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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern - Filmforen.de - Seite 20

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24 Frames/Sec - Spektralanalyse & Halogenflackern


818 Antworten in diesem Thema

#571 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 24. September 2007, 17:10

Stresenale - Tag 7

Die Entblößungs- wird zur Inszenierungsstrategie in Romuald Karmakars Hamburger Lektionen (D 2006). Manfred Zapatka verließt zwei Reden von Muhammed Fazazi, einem Hassprediger, der als Ratgeber (und wohl auch maßgeblicher Aufhetzer) der Hamburger Gruppe in größtem Maße mitverantwortlich für die Terroranschläge von New York, Madrid und Casablanca war. Zwei Reden von ihm aus dem Jahr 2000 wurden in diversen Büchereien in Hamburg per Tape vertrieben, liegen eins zu eins vor. Zapatka gibt diese orginalgetreu wieder; skeletiert den Text, die Ideologie; rationalisiert das Gegebene, verändert das Dispositiv von hitziger Phonetik zu vorlesender Erzählerdistiktion; erzeugt über die Monotonie nur mit Hilfe von eingeblendeten Untertiteln Gänsehaut ("Viele Teilnehmer brechen in Jubel aus. Einer ruft Allahu Akbar! Gott ist groß!") - Inmitten eines "objektiven" Gestus werden die mittelalterlichen Anschauungen und deren Phrasierungen erst so richtig deutlich. Das Filmexperiment macht begreiflich, macht unbegreiflich, macht schläfrig, lässt aufschrecken. HAMBURGER LEKTIONEN ist ein Marathon an Gefühlen mit Kurven nach oben und unten ausschlagend - anstrengend, schwer verdaulich, aufregend, monoton. Ein kleiner Film über ein großes Thema, eher sogar ein minimalistisches Theaterstück über einen maximal politischen Affekt. Es lässt sich sagen: Ein neuer Ansatz. Ein interessanter Ansatz. Vielleicht nicht unbedingt ästhetisch überzeugend. Es lässt sich auch fragen: Ein effektiver Ansatz? Ein nötiger Ansatz? Klare Antwort: Absolut. Lange keinen Film mehr gesehen, der mich über ein politisches Thema auch im Nachhinein noch so stark reflektieren hat lassen.

Andrew Dominiks The Assassination of Jessie James by the Coward Robert Ford (USA 2007) ist ein Film, der im Nachhinein gewinnt. Eher ein Werk, das im Moment der Rezeption nur aus Bildern, Musik und Schauspielkino besteht - in gewisser Weise distinguiertes Hollywoodhandwerk - das mit den letzten Zeilen aber dazugewinnt und erst dann seine Seele richtig offenbart. Beim Erstkonsum ist THE ASSASSINATION OF JESSIE JAMES ein Biopic-Western, ein bisschen Psychostudie und im Großen und Ganzen schlicht episch angelegtes Historiendrama in elegischen Bildern. Beim zweiten Hinschauen ist der Film eine Studie über Brüchigkeiten von Images; Unvollständigkeiten, Nicht-Perfektion und Schattenseiten von vermeintlichen im Rampenlicht stehenden Übermenschen; sprich über die menschliche Fehlerhaftigkeit des homo sapiens, über Mythosbildung und ihre Destruktion.

New York als unsafe, ugly spot - Repräsentant für die Unsicherheiten des eigenen Volkes, das sich nur noch selbst helfen kann. Jodie Foster tut dies in The Brave One (Neil Jordan, USA/Aus 2007) - einem Film, in dem Foster als gedemütigte, alleingelassene Frau so eine Art Goodgirl-Robofrau Bereinigungsamok läuft. In New York trifft man nämlich alle 2 Nächte auf jugendliche Schläger, Vergewaltiger, perverse Freier und korrupte Finanzhaie. Die können ruhig über den Haufen geschossen werden, das meint letztlich auch der Cop. Wie man es nun lesen will - entweder zerstört das reaktionäre, unglaubwürdige und wildgewordene Szenario einen zu Anfang soliden Dramaanteil, oder aber Fosters Innenbeleuchtung eines unstabilen, sich im Angesicht seines Schicksals komplett dem Trauma ergebenden Charakters rettet den Film zumindest in mittelmäßige/ambivalente Gefilde. Für mich ist THE BRAVE ONE zumindest der bessere Revenge-Movie im Vergleich zur absoluten Übergurke DEATH SENTENCE. Und eine Kleinigkeit fand ich an dem Film sogar bemerkenswert: Fosters Gewaltvehikel thematisiert die mediale Verarbeitung des Traumas - sie schaut und hört sich die Handy-, Mikrofon-, Tonbandaufnahmen und Überwachungsvideos des Überfalls auf sie und auch ihrer darauffolgenden Taten immer und immer wieder an. Nach 9/11 sicherlich eine bedeutsame Komponente, die zeigt, dass sich die Macher dabei hin und wieder etwas gedacht haben. Nur leider viel zu selten...

Agnes und seine Brüder (D 2004) ist so ziemlich der schizophrenste Film, der mir je unter die Augen kam. Das Problem der angemessenen Dosierung von Komödie und Tragödie ist kein Neues, aber Oskar Roehler schafft es hier einen Prototyp von solch einem missratenen Bastard vorzulegen. AGNES UND SEINE BRÜDER ist genau genommen eigentlich nur eine wild herumgestikulierende Farce - ein blindwütiger Ersatzteillagerklau aus AMERICAN BEAUTY, FIGHT CLUB, HAPPINESS und einem Kino das gerne Pedro Almodovar zugeschrieben wird - natürlich stets missachtend, das so etwas auf deutsch immer ziemlich dämlich aussieht. Am Liebsten aber würde Roehler ja doch beim deutschen Kino bleiben und verkneift es sich nicht krampfhaft Verbindungen zum ollen Fassbinder herstellen zu wollen. Margit Carstensen bekommt eine Rolle, deren halbherzige Szenen mit zwanghaften Psychologisierungen am Ende auch noch der Schere zum Opfer fielen, wie man in den Deleted Scenes nachsehen kann. Spätestens hier wird diese "Schaut her, ich bin genauso durchgeknallt wie der olle Rainer Werner"-Attitüde am sichtbarsten, mit der Roehler sich gerne in die Nähe eines am Endpunkt angekommenen, hysterischen Gesellschaftportraits auf der Kinoleinwand rücken würde. Ist AGNES aber nicht. Dazu ist er zu dumm, zu kalkuliert, zu sehr Flickwerk, auch: zu deutsch und zu sehr in seiner Zeit verhaftet. Wir leben nicht mehr in den 70ern und Roehler ist kein potenzieller Überdosispatient, dem die alte historische Last und die Opa-Generation auf den Schultern lastet. Stattdessen sind wir angekommen im werbestrategisch relevanten Zielpublikum anno 2000after. Roehler inszeniert alles cool und hip, mit Special Guests (u.a. Til Schweiger und Kelly Trump). AGNES UND SEINE BRÜDER ist plumpestes Rabiatkino und sogar noch schlimmer als sein Nachfolger ELEMENTARTEILCHEN, der nach diesem Querschläger keinen mehr überrascht haben sollte...

#572 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 26. September 2007, 19:00

Stresenale - Tag 8

Ein Film, der immer bewusst gemacht haben will, dass er in die unaufhaltbare Tragödie zusteuert ist Atonement (UK 2007) von Joe Wright. Großes Gefühlskino ist das erklärte Ziel, dem mit Pauken und Trompeten entgegengeritten wird. Die Bilder schmachten nicht einmal mehr geheim nach dem Besonderen und Ergreifenden. Die Kamera weidet sich eine halbe Ewigkeit an dem Rücken von Keira Knightley und kommt davon anscheinend nicht mehr los. ATONEMENT ist ein Film mit vielen schicken Kostümen, tollen Altadel-bewegt-sich-bedeutsam-im-Castle-Shots, einer scheinbar fliegenden Kamera, viel pompöser Musik und einer tragischen Liebesgeschichte. Liest sich ein wenig wie die Anleitung zum Bausatz "How to make a successful movie focussed on the female public" oder wie Heinz unten bei uns in der Kneipe schlüpfrig-süffisant sagen würde: "Der Film will Mösen sehen!" Nur einmal wird der Schlaf dann noch gestört - Dann, wenn die Kamera im zweiten Teil 10 Minuten lang über die Schlachtfelder von Dünkirchen fliegt, als zentralen geografischen Punkt einen inbrünstig singenden Männerchor erreicht und aus dem Krieg ein stilisiertes Gemälde voller Pathos macht. What the Fuck??

Neben dem Groß an Dumpfbackenkino, dass in den USA auf die schwarze Bevölkerung losgelassen wird ("Daddy Day Camp", "I Think I Love my Wife", "Are We Done Yet?" etc.), wähnt sich zur Zeit auch ein kleiner, an das intelligentere Publikum gerichteter Film seiner Chancen: Talk To Me (USA 2007) von Kasi Lemmons ist ein Biopic über Petey Greene, einen schwarzen Radio-DJ, der in den States der 60er ein wenig Alarm schlug. Der soziale Kommentar, den der Film im Namen Greenes abgeben möchte versinkt leider in der konventionellen Inszenierung, dem rein auf Schauspielerkino hinarbeitenden Sujet (eine Oscarnominierung zumindest für Don Cheadle sollte drin sein), dem Versuch des milden tone-mixings zwischen herzigem Kino mit Witz und menschlichem Drama und des liberal-nationalen, amerikanischen Gedankens, den der Film vor sich her trägt (Martin Sheen spielt dementsprechend natürlich auch mit). Trotzdem kann ich TALK TO ME kaum böse sein - er ist ein wenig wie der nette Onkel, der zwar etwas unbedarf ist, es aber eigentlich nur gut meint. Von daher lässt sich TALK TO ME zurückgelehnt goutieren, nur allzuviel Unruhestiftung sollte man eben nicht erwarten...

Brad Andersons Low-Budget-Horror Session 9 (USA 2001) sucht sein Heil nicht in klaustrophobischen Situationen, Goreeffekten oder ähnlichen Genrespezifika, sondern entwickelt ein psychologisches Vexierspiel, dass zunächst einmal nur von seinen Figurenkonstellationen lebt und die mysteriösen Bilder im Betrachter arbeiten lässt, in dem er die Tapes ablaufen lässt und allein dadurch creepy Momente erzeugt. Am Ende gibt es nach kurzer, falscher Fährte eine Auflösung, allein der runden Dramaturgie wegen nötig, ansonsten halbwegs vorhersehbar. Wichtiger als das aber (Spoiler): Ich mag der Einzige sein - und ja, es ist überinterpretiert - aber: George W. Bush wird doch hier zum schizophrenen Monster, oder nicht? In diesem Sinne kann ich SESSION 9 ja nur ein "Bestanden" ins Heftchen stempeln...

#573 moodswing

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Geschrieben 29. September 2007, 02:33

Stresenale 2007 - Die Preise

Nach einer turbolenten Woche endet die erste Stresenale mit der Preisvergabe durch die Jury um Prof. Husada Siswanto:

Goldener Regenschirm - Hauptpreis:
Kairo/Pulse (Kurosawa)

Silberner Regenschirm - Sonderpreis der Jury:
Riten (Bergman)

Grüner Regenschirm - Spezialpreis der Jury:
Hamburger Lektionen (Karmakar)

FIPRESCI - internationaler Kritikerpreis:
Persepolis (Satrapi/Paronnaud)

Preis der Ökumenischen Jury:
Phantom Commando (Lester)

das Graue Feinstaubmessgerät für den schlechtesten Film aus Deutschland teilen sich dieses Jahr 3 Filme:
Knallhart (Buck) ; Agnes und seine Brüder (Roehler) ; Keine Lieder über Liebe (Kraume)

das Graue Feinstaubmessgerät für den schlechtesten Film International erhält:
Dominion - Prequel to the Exorcist (Schrader)

Die Stresenale verabschiedet damit alle Gäste, Festivalleiter F verbuchte einen vollen Erfolg. Wann die Stresenale 2008 aufschlagen wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Akkreditierungsanfragen werden aber schon entgegen genommen. "We will be back." sagte ein sichtlich erschöpfter Co-Moderator A. Schwarzenegger bei der Abschlussgala...

