Miami Vice #1.12 - #1.22
Michael Mann, Anthony Yerkovich und John Nicolella kreierten 1984 eine Krimiserie, die neben dem Einfluss auf das Genre (und speziell Manns spätere Arbeiten) vor allem Eines auszeichnete: MIAMI VICE verschluckte den Zeitgeist der 80er und ließ ihn pulsierend aus dem Artefakt ausströmen. Das Oberflächenkino treibt den Bildern zumeist den düsteren Charakter aus, die Storys jedoch sprechen eine andere Sprache. Sonny Crockett und Ricardo Tubbs, der fesche Beachboy im pink-weißen Schulterpolstersakko, und der jamaikanische New York-Cop, der irgendwie immer verschwitzt ist, aber auf eine coole Art und Weise - sie repräsentieren einen Lifestyle zwischen den Figurationen Sex & Crime, populären Mainstreammythen und einer neuartigen, rasanten - auch zynisch pessimistischen - Weltsicht des Yuppitums, die nur mit homosexuellen Modefrakturen und mild-bunten Pastelltönen zu bestreiten war. Unsere beiden Protagonisten bewegen sich eigentlich sehr nah an der Grenze zwischen ihrer "Berufung" und den Handlungen der Männern, die sie verfolgen. Gerade in der letzten Episode "Lombard" (#1.22) wird dies überdeutlich, wenn sie einen Kronzeugen - selbst Mafiaboss - bewachen müssen, und dieser die letzten Trennlinien durch die sympatische Annäherung an die Figur zwischen Bösewicht und moralischer Instanz langsam auflöst. Nicht umsonst wurde diese Folge als Cliffhanger ausgewählt.
Crockett und Tubbs müssen in einer desillusionierten Welt zurechtkommen. In dem hell-pastellenen Schein der Dekade, zwischen brusttoupierten Yuppies und sonnenbebrillten Mafiosos begeben sie sich regelmäßig in selbstmörderische Aktionen - lassen sich einschleusen, undercover, geraten pünktlich einmal pro Episode in selbstmörderische Schusswechsel und müssen auch ihr Privatleben eliminieren. Überhaupt - Jeder Detective bekommt seine Liebesgeschichte an den gebraunten Körper gemeißelt. Aber nicht länger als eine, maximal zwei Episoden. Besonders spannend wird dies bei Lt. Martin Castillo, dem Chef unserer beiden Detectives: In der Doppelfolge "Golden Traingle" (#1.13-14) wird nach ein paar falschen Fährten deutlich, dass Castillo eine alte Liebe aus Südostasien hat. Auf den Punkt bringt es dann wohl der irgendwann spontan getätigte Ausspruch: "Are they nuts?" - "No, they are southeastasian." Die leisen Bezüge zum Vietnamkrieg werden hier kurz deutlich. Und in der Tat: Castillo sieht mit seinem vernarbten Gesicht und dem in die Leere (bzw. meist nach unten) schweifenden Blick weniger schauspielerisch limitiert, als viel mehr vor allem depressiv und desillusioniert aus.
Auch Crockett ("Nobody Lives Forever" #1.20 - eine unattraktive, leicht männliche Kurzhaarblondine) und Tubbs ("Rites of Passage" #1.16 - Pam Grier) müssen ihre Mädels schon nach einer Folge liegen lassen. Da gibt es Wichtigeres. Zum Beispiel Südamerikaner. Genauer gesagt: Eigentlich fast ausschließlich Südamerikaner. Wenn der Boss in einer Folge mal kein Latino ist, dann ist es zumindest einer seiner Angestellten. Meistens sind sie rabiat, ungehobelt, schrecken vor nichts zurück. Einmal müssen Crockett und Tubbs sogar rüber nach Kolumbien ("Smuggler's Blues" #1.15), hinein in das undurchschaubare, dreckige Dickicht. Schon deswegen, aber auch aufgrund der schwachen Dramaturgie der Folge die schlechteste Episode der zweiten Hälfte der ersten Staffel. Ein anderes Mal ("The Maze" #1.17) verschanzen sich einige Jugendliche in einem undurchsichtigen Trakt in besetzten Häusern, gerade einmal einer von ihnen kommt am Ende zur Raison, notgedrungen, da er umzingelt ist. Die anderen sind nachdem sie Gaststar Ving Rhames erschossen und seine Schwester fast vergewaltigt haben nicht so leicht davon gekommen. Solche Bastarde stoppen nur Kugeln - und Latinos sind der Fluch, der auf Miami lastet, so lernt es der Zuschauer. Gerade diese durchgehend verabreichte reaktionär rassitische Message gibt MIAMI VICE immer einen bitteren Mitgeschmack - auch wenn sich immer wieder der Eindruck aufdrängt, das bei der steten Beschäftigung auch eine Menge Faszinosum gegenüber diesem exotischen Unbekannten mitschwingt.
Grundsätzlich kann man MIAMI VICE unterstellen, den Oberflächchic, die Videoclipästhetik des aufkommenden MTV-Booms - auch die bloße Musik von Phil Collins und anderen Ikonen der 80er, auszustellen und für eine rasante Inszenierung zu missbrauchen. Zwischen Kritik und Affirmation ist nur eine dünne Grenzlinie gezogen und so ist MIAMI VICE sowohl für die Upper-class als auch für Cineasten oder Subkulturen goutierbar. Die Serienkonzeption hatte anscheinend immer den Anspruch zwischen vielen Stühlen zu changieren. Nur so ist es zu erklären, dass der tone der Serie in nur einer Folge von witzelnder Verarsche ("Made for each other" #1.18) zu ultradüsterem Ambiente ("The Home Invaders" #1.19) wechselt. Diese Folge wurde übrigens von Abel Ferrara als Gastregisseur verwirklicht und ist überhaupt die einzige der ersten Staffel, die sich jeglicher Ironie verschließt.
Ein Punkt muss bei einer Reflexion über MIAMI VICE natürlich noch angesprochen werden: Crockett und Tubbs - die frauenlosen Herzensbrecher - sind natürlich auch Ikonen in der Schwulenkultur. In der Folge "Evan" (#1.21) lernen wir dann, dass Crockett einst einen Partner hatte, der von ihm und eben jenem "Evan" nach seinem Outing gemobbt wurde. Der schwule Kollege beging Selbstmord, "Evan" ist seitdem auf selbstmörderischer Mission, da er mit seinem schlechten Gewissen nicht zurecht kommt, Crockett schweigt sich aus und offenbart sich auch Tubbs erst nach einem fast zickigen Hin und Her zwischen den Beiden. Spannend, dass die Serie schon zu so einem frühen Zeitpunkt ihre Wirkungskreise reflektiert. Crockett und Tubbs werden in jedem Fall auch immer zurückhaltend genug inszeniert (keine prolligen Ausfälle, keine Frauen länger als eine Episode, stattdessen immer wieder neue, schicke Fummel), damit sich diese Zielgruppe offengehalten wird.
MIAMI VICE ist und bleibt ein popkulturelles Universum der 80er Jahre und lohnt der steten Erkundung.