auch etwas hölzern inszeniert nennen. In ROSETTA, dem anerkannten Meisterwerk der Dardennes und Palmengewinner in Cannes 1999, wird dieser Moment erstmals ein ausbrechender, zusammenbrechender, ein Tränenmeer und auch einer, dessen Konsequenzen man im Gegensatz zum Ende in LA PROMESSE nicht absehen kann. Folgerichtig endet der Nachfolger mittendrin, unmittelbar, ohne Erlösung, ohne Befreiung.

ROSETTA erzählt die Geschichte eines White Trash Mädchens, das mit seiner alkoholabhängigen Mutter in einem Caravan an der Stadtgrenze einer Arbeitersiedlung in Belgien lebt. Die Kamera klebt an ihr, fast scheint sie wegrennen zu wollen, vor uns, vor der Kamera, vor allem, auch ihrem Leben. Sie muss ackern, arbeiten. In der Konstellation Mutter - Tochter haben sie und ihre Erzeugerin längst die Rollen getauscht. So wird Rosetta verantwortlich gleich für mehrere Leben. Und sie hasst es. Sie hasst sich und ihr Dasein. Émilie Dequenne - die das Mädchen hier so eindrucksvoll und authentisch darstellt, dass mir seit langer Zeit mal wieder Angst und Bange in einem solchen Sozialdrama wurde - sie lächelt nicht. Die Eiseskälte, die sie ausstrahlt rührt von den Umständen. Wie soll man in einer Gesellschaft, in welcher der kalte Hauch des fehlenden Mitmenschlichen einem jederzeit entgegenschlägt noch Lächeln können? In gehobenen Kreisen mag das zur Maskerade gerade ein Markenzeichen werden, doch tief unten im Arbeitermilieu, da herrscht eine Ehrlichkeit, bei der man die Gefühlslage auch im Gesicht ablesen kann.

Rosetta macht sich infolgedessen schuldig. In ihrem Verständnis gibt es genau einen Wert im Leben: Arbeit. Wenn sie bei einem Job gefeuert wird - sollte er auch noch so schäbig und demütigend sein - tobt sie wie ein kleines Kind. Das sind die einzigen Momente, in denen sie überhaupt kindlich agiert, ganz so als habe sie das Verlangen nach Arbeit anerzogen bekommen, oder aber auch den Willen nach einem Job über Konditionierung tief in der eigenen Persönlichkeit verankert. In ihrer Verzweiflung dann verrät sie ihren einzigen Freund (Fabrizio Rongione) - einen Jungen dessen Zuneigung sie automatisch vorher abblockt, auch hier naiv gesagt weil ihr Zuneigung nie "anerlernt" wurde. Diesem Jungen wird gekündigt, sie bekommt seinen Posten in einem Waffelimbiss. Für diesen Job macht sie sich schuldig, doch auch dieses Schuldeingeständnis verdrängt sie lange Zeit. Der Junge lauert ihr auf, verfolgt sie, tut ihr nicht weh, aber konfrontiert sie permanent mit der selbst verursachten Situation. Am Ende wird deutlich, woran es Rosetta in ihrer fehlgeleiteten Erziehung auch mangelt: Der Fähigkeit zur Kommunikation. Statt zu reden, bereitet sie einen Selbsttötungsversuch vor. Dieser schlägt fehl, nochmals lauert ihr der Junge auf, sie stürzt und es folgt ein Moment der Bewusstwerdung, der oben bereits angesprochene Moment des emotionalen Zusammenbruchs. Hier endet die Geschichte, und zwar geschickter Weise so brutal im Mittendrin, das wir Konsequenzen nur erahnen können, ein sicheres Wissen gibt es nicht. Stattdessen aber Erkenntnisse über ein Miteinander, die in ihrer Klarheit schockieren.

Weitaus unpolitischer, zwar nicht dem Milieu, aber doch dem sozialen Geschichtenerzählen entrückt ist der 2002 folgende Film LE FILS. Er handelt von einem Jungen (Morgan Marinne), der frisch aus dem Jugendknast entlassen einen Lehrlingsposten bei einem Tischler (nochmals der Lieblingsschauspieler der Dardennes Olivier Gourmet) annimmt. Dieser wirkt bei der ersten Begegnung und auch im Folgenden übermannt perplex, seine Wortarmut wird zum stärksten Charakteristikum für die Figur. Stück für Stück wird das Geheimnis um das seltsame Verhältnis der beiden Protagonisten enthüllt. Selbstverständlich handelt es sich auch hierbei um eine Schuld-und-Sühne-Geschichte. Die "Auflösung" entspinnt sich nach und nach. Doch die eigentliche "Auflösung" ist hierbei nicht der Schockmoment, kann es gar nicht sein, weil sie eben so schleichend kommt. Die entscheidende "Auflösung" ist der Moment der Erkenntnis und der Umgang der Figuren damit. Wie verhält sich der Eine gegenüber dem Anderen? wie verhält sich der Vater gegenüber dem sich schuldig gemacht habenden Sohn? Wie stellt sich die Reue dar? Wie soll eine gemeinsame Zukunft aussehen?

LE FILS wäre der positivste Film der Dardennes, wenn denn solch eine Zuordnung überhaupt angebracht wäre. Er beinhaltet einen Lichtblick. Das ist aber vor allem auch deshalb möglich, weil er die Geschichte zweier Personen und ihre Konstellation zueinander beleuchtet. Dies ist sehr privat und intim - das sind die anderen Filme der Dardennes allerdings auch - dies ist aber gemünzt auf eine Einzelsituation, ein besonderes, vollkommen konstruiertes Erzählgefüge. Eine gesamtgesellschaftliche Aussage macht LE FILS kaum bis gar nicht. Er erzählt zum Einen die Geschichte einer abhanden gekommenen Menschlichkeit in Form des jugendlich-unbekümmerten Lehrlings. Doch auch dies ist nur sehr grob gezeichnet und ereifert sich nicht darin eine soziale Dimension mit zu skizzieren. Er beleuchtet zum Anderen die wichtigere Figur des Menschen, der das Unfassbare nicht begreifen kann, aber unbedingt will. Die Präzision, Ordnung und der richtige Rhythmus sind dem Vater schon in der "Berufung" vorgegeben. Dass er ausgerechnet Tischler ist lässt sogar religiöse Interpretationen zu. Insgesamt aber bleibt LE FILS im Kleinen, im Detail, im Subjektiven. An ihre Meisterwerke ROSETTA und L'ENFANT reicht er damit nicht heran, ist aber für viele Zuschauer mit der klareren Motivlinie der vielleicht bekömmlichere Film.

LE FILS sticht ästhetisch trotzdem aus dem normalen Programmkino-Markt hervor. Wie alle Filme der Dardennes. Sie filmen im Milieu über das Milieu und aber noch ein ganzes Stückchen mehr, über verloren gegangene Menschlichkeit, Schuld, Sühne und gehetzte, in der Arbeitsgesellschaft oft ziellose Sinnsuchen. Die Dardennes machen ein Kino der kritischen Arbeiterklasse, das weitaus weniger romantisierend, verklärt oder populistisch ist wie das der linken Kollegen. Sie finden einen Stil, der zu überlegt ist, um sich solchen Begriffen zu widmen - einen Stil, der auch so überlegt ist, dass er sich einer einfachen Rezeption nicht öffnen will. Wie so häufig im guten Kino benötigt man Geduld - und wird dann belohnt mit einem kritischen Kopfkino, das die Grenze zum Prätentiösen, die so viele Arthouse-Kollegen schon lange überschritten haben, nicht mal streift.

#632 moodswing

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Geschrieben 04. Januar 2008, 13:16

Into The Wild
Sean Penn, USA 2007

8x nachträgliche Gedanken

1. Bei der zweiten Sichtung am meisten beeindruckt hat mich - neben dem Fakt, das ich noch mehr Begeisterung für den Film aufbringen konnte - die unterschwellige Tendenz, genau genommen auch die Geschichte einer langsamen Akzeptanz des Todes erzählen zu wollen - denn auch das gehört zur Verbrüdung mit der Natur: die Akzeptanz der eigenen Vergänglichkeit, der Lauf des Lebens. Und so scheint der Film in seinen meisterlichen Momenten auch wie eine Abhandlung eines Todessehnsüchtigen zu sein.

2. Bei jeder Geschichte wird der Verlust über das einfache Verlassen der immer wieder neu geformten Strukturen deutlich. Alexander Supertramp ist nur ein selbst geschaffenes Konstrukt, eine Chimäre, eine Illusion - denn menschliche Beziehungen zerbrechen immer wieder - wenn auch hier immer im Guten - da flunkert der Film vielleicht etwas.

3. INTO THE WILD bewegt sich auch in Sachen amerikanischer Geschichte auf eindrucksvollem Terrain: Zunächst lässt er seinen Protagonisten auf den Weg mit seiner neuen Hippiefamilie zurück - das angedeutete Konstrukt der begehrenden Mutter wird klugerweise nicht ausgeführt, stattdessen eine Romanze mit einem Mädchen etabliert, die sich später konsequenterweise zu einer geschwisterhaften Beziehung umformt. Der Film aber bleibt dort nicht stehen. Er führt unseren Goldjungen letztlich über einen kreuzsympathischen Christen zum konservativen, zurückgezogenen, vom Leben im Stich gelassenen Alt-Republikaner, zu seinem "Großvater", der ihn am Ende gar adoptieren möchte. An dieser Stelle wird Supertramps Gestalt als Illusion am eindrucksvollsten verdeutlicht (siehe Punkt 2).

4. INTO THE WILD erzählt verschiedene Lebensläufe, aber er erzählt sie nie richtig aus. Es sind Lückentexte, bei denen die entscheidenden Traumata meist offen bleiben. Es reicht das bloße Andeuten der Narben in den Werdegängen der trotzdem meist positiv gestimmten Zeitgenossen. Am Deutlichsten wird die Brillianz dieser formalen Idee bei der "Nachbetrachtung" auf die leibliche Familie: Wir bekommen immer nur Bruchstücke des ehemaligen "Familienlebens" präsentiert, Super-8 Aufnahmen, Gedankenfetzen und Ähnliches. Eine der für mich beeidruckensten und wirkungsvollsten Sequenzen ist dann aber der Blick auf den zusammenbrechenden Vater - der einzige Blick auf diesen Mann im Hier und Jetzt. Ein Todtrauriger und eine Hochemotionaler.

5. Es sei nur mal der Vollständigkeit halber angemerkt, bevor das Dickicht hier undurchdringlich wird, ganz banal - Penns Essay auf die entscheidenden topics gebracht - die zentralen Begiffe: Die Plotpoints heißen hier Freiheit, Familie, Adoleszenz, Amerika, Natur und Tod.

6. Noch eine Sache muss man zugeben/anerkennen: Die Musik von Eddie Vedder trägt nicht nur viel zum emotionalen Einschlag bei, nein, sie ist auch das Beste, was dieses Jahr an Soundtracks produziert wurde. Passt wie die Faust aufs lächelnde Auge.

7. Bei aller Liebe - und die vernebelt fast meine Sinne - INTO THE WILD haut schon etwas auf die Kacke, wenn er am Ende seine christliche Erlösungsfantasie zum Besten gibt. Das erinnerte mich stark an THE FOUNTAIN, der tatsächlich in sehr ähnlicher Art und Weise zu mysthifizieren weiß, dessen religiöser Touch mehr als nur eine Marotte ist - der damit ebenfalls Mut beweist, sich einer Entblößung preisgibt - und der bei mir dann auch ein etwas ambivalentes Gefühl auslöste. Aber was soll's, INTO THE WILD ist in gewissen Punkten auch ein Tatsachenbericht und letztlich gehört es schlichtweg zum versöhnlichen, gutmütigen Ton des Films, dass er dem christlichen Gedanken des Protagonisten die Präsentationsfläche bietet. Und: Überhaupt ist der tone das Gegenkonzept zur kritischen Denke, die ihn und seinen Protagonist umtreibt - und wird ihm damit in seinem positiven Gemüt wiederum menschlich mehr als gerecht.

8. Nach der Zweitsichtung erhöht sich INTO THE WILD von den 9,0 Punkten der Erstsichtung, auf nun unumstößliche 10 Punkte.

#633 moodswing

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Geschrieben 06. Januar 2008, 11:25

Scarface
Brian De Palma, USA 1983

Tony Montana: You know what capitalism is? Getting fucked!


Wenn man sich jetzt noch Al Pacino als chargierenden, überheblichen, hyperpotenten Mafia-Macho mit gefaketem kubanischen Akzent als Überbringer dieser Zeilen vorstellt, würde dieser eine Satz beinahe schon ausreichen, um einen ersten passenden Eindruck von SCARFACE zu erhalten. Brian de Palmas Gangster Biopic nach dem Drehbuch von Oliver Stone ist ein wildes Zeitdokument der 80er, ein stilisierter Gewaltrausch, gleichzeitig perfektioniertes Mathodacting und konturverliebte Performanceshow.

Ein EARTHQUAKE erschüttert Miami, das wird schon angedeutet als der furchtlose Tony in der Chainsaw-Szene relativ am Anfang in einen Raum mit vermeintlichen Geschäftspartnern platzt, während im TV ein Film mit eben diesem Titel läuft. Überhaupt TV, Verbrechen und Miami: SCARFACE ist ein sympathisches Filmpendant zur weiß-rosa-hellblauen Fernsehlandschaft, die Michael Mann etwas später im funkelnden, glänzenden Jahrzehnt zur Welt brachte: MIAMI VICE.

De Palmas Miami brennt selbstverständlich lichterloh, ist viel roherer Fisch, viel besesseneres Kino - eben auch Kino mit Anfangs- und Endpunkt, keine serielle Struktur. Es verprüht weitaus düsterer den Charme eines aufbrechenden Amerikas, das sich vollkommen devot dem Geld ergeben möchte. Es ist Schauplatz für das erste Rapvideo, und die Tatsache, dass bei der Wiederaufführung 2003 der Score mit Hip Hop Tracks aufgemöbelt werden sollte, spricht dabei Bände.