#574 moodswing

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Geschrieben 30. September 2007, 23:55

15. Filmfest Hamburg 2007

David Cronenberg hat der Stadt Hamburg die Ehre bereitet und ist tatsächlich höchstpersönlich erschienen, um sich den Douglas-Sirk-Preis des Filmfest Hamburg abzuholen. Cronenberg stellte sich brav und lächelnd den Blitzlichtern, mit humoriger, netter Rede punktend (er bezeichnete seinen neuen Film als Comedy-Musical). Cronenberg machte es dem Kulturpack leicht, das sich dankbar zeigte, dass sich überhaupt mal ein Star hierher verirrt, auf den roten Teppich, auf dem sich doch sonst nur Jessica Schwarz und ihre deutschen Fernsehkollegen suhlen. Albert Wiederspiel, der Festivalleiter, sichtlich nervös und überfordert, humorlos und schnell das Wort abgebend. Irgendein Kultursenator redet auf deutsch eine belanglose Rede und kann gar nicht aufhören zu betonen, dass Cronenberg ein "extremer Filmemacher" ist. Zu mehr analytischem Verständnis reicht es bei dem Mann nicht. Und dann der special guest, der die Laudatio auf den Preisträger hält: Matthias Mattusek. Er würde "Cronenberg mit seinem lausigen Englisch nicht langweilen wollen", also fasse er sich kurz. Matussek ist da zu Hause auf dem Klo was eingefallen, was er jetzt mehrmals wiederholend feiern muss: Er bezeichnet Cronenberg ständig als "Doktor". Tolle Idee, toller Vergleich. Er hoffe aber Cronenbergs Zuschauer seien nicht sezierte Patienten, denen er Schmerz bereiten wolle, sondern Fans. Ein ganz widerwärtigen Schlenker macht Matussek dann noch am Ende seiner "Laudatio": Er meint, Cronenberg als alter Autofreund müsse sich in Deutschland puderwohl fühlen, da es doch hier die guten, deutschen Autobahnen gibt. Würg. Ich bin währenddessen eingekeilt zwischen zwei End-20ern mit Becks Gold Flasche in der Hand und werde schon aufgrund derer Klatschattacken für Matussek ("Du, dem sein Videoblog bei Spiegel-Online ist super, musste echt mal anschauen") immer kleiner in meinem Sitz.

Eastern Promises
David Cronenberg, UK/Kanada/USA 2007
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David Cronenberg singt laut Nastrovje und wagt einen Blick in die russische Seele. Höchste Zeit möchte man sagen, angesichts der Tatsache, das die Thematik Gewalt Cronenberg in seinen Filmen immer sehr beschäftigte. EASTERN PROMISES ist eine lupenrein gradlinig heruntererzählte Gangstergeschichte, ein bisschen Noir, ein bisschen hinterlistig auch mit dem Thema Identität spielend - aber doch: eigentlich ohne Schlenker und Kurven. Viggo Mortensen, der es nach diesem Film plötzlich höchst eindrucksvoll auf meinen Zettel geschafft hat darf die Rolle seines Lebens spielen - einen lonesome cowboy, der stets nach seinen eigenen Spielregeln agiert. Naomi Watts als moralische Überzeugungstäterin, Armin Müller-Stahl als ambivalenter Übervater - sanftmütig nach außen, kreuzgefährlich und bösartig nach innen - und Vincent Cassell zwischen jugendlich-stumpfsinnigem Gangsterwahn und Männlicheitsfanatismus, und seiner homosexuellen Neigung, die er nur mit Aggression gegen Andere begegnen kann - ja, der Film hat wohl vorschnell ein Stein im Brett gehabt, denn ich mag all diesen Figuren zusehen. Trotzdem, oder eben auch gerade wegen der ersten Garde vor der Kamera: EASTERN PROMISES ist ein bedächtiges, wissendes, stilsicheres Milieumärchen, bedingt kratzbürstig und physisch, aber nie um ein verschmitztes Grinsen verlegen. Cronenberg lehnt sich mehr zurück, das merkt man ihm an. Allerdings heißt das bei Weitem nichts Schlechtes, er ist nicht faul, sondern gediegener. Den Einen oder Anderen wird das wahrscheinlich stören, mit dem Kino seiner ersten Jahre hat das nur noch in vielen Ansätzen zu tun. Die Motive sind nicht mehr vordergründig, wenn auch zuweilen immer noch radikal ausgeführt, sondern häufiger in der Handlung verstrickt. Eine Art Integrationskino betreibt Cronenberg da also vielleicht. Leichter zu konsumieren wird es für die Masse an Zuschauern damit aber trotzdem nicht. EASTERN PROMISES erinnerte mich mehr an MULHOLLAND DRIVE als an einen typischen Cronenberg. Gerade dadurch gewann er auch bei der zweiten Sichtung noch dazu. Denn er bleibt auch bei mehrmaligem Sehen formidabel, ein Film der dazugewinnt. Er ist stilsicher, schwarzhumorig und lakonisch wie eben Lynchs Bester. Vielleicht sogar ein Meisterwerk, darüber bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. In jedem Fall nach dem kürzlich gesehenen SCANNERS der zweite Film vom Kandier, der mich komplett überzeugen konnte...

#575 moodswing

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Geschrieben 02. Oktober 2007, 11:10

Filmfest Hamburg - Tag 1

Michael Clayton ~~~ Tony Gilroy, USA 2007
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Eigentlich ist MICHAEL CLAYTON ein der Thrillerdramaturgie entschleunigtes Großstadtdrama. Zwar verfolgt es in fast konventioneller Manier der Struktur eines Intrigenthrillers, doch allein durch seine Entscheidung über die Vorblende gleich klar zu machen, dass es nicht um eine "Wird-Clooney-sterben?" Geschichte geht, soll sich der Zuschauer auf wichtigere Dinge besinnen. Beispielsweise auf die moralische Intigrität des Individuums in einer zynischen und kalten Businesswelt wie dieser. Auf Skrupel(losigkeit), Rationale Entscheidungen und Egoismus im Kapitalismus. Clooney spielt den müden, zweifelnden, aber selbst nicht ganz koscheren Durchschnitts-BWLer mit Stil, gekonnt lässt er die ambivalente Persönlickeit deiner Figur aufblitzen. Am Ende steigt er genervt von allem und jedem in ein Taxi und der Abspann wird zu seinem Sitzpartner, während Clooneys Gesichtsausdruck zwischen vollkommen desillusioniert und Zufriedenheit über seine gute Tat wechselt. Schönere Credits habe ich lange nicht mehr gesehen...

Blue Eyelids ~~~ Ernesto Contreras, Mexiko 2007
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Ein purer Anti-Liebesfilm, ein beihnahe radikaler Romantikverweigerer, in dem selbstunsicherere, hässliche Menschen den Weg zur Liebe suchen und ihn in ihrer Einsamkeit und Tristesse auch finden - gezwungenermaßen. Damit ist die Findungssuche und das Streben nach Liebe lange nicht so positiv besetzt, wie man es aus gewöhnlichen Liebesfilmen kennt. BLUE EYELIDS reflektiert die mediale Darstellung der Liebe im Film (Schlüsselszene ist ein Kinobesuch der Protagonisten - in dem Liebesfilm, den sie sich anschauen, können sie erstmals befreit lächeln und glücklich sein) und ist damit intelligenter, als er zunächst vermuten lässt. Er ist mehr Konstruktionsanordnung als emotionaler Mitnehmer - exakt, die formale Ebene immer im Auge behaltend, kühl und konstruiert, damit aber eben auch kein richtiges Pendant zur Romantic-Comedy, dessen Anliegen und Struktur BLUE EYELIDS böse karikiert. Frauen werden diesen "Liebesfilm" jedenfalls vermutlich hassen.

Echo ~~~ Anders Morgenthaler, Dänemark 2007
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Aus den Nachwehen der Dogmabewegung kommt ECHO hervor (wurde auch von Zentropa produziert). ein Paranoiadrama, voller wilder Alpträume, panisch gestikulierend, auch emotional herausfordernd und bewusst den Zuschauer für sich einnehmend. Leider verliert der Film mit dem verdächtig nach Klischee riechenden Versuch, auch eine Frau mit einzubinden leicht an Intensität und zeigt sein angeordnetes Gesicht zu offen. Dafür bekommt man von hier an die bezaubernde Stine Fischer Christensen zu sehen, das macht zumindest für den männlichen Zuschauer einiges wett. Die halbgare Paarung Vater-Mutter-Kind geht trotzdem nicht auf, die Konzentration auf die Figuren verliert an Gewicht, das Ende kann keine gewinnbringenden neuen Erkentnisse mehr aufbieten. Trotzdem sehenswertes Kino.

#576 moodswing

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Geschrieben 04. Oktober 2007, 02:49

Filmfest Hamburg - Tag 2

Cargo 200 ~~~ Aleksei Balabanov, Russland 2007
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Schaut man sich Filme von Balabanov an, sieht es so aus als bewege sich Russland inmitten seiner Klischees. Auch CARGO 200 ist Kino wie aus dem Mittelalter. Graugraue Industrieanlagen und viele Figuren, die sich an Unmenschlichkeiten zu überbieten versuchen. Vielerorts weiß man nicht, wohin es gehen soll, Provokation scheint häufig das einzige Anliegen des Films zu sein. Der Pressetext sieht "einen Zusammenbruch aller menschlichen, politischen, religiösen, ökonomischen und moralischen Systeme". Stimmt vielleicht sogar - der Film spielt 1984 und sieht das sozialistische Land im Morast angekommen, lässt einen Professor und einen Bauern über Gott und Religion diskutieren und winkt Richtung Zukunft, die von der Marktwirtschaft bestimmt werden soll. Für ein filmisches Statement aber braucht es mehr - dafür ist CARGO 200 zu wenig einfühlsam, zu zynisch, zu gewollt belustigend. Eine Grundstimmung außer graugrau gibt es nicht. Stattdessen filmische Schnitzer und den bloßen perversen Abgrund, den der Film bebildern will. Er poltert wie ein Grobmotoriker im Kater. Mittelalter eben.

Ezra ~~~ Newton I. Aduaka, Frankreich/Nigeria 2007
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Gutmütig und naiv möchte EZRA etwas über die Schrecken im Leben der Kindersoldaten erzählen, anhand einer Geschichte - der von Ezra. Ein Lob für die Ambitionen. Ärgerlich aber wie er das tut. Der Film folgt nämlich vielen, konventionellen Subplots - Familiengeschichte, Liebesgeschichte - und vernachlässigt bereits nach 20 Minuten sein eigentliches Thema. Stattdessen erschreckend standardisiertes Kino. Nie ist der Film mutig, zeigt die Gewalt sehr abgeschwächt, selbst die Erniedrigungen, Drills und Drogenvergiftungen der Kindersoldaten werden in wenigen Einstellungen abgetan. Stattdessen pures Effektgeheische, sogar ein bisschen filmische Raffinesse will man beweisen und zerstückelt das Narrative fast ein wenig artsy. Vollkommen falsche Herangehensweise, ich hoffe nur, dies ist nicht zu kalkuliert von Statten gegangen. Unterstellen will ich es EZRA nicht, nur ist es eben so, das damit lediglich sein Anliegen positiv anzumerken bleibt.

Screamers ~~~ Carla Garapedian, Großbritannien 2006
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Die Doku begleitet System of a Down auf ihrer Tournee. Primär geht es um die politischen Anliegen und Texte der Band, die aus Armeniern besteht und auf die Genozide dieser Welt aufmerksam machen möchte. SCREAMERS ist eine Mixtur aus Fansize & Bandhuldigung, aus politisch-geschichtlichem Aufklärertum und Michael Moores parteiischem Rüttelkino. Ein ehrliches Stück Agitprop also, das keinen Hehl aus der auch in ihm transportierten Aggression macht, die das Unrecht in der Welt nun einmal gerne auslösen mag...

#577 moodswing

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Geschrieben 09. Oktober 2007, 10:23

Filmfest Hamburg - Tag 3/1

Drained ~~~ Heitor Dhalia, Brasilien 2006
¦
Mir kommt es so vor, als sähen viele brasilianische Filme der Jetztzeit bewusst wie nach dem Streben eines Looks der späten 70er/frühen 80er aus. Karierte Schlackerhosen, große Sonnenbrillen und alle Bilder in solch ein seltsames Braun getunkt (so braun, wie osteuropäische Filme grau sind). Haben die in Brasilien nur braungetönte Kameralinsen?
DRAINED ist eben ein solcher Film, nebenbei eine krude Mischung aus CITY OF GOD und SECRETARY, etwas bizarr und grotesk, immer um einen "funky tone" bemüht. Lässt sich anschauen, geht letztlich aber etwas zu fahrlässig mit seinen Figuren um.

Take ~~~ Charles Oliver, USA 2007
¦
Eigentlich ist TAKE eine reine Schuld-und-Sühne Geschichte auf amerikanischem Boden, und überhaupt sehr amerikanisch, was allein die Musikauswahl angeht. Der große Fehler, den der Film begeht, ist die Entscheidung sich seinem Thema (Mann tötet bei einem Kidnapping den Sohn von Minnie Driver und nun stehen sie sich kurz vor dessen staatlicher Ermordung noch einmal gegenüber) möglichst behutsam und zugleich artsy zu nähern. Die erste Stunde ist eine Erinnerungs-Zerstückelung und als diese unglaublich kalt lassend. Die Intensität setzt erst sehr spät ein (man sieht das eigentliche Verbrechen erst nach 60 Minuten) und zu spät um dem Film eine emotionale Wendung geben zu können. Außerdem stößt mir sehr sauer auf, dass TAKE keine Stellung zum Thema Todesstrafe nimmt.

The Rebirth ~~~ Masahiro Kobayashi, Japan 2007
¦
Prof. Siswanto würde sagen: "Ein Film über Roh-Ei-Kleckerei." Damit hat er nicht ganz Unrecht. Es dürften an die 30 bis 40 Eier im Film geköpft werden. THE REBIRTH handelt von Schuld-und-Sühne und der menschlichen Zwangsgemeinschaft - Täter neben dem Opfer - einer Unmöglichkeit bei gleichzeitiger Abhängigkeit im Zusammenleben von genötigten Figuren. Wenn dort 40 Eier zubereitet werden, geschieht dies, da der Film einem radikal minimalistischen Stilprinzip folgt: Er betrachtet den Alltag seiner Figuren. Immer und immer wieder. 102 Minuten lang. Nichts als Essen und Arbeiten. Das Konzept ist denkbar einfach: Der monotone Alltag in großen, langgestreckten und anonymen Räumen mit den immergleichen maschinenhaften Abläufen erzählt von Entfremdung, Einsamkeit, (emotionaler) Armut und Schuld- bzw. Vergangenheitsbewältigung. THE REBIRTH trägt nicht umsonst diesen Namen, langsam werden die Figuren selbstbewusster, kleine Änderungen im Alltag und Verhalten, auch eine letztendliche Gegenüberstellung signalisieren das. Damit ist die Grundstruktur genauso banal wie ästhetisch arm: Solange die Formel hässliches Depressionskino + forcierter Minimalismus + gediegener Symbolismus = Arthousemovie aufgeht, gewinnt ein Film wie THE REBIRTH auch den goldenen Leoparden in Locarno.

#578 moodswing

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Geschrieben 10. Oktober 2007, 12:33

Filmfest Hamburg - Tag 3/2

God Grew Tired of Us: The Story of Lost Boys of Sudan ~~~ Christopher Dillon Quinn, USA 2006
¦
Wieder gilt das Anliegen herauszustellen: GOD GREW TIRED OF US erzählt die Geschichte dreier sudanesischer Flüchtlinge, die in den USA ein neues Leben anfangen. Neben dem Einblick in die furchtbaren Kriegswirren zeigt der Film in eine Gegenüberstellung der Kulturen - und das Klarkommen der drei Protagonisten in einem fremden, dekadenten, und sozial ungerechten Land. Leider vergreift sich GOD GREW TIRED OF US haufig etwas im Ton, und legt seinen Fokus auf die "lustige Behäbigkeiten" seiner drei Afrikaner. Das sieht manchmal aus wie Zirkus und Zoo zugleich, wäre in abgeschwächter Einbringung auch okay (da ja relativ ehrlich und auch ein wenig auflockernd), macht aber in der übermässigen Platzierung den Eindruck als gehe es den Filmemachern mehr um Komik als um ernstgemeintes Anliegen. Die Tränendrüse wird dann auch sehr effektiv in einzelnen, dramaturgisch abgestimmten Momenten bedient. So funktioniert eine Doku über Kulturunterschiede nicht, das ist schlichtweg unehrlich.

10 Items or Less ~~~ Brad Silberling, USA 2006
¦
Ganz billiges DVD-only Release, das nach klamaukig schlechtem Einsteig aussieht, als ob man Morgan Freeman literally beim Crack rauchen unter der Brücke erwischt. Zum grossen Glück aller Beteiligten stellt sich das aber schnell als morgenmuffelige Anlaufschwierigkeit heraus. Im Folgenden konzentriert sich die Kamera auf die stimmige Chemie zwischen Freeman und Paz Vega und bietet ein nette kleine love story für Zwischendurch.

13 m² ~~~ Barthélémy Grossmann, Frankreich 2007
¦
Ein absoluter Tiefpunkt, was einem das Filmfest an Genreware vorsetzt. 13 M² ist ein Low Low Low Budget Krimi aus Frankreich, auf die Beine gestellt von einem Jungspund, ohne Sinn für Optik, Figuren und Dramaturgie. Das Szenario ist meist so schlecht ausgeleuchtet, dass man schon visuell gar nicht richtig erfassen kann, was los ist. Das ist dann aber nur ein weiterer Beitrag zum grossen Chaos, welches der Film darstellt. Ausser der Musik also eigentlich alles katastrophal. Wie schafft es so ein Film auf dieses Festival? Ich würde mir ja viel mehr Genrebeiträge wünschen, doch so etwas würde (wurde?) beim Fantasy Film Fest ja selbst bei Engpässen in der French Connection hochkant rausgeschmissen werden...

#579 moodswing

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Geschrieben 11. Oktober 2007, 13:15

Filmfest Hamburg - Shortys 1

Darling (Johan Kling, Schweden 2007) --- Gutmenschenkino mit sozialem Touch, eigentlich überflüssig wie eine Stripperin beim Papst. Rettet sich aber durch das pessimistische Anti-Happy-End, welches das Publikum natürlich gleich im anschließenden Q&A aufschreien ließ. Damit folgt wenigstens ein Kommentar zum menschlichen Egoismus, den man nach 90 Minuten Tralala nicht erwartet hatte.

Forfeit (Andrew Shea, USA 2007) --- Nicht aus dem Tritt kommender Ultra Low Budget Christenfanatiker-Krimi, der eine ganz seltsame Figurenkonstellation herausarbeitet, für die sich zu keinem Zeitpunkt irgend ein Interesse regen mag. Äußerst dilettantisch.

Savage Grace (Tom Kalin, Spanien/USA 2007) --- Vollkommen belangloses Biopic über eine ganze Reihe von Zeitepochen gestreckt. Immer voller melodramatischer Anklänge, in seinem Sujet dabei aber so weltfremd, das der Film zur peinlichen Upper-Class-Rührnummer wird. Ein absoluter Flop und zurecht sträflich missachtet.

The Milky Way (Lina Chamie, Brasilien 2007) --- Maniriertes, schwammiges und schlecht montiertes Liebesdrama, das laut Programmheft "der brasilianische Woody Allen" sein soll, dabei aber in seiner schwermütigen, bedeutungsschwangeren Art das genaue Gegenteil ist und vollkommen überzogen wirkt.

Who loves the Sun (Matt Bissonnette, Kanada 2006) --- "Nette" Dreiecksgeschichte mit einem kanadischen Tom Cruise-Verschnitt, der sich allein unter diesem steten Abgleich gut in seine klischeehafte Sunnyboyrolle einfügt. Ansonsten 08/15 Eskapismus-Kino für die gehobene Mittelschicht.

How Much Further (Tania Hermida, Ecuador 2006) --- Feministisch angetouchter Road Movie, der größtenteils lediglich die Gedankenwelt der Macherin in lahmen Dialogen wiederspiegelt.

#580 moodswing

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Geschrieben 12. Oktober 2007, 12:23

Filmfest Hamburg - Shortys 2

The Mugger (Pablo Fendrik, Argentinien 2007) --- Die Kamera klebt 70 Minuten am mehrere Schulen überfallenden, eigenartig ruhigen Protagonisten, um am Ende aufzudecken, dass er selbst Rektor einer Schule mit Finanzproblemen ist. Ein klassischer form creates content Fall, kein Stück erklärend, sehr hektisch, mit vielen dramaturgischen Längen, experimentierfreudig.

Suddenly (Johan Brisinger, Schweden 2006) --- Schweden-Drama um Verlust der eigenen Familie. Ruhig und angemessen erzählt, allerdings ohne Überraschungen aufwartend.

Crossing the Dust (Shawkat Amin Korki, Frankreich/Irak 2006) --- Zwei Kurden finden in den irakischen Kriegswirren einen Jungen namens "Saddam" und nehmen ihn mit. Man merkt leider auch dem Film noch die Rückständigkeiten in der richtigen Entwicklung und Umsetzung des Stoffes an. Aber nette Idee.

A Place in the Cinema (Alberto Morais, Spanien 2007) --- Ein paar ältere Männer (z.B. Angelopoulos) sinnieren über den italienischen Neorealismus. Nachdem ich nach 45 Minuten keine einzige interessante Neuerkenntnis mitnehmen konnte, verließ ich den Saal. Reines Palaver mit unmotivierten Landschaftsansichten verbunden. Dann lieber direkt einen De Sica einschieben.

A Man's Job (Aleksi Salmenperä, Finnland 2007) --- Depressives finnisches Drama um einen männlichen Callboy, bei dem das Programmheft komplett in die Irre geführt hat. Vollkommene Düsterheit statt des angekündigten Klamauks.

Lost in Tokyo (Kotaro Ikawa, Japan 2006) --- Braucht es eine japanische Cassavetes-Reissue? Abgefilmte Langeweile.

Moonpie (Drake Doremus, USA 2007) --- Warum müssen so offensichtliche Satiren immer so schrecklich unlustig sein?

#581 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 13. Oktober 2007, 20:37

Filmfest Hamburg - Special Attention 1

Dreams of Dust
Laurent Salgues, Burkina Faso/Kanada/Frankreich 2006
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Der dritte afrikanische Beitrag beim diesjährigen Filmfest Hamburg zeigt nun glücklicherweise, das auch gute Filme vom schwarzen Kontinent kommen. DREAMS OF DUST ist erstaunlicherweise seit dem Cronenberg und Gilroy das erste Werk, das mich aus der Festivallethargie holt, die neben fehlendem Schlaf hauptsächlich der miesen Qualität der Teilnehmer quer durch die Bank verschuldet ist. Der Film erzählt die Geschichte mehrerer Goldminenarbeiter in Burkina Faso. Der Erzählrhythmus ist ruhig und bedächtig, die Bilder egelisch und elegant. In langen Einstellungen bedient sich DREAMS OF DUST einer ausgereiften Bildsprache, in die sich der Betrachter fallen lassen, und von der naiv gestalteten Geschichte wie ein Kind vom Märchen verzaubern lassen kann. Die Wortkargheit der Figuren rührt von kaum zu thematisierenden Einzelschicksalen, wo viele Worte sein könnten findet DREAMS OF DUST die passenden träumerischen und melancholischen Bilder. Salgues Werk zieht seine Stärke aber auch vom Anliegen mehr noch erzählen zu wollen: Über Machtstrukturen (auch die des Frühkapitalismus, wie er in der Goldmine stattfindet), Hoffnungen am Horizont, Loyalität, täglichen Kampf und Schmerz im Alltag eines sich physisch erschöpfenden Menschen. Ganz zart etabliert er sogar eine Liebesgeschichte, die aber dann doch für einen höheren Zweck geopfert wird. Einen so schönen Film sieht man nicht alle Tage, schon gar nicht auf der großen Leinwand. DREAMS OF DUST mit dem weitaus schöneren, klangfarblich passenderen französischen Titel Rêves de poussière - Mein persönlicher Favourit des Festivals bis dato.