Aprospos Soundtrack. Der gilt gemeinhin als schlecht, überflüssig, "Das ist ja wie die nervige Synthiemucke bei Miami Vice". In der Tat ist die Musik von Giorgio Moroder extrem schmieriges 80ies Geklimpere. Welche Frage mir die Kritiker des Scores aber bei ihren Tiraden doch beantworten mögen: Was bitte schön könnte besser passen als dieser in der Zeit verhaftete, gerade mit längerer Reife des Kulturprodukts spürbar den Geist der Zeit atmende Brusttoupet in offenen Hemden Träger. Ich möchte jedenfalls keine Bullet-Opern, erhabenen Gesänge von Chorknaben oder womöglich 50 Cent Gangsterrap von 2003 dazu hören. Gangsterrap von 83 - okay, zugegebenermaßen ließe sich darüber diskutieren.

Wenn man über SCRAFACE redet, muss man neben den Spiegelbildern der 80er und den hübschen Inzenierungsmätzchen de Palmas, die aber häufig nicht mehr als ein "Wow" provozieren und bestenfalls mit der Reflexion über das Jahrzehnt korrelieren, vor allem und ganz zentral von der Figur Tony Montana, auch über Al Pacino reden.
Scarface ist ein American Psycho - ein Choleriker, der in bester Klischeemanier vollkommen verkokst durch sein Leben stolpert. Ein den Kapitalismus herbei und am liebsten wieder niederbrüllender Schweinehund. "I'm Tony Montana! You fuck with me, you fuckin' with the best!" Tony hat den Narzissmus, den man benötigt, um hier weit zu kommen nie suchen, sein Selbstvertrauen nicht erst antrainieren müssen. Das ist alles in XXL-Ausführung seit langer Zeit präsent - man schaue sich die erste Szene beim US-Einwanderungsamt an, der Mann wartete nur auf seine Chance und er ist energiegeladen as fuck. Tony spricht viel: "Who put this thing together? Me, that's who! Who do I trust? Me!" Er sagt Sachen wie "I always tell the truth. Even when I lie." oder "You think you can take me? You need a fucking army if you gonna take me!" Tony passt sich damit aber nur den Kriterien an, den der Zeitgeist fordert: "I didn't come to the United States to break my fucking back." und "Every day above ground is a good day." Tony liebt Amerika und er denkt, er weiß, wie er mit dieser "Pussy" umzugehen habe: "This is paradise, I'm tellin' ya. This town like a great big pussy just waiting to get fucked."

Doch Tony weiß nicht, wie man mit "Pussys" umgeht. Und daran wird er scheitern. Zuerst bei seiner Schwester, die er mit lateinamerikanischem Temperament zur Heiligen erklärt und schmierige Kerle von ihr fern halten will. Am Ende wird sein bester Freund sich in sie verlieben und dafür bluten müssen. "In this country, you gotta make the money first. Then when you get the money, you get the power. Then when you get the power, then you get the women." Doch auch seine Frau (Michelle Pfeiffer) wird ihn verlassen. Überhaupt hat Tony keine Macht über seine Mädels, von dessen Abwertung es gerne von "Bitch!" zur "Lesbian!" geht. Frauen machen, was sie wollen. Sollen sie doch. Und einem Macho ist es lieber, sich vorzustellen, dass sie das dann unter sich tun.

"The only thing in this world that gives orders... is balls." Der zweite Grund, warum es Tony in diesem erbarmungslosen Reich nicht schaffen kann ist sein letzter Idealismus, seine letzten Prinzipien, mit denen er zunächst auch überhaupt an die Macht kam: "All I got in this world is my word and my balls. And I don't break 'em for nobody!"

Am Ende wird Tony als gebrochener Mann im letzten Kugelhagel untergehen. Das System, in dem er groß geworden ist, frisst ihn auf. Er lässt sich nicht erschießen, er hält gefühlten 250 Kugeln stand, doch wenn über seinem Swimmingpool sein Leitsatz "The World is Yours." erscheint muss er resignieren und erkennen: Jeder muss seinen Blutzoll für für den American Dream bezahlen - auch der American Psycho. --- 9,5

#634 moodswing

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Geschrieben 07. Januar 2008, 17:06

Cannibal Holocaust
Ruggero Deodato, Italien/Kolumbien 1980

Papa, war die Schildkröte echt?

Jedwede Diskussion um ernsthafte Bestrebungen um plakative Zivilisations- und Medienkritik sind nett und angebracht, aber auch müßig und vielleicht unnötig, wenn man sieht, welch Eigenleben alle Diskurse um den Film genommen haben. Alle Moralapostel steigen hinter dem Kamin hervor und meinen doch, der Film sei der Höhepunkt eines Genres (kann ich nicht beurteilen, ist mein erster Kannibalenfilm), sei technisch fein und eben auch hintersinnig, da kritisch. Aber mit den Tierermordungen vor laufender Kamera, na da geht der Herr Deodato nun echt zu weit, das gehört sich nicht und ist unethisch.

Dabei fängt der - mit einem zynischen Blinzeln versehene - Spass hier doch erst an. Denn aller Handkameraschwenks und kompletten 180° Story Drehungen zum Trotz, bekommt auch CANNIBAL HOLOCAUST sein Eigenleben erst eingehaucht, wenn es wirklich zur Sache geht. Er führt seinen Diskurs um Authentizität, ihre Darstellung, und die Vermischung von brutaler Realität und Unterhaltungsfiktion auf die entscheidende Stufe. Wenn wir uns hier die ganze Zeit beim voyeuristischen Exploiten zusehen, dann bleibt uns nun die Spucke weg und der eigentliche Effekt tritt erst zu Tage. Bezeichnend nun, und äußerst wirkungsvoll, das an dieser Stelle alle aufschreien und meinen einer Geschmacklosigkeit beizuwohnen ohne diese Szenen oder die eigene Rezeption mal zu hinterfragen. Wenn der Film so gut ist, warum ist er das an dieser Stelle nun nicht? Ach ja, weil er da ja auf einmal unmoralisch wird. Die Zwischenfrage sollte erlaubt sein: Sind wir hier bei Disney?

Die Argumente sind auch auf rationalerer, weniger "künstlerischer" Ebene schnell widerlegt. Tiertötungen finden jeden Tag und in rauhen Mengen statt. Zudem wurden die Tiere vor Ort danach von den Einheimischen verspeist. Alles also noch viel weniger als halb so wild und andererseits natürlich auch nur ein Beweisstück in Sachen gesellschaftlicher Doppelmoral, die also so weit (bzw. tief) in eine Subkultur reicht. Hat das Steak heute mittag etwa nicht gemundet?

Bei soviel "Durchgeknalltheit" beim Filmemacher darf dann auch schnell mal vermutet werden, er habe echte Frauen gepfählt. Ein Ermittlungsverfahren folgte und scheiterte. Erbärmlich.

Der Film beweist mir auch ein wenig, das ich nicht damit daneben gelegen haben dürfte HOSTEL II zu mögen. Denn Deodato nahm darin wohl nicht zuletzt deshalb die humorige Schlächterrolle an, weil dieser tatsächlich in ähnlich plakativer und amüsanter Weise Zivilisationskritik übt. Wer's doof findet, dem sei seine Meinung gegönnt. Diese beiden Filme aber bierernst zu nehmen, wie es die meisten Kritiker getan haben, das ist wohl der falsche Weg.

Dagegen fällt im Abgleich mit der Moderne ein anderer Film gegen CANNIBAL HOLOCAUST ab: Das BLAIR WITCH PROJECT war irgendwie doch eher ein später Versuch die letzten 20 Minuten des Klassikers in die Nacht zu verlegen und ein bisschen Bu-huh drum herum zu sticken.

Eine Frage hinterließ der Film aber bei mir: Wo ist eigentlich auf einmal der schwarze Militär-Dude hin, der sein pisswarmes Bier nicht mehr trinken wollte?

Ich mag CANNIBAL HOLOCAUST. Warum? Wohl eher weil er herrlich amüsant ist (und dramaturgisch wie technisch auf hohem Niveau inszeniert wurde), doch seine Klugheit im Konzept soll mir niemand unterschätzen...

#635 moodswing

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Geschrieben 08. Januar 2008, 22:55

Tendenzen im zeitgenössischen spanischsprachigen Film

Voces Inocentes ... Mar adentro ... Los Lunes al sol / Pincesas

Luis Mandoki 2004 ... Alejandro Amenábar 2004 ... Fernando León de Aranoa 2002/2005

Tragische Freude - Ja sagen und nein meinen - Die Tragödie im Angesicht der Schönheit der Welt

Bei den letzten Sichtungen spanischsprachiger Filme aus den letzten Jahren - egal ob aus Spanien oder Lateinamerika stammend - stoch eine Auffälligkeit immer wieder hervor. Ein Charakterzug, der fast ein Definierender in der Zuordnung im world cinema ist. Egal, ob im spanischen Oscarabräumer und Tränendrüsenpenetrierer MAR ADENTRO von Alejandro Amenábar aus dem Jahr 2004, egal ob in den Arbeiterdramen eines Fernando León de Aranoa - des Fischerdaseins in den tristen Küstenstädten des Nordens (LOS LUNES AL SOL, 2002) oder das Leben der illegalen Prostituierten in Madrid (PRINCESAS, 2006) - die Inszenierungsstrategien der Filme laufen immer wieder darauf hinaus, dass die Tragödie, das Drama, das Böse, die Kritik und das Grauen in lebensbejahende, fröhliche, zum Schmunzeln verleitende, aufmunternde Bilder und Situationen gepackt wird. Eine Doppelstrategie, eine Ambivalenz, ein Erträglichmachen des Unerträglichen.

Nun gibt es so etwas nicht nur im spanischsprachigen Kino. Gerade auch in Hollywood oder auch Deutschland ist diese Strategie nicht selten zu sehen. Und doch gibt es einen kleinen, aber bedeutenden Unterschied zwischen den unterschiedlichen Kinematografien. Zu häufig wird man das Gefühl nicht los, dass hier und da geheuchelt wird. Eine Kalkulation der Emotionssteuerung. Die Wahrheit wird aufgegeben zugunsten eines Haschens nach Zuschauerkontingenten, die ohne den Humor den Film weniger erträglich finden würden. "Der macht mir schlechte Gefühle. Ich weiß nicht, ich mochte den nicht, der macht mich ja ganz betroffen und deprimiert." Humor und Schmunzeleien für einen feel good movie, für eine feel good audience, für einen feel good evening.

Spanischsprachige Filme jedoch, sie tragen diese seltsame Berechenbarkeit nicht in sich. Bei ihnen wirkt das ganz so als ließen sie ihrer Naivität und ihrer Mentalität freien Lauf. Aus dem Innersten kommend sozusagen, intuitiv. Zugegebenermaßen, das klingt ein wenig verkitscht und ist ein ziemlich subjektiver Eindruck, richtige Argumente fehlen mir für diese These. Und doch bin ich mir meines Gefühls sehr sicher.

Dass dieses Phänomen nicht nur spanische, sondern auch lateinamerikanische Filme betrifft, zeigte mir kürzlich der äußerst sympathische VOCES INOCENTES aus Mexiko/El Salvador/Puerto Rico. Die Geschichte schmeißt uns gleich in eine furchtbare Situation. Ein Dorf gerät im Bürgerkrieg in El Salvador Anfang der 80er zwischen die Fronten der Armee und der Guerillas. Nachts liefern sie sich bewaffnete Kämpfe, leiden tut nur das Volk. Tagsüber müssen die Eltern fürchten, dass ihre Kinder von der Armee eingezogen werden. Und die Kinder ängstigen sich um den Verlust ihrer Kindheit. Das Szenario ist unerträglich, eigentlich filmisch kaum fassbar. Und doch entwickelt VOCES INOCENTES sein Konzept damit umzugehen. Der Film erzählt seine Geschichte durch die Augen der Kinder. In der einfachen Naivität, der Unschuld und der warmen Offenherzigkeit der Protagonisten kann der Film selbst solch ein grausames Szenario mäßigend kadrieren - damit wird er eben nicht zum feel good movie, aber doch schafft er es einen kreuzsympathischen, liebevollen Teint anzunehmen, der den Film nicht gänzlich in einem Pessimismus oder womöglich gar Zynismus untergehen lässt. Genau dieses Antlitz ist es, was die spanischsprachigen Filme zu dieser besonderen Aura verhilft - einer Aura, die in dieser Unschuld in nur wenigen Kinematografien des world cinema zu finden ist.

#636 moodswing

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Geschrieben 10. Januar 2008, 16:55

Who's Afraid of Virginia Woolf?
Mike Nichols, USA 1966

Männer, Frauen und ein Theaterstück, das trotzig zwischen ihnen steht

Die zwischenmenschlichen Reibungsflächen, das sogartige Erlebnis eines Wechsels von Liebe zu Hass, das abgedrehte Gefühlschaos - Mike Nichols Adaption des Theaterstückes von Albee kratzt wütend an seinen Motiven. WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? ist eine bitterböse Abrechnung mit der wohlgemeinten Idee eines friedlichen Zusammenlebens von Mann und Frau. Nach Jahren der Ehe und gemeinsamen Tiefschlägen und Niedergängen, bleibt den Ehepartnern nicht mehr viel übrig als Schutzhüllen anzulegen, egal ob diese nun aus Zynismus oder Alkohol bestehen. Jeder Mann erschaudert, wenn Elizabeth Taylor ihr grässliches Gesicht voller Hass aufsetzt, wenn sie ihren Mann erniedrigt, ihn "entmännlicht" und zum Feigling degradiert, die Ehe als Schande empfindet. Jede Frau wiederum dürfte sich, wie die Männer, ebenfalls an Szenen mit dem anderen Geschlecht erinnert fühlen. Wenn "er" nämlich zum rationalen, gefühlskalten Zyniker mutiert, sie mit Spitzen und Kommentaren aus der Fassung, Diskussionen unter seine Kontrolle bringt, während ihr nur die emotionalen Ausbrüche zugestanden werden, die von einem vernünftigen Mann selbstverständlich nicht Ernst genommen werden können.

Alles altbekannte Muster also, die der Film nur überspitzt in einer kurzen Zeitspanne kulminieren lässt. Als filmisches Werk ist WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? vielleicht nicht das gelungenste Drama - anstrengend, nach 60 Minuten auch ein wenig sperrig, dialog- aber kaum bildlastig. Theater eben, wenngleich auch sehr Gutes. Mike Nichols, so fällt mir auf, ist überhaupt ein Regisseur, der sich vor allem über die Screenplays und Vorlagen (die er nie selbst schrieb) profiliert hat.
Im letzten Drittel wird der Film schließlich zum kranken, wild gewordenen Psychotiker. Ähnlich nervös wie der Zuschauer ist er jetzt, spuckt und speit und dreht ein wenig am Rad. Ein merkwürdiges Gefühl kommt auf, aber wie soll man WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? auch im Zaum halten, man hätte diesen süffigen Dialogen des ersten Teils ja doch keine zwei Stunden Stand gehalten. --- 8,0

#637 moodswing

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Geschrieben 11. Januar 2008, 16:01

The Man Who Shot Liberty Valance
John Ford, USA 1962

Was zu beweisen war: Der Western, das Ur-Amerikanische Genre

Wie sich Amerika immer wieder erfrischend mit der eigenen Geschichte befassen kann, ist erstaunlich. In THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE strotzt das Ereignis nur so vor symbolischer Positionierung: Liberty Valance (Lee Marvin) ist der eigentlich freiheitsliebende, aber much too Bad Robin Hood; Ransom Stoddard (James Stewart) als die aufbrechende, zielgeleitete, gutmütige, human und positiv denkende Zukunft dieses Landes; und Tom Doniphon (John Wayne) als eine Art Mittelweg, als Realist, aber mit beschränkter Auffassungsgabe, als Gunman, der zwar locker drauf ist aber doch bestimmt und u.U auch einmal brutal auftritt. Wayne hat die Paraderolle, der Amerikaner, der heroisch sein Haupt hinhält und den Ruhm gar nicht haben möchte - die Geschichte eines hard working farmer. Und es ist tatsächlich seine Geschichte, auch wenn der Film uns klar und deutlich darauf hinweist, dass Stoddard und seine sophisticated theories der "richtige" Weg sind - doch der Richtige, das ist noch lange nicht der Wahre! Und so erzählt uns der Film in seiner Rückblende den "wahren" Sachverhalt - without a weapon, peace is nothing. Die leicht reaktionäre Lesart bestimmt die Mentalität des Landes. Und doch kann man sagen, dass der Film es so nicht ganz billigen will. Halte den Mythos daher lieber versteckt? Würdige nicht den Helden, sondern das hehre Ziel, das es zu erreichen gilt? Worte über Taten? Die Taten bleiben der Allgemeinheit verschlossen, in der Rückblende haben wir aber den Einblick, die Übersicht, und sehen wie es wirklich zugeht.

THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE ist manchmal trocken und spröde, er nutzt sein Westernsujet für keinerlei Actionsequenzen oder Heldenstilisierungen, sondern formuliert ein Amerikabild, einen Diskurs, einen fast politischen Dialogreigen. Fords Western ist daher auch am Ende einer klassischen Phase einer Genreepoche angekommen. Man verzeiht ihm auch seine manchmal arg slapstickhaften Einlagen fürs große Publikum, gerade weil man auch um seinen Intellekt und seinen selten ausgespielten, aber präsenten subversiven Geist weiß: Wenn der schwarze Diener Pompey (Woody Strode) den ersten Artikel der Verfassung nicht widergeben kann und bei der Versammlung auf der Vortreppe außen vor sitzen muss, weht ein für Hollywood fast revolutionärer Geist durch die Saloons und Wipptüren. THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE traut sich selbstverständlich nicht mehr als nötig - seine Seitenhiebe gegen Politik und Presse dürfen noch erwähnt werden - aber gerade im stets nach hinten schauenden Genre des Westerns überlebt er auch in trockener Umgebung gut und gerne weitere 50 Jahre. --- 8,0

#638 moodswing

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Geschrieben 13. Januar 2008, 15:19

O Brother, Where Art Thou?
Joel & Ethan Coen, USA 2000

Mythenmix am Mississippi

Langsam verliere auch ich mich in der liebevoll kantigen Welt der Coen-Brüder. Das ist gar ein anstrengendes Verfahren, denn in die diese eigenwillige Welt muss man erst einmal vorstossen. Vorbei an den Riesen der normierten Ästhetik, über die beschwerlichen Berge der Fantasiegestaltung, hinein in amerikanische und intellektuelle Mythen. Dort angekommen, passieren die verrücktesten Dinge: Hillbilly und Bluegrass Musicals treffen auf griechische Road Movies. John Goodman verdingt sich als Bibelbetrüger und Lynchmobteilnehmer des Ku-Klux-Klan, deren Anführer nun ausgerechnet der demokratische Senatorenanwärter des Staates Mississippi ist. Der konservative, korrumpierte Dickbauch, der das Amt noch inne hat hingegen weiß, dass gute Laune und das geschwungene Tanzbein des hochrangigen Abgeordneten beim Volk gut ankommen. Schwarze Musiker verkaufen ihre Seele dem Teufel, Wassernixen singen unsere Antihelden zu Kröten. Frauen, ja Frauen sind sowieso ziemlich dominante Wesen in einer Welt, in der dem modernen Hillbilly nur noch die Dapper Dan Pomade bleibt. "Never trust a female Delmar, remember that one simple precept and your time with me will not have been ill spent."

Die Coen Brüder legten 2000 mit O BROTHER WHERE ART THOU? ihren vielleicht abgedrehtesten, gemütlichsten und lustigsten Film vor. Ihren bis dato bekannten Erzählwelten fügten sie eine weitere, vollkommen unordentlich vergilbte Südstaaten-Saga hinzu. Wenig Düsteres gab es hier zu sehen, vielmehr befreites, launisches Aufatmen. "The Sun is shining - Even for the Man of Constant Sorrow" --- 7,5

#639 moodswing

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Geschrieben 14. Januar 2008, 16:35

Ken Loach - Quadro Formaggio

Land and Freedom ... Carla's Song ... Bread and Roses ... The Navigators
1995 ... 1996 ... 2000 ... 2001

Ken Loach gilt gemeinhin als dezidiert politischer Regisseur, als engagierter Redner über seine Geschichten, als Sozialromantiker und vielleicht auch als trockener und ein wenig verstaubter Aufklärer. Ich habe jüngst 4 Filme aus seinem Oevre zwischen 1995 und 2001 gesehen, und kann nach den Sichtungen die Vorurteile nur zum Teil bestätigen.

In seinem 1995 gedrehten Kriegsdrama LAND & FREEDOM allerdings ist eine gewisse Statik erkennbar, die dem Werk nicht gut tut. Es erzählt die Geschichte eines britischen Freiheitskämpfers, der in den 30er Jahren nach Spanien geht um gegen Franco zu kämpfen. Der Film behandelt seine Figuren stiefväterlich, was tatsächlich ein Stilmittel ist, denn es geht Loach darum alle Figuren der Freiheitskämpfergruppe gleichermaßen zu beleuchten - eine Art filmischer Kommunismus. Ihn interessieren weder die Liebesbeziehungen untereinander, noch ergreift er die im Film gebotene Chance eine Schuld-und-Sühne-Geschichte als zentrales Thema zu etablieren - individuelle Erzählungen sind nicht erwünscht. Stattdessen geht es ihm einzig und allein um eine Geschichte der europäischen Linken, für die sich jegliche andere Elemente unterzuordnen haben. Er zeichnet ihren Zerfall protokolarisch nach, kontrastiert die Spannungen zwischen Kommunisten und Anarchisten mit derem absurden Gehabe untereinander und Angriffen aufeinander. Und er bleibt thesenhaft und präsentiert diese wie Martin Luther von oben herab. Einmal sieht die Kamera einer politischen Debatte in einem gerade befreiten Dorf zu und bewegt sich über 20 Minuten kein Stück weg. Das ist so staubtrocken und langweilig und gleichzeitig so sympathisch, weil unendlich idealistisch. Letzten Endes zeigt LAND & FREEDOM zwar den Zerfall der politischen Linken auf, endet aber mit einem sturen Schlussbild in der Gegenwart: Die Enkelin des gerade verstorbenen Kämpfers, dessen Geschichte wir zu sehen bekamen, verstreut spanische Erde über sein Grab und hält das rote Tuch mit geballter Faust in die Luft.

Loach wandte sich von da an einem Konzept zu, dass viel eher persönliche Schicksale für eine politische Gesamtaussage instrumentalisiert. Bereits 1996 folgte CARLA'S SONG, der die Geschichte eines schottischen Busfahrers erzählt, dessen soziales Gewissen aktiviert wird, als er einer Frau aus Nicaragua begegnet und mit ihr letztendlich zurück in ihr Land fliegt um gegen ihr Trauma anzukämpfen. Das ist nochmals purer Idealismus, denn wie der gute Mann urplötzlich die Sinnentleerung seines Lebens erkennt und flugs zum Ausreißer aus der Gesellschaft und seinem Alltagsleben wird, ist schon erstaunlich überkonstruiert. Wenn er sie dann alleine zurücklässt, ihrer Geschichte langsam und einfühlsam nähergebracht, sich selbst heroisch vergessend, zusammenführt was zusammen gehört - dann lässt sich daraus auch eine schwierige Lesart erkennen: Die Erzählung vom Weißen, der auszog, um Gutes zu tun, und das höchst erfolgreich und ohne einen Funken Egoismus - da stimmt doch was nicht!?

Aufrichtiger wird Loach erst mit BREAD & ROSES im Jahre 2000. Hier nun begeht er den Fehler der Vorgänger nicht, setzt den Zuschauer nicht gleich in die Position eines Briten, von dem aus dann der Katalysator für die Story anspringt. Hier baut und vertraut Loach ganz seiner Hauptfigur, der mexikanischen Illegalen, die in einer Reinigungsfirma gewerkschaftlich aktiv wird und eine kleine Revolte schafft. Sicher, auch hier gibt es einen Weißen, der antreibt (sympathisch dargestellt von Adrien Brody), aber dessen Figur wird der Mexikanerin (wunderbar unbeholfen: Pilar Padilla) doch angenehm zurückhaltend untergeordnet. Loach schenkt diesen Charakteren viel mehr Liebe, Ausdrucksmöglichkeiten und Authentizität. Und er zeigt seine Liebe zum spanischen und lateinamerikanischen Kino, denn er setzt ebenso wie dort üblich ein gesellschaftliches Drama in positiven, lebensbejahenden Bildern um.

Sein letzter Film aus meinem persönlichen, quadrierten Ausschnitt soll THE NAVIGATORS von 2001 sein. Und der steht erstaunlicherweise LAND & FREEDOM wiederum näher als den beiden Ausflügen nach Amerika. Und trotzdem ist er eine weise Weiterentwicklung gegenüber der politischen Abhandlung von 95. Denn THE NAVIGATORS ist zwar eine lose Ansammlung an Geschichten um britische Railworker, die mit den unsozialen Zuständen nach der Privatisierung der britischen Bahn zurecht kommen müssen - und steht damit dem Personen-Kaleidoskop von LAND & FREEDOM in Nichts nach. Aber THE NAVIGATORS ist auch ein echtes Melodram, so wie es auch CARLA'S SONG und BREAD & ROSES sind. Loach weiß seine Geschichten über die Tragödien subtiler an den Zuschauer zu bringen. Er bleibt kämpferisch, weiß aber um seine Möglichkeiten. Diese Mischung aus klarer politischer Haltung, aus sozialem Gewissen, aus dem Wissen ums Genre und Film an sich und um die Atmosphäre, die Loach gezielt und lebensfroh dem kritischen Content entgegensetzt - dies macht Filme von Loach nicht zu bloßen Anklägern, sondern auch zu tief menschlichen Statements...

#640 moodswing

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Geschrieben 17. Januar 2008, 00:00

Tideland
Terry Gilliam, Kanada/Großbritannien 2005

Gilliams depressives Märchenmonster

Als eine Art Gegenstück zum entsetzlich banalen BROTHERS GRIMM ist Gilliams parallel entstandener TIDELAND zu sehen. War der Film über die Märchenerzähler schon fast grotesk konventionell und bieder geraten, zeigt sich bei TIDELAND ein Mut zum radikalen, gewagten und non-narrativen Kino. Gilliam kreiert eine im Kern unendlich depressive Vision einer elternlosen, verantwortungslosen, im Zynismus versunkenen Welt, in der sich der kindliche Blick zurechtfinden muss. Das geschieht über einen regressiven, infantilen Humor, der mit dem eigentlich Gezeigten so gar nicht kompatibel ist. So entsteht im Endeffekt ein Film, wie er kaum abgründig-grotesker sein könnte.

Die subjektive Kamera steuert quer durch eine Fantasy- und Märchenwelt, die affirmativ mit allen gegebenen Mitteln des großen Mythen- und Fiktionskino arbeitet, rational aber genau dieses auf brutalst möglichste Weise zerlegt. Die Himmel und Hölle Mischung aus fast disneyhafter Erzählhaltung und Darstellungsebene, bei gleichzeitig alptraumhaft dramatischem Stoff innerhalb der Geschichte ist konzeptionell grandios und wächst noch Stunde um Stunde nach der Sichtung des Films.