#582 moodswing

    Albert Emanuel Voglers Adjutant

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Geschrieben 16. Oktober 2007, 01:45

Filmfest Hamburg - 4 Stunden Schlaf pro Nacht erlauben keine geordneten Abläufe mehr...

The Mourning Forest ~~~ Naomi Kawase, Japan/Frankreich 2007
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In THE MOURNING FOREST geht die Geschichte ganz einfach: Ein seniler Mann schließt mit dem Leben ab und sucht fast intuitiv eine Wanderung in den Tod, zu seiner Ehefrau. In den Zauberwald folgt ihm seine Pflegerin, die selbst eine schwere Last - den Tod ihres Kindes - zu tragen hat. Die erste Stunde erleben wir Kinderspiele, regressive Phasen, fast eine evolutionäre Umkehr. Positiv und freudig kommt die Erkenntnis. Die letzten Szenen spielen sich am Grab seiner Ehefrau ab. Die ziellose Suche endet mit dem Finden, der Akzeptanz des Todes. Ein Wanderer kommt an, inmitten des Waldes, alles sehr gradlinig, ein wenig buddhistisch möchte man mit seidenem Halbwissen meinen. Simple is that! Und doch kein einfaches Unterfangen sich auf solch eine positive, lebenfrohe Widmung des Todes einzulassen...

My Father My Lord ~~~ David Volach, Israel 2007
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Die sehr ruhig, bedächtig und behutsam erzählte Geschichte eines orthodoxen Juden, der sein Sohn durch seine strenge Zuwendung zur Religion vernachlässigt und am Ende sogar verliert, da er in einem Moment des Gebets die Aufsichtspflicht verletzt. Der Sohn stirbt, der Vater sucht nach wie vor und verstärkt die Nähe zu und Flucht in seine Religion, in der lange stillhaltenden Mutter regt sich in der ergreifenden Abschlussszene Widerstand. MY FATHER MY LORD ist ein todtrauriges und äußerst persönliches Werk über Glauben, religiösen Verpflichtungen und die Vereinbarung von diesen mit dem Persönlichen und Privaten. Der Rabbi erkennt inmitten seiner vielen Gebete und Textbücher seine eigene Unmenschlicheit und Grausamkeit nicht.

To Love Someone ~~~ Åke Sandgren, Schweden 2007
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Der Film spielt ein ziemliches Alptraumszenario jeden Mannes durch: Du verliebst in eine Frau, die für ihren Ex, der sie windelweich geprügelt hat, noch Gefühle hegt. Wie gesagt, der Film spielt das wirklich durch, bis zum bitteren Ende, an dem sich unser Protagonist im letzten Moment doch nicht schuldig macht, was schon fast wieder etwas inkonsequent wirkt...

#583 moodswing

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Geschrieben 18. Oktober 2007, 14:24

Filmfest Hamburg - Special Attention 2

The Savages
Tamara Jenkins, USA 2007
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Einen unheimlich intelligenten und ehrlichen Film liefert Tamara Jenkins mit THE SAVAGES ab. Zuerst mutet alles noch sehr wie in (neuerdings) altbekannten New Sincerity Welten an, aber schnell wird das behutsam durchdachte Drehbuch und die erstklassige Schauspielerführung sichtbar. THE SAVAGES erzählt über zerrüttete Familienverhältnisse, Mid-Life-Krisen, Neurotiker und Schuldgefühle. Leise und unerwartet decken sich ganz im Nebenbei Aspekte heraus, die - und da ist der Film wirklich nah an der Realität - nach und nach ans Tages- und Kameralicht kommen, ganz so als würde man die Figuren über einzelne Tage verteilt kennenlernen. THE SAVAGES besitzt dabei die genau richtige Mixtur aus Alltags- und Situationskomik und echtem Drama - das Hauptproblem der modernen amerikanischen Tragikomödien wird hier bravourös gelöst. Seit langem wieder einmal ein Film, dem ich vollkommen skeptisch gegenüberstand, der mich mit der Laufzeit aber Stück für Stück überzeugen konnte. Well done!

#584 moodswing

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Geschrieben 19. Oktober 2007, 13:50

Filmfest Hamburg - Kurz vor Wochenfrist

Control ~~~ Anton Corbijn, UK/USA/Australien/Japan 2007
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Geradezu erschreckend ist die filmische Rückständigkeit Anton Corbijns, die der ehemalige Videoclipregisseur in einem - ausgerechnet - Musikerbiopic aufweist. CONTROL wärmt alles bereits Dagewesene gut portioniert nochmal auf: Von der "Ich armer, depressiver Künstler" Szene bishin zur "Ehefrau macht ihm eine Szene" Sequenz. Auch dazwischen alles wie aus der guide to the clichée, der fehlende Mut und die mangelnde Intelligenz ist dem Drehbuch anzumerken. Besonders prekär auch dadurch, dass sich CONTROL stets im Sicheren aufhält, und beispielsweise immer wieder cheap jokes einbaut, um sich die Zuschauer warm zu halten. Damit noch nicht genug, ist auch die Optik auffallend unauffällig in Schwarz-Weiß (Warum konnte niemand beim anschließenden Q&A erklären) auf Farbmaterial, "weil Orginal B&W Footage ja so krisselig ist" - Ihgitt Ihgitt! Aprospos Q&A, auch das eine nachträgliche Demontage des Films, Corbijn scheint einfach nur froh zu sein, dieses Künstlerbiopic irgendwie durchgedrückt bekommen zu haben, und sei es noch so konventionell geraten. Alexandra Maria Lara, deren unmotivierte Imitationsversuche einer Belgierin mit französischem Dialekt durch ihre deutsche Aussprache auf eine Fehlbesetzung schließen lassen meinte in ihrer typisch anbiederndens selbstereifernden Art sie hätte Joy Division vor einem Jahr nicht gekannt, sich aber schnell nach Vertragsabschluss alle CDs geholt und sei jetzt natürlich ganz brav Fan der Gruppe. Den dümmsten Spruch des Abends aber brachte der Moderator zum Kameramann: "Black and White, that ist so wow! Say: Can it be, that you think or dream in Black or White?" Würdiger Abschlusssatz zu einem nichtigen Film. Schade nur, das CONTROL bei allen 35+ jährigen von vornherein einen Stein im Brett haben wird, über Qualität und Ästhetik wird wohl leider selten zu lesen sein.

The Schoolgirl's Diary ~~~ In Hak Jang, Nordkorea 2006
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Der erste nordkoreanische Film, der es über die Landesgrenzen schafft seit über einer Dekade. Der Propagandafilm, der angeblich von Kim Jong-Il mitgeschrieben wurde (hüstl) ist eine Mischung aus deutschem Heimatfilm der 50er/60er und aufklärerischem Kinderfilm für Erwachsene. Debil grinsend und fröhlich salutierend feiert er die Familie als zentrale Institution zur Stärkung des Heimatlandes. Egoismus und Zänkereien sind nicht erwünscht, Am Ende kommt unsere Protagonisten zur Einsicht, dass viele kleine Zahnräder wichtiger sind als eine große Tat und Neuerung. THE SCHOOLGIRL'S DIARY ist bonbonbunter Trash in Pappmaschée.

The 11th Hour ~~~ Nadia Conners/Leila Conners Petersen, USA 2007
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Leonardo DiCaprio bemüht sich um sinniges Infotainment, ähnlich Al Gores AN UNCONVENIENT TRUTH. Manchmal gleitet die Weltschau in ein wenig viel Kitsch und Ansätzen von Esoterik ab. Typisch amerikanisch bemüht sie sich auch um ein positives Denken, will zum Aktionismus aufrufen, die "Wir schaffen das!" Mentalität wird stets hervorgehoben.

#585 moodswing

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Geschrieben 21. Oktober 2007, 13:14

Filmfest Hamburg - Special Attention 3

My Blueberry Nights
Wong Kar-Wai, Hong Kong/China/Frankreich 2007
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Die vorprogrammierten Enttäuschungsszenarien, die sich in der Presse abgespielt haben, nachdem MY BLUEBERRY NIGHTS in Cannes das Festival eröffnete sollten besser als Schlechte-Laune-Verbreiter wahrgenommen werden, denn Wongs erste Hollywoodproduktion ist für mich nach dem erschreckend schwachen 2046 endlich wieder da angelangt, wo mich der Mann mit CHUNGKING EXPRESS und IN THE MODD FOR LOVE fasziniert hatte.

Im Gegensatz zu manch Anderem war ich von vornherein weniger skeptisch, ob Wongs Schritt in den Westen. Denn Amerika - das ist Heimat für manchen von Wongs Manierismen: Das flackernde Neonlicht, die noirhaften Settings, die pure Melancholie in jeder Geste, jede gedankenverlorenen Off-Text-Schwingung - das alles passt sich wunderbar in eine amerikanische Road-Movie-Nostalgie ein, die den Film bestimmt.

Das Grundsetting ist gesetzt, gleich zu Beginn wird der Film inhaltlich geframed: Norah Jones und Jude Law spielen die urbane, relaxte Geschlechter-Konstellation, die eine wohlige Wärme ausstrahlt. An sich ein alter Hut, die Frage wann sie sich denn nun bekommen würden. Damit baut der Film sein Erregungspotenzial auf und wird den Zuschauer erst am Ende der filmischen Reise befriedigen.

Dazwischen episodenhafte Stil-Häppchen mit Staraufgebot. Rachel Weisz spielt eine frivol-kecke, raue Südstaatlerin mit ungeheurem Sex-Appeal, David Strathairn den von ihr verlassenen Alkoholiker, den manch einer in sich findet, ob der vielen Melancholie und des Schmerzes bei einem Verlust. Und überhaupt geleitet Wong seinem Film - dem Road-Movie - den Weg als Flucht- und Verdrängungsmöglichkeit für seine Figuren und auch uns. Immer wieder neue Situationen, neue Gesichter, die den Schmerz für unsere Protagonistin Jones für kurze Zeit vergessen lassen. Am Ende heilt die Zeit alle Wunden, die Erkenntnis der Einsamkeit und Weggefährtenschaft, bei der wir uns auf einem Teil unserer Leben gegenseitig lediglich ein wenig begleiten, der bleibt.

Wongs Filme sind meist voll traumhafter Rhythmisierungen, schwingenden Kameras, durchfluteten Farbkompositionen. Seine asiatische Stil-Schablone auf Amerika anzuwenden, das kann man kritisieren oder mögen. Die häufig geäußerte Meinung, Wongs Neuster sei "banal" und "trivial" und der Wunsch nach Stars, die "wenigstens chinesisch reden würden" aber, das rührt wohl eher von Ressentiments gegenüber einem Phänotyps des amerikanischen Films, der seine Eleganz in diesem Fall weniger aus Kostümierung als aus bekannten Schauspielern und ihrem Können formt. Das sind Fehler der Sehgewohnheiten, aber diesen (getürkten) schwarzen Peter MY BLUEBERRY NIGHTS zuzuschieben, da geschieht dem Film Unrecht. Wongs erste Produktion in Amerika gehört zu seinen Besten überhaupt. MY BLUEBERRY NIGHTS ließ mich seufzend aufatmen.

#586 moodswing

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Geschrieben 24. Oktober 2007, 02:25

Blind Mountain vs Bog of Beasts
Yang Li, China 2007 /// Cláudio Assis, Brasilien 2007

Meine beiden letzten Filme des Filmfest Hamburg hatten merkwürdigerweise so einige Parallelen, die mich nun dazu bewegen zwei Filme in einen Text zu bringen, die eigentlich nicht zusammen gehören. Zumal einer von beiden der für mich wichtigste politische Film der letzten Jahre ist.

Zunächst aber zum brasilianischen BOG OF BEASTS - und Brasilien, die machen dieses Jahr wirklich Trubel. 3 Filme waren dabei, alle drei ziemlich durchgeknallt und hochgradig merkwürdig. BOG OF BEASTS beschreibt den unmoralischen Niedergang einer patriarchialen Gesellschaft. Grob gesagt gibt es zwei Erzählstränge. Der eine beschreibt ein paar Jugendliche, die sich gerne "an den Eiern kraulen" (hier wortwörtlich zu nehmen), herumprollen und Prostituierte attackieren. Einmal kommt es zu einer Vergewaltigung eines Shemale, ein anderes Mal penetrieren sie alle Körperöffnungen einer sich eigentlich sehr willig gebenden Hure mit einem Knüppel, bis auch sie - wie ihre Kollegin, die sie zuvor nur verachtet hat - reglos am Boden liegt. Der Anführer der Truppe, die sich regelmäßig im Kino treffen sagt einmal in die Kamera: "Weißt du was das Schöne am Kino ist? Hier darf man alles machen, hier ist alles erlaubt."