Für diese filmische Meisterleistung muss der Rezipient allerdings auch bezahlen. Praktisch ohne Leitfaden schickt uns Gilliam in ein Abenteuer, das von Anfang an so schwarz ist, dass der ganze lieb gemeinte Trip zum anstrengenden Höllenritt wird. Auch der Zuschauer ist diesem Gefälle der Darstellung und des Dargestellten, von Form und Inhalt hilflos gegenüberstehend. Er kann sich eigentlich kaum Zurechtfinden zwischen den Gefühlswogen, den Andeutungen, den schwebenden Bildern und der bizarr-trostlosen Story. TIDELAND schafft damit so Einiges - eine emotionale Bindung zum Film aufzubauen fällt jedoch schwer.

Das Mädchen, dessen grauenhaften Lebensweg wir begleiten, bewegt sich in einer Welt, die letztendlich vollkommen kaputt ist - auch einer Welt, dessen erwachsene Figuren ins Groteske abgerutscht sind und sich niemand mehr befreien kann. Den klügsten Einfall hat TIDELAND am Ende, als er seine apokalyptische Vision auch in den Bildern eindrucksvoll behauptet. Der Zugunfall - forciert vom anderen, im Ursprung ebenfalls unschuldigen Protagonisten - malt das Bild zur Grundstimmung, und gleichzeitig den Übertritt zurück in die "normale" Welt. Das akute trifft hier auf das in den Lebensweg längst eingeschriebene Trauma - eine hochspannende Konstellation. Das mag man als Hoffnungsschimmer lesen - nach den 110 vorangegangenen Minuten aber dürfte klar sein: Gilliam zeigt uns eine Welt, in der man nur in den Träumen dagegen ankämpfen kann, wie das Kind in uns seine Unschuld verliert.

#641 moodswing

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Geschrieben 18. Januar 2008, 01:12

The Darjeeling Limited
Wes Anderson, USA 2007

Onanie mit Gucci, Tussitum mit D&G + ein Vorfilm mit Seitenscheitel

Voller Seufzer geht man aus diesem gelben Wes Anderson Movie (Aprospos gelb: Wann kommt eigentlich endlich "Wes Anderson - The Movie"?) Ach, wenn der Mann doch wenigstens etwas Prekäres zu sagen hätte. Stattdessen ruft er "Heidewitzka!" und denkt das Wort alleine sei stilprägend und ausreichend. Zurückgelehnt sitzt er in einem Pariser Café und denkt sich Sachen aus wie "Die Koffer meiner Protagonisten sollten gelb sein und Giraffen darauf haben." Der Film schreit mich an: "Hey, ich bin schrullig und skurril." Ich schreie zurück: "Hey, das interessiert mich einen Scheißdreck! Hast du auch etwas mehr dabei als das knirschende Bonbonpapier?" Na, wenigstens kann sich der Film verlassen. Auf seine Zu-Schauerschaft - die Coffee-To-Go-Generation, Seitenscheitel-Fraktionen von Berlin-Prenzelberg bis New York-Manhattan, vereinigt euch. "So cute, so funny." "So boring" entgegne ich dem Mädchen mit der gelb-schwarz-getigerten Tasse und dem iPod im Anschlag. Aprospos Anschlag und iPods - wenn das nächste Mal ein Kind im Höhepunkt der geballten Lakonie draufgeht, möchte ich einen Knalleffekt mit Terroranschlag über den weißen Musikgott. Der modern chic könnte nicht unsparsamer eingesetzt werden. So richtig lustig wäre solch ein Szenario aber auch erst, wenn Anderson das ganze in einem bayrischen Bierzelt auf dem Oktoberfest zelebrieren würde. Statt gelb dann bitte weißblau, statt Limes dann das Maß, statt Schlangenboxen mit Totenköpfen darauf dann ein rosa gefärbtes Pissoir-To-Go. Toll!

Aber Pillen schlucken, das sollten Andersons Charaktere weiterhin. Auch sich auf spirituelle Reisen begeben (kann man in Bayern ganz toll!). Vielleicht dann den Suizidversuch des Hauptdarstellers vorher verhindern und mit ihm mal Klartext reden anstatt die ganze Zeit die Welt verblendet auf Drogen zu ironisieren, bis der Zuschauer den Unterschied zwischen Realität und Brechung nicht mehr erbrechen kann.

Ups! Der Zuschauer da vorne hat wieder geschmunzelt, hihi, 1:0 für Anderson, den Schmunzel-Optimierer!

Wenn Anderson eine Frau wäre, hätte er den Film vielleicht verständlicher inszeniert. Aber schon allein der unsägliche Versuch eines skurril-anbiedernden Liebesszenario des modernen hyper schicken Paares in HOTEL CHEVALIER zu erzählen, sieht aus wie die Kinder vom Bühlerhof als High Definition Version (inkl. nackter Knochenschleuder am - richtig - iPod).

Aprospos Kleinkinder und drehbare, technische Dinge. Normalerweise machen Kinder sowas kaputt. Nicht aber Anderson. Im tiefsten Regress steckengeblieben hält er einem Markenfetischismus die Treue, als strampele und spucke er partout gegen jeden Erwachsenen, der ihm zurät "doch mal von den bunten Lutschelollis runterzukommen". Also Lollipops, überhaupt, als wäre das Wort für Wes Anderson erfunden worden.

DARJEELING LIMITED ist ein Zeitgeist-Phänomen, ein schwelgen und schwimmen im modernen Zeitgeist, der die Luft verschmutzt. Ein freundliches Grinsen mit ironischer Attitüde zum Konsumverhalten des geschlechtsreifen Urban-Onanisten.

Zum Zeitgeist gehört es auch, mal einen Selbstfindungstrip zu unternehmen. Am besten vom Pariser Café aus. Am Liebsten nach Indien. Denn Indien ist bunt, lustig, bärtig, spirituell, die pure Exotik und sowieso ganz toll!

Bleibt noch das betrübt-lässige Gesicht Bill Murrays zu erwähnen. Der rennt und versucht noch den Zug zu bekommen, schafft es aber nicht. Er wird überholt von Adrien Brody. Murray ist ein alter Sack und bleibt im altgedienten Geschäftsacko stehen, Brody ist der lebensmüde Jungspund. Nachher sehen wir Murray noch einmal im nachfolgenden Zug. Dann der Schwenk zu einem Tiger in abgedunkelter Umgebung. Der wurde von Jim Hensons Puppenstudio hergestellt. Ein schöner Gimmick. Und der einzig Gelungene in einem Film, der Nichts sein will als eine Gimmick-Parade und der Wohlfühl-Studi-Wärmer - wieder richtig - To-Go! Toll!

#642 moodswing

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Geschrieben 19. Januar 2008, 12:09

Auf der anderen Seite
Fatih Akin, Deutschland/Türkei 2007

Geht es im deutschen Film um "türkische Problematiken" wird der deutsche Seher schnell schizophren. Da loben wir zum Einen die Filme, die vorgeben sich einmal ganz "sozialkritisch" mit Ghettorealitäten auseinanderzusetzen und schnell wird latent rassistischem Klischeebrei wie WUT oder KNALLHART eine Aufmerksamkeit zuteil, die ästhetisch und auch in jeder anderen Hinsicht nicht zu rechtfertigen ist. Und dann gibt es da ja noch Filme von Fatih Akin. Der hat das deutsche Publikum zunächst gepleast mit good-feel-und/oder-Ethno-Comedys wie IM JULI, SOLINO oder KEBAB CONNECTION. Dann wurde es ernst und es ging ans Eingemachte: Auf GEGEN DIE WAND konnte der deutsche Kinogänger endlich einmal stolz sein, der Berlinale-Bär und Huldigungen von allen Seiten folgten. Immer noch zu Unrecht. Der Multikultigedanke leistete da viel Vorschub.

Mit AUF DER ANDEREN SEITE legt Akin jetzt seinen ersten wirklich bemerkenswerten Film vor. Kurz gesagt, der Eindruck steht über allem: Akin ist Erwachsen geworden. Die (auch typisch deutsche) Hysterie hat er abgelegt zugunsten einer leiseren Erzählung, er verwebt Geschichten ineinander mit Menschen, die nicht in der Form das Radikale suchen, wie man es noch aus dem jugendlich-ungestümen GEGEN DIE WAND gewohnt war. Stattdessen wirklich ernste Töne: Der Tod als ein plötzlicher Moment, aber immer zentrales Thema. Keine Effektheischereien mehr, sondern durchdachtere, nachdenklichere Phrasen. Alles in allem schon ein Festivalfilm - symbolisch konstruiert, verkopft, etwas schwerfällig - auch macht er kaum das verzapfte Krampfkino Akins aus der Vergangenheit wett, aber doch: bemerkenswert. Zum ersten Mal. --- 7,0

#643 moodswing

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Geschrieben 20. Januar 2008, 15:08

Million Dollar Baby
Clint Eastwood, USA 2004

Modernder, vergoldeter Filmtrash

Er rollt und er brummt und er erzählt unaufhörlich. Clint Eastwood kann es nicht lassen und schiesst mit MILLION DOLLAR BABY eigentlich den Vogel ab, denn das Dargebotene ist so unterirdisch, dass es ohne den Namen Eastwood im DVD-Regal verschimmeln würde. Schlimm an MILLION DOLLAR BABY ist vor allem die dreifache Geschichtssteigerung, die uns Haggis und Eastwood hier anbieten: Im ersten Drittel ist der Film eine Aufsteigerstory, wie sie schlichter und risikoausweichender nicht erzählt werden könnte: White-Trash-Girl kämpft sich nach oben, ihr blieb ja nie etwas anderes im Leben übrig. Tolle Geschichte, mag jeder Oscar-Juror und tut auch keinem Zuschauer von New York bis Ankara weh, ist aber zuende gedacht immer so verlogen, dass ein ungläubiges Staunen zurück bleibt ob der Dreistigkeit sowas auch 2004 noch in aller gebotenen Ernsthaftigkeit inszenieren zu wollen.

Dann beginnt die Dynamisierung der american story: MILLION DOLLAR BABY wird zum Boxerfilm. Nicht explizit versteht sich, darauf legt Eastwood wert, die Boxszenen sind merkwürdig blass und undramatisch gehalten. Und doch, es scheint durch, der Film wandelt als All American auch ein ganzes Stück auf Rockys Spuren. Besonders deutlich wird dies im so dermaßen dämlichen neuen, alten Feinbild, welches Eastwood heraufbeschwört, als ob er die letzten 20 Jahre Politikentwicklung nicht ganz mitgeschnitten hat: Haggis und er installieren doch tatsächlich mit "Billy", eine ostdeutsche (!) ehemalige Prostituierte (!!) mit braunem Teint und Rastahaaren (!!!) als wildgewordene, ungeschlagene Bitch als Antagonistin. Es wird noch nicht einmal probiert, sich an irgendeiner Figurenzeichnung zu versuchen. Uschi haut unserer Ärmsten 3x illiegal auf die Rübe, der Schiri bekommt's nicht mit als wären wir beim subproletarischen Entertainment-Wrestling, die Zuschauer sind alle merkwürdig unaufgeregt und schlaftrunken und Hillary fällt dann auch noch ganz zufällig ungünstig auf einen Stuhl, der im Ring steht. Na sowas.

Spätestens hier frage ich mich doch, ob Haggis und Eastwood manchmal ihr MILLION DOLLAR BABY Script mit dem einer vielleicht geplanten Satire verwechselt haben. Hier und da sind so Szenen dazwischen gerutscht, die bestimmte, senile Verwechslungen vermuten lassen. Oder sollen das nur cheap jokes sein, mit dem nach dem Eis in der Wasserflasche fragenden Kloppi in der Trainingshalle beispielsweise oder der geldgeilen Hillbilly-Familie, mit geschwängerter Tochter und Redneck-Sohn inklusive Vollkörpertattoos?
Nein, wohl auch nicht ganz, denn auch sie haben - wie alles in diesem Film - eine tiefere, symbolische Funktion oder whatever... Helft auch den Schwachen etwa (Kloppi) oder bekämpft eure Dämonen (Hillbillies) - die Faulen, die Nichtsnutzigen - ist eigentlich schon mal erwähnt worden, dass der alte Nixon und Reagan-Fan Eastwood ein ziemlich unerträglicher Reaktionär ist?
Aprospos konservative Werte: MILLION DOLLAR BABY ist tatsächlich und per Überschrift versehen ein Vater-Tochter-Film. Der alte Boxcoach Eastwood hat einst versagt als Vater, rennt immer zur Kirche und belästigt den Pfarrer ("Wir müssen nochmal über die unbefleckte Empfängnis reden) und Hillary wird nun seine neue Tochter, mit der er es nochmal probieren kann.

Den Knaller hält der Film dann aber noch im letzten Drittel parat. Er wendet sich noch einmal um 180 Grad und präsentiert uns in den letzten 30 Minuten eine weitere Morologie, als ob wir nach der Aufsteigergeschichte und dem Boxdrama nicht schon genug haben. Hier nun: Euthanasie oder das Recht des freien Individuums auf die Selbstbestimmung seines Todes. Das wirkt so schlimm und lächerlich, weil man eben die 120 vorhergehenden Minuten doch noch im Kopf hat, man schämt sich ja fast schon müde zu lächeln, wo man doch jetzt bestürzt sein sollte. Es ist vor allem aber ein Fremdschämen für den Film.
Eastwood inszeniert sich wieder als hadernder, griesgrämiger, versteinerter alter Mann ohne Profil. Böse gucken und rau reden, Glanzleistungen eines über 70-Jährigen. Eastwood bekommt den Oscar überreicht, muss ja, hat er ja soviel beigetragen zum amerikanischen Filmerbe. Oh Gott, wir müssen nochmal über die unbefleckte Empfängnis reden. --- 1,0

#644 moodswing

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Geschrieben 22. Januar 2008, 01:25

3:10 To Yuma
James Mangold, USA 2007

Even bad guys have moms they love

Der gallig-stilisierte Genrerabauke 3:10 To Yuma war 1957 noch ein echtes Original - ein Zwei-Mann-Stück straight ohne Firlefanz und doppelten Boden. Die 2007er Variante nun entwickelt einen gänzlich anderen Charme: Er fokussiert seinen Schwerpunkt auf den good descent guy, und sein Duell mit dem vermeintlichen Bösewicht. Christian Bale ist zunächst der selbstzweifelnde, der Männlichkeit beraubte (einbeinige) Antiheld. Sein jugendlich aufbegehrender Sohn verachtet ihn - der Blick voraus wütend machend, während seine Frau ihn zwar unterstützt, vor ihm aber kaum verbergen kann, den vollen Respekt schon längst verloren zu haben. Eine Ausgangssituation die jedem Mann - dem Western-Zielpublikum - weh tut. Und der perfekte Startpunkt: Also tritt Bale allem und jedem entgegen, der Ehrerrettung halber - vor allem einer Untergangsstimmung, einer moralfreien Gesellschaft, einem zynischen Abgesang, Mutlosigkeit und Aufgabebestrebungen. Kein Geld der Welt - auch nicht in einer so roughen, frühförmigen Kapitalgesellschaft wie dem wilden Westen - kann Bale von seiner "heiligen Mission", die er am Ende nur noch gegenüber sich selbst und seinem selbstgeschaffenen Kodex hat, abbringen. Auch Russel Crowe erkennt nach und nach, das ihm dort ein aufrechter Mann den richtigen Weg vorlebt. Crowe hat die zweite Traumrolle eines jeden männlichen Schauspielers abbekommen. Der sensible, künstlerisch begabte, Tiere und Frauen liebende Charmebolzen zwischen dem leichten Gangsterweg und dem Pfad der Tugend, die ihm von Bales Jesusfigur vorgelebt wird. "Even bad guys have moms they love." Er und seine Bande multikultureller, abtrünniger Außenseiter - ein mexikanischer Scharfschütze, ein Apatche und als Höhepunkt Charlie Prince, der Südstaatenblonde mit den eiskalten, blauen Augen (die Entdeckung des Films: Ben Foster) - erhalten die volle Aufmerksamkeit des Publikums und sind im Stillen die eigentlichen, aufregenderen, verruchteren Helden. Sie sind auch ein Clou des Films, denn es sind hineingeworfene Figuren, die Grobkonturierungen hergeben, und dem geneigten Leser Spass machen.

Doch natürlich liegt die Konzentration eigentlich woanders, nämlich bei unseren beiden Protagonisten. Zurück zu Crowe: Frauen hin oder her - so eine konservative Familie wie sie Bale besitzt hätte der gestandene Freiheitsliebende auch gerne - selbst wenn sie eine bröckelnde ist. Und als der vorgelebte Idealzustand des Helden zerstört wird, da wird dann auch Crowe zum letzten aufrechten Krieger - wenn auch mit einem blinzelnden Auge zurück...

#645 moodswing

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Geschrieben 22. Januar 2008, 23:49

Free Rainer
Hans Weingärtner, Österreich/Deutschland 2007

Der junge, wilde Aufbegehrer trägt die deutschen Gene eben doch in sich - Wie ein löbliches Unterfangen durch ein populistisches Klischeegemenge ad absurdum geführt wird

Wie man mit einem linken Hirngespinst einen ganzen Film versucht zu bestreiten, das scheint Hans Weingärtners Metier zu sein. Nach dem Versuch einer Wiederauferstehung einer jugendlichen Rebellion in DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI hat sich der Alt-68er-Apologet nun das Thema Medien-Manipulation und Geldscheffelei mit Volksverdummung vorgenommen. FREE RAINER beginnt dementsprechend mit dem uralten Klischee des manisch-depressiven, zugekoksten Fernsehprogrammchefs eines privaten Senders, der sich selbstzerstörerisch, wagemutig und lebensmüde mit seinem Porsche in den Alltagsverkehr stürzt. Was ist nun typisch deutsch? Richtig, man tut das mit der Figur, was am verlogensten und unwahrscheinlichsten ist. Rainer (Moritz Bleibtreu) wird geläutert von Pegah (Elsa Sophie Gambard), dessen Opa er mit einer Boulevardklatschsendung in den Selbstmord getrieben hat.

So weit, so schlecht. Rainer wird jetzt zum Aktivposten (logisch, dass das Weib nur der Anstoss, der ausführende Protagonist aber natürlich der Mann, wenn auch der eigentliche Arsch der Geschichte ist - Misses Mulvey, übernehmen sie!). Er plant die Idee umzusetzen, die in jedem linken Hirn doch schon mal durch die Gehirnwindungen gewandert ist - "Lass uns doch die Quoten manipulieren, dann wird das Fernsehprogramm endlich gut!" Gesagt getan, und schwupps senden selbst die Privaten nur noch Fassbinder-Reihen, Dokuabende und Tiersendungen. So einfach geht das. Das Volk nimmt es natürlich dankend an, alles freut sich, die Dummen gehen halt mal raus statt fernzusehen, nur ein paar türkische Mädchen finden die "ständig gezeigten Schwarz-Weiß-Filme voll behindert". Aber auf die Türken können wir Deutschen ja eh scheißen. Und so kommt es wie es kommen muss - FREE RAINER zeigt sein wahres, reaktionäres Gesicht: "Deutschland ist endlich wieder ein Land der Dichter und Denker." heißt es da in einem eingeblendeten Zeitungsartikel, und das ist nicht irgendwie ironisch gemeint. Nein, in der Tat, in FREE RAINER funktioniert die Welt so naiv, dass man dem Volk doch nur Qualität vorsetzen muss, dann frisst es sie auch. Dumm sind lediglich die Fernsehmacher, das Volk wurde "trainiert und konditioniert, Scheiße gut zu finden".

Das ist in gewisser Weise erbärmlich gutgläubig, straight an der Realität vorbei und zum bloßen Unterhaltungswert degradiert. Ähnlich wie in LIVE!, dem FREE RAINER nicht unähnlich ist, macht der Film vor allem den Fehler vollkommen falsch von Fernsehen zu reden. In dieser Form kann man sich der Strukturen nicht annehmen, aber klassischer Weise ist das ein Film von Leuten, die "nur noch einen Fernseher haben, weil es ja noch arte gibt" für ebensolche. Klar sympathisiere ich mit dem Thema des Films und mit einzelnen Ideen, doch umso ärgerlicher wird es, dass all das in einem deutschen Unterhaltungsbrei und stagniertem Humor formgerecht aufgearbeitet wird. FREE RAINER traut sich nicht in die Fernsehgeschichte zu sehen, traut sich nicht auch die Öffentlich-Rechtlichen (die ja das Projekt mitgefördert haben) anzugreifen, traut sich nicht über den deutschen Tellerrand zu schauen, traut sich nicht einen komplexeren, entlarvenden Blick abseits von hochgehaltenen Klischees in die Chefetagen der Unternehmen zu werfen. Er verrennt sich lieber in Verschwörungstheorien, die der Film zwar teilweise wieder verwirft, aber schlimm genug ist es doch, dass die ursprüngliche Fassung eine komplette Ausformulierung dieser Theorien beinhalten sollte. Irgendein Redakteur hat dem dann wohl einen Riegel vorgeschoben, denn es hätte wohl nicht mehr viel gefehlt und die bösen Amis und Juden wären verantwortlich gemacht worden für die Verdummung der deutschen Volksmassen.

FREE RAINER ist eine plakative Mediensatire nach Schema F des Drehbuchseminars. Allein das macht ihn unglaubwürdig. Schade ist es vor allem um den wahren Ausgangspunkt, von dem aus der Film eigentlich angreifen wollte: Die Messung der Einschaltquoten, die tatsächlich beinahe beliebig erhoben werden - in viel zu wenigen Haushalten und auf eine viel zu kleine Anzahl sozial starker Gruppen beschränkt (Minderheiten werden außen vor gelassen), um wirklich repräsentativ sein zu können. Dieses Thema in einem Film so, meinetwegen auch so idealistisch aufzuarbeiten wie es FREE RAINER tut ist ein löbliches Vorhaben - die Umsetzung ist jedoch Gelinde gesagt eine ärgerliche Katastrophe. --- 2,0

#646 moodswing

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Geschrieben 24. Januar 2008, 12:28

I'm Not There.
Todd Haynes, USA 2007

Ein Held, der nicht zu greifen ist - 6x Bob und die Frage wo er denn nun eigentlich steckt

Zunächst einmal sieht das Dylan-Kaleidoskop aus wie ein Film, der solchen Lahmbolzen wie CONTROL mal zeigt, wie man ein Bio-Pic über einen Künstler richtig anpackt. Radikal nämlich, sich aufs Filmische fokussierend, Narrativiken und Dramaturgien beiseite lassend und vor allem sehr anarchisch herum-oiend. Die ersten 15 Minuten fand ich I'M NOT THERE. noch genial. Ein kleiner, schwarzer Junge spielt einen von 6 Bob Dylans unter falschem Namen, aber mit viel Chuzpe wie ein wichtigtuerischer Erwachsener, und das in einer Umgebung, die in ihrer stilisierten Darstellung aussieht wie der Mythos der Südstaaten, in denen der schwarze Wandersmann dreckig und nur mit dem Gitarrenkoffer gepackt auf Güterzüge springt und knackige Sprüche klopft.

Dann sackt der Film nach und nach ab. Haynes kreiert teilweise großartig popartige Collagen, Christian Bale macht als trübe dreinschauendes Fotomodell Dylan eine klasse Figur, Richard Gere wird in einer seltsamen Westernmontage gegen Ende des Films zum Billy the Kid stilisiert, was eine ebenso seltsam sogartige, wie gemütliche Wirkung erzielt. Das aber ist es im Wesentlichen. Haynes springt 140 Minuten zwischen seinen 6 Dylans hin und her und verlässt sich dabei sowohl darauf, dass man seinem Anarchokonzept ohne Widersprüche folgt, als auch auf die Lust seiner Zuschauer, dieses Biografie-Puzzle-Märchen auseinander zu klamüstern.

Beides geht nicht auf. Stattdessen muss man ertragen wie Cate Blanchett ja achso toll die "Diva Dylan" gibt. So simpel wird es im ganzen Film nicht mehr. Die sonst so häufig hervorgehobene Blanchett ist die eigentliche, große Enttäuschung des Films, weil dieser sich ganz bewusst und versteift auf allein die fetzige Idee verlässt und dies dann auf eine große, belangslose Zeitspanne aufbläst.

Und sonst so, Mister Haynes? Der arme Jay Rabinowitz dürfte hier die helle Freude erleuchtet haben, denn so ein wirres Konstrukt zusammen zu montieren, dazu braucht man sicherlich diverse Überstunden im Schnittraum. Kleinigkeiten, aber genau daraus speist sich I'M NOT THERE., die anstregende Homage, bei der sich der Ästhetizismus letztendlich über die Köpfe der Zuschauer bewegt. --- 5,0

#647 moodswing

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Geschrieben 26. Januar 2008, 05:45

Lieber STEALTH,
du bist mir vielleicht ein köstlicher Maschineneintopf aus der Mölltonne. Top Gun reloaded, du hast dir wohl gedacht wenn man schon bei den alten Kamellen ist, ja, warum dann eigentlich nicht den ollen Kubrick und seinen 2001 rausholen? HAL ist jetzt ein fliegender Flitzer, der sich verselbstständigt, um den doofen Russen aufs Maul zu hauen. Wer könnte da was gegenhaben? Nur die scheiss political correctness selbstverständlich, mein armer STEALTH. Aprospos: Könntest du mir mal kurz erklären, warum der US-Abgeordnete, der seine Finger mit im Spiel hat, ständig von aussen durch die Scheibe gefilmt wird? Aber auch ansonsten bist du etwas minderbemittelt, mein Gutster: Etablierst deine White-Hetero-Romance, und lässt die Protagonistin dann im männlichen Tarnanzug durch Nordkorea robben - Jessica Biel darf am Ende nicht mal Küssen, sondern muss ihrem Typen (wie hiess er noch gleich?) sagen, dass er ne Pussy ist. Nicht sehr weiblich. Sein lustiger Sidekick Jamie Foxx ist zu diesem Zeitpunkt schon out of da game - nein, wir sind uns hier keinem Klischee zu schade, der Neger muss selbstredend auf der Strecke bleiben. Aber erst nachdem er eine lustig giggelnde Thai in einer exotischen CGI-Landschaft gebohnert hat. Sam Shepard spielt auch mit, das der noch lebt, diese Feststellung verdanke ich deiner Weisheit STEALTH. Er ist das böse Gespür im militärisch-industriellen Komplex, der ansonsten hervorragend funktioniert. Zurück zu HAL aka Edi: Da kannst du dich nicht ganz entscheiden, ob du Technikkritik üben willst oder wohl doch lieber deinen Technikfetisch auslebst. Also Schwamm drüber, die alten Missetaten vergessen, wird HAL...ähem Edi auf einmal emotional, kickt Oneliner und bringt die doofen Nordkoreaner (sowieso nur grimmig dreinschauende Banditen) zur Strecke. Am Schönsten aber bleiben die lustigen Momente, die du uns schenkst, lieber STEALTH, etwa als mal eben spontan nukleare Bedrohungen aus dem Nichts am hellblauen Himmel auftauchen, als ein Hochhaus in Myanmar mitten in der Grossstadt zusammenstürzt und der Militärpapst laut "0% collateral damage" schreit oder als ein Osama Bin Laden Verschnitt seine nuklearen Sprengköpfe mit Eselkarren in seine Ritter-Burg transportiert. Danke dafür, lieber STEALTH!

I would like also to thank god, Rob Cohen, W.D.Richter und der Rest der Bagage.