Die zweite Geschichte dreht sich um einen Großvater, der seine Enkelin zur freien Schau stellt. Sie muss sich vor Truckern und anderen gierigen, alten Männern entblößen, anfangs wird nur angeschaut, als eine Frau einmal vertretungsweise ihre Zuhälterin ist, darf auch angefasst werden. Dann wird das Mädchen vergewaltigt. Sie kommt nach Hause zum Großvater, der das Mädchen in seiner rasenden Eifersucht auspeitschen will. Sie flüchtet. Auf den Strich, zur besagten Zuhälterin und ein paar älteren Gigolos, denen sie ab jetzt zur Verfügung steht. Es regnet in Strömen. Aus der Film.

BOG OF BEASTS ist neben CARGO 200 und BLIND MOUNTAIN einer der drei Provocateure des Festivals. Die erste Gemeinsamkeit der beiden hier besprochenen Filme. Im brasilianischen Dschungel geht es nichts als bösartig zu. Frauen werden von Männern verachtet, Frauen missachten sich gegenseitig. "Richtige, autoritäre, moralische Männer gibt es nicht mehr. Deswegen sind nun alle Frauen Huren." erkennt der Großvater, der seine Enkelin ausstellt. Aprospos Ausstellung von Mädchenkörpern. Dies tut BOGS OF BEASTS mit Inbrunst, auch die Vergewaltigung einer Minderjährigen würde wohl im regulären Kinobetrieb bei der FSK zu Schnittorgien führen. Aber - gänzlich wertungsfrei gemeint - wie es eben dort schön gesagt wurde: "Im (Kunst)kino darf man alles."

Bevor ich die Vergleiche ziehen kann erst einmal ein paar Worte zu BLIND MOUNTAIN, dem zweiten Film von Yang Li, dessen BLIND SHAFT mir ja auch schon zu gefallen wusste. In seinem Nachfolger nun verdichtet sich die Radikalität um Einiges: Eine chinesische Studentin nimmt einen Job auf dem Land an, bei einer Familie. Schnell wird klar: Sie wurde von Menschenhändlern verkauft, und soll dem Sohn der Bauernfamilie ein Kind gebären. Sie wehrt sich tapfer, versucht im Film allein 4 bis 5 Mal zu fliehen. Doch es gibt kein Entkommen. Inzestoöse Klüngeleien, moralfreie Unmenschlichkeiten, pure Dummheit, ein nachgebender und korrupter Staats- und Polizeiapparat - sie alle verhindern im Kollektiv, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Stattdessen zig Mal das gleiche Bild: "Junge, deine Frau rennt weg." - Das ganze Dorf zieht mit Fackeln los. Unsere Protagonistin rennt und rennt und rennt und wird eingefangen und geschlagen - und rennt wieder los, hat erst das Geld fürs Taxi nicht, wird eingefangen und misshandelt - und rennt los und hat das Geld beim dritten Versuch durch das Prostituieren im Dorf doch zusammen - befreit sich und schafft es gar bis in die Großstadt - dann wird der Busfahrer vom pöbelnden, hinterhergefahrenen Mob mit einer Zigarette bestochen (welch Bild, eine Zigarette ist mehr wert als ein Menschenleben) - sie wird wieder rausgefischt und brutalst zusammengeprügelt - sie versucht nun ständig Briefe an die eigene Familie zu verschicken, doch selbst der Postbote ist korrupt - dann hilft ihr ein Junge (nur die Kinder haben hier noch so etwas wie Moral und Mitgefühl), der Brief kommt an, der Vater kommt mit Polizei, die Dorfbewohner lassen die Polizisten nicht gehen, "nur ohne Frau" - also dann ohne Frau, sagen sich die Volkspolizisten, "das ist ja hier zu kompliziert, das regeln wir dann anders (ein andermal)" - der Vater bleibt verzweifelt, allein zurück bei der Tochter und dem Mob, prompt wird er vom "Ehemann" fast totgeprügelt, da schlägt unsere Protagonistin mit einer Sichel zu, der Arsch wohl tot, der Film aus, die Credits laufen, was wohl jetzt gerade jenseits des Abspanns passiert?

Ich muss hier wirklich den ganzen Inhalt des Films wiedergeben, weil er einfach so unglaublich ist. In mehrerer Hinsicht: Zum Einen gibt es so etwas tatsächlich. Yang hat viel recherchiert und inszeniert, dies hier nur eine Art zugespitzte Dokumentation. Zum Anderen das Gefühl Wow, wie bitte? Diese Unmenschlichkeiten, diese Dynamiken, mir blieb mehrmals die Luft weg. Zum Dritten: China lässt den Film einfach so durch? Für Cannes wurde BLIND MOUNTAIN wohl noch 10 Minuten runtergekürzt, in Hamburg lief er in übelster DVD-Projektion (mit Echohall auf dem Ton, und einer offensichtlich digital abgefilmten Kinorolle), aber immerhin ungekürzt (hoffe und denke ich). Aber nochmal: China lässt diesen hochgradig politischen, hammerharten und bitterbösen Film durch? Ich kann es kaum glauben, aber es mag vielleicht daran liegen, das vorzugsweise das Bauernvolk schlecht wegkommt (jedoch nicht nur!). Bei angeblich 80000 Bauernaufständen pro Jahr sind solche - man mag da fast meinen Propagandafilme - vielleicht sogar noch gern gesehen.

Trotzdem - In Yangs Film sind die Menschen böse, dumm, menschen- und frauenverachtend. Nichts weiter als das. Und das gilt auch für Beamte, Polizisten und Großstädtler. Die Menschen sind solche perversen Widerlinge, dass hier nichts mehr hilft. Das ist Barbarentum der Jetztzeit, Mittelalter war Kindergeburstag dagegen. Und alles wird so unbeteiligt, fast objektiv abgefilmt - es ist ein Ereignis, ein schmerzhaftes. Einmal verliebt sich der einzig gebildete Mensch des Dorfes - ein Lehrer - in das Mädchen, Sie schmieden Fluchtpläne. Dann werden sie erwischt beim Fremdgehen. Sie bekommt Schläge, er muss das Dorf verlassen. Die geklaute Frau darf nicht der Liebe wegen entwendet werden, kurzum: Liebe kann hier auch nichts mehr ändern, dazu sind die Menschen emotional schon zu verwahrlost, im Falle des Lehrers auch schlichtweg: zu feige.

Ein inhumanes Massenphänomen, sie lassen es mit sich geschehen, jeder bleibt still, die Frauen gewöhnen sich an das erzwungene Leben. Die einst ebenfalls gekidnappte Mutter bemüht sich am Stärksten darum "die Familie zusammenzuhalten". Als die Polizei das Mädchen mitnimmt, sollen sie die Mutter erst überfahren, die legt sich nämlich vor das Auto. Die Frauen passen sich bei Yang wie auch bei Assis in ihre devoten Rollen ein.

Der eine konkrete Unterschied zwischen der Welt in BOGS OF BEATS und der von BLIND MOUNTAIN sind die intellektuellen Grundlagen. Während die Männer in BOGS OF BEASTS sich ihrer Schäbigkeit bewusst sind, und diese zynisch und pervertiert ausleben, gibt es in BLIND MOUNTAIN gar keine Reflektion. Die Menschen sind so dumm, dass sie ihr amoralisches Verhalten als "normal" wahrnehmen und die Unmenschlichkeiten gar nicht registrieren. Das macht es dann auch ungleich schlimmer. Zyniker kennen wir (gerade aus Filmen) genug. Auf ihre kognitiven Grundlagen zurückgeworfene Bauern aber sind uns fremd wie Tiere. Wie BLIND MOUNTAIN etwa müsste auch ein Film über den Bürgerkrieg in RUANDA 1994 aussehen, das wäre angemessen und ehrlich.

Der zweite entscheidende Unterschied ist aber die politische Ebene. BOGS OF BEASTS hat keine (oder zumindest keine prägnante). BLIND MOUNTAIN hingegen könnte politischer, radikaler und anklagender gar nicht sein. Mehrmals scheitern die Fluchtversuche an korrupten und feigen Staatsmächten (einmal sagt ein Steuereintreiber vom Gericht "Das ist Familiensache, das geht mich nichts an."). Der Staat hat die Macht über sein Kollektiv verloren. Es herrscht Ausnahmzustand wie bei den Urhorden und eine "Der Stärkere frisst den Schwächeren" Mentalität wie im Tierreich. Übergeordneter gesehen ist das auch eine Anklage an den unkontrolliert wuchernden Turbokapitalismus, der das Land schluckt und den Druck erstellt, Söhne zu gebären, die für die Familie sorgen können. Machen, Tun, Anschaffen - BLIND MOUNTAIN ist auch ein Film über Arbeit. Und vor allem über ein Land, dass out of control dem Untergang entgegenstürzt.

Kurzum verhandeln beide Filme auch das Thema Tradition, auf ganz gegensätzliche Weise. In BOG OF BEASTS ist die Tradition entstellt, gebrochen, der Respekt verloren gegangen. Die Alten sitzen herum oder passen sich an die zynischen Spiele der Jugend an. In BLIND MOUNTAIN wiederum - und das ist im reflektierten Nachklapp noch einmal so erschreckend - erleben und sehen wir Tradition in the making. Es war immer so und wird immer so bleiben. Der Kreislauf kann kaum durchbrochen werden. Darwins Menschenzoo - beim Fakt, dass jeder 7. Mensch ein chinesischer Bauer ist, wird einem da schon ganz anders. Die Dummheit und Unmenschlichkeit als Tradition - dies transportiert der Film auf die Leinwand. Und solches als hard fact vor den Latz geknallt zu bekommen, das tut so weh wie schon lange nicht mehr...

#587 moodswing

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Geschrieben 27. Oktober 2007, 16:48

Import/Export
Ulrich Seidl, Österreich 2007

Österreich - Ukraine. Wien steht einem grauen Haufen Plattenbauten inmitten von Industriemüll gegenüber. Eine kalte nackte Stadt mit wienerisch säuselndem Präkariat - "geh schoaßn!" - und eine kleine Elektroheizung in einer sichtlich arschkalten, nochmals sei's erwähnt: dunkelgrauen ukrainischen Neubauwohnung. Ulrich Seidl - oder der neue Rainer Werner Fassbinder, wie man ihn vielleicht besser nennen sollte, nach dem ausschweifenden Drehtagebuch, abgedruckt im Pressheft, welches den Regisseur als exzentrischen Wagemutigen stilisiert - Ulrich Seidl also nun hat einen neuen Film gedreht. IMPORT/EXPORT stellt zwei voneinander unabhängige Geschichten gegenüber. Zum Einen ist da Paul, Kampfhund und -sport Fan, notorisch arbeits- und geldlos und mit einem Stiefvater, der sich trotz seines Unterschichtendaseins mit seinem Narzissmus gut arrangieren konnte - In der Ukraine lässt er eine Nutte bellen und geht mit ihr Gassi. Paul muss zugucken, während der eitle Herr mit Ekelpomade im ganzen Haar dann doch letztendlich keinen hoch bekommt. Diesem "Menschenpack", zynisch dahinvegetierend am Existenzminimum ist Olga entgegengestellt, filmisch nur versteht sich. Olga lässt ihr Kind bei ihrer Mutter und flieht nach Wien mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Das wird sie nicht haben. Sie kommt als gelernte Krankenschwester ins Hospital - um zu putzen. Die leisen Kontakte zu einzelnen Dahinsterbenden, die sich nach und nach aufbauen, darf sie nicht ausleben. Eine frustrierte Pflegerin beobachtet und kontrolliert sie auf Schritt und Tritt. Nach 2 1/2 Stunden endet der Film dann mit einer bewegenden Einstellung, darüber hinaus aber irgendwie unmotiviert. Nun gut, so ist's halt das Leben, alles fließt dahin, so grotesk wie nur was. Ulrich Seidls Film ist nämlich genau das - eine Alltagsgroteske. Nur so kann er funktionieren.