#648 moodswing

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Geschrieben 27. Januar 2008, 15:58

In Brooklyn, nachts um halb eins... - Über brennende Raubkatzen und ihr Gefolge

Foxy Brown
Jack Hill, USA 1974
|
"Self justice is as American as apple pie." Mit besten Blaxploitation Absichten versprüht Pam Grier aka FOXY BROWN den Charme des modernen, hippen Black America der 70ies. Zwischen Latzhosen und braun-fleischigen Melonen plätschert die halb vermännlichte, überfrauliche und voll begierige Heldin im hellroten Kunstblut, erholt sich von Hinterwäldler-Vergewaltigungen (Achtung: Backwood-Slasher!) und Heroinüberdosen, und zerschlägt mit Black Power das Drogenkartell der Widersacherin, kastriert nebenbei ihren Schatz und damit auch gesellschaftliche Strukturen, in denen Schwarze immer noch als Sklaven gehalten werden, mindestens von der Drogenmafia. "The darker the berry, the sweeter the juice, honey."

Coffy
Jack Hill, USA 1973
|
Der legitime Vorgänger des heißen Gänsebratens Foxy Brown. Schon dort nice & smooth, dirty & naughty, geschmeidig wie eine Katze und bissig wie ein Hund. Mochte ich nicht ganz so gerne wie noch die Foxy Lady, was mit einigen dramaturgischen Löchern zu tun hat, aber insgesamt natürlich der Griff in dieselbe Goldschatulle. Die geballte Blaxploitation-Faust gegen alles, was redet und nicht singt - Coffy macht mobil, schwarzer Stoff für trübe Tassen aus weißem Porzellan.

The Mini-Skirt Mob
Maury Dexter, USA 1968
|
Wie frisch deutsche Syncros für amerikanische Bikerfilme der 60er/70er noch klingen können, welch eigene praktisch physikalische Zustandsänderungen sie dem Original zu geben vermögen, beweist THE MINI-SKIRT MOB. Den vermeintlich halbfeministischen Reigen um toughe Frauen auf heißen Öfen bekommt man wohl eher in DEATH PROOF zu sehen, hier geht es doch mehr um die beschränktere Art des männlichen Voyeurismus, in einen Western-Road Movie gepackt. 15 Minuten vor dem Schluss riss leider die Filmrolle, ca 6x versuchte man sich der Reanimation bevor die Vorführung endgültig abgebrochen wurde. Das war es dann wohl mit der letzten Kopie der deutschen Fassung des Films. Ein ehrwürdiges Ereignis.

Action Jackson
Craig R. Baxley, USA 1988
|
Alles in allem ein äußerst solider Actioner, könnte sich aber für meinen Geschmack seiner Sache durchaus etwas bewusster sein. Da wünscht man sich, der gutste Carl Weathers hätte mal auf den Tisch gehauen und gesagt "My black ass should rock this movie, yeah". Stattdessen recht viel 08/15 Sprüche und keine allzu spektakulären Ereignisse. Schön, kommt aber leider nicht über den Status eines RTL2 All-Time-Classics hinaus.

#649 moodswing

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Geschrieben 28. Januar 2008, 14:10

Hulk
Ang Lee, USA 2003

Jump'n'Run'n'Cry im digitalen Blockbusterzirkus

Zwischen liebevoller Hommage, kunterbuntem Comicstrip und melodramatischem Blockbuster entwickelte Ang Lee 2003 seine Vision vom HULK. Überfliegt man Lees Oevre ist und bleibt HULK ein sonderbarer Ausnahmefall, auch wenn er noch so kautzig und sympathisch ist. Das Schönste am Film ist gleich sein Beginn, seine hyperwilden Schnittreigen, sein bloßer Wille zum Panelmarathon und der Fühlgang zur Sprechblase. HULK ist Comic pur und es macht Freude zu sehen, das dort ein bunter Farbtopf über ein Blockbustergerüst ausgeschüttet wurde.

Angenehm bleibt es auch im weiteren Verlauf und doch weiß der Film nicht mehr so zu überzeugen wie noch am Anfang als er frei und unverkrampft drauf los wirbelte. Lee zeigt sein lobhaftes Bestreben ernsthafte Psychologisierungen zu installieren, er zeigt eine Welt mit versagenden Vätern, sich durchbeißen müssenden Kindern und freudschen Vatermordmotiven. Auch das macht Spass, korreliert mit dem grünen Digitalmonster aber nicht mehr wirklich auf einem Level. Lee weiß natürlich um seine Geschichte, um den Mythos, das Wilde und Unzähmbare im Menschen, den zu kontrollierenden Todestrieb, die zähmende Liebe zum Weib. HULK ist ein Blockbuster zwischen Tradition und Moderne, manchmal zu viel rempelnd, aber erfrischend und seiner Vorlage treu bleibend. --- 7,0

#650 moodswing

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Geschrieben 29. Januar 2008, 14:25

2 Meister und ihre kleinen Schätze

Simón del desierto
Luis Buñuel, Mexiko 1965
|
Buñuels bestes von mir bis dato gesichtetes Werk. Stilisiert und schwarzhumorig zersetzt er den Jesus-Mythos in einzelne, fast burleske Fragmente. Besonders schön wird es dann, wenn der Satan als barbusige Blondine ins Bild tritt und es beim dritten Versuch auch schafft Simon zu verführen. Der landet sodann in einem New Yorker Club, in dem die verdorbene Jugend wie wildgeworden zu Rock'n'Roll abtanzt. Teufelin freut sich, Simon guckt dumm aus der Wäsche, Film aus. Schade, denn die 45 Minuten hätten ruhig auch doppelt so lang sein können, nur ging leider auf halber Wegstrecke das Geld aus. Ein wenig ausgearbeiteter wäre dieser auch an die starken Jodorowskys erinnernde Lump ein kleines Meisterwerk geworden.

Stereo/Crimes of the Future
David Cronenberg, Kanada 1969/1970
|
Cronenbergs erste zwei Langfilme sind experimentelle Kinokonstruktionen, die thematisch den Weg des Kanadiers vorzeichnen. STEREO als auch CRIMES OF THE FUTURE erinnern vage an Stanley Kubrick - vornehmlich sein kurz zuvor entstandenes Meisterwerk 2001 - in ihrer Konzentration auf Architektur und Kälte, die zwei bestimmenden Merkmale der zwei 60 Minüter von Cronenberg. In beiden Filmen wird eine Art Wissenschaftstagebuch eines Erzählers über für sich stehende Bilder gelegt. Wo das Konzept bei STEREO, in dem Telepathie (pseudo)wissenschaftlich behandelt wird, aber schnell an seine Grenzen stößt, kann CRIMES OF THE FUTURE mehr Ausdauer und Atem beweisen, schlicht dadurch, dass Cronenberg sein Szenario satirisch aufläd. Neben der diesmal auch etwas einfacheren Tagebucherzählung im Off setzt er eine Geräusch- und Tonkulisse und eine stärker narrativierte Geschichte durch die Bilder. Das tote Wissenschaftsgelände wird besiedelt von androgynen Männern, die an übrig gebliebenen weiblichen Objekten (Unterwäsche, Nagellack) ihr Dasein "ableben" oder sich eben schlicht selbst "feminisieren". Sex und body horror werden in der burlesken Dystopie zum bestimmenden Narrationskatalysator, trotzdem bleibt auch CRIMES OF THE FUTURE am Ende in seiner feinen Durchgeknalltheit zu chaotisch um mit den Bildern eines ERASERHEAD - mit dem er von einem imdb-User verglichen wurde - mitzuhalten.

#651 moodswing

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Geschrieben 30. Januar 2008, 15:08

3 Wege des Zynismus im luftleeren Raum

Alexander Paynes Sideways (USA 2004) ist ja nicht ganz unumstritten und das sicherlich auch zurecht. Der Film muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er seine Figuren immer genau so in Szene setzt, wie er im Zuschauer gerade gerne Gefühle evozieren will. Also immer schön lustig, schrullig und das Losertum ausstellend, dann aber per sanftem Schnitt und traurigem Score doch auch mal wieder ganz bedrückend. Funktioniert natürlich nicht, so ein Kuchenbacken mit Scriptrezeptur aus dem Fernsehen. Wenn ein Film seinen Figuren so wenig Ernst entgegen bringt und ihr Leben so oberflächlich abarbeitet, kann er kaum darauf bestehen, dass wir sowas als Tragikomödchen durchgehen lassen. Ganz peinlich ist dann dementsprechend der Schluss, an dem der Film auch noch ernsthaft den Spagat zwischen Charakterdrama und süßlichem Hollywoodending probiert. Das unaufhaltsame Treiben des Protagonisten in die Depression mit folgendem Selbstmord bekommt mir nichts dir nichts die rettende Erlösung vorgestellt und lässt uns dann im Glauben, dass ja doch alles gut wird. Nach all dem verlabertem, inhaltleeren Schauspielertraining kommt er hier zu dem Punkt, der ihn entlarvt als eben jene heiter-harmlose Klamotte, als die er 04/05 so zu Unrecht gepusht wurde.

~~~

Es ist schon erstaunlich, welchen Weg der gute Guy Ritchie in kürzester Zeit gemacht hat. Wurde er vor ca. 8 Jahren noch als europäischer Tarantino gehandelt, erfreuten sich die Kinogänger noch an Brad Pitts chargierendem Overacting als boxender Bauer, ging von da an für Ritchie die Reise im Filmland stetig bergab. Mit nur einem Film - Swept Away - machte er sich so unbeliebt und zeigte so unbarmherzig, wie tief er sinken kann, dass seither niemand mehr etwas von ihm wissen will und alle, die ihn 2000 noch hochjubelten sich beschämt abdrehen. So kommt es auch, dass Ritchies neuer Film Revolver (F/UK 2005) vollkommen untergegangen ist. Und das obwohl er wieder in sein altes Cockney Gangster Milieu zurückgekehrt ist. Und das obwohl Ritchie hier noch weiter ausformuliert, was er mit Lock, Stock and two Smoking Barrels und Snatch 1998 und 2000 begonnen hatte. Glattpoliertes, durchgestyltes und maniriertes Rüpelkino, bei dem rasende Bilder mit psychotischer Narrativik und dämlichen halb-philosophischen Weisheiten zusammengewürfelt werden, als hätte man einen Hooligan von Manchester United ein paar Erzähl- und Bildfetzen gegeben mit denen er nun an den Schnittmaschinen munter machen kann, was er will. Typisch zynisch und grotesk. Nicht abgedreht, sondern schwachsinnig. Guy Ritchie hat im Übrigen kürzlich einen weiteren Film gedreht - Für's Fernsehen...

~~~

In welch elende Gefilde es meinen Zynismus schon getrieben hat erkenne ich daran, das ich über solch einen Schmonzes wie EuroTrip (Schaffer/Berg/Mandel, USA 2004) gelegentlich lachen kann. Ich kann da einem Film nicht böse sein, der alle Italiener auf das Bild eines aufringlichen, betatschenden Schwuchtels herunterdividiert. Auch die kleine Szene in Deutschland finde ich nicht schlecht, wenn der brave Bengel den Hitler hinterm Rücken seines Papas macht. Bezeichnend, das in der Anfangsmail "Zussammen" richtig schön falsch geschrieben wird und auch der deutsche Duden nur "Zussammen" kennt - ein kleiner Seitenhieb gegen die eigenen Unzulänglichkeiten oder doch pure Fahrlässigkeit? Ich weiss es nicht, denn EUROTRIP ist zwar albern, aber nicht so affig, das er ärgerlich wäre...

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Geschrieben 31. Januar 2008, 17:28

2000 - 2005: Das Ende der Historienepen?
Vertreter der zweiten Welle und ihre Makel

King Arthur
Antoine Fuqua, USA/Irland/UK 2004
|
Mit der neuaufgelegten Heldensaga haben Fuqua, Franzoni und Bruckheimer eine durchaus uneitle und aktualisierte Variante des Epos hingelegt. Die im Schlamm watenden Kriegsbilder werden umrahmt von einer griffigen, politischen Zerfransung, die zwar unausgegoren, aber immerhin platziert und kritisch ist. Das dekadente, römische Imperium ist kurz vor dem Fall, seinen Werten untreu werdend, im Delirium seiner Macht narkotisiert. Dem Gegenüber stellen sich unsere Helden um KING ARTHUR - die traditionelle Saga abgeändert auf den Kern und Grundmotive minimiert - als edle, den Tugenden des Reiches noch verschriebene Kämpfer um Humanismus und Gerechtigkeit. Dann sind da noch die Sachsen, faschistoide Arierproleten mit einem hervorragenden Stellan Skardgard und einem in jeder Hinsicht minderbemittelten Ziegenbärtchen Til Schweiger. Politisches Allerlei, das nicht durch die schmutzigen Kampfszenarien, sondern eher das lahme Happy End etwas getrübt wird: "We made a test screening and the people didn't like the rough ending, so we decide to reshoot a happy end with marriage and all this stuff. That was okay with me." Fuquas Kommentar entschwand nach 30 Sekunden, während das "Alternative Ending" noch 2 weitere Minuten lief. Keine Glanzleistung also, aber für einen Bruckheimer weit mehr als erwartet. Der schönster Satz der Produktion ist übrigens im Making of zu finden. Fuqua steht da wie ein Rapper auf der Bühne vor seinem mittelalterlichen Publikum in Kostümen und sagt: "Show me your waepons. I wanna see all your weapons in da air!" Word!