Denn IMPORT/EXPORT schreit wie der Seidl gerne "Provokation!" und "Aufgepasst: Der Mensch ist ekelig!", das wird viele wieder verschrecken, passt im Rahmen aber sehr schön zum Inhalt. Seidl arbeitet - obwohl immer dem dreckigen Realismus verschrieben - bis zur Schmerzgrenze mit Klischees. Zugegebenermaßen, wie soll man Osteuropa auch klischeefrei darstellen heutzutage? Und doch schmeißt einen dieser bloße Wille zum Hässlichen aus einem Sozialdrama, als dass man es zu jedem Zeitpunkt auch lesen kann (Job/Geld/soziale Stellung als ständige Unruhefaktoren), hinaus. Und zieht uns wieder hinein in dem Moment, wo IMPORT/EXPORT ins Hospital wechselt. Wirklich gruselig schöne Szenen führt er vor: Debile, gebrochene, schwachsinnige Alte, dem Tode näher als der Toilette, im Endstadium, und die Kamera hält ungeniert drauf. Zum Einen ist das fast nicht zum Aushalten, weil wirklich deprimierend. Zum Anderen fällt hier das Messer aus der vorgegebenen Schnitthöhe, denn jetzt wird alles zur Abstraktion, jetzt wird alles mutmaßlich zur Groteske umfunktioniert, was es vorher vermutlich noch nicht unbedingt sein sollte. Am Deutlichsten wird dies, als Seidl eine Faschingsparty im Hospital beobachtet. Die angesprochenen Alten feiern, mit Clownmasken zu Grimassen entstellt. Oder eben auch nicht, denn was gibt es da schon zu feiern? Im sozialen und existenziellen Chaos lässt uns der Film zurück. Folgerichtig lässt Seidl seinen Film dann auch mit einer langen Einstellung in den Todestrakt enden. "Tot, tot" sind die letzten Zeilen von IMPORT/EXPORT - einem Film, der im Antlitz des Grotesken schmerzt und der in jedem Moment gleichzeitig würgen und nervös lachen lässt. --- 8,0

#588 moodswing

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Geschrieben 30. Oktober 2007, 00:55

Zizek!
Astra Taylor, USA/Kanada 2005

Slavoj Zizek! hat die Nase voll! Er hat genug von lächelnden Gutmenschen, erhitzten Groupies, von gut gemeinten Bestrebungen und vor allem von liberalem Geschwätz. Zizek! - der Despot! Zizek! - der Alleinherrscher! Zizek! - die philosophische Aufziehpuppe!

Rastlos, mit permanenter Energieausladung, "spittet" der Blitzdenker einen Gedanken nach dem anderen und "flowt" er zu einzelnen Themen taktgenau. Als Selbstinszinator strickt er mit an seinem Mythos, genial und verwirrt, mit den Unterhosen im Geschirrschrank. Auch sein Sohn wird beim Lego-Spielen von oben herab kommentiert, das Lacan-Hitchcock-Freud-Marx-Membrain netztwerkt und frohlockt wo es nur geht.

Sprung, Präsidentschaftswahlen in Slowenien 1990. Zizek! als Kandidat in einer Diskussionsrunde. Ein Konservativer räumt ein, dass Zizek! intelligentere Sachen sage, dann ist die Sendung zu Ende. Zizek! freut sich, "danach sind die Prozente hoch gegangen" - reichen tat es leider nicht.

So also Bücher schreiben, eher so Notizen, die Zizek! irgendwann zusammenklamüstert, und schon paart sich Hollywood mit der Couch, wie es das ja so häufig eh automatisch tut. Da braucht's doch keinen Zizek!? Ha, ja wo sahn mer? Zizek! zieht sich zizekesk! die Bettdecke über den Körper. Ein Wuschelbär zum Knuddeln. Er schnauft durch, "scheiß liberale Dummschwätzer" yeah. Ich will wieder die Monarchie. Mit Wem? Mit König Zizek!

#589 moodswing

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Geschrieben 01. November 2007, 03:58

Gegenüber
Jan Bonny, Deutschland 2007

Am Anfang wirkt das Ganze noch ein wenig unglaublich, kaum nachvollziehbar, vielleicht gar etwas überzogen und unrealistisch. Gewalt in der Partnerschaft von der weiblichen Seite aus ist ein eher verdecktes, unbekanntes Phänomen. Jan Bonnys Spielfilm GEGENÜBER thematisiert es - so denkt man zunächst - doch dahinter steckt noch viel mehr, wie man spätestens nach 100 Minuten weiß. Bonny gelingt nämlich eine tiefgehende Charakterzeichnung, wie ich sie lange nicht mehr im Kino gesehen habe. Hier die Frau, als psychisch labile, stark neurotische, druckirresistende Lebenkrisengeschädigte, die der unsensiblen Allmächtigkeit des enttäuschten Vaters nicht Stand hält. Dort der masochistisch, alles über sich ergehende, in einer Spielhallenkugel versteckende, beschönigende Problemverdränger. Beide im Übrigen überaus erfolgreich und verantwortungsbewusst im Job (Lehrerin und Polizist!). Das Private und das Öffentliche. Der deutsche Mittelstand, sozial gesichert, risikofrei, monoton.

Das klingt immer noch zu sehr nach Klischeeschemata, nur der Film und seine starken Schauspieler können da Überzeugungsarbeit leisten. Und so weiß der Zuschauer bei den letzten Schlägen, die den Mann gegen Ende krankenhausreif prügeln, das hier eine ganze Geschichte hintersteckt, die wahrlich auch dem Betrachter weh tut. Kein soziales Leid (Die Protagonisten kommen ja aus der Mittelschicht), keine schlimmen Traumata. Ganz einfaches Zusammenleben, das langsam aus den Fugen gerät, ohne das jemand richtig hinsieht. GEGENÜBER ist ein tief deprimierender Film über die Unfähigkeit des Menschen in eine zwischenmenschliche Veränderung hineinzuwachsen und mit den auftretenden Problemen angemessen umzugehen. Ein "Angemessen" gibt es nämlich in emotionaler Enge kaum mehr, es zu erkennen ist vielleicht die korrekt formulierte Schwierigkeit. Der Lieblingssatz des Mannes ist "Mach doch kein Drama draus." Ich hatte das Gefühl der Film wehrt sich ebenfalls gegen das Dramatische. In seiner Ehrlichkeit aber kommt er nicht umhin so zu bedrücken, dass die Tragik unvermittelt unertragbar alles in Atemnot hält... --- 9,0

#590 moodswing

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Geschrieben 03. November 2007, 03:55

Salvador (Puig Antich)
Manuel Huerga, Spanien/Großbritannien 2006
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Die grauenhaften Dialogschemata und der zwanghafte Reflex zur Stilisierung eines linken Mythos zermürben SALVADOR nach und nach. Eigentlich wollte ich nach der Hälfte der Zeit schon das Weite suchen. Da ich dies nicht tat, bekam ich doch noch einen Rettungsakt zu sehen, der Film zog sich selbst nochmal am Schlips aus dem Brunnen. Zugegebenermaßen tut er dies mit einem billigen Trick. Nach 70 Minuten übler Biopic-Dramaturgie, hohlen Phrasen und einer äußerst eindrucksvollen (aber eben stilisierten) Kameraarbeit findet SALVADOR zu seinem eigentlichen Thema - er wird zum Plädoyer gegen die Todesstrafe. Wie gesagt, ein simpler Versuch noch etwas zu retten, und so einigermaßen erfolgreich, weil der nun zum Kammerspiel entwickelte Film involviert und emotionalisiert ohne billige Rückbezüge auf sein politisches Gehabe zu suchen. Trotzdem ein Scheißfilm, gerade weil er sich so einen Turn nach soviel konturlosem Gelalle eigentlich nicht leisten kann...

Du bist nicht allein
Bernd Böhlich, Deutschland 2007
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An Bernd Böhlichs DU BIST NICHT ALLEIN fallen drei Dinge auf: Zum Einen ein altes Detail, ein typischer Fehler beim Schrauben an den Ersatzteilen Tragik und Komik - merke: zuviel genötigte Witzelei lässt den Zuschauer die Figuren nicht mehr ernst nehmen. Zum Zweiten scheint dieses Berliner-Sozial-Atzen-Film-Genre, wie ich es mal liebevoll nennen möchte, derzeit so ein kleiner Trend zu sein. Billiges Andreas Dresen Gebite könnte man es auch nennen. und zum Dritten: DU BIST NICHT ALLEIN ist tatsächlich ein Film für mittelalte Frauen mit Hitzewallungen und aufgestautem Hysterieabladungsbedarf vorzugsweise in Hamburger Arthouse-Kinos. "Grotesk!" schallte es da lauthals hinter mir. Gruselig.

Climates
Nuri Bilge Ceylan, Türkei/Frankreich 2006
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Die kontrollierten Entfremdungsfantasien, die Nuri Bilge Ceylan in Climates auslebt beleben den Film zu Anfang noch, werden aber mit der Laufzeit immer schwieriger zu ertragen. Die Geschichte verläuft sich ein wenig, so bekommt man das Gefühl zwischen Narzissmus und Nervenzusammenbruch doch das Entscheidende verpasst zu haben. Die tiefe Symbolik, die Ceylan in seinen Bildern sucht, findet sich letztlich vor allem im Titel: Jahreszeiten.

#591 moodswing

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Geschrieben 04. November 2007, 12:47

Death Sentence
James Wan, USA 2007

Ein Film, bei dem man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Zunächst einmal, um es laut zu sagen, voranzustellen, unwiederruflich und definitiv: DEATH SENTENCE ist richtig großer Scheißdreck. Und das nicht einmal wegen des Selbstjustizthemas, nein über die Zeiten ist man wohl doch hinweg, als dass dies jetzt große Diskussionen vom Tisch brechen sollte. Der Film beginnt als strunzstupides Happy-Family Filmchen, in dem ab Sekunde eins klar ist, wo lang der hübsch präparierte Hase laufen soll. "Ich bemühe mich doch nur um Konstanz." Beim Wort für Wort eingestanzten Einführungsgespräch im Büro könnte man schon das Kotzen bekommen. Besonders schlimm wirkt das Ganze auch deshalb, weil stets hässlichst kitschige Tränenmusik aufgelegt wird.

Schlimmer wird es dann im Folgenden. Familienwerte werden zerstört und ab geht die wilde Bestie, die jugendlichen Balgen benötigen Lektionen. James Wan, das sollten nach dieser Knallerbse auch Fans seines noch akzeptablen SAW einsehen, ist auch ein ziemlich lausiger realisateur. Er nutzt die Räume kaum aus, die ihm die eigentlich gute Ausstattung zur Verfügung stellt. Die lustlose Nummer findet dann ihren Höhepunkt im komplett abstrusen Schlussteil, der beim schrecklichen TAXI DRIVER-Gebite anfängt und bei der grässlichen halb-ironischen Figur des John Goodman (Ja, der Coen-Goodman) als egal-coolem Vater aufhört. Der ist Waffenhändler und verkauft dem Mörder seines Sohnes schwarz (!) Waffen (wo man in den USA ja so schwer rankommt) und ist nicht so ganz entschieden, ob er jetzt seinen Sohn oder dessen Verfolger abballern soll (Aufpassen! Ganz geviewter Plottwist - Der Film lässt sich Nichts entgehen). Sieht so aus, als ob sich die Filmemacher in der Mitte des Prozederes dazu entscheiden würden, aus dem erzkonservativen family-revenge-drama ein Trash-Actioner zu machen, um am Ende wieder zu Ersterem zurückzukehren (inklusive Männerverbrüderung unter Feinden - "good shot buddy" und Super8-Familienaufnahmen). Wobei selbst diese Sichtweise schon zuviel der guten Worte für das Endprodukt sind. Und bei allem Sticheln im Kaffeesatzmilieu: Noch nicht einmal für die Einfachheit einer blöd in den Raum gestellten sozialen Frage nimmt sich DEATH SENTENCE eine Minute Zeit. Braucht er auch nicht. Wäre eh lächerlich gewesen. Hätte dem Film in seiner vollkommenen Schwachsinnigkeit aber auch nichts mehr an zusätzlichem Schaden bringen können... 1,0

#592 moodswing

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Geschrieben 05. November 2007, 15:30

Zwei Bundesligen oder doch eher die schlechteste zweite Liga aller Zeiten

Für den unbekannten Hund
Ben Reding/Dominik Reding, Deutschland 2007
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Wenn sich hippe Punks einen Film ausdenken, kommt sowas wie EIN UNBEKANNTER HUND heraus. Inszeniert wurde der Spaß von den Gebrüdern Reding (Oi! Warning). Die manirierte Scheiße im zerfledderten Mantel bietet neben beschämenden Dialogen auch gleich die passenden Schauspieler dazu: Ob nun Ronny, äh, Lukas Steltner oder Ferris MC (ja, schon richtig gelesen), sie alle versuchen sich gleichsam daran, Pogo mit der Handlung zu machen. Spätestens wenn auf dem Force Attack Festival nur noch gestylte Punkerinnen mit Modelmaßen herumrennen sollte der Spaß eigentlich aufhören bzw. ich kopfschüttelnd rausrennen. Wer die menschliche Jauchegrube kennt, weiß dann auch eigentlich schon, dass der Realitätssinn des Films hier schon längst den Geist aufgegeben hat. Die romantisierte Zünftelei mit eben jenen klischeehaften Dialogen, wie man sie so gut aus dem deutschen Minderbemitteltenkino kennt weist im Presseheft aus, dass hier das "Problem der Gewalt im Osten" behandelt wird. Na na na, wollen wir mal nicht übertreiben. Wer im Kindergarten mit seinen vollgekackerten Windeln spielt, setzt sich ja auch keine Brille auf und mimt den Akademiker. EIN UNBEKANNTER HUND ist vielmehr peinlich genau austariertes 08/15 Adoleszenz-Männerfreundschafts-Drama inklusive Romanze. So bieder und grässlich, dass man förmlich riecht, wie die Macher ihre Nasen tief in die Popos der Filmförderungen gesteckt haben, um an die Fleischtöpfe zu kommen. Die glattgebügelte Optik merkt man dem Film dann auch an, und so ist dieses vermeintlich subversive Punkerdrama nichts weiter als ein schlimmer Beweis dafür, dass es reicht ein großes D vor sich herzutragen, ob man nun Tom Tykwer, Doris Dörrie oder Reding heißt, spielt keine Rolle mehr - Deutsch bleibt deutsch. Und Dilettanten bleiben Dilettanten.

Immer nie am Meer
Antonin Svoboda, Österreich 2007
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Wie Warten auf Godot im verkaterten Nachbrand ist IMMER NIE AM MEER von Antonin Svoboda. Der merkwürdige österreichische Humor macht das kauzige Low-Budget-Fast-Theater zu einem fast hilflos strampelnden Lakoniker. Also genauer gesagt regt sich hier niemand. Wo im klassischen Survivalfilm das Leben erst wieder wertgeschätzt wird, bleiben hier die Protagonisten apathisch und resignieren weiter - nun eben auf 3 m² statt auf der Erde. Nebenbei erzählt das Werk auch davon, dass Männer ekelhaft sind (permanent!) und Frauen eben jene Männer ins Grab bringen. Oder von der Straße ab. Oder in eine Falle. Wie man's sieht. In jedem Fall merken die es nicht und tun so als sei nichts gewesen. Kinder währenddessen sind der Mensch auf seinen Urtrieb zurückgeführt: ein grausamer Fiesling. Mit schöner, zynischster Schlusspointe.

Am Ende kommen Touristen
Robert Thalheim, Deutschland 2007
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Über AM ENDE KOMMEN TOURISTEN hat man alles bereits lesen können was ich noch sagen könnte, zuhauf wie ich feststellen musste. Also nur in Kurzform: Robert Thalheims Zweitling traut sich wenig und kann damit auch nichts falsch machen. Das Thema schwirrt übermächtig über dem Film, der Inhalt bleibt häufig zu blass, nebelig melodramatisch und melancholisch Trübsal blasend. Nett und unspektakulär, wenig präsent und letztendlich nur von marginaler Bedeutung.

#593 moodswing

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Geschrieben 07. November 2007, 01:00

4 Months, 3 Weeks and 2 Days
Cristian Mungiu, Rumänien 2007

Wie beschreibt man die zersetzende Unmenschlichkeit einer Diktatur am Eindringlichsten? Cristian Mungiu gibt in 4 MONTHS, 3 WEEKS AND 2 DAYS eine Antwort: Im Privaten. Die lückenlose Beschrebung einer Abtreibung im Rumänien der Ceausescu-Ära ist in ihrer Einfachheit erstaunlich brutal und erschreckend. Die düstere Sozialstudie strahlt vor allem Beklemmung aus, viel Ängstlichkeit, die Aufzeichnung eines bevorstehenden Traumas. Der Zuschauer erstickt förmlich an den "Nicht-Bildern", der Abwesenheit der Kamera bei der Vergewaltigung des Abtreibungsarztes. Zurückgezogen und zusammengekauert schauen wir lediglich aus der Wanne im Badezimmer. Diese Szene beschreibt vielleicht am eindrucksvollsten die grundlegend vorherrschende Atmosphäre des Films.

Solch eine Diktatur bekommt ihr symbolisches Bild am Ende gesetzt, mit dem toten Fötus im Zentrum - das Ceaucescu-Rumänien: nichts als eine Tötungsmaschinerie, in der die Opfer offen liegen für die Kamera, aber versteckt werden müssen innerhalb der Erzählung. Mungius Bedrückungsdrama ist vielleicht der erste wirklich wichtige Film aus Rumänien (da will ich mich aber nicht soweit aus dem Fenster lehnen), einer der wenigen wirklich herausragenden des osteuropäischen Kinos der letzten Jahre jedenfalls mit Sicherheit. Und bei all der Beklemmung ist 4 MONTHS eines nicht: plump-moralisches Depressionskino --- 8,0

#594 moodswing

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Geschrieben 09. November 2007, 02:03

Ausgelatschte Sandalen & terroristische Hitzewallungen
Kino August 2007

The Last Legion
Doug Lefler, USA/Großbritannien/Frankreich/Slowakei/Italien 2007
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Dino de Laurentiis und seine Sippe haben mal wieder einen Film produziert, und zwar den vermutlich schlechtesten, der dieses Jahr international ins Kino kommen dürfte. THE LAST LEGION ist ein so ausgelatschtes Sandalenkino, dass man sich Arnie als Barbar I'll be back wünscht, um die ganze Bagage kurz und klein zu hacken. Inklusive Sir King Bensley, der sich seit einiger Zeit anscheinend vorgenommen hat, die übelsten Produktionen mit seiner Anwesenheit zu beseelen. Geradezu widerlich fährt der Film wie selbstverständlich Schema F auf, und das 7 Jahre nach GLADIATOR, Schämen sollten sich alle Beteiligten. Pompöse Plattitüden, grauenhafter Musikteppich, gekünstelter Humor, PG-13 Schlachszenen (mit Tortenwerfen?), lachhaftes CGI und eine ekelerregend dreiste Inszenierung von exotischer Weiblichkeit, welche nur ein Indiz in dieser - immerhin international produzierten - Stellage für unverhohlenen Rassismus ist. Das gesichtslose Treiben wird von einem C-Regisseur inszeniert (Dragonheart 2, hüstl) und ersäuft wohlverdient am Ende auch noch im Kitsch. Himmelherrgott was für ein banales Treiben, welch Zuschauerverhöhnung so einen "Blockbuster" hier und jetzt zu platzieren, ganz so als gebe es Kino mit Köpfchen gar nicht. Goldene Himbeere 2007!

1408
Mikael Håfström, USA 2007
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Als perfekte Mixtur aus Terrorfilm und Spukgeschichte entführt 1408 den Zuschauer in eine durchaus überzeugende, schreckliche Parallelwelt, die mich seit einiger Zeit einmal wieder so richtig erschaudern ließ. Umso überraschender, was dann im zweiten Teil folgt. 1408 versucht in seiner Auflösung tatsächlich eine After Life/Alptraumgefangenschaft einzufangen, und zur Glaubensfrage herauszufordern. Das damit zeitweilig zu einer Art philosophischen Melodram tendierende Stück bekommt ungeahnte Tiefen, die leider nicht ganz funktionieren können. Denn die streng restriktierte Erzählökonomie, die das Hollywoodprodukt dominiert, lässt ein tieferes Eingehen auf die wirklich spannenden Szenarien nicht zu. Dem intelligenten Zuschauer muss die Anspielung genügen. Schade, und trotzdem ein sehr vielseitiges Stück Kino...

Vacancy
Nimród Antal, USA 2007
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Eine gelungene Umsetzung der Idee des Terrorfilms bietet Nimrod Antals VACANCY. Settings, Konstellationen, Kamera, Licht, Tonspur - es passt. Naturgemäßer Einsatz des traumatisierten, dysfunktionalen amerikanischen Paares, standesgemäß schwach beleuchtet. Fehlerhaft ist der Film vor allem leider darin, dass er trotz vieler erfüllter Bedingungen unnötig konstruiert, unnötig in Tempowahn verfällt, den Abspann fährt und dank seines etwas hitzigen Kopfes doch nicht so ganz befriedigt hat. Mit einem effektiveren Drehbuch hätte aus VACANCY der führende Terrorfilm des Jahres werden können...

#595 moodswing

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Geschrieben 12. November 2007, 03:30

A Mighty Heart
Michael Winterbottom, USA/Großbritannien 2007

Als direkten Gegenentwurf zu seinem Vorgänger ROAD TO GUANTANAMO entwirft Michael Winterbottom sein Angstszenario A MIGHTY HEART. Wo der Berlinaleliebling ein narrativiertes politisches Positionsgefecht gegen die amerikanische Gefangenenpolitik war - nachgestellt und rekonstruiert nach einem wahren Fall - so ist das Angelina Jolie Starvehikel, als das es manche verschrien haben nun ein düsterer Bestandsbericht über die Grausamkeiten des Terrors - wieder: nachgestellt und rekonstruiert nach einem authentischen Ereignis: Dem Kidnapping und der Tötung durch Köpfung des amerikanischen Korrespondenten Daniel Pearl.

Und Authentizität ist es, welche Winterbottom in jeder seiner Einstellung beschwören will. Er schneidet wie ein wildgewordener Bessenener Szene an Szene, Nachrichtenstyle, CNN im Kinoformat, Fakt auf Fakt, Erkenntnis über Erkenntnis, trocken, nüchtern, anstrengend zu rezepieren. Die Jolie ist dabei omnipräsent, cool, rational, weiß wo es langgeht, lässt die Gefühle erstmal außen vor. Hin und wieder bekommt sie ihre Sequenzen der Beruhigung, die es dann auch für den Zuschauer sind.

Dann das Ende: Es führt zur runden Geschlossenheit des ästhetischen Konzepts. Die Authentifizierungsstrategien, die der Film gebetsmühlenartig predigt und streng strebsam ausführt werden durchbrochen: Von Jolie - auch sie behauptet jetzt ihre Position, rechtfertigt ihre Mitwirkung. In einem emotionalen Schrei - wortwörtlich, Jolie kreischt das Kino zusammen, keinem ist jetzt nicht mulmig, eine Szene für die Filmgeschichte.

In den letzten Einstellungen macht der Film seine Position deutlich. Er IST wertend, und wie: Die Buddhistische Hochzeit, das heroische und ehrhafte Geständnis Pearls vor seinen Entführern ein Jude zu sein - Dagegen der blutrünstige Islam, der nach einer Tiertötung zuvor im Film nun auch Menschenköpfe rollen lässt. Es gibt auch gute Moslems, ja aber in diesem Film nur in periphären Nebenrollen, und auch sie sind keine Heiligen (siehe die Folterszene im Polizeipräsidium). Als kleiner Haken und Bezugspunkt merkt dann auch der letzte Satz an, dass ein mutmaßlicher Beteiligter der Aktion nun in Guantanamo einsitzt. Damit schließt Winterbottom sein Kapitel zum "war on terrorism", das nun die Ausgewogenheit bekommen hat, die es benötigte. Vergessen sollte man aber eben nicht: ROAD TO GUANTANAMO und A MIGHTY HEART gehören untrennbar zusammen, für sich allein stehend wären sie durchaus strittig und über Zweifel nicht erhaben...