Kingdom of Heaven
Ridley Scott, UK/Spanien/USA/Deutschland 2005
|
Was für ein Produktionsdesaster! Da dreht Ridley Scott den vermutlich besten Historienepos aus der Riege der neueren Versuche (Alexander, King Arthur und der desaströse Troy), und schneidet (sich selbst ?) dann ins eigene Fleisch. Die 50 für die Kino- und FSK 12 Version herausgeschnittenen Minuten scheinen tatsächlich komplett aus den Schlachtszenen zu bestehen, die dem Werk nun in jeder Hinsicht fehlen. Dramaturgisch fehlen die Fixpunkte dahingehend, dass die Anteile an Dialog- und Innenraumszenen nun so stark überwiegen, dass die wenigen Schlachtensequenzen kaum mehr auffallen. Die zerstückelten Häppchen des Gemetzels - dass es sein soll und dem Film ist damit nur ein weiterer inhaltlicher Aspekt der Gesamtaussage abhanden gekommen - wirken zusammengeschustert und nur zu häufig finden sich nach 30 Sekunden Schlacht Blutlachen von Tagen in den Folgebildern. Scotts Genrewiederbeleber und Vorreiter für die neue Welle Gladiator konnte sich in seinem Pathos vor allem durch die Optik und die emotionale Lenkung des Zuschauers herausstellen und beweisen. Den entscheidenden Faux Pas beim Kinderschnitt von KINGDOM OF HEAVEN leistet sich der Verleiher, Produzent oder wer auch immer die Verantwortung trägt genau hierbei: Der federführende Aspekt der emotionalen Einbindung bleibt in KINGDOM OF HEAVEN nun auf der Strecke, denn mit wem soll man nun fühlen, wo doch die Vorgeschichten ausblendet werden (Der Tod der Frau des Protagonisten, die Vergewaltigung der Schwester des muslimischen Anführers, die Hinrichtungen der Bösewichter)?
Was übrig bleibt ist eine eigentlich passende, zeitgeschichtliche Allegorie auf Religionskriege und aktuelle politische Konstellationen. All das natürlich heruntergebrochen und möglichst pathetisch und heroisch inszeniert - Orlando Bloom spielt den astreinen, keimfreien Descent Guy ohne Makel - aber hakt man das, zusammen mit einigen Genreklischees, als Blockbuster-Standard ab, beinhaltet die Geschichte dahinter weitaus mehr als die am Anfang des Textes angesprochenen Werke. Der nun erschienene Director's Cut muss bei einer sinnigen Bewertung des Films zu Rate gezogen werden, doch festzuhalten bleibt: Selten hat eine für das Kinopublikum zurechtgeschnittene Fassung mehr vom Originalfilm kaputt machen können.

#653 moodswing

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Geschrieben 02. Februar 2008, 17:47

Partikel - Auge - Angst
3 x Kino

Staub
Hartmut Bitomsky, Deutschland 2007
|
Drei Perspektiven schlägt der Dokumentarfilm STAUB auf sein Thema vor: Zum Einen ist dort die existenzielle, poetische Ebene. Staub als Galaxien- und Sterneerzeuger, Beweismittel des Lebens, Wolkenschöpfer, Natureingreifer und kleinster Bestandteil des Lebens. Dann der selbstironische Blick: Eine Frau, die zwanghaft in Putzwahn verfallen ist, die Wohnungen nach "Putzbarkeit" aussucht und die auf die Frage was denn die schmutzigste Stelle im Haushalt blitzartig antwortet: "Der Fernseher!" Den schraubt die einzeln auseinander um die die Wände in der Badewanne zu reinigen. "Wissen sie das 95% des Hausstaubs menschliche Stoffe wie Schuppen oder Hautpartikel sind?" - "Ja kann sein, ist egal." Der Staubsauger röhrt in den Raum hinein. Dann die Schock-Bilder von 9/11 und dem alten abgerissenen DDR-Staatspalast, der in mir die Angst auslöst, weil auch ich einst in einer Wohnung mit Asbestheizung lebte. Und dann das, was dem Film in dieser Menge nicht gut tut: Wissenschaftliche Erklärungen en masse. Feinstaubmesser hier, Museumsstaubreiniger da, Feuchtstaubsaugerhersteller dort. Zuviel des Unnötigen, der Film verliert etwas, obwohl er durch sein Ambiente wieder duzugewinnt: Abgefuckte Industrieanlagen weisen auf eine wesentliche Funktion des Staubes hin: Das Aufzeigen von Symptomen.

Le Scaphandre et le papillon
Julian Schnabel, Frankreich/USA 2007
|
Ein Film, den man nicht schlecht finden kann und vielleicht gerade deshalb kritikwürdig ist. kalkuliert mit seinem Thema vom Anbeginn der Idee: Eine poetische Tränendüse, der kein Auge widerstehen kann. Ein Wort kann ausreichen. Die Nötigung des Films ist es, auch unbedingt auf das Gleichgewicht an Resignation und Lebensfreude zu achten (allein der Moral des Films wegen). Hier spürt man der Halbmockumentary das durchkonstruierte Drehbuch zu stark an. Ein weiterer Fauxpas: Mit anderen Franzosen mithalten zu wollen und soviele hübsche Frauen zu positionieren, wie es möglich scheint. Die Optik fokussiert ihr Gesicht und hin und wieder auch mal die nackten Schenkel über Breitwand - etwas pietätslos dem Thema gegenüber. Sehr positiv anzumerken: Die eindrucksvolle Widerlegung der These, dass Filme aus dem subjektiven Blick des first perspective narrators nicht funktionieren können. Und Max von Sydows Spätherbstperformance in der schönsten Szene des Films, dem Vater-Sohn-Telefonat. Ansonsten bleibt mir nur festzustellen, dass ich dringend eine Zweitsichtung benötige, um meine Gedanken mal ordnen und eine klarere Position dem Film gegenüber beziehen zu können.

El Orfanato
Juan Antonio Bayona, Mexiko/Spanien 2007
|
Ein zutiefst spürbarer Del Toro - der Film wurde von ihm mitproduziert - die gotischen, bis ins Detail ausgearbeiteten Settings, das leicht Märchenhafte, die Motive der unschuldige Kindheit, das ruhige Grauen. Und vor allem: Der Genrekonventionalismus. Was mich bei Del Toto immer störte ist auch das große Manko von El Orfenato. Er arbeitet sich an all den typischen Konstellationen und Szanarios der Geisterhausfilme ab. Solange bis man der altbekannten Storyline nur noch widerwillig folgt. Die sorgfältige Ausarbeitung lässt den Film immerhin mögen, und mit der nötigen Aufmerksamkeit darf man auch dem hochemotionalen Ende beiwohnen: Die Akzeptanz des Todes, die bis dahin so heftig negiert wurde - und die daraus folgende Konsequenz sind drastisch und beeindruckend inszeniert. EL ORFANATO findet für einen mageren Vorlauf ein dumpf-dröhnenendes, elektrisierendes Ende.

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Geschrieben 03. Februar 2008, 21:00

Erwachsen werden im Kino

Meer is nich
Hagen Keller, Deutschland 2007
|
Durchaus sympathisches Adoleszenzfilmchen, viel Lebensgefühl, die Bemühungen um Authentizität, ein naiver, aber liebevoller Blick in weibliche, deutsche Jugendlichkeit. Er versucht, nicht ganz erfolgreich, alle Klischees zu umschiffen. Er spult alle bekannteren Tracks von The Notwist runter, bis das ganze Album anschienend angespielt wurde. Er hat stets seinen Blick auf die Region ("ostblick" - der Name der Produktionsfirma), der nicht so recht zielgerichtete Drang nach Freiheit und Ablösung, sehr sympathisch positionierte family values und viele andere "Kleinigkeiten" bestimmen das lockere Szenario. "Ein wenig konfliktarm" meinte mein Kollege. Das stimmt. Das ist Pubertät: Das emotionale Durchleben, die Identitätskrise, der krumme Weg, der sich nicht auf anhieb finden lässt. Und dabei ist doch eigentlich (noch) gar nichts passiert.

Juno
Jason Reitman, USA 2007
|
Mir gefiel, wie sich das zunächst gewohnt jugendlich-hippe New Whimsy Teenchen nach und nach zur Destruktion der perfekt durchgeplanten amerikanischen Familie entwickelt. Das kennt man allerdings auch schon, gerade aus der Sparte, das Stiliseren des "Nicht-Perfekten", des Kantigen, der Patch-Work-Familie, welche jene größten Desillusionieren bereits hinter sich hat. Insbesondere mochte ich die ironisch beleuchtete "Bändigung des Ehegatten durchs Eheweib". Das Happy End hingegen war mir ein ganzes Stückchen zu "happy". Gut zu sehen jedoch, dass Reitman es nach Thank You for Smoking immerhin geschafft hat, all seine Figuren einmal nicht zu verraten.

Factotum
Bent Hamer, F/D/Sw/USA/Nor 2005
|
Lässig-lakonisches Mocku-Biopic (?) mit skandinavischem Einschlag, also mit melancholisch-sarkastischer Scheiß-drauf-Attitüde. Fragmentarisch amüsant, insgesamt aber ein zu gekünstelter Luftikuss und zu wenig geschlossen als das es wirklich begeistern könnte. Und: Factotum featured ein schreckliches Frauenbild, gegen jegliche Kritik daran der Film sich aber mit seinem nonchalant-ironischen Panzer immunisiert.

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Geschrieben 04. Februar 2008, 19:14

Nekromantik + Nekromantik 2
Jörg Buttgereit, Deutschland 1987/1991

Ein Abend in Hamburg

Es finden sich nach und nach eine große, doppelte Handvoll Leute im 3001 ein, um mit Jörg Buttgereit den ersten offiziellen Nekromantik-Abend auf seiner noch folgenden Tour durch Deutschland zu zelebrieren. Es werden gezeigt: Buttgereits NEKROMANTIK von 87 und der Nachfolger von 91. Wir sitzen (zielbewusst und kalkuliert) neben einem Geschöpf aus dem Buche: Komplett zugegeltes Haar, schwarze Bomberjacke, vergilbter Stoffbeutel mit - wie wir später erfahren durften - dem guten alten Oetti in rauen Mengen vorrätig. Das bekannte Punkergesöff wurde während der Streifen stilecht mit den Zähnen geploppt. Daneben fühlt man sich mit seinem grundsoliden Astra als ob man der Jurahurensohn wäre, der auf Partys, auf die man sich fälschlicherweise verirrt hat, neben einem stolz sein Becks Gold trinkt.

Unser Homeboy also telefoniert nochmal kurz vor Beginn: "Jo, ja nee, also ich sitz jetz im Kino, 3 Stunden mindesdens äy. Hab mir schon 2 Autogramme vom Butti geholt und nachher hol ich mir nochmal eins." Ich liebe diesen Kerl, weil er hier nur anfängt aufzuleben.

Eine kurze Einführung, die unser Freund mit Zwischenrufen wie "Wir ham unsern Spass." und lauten Klatschattacken umrahmt. Dann der Film. Unser Mann vom Dienst äußerst sich stetig. Mal grummelnd, mal raunend, mal unzusammenhängende Laute von sich gebend. Orgastisch feiert er die Sequenz in der die Katze im Sack totgeschlagen wird. Immer wenn die füllig-massive Filmmusik ertönt (in ca. 98% des Films) schwenkt er seine Arme wie ein Dirigent. Hier ist er wer, hier darf er sein. Scheiß wat auf Paradoxien: NEKORMANTIK 4 life.

Viel wichtiger als der Film aber: Das nach dem Film - Die Diskussion. Menschen kriechen aus ihren Kinosesseln und bequemen sich zu Beiträgen wie: "Herr Buttgereit, ich fand ihren Film so melancholisch, so wunderschön traurig, was für eine Liebesgeschichte." oder fragen ob "da vielleicht auch ein wenig Ironie hinterstecke." oder aber regen sich darüber auf, dass das doch "unrealistisch sei, dass die Uschi ihn für einen reichen Macker verlässt, obwohl er doch die attraktiven Leichen habe." Mir wird mulmig zumute, weil ich mir gerade vorstelle, wieviele der Anwesenden wohl tatsächlich nekrophil seien. Ich muss schauen, dass ich hier lebendig rauskomme.

Dann Raucherpause, der Höhepunkt der Veranstaltung. Unser in der Diskussion seltsam wortkarge Kollege sitzt im Vorraum und ist Tacistos mit einem ranzigen Dip und Würstchen, die wir aufgrund der Gegebenheiten lieber nicht anrühren (ein guter ist immer ein konsequenter Scherz). Machoman Randy Savage kommt ins Gespräch mit einem anderen Nekromantiker. "Maneater is auch ne geile scheiße. Ich hab ja auch die ganzen Sachen vom Ischenbach." Der andere erwidert sich in Sicherheit wiegend: "Ja, und Uwe Boll is auch geil." Aber da hat er die Rechnung ohne unseren Master-at-Work gemacht: "Nee, Boll is scheiße." Das Argument sitzt.

Weiter geht's nach kurzer Aufwärmrunde im Kino. Unser Mann schaltet sich jetzt auch ein in die Diskussion mit Buttgereit. Nachdem JBG anmerkt, dass man darauf achten solle keine japanischen DVDs zu erwerben meint unser Atze "Jo, die japanische Pressung hab ich auch. Geile scheiße." Buttgereit reagiert unsouverän, nämlich praktisch gar nicht auf den halben Störenfried. NEKROMANTIK scheint ihm doch noch mehr wert zu sein, als das Eingeständnis, dass er damit vielleicht auch ihm unliebsame Zeitgenossen angezogen hat. Unser ganzer Kerl sitzt dann in seinem Sessel und grübelt: "Was wollte ich denn noch fragen?" Dann schlagartig die Erkenntnis: "Herr Buttgereit, was sind ihre nächsten Projekte?" Auch das unliebsam, denn die gibt es nicht. "Am 4.12. wird Durch die Nacht mit... ausgetrahlt. Ich habe Regie geführt." Unser Homie notiert sich das eifrig auf seinem Unterarm. Dann beginnt NEKROMATIK 2 - genüsslich bewegt unser Nachbar wieder die Arme im Takt - Zurück in seine Welt.

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Geschrieben 05. Februar 2008, 14:24

Alices Hase ist braun!
Kino-Wunderland und Märchenwald

Innocence
Lucile Hadzihalilovic, Belgien/Frankreich/Großbritannien 2004
|
Ein perfekt kadriertes Märchenkino für Erwachsene. Farbige Frames, fliegende oder fixierte Kameras, Unschuldsvermutungen, Naturergebenheit und ganz viel Intuition. Mädchenkino. Zwischen Bresson und Argento (die Einflüsse laut Regisseurin), lynchem Mysterienrauschen und der fast boshaften Eigenwillikeit eines Noé, dessen Cutterin Hadzihalilovic zuvor war. Das ist so wunderschön und so schleichend und unnützer Ästhtiszismus, das es pures Kino ist. Eigentlich was für die Festivals, aber Hadzihalilovic war wohl noch zu jung für irgendwelche Wettbewerbe, Ehrungen und Aufmerksamkeiten. Ich staune immer noch über die überragende Optik. Und ich habe eine Interpretation, der nur der Schluss abgespenstig wird. INNOCENCE ist neben einem Naturfilm vor allem ein postfeministisches, nein nicht Manifest, dafür ist er zu ruhig. Eher eine Vision, die bei der Entlassung der Mädchen in die Gesellschaft unkommentiert bleibt. Die Bösen in Hazislovics Märchen sind die Frauen, eher die strukturelle Gewalt, der Zwang, den sie sich selbst erzieherisch gegenseitig antun. INNOCENCE ist keine leuchtende Glanztat, aber eine fruchtig graziöse Liebelei mit dem Medium Kino.

The Brown Bunny
Vincent Gallo, USA/Japan/Frankreich 2003
|
Die Aufregung um den braunen Hasen verstehe ich nicht. Ist ja nun nicht so, dass dort Lynch im Hasenkostüm im braunen Hemd mit Hakenkreuzfahne im Ärmchen auf der Bühne steht und das "unbesiegbare Deutschland" von der Kanzel betet. THE BROWN BUNNY ist kein Schocker vom Ausmaße eines IRREVERSIBLE. Stattdessen eine müde Blowjob-Szene und ein ansonsten belanglos biederer Schuld-und-Sühne-Road-Movie mit sauber getrennten Männlichkeits-Geschlechter-Krisen-Sequenzen und unmotivierten Melancholie-Asphaltpassierungen mit immerhin hübscher Musik zum Zeitvertreib. Und mit einer hinten drauf konstruierten Geschichte, ganz wie in klassisch zerschnibbelten Genreproduktionen vom Fließband. Gut, im Wettbewerb von Cannes sicherlich ziemlich verwirrend, aber da lief auch schon ganz anderer Arthouseschrott von ärgerlicherem Kaliber. Aprospos, der braune Hase lief anscheinend gerade deshalb dort, weil er so eine schöne Mischung aus fast ad absurdum geführter amerikanischer Genretradition und europäischem Arthouse mit all seiner elenden Bedeutungsschwere ist. Nur das Schlechteste von allem. Inklusive Provokation für Pauschal-Festival-Touristen. Billige Berechnung eines Festivals und PR-Gedöns für eine Flachpfeife von Film.

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Geschrieben 07. Februar 2008, 03:18

Weihnachten 2007


Lernt man Billy Wilder lieben, dann schätzt man vor allem seine pointierten Feinheiten, seinen Charme bei der Kopplung von scharfem Gesellschaftsblick und den Genremotiven der Komödie. Die gibt es auch in Witness for the Prosecution zu sehen. Eigentlich aber geht es dem Film um die gewitzte Aufdrosselung einer Krimigeschichte und das wirkt angesichts des Schaffens Wilders doch eher ein wenig popelig.

Alfred Hitchcocks Klassiker The Birds ist bei einer unterzogenen Neubetrachtung vor allem sein Hin- und Herhüpfen zwischen verschiedenen Diskursen zugute zu halten. Ob nun populärpsychologisch (Der Angriff des Unterbewussten), politisch (der Kommunismus), atmosphärisch (die Apokalypse) oder ökologisch (Der Rückschlag der Natur) - The Birds ist alles und nichts und eigentlich aber auch nur ein überkonstruierter, abstruser Tierhorrorfilm, versetzt mit einigen von Hitchcocks Lieblingsmotiven (Die kühle Blonde, Mutter-Sohn-Konstellation). Fällt von daher auch gar nicht so besonders heraus aus seinem Oevre.

Der glücklichste Kniff den die Harry Potter Serie ereilen konnte, war das Einsetzen von Alfonso Cuarón als Regisseur des dritten Teils Harry Potter and the Prisoner of Azkaban. Die von den ersten beiden Teilen ultrakonservativ erzählte Geschichte für Vorschulkinder kommt damit in ein weitaus düsteres Kapitel, das sich erstmals auch ansehen lässt ohne komplett wegzunicken. Cuarón versteht es einen zweifelnderen, dunkleren Familienfilm zu inszenieren, eine Welt die eventuell doch ein wenig schlimmeres verbergen mag hinter dem kunterbunten Fantasyeinerlei, das die meisten der Epos-Protze vor sich herschieben und wahllos kombinieren, ohne eine wirkliche Geschichte zu erzählen. Mehr als der Harry Potter Reihe ein Fragment hinzufügen, kann Cuarón allerdings auch nicht, von daher ist dieser dritte Teil nur ein kleiner Ausschnitt des "Wie es hätte aussehen können".

Kennt man Einen, kennt man alle like Anything Else. Wer möchte eigentlich Woody Allens Manhattan-Laber-Rhabarber-Selbstbeweihräucherung noch sehen, die nach den ersten netten Filmchen des New Yorkers die Repetitierung der Upper-Class-Intellektuellen-Komödie erfunden zu haben schien. Und solche Schmunzeletten wie Bananas oder Annie Hall sind nun schließlich auch schon ein paar Jährchen her. Woody weiß das ja auch glücklicherweise selbst, dass er schon seit Jahren am kreativen Nirvana angelangt ist, nur helfen tut's nichts, er dreht ja immer noch fleißig weiter, scheinbar gar mehr als je zuvor. Auch Anything Else verpufft im Laufe seiner Redezeit, und bietet sich dazu an, am Filmrollenende den Schnipsel vorzubereiten für das direkte Ankleben von Allens nächstem Blick auf junge Neurotikerinnen (mit Brille, Titten und Arsch) und neurotische Jünglinge (mit Brille, Sprachfehler und Pointenzwang). Der nächste Allen kommt bestimmt, so sicher wie die nächste Weihnachtsgans.

Auch im dritten Anlauf muss ich feststellen, das mir Blade Runner nicht zusagt. Gotteslästerung? Vielleicht, für mich aber auch ein Beweis der Verhaftung des Films in seiner Zeit. Denn wer ihn liebt, kennt ihn seit seiner Geburt in den 80ern, Blade Runner Lieben ist also mit Sicherheit auch ein Phänomen des Zeitgeistes. Trotz diskursiver Tiefe mag ich den Film nicht besonders, vor allem wegen seiner im Kern sehr einfach gestrickten Detektivgeschichte. Dazu bin ich anscheinend nicht Genreliebhaber genug.

Ein weiterer Classic, der mir partout nicht gefällt, ist Mike Nichols Kriegssatire Catch-22. Der Film ist in seinen besten Momenten ein bizarrer Trip in die komplette Durchgeknalltheit einer Kriegssituation, ist mir insgesamt aber nicht stringent und pointiert genug. Catch-22 ist auch kein Kandidat aus der Spassfraktion, sondern ein Werk, durch das man sich zwingen muss. Sicherlich ein New Hollywood-Gigant, aber weit mehr auf experimentellem Terrain als noch Nichols andere Großtaten wie The Graduate und Who's Afraid of Virginia Woolf?

#658 moodswing

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Geschrieben 08. Februar 2008, 16:36

Bergman zur Weihnachtszeit


Det Sjunde Inseglet
Ingmar Bergman, Schweden 1957
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Auch über zwei Jahre nach der Erstsichtung stimmt mich Bergmans Bekanntestes unter seinen Mittelalter-Szenarien nicht zufrieden. In der deutschen Syncro wird die Diskrepanz von ernsthaftem Anliegen und querhumorigen Lustspielnummern noch verdeutlicht. Mehr noch, DET SJUNDE INSEGLET bestätigt nur zu gut die Kritikpunkte an Bergman, weil hier ein Drehbuch direkt aus einer ursprünglichen Theaterprobe für seine Schauspieler entwickelt wurde - so rasant, so wenig pointiert, das es mich bei nachträglicher Sichtung stets wundert, dass dieser Film so viel Ruhm zugesprochen bekommt, wo er doch nicht mal zu den besseren seiner Werke zu zählen ist und mit THE MAGICIAN gleich im Anschluss eine direkte Weiterentwicklung im Kanon des Regisseurs stattfand.

Winter Light
Ingmar Bergman, Schweden 1962
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Ein Film, der pure Stagnation ist. Die reinste Selbstaufgabe, streng apathisch, ziemlich rücksichtslos, fast apodiktisch apokalyptisch. Das ist deswegen so unangenehm, weil der Film sich jeglicher Dynamik verweigert. Die Einstellungen quälen in ihrer Bedeutungsschwere, obwohl sie doch so von Leere beseelt sind. Die vollkommene Abwesenheit von Kommunikation, von Gefühlsaustausch, eisige Kälte in sakralen Gemäuern. Das ist als Konzeptkunst zwar nobel, aber doch so unendlich anstregend und deprimierend, weil auswegslos vom Ende jeglicher menschlichen Beziehung redend (eher schweigend). Ganz harter Tobak zum Weihnachtsfest.

#659 moodswing

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Geschrieben 19. Februar 2008, 12:50

Sin vs Suspect Zero
Michael Stevens, USA 2003 vs E. Elias Merhige, USA 2004
Wir waren mal Stars

Mitte dieses Jahrzehnts, also seit etwa 2 bis 3 Jahren wird nach und nach klar, dass die Zeit vorbei ist, in dem man besonders trickreiche Kombinationen im "After-SEVEN" Genre ausprobieren kann. Die Sache wurde langsam zu durchsichtig. 95 ist lange vorbei und keiner der Versuche hat es je geschafft an die Klasse des stärksten Thrillers der 90er heranzureichen. Und trotzdem: Kurzweilige Unterhaltung hat man ja doch immer wieder erleben können.

Mit SIN und SUSPECT ZERO waren 2004 nochmal zwei Nachwehen der guten, alten Zeit spürbar. Nachwehen, die mit dem Seismographen allerdings schon nicht mehr messbar waren. SIN hat es gerade einmal in England auf DVD geschafft, SUSPECT ZERO durfte immerhin noch auch an deutschen Kinokassen Baden gehen.

Und dabei besitzen beide Filme eine ganze Stange an klangvollen Namen. SIN präsentiert das Duell Ving Rhames gegen Gary Oldman und hat einen Gastauftritt von Brian Cox zu bieten. SUSPECT ZERO hingegen lässt Aaron Eckhart und Carie Ann Moss nach Ben Kingsley suchen. Optisch nehmen sich beide Filme Zeit, ein vielgeliebtes düsteres Sujetbild zu kreieren.

In SIN stellt sich dezidiert die Frage nach moralischer Integrität, der auch ein geschlauchter Ving Rhames am Ende kaum mehr im Ansatz entsprechen kann. Gary Oldman hingegen - bis dahin brutalst pervertierter Arsch - hält seine letzte Buße und Beichte im Schlammloch ab. Die Studiokulisse - das Schlammloch deutet es an: Vor eventuellen Unfreiwilligkeiten ist SIN nicht gefeit, das Herumgeschnibbele am Schnitttisch ist zu bemerken, manche Dialoge bös chargierend. Und trotzdem: Unterhaltsamer, als so mancher Flick, der die Kinoleinwand erreicht.

SUSPECT ZERO orientiert sich visuell noch weit mehr an derzeitigen Up-to-date-Standards: surreale Traumsequenzen, wilde Schnittgefüge, satte Farben. Trotzdem ist SUSPECT ZERO keine Besonderheit, und gerade narrativ merkt man dem Film seine Schwächen an. Ein dramaturgisch schwach getimetes Chaos lässt Elias E. Merhige, dessen SHADOW OF A VAMPIRE mir schon letztes Jahr mehr als missfiel, in SUSPECT ZERO los. Obwohl der Film zunächst viele Überlegungen evoziert, befördert er sie letztlich doch ohne Plottwist ins Nichts. Das ist zwar eigentlich ganz sympathisch, bringt dem Film aber am Ende auch keinen Schwung mehr, den er doch benötigt hätte.

#660 moodswing

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Geschrieben 21. Februar 2008, 13:59

Catch Me If You Can
Steven Spielberg, USA 2002

1. Spielbergs Geschichte des American Way, vom braven College Boy (Tellerwäscher) zum Millionenbetrüger (Millionär), der schlussendlich doch noch den guten Weg findet, praktisch untergebracht im modernen Biopic-Format.
2. Emotional geht es nur um family values. Was passiert, wenn sich die Eltern (praktisch unmotiviert bzw. nicht ins Bild gesetzt) scheiden lassen? Der Sohn steigt aus bzw. in den Zug und fängt an zu betrügen. Der Vater wird zum Zyniker, der am Ende auch noch einen unwürdigen (wieder nicht ins Bild gesetzten) Abgang hat. Die letzte Szene, die uns mit dem Baseballschläger auf die Moral des Filmes stösst meint dann der Sohnemann sucht doch nur das Familiäre (am neuen Haus der Mutter, natürlich zufälligerweise an Weihnachten).
3. Frauen sind blonde, kleine Dummchen. Alle. Ausnahmslos. Sie alle giggeln ganz viel.
4. Franzosen sind ein Barbarenvolk, das die Leute in den Gefängissen verhungert lässt.

Muss sowas sein, in solch einem dynamischen, schwungvollen und kurzweiligen Film?





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