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Geschrieben 13. November 2007, 01:38

Hübsch schattierte, gelbe Lachsäcke & Hübsch orchestrierte, seidene Ernsthaftigkeiten

The Simpsons Movie
David Silverman, USA 2007
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Weniger gelacht, mehr geschmunzelt habe ich beim Film zur Serie. Warum eigentlich jetzt erst, warum nicht früher? Man spürt dem Werk die dramaturgische Umkonzipierung drastisch ein. Es gibt ein Verlangen eine größere Geschichte zu erzählen, die Figuren stärker zu emotionalisieren und dem Ganzen einen runden Bogen zu verleihen. So sehr geschadet wie befürchtet hat die Spielfilmfassung dem Mythos wohl nicht, aber ein Meilenstein ist sie sicherlich auch nicht. Dazu schien sie mir dann doch zu glattgebügelt, mit Cinemascopebildern und Schattentexturen garniert. Vor "Bad Jokes" hat der Film merklich Angst und traut sich nicht genug für meinen Geschmack. Wie muss das auch sein als Schreiber vor 10000 möglichen Witzkonstellationen zu sitzen und sich zu überlegen, welche davon womöglich in einer schwächeren Episode der Serie untergeht und welche auf den big screen kommt? Die Macher spielen auf Sicherheit und produzieren damit durchgehende Sympathien. Schmunzeleien eben, aber kein Gelächter aus vollem Halse...

Lust, Caution
Ang Lee, USA/China/Taiwan/Hong Kong 2007
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Das exakt choreografierte, perfekt fotografierte, eine Historiegeschichte und eine Liebesbeziehung melodramatisch verflechtende Epos um Leidenschaft, Macht, Dominanz, und die Unlösbarkeit der Gegenüberstellung der politischen Ideale und der persönlichen Hingezogen zu einer Person. Lee, Prieto, Desplat - ein Stilreigen. Soviel mit Perfektion umgesetzte, ansich aber längst bekannte Muster und Versatzstücke. Der Film nimmt sich zu wichtig, was man wieder an der unnötig gestreckten Lauflänge merkt. Von exaktem Historienpotrait wechselt er unversehens in der zweiten Hälfte zur Durchleuchtung einer sadomasochistischen Beziehung. Insgesamt natürlich virtuos in der Inszenierung, und doch streckenweise zutiefst langweilend. Bei solch monströsen Schinken habe ich immer wieder das Gefühl, dass deren Antlitz - die perfekt durchstylte Oberfläche - viele Wahrheiten verdecken kann, und stattdessen auf die Grundmotive gesetzt wird, die sie wiederum so perfekt orchestrieren, das es den Betrachter schier überwältigen soll. So ganz ehrlich scheinen mir solche Filme nie zu sein...

Ten Canoes
Rolf de Heer/Peter Djigirr, Australien 2006
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Beim niederländisch-australischen Aboriginie-Märchen TEN CANOES stellt sich nochmals die Frage nach der Ausbeutung einer Inszenierungsstrategie. Alle Darsteller sind Eingeborene, sie sprechen in ihrer Sprache und werden doch missbraucht für ein Erste-Welt-Kino in den Arthouse-Hinterecken der Großstädte. Gar nicht so weit entfernt von Mel Gibson? Apocalypto für Brillenträgerinnen? Insgesamt ist der Film viel zu konfus und langatmig geraten. Höchst seltsam mutet er an, und zwar weniger wegen der Exotik des Treibens als vielmehr der Intention der europäischen Filmemacher...

#597 moodswing

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Geschrieben 13. November 2007, 22:25

Trade
Marco Kreutzpaintner, USA/Deutschland 2007

Das Prostitutions- und Menschenschmuggeldrama TRADE sieht zunächst aus wie der Versuch MARIA FULL OF GRACE im Stile von CITY OF GOD zu erzählen. Hört sich erst einmal schlimmer an als es letztlich ist. Wirklich schwer macht es das Drehbuch dem Film allerdings in zwei bis drei Momenten, in denen die Protagonistinnen die Möglichkeit haben definitiv zu fliehen oder Hilfe heranzubeten, es aber nicht tun. Solche üblen Konstruktionen zur Aufrechterhaltung der unnötigen, weil künstlichen Spannung haben normalerweise nur schlechte Horrorfilme nötig. TRADE - vom deutschen Marco Kreutzpaintner inszeniert und von Roland Emmerich produziert - bietet eigentlich eine Thematik, die schwer genug wiegt, um Intensität zu erzeugen, muss aber doch auf viele Auffangnetze zurückgreifen, um sich in dramaturgischer Sicherheit zu wiegen.

Letztlich erinnert TRADE unangenehm an BORDERTOWN, der diesem im Wettbewerb der Berlinale der Vorrang gegeben wurde. TRADE wäre trotzdem die bessere Wahl gewesen, denn da wo BORDERTOWN bei einem hitzigen Thema lustlos Genrevariationen herunterspult, bietet der Nachzügler immerhin einige einreißende Momente, die den Zuschauer gefangen nehmen. Dies liegt sicherlich eher an der Wahrhaftigkeit der Geschichte als an guten Leistungen der Filmemacher, doch selbst dieses der Erzählung innewohnende Moment konnte das Jennifer Lopez-Vehikel nicht nutzen. TRADE ist näher an seinen Figuren, tiefer in der Geschichte. Es rüttelt - schade nur, dass nicht auch durch eine risikobereitere Ausführung...

#598 moodswing

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Geschrieben 14. November 2007, 23:21

Everyday miracles & Run'n'Jump Waffenfetischismus

Premonition
Mennan Yapo, USA 2007
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Ein wenig zu Unrecht ins Fadenkreuz geraten ist PREMONITION vom Deutschen Mennan Yapo. Ebenso zu Unrecht gehypt wird er allerdings auch vom Verleiher Kinowelt. Überraschenderweise ist das Mystery-Drama doch recht spannend geraten, der als Sandra Bullock-Vehikel verschriene Film lebt eine ganze Zeit lang sogar von ihrer Präsenz und zeigt, dass sie tatsächlich keine schlechte Schauspielerin ist. PREMONITION ist eine ganze Weile ein solides Drama über den Verlust eines geliebten Menschen und hätte mit einem guten Drehbuch und einem weniger kalkulierten Schluss sogar ein guter Film werden können. Die ganze Geschichte verrät sich aber in dem Moment, wo die Filmemacher entscheiden aus der tragischen Ausgangssituation einen Zeitsprung-Montage-Thriller zu machen. Letztendlich geht das ganze Konstrukt baden und wird sogar ziemlich ärgerlich, als der Film zum religiösen Betbruder wird. "Everyday we are alive can be a miracle." Lüge - Schicksal - Tod - Neubeginn. Solch eine einfache Rechnung geht nur in schlechtem Kino auf...

30 Days of Night
David Slade, USA/Neuseeland 2007
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"Gott? Kein Gott!". Und wenn er präsent wäre, so würden sich die Vampire doch auch nur auf ihn schmeißen und zerfräsen. 30 DAYS OF NIGHT hat so seine Momente, im Großen und Ganzen aber nutzen Slade und sein Team die Gegebenheiten nicht aus. Die räumliche Enge, das Hide-and-Catch-Spiel, die Dunkelheit, die unsichtbare, plötzlich angreifende Meute - eigentlich hätte das ein klasse Horrorfilm im besten Carpenterschen Sinne werden können. Stattdessen bleiben die Fliehenden zu häufig unter sich, die Konzentration auf die dann doch nicht tiefer beleuchteten Figuren nehmen dem Streifen die Intensität. Insgesamt keine groben Schnitzer, aber das Potenzial wurde nicht ganz ausgenutzt.

Shoot 'Em Up
Michael Davis, USA 2007
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Bewusst auf punkigen Tarantinismus setzt Shoot 'Em Up und macht aus seiner ironischen Attitüde keinen Hehl. Schnelllebig und unterhaltsam ist das, obwohl doch ziemlich beschränkt, weil auf nichts Anderes zielend. Das Spiel mit dem Waffenfetischismus wird versucht inhaltlich in Form einer politischen Intrige auszutarieren, das kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass die Knalleffekte das einzige sind, was den Film interessiert. SHOOT 'EM UP wirkt letztlich wie ein Jump'n'Run Game etwas über der Zeit, kurzweilig aber ohne den rechten Esprit.

#599 moodswing

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Geschrieben 16. November 2007, 02:20

8 Jahre später - Kurze ergänzende Bemerkungen zu FIGHT CLUB

In gewisser Weise negiert der Film auch die Möglichkeiten einer Freundschaft. Wir gehen die ganze Zeit davon aus, dass Tyler und Jack beste Freunde (in gewissen Szenen sogar das Gefüge Vater - Sohn) sind, das wird am Ende radikal verneint. Alle Figuren bleiben isoliert. Auch die Beziehungsebene Marla - Jack bleibt eine Unmögliche.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Kurz bevor Jack Tyler trifft hat der Film diese "Ich wünsche mir einen Flugzeugcrash" Sequenz. Bei den Spielereien, die der Film mit uns treibt wäre es doch auch durchaus denkbar, dass dies doch passieren sein mag. Dann wäre der Rest des Films eine Art Afterlife-Version, in der unser Protagonist seine Welt destruiert.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
"Ground Zero" und die einstürzenden Türme. Wie muss man sich gefühlt haben am 11.09.01 als Macher dieses Films?
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Als Destruktion der zynischen Geisteshaltung schockiert FIGHT CLUB immer wieder. Gerade dadurch, dass er aber mindestens zwei Mal gesehen werden muss, damit man die "hints" aufspürt, die der Film jede Minute legt, ist das natürlich eine besonders perfide Strategie. Wobei sicherlich eh außer Frage steht, dass man von FIGHT CLUB als Fan gar nicht genug bekommen kann.

#600 moodswing

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Geschrieben 17. November 2007, 12:48

Life as a Shorty shouldn't be so rough...
Kinofragmente Okt/Nov 2007

The Hunting Party (Richard Shepard, USA/Kroatien/Bosnien-Herzegowina 2007)
Unentschiedener, unpräziser und teilweise verlogener Wechsel des Tones. Alle zwei Minuten schwenkt der Film von schwarzer Satire zu persönlichem Drama, von Politthriller zu wüst humorigem Unterhaltungskino.

A Band's Visit (Eran Kolirin, Israel/F/USA 2007)
Zieht seine Attraktivität durch Zurschaustellung seiner skurrilen Attraktivitäten und Situationen. Der Zuschauer daher leichte Beute, ein altbekanntes Prinzip. Die zusätzliche "Besonderheit" zieht er aus der Anspannung des im Hintergrund flirrenden Nahostkonflikts. Könnte man die Nase drüber rümpfen, wäre da nicht eine so ungewöhnliche, sympathisch erzählte Liebesgeschichte...

A Girl Cut in Two (Claude Chabrol, F/D 2007)
Klischeedurchnäßter Krimi im gehobenen Milieu voller Altherrenfantasien, in dem die Frauen - je nach Alter unschuldig bis durchtrieben, aber immer sexy - die alten Männer charmant, herzlich und intelligent und die jungen Spunde eitel, arrogant und selbstverloren sind. Desaströs. Chabrol sollte aufhören Filme zu machen und es - Ironie des Lebens - lieber den Jungen überlassen (siehe La Tourneuse de pages)...

Sleuth (Kenneth Branagh, USA 2007)
Naiv konstruiertes, wenn auch zuweilen stilsicheres 2-Mann-Stück, das sich gegen Ende aber als reines Starvehikel entpuppt und seine Ideenlosigkeit kaum verdecken kann.

Der Mann von der Botschaft (Dito Tsintsadze, Deutschland 2006)
Schläft in seiner Einsamkeitsstudie fast ein. Nicht unambitioniert, aber doch zu wenig für die nötige Aufmerksamkeit.

Mörderischer Frieden (Rudolf Schweiger, D 2007)
Strunzdummer Müll, wie er nur in Deutschland ernsthaft produziert werden kann. Die Sprache verschlagend.





